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Asbjörn Krag wurde etwas ungeduldig, als er sah, wie der Polizeileutnant diese Mitteilung aufnahm. Krag rechnete leider nie bis zu dem Grade mit menschlichen Gefühlen, daß er sich von ihnen aufhalten ließ. Als der Polizeileutnant bei der Nachricht von Frau Sonjas Tod vollständig zusammenbrach, sagte Krag zu ihm:
»Lieber Freund, Sie haben noch Zeit genug zum trauern, der Zug geht erst um sechs Uhr. Bis dahin müssen Sie sich auf sich selbst besonnen haben, sonst reise ich allein.«
Er wollte gehen. Der Polizeileutnant aber hielt ihn zurück.
»Erzählen Sie mir um Gottes willen, was geschehen ist?« sagte er, »Wie haben Sie diese furchtbare Nachricht erhalten?«
»Ein Telegramm aus Kopenhagen.«
»An Sie?«
»Nein, ich war um ein Uhr auf der Redaktion einer Zeitung, um zu hören, ob nähere Einzelheiten über den verflixten Überfall auf Advokat Gade eingetroffen seien, und da erfuhr ich die Neuigkeit. Hier habe ich das Telegramm aufgeschrieben. Sie können selbst lesen.«
Mit zitternden Fingern ergriff der Polizeileutnant das Papier und las die lakonische Mitteilung:
»Ein trauriger Unglücksfall erregt hier heute großes Aufsehen und Bedauern. Die schöne Frau Sonja Gade, Advokat Gades Frau, ist beim Baden im Sund ertrunken. Frau Gade war allein im Bade, als das Unglück geschah. Niemand hat sie schreien hören. Die Kleider der Ertrunkenen lagen in der Badekabine. Nichts ist da, was auf Selbstmord deutet; dennoch bringt man den Tod von Frau Gade mit dem rätselhaften Überfall auf ihren Mann in Verbindung. Herr Gade hat noch keine Mitteilung von der Katastrophe bekommen. Er ist außer Gefahr, aber auf Rat des Arztes soll ihm die schreckliche Nachricht erst morgen mitgeteilt werden. Von dem Attentäter hat die Polizei übrigens noch keine Spur, und die ganze Affäre ist noch immer in vollkommenes Dunkel gehüllt.«
Dieses Telegramm übergab Asbjörn Krag dem Polizeileutnant und verließ ihn, nachdem er mit ihm verabredet hatte, daß sie sich kurz vor sechs Uhr am Bahnhof treffen wollten.
Krag begab sich geradeswegs zur Polizeibehörde, wo er ein Ferngespräch mit dem Chef der Detektivabteilung in Kopenhagen hatte, mit dem er persönlich befreundet war.
Von ihm erhielt er nähere Auskunft über das Geschehene. Als er um sechs Uhr mit dem tiefgebeugten Polizeileutnant im Aug saß, erzählte Asbjörn Krag ihm folgende Einzelheiten:
Das Unglück oder die Katastrophe war nachmittags fünf Uhr geschehen. Zu der Zeit pflegte Frau Gade jeden Tag ein Bad in der Badeanstalt bei Bellevue zu nehmen. Frau Sonja war eine tüchtige Schwimmerin und schwamm oft große Strecken im Sund. Sie badete immer allein. Gerade jetzt war es einige Tage sehr kalt gewesen in Kopenhagen, das Wasser war sehr kühl geworden, und in der Badeanstalt waren nur sehr wenig Gäste. Die Badefrau hatte den Eindruck gehabt, daß Frau Sonja etwas ernst gewesen sei, aber sie hatte angenommen, ihre Stimmung sei auf das unheimliche Attentat zurückzuführen, das gerade tags zuvor stattgefunden hatte. Sonst war ihr nichts aufgefallen. Frau Gade hatte die Friseurin wie gewöhnlich für eine halbe Stunde später bestellt. Die Friseurin war auch zu der bestimmten Zeit in der Badekabine gewesen, hatte aber nichts anderes als die Kleider von Frau Gade vorgefunden. Es kam indessen häufig vor, daß Frau Gade lange im Wasser blieb, und darum faßte die Friseurin keinen Verdacht, sondern wartete ruhig. Als aber eine ganze Stunde vergangen war, wurde Alarm geschlagen. Viele Menschen wurden in Bewegung gesetzt, das Rettungskorps benachrichtigt. Die Verschwundene aber wurde nicht gefunden. Man nimmt an, daß sie in dem kalten Wasser Krämpfe bekommen hat und auf den Grund gesunken ist. Trotz eifrigen Suchens aber war die Leiche noch nicht gefunden worden.
Während der ganzen Reise war Asbjörn Krag sehr schweigsam. Er überließ den Polizeileutnant seinen Grübeleien, und wenn Helmersen ihn hin und wieder etwas fragte, antwortete er einsilbig. Der Detektiv schien sehr von dieser unheimlichen Sache erfüllt zu sein, denn wenn er sich einmal mit einer Frage an den Polizeileutnant wandte, verriet diese jedesmal, daß er unausgesetzt an Frau Sonja und die beiden Apachen dachte. Mehrfach setzte er den Polizeileutnant durch die Art seiner Fragen in Erstaunen. Sie bewiesen, wie Krag bereits weitgehende Schlüsse gezogen hatte.
So fragte er einmal:
»Welche Sprache sprach Frau Sonja, außer Dänisch?«
»Ich weiß, daß sie fließend Französisch sprach. Sie las auch am liebsten französische Literatur und war auf französische Zeitungen abonniert. Und natürlich sprach sie auch Russisch, was ja ihre Muttersprache war.«
»Haben Sie sie jemals Russisch sprechen hören?«
»Nein.«
Diese Unterredung fand statt, als der Zug kurz vor der schwedischen Grenze war. Dann sagte Asbjörn Krag nichts wieder, bis sie schon ein großes Stück in Schweden waren.
Da überraschte er den Polizeileutnant mit folgender Frage:
»War Frau Sonja sehr brünett?«
»Ja, das war sie.«
Und eine Stunde später kam er mit folgender Frage:
»Haben Sie jemals gehört, daß sie mit den Apachen Worte gewechselt hat?«
»Nein, ich habe es nur gesehen.«
»Also nicht gehört?«
»Nein.«
»Gut,« sagte der Detektiv – und diese Aufklärungen schienen ihn sehr zu befriedigen.
Sie kamen so spät in Kopenhagen an, daß sie an diesem Abend keine selbständigen Untersuchungen mehr vornehmen konnten. Krag hatte einem seiner Freunde bei der Detektivabteilung seine Ankunft durch eine Depesche mitgeteilt, und dieser Herr erwartete ihn am Bahnhof. Krag stellte ihn als Inspektor Boyesen von der Kriminalpolizei vor.
Die Reisenden kehrten im Hotel Bristol ein, und der Polizeileutnant begann sofort die Zeitungen zu studieren. Weder die Morgenzeitung noch die Abendzeitung brachte etwas von Bedeutung. Obgleich die Unglücksstelle fortgesetzt abgesucht wurde, hatte man noch keine Spur von Frau Sonja Gade gefunden, und obgleich die Polizei sich die größtmöglichste Mühe gab, ebensowenig einen Anhalt für das Attentat auf ihren Mann. Advokat Gade war in der Besserung und hatte schon Besuch empfangen. Man hatte ihm den Tod seiner Frau mitgeteilt. Diese Mitteilung hatte ihn tief erschüttert, aber, soweit man sehen konnte, war kein Verdacht in ihm aufgetaucht, daß etwas anderes als ein Unglücksfall vorliegen könnte. Von Boyesen ließ Krag sich bestätigen, daß dies die tatsächliche Auffassung des Advokaten sei. Herr Boyesen hatte nämlich eine lange Unterredung mit Gade gehabt und meinte beschwören zu können, daß Advokat Gade wirklich im guten Glauben sei. Überhaupt neigte man jetzt allgemein der Ansicht zu, daß die beiden Ereignisse nichts miteinander zu tun hatten. Der Überfall war ein Zufall, und das Unglück war ein Zufall, die voneinander unabhängig waren.
Im übrigen begann das Gebaren des Polizeileutnants jetzt einen Zug von Komik zu bekommen. Am nächsten Tage fragte er Asbjörn Krag, was er eigentlich tun sollte, und Asbjörn Krag antwortete, daß er ruhig in seinem Zimmer bleiben und sich bereit halten solle, ihm die Aufklärungen zu geben, die er etwa von ihm verlangen würde.
Asbjörn Krag war von morgens früh unterwegs. Er hatte lange Unterredungen mit seinem Kollegen von der Kopenhagener Polizei. Hier wollen wir nebenbei bemerken, daß Krag seinem dänischen Kollegen nicht anvertraute, warum er nach Kopenhagen gekommen war. Er sagte, daß er sich auf einer kleinen Ferienreise befände und es natürlich nicht lassen könnte, sich für die spannenden Tagesfragen zu interessieren. Bei diesen Konferenzen wurde ihm klar, daß die Polizei gar nicht mehr an die beiden Apachen dachte, und noch weniger das Attentat und den Unglücksfall mit dem Auftritt in der Villa in Trinacria in Verbindung brachte. Die Polizei unternahm auch bei der Badeanstalt in Bellevue, wo Frau Sonja ihren Tod gefunden hatte, keine anderen Untersuchungen, als das gewöhnliche Tauchen und Fischen. Das war bisher ohne Resultat geblieben, und man hätte vielleicht auch dies bereits eingestellt, wenn nicht der Advokat den bestimmten Wunsch geäußert hätte, daß man noch eine Zeitlang damit fortfahren solle. Somit war alles im Begriff im Sande zu verlaufen, als Asbjörn Krag eine merkwürdige Entdeckung machte.
Es war am Nachmittag des zweiten Tages. Er war zeitig am Morgen ausgegangen, der Polizeileutnant hatte ihn vergebens zum zweiten Frühstück erwartet. Der Polizeileutnant wußte nur, daß er sich draußen in Bellevue herumtrieb. Was er dort in all der Zeit machte, konnte Helmersen nicht sagen. Als Krag aber endlich gegen sechs Uhr nachmittags zurückkam, war er sehr aufgeräumt. Er schien einen guten Tag gehabt zu haben.
Als er dem Polizeileutnant beim Mittagessen gegenüber saß, sagte er:
»Das Ganze ist doch nicht so klar.«
»Was?«
»Ich meine, Frau Sonjas Tod. Bisher haben wir mit zwei Möglichkeiten gerechnet – daß sie entweder verunglückt ist oder Selbstmord begangen hat. Von jetzt ab müssen wir auch mit einer dritten Möglichkeit rechnen.«
Der Polizeileutnant sah ihn neugierig und fragend an.
»Die dritte Möglichkeit ist,« sagte Krag, indem er ruhig weiter aß, »daß sie ermordet worden ist.«
»Ich habe bereits so etwas geahnt,« antwortete der Polizeileutnant, »aber da Sie es aussprechen, weiß ich, daß Sie einen bestimmten Anhalt dafür haben.«
Krag nickte.
»Erinnern Sie sich noch genau, wie die Apachen aussahen,« fragte er, »besonders der eine mit dem blauseidenen Halstuch?«
»Ja, den werde ich nicht vergessen, solange ich lebe.«
»Dann erinnern Sie sich auch wohl noch genau seines Halstuches?«
»Ja, ganz deutlich.«
Krag zog etwas aus der Tasche und legte es vor sich auf den Tisch. Der Polizeileutnant griff begehrlich danach. Er wurde plötzlich blaß.
Es war das blauseidene Halstuch, das er in der Hand hielt.
»Großer Gott,« rief er, »das ist das Halstuch des Apachen –«
»Ja,« antwortete Krag ruhig, »das ist das blauseidene Halstuch. Wie Sie sehen, sind einige Flecke darauf. Das ist Blut.«