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Als die beiden Männer sich die Hand drückten, war ein Bund geschlossen, und sie dachten beide im selben Augenblick, daß sie den größtmöglichsten Nutzen daraus ziehen wollten. Am zufriedensten war Asbjörn Krag. Sein erster Plan war jetzt geglückt; er hatte den Apachen näher kennen gelernt. Es hätte nicht glatter gehen können. Er war sein Freund geworden; bald würde er sein Vertrauter sein. Der Zug eilte durch Schweden, von Station zu Station, die Stunden vergingen, bald war man in Göteborg ...
Jeder Kriminalbeamte oder Polizist würde dem Gespräch, das die beiden Männer jetzt führten, mit größtem Interesse gefolgt sein. Asbjörn Krag kannte von seinen Studienreisen und aus Büchern, die Verbrecherwelt des ganzen Kontinents, und da der andere, wenn möglich, noch besser über diese Dinge unterrichtet war, verging die Zeit, indem man Erinnerungen an ältere und neuere Taten austauschte. Krag vermied es, auf Personalien einzugehen, wobei er sich leicht hätte verraten können. Er hielt sich an die großen Linien und fesselte den Apachen durch seine Kenntnis französischer Verbrechen und der letzten europäischen Tricks. Der Apache verriet sowohl Intelligenz wie Erfahrung. Krag konnte nicht recht klug aus ihm werden. Während er nämlich über die Verbrechertechnik in erstaunlichem Maße unterrichtet war, schien es, als habe er an den verschiedenen Affären, von denen er sprach, aktiv nicht teilgenommen. Krag nahm an, daß der Mann aus Vorsicht zurückhaltend sei. Als der Fremde sich wie von ungefähr erhob, um etwas in seine Handtasche zu legen, bemerkte Krag eine Beule in seiner Jackettasche, die verriet, daß der Browningrevolver dort lag.
Jedesmal, wenn der Schaffner den Kopf hereinsteckte, sprachen die beiden freilich von Wind und Wetter. Kaum aber war er draußen, so wurde das interessante Gespräch wieder aufgenommen. Meistens war es der Apache, der den Faden wieder ergriff und weiterspann. Krag sprach sehr gut französisch, und darum wurde das Gespräch ganz natürlich in dieser Sprache geführt.
Schließlich wagte Krag den andern zu fragen, was er mit seiner Reise nach Christiania beabsichtige.
»Ach, nichts besonderes,« sagte der Apache ausweichend, ich suche einen Menschen. Aber was führt Sie nach Christiania?«
Krag lächelte und zuckte die Achseln. Auch der andere lächelte.
»Ich begreife, ich begreife,« sagte er, »man nimmt, was man kriegen kann. Sie sind in Christiania bekannt, nicht wahr?«
»Ich bin vor fünf Jahren zuletzt dort gewesen,« antwortete Krag. »Damals hatte ich mich zweieinhalb Jahre dort aufgehalten. Und ich kann mir nicht denken, daß die Stadt so gewachsen ist, daß ich sie nicht wiederkennen sollte. Sind Sie schon früher dagewesen?«
»Nein, nie.«
»Aber Sie suchen einen Bestimmten?«
»Ja.«
»Holt er Sie vielleicht vom Bahnhof ab?«
»Warum muß es gerade ein er sein?« fragte der Franzose. »Es könnte sich ebensogut um eine Dame handeln. Im übrigen erwarte ich niemand am Bahnhof, denn der Betreffende ahnt nicht, daß ich komme. Vielleicht weiß er nicht einmal, daß ich existiere.«
»Aha, es ist also doch ein Herr.«
»Ja.«
»Dann werden Sie ihn schwerlich finden, denn Christiania ist immerhin eine ziemlich große Stadt.«
»Sehr richtig. Wollen Sie mir vielleicht helfen?«
Asbjörn Krag sah geistesabwesend zu der klirrenden Lampe hinauf. Und indem er listig lächelte, streckte er eine Hand aus, wie der Franzose die seine vorhin nach dem Taschentuch ausgestreckt hatte.
»Wollen wir teilen?« fragte er.
Da wurde der Franzose plötzlich ernst und antwortete, indem ein böser und gleichzeitig neugieriger Blick in seine dunklen Augen kam:
»Freuen Sie sich, wenn ich es Ihnen erlasse, mit mir zu teilen!«
Die Worte klangen so merkwürdig drohend, daß Krag sich davon ganz unheimlich berührt fühlte.
»Also gut,« sagte er, »wenn Sie nicht mit mir teilen wollen, werde ich Ihnen trotzdem zu helfen versuchen. Erzählen Sie mir, wen Sie suchen!«
»Ich suche einen Mann von der Polizei,« antwortete der Franzose.
»Das ist ein gefährlicher Sport.«
»Einen Mann von der Polizei,« fuhr der Franzose unbeirrt fort, »einen Polizeileutnant. Sein Name ist, soweit ich mich erinnere, Helmersen. Kennen Sie ihn?«
Asbjörn Krag überlegte eine Weile und schüttelte dann den Kopf.
»Nein,« antwortete er, »der muß erst nach meiner Zeit gekommen sein. Aber wenn er bei der Polizei angestellt ist, müssen Sie ihn ja leicht finden können.«
»Ja, er ist aktiv, aber Sie werden begreifen, daß ich nicht ohne weiteres aufs Polizeiamt gehen kann.«
»Nein, Sie könnten riskieren, daß man Sie dann gleich da behält.«
Der Apache lächelte wieder und entblößte zwei Reihen glänzender Zähne.
»Niemand kann mich festhalten,« sagte der Apache stolz, »wenn ich nicht selbst will. Aber ich habe meine besonderen Gründe, dem Mann nicht gleich unter die Augen zu gehen. Ich kann auch nicht nach ihm fragen.«
»Warum nicht?«
»Weil ich Ausländer bin, und weil mir jeder anmerkt, daß ich Ausländer bin.«
»Das verstehe ich nicht,« sagte Krag, indem er sich in die Polster zurücklehnte und sein Gesicht hinter dem Zigarrenrauch verbarg.
»Dann will ich es Ihnen erklären. Der Mann, dessen ich habhaft werden will, ist kürzlich in Kopenhagen gewesen. Dort habe ich ihn unter, sagen wir, etwas seltsamen Umständen gesucht. Gewisse Leute in Kopenhagen nun, begannen sich für den Ausländer zu interessieren, der so eingehend nach dem Betreffenden forschte, und als der Ausländer das wahrnahm, verschwand er. Wenn nun dieser selbe Ausländer mit denselben Fragen in Christiania auftauchte, würde man auf ihn aufmerksam werden, was ihm sehr peinlich wäre. Kapiert?«
»Ich fange an zu verstehen,« antwortete Krag hinter den Rauchwolken. »Und nun möchten Sie, daß ich die Nachforschungen für Sie betreibe?«
Der Apache nickte.
»In welchem Hotel wollen Sie absteigen?« fragte Krag. »Im Grand Hotel?«
»Ja, gern.«
»Schön, dann treffen wir uns heute abend um 12 Uhr im Speisesaal des Hotels. Dort sollen Sie alles zu wissen bekommen, was ich über den Polizeileutnant erfahren habe.«
Mit diesem Versprechen war der Franzose sehr zufrieden.
Diese Unterredung fand statt, nachdem der Zug Göteborg passiert hatte und man sich der norwegischen Grenze näherte.
Bei der vorletzten schwedischen Station nahm Krag seine Reisetasche und ging damit in den Toilettenraum. Dem Franzosen sagte er, daß er den Reisestaub von sich abwaschen wolle, bevor sie nach Norwegen kämen.
Im Toilettenraum nahm er eine jene Verwandlungen vor, in denen er Meister war. Er wechselte Schlips und Weste, und statt eines Jackets zog er einen Gehrock an. Dann veränderte er sein Gesicht. Statt der glattrasierten, scharfgeschnittenen Züge, sah man jetzt einen jüngeren Handelsreisenden mit leicht gebogener Nase und pomadisiertem Haar, das hinter den Ohren zurückgestrichen war. Unter dieser Nase hatte er einen gewichsten, schwarzen Schnurrbart, und die Haut der Backen schimmerte bläulich wie bei starkem Bartwuchs. Er nahm diese Verkleidung vor, um nicht erkannt zu werden, wenn er über die norwegische Grenze kam. Außerdem aber interessierte es ihn festzustellen, wie scharf der Franzose beobachtete.
Während er sich verkleidete, hatte der Zug ein paar Minuten an einer Station gehalten und war dann weitergeeilt. Krag ließ seine Tasche im Korridor stehen und ging wieder ins Abteil.
Sehr erstaunt aber war er, als er sah, daß sein neuer Freund, der Franzose, verschwunden war. Statt seiner saß ein älterer Reisender im Coupé, ein schwedischer Kaufmann, der schnaufte und prustete, als habe er sich furchtbar beeilt, um den Zug zu erreichen. Der Schaffner stempelte gerade sein Billett, als Krag hereinkam.
Krag blickte ins Netz hinauf und bekam plötzlich einen heißen Kopf. Der Koffer des Franzosen war auch fort. Krag zog sich in den Korridor zurück, und sobald der Schaffner den Schweden abgefertigt hatte, sprach er ihn an.
»Sagen Sie mal, wo sind die beiden Herren geblieben, die dort saßen?« fragte er.
»Die sind wohl bei der Station, wo wir eben gehalten haben, ausgestiegen,« antwortete der Schaffner.
»Und dieser Reisende ist eben erst eingestiegen?«
»Ja, der ist eben erst eingestiegen.«
Der Schaffner legte die Hand an die Mütze und ging weiter.
Krag ging wieder in sein Abteil und nahm dem schwedischen Herrn gegenüber Platz. Er wußte wirklich weder aus noch ein.
Warum hatte der Franzose sich aus dem Staube gemacht?
Hatte er Verdacht bekommen? Hatte Krag seine Rolle schlecht gespielt? Er versuchte eine Lösung des Rätsels zu finden, aber es fiel ihm keine Erklärung für das plötzliche Verschwinden des Franzosen ein.
Da beugte der schwedische Herr sich zu ihm hinüber und sagte:
»Wollen wir unser Gespräch nicht fortsetzen?«