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Das egoistische Geschöpf, Mensch genannt, hat es von jeher verstanden, aus der Verlegenheit und dem Unglück seiner Brüder Capital zu schlagen. – Mit der fortschreitenden Ueberfeinerung der Sitten, mit der Steigerung der Lebensbedürfnisse, hat auch diese illiberalste aller Professionen eine erhöhte Bedeutung gewonnen, und in einer Stadt wie Paris spielen die Wucherer eine Rolle, von deren Wichtigkeit sich nur derjenige eine entsprechende Vorstellung macht, der entweder thöricht und unglücklich genug ist, mit diesem Auswurf in »geschäftliche« Beziehungen zu treten, oder der dem Gesindel zum Zwecke culturhistorischer Studien eigens hinter die Coulissen blickt.
Wenn wir das Corpus Juris aufschlagen und die Bestimmungen über die Zinsnahme lesen, denen zufolge Personæ illustres nur 4, Kaufleute 8, und alle Uebrigen nur 6 Prozent nehmen durften; wenn wir das Verbot finden: »Es ist Niemanden erlaubt, die Zinsen zum Capital zu schlagen, und Zinseszins zu nehmen!« – so muthet uns das angesichts der Pariser Escompteur-Verhältnisse wie ein Lied aus mythischer Vorzeit, wie eine Sage an, für deren süße Klänge uns das Verständniß fehlt. – Es gibt in Paris eine Sorte Wucherer, die fünftausend Prozent nimmt! Wie ist dies möglich? Wer ist bornirt, wahnsinnig genug, einer solchen Blutsaugerei ohne Gleichen in die Hände zu fallen? Lieber Leser! Bei Gott und in Paris sind alle Dinge möglich! Der Hunger thut weh, und ein Herz, an das die Verzweiflung anpocht, ist zum Aeußersten fähig.
Die berüchtigsten Wucherer des mittelalterlichen Paris waren die lombardischen Juden, die ihr Quartier in jener Straße aufgeschlagen hatten, welche noch heute ihren Namen trägt. – Jahrhunderte erhielt sich der Lombarde in seiner vollen unverfälschten Eigenart. – Die Revolution von 1789 machte ihm den Garaus. – An seine Stelle trat die weitverzweigte Familie jener widerlichen Gestalten, als deren Typus der Gobseck Balzac's zu betrachten ist. – Diese gemeinen Durchschnitts- und Allerwelts-Wucherer bewohnten eine Baracke von so schmutzigem Exterieur, daß sich die Seele des Insassen ihrer eigenen Schmutzigkeit weniger bewußt ward; sie harmonirte zu vollständig mit ihrer Umgebung. Dicker Staub bedeckte die wurmstichigen Möbel; von den Wänden troff eine ekelhafte Feuchtigkeit; das Licht des Tages erhellte diesen Aufenthalt menschlicher Verkommenheit nur spärlich. Der Gobseck trug einen langen, vielfach geflickten Paletot, ein lebensmüdes Hauskäppchen, über dessen Urfarbe debattirt werden konnte, Pantoffeln, deren niedergetretene Klappen mit der Sohle im vollen Sinne des Wortes zusammengeschweißt waren, und eine Brille mit großen, runden Gläsern, die seinem Antlitz einen eulenartigen Ausdruck verliehen. – Stirne und Wangen wetteiferten im Punkte der Runzeln; seine spitze Nase, sein vorgebogenes Kinn, und die schmalen, bläulichen Lippen vollendeten das Bild eines Schurken, der zu klug war, um mit dem Strafgesetzbuch in ernstliche Collision zu kommen, dafür aber mehr Unheil anrichtete, als alle Tropmann's und Lacénaire's zusammengenommen.
Heutzutage gehört auch dieser Typus zu den selteneren. – Der Wucherer von 1870 ist meistens ein Mann in den besten Jahren, ja, oft ein Jüngling in der Blüte der Zwanziger. – Die Arbeitsteilung hat auch hier Platz gegriffen, und so kann man denn sagen, daß gegenwärtig jeder Stand, jede Gesellschaftsclasse ihre eigenen Blutsauger besitzt, die sich im Aeußeren gewöhnlich nicht unwesentlich von einander unterscheiden. Lassen wir einige dieser Gauner Revue passiren.
Petit-Crevés – so nennt die neufranzösische Kunstsprache bekanntlich jene mehr oder minder lächerlichen Hanswurste, die keine höheren Bestrebungen kennen, als die Sorge, sich nach der neuesten Mode zu kleiden, im Café Riche zu diniren, Cigarren zu einem Franken das Stück zu rauchen, und Pferde, Hunde und Maitressen zu halten. – Es gibt Petit-Crevés, die mit der Zeit zur Besinnung kommen, und die jockey-clubliche Nichts- und Wieder-Nichts-Existenz an den Nagel hängen, um vernünftige Menschen zu werden; allein diese seltenen Ausnahmen sind nie rechte Petit-Crevés gewesen. Sie haben den Stutzer nur aus genialischer Launenhaftigkeit gespielt, wie Prinz Heinz von England das mauvais sujet copirte; oder sie waren Petit-Crevés aus Pflichtgefühl gegen die Gebote des »Chic« – ohne sich jedoch in ihrem Petit-Crevismus recht wohl zu fühlen. Im Allgemeinen ist und bleibt der Petit-Crevé ein jämmerlicher Tropf, an dem Hopfen und Malz verloren ist. (Wir werden uns in einem späteren Aufsatze eingehender mit ihm beschäftigen.)
Der Wucherer, der sich die Welt dieser Taugenichtse zum Terrain seiner Großthaten auserkürt, ist meistens ein Mann von circa vierzig Jahren, derb, starkknochig, breitschulterig, eher klein als groß, mit dichtem, wolligem Backenbart, gutem Gebiß, riesigem Appetit, und einer Faust, deren rundliche stumpfe Finger in Verbindung mit dem behaarten Gelenk die massivste Brutalität verrathen. Der Dandy-Wucherer – so wollen wir ihn der Kürze und Bequemlichkeit halber nennen – sieht neben seinem Opfer ungefähr aus, wie ein normännisches Omnibuspferd neben einem Sieger der Rennbahn. – Hier Alles dünn, schmächtig, zierlich, – dort Alles gesund, roh, derbsinnlich. – Wir werden den Dandy-Wucherer und seine Beziehungen zum Petit-Crevé am besten kennen lernen, wenn wir eine ihrer »geschäftlichen« Unterredungen belauschen. Dem Dandy-Wucherer begegnet man in den eleganteren Stadtvierteln – auf den Boulevards du Centre, am Börsenplatze, in den Passagen u. s. f. – so häufig, daß es verhältnißmäßig wenig Mühe kostet seine charakteristischen Merkmale ausfindig zu machen. – Hören wir also eines jener typischen Gespräche, wie sie täglich zu Dutzenden stattfinden.
Im Café Tortoni sitzt ein junger Mann, dessen Gesichtszüge eine gewisse Unruhe athmen. Seine Leibwäsche ist von tadelloser Reinheit und Feinheit; seine Jaquette sitzt wie angegossen; die wohlgepflegten Finger, deren Spitzen von langen, rosigen Nägeln überragt sind, krauen ängstlich in dem spärlichen Backenbärtchen, das sich der ihm aufgenöthigten Cotelettesform absolut nicht fügen will. Der junge Mann ist Monsieur le Baron Benjamin Baurien.
Unterdessen schlängelt oder besser wälzt sich über die Asphaltplatten des »Boulevard des Italiens« die gedrungene Gestalt des ehrenwerthen Herrn Polydore Fourbe-Floueur, des Gauners, dem Monsieur le Baron Benjamin Baurien um drei Uhr Nachmittags im Café Tortoni ein Rendezvous gegeben hat.
Fourbe-Floueur legt durchaus keine Eile an den Tag, obgleich es bereits Dreiviertel auf Vier geschlagen hat. Mit breitem Schmunzeln, die linke Hand in den Beinkleidern, die rechte in der Westentasche, schlendert er einher, hier ein wohlwollendes Kopfnicken, dort ein gnädiges Lächeln austheilend. – Jetzt bleibt er stehen, um dem Herrn von So und So brüderlich die Hand zu schütteln; jetzt zieht er ein Notizbuch aus dem Paletot und nimmt die Miene an, als sei ihm plötzlich etwas Hochwichtiges eingefallen ... Herr Fourbe-Floueur hat nämlich immer ein kolossales Geschäft »in Petto«, ein zweites nicht minder bedeutendes »im Gange« und ein drittes »soeben erledigt«.
Endlich ist er am Ziel seiner Wanderung angelangt. Nachlässig und mit siegesgewisser Gemüthlichkeit betritt er das Kaffeehaus.
Der Jüngling Vaurien, der in der Verzweiflung bereits seine dritte Halbtasse geleert hat, fährt vom Sitze empor.
»Gott sei Dank, daß Sie kommen! Sie haben mich auf die Folter gespannt ...«
»Ah, mein Freund, daran müssen Sie sich gewöhnen. Ein Mann von meiner Stellung ist nie Herr seiner Zeit ...«
»Aber eine Verabredung ...«
»Durchmustern Sie das Leben unserer bedeutendsten Financiers: Sie werden die Wahrheit meiner Behauptung bestätigt finden. Die Geschäfte machen uns zu Sklaven ihrer Laune ...«
»Trinken wir ein Glas Sherry?«
»Mit Vergnügen. Aber ich habe nur zwanzig Minuten Zeit ...«
»Das ist wenig; ich dachte ...«
»O, die Jugend, die keinen Begriff von dem umfassenden Wirkungskreise eines Fourbe-Floueur, keine Idee von der Kostbarkeit der Minuten hat ...«
Das Gespräch dreht sich nun noch etwa eine Viertelstunde lang um Gegenstände von allgemeinerem Charakter, wie z. B. die unangenehme Situation eines Elegants, dem die Kapitalien ausgehen, oder die unsterblichen Verdienste, die sich Fourbe-Floueur um die bedürftige Menschheit erworben hat. Endlich sieht der Wucherer auf die Uhr und sagt ...
»Donnerwetter! Ein Viertel auf Fünf ... Wir hatten ja wohl eine kleine Abrechnung zu erledigen ...«
»Achttausend Francs,« seufzt der junge Mann; »die Frist ist heute abgelaufen ...«
»Achttausend Francs, sagen Sie ... hm ... ich entsinne mich nicht genau ... man vergißt solche Lappalien ...«
Er blättert eine Minute lang in seiner Brieftasche.
»Achten Mai ... Neunten Mai ... Sechstausend Francs ... Zweiundzwanzigtausend ... hier ... warten Sie ... sechs und sechs ist zwölf ... und Sechstausendachthundert zu den Zwölfhundert ...«
Benjamin Bannen seufzt noch stärker als zuvor.
»Apropos, mein lieber Fourbe-Floueur,« beginnt er nach einer Pause; »habe ich Ihnen schon erzählt, daß ich mich nächstens verheirathe?«
»Ich glaube mich zu erinnern ... sechs von neun bleiben drei ...«
»Die Baronesse Titi, eine reizende Blondine ...«
»Ah? Tant mieux pour vous ... fünf von zehn macht fünf ...«
»Dreimalhunderttausend Francs Mitgift, mein lieber Fourbe-Floueur, und achtmalhunderttausend in Aussicht ...«
»Das ist recht hübsch, lieber Baron ... Sie schulden mir achttausendneunhundert Francs.«
»Schön.«
»Sie haben wol Bankbillets bei sich ...? (sieht auf die Uhr) ... Crénom, ich muß fort ... wickeln wir die Sache also rasch ab ...«
Es ist fast überflüssig zu bemerken, daß unser Freund Vaurien nicht nur keine 8900 Francs bei sich hat, sondern im Gegentheil die Absicht hegt, den humanen Fourbe-Floueur um ein neues Darlehen zu ersuchen. – Vauriens Lage ist kritisch. – Die Hochzeit mit der Baronesse Titi würde vielleicht noch in der elften Stunde zu Wasser werden, wenn es ihm nicht gelingen sollte, bis zum letzten Moment sein Renommee als begüterter junger Mann aufrecht zu halten. Hat er doch in der That von einem Oheim mütterlicher Seits eine reiche Erbschaft zu erwarten! Nur momentan, momentan ist er auf dem Trockenen! – Wie kann er vor seine Laura treten, ohne mindestens vier reizende Isabellen, ein Tilbury und einen Jockey mitzubringen? Unmöglich! – Er muß Geld auftreiben, um jeden Preis!
Ein inhaltschweres Wort! Um jeden Preis! Fourbe-Floueur weiß das zu genau, und mit kalter Berechnung steuert er auf sein Ziel los.
»So und so liegen die Dinge,« sagt Benjamin nach einer mehr oder minder beredten Auseinandersetzung; »zahlen kann ich nicht und wenn Sie mich aufhängen; dagegen wäre ich Ihnen höchlichst verpflichtet, wenn Sie mir vor übermorgen fünfundzwanzigtausend Francs verschaffen wollten. Ich bin Ihnen sicher, das wissen Sie!«
Jetzt aber scheint die Sache unserem Wucherer zu toll zu werden. Er ergreift seinen Hut.
»Ich weiß nur dies: daß ich in Geschäftssachen die Pünktlichkeit liebe. – Adieu!«
»Aber, Fourbe-Floueur, Mann meines Herzens, zum Fliegen gehören doch Flügel! Was kann Ihnen daran gelegen sein, ob Sie noch vier Monate länger warten? – Kommen Sie her! Wie viel Zinsen soll ich Ihnen bezahlen?«
»Sparen Sie Ihre Mühe. Adieu!«
Der Petit-Crevé faßt den Wucherer am Arme.
»Liebster, bester Fourbe-Floueur, wollen Sie, daß ich mir eine Kugel durch den Kopf jage?«
»Halten Sie das, wie Sie wollen; wir sind fertig.«
Es fallen nun noch einige Dutzend ähnlicher Redensarten. Endlich scheint der Wucherer ein menschliches Rühren zu fühlen.
»Gott, mein lieber Baron,« sagt er; »ich würde ja schon allenfalls mit mir reden lassen, aber ich versichere Sie auf Cavaliersparole, – ich habe kein Geld zur Hand ...«
»Pah! ein Finanzmann wie Sie und kein Geld! Machen Sie das einem Andern weiß.«
Schließlich beginnt Fourbe-Floueur hin und her zu sinnen.
» Voyons«, – dies ist die übliche Rede, wenn man in nebelgrauer Ferne eine Idee dämmern sieht – » voyons ... ich habe da in Passy eine Ladung frischer Ochsenfelle ... etwa für 15,000 Francs ...«
»Ochsenfelle? aber was soll ich mit Fellen thun? Geld brauche ich, aber keine Felle ...«
»Hm! voyons! ich würde Ihnen vielleicht die Adresse eines soliden Käufers übermitteln können, an den Sie die ganze Ladung en bloc losschlagen und ... hm ... Sie würden allerdings dabei verlieren ... der Termin ist so kurz ... übermorgen, sagen Sie? ...«
Dem Petit-Crevé wird Angst und bange.
»Gut also!« sagt er seufzend; – »aber weiter! Ihre Ochsenfelle decken doch erst einen Theil meines Bedürfnisses.«
»Hm! voyons,« fährt Fourbe-Floueur fort, indem er eifrig in seiner Brieftasche hin und her blättert, – »richtig ... da fällt mir ein ... in den Weinhallen liegt mir eine Sendung Burgunder, über die ich noch nicht verfügt habe ...«
Kurz, nach langer Debatte »kauft« der Petit-Crevé für 40,000 Francs diverse Waaren, schlägt sie Tags darauf an einen Spießgesellen des Wucherers für 25,000 Francs los und fühlt sich nun überglücklich im Besitze eines Darlehens, das er nur mit 15 Prozent zu verzinsen braucht.
Dabei ist noch zu bemerken, daß nicht Jedermann von Fourbe-Floueur so liberal behandelt wird. Wenn der Baron Benjamin Vaurien nicht so ganz zuverlässige Garantieen böte und überdies nicht ein alter Kunde wäre, so würde man ihn ganz anders geschröpft haben. So aber thut man ein Uebriges! An dem entgegengesetzten Ende der gesellschaftlichen Scala »arbeitet« die zweite Nummer unserer Galerie:
Er ist ungleich verwerflicher, als der oben geschilderte Dandy-Wucherer. Fourbe-Floueur speculirt auf die menschlichen Schwächen, Leidenschaften und Laster; sein Opfer spielt nicht selten eine komische Figur. – Der Wucherer des Proletariers nährt sich dagegen von den Thränen der Verzweiflung, von den Seufzern der Sterbenden; er entreißt dem Hungernden die letzte Brodrinde; er mißgönnt dem Kranken das schmutzige Strohlager, auf dem er den Tod erwartet. Seine Opfer erregen nie unsere Spottlust.
Auf den Straßen von Paris blüht der Kleinhandel mit Gemüse, Obst, Fischen und anderen Eßwaaren. Die Verkäufer fahren ihre bescheidenen Vorräthe auf kleinen Handkarren von Haus zu Haus, von Platz zu Platz, in der Hoffnung, den Markthallen einige Concurrenz zu machen. Leider besitzen diese beklagenswerthen Sklaven nicht so viel, um sich aus eigenen Mitteln verproviantiren zu können – Jeden Morgen wandern sie daher zum Wucherer und borgen je nach dem Umfange ihres Unternehmens drei, vier bis zwölf Franken. Des Abends entrichten sie das erborgte Capital nebst einem Sous Zinsen per Franken. Fünf Franken tragen dem Wucherer auf diese Weise monatlich 7½ oder jährlich 90 Franken ein. Der Leser wird sich leicht ausrechnen, um wie viel menschlicher noch Herr Fourbe-Floueur mit seinen Stutzern verfährt.
In der St. Jacques-Straße wohnte noch vor drei Jahren ein Jude Namens Bernier, der auf Pfänder lieh. – Einer seiner täglichen Kunden war eine arme Wittwe: sie pochte regelmäßig Morgens und Abends an die Pforte des ruchlosen Schächers, bis man sie eines Tages todt aus der Seine zog. Sie hatte jeden Morgen die Bettdecken ihrer Kinder verpfändet, um deren Kleider auslösen zu können; Abends trug sie die Kleider hin, um das Bettzeug in Empfang zu nehmen. Dieser Austausch kostete sie jedesmal 25 Centimes, – also 50 Centimes täglich. – Die Sprache entbehrt der Worte, um eine derartige Schurkerei in verdienter Weise zu brandmarken. Das »Geschäft« dieser Blutsauger – (denn Bernier zählt in Paris gar manchen Collegen) – trägt nicht weniger als fünftausend Prozent ein; (siehe oben!) – mit einigen Goldstücken verschaffen sich die Berniers also eine recht hübsche Rente!
Es wirft sich hier naturgemäß die Frage auf: wie vermag die Gesellschaft diesem schandbaren Treiben, das großentheils die Schuld an dem Elend der unteren Klassen trägt, zu steuern? Wir können uns an dieser Stelle begreiflicher Weise nicht auf weitläufige wissenschaftliche Erörterungen einlassen. Es sei indeß des Vorschlags eines französischen Publicisten gedacht, der die großen Bankiers der Metropole auffordert, eine Volks-Bank zu gründen, welche Beträge auch von noch so geringer Höhe zu gesetzmäßigem Zinsfuß ausleihen und so das Nebel mit der Wurzel ausrotten würde! Der Wucher unterbindet dem Kleinhandel alle Lebensadern: eine Volks-Bank wäre die siegreiche Vernichterin des Wuchers.
Die Berniers und Consorten unterscheiden sich auch in ihrer äußeren Erscheinung wesentlich von den Fourbe-Floueurs. – Während diese derb, gesund und plump auftreten, ja nicht selten eine gewisse brutale Gutmüthigkeit athmen, kennzeichnet den Wucherer des Proletariers eine lauernde Miene, ein gebeugter Gang, eine Unsicherheit im ganzen Wesen. – Er kommt unter allen Arten der ganzen Gattung dem Balzac'schen Gobseck am nächsten. –
Eine dritte Species ist der Damenwucherer, oder richtiger
denn diese Klasse gehört fast ausschließlich dem schwächeren Geschlecht an. – Nennen wir die wohlbeleibte Fünfzigerin, von der wir hier reden wollen, Madame Sangsue. – Sie ist stets nach einer überlebten Mode gekleidet, nicht übermäßig reinlich, und eine heimliche Absinth-Trinkerin. – Eine geschäftige Lebendigkeit und Packete in allen Taschen sind ihre vorzüglichsten Merkmale. – Wie ein brüllender Löwe umschleicht sie die Wohnungen und sucht, wen sie verschlinge. – Der Gatte ist ausgegangen. – Es klingelt. – Mit einschmeichelnden Verbeugungen tritt Madame Sangsue vor die schutzlose Gattin und öffnet unter einer wahren Sturmflut von verführerischen Redensarten ihre Büchsen und Schachteln.
»Sehen Sie, gnädige Frau, – dieser Brillantschmuck! Wie geschaffen für Ihre nußbraunen Locken! Entzückend, sage ich Ihnen! Und hier dieser prächtige Kaschmir-Shawl! Welche Falten er wirft! Gestehen Sie selbst, gnädige Frau, Sie sahen nie in Ihrem Leben ein ähnliches Meisterstück ...«
Und somit breitet sie ihre Schätze aus. – Wer die Pariserinnen kennt, der weiß die Unwiderstehlichkeit einer solchen Versuchung zu würdigen.
Aber die junge Frau hat kein Geld! Nicht Jedermann verfügt über die Renten einer Fürstin Metternich ...
Thut Nichts! Ein Wechsel, zahlbar in drei Monaten, genügt vollkommen ... Natürlich verlangt Madame Sangsue Zinsen ... die Zeiten sind schwer, und das Verdienst karg ...
Wehe der Unglücklichen, die sich durch die verlockenden Reden der listigen Schlange kirren läßt! Der Verfalltag naht heran – aber die Gelder, die man aufzutreiben hoffte, sind unter hundert Fällen neunundneunzigmal ausgeblieben. Der Gemahl soll nicht wissen, daß man insgeheim über die Schnur gehauen. – Die Lage ist verzweiflungsvoll.
Ist die junge Frau schwach oder leichtsinnig, so sinkt sie bald von Stufe zu Stufe. Madame Sangsue jedoch reibt sich vergnügt die Hände, und fragt nicht weiter darnach, wie viel Glück sie im Keime zerstört, wie viel Elend sie gesä't hat und wie viele Flüche sie ernten wird. Vorerst zählt sie die ergaunerten Doppellouisdor's – und schmunzelt. –
Betrachten wir zum Schluß eine vierte Species von Wucherern, die ihre Geierfänge über alle gesellschaftlichen Klassen zugleich erstreckt, – ich meine die Species der
Nehmen wir an, ich brauche vor Ablauf zweier Tage tausend Francs – ein Fall, der in Paris nicht zu den Seltenheiten gehört. – Ich habe vielleicht im Trente et quarante verloren, – oder ein vergessener Wechsel wird mir präsentirt, oder es gilt die Auslösung einer Wette ... Ich öffne meine Portefeuille: Leer! Ich durchsuche meine Pulte: noch leerer!
Que faire? Geld muß ich haben, das steht fest, – aber woher nehmen?
Da fällt mein Blick auf den kostbaren Diamantring, den mir Tante Lottchen bei meinem verwichenen Geburtstag an den Finger gesteckt hat. Sofort durchzuckt der Gedanke an den »Rückverkäufer« mein aufgeregtes Hirn! Nicht losschlagen, nicht preisgeben will ich ja das köstliche Kleinod meiner zärtlichen Verwandtin – um Gotteswillen, nein! Diese Idee wäre um so frevelhafter, als Tante Lottchen mich ob einer solchen Mißachtung ihrer Geschenke unfehlbar enterben würde; – nur zum »Rückverkäufer« will ich den Ring tragen, einen Scheinverkauf eingehen, und nach vier Monaten mein Eigenthum gegen Entrichtung des Kaufpreises und der entsprechenden Zinsen zurückverlangen. – Zum Verleiher mag ich nicht gehen, da dieser Spitzbube auf das beste Pfand nur eine Kleinigkeit, und zwar zu den haarsträubendsten Bedingungen zu geben pflegt. – Der »Rückverkäufer« dagegen zahlt mir doch wenigstens ein Drittel des Werthes, und verlangt nur zehn Prozent ... Freilich ... wenn ich nach Ablauf der bestimmten Frist die erforderliche Summe nicht in Händen habe, so kann ich bei dem Verleiher den Vertrag prolongiren, während der »Rückverkäufer« mein Kleinod ein für alle Mal einstreicht ... Das kömmt mir doch einen Augenblick bedenklich vor ... Aber Unsinn, sage ich zu mir selbst! Was kann sich in vier Monaten nicht Alles ereignen ... Ich kann im Whist gewinnen ... ich kann irgend eine unerwartete Erbschaft antreten ... Das große Loos kommt doch auch noch anders wo als in mangelhaft motivirten Komödien vor! ... und ganz abgesehen von diesen außerordentlichen Ereignissen, darf ich nicht meiner eigenen Kraft vertrau'n? Ich werde arbeiten ... ich werde ... Gott, was werde ich nicht Alles! – wenn ich nur jetzt erst einmal glücklich meine tausend Francs habe ...!
Gedacht, gethan. – Ich verkaufe meinen Ring unter dem Vorbehalte des Rückkaufs. – Der Wucherer grinst, wie er mir die gewünschte Summe auf den Tisch zählt. Ich glaube, der Kerl moquirt sich über mich! Er meint vielleicht einen guten Fang gethan zu haben! Quod non! Ich werde ihm zeigen, daß er sich grimmig verrechnet!
Schade, Jammerschade, – aber der Mann verrechnet sich eben nicht! Ich gewinne weder im Whist, noch erbe ich einen Sous, und was das große Loos betrifft, so genügt die Bemerkung, daß ich mich überhaupt an keiner Lotterie betheilige. Auch mit dem Arbeiten und allen anderen guten Vorsätzen ist's nicht weit her; die Unruhe läßt mich kaum zu Athem kommen; Tante Lottchen schwebt als nächtliches Gespenst ob meinem Lager, und zerschlagen wache ich auf. Tag um Tag, Woche um Woche zerrinnt, und meine Lage hat sich eher verschlechtert als verbessert. Der verhängnisvolle Moment naht heran: ich habe gerade so viel in der Tasche, um meine täglichen Bedürfnisse zu bestreiten, – aber auch keinen Sous mehr ... Mit gerungenen Händen eile ich zu meinem Blutsauger und bitte um Aufschub ... Umsonst ... Der kostbare Ring ist verschleudert, und ich darf noch von Glück sagen, wenn der Wucherer mir gestattet, nach dem Muster des echten einen falschen verfertigen zu lassen, mit dem ich bei meinem nächsten Besuch in Fontenoy-les-Oies der guten Tante Lottchen Sand in die Augen streuen kann.
In der vorgeschilderten Weise geht es, wie gesagt, unter hundert Fällen neunundneunzig Mal. Uhren und Landhäuser, Zweigespanne und Tabaksdosen werden so für eine Bagatelle der Raub eines Speculanten. – Diese Sorte von Wucherern sendet sogar Reisende in die Provinzen aus, um die harmlosen Landbewohner, die Kleinbürger und Bauern zu prellen. – Vorzüglich nach einer Mißernte machen besagte Commis-Voyageurs glänzende Geschäfte.
Wie heißt der alte, philosophische Wahrspruch ...?
»Homo homini lupus!«
Das versteht erst ganz, wer Paris kennt!