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Trotz der Prophezeiung des Gärtners verzog sich die dunkelblaue Wolke ohne die angedrohten Folgen. Herr Craig tröstete sich dafür am andern Morgen mit der Bemerkung: »mit dem Wetter ist's 'ne kitzliche Sache; ein Narr trifft's bisweilen und ein verständiger Mann irrt sich; darum geht's den Kalendermachern auch so gut; das Wetter ist so eins von den Zufallsdingern, wo die Narren von leben.«
Indessen, mit diesem unverständigen Benehmen des Wetters war außer dem Gärtner ganz Hayslope sehr wohl zufrieden. Alle Arbeiter waren seit dem frühsten Morgen auf den Wiesen; in jedem Hause thaten die Frauen und Töchter doppelte Arbeit, damit die Dienstmädchen das Heu aufschütteln helfen könnten, und als Adam mit seinem Arbeitszeuge in dem Korbe auf der Schulter durch die Feldwege ging, hörte er lustiges Schwatzen und schallendes Gelächter hinter den Hecken hervor. Das lustige Geplauder beim Heumachen gewinnt in der Ferne; gleich den plumpen Glocken am Halse der Kühe klingt es in der Nähe etwas derb und kann einem sogar schmerzhaft in den Ohren kratzen; aber, aus der Ferne gehört, stimmt es hübsch lustig in die andern lustigen Klänge der Natur. Die Menschen können ihre Muskeln besser gebrauchen, wenn ihr Herz lustige Musik macht, mag die Lust auch gewöhnlich und tappig sein und gar nichts haben von der zierlichen Lustigkeit der Vögel.
Die schönste Stunde eines Sommertags ist vielleicht die, wo die Wärme der Sonne grade über die Frische des Morgens zu siegen anfängt und noch ein Hauch von der Morgenkühle zurückgeblieben ist, der die köstliche Wärme nicht ermattend werden läßt. Der Grund, warum Adam um diese Zeit durch die Felder ging, war der, daß er für den übrigen Teil des Tages in einem Landhause, eine Stunde Weges weit, zu thun hatte, welches für den Sohn eines benachbarten Gutsherrn in Stand gesetzt wurde, und seit den frühen Morgen hatte er fleißig zu thun gehabt, Täfelwerk, Thüren, Fensterbeschläge und dergleichen auf einen Wagen zu verpacken, der ihm nun voraus gefahren war, während Jonathan Burge selbst zu Pferde hinritt, um beim Eintreffen des Wagens die Arbeitsleute anzuleiten.
Der kleine Spaziergang war für Adam ein Ausruhen, und sich selbst unbewußt, stand er unter dem Zauber des Augenblicks. Es war Sommermorgen in seinem Herzen, und in dem Sonnenscheine sah er Hetty – in diesem Sonnenschein, der nicht blendete, dessen schräge Strahlen zwischen den zarten Schatten der Blätter spielten. Er dachte, als er ihr gestern beim Herausgehen aus der Kirche die Hand gereicht hatte, da sei ein Zug von Schwermut und Güte in ihrem Gesicht gewesen, den er früher nie gesehen, und er nahm das als ein Zeichen, daß sie mit seinem häuslichen Unglück Mitgefühl habe. Der Arme! Jener Zug von Schwermut stammte ganz wo anders her; aber wie sollte er das wissen? In das hübsche Mädchengesicht, das wir lieben, sehen wir hinein, wie wir unsrer Mutter Erde ins Antlitz sehen: auf all unser Sehnen und Verlangen lesen wir uns die Antwort heraus. Adam konnte unmöglich übersehen, daß der Trauerfall in der letzten Woche ihm die Aussicht auf eine Heirat näher gebracht habe. Bisher hatte er deutlich die Gefahr erkannt, ein anderer könne zwischen ihn und Hetty treten und Herz und Hand des Mädchens in Besitz nehmen, während ihn selbst seine Lage noch von offener Bewerbung zurückhielt. Selbst wenn seine Hoffnung auf Gegenliebe stärker gewesen wäre, lasteten doch andere Verpflichtungen zu schwer auf ihm, als daß er Hetty eine Häuslichkeit hätte bieten können, wie sie nach dem guten Leben auf dem Pachthof vielleicht beanspruchen durfte. Wie alle starken Naturen, hatte Adam zu sich das Vertrauen, er werde aus eigener Kraft sich eine Zukunft gründen; er war überzeugt, er werde einst eine Familie zu erhalten imstande sein und etwas tüchtiges hinter sich bringen, aber er hatte einen zu klaren Kopf, um nicht die Hindernisse, die ihm dabei entgegenstanden, in ihrer vollen Größe zu würdigen. Wie lang die Zeit bis dahin! Und all die Zeit hing die kleine Hetty wie ein rotwangiger Apfel über die Mauer des Obstgartens und jeder konnte sie sehen und jeden mußte nach ihr verlangen! Ja freilich, wenn sie ihn sehr lieb hätte, dann wartete sie wohl auf ihn; aber hatte sie ihn denn lieb? Daß er gewagt hätte, sie selbst zu fragen, so hoch hatte er sich nie verstiegen. Er war scharfblickend genug, um zu bemerken, daß ihr Onkel und ihre Tante seine Bewerbung mit günstigen Augen ansahen, und ohne diese Ermutigung wäre er in seinen Besuchen auf dem Pachthof wohl nicht so ausdauernd gewesen, aber was Hetty selbst fühlte, darüber war es ihm unmöglich zu einer Gewißheit zu kommen. Sie war wie ein Kätzchen und hatte für jeden, der ihr nahe kam, dieselben verzweifelt hübschen, nichtssagenden Blicke.
Aber jetzt, mußte er sich gestehen, war die schwerste Last von ihm genommen, und ehe noch ein Jahr herum war, konnten seine Verhältnisse sich so gestaltet haben, daß er ans Heiraten denken durfte. Es blieb immer ein harter Kampf mit seiner Mutter, das wußte er; auf jede Frau, die er wählen mochte, würde sie eifersüchtig sein, und namentlich war sie eingenommen gegen Hetty – aus dem einzigen Grunde wahrscheinlich, weil sie vermutete, er habe Hetty gewählt. Es würde nie angehen, fürchtete er, daß seine Mutter bei ihm wohne, wenn er erst verheiratet sei, und doch, wie hart würde sie es empfinden, wenn er sie bäte, von ihm zu ziehen. Ja, es war noch viel schmerzliches durchzumachen mit seiner Mutter, aber es ging nicht anders: er mußte ihr zeigen, daß sein Wille stark sei, und am Ende war es ja auch für sie das beste. Am liebsten hätte er gesehen, daß sie alle zusammenwohnten, bis Seth sich verheiratete; sie konnten ja etwas anbauen an das alte Haus und mehr Raum gewinnen. Er wollte sich nicht gern von dem Jungen trennen, sie waren in ihrem ganzen Leben kaum länger als einen Tag von einander gewesen. Adam ertappte seine Einbildungskraft kaum auf diesen Sprüngen, diesen Vorkehrungen auf eine ungewisse Zukunft, als er ihr auch sofort Halt gebot. »Ein hübsches Häuschen bau' ich da – ohne Backsteine, ohne Bauholz; ich bin wirklich schon bei den Dachstuben und hab' noch nicht mal den Grund gelegt.« Wenn Adam von einer Sache fest überzeugt war, so nahm diese Überzeugung sogleich die Form eines Grundsatzes an; er wußte dann, wie er handeln müsse, so gut wie er wußte, daß Feuchtigkeit Rost erzeugt. Hier lag vielleicht das Geheimnis der Härte, deren er sich selbst beschuldigte: er hatte zu wenig Nachsicht mit der Schwäche, welche fehl geht, wenn sie auch die Folgen übersieht. Ohne diese Nachsicht aber, wie sollen wir die nötige Geduld und Barmherzigkeit erlangen für unsre strauchelnden, fallenden Gefährten auf dem langen und vielfach wechselnden Lebenswege? Für einen entschlossenen, starken Geist giebt es nur einen Weg dazu: sein Herz muß verwachsen mit schwachen und irrenden Mitmenschen, so daß er nicht bloß die äußeren Folgen ihres Fehltritts, sondern auch ihr inneres Leiden teilt. Eine lange, eine harte Lektion, und für jetzt hatte Adam davon erst das ABC gelernt durch den plötzlichen Tod seines Vaters, der in einem Augenblick alles hinwegnahm, was seine Entrüstung erregt hatte, und damit zugleich alles, was sein Mitleid und seine Zärtlichkeit beanspruchen durfte, ihm auf einmal wieder in Gedächtnis und Gedanken führte.
Aber was heute morgen auf Adams Betrachtungen wirkte, das war seine Kraft, nicht die damit verwandte Härte. Er war längst zu der Überzeugung gekommen, daß es so unrecht wie thöricht sein würde, wenn er ein blühendes, junges Mädchen heirate, so lange er nur wachsende Armut und einen Zuwachs an Familie vor sich sähe. Und alle seine Ersparnisse waren – ganz abgesehen von dem schweren Posten für Seths Ersatzmann in der Miliz – so beständig drauf gegangen, daß er nicht einmal Geld genug in Händen hatte zur Einrichtung eines kleinen Häuschens und zum Notpfennig in bösen Tagen. Zwar war alle Aussicht, er werde mit der Zeit etwas fester auf den Beinen stehen, aber an einem unbestimmten Vertrauen auf Arm und Kopf konnte er sich nicht genügen lassen; er mußte bestimmte Pläne haben und sofort daran gehen. An den Eintritt ins Geschäft bei Jonathan Burge war für den Augenblick nicht zu denken, weil das seine geheimen Haken von Bedingungen hatte, die er nicht annehmen konnte; aber Adam überlegte sich, er und Seth könnten neben ihrer täglichen Arbeit noch ein kleines Geschäft für sich führen, indem sie nämlich einen kleinen Vorrat von feinem Holz kauften und allerlei kleine Sachen für den Haushalt machten, für welche Adam eine große Erfindungsgabe besaß. Seth konnte durch besondere Arbeit unter Adams Leitung mehr verdienen als im Tagelohn, und Adam konnte in seinen freien Stunden all die feine Arbeit machen, welche besondere Geschicklichkeit erforderte. Mit dem so gewonnenen Gelde und seinem guten Lohn als Werkführer würden sie bald imstande sein, in der Welt voran zu kommen, um so mehr, als sie jetzt auch sparsamer leben würden. Kaum hatte dieser kleine Plan in seinem Geiste Gestalt gewonnen, als er sofort an die genaue Berechnung ging, was für Holz er kaufen und welches Möbel er zuerst machen wolle – einen Küchenschrank nämlich von seiner eigenen Erfindung, mit einer so geschickten Einrichtung von Schiebethüren und Riegeln, so bequemen Ecken für häusliche Vorräte und durchweg so symmetrisch und dem Auge gefällig, daß jede gute Hausfrau davon entzückt sein und alle Stufen schwermütiger Sehnsucht durchlaufen würde, bis ihr Mann ihr verspräche, er wolle ihr so einen Schrank kaufen. Adam sah schon im Geiste Frau Poyser davor stehen und ihn mit scharfem Auge prüfen und vergebens nach einem Fehler suchen; dicht neben Frau Poyser stand natürlich Hetty, und Adam fand sich wieder von Berechnungen und Erfindungen hinweggelockt in seine Träume und Hoffnungen. Ja, noch heute abend mußte er sie sehen; es war schon so lange her, daß er keinen Besuch auf dem Pachthof gemacht hatte. Er wäre zwar auch gern in die Abendschule gegangen und hätte sich erkundigt, warum Barthel Massey gestern nicht in der Kirche war, denn er fürchtete, sein alter Freund sei krank; aber wenn er nicht zu beiden Besuchen an demselben Abend käme, so mußte er den letzten bis morgen verschieben; das Verlangen, bei Hetty zu sein und sie wieder zu sprechen, war ihm zu mächtig. Als er sich dies überlegt hatte, war er beinahe ans Ende seines Weges gekommen und hörte den Schlag der Hämmer von dem alten Hause her. Das Geräusch der Arbeit ist für einen geschickten Arbeiter, der seine Arbeit liebt, so verführerisch wie die Töne aus dem Orchester für den Violinspieler, der in der Ouverture zu thun hat. Die Fibern seines Leibes klingen an bei dem gewohnten Klang, und was einen Augenblick vorher noch Freude, Ärger oder Ehrgeiz war, setzt sich um in Thatkraft. Alle Leidenschaft wird Kraft, wenn sie aus den engen Grenzen unsres persönlichen Kreises einen Ausgang hat in der Arbeit unsres rechten Arms, der Geschicklichkeit unsrer rechten Hand oder der stillen schöpferischen Thätigkeit unsres Gedankens. Den Rest des Tages steht nun Adam auf dem Gerüst mit dem zweifußigen Zollstock in der Hand; bisweilen pfeift er leise, wenn er eine Schwierigkeit bei einem Querbalken oder Fensterrahmen überdenkt; dann wieder schiebt er einen jüngern Arbeitsmann beiseite und stellt sich an seinen Platz, wenn ein schwer Stück Bauholz zu heben ist, und sagt: »da laß die Hand von, mein Junge, dazu sind deine Knochen noch nicht stark genug,« und wieder ein andermal heftet er seine scharfen, schwarzen Augen auf einen Arbeiter, der am andern Ende des Hauses beschäftigt ist, und mahnt ihn, richtige Distanz zu halten. Seht ihn euch an, den breitschultrigen Mann mit dem nackten, muskulösen Arm und dem dicken, starken, schwarzen Haar, das sich wie zertretenes Gras umherwirft, sobald er seine Papiermütze abnimmt, und hört ihm zu, wie er mit starker, halb tiefer Stimme dann und wann in laute und feierliche Psalmmelodien ausbricht, als suche die überströmende Kraft in seinem Innern einen Ausweg, und wie er dann plötzlich wieder aufhört, offenbar von einem Gedanken getroffen, der schlecht zum Singen stimmt. Wäret ihr nicht bereits im Geheimnis, ihr würdet schwerlich von selbst vermuten, welch' wehmütige Erinnerung, welch' warme Neigung, welch' zärtliche, schüchtern sich regende Hoffnungen in diesem athletischen Körper mit den schwieligen Händen und den zerarbeiteten Nägeln wohnten, in diesem schlichten Mann, der keine feineren Gedichte kannte als die in seinem Gesangbuch, der von weltlicher Geschichte so viel wie gar nichts wußte, und für den die Bewegung und die Gestalt der Erde, der Lauf der Sonne und der Wechsel der Jahreszeiten in der Region des Geheimnisses lag, an die seine lückenhafte Bildung eben hinanreichte. Mit großer Mühe und Arbeit hatte Adam in seinen Freistunden gelernt, was er außer seinem Handwerk verstand, und über Mechanik und Arithmetik und die Natur seiner Arbeitsstoffe sich unterrichtet; mit vieler Mühe und Arbeit hatte er lernen müssen, seine Feder zu handhaben, eine deutliche Handschrift zu schreiben, leidlich orthographisch richtig zu schreiben und nach Noten zu singen. Daneben hatte er seine Bibel einschließlich der apokryphischen Bücher gelesen, ferner eine Anzahl der populärsten religiösen Werke, darunter natürlich Bunyans Pilgerreise, einen großen Teil von Baileys Wörterbuch, Valentin und Orson und einen Teil einer Geschichte von Babylon, welche Barthel Massey ihm geliehen hatte. Er hätte noch manche andere Bücher von Barthel Massey haben können, hatte aber keine Zeit sie zu lesen, so fleißig war er immer am Rechnen, wenn ihm seine Arbeit und Extraarbeit nur einen Augenblick frei ließen.
Adam war keineswegs ein wunderbarer Mensch, oder richtig gesagt ein Genie, aber gewiß auch kein gewöhnlicher Handwerker, und unzweifelhaft ginge man sehr in die Irre, wenn man in dem ersten besten Zimmergesellen, der sein Arbeitszeug in einem Korbe auf der Schulter trägt und eine Papiermütze auf dem Kopfe hat, das starke Selbstgefühl und den starken Sinn unsres Freundes Adam und diese Mischung von Reizbarkeit und Selbstbeherrschung suchen wollte. Er gehörte nicht zu dem Mittelschlag der Menschen. Aber Männer wie er wachsen hie und da in jeder Generation unsrer ländlichen Bevölkerung auf, ausgestattet mit Neigungen, die ein einfaches Familienleben voll hergebrachter Sorge und hergebrachten Fleißes pflegt und nährt, und ausgestattet mit Fähigkeiten, welche durch geschickte, kräftige Arbeit herangebildet werden; sie kommen in der Welt selten als Genies, meistens als ausdauernde, rechtschaffene Menschen vorwärts, welche die ihnen gestellten Aufgaben geschickt und gewissenhaft angreifen. Ihr Leben findet keinen Widerhall über ihre unmittelbare Umgebung hinaus, aber fast immer giebt's einen guten Weg, ein Gebäude, ein Bergwerk oder eine Quelle, eine landwirtschaftliche Verbesserung oder eine Neuerung in Gemeindesachen, womit ihr Namen für ein oder zwei Geschlechter verknüpft ist. Ihre Dienstherren sind durch sie bereichert worden, das Werk ihrer Hände ist gut gediehen, und die Arbeit ihres Kopfes hat anderer Hände richtig geleitet. In ihrer Jugend haben sie wollne oder Papiermützen getragen, und ihre Röcke sind schwarz von Kohlenstaub gewesen oder mit Leim und roter Farbe bestrichen. Im Alter hat ihr weißes Haar den Ehrenplatz in der Kirche und auf dem Markt, und an Winterabenden um das helle Feuer sitzend erzählen sie ihren wohlgekleideten Söhnen und Töchtern, wie froh sie einst waren, als sie zum erstenmal zwei Groschen des Tags verdienten. Andere sterben arm und legen an Werktagen nie das Arbeitszeug ab; sie haben die Kunst reich zu werden nicht verstanden, aber es sind treue Menschen, und wenn sie sterben, ehe ihre Kraft noch ganz erschöpft ist, so ist es, als wäre in einer Maschine eine Hauptschraube los; und der Herr, bei dem sie gearbeitet haben, ruft aus: »wo bekomme ich so einen wieder?«