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3

Wie jedes Jahr, so amüsierten sich auch diesmal Kees Doorik und seine Begleiter bei diesen extravaganten Szenen. Sie gingen mehrmals an der zwei Kilometer langen Reihe von Baracken vorbei und ergötzten sich an allem, was sie da sahen, hörten und rochen.

Der Bürgermeister Sap, ein lustiger Bruder, drang in die Bude einer ›dicken Frau‹. Die anderen warteten, bis er wieder herauskam, und all die von Dinghelaar, mit Ausnahme von Kees, der inzwischen nachdenklich geworden war, da ihm die Trennung von seiner Meisterin schon zu lange schien, brachen in ein lautes Gelächter aus, als Sap erklärte, man habe ihn bestohlen, denn seine verstorbene Meisterin habe noch dickere Waden und Schenkel gehabt als die Riesin. Bald aber fand Flüp Sap, daß ›sein Bär zu tanzen anfing‹; er bezeichnete nämlich damit das Knurren seines Magens. Wahrscheinlich wirkte dieser Bär ansteckend, denn die anderen folgten seinem Beispiel, und deshalb beschlossen alle, zusammen in ein Gasthaus zu gehen, wo sie sich an Eiern mit Speck und holländischem Käse ergötzten.

Es war schon dunkel, als die Fresser noch am Tische saßen. Sie hatten ihre Mahlzeiten mit zahlreichen Litern Antwerpener und Löwener Bier begossen. Nur Kees aß ohne Lust. Seine Freude war vorbei, seit die Meisterin sich entfernt hatte. Bella versuchte umsonst, ihn anders zu stimmen; aber sie ahnte nicht im geringsten, aus welchem Grunde der Narr von heute morgen auf einmal so traurig geworden.

»All dieser Lärm hat mir den Kopf ein wenig verdreht; das wird bald vergehen, meine liebe, kleine Bella«, sagte Kees, indem er einen freieren Ton anzuschlagen suchte.

»O ja, das wird schon vergehen«, fügte Bella hinzu. »Beim Tanzen werden wir das Kopfweh in die Schuhe hinabfallen lassen und dann auf den Boden ... das ist ein gutes Mittel.«

»Ist es noch nicht Zeit, die anderen im Moerjan aufsuchen zu gehen?« fragte Kees.

Übersatt und bis an den Hals vollgestopft, konnten sich die anderen nur mit Mühe erheben. Vor der Tür stießen sie noch auf Chiel Dhaenens, der sich ihnen ebenfalls anschloß.

Als sie zum Moerjan kamen, der abseits in Holland lag, saßen die Meisterin Cramp, die Andries', der Vetter und die Base Stevens sowie noch einige Gäste aus den umliegenden Dörfern schon am Tisch. Unter den Gästen befand sich ein Fremder, den Kees bald bemerkt hatte. Es war ein Kerl von etwa zwanzig Jahren, breitschultrig, mit einem starken Hals und dicken Händen, einem runden, verbrannten Gesicht, mit Backen voller Flecken, einem großen sinnlichen Mund, mit ungleich geschnittenen flachsblonden Haaren, einer kühnen Doggennase und grünblauen, hinterlistigen Augen. Es konnte Kees gar nicht gefallen, daß dieser leichtsinnige Mensch, der seine Mütze übers Ohr hängen ließ und einen Paletot, ein weißes Hemd und eine Krawatte trug, bei der Witwe Cramp sich schönzumachen suchte. Er erzählte ihr nämlich allerlei mutwillige Spaße, und das schien sie so sehr zu amüsieren, daß der Stutzer gar nicht daran dachte, den Arm, den er ihr um den Leib geschlungen, zurückzuziehen. Janneke, immer seiner Rolle getreu, beobachtete, welchen Eindruck der Eindringling auf den Krauskopf machte, und er beeilte sich, Kees alles mitzuteilen, was er über die Verhältnisse und den Charakter des dicken Burschen wußte.

Jürgen Faas war der einzige Sohn eines Gutsbesitzers von Beirendrecht. In Erwartung der väterlichen Erbschaft ging er müßig umher, aber er war immer bereit, den Ruf seiner Gemeinde aufrechtzuerhalten, wenn es galt, mit Schoppen zu kämpfen. Das machte dem Alten viel Kummer, denn er hatte gehofft, in seinem Sohn einen Gehilfen zu finden. Entmutigt durch die Unverbesserlichkeit des Bummlers, hätte der alte Faas fast gewünscht, er möchte eine schlechte Nummer ziehen, aber Jürgen kam am Waffenrock vorbei. Nachdem der fidele Junge hierbei Glück gehabt hatte, führte er sein verlottertes Leben ruhig weiter. Man verzieh ihm vieles wegen des ›quibus‹, den er später erhalten sollte, und besonders wegen der Freigebigkeit, mit der er ihn schon im voraus ausgab. ›Er ist ein guter Junge!‹ sagten die Leute aus seinem Dorf und der Umgebung, wenn von ihm die Rede war. Hätte er sich selbständig machen wollen, so hätte es ihm nicht an guten Gelegenheiten gefehlt. Aber Jürrie wollte seine Freiheit behalten und dem liederlichen Leben nachgehen, solange es ihm gefiel; er wollte mit seiner unbeständigen, sinnlichen Person überallhin spazierengehen, wo es nur zu zechen gab: auf die fetten ›teerdagen‹, an denen sich die Bruderschaften amüsierten, auf die Kirmessen, wo es Würste und Kuchen gab, auf die Festtage der Weiler im Polder und in den Dünen. Diesmal hatte seine feine Nase ihn zu seinen Freunden, den Stevens', geführt, wo er mit Annemie, den Andries' und zahlreichen Vettern und Verwandten der Gastgeber zusammentraf. Diese Gesellschaft hatte die feinen Stücke eines fetten Schweins von den Ohren bis zum Schwanz unter sich verteilt. Dann hatten sie sich über mehrere Schüsseln Reis, mit Milch und Safran zubereitet und mit Zucker bestreut, hergemacht. Und da man diese ganze Last hinunterwürgen mußte, begoß man sie mit einem Fäßchen starken Kirmesbiers. Daher kam es auch, daß die Gäste von Meister Stevens alle fröhlicher und geschwätziger Laune waren.

Im Saal drängten sich die Männer und die Frauen um die Tische. Die Bierpumpen waren ohne Unterlaß in Bewegung, die Pfeifen brannten beständig, die Gläser stießen aneinander, die Gäste versetzten sich gegenseitig zuweilen einen freundlichen Klaps, und unter den geschwärzten Balken der schon dreihundert Jahre alten Decke tanzten Säulen von Rauch.

Zwei junge Bauern traten in die Stube. Der eine trug unterm Arm ein Ferkel, das er auf der Messe gekauft hatte. Das rosige Tierchen, das so fett war wie ein hübsches rundes Nüdelchen, zitterte und grunzte vor lauter Furcht. Jürgen Faas redete den Mann mit dem Ferkel – es war ein Handlanger aus Stabroeck – an: »He! Jan Flip! Roter Flip! Komm mal her! Was forderst du für diesen Apostel?«

»Den bekommst du noch nicht für den Dukaten, den du in der Tasche hast, weißer Jürgen.«

»Nur langsam, Flipeke. Mit dem, was ich in der Tasche habe, könnte ich das Ferkel mit seinem Herrn kaufen.«

Sich bei diesen Worten weit zurücklehnend und mit der Hand tief in die Tasche greifend, warf er ein Fünffrancsstück auf den Tisch.

»Nur fünf Francs für ein ganzes Schwein?« bemerkte Flip. »Nicht einen Schinken!«

»Doch, alle vier, mein Bester ... Sagen wir sechs Francs und trinken wir ein Glas zusammen. Also, Frau Wirtin, zwei Glas! Willst du?«

»Nein, acht Francs, oder ich will nichts mehr davon wissen, mein lieber Jürgen.«

»Verfluchter Kerl, da hast du acht Francs.«

Als Jürgen nun im Besitz seines Tieres war, fing er an, es zu quälen. Er packte es mit beiden Händen, hielt ihm seine Nase vor die Schnauze und blies ihm Tabakrauch in die kleinen verlegenen Augen.

Annemie mischte sich jedoch dazwischen: »Wie können Sie sich doch solch ein armseliges Tierchen aufladen? Es wird kaputt sein, ehe Sie nach Beirendrecht kommen!«

Aber Jürgen wollte sich für seine acht Francs amüsieren. Auf einmal fand er seinen Spaß daran, das Tier unter die Röcke seiner Nachbarin laufen zu lassen, und als die Witwe sich wehrte, sagte der lustige Bruder, indem er unter den Tisch kroch, er wolle bloß sein Tier wiederhaben. Die Frauen schrien alle zugleich, aber es war besonders die Meisterin, die seinen Angriffen ausgesetzt war. Sie war feuerrot geworden und schrie aus vollem Halse.

»Gnuff, gnuff! Es ist das Ferkel!« sagte Jürgen, während er noch immer unterm Tisch herumwühlte.

Im ganzen Saal hielt man sich dabei den Bauch vor Lachen. Die Bauern stießen ihre Frauen in die Seite, und in allen Ecken hörte man: »Hi, hi! Es ist das Ferkel!«

Das Tier hatte sich inzwischen in eine Ecke geflüchtet, und nun machten sich alle auf, um es wieder einzufangen.

Mitten in dem Tumult wurde ein Tisch umgestoßen, die Gläser rollten zur Erde und zerbrachen in tausend Stücke.

Als der Tumult ein wenig vorüber war, sagte Wannes Andries, der über den verlaufenen Beirendrechter und seine leichtsinnige Schwester unruhig zu werden anfing: »Laßt uns gehen; es ist genug der Tollheit!«

So machte man sich denn auf. Aber Jürgen reklamierte sein Ferkel. Das geplagte Tier hatte das Ausgehen eines Gastes benützt, um sich durch die halbgeöffnete Tür davonzumachen.

»Bah! Das Spiel ist zu Ende. Man hat doch wenigstens dabei gelacht!« bemerkte der Lustigmacher ganz verständig.

Sie begaben sich zum Dorf. Der Lärm hatte jetzt seinen Höhepunkt erreicht. Man hörte ihn schon aus der Ferne, und die Lampen der Buden leuchteten wie rote Flecken in der dunklen Nacht.

Jürgen ging neben der jungen Witwe einher.

»Meisterin Annemie, was halten Sie von mir?« fragte er sie.

»Sie sind ein drolliger Mensch, aber ich mag solche Menschen gut leiden.«

»Das Leben ist kurz, die Kirmessen sind selten. Man findet nicht jeden Tag ein Paar passende Schuhe.«

Sie nickte beifällig zu diesen Sprüchen, aber im Grunde war sie träumerisch und verlegen. Dieser Bursche amüsierte sie nicht bloß, sondern fing auch an, ihr zu gefallen.

Jürgen wurde immer kühner.

»Meisterin«, sagte er auf einmal mit einem scheinbar spöttischen Ton, der aber eine gewisse Erregung verriet, »Meisterin, wenn eine solide Frau wie Sie so ein Pfarrkind wie mich haben wollte, ich glaube, der Pfarrer von Dinghelaar wäre wohl auch damit einverstanden. Was meinen Sie dazu?«

»Das sind Dummheiten«, antwortete sie, indem sie gleichfalls einen gleichgültigen Ton anzuschlagen suchte. »Solcherlei Zeug reden die Junggesellen immer, wenn sie getrunken haben.«

Er gab jedoch nicht nach: »Lachen Sie über mich, Meisterin, aber sagen Sie nicht nein. Man wird alles müde, selbst Witwe zu sein oder ein herrliches Leben zu führen. Wo des Pfarrers Predigten umsonst sind und der alte Faas sich umsonst ärgert, da könnten Sie noch etwas fertigbringen, Meisterin Cramp. Ihnen zulieb würde ich mich bessern und ein anderes Leben anfangen. Werden Sie doch die Meinige!«

»Großes Kind, man sollte sagen, Sie seien noch ein unschuldiger Junggeselle. In Ihrem Alter hat's noch Zeit!«

»Hören Sie mal«, flüsterte er ihr zu, »überlegen Sie sich's. Ich hab eine gute Idee. Da ich einen schlechten Namen habe, so könnten Sie mich wohl auf die Probe stellen. Um anzufangen, werde ich bloß den Knecht spielen. Und wenn ich fleißig wäre, könnte ich vielleicht vom Hängeboden des Knechtes ins Bett der Meisterin hinabsteigen.«

»Man sieht, daß Jürgen Faas gern Spaß macht«, erwiderte Annemie, ohne näher auf seinen Vorschlag einzugehen.

»Nein, sehen Sie, ganz offen gestanden, Sie gefallen mir, und um auch Ihnen zu gefallen, würde ich mich bessern und das Muster aller Arbeiter werden, so sanft und so verständig wie ein Lämmchen. Mein Vater wäre Ihnen dankbar für dieses Wunder. Da könnten Sie noch jemand glücklich machen.«

Sie hatte keine Zeit, ihm zu antworten. Da sie wieder an die Baracken gelangt waren, kam eine lange Reihe von Jungen und Mädchen aus der Stadt Hand in Hand ihnen entgegengelaufen, und hüpfend schrien sie: »Sa pater kiest'er?«

Das ist der erste Vers eines Volksliedes, in dem der spöttische Geist der Antwerpener unter der spanischen Schreckensherrschaft mit den galanten Schwächen der Mönche, ihre Inquisitoren, den Spott trieb.

Die kleine Truppe will sich im ersten Augenblick zwar auf die Seite ziehen, aber die Kette wirft sich über sie wie ein tausendfüßiges Tier. In einem Augenblick sind die Leute von Dinghelaar voneinander getrennt, ihre Hände werden von anderen Händen ergriffen, und alle werden mit Gewalt in den Strudel hineingezogen.

»Sa pater kiest'er!« schreien alle zusammen, und auf einmal wendet sich die ungeheure Schlange zurück, der Kopf vereinigt sich mit dem Schwanz, und man fängt an, um das Standbild Jordaens' zu tanzen. All die von Dinghelaar, der Potztausend, düster jammernd, Janneke mit weinerlichem Gesicht, Kees Doorik griesgrämig und der dicke Teun Sap lachend und die runde Bella und die Stevens' und Looke und Sus Dras und Chiel Dhaenens und sogar Annemie werden mir nichts, dir nichts von den Tänzern mit in die Runde hineingezogen.

Der Zufall will, daß gerade Jürgen allein neben der Statue in der Mitte des drehenden Kreises bleibt. Von dem allgemeinen Taumel mit fortgerissen, macht er Kreuzsprünge, geht einwärts, springt gegen die Rechte und gegen die Linke, macht halbe Tanzschritte vorwärts wie ein Verrückter, und je höher er das Bein hebt, desto lauter schreit und desto schneller tanzt die Sarabande. Sie singen:

Lieb Väterchen, such hier
Schön Nönnchen dir,
Und nimm's aus unserm Kreis ...

Jürgen ist ›lieb Väterchen‹. Er läßt sich diese Erlaubnis nicht zweimal geben. Seine Wahl ist bald getroffen. Welche Frau hätte er wohl der Witwe Cramp vorziehen können? In dem Augenblick, wo sie an ihm vorbeikommt, ergreift er sie, umarmt sie und tanzt einen Walzer mit ihr um das Denkmal, während die Menge sie in ihrer drehenden Bewegung einschließt. Der Potztausend kann sich dagegen auflehnen, soviel er will: er muß mit herum; seine Heuschreckenbeine bewegen sich unwillkürlich, die ehernen Fäuste seiner Nachbarn – zwei starke Kerle von den Docks – zwingen ihn dazu; je mehr er sich wehrt, desto mehr zerdrücken deren knorrige Hände ihn, und da er nach Hilfe ruft, übertönt das wilde Lied seine Stimme. Jetzt brüllen sie:

Drei Küsse soll ich kriegen,
Bevor ich geh von hier ...

Und sogleich hörte man drei laute Küsse. Diese wirken noch anders auf die Gecken als die Klänge der Musik, denn sie sind das Zeichen zu einer allgemeinen Umarmung. Ein jeder sucht seine Begleiterin oder nimmt die erste beste, die ihm in die Hände fällt. So muß die Meisterin Stevens einen bärtigen Riesen, einen Lotsen, küssen; Bella ergötzt mit ihren dicken Backen die ungestüme Zärtlichkeit zweier Zigarrenarbeiter, und eine ungeheure Fischhändlerin springt Wannes an den Hals.

Das war ein unbeschreibliches Gewirr, das den lächelnden Mund des farbenfrohen Malers, des donnernden Heroldes der freien Liebe und des fröhlichen Schmauses, bis zur Grimasse verziehen mußte.

Das Geschrei dauerte noch ein paar Minuten, und als die fremde Horde vorbei war – sie hatte schon bald wieder eine schlangenartige Kolonne gebildet –, bemerkten Kees Doorik, Wannes und die übrigen, die wie aus einem Traum erwachten, daß Jürgen Faas und die Witwe Cramp nicht mehr bei ihnen waren.

Wo sollten sie wohl hingekommen sein?

Potztausend fing an zu jammern, er habe genug von dieser Pütter Kirmes, und er verfluchte das Lumpengesindel aus der Stadt, das daran schuld war, daß die beiden verschwunden waren. Man durchstreifte die Messe nach allen Richtungen, aber es wäre ebenso leicht gewesen, eine Nadel aus einem Heubündel herauszusuchen, als zwei Christenkinder in diesem ausgelassenen Durcheinander.

Auf den Vorschlag Kees' fing man an, aus einem Wirtshaus ins andere zu gehen, sowohl diesseits als jenseits der Grenze, in den drei Weilern. Man glaubte, auf diese Weise müsse man die Verlorenen schon wiederfinden.

»Bah! Die treiben ihren Spott mit uns!« sagte Bella, die ihre Freude an diesem Vorfall fand. »Es sind doch keine Kinder mehr. Sie werden wohl zum Tanz sein. Ich meine, wir täten am besten, auch tanzen zu gehen.«

»Was mich anbelangt«, erklärte Flüp Sap, »so genügt mir schon der Tanz, den ich mitmachen mußte.«

»Ich habe aber jetzt erst recht Lust bekommen«, sagte Bella, »ich will fortfahren. Gehen Sie mit, Kees?«

»Ja, gehen wir alle!« rief Sus Dras, der schon Looke, das Mädchen aus der Krähe, mit fortzog. »Komm, Kees, wir werden noch Zeit genug haben zu träumen: du beim Dreschen in der Scheune, ich, wenn ich mit der Kelle drauflosfahre. Nutzen wir die schöne Zeit.«

»Später, liebe Bella!« erwiderte Kees, »später, wenn wir die Meisterin Cramp wiedergefunden haben, solange kann Chiel mich ersetzen.«

»Wie Sie wollen«, antwortete Bella, obschon es ihr nicht recht gefiel. »Ich zähle auf Sie, ehe wir nach Dinghelaar zurückkehren. Wollen Sie mit mir tanzen, Chiel?«

»Ich habe kein Geld«, entgegnete dieser, indem er unter den Kittel griff, um nach seiner Geldtasche zu sehen. Seine Stimme und seine prahlende Miene sagten übrigens schon das Gegenteil, und er ging also mit Bella, Looke und Sus davon.

Nachdem die anderen fast eine Stunde lang gesucht hatten, fanden sie den jungen Faas und die Meisterin in einem ganz gemeinen Wirtshaus an der Grenze von Pütte-Cappellen. Die beiden gaben vor, sie hätten sich dem Gedränge entziehen wollen, und sie seien deshalb ein wenig weitergegangen. Annemie sagte, sie seien noch einmal solchen ›mizevangers‹, ›Meisenfängern‹, begegnet, die ebenso verrückt gewesen seien wie die um das Denkmal Jordaens'. Nein, ohne die Hilfe Jürgens wäre sie nie und nimmer lebendig aus diesem Gedränge gekommen. Übrigens zeigten ihre zerknitterten Kleider zur Genüge, was sie hatte durchmachen müssen.

Wannes Andries erlaubte sich die Bemerkung, dieser Ort sei doch gar sonderbar gewählt gewesen, um sie wiederzufinden; das sei doch die letzte Herberge, an die man denken könne, und deshalb hätten sie diese Kneipe erst betreten, nachdem sie alle anderen Wirtshäuser durchsucht hatten. Während er das sagte, schien sein verstohlener Blick irgendeine Enthüllung auf den getünchten Wänden zu lesen, von denen der Bewurf herabfiel, und auf den schmutzigen Vorhängen, die ein in der Mauer stehendes Bett verhüllten. Wenn er es in Gegenwart von Annemie gewagt hätte, so hätte er die Besitzerin des Wirtshauses schon gefragt. Es war eine kleine, runzelige Alte, braun und pockennarbig, die hinter ihrem Schenktisch auf einem Schemel saß und mit ihren schielenden Augen blinzelte wie eine Eule im Sonnenlicht.

Jürgen übernahm lachend die Verteidigung des Lokals. Wer kannte nicht in Pütte und weithin in der Runde die Wirtschaft von Grietje Dhag Zur grünen Katze? In diesen verrückten Tagen, wo die besten Wirtshäuser einem lauter Mischmasch und aus den Gläsern zusammengeschüttete Reste vorsetzen, war die einfache Schenke von Grietje ein wirklicher Zufluchtsort; man konnte doch wenigstens dort ausruhen und ganz gemütlich eine Drüppel von echtem Genever oder altem Schiedam trinken, der nur noch besser mundete, weil er geschmuggelt war.

»He, he!« bemerkte Grietje, mit dem Kopf nickend.

So war es eben; wenn auch der alte Maulwurf das Aussehen einer Kupplerin hatte, so war doch wenigstens ihre Ware nicht verfälscht.

Bella Sap, Looke und ihre Tänzer fanden auch ihre Gesellschaft wieder. Sie rühmten sich, überall getanzt zu haben. Bella erklärte, sie sei noch nicht müde, und sie reklamierte den ihr von Kees versprochenen Tanz. Der Bürgermeister erinnerte jedoch ans Heimgehen.

»Nun, dann ist's gut bis zum nächsten Teerdag der Amicitia«, sagte Bella, die sich wieder darein ergeben mußte.

Vor der Tür nahm man Abschied von den Vettern Stevens und auch von Jürgen Faas, der bei diesen über Nacht blieb.

»Wann werden wir uns wiedersehen?« fragte der Blonde aus dem Polder, während er lange die Hand der Witwe drückte.

»Das weiß Gott! Vielleicht eher, als wir meinen!«

»Denken Sie auch noch an mein Anerbieten, bei Ihnen in den Dienst zu treten?« fragte er sie ganz leise ins Ohr, und zwar so nahe, daß der warme Atem des starken Jungen sie angenehm kitzelte.

Sie antwortete nicht direkt auf seine Frage, aber sie sagte zu ihm: »Wenn Sie an Dinghelaar vorbeikommen, so vergessen Sie den Weißhof nicht. Gute Nacht!«

Wannes Andries machte sich nun voran mit seiner Schwester; Bella Sap und ihr Vater folgten mit Chiel Dhaenens, einem der Freier des gemütlichen Mädchens; Sus Dras führte Paulke, und erst hinter ihnen kam Kees mit Janneke.

Da es schon spät in der Nacht war, war die Straße nicht mehr so belebt. In der Mitte trollten noch einzelne Scharen von Völlern daher, bis sie von einem verspäteten Omnibus auseinandergetrieben wurden, der hinter sich den roten Schein seiner Laternen zurückließ. Je weiter man sich von Pütte entfernte, ging das Röcheln der Orgeln in ein dumpfes, dissonierendes Geräusch über, so traurig, daß man hätte weinen mögen.

»Dieser dicke Jürgen Faas ist doch zu drollig, meinen Sie nicht auch, Kees?« murmelte der kleine Janneke, als ob er an nichts anderes gedacht hätte, seitdem sie von Putte fort waren. »Wissen Sie auch, daß dieser Mensch etwas hat, dieser lustige Bruder? Die Meisterin Stevens sprach von dreimal fünfzigtausend Francs. Ein flotter Kerl und ein dicker Bauernjunge, das wäre ein guter Herr für den Weißhof ...«

»Sei still«, erwiderte Kees, den diese Worte um so mehr quälten, als sie das unerbittliche Echo seiner eigenen Gedanken waren, »um Himmels willen, halt doch den Mund, Kleiner!«

Und er zerdrückte fast den mageren Arm des spöttischen Buben mit seinen zusammengekrampften Fingern.


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