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Johannes Müller

Geboren den 14. Juli 1801 in Koblenz, gestorben den 28. April 1858 in Berlin. – Als J. Müller bei Lebzeiten um seine Biographie gebeten wurde, antwortete er: »Vom Leben eines Gelehrten ist außer seinen Schriften nichts zu merken nötig, als sein Geburts- und sein Todesjahr.« Als Sohn eines Schuhmachers geboren und zur katholischen Theologie bestimmt, wandte sich Müller bereits im Herbst 1819 dem Studium der Heilkunde zu. Als Student erwarb er sich einen Preis mit einer Arbeit über die Atmung des Foetus. 1822 promovierte er. Von größtem Einfluß auf ihn wurde Rudolphi, dessen Nachfolger er wurde und bis zu seinem Tode blieb. In Bonn Privatdozent, wurde er 1826 außerordentlicher Professor. 1830 wurde er ordentlicher Professor und 1833 Professor der Anatomie und Physiologie und Direktor des anatomischen Theaters wie des anatomisch-zootomischen Museums. Müllers »Bedeutung liegt einmal in seinem unbeirrten Streben nach Objektivität und dann in seiner fast universellen Vielseitigkeit«. Zu seinen Schülern gehören Schwann, Jacob Henle, Brücke, du Bois-Reymond, Virchow, Helmholtz, Remak u. a. Sein Handbuch der Physiologie aus den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts ist noch heute eine wertvolle Fundgrube. – Auf seinen Forschungsreisen geriet Müller mehrmals in Lebensgefahr, am schrecklichsten war der Schiffbruch, den er an der Küste Norwegens in der Nacht vom 9./10. September 1855 erlitt. Darüber berichten die Briefe an den Physiologen Donders und der wahrscheinlich an Schauenburg(1819-76) gerichtete. Die drei Briefe an den Kliniker Joh. Lucas Schoenlein betreffen dessen zwei berühmt gewordene Arbeiten und dessen Berufung nach Berlin.

Johannes Müller.

 

Poststempel:
Berlin 9–10,
26.1./1836)

Professor Dr. Schönlein

In                 Siegel:
Zürich                Königl. Anatomisches
                     Museum in Berlin.

Hochverehrtester Herr Collega!

Zuerst bitte ich um Ihre gütige Entschuldigung, daß ich so spät erst auf Ihre mir so werthvolle Zuschrift Vom 23. Nov. 1835. Joh. Müller druckte den Brief in seinem Archiv 1836, S. 258f., ab unter dem Titel: »Über Crystalle im Darmkanal bey Typhus abdominalis«. antworte. Ich hatte alle Gelegenheiten wahrgenommen um recht bald zum Zweck zu kommen. Indeß der Typhus abdominalis ist gerade jetzt in den hiesigen Hospitälern so selten, daß ich aller Bemühungen ungeachtet doch noch keinen reinen Fall von Typhus abdom. nämlich mit Darmgeschwüren beobachten konnte. Unter diesen Umständen schien es mir ganz zweckmäßig vorläufig auf die Excremente bei andern Leichen sein Augenmerk zu richten. Prof. Ehrenberg Chr. Gottfr. Ehrenberg, 1795-1876; vgl. über ihn: Max Laue. Berlin (Springer) 1805. hatte vor längerer Zeit beobachtet, daß das meconium mikroskopische Krystalle enthalte. Ich schloß daraus, daß dergleichen Krystalle auch in den Leichen von Erwachsenen häufiger vorkommen möchten. Im Meconium fand ich kleine Krystalle wieder, obwohl nicht so häufig als sie Ehrenberg in einem Fall gefunden; es schienen Täfelchen zu seyn. In den Excrementen von Erwachsenen haben wir öfter und ziemlich häufig Krystalle gefunden und zwar in den verschiedensten Krankheiten. Ich meine die Excremente, wie sie sich im Dickdarm bei den Leichen des anatomischen Theaters vorfanden. Unter diesen war auch ein Fall von sogenanntem Nervenfieber, aber ohne Darmgeschwüre und ein anderer, wo Geschwüre im Dickdarm, aber nicht im Ileum waren. Die andern Fälle streiften durchaus nicht ans Typhöse. Die Krystalle waren zum Theil noch eben mit bloßem Auge erkennbar, andere erst mit dem Compositum. Wir suchen sie in den Excrementen, nachdem etwas auf ein Täfelchen dünn gestrichen ist, mit der zusammengesetzten Loupe auf und betrachten sie dann, sowie das übrige mit dem Compositum. Mehrmals sahen wir rechtwinkliche Täfelchen, ein andermal ein Rhomboeder oder auch wohl ein rhombisches Prisma, oder lange vierseitige Prismen, an beiden Enden vierseitig zugespitzt. Diese Krystalle waren nicht eben leicht zu finden, sondern schienen sehr sparsam, so daß wir in einigen Fällen lange vergeblich suchten und hernach ein Krystallchen auffanden (versteht sich in nicht abgetrockneten Theilchen), in denen viele Krystalle beim Trocknen anschießen können. Haufen wie in Ihrer Abbildung haben wir noch nicht finden können. Ihr Brief läßt es zweifelhaft, ob Sie die Krystalle bloß in den Excrementen, oder gerade in den Schorfen der Darmgeschwüre fanden. Auf diese Schorfe wird es mir nun zunächst ankommen, sobald ich einen Fall von wahrem Typhus abdominalis bekomme. Die Untersuchungen werden fortgesetzt und das Weitere Ihnen sogleich mitgetheilt. Vorläufig bitte ich Sie um die Erlaubniß die mir gütigst übersandten Zeichnungen für das Archiv stechen lassen zu dürfen. Selbst dann, wenn die Krystalle im Typhus abdominalis nur häufiger sind als sonst, ja wenn sie sich selbst mit gleicher Häufigkeit in den verschiedensten Leichen vorfinden sollten, ist die Sache von großem Interesse und kann noch zu vielem führen. Sie haben mein hochgeschätztester Herr College, nicht weniger hier, wie an anderen Orten, viele Verehrer und mancher hat schon daran gedacht, wie hier Vieles ganz schön werden könnte, wenn wir Sie besäßen. Daß sich dieß einmal realisieren möge, wünsche ich von ganzem Herzen.

Mit der ausgezeichnetsten Hochachtung
Ihr
Dr. Jo. Müller.

Berlin 25./1.36.

 

Poststempel:
Berlin 3-4
9.8.(1838)

Herrn Professor Schönlein
Wohlgeboren

Siegel:
Zürich Königl. Anatomisches Museum.

Verehrtester Herr College!

Ich bin Ihnen für die wichtige Mittheilung verbunden, welche Sie mir gemacht und welche ich mit Ihrer Erlaubnis für das Archiv Dort abgedruckt 1839, S.82, unter dem Titel: »Zur Pathogenie der Impetigines«; es handelte sich um das 1845 von R. Remak bezeichnete »Achorion Schönlein«. benutzen werde. Ich habe das mir gesandte Objekt untersucht und allerdings mußte ich gestehen, daß die mikroskopischen Formen keine Ähnlichkeit mit irgend einem mir bekannten animalischen Körper haben. In vielen Fällen erkannte ich die in Ihrer Zeichnung dargestellten Formen, obgleich im Allgemeinen (wohl wegen des Eintrocknens) weniger Fäden als vielmehr die kleineren sporenartigen Körperchen zu sehen waren. Mehrmals schienen mir die längeren Fäden aus Gliederchen zusammengesetzt. Prof. Ehrenberg ist seit einiger Zeit schon auf einer Reise nach Paris und London begriffen. Daher konnte ich ihm noch nichts mittheilen. Doch habe ich die Substanz aufbewahrt. Dagegen habe ich Prof. Meyen J. B. Meyen, Beiträge zur Pflanzenphysiologie. Archiv für Naturgeschichte. 1837 und 1838. consultiert, der viel Erfahrung in den einfachen Pilzen hat. Auch er hielt die Substanz für eine vegetabile. Was den zweiten in der Zeichnung dargestellten Pilz betrifft, so hielt ihn Meyen nicht für aus dem ersten entstanden und damit identisch; er hält ihn vielmehr für den gewöhnlichen Aspergillus glaucus, der sich auf sich zersetzenden thierischen und pflanzlichen Stoffen erzeugt und der so auch auf der ausgesäten (?) Substanz der porrigo entstanden sey. Meyen hat sich gerade sehr viel mit der Entwicklungsgeschichte des Aspergillus glaucus beschäftigt, er arbeitet auch viel über Pilze auf lebenden Pflanzen, Insecten und zeigte mir sehr schöne Zeichnungen. Doch sah ich, daß seine Ansichten sehr von denen Meyens abwichen. Seine Ansichten sind in seinen Jahresberichten enthalten. In Hinsicht der Bartelsschen Stelle Bartels (1778-1838) kam 1828 nach Berlin und hielt den klinischen Unterricht noch in lateinischer Sprache. ist es bei unserm Ministerium noch immer nicht zu einem Entschluß gekommen. Wie erwünscht uns Ihre Acquisition wäre, brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Daß Sie vor allem gewünscht werden ist eine Thatsache und ich freue mich sagen zu können, daß wir einstimmig darin sind. Von unserer Seite ist Alles geschehen und die nachdrücklichsten Mittel sind nicht verfehlt worden, das Bedürfnis auszusprechen. Jüngken, Joh. Chr. Jüngken (1703-1875), Prof. der Augenheilkunde in Berlin. der auf seiner Reise, wie er mir sagte, durch Zürich kommen wird, mag Sie über alles unterrichten, was zu schreiben zu weitläufig sein würde.

Was nun für ein Entschluß gefaßt werden wird, kann ich nicht vorauswissen. Das entgegenstrebende Interesse ist durch die Allgemeinheit, womit sich unsere wahren Interessen offen ausgesprochen, ziemlich neutralisiert; und es ist die Zeit auch nicht mehr, wo particulare Interessen, die mit dem der Universität und der Wissenschaft nicht harmonieren, so sehr zu fürchten wären. Wir rechnen darauf, daß sofern an Sie ein Ruf ergehen sollte, Sie sich diesem großen und Ihrer würdigen Schauplatz der Wirksamkeit nicht entziehen werden. Wenn es zur Berufung kommen sollte, worüber die nächste Zeit entscheiden wird, und wenn Sie darauf eingehen, so rathe ich aus guter Kenntnis der hiesigen Verhältnisse, in Hinsicht der Stellung zu der klinischen Anstalt in oder außer der Charité nicht zu viel Bedingungen zu machen. An diesen scheitert hier gewöhnlich alles. Wenn man aber erst hier ist, so erhält man für die großartigsten Bedürfnisse einer wissenschaftlichen Anstalt auch alles, was man nur wünschen mag, und ich wüßte kein Land, das sich in dieser Hinsicht Preußen vergleichen ließe. Sie sollten nur das anatomische Museum in seiner jetzigen Ausgestaltung sehen und mit dem was es gewesen ist vergleichen. Zum Neubau einer Anatomie wird es wohl auch in der nächsten Zeit kommen. Ich habe wenigstens die größte Hoffnung dazu und ihre Erfüllung ist zugesichert. So würde es auch nicht schwer fallen, die ehemalige innere Klinik der Universität außer der Charité, welche zu klein war, zu erweitern, falls ein klinischer Lehrer darauf dringen sollte, außer der Charité, wo seit Bartels die innere Klinik war, seine Klinik zu haben. Die Kliniken in der Charité haben aber ihre außerordentlichen Vortheile für einen berühmten Lehrer, da man die interessantesten Kranken aus dem großen Ganzen sich für seine Klinik aussuchen kann und mit der Verwaltung nichts zu thun hat. Daß Bartels seine Vortheile nicht zu benutzen wußte, ist bekannt. Die andern klinischen Lehrer in der Charité haben nicht im geringsten zu klagen und haben sich sogleich alle Verhältnisse geebnet. Ein großer Mangel war, daß bisher keine Hilfsärzte aus dem Civil in der Charité waren. Dazu kann es aber bald kommen und es ist schon die Anregung dazu von mehreren Seiten gegeben. Wir haben darauf gedrungen, daß wenn der zu berufende Lehrer die Herstellung und Erweiterung der Anstalt außer der Charité verlangen sollte, dieses ihm bei seiner Berufung versprochen werden solle. So ausgedrückt schließt die Sache alles in sich und das Weitere hat dann an Ort und Stelle keine Schwierigkeiten. Aber bestimmte Bedingungen lassen sich nicht gut machen und wenn man sie machte, so würden manche Leute es benutzen um die Berufung zu hintertreiben. Was ich hier sage ist alles aus der unmittelbarsten Erfahrung unserer hiesigen Verhältnisse genommen. Da ich in einigen Tagen von hier nach dem Rhein und vielleicht noch weiter gehe, so wollte ich nicht unterlassen, für mögliche Fälle mich gegen Sie auszusprechen; ich komme erst Anfang Oktober wieder; ich verlasse Berlin nicht ohne meinerseits alles benutzt zu haben, was dazu beitragen kann, Sie zu gewinnen, und da unsererseits alles geschehen ist, um entgegengesetzte individuelle Interessen von vornherein zu neutralisieren, so kann man jetzt der Sache getrost ihren Gang lassen. Sollten Sie, falls es zu einer Unterhandlung kommen sollte, einmal nöthig haben, an jemand hier privatim zu schreiben, so empfehle ich Ihnen den jetzigen Rector Geheimen Rath Boekh, der die medizinischen Verhältnisse, so weit sie diese Angelegenheit berühren, sehr gut kennt, die redlichsten Wünsche für das Wohl der Fakultät und Universität hegt, und ein Mann von großer Geschäftskenntnis ist. Die bisherige Einrichtung, daß die Klinik lateinisch gehalten wurde, wird wahrscheinlich aufhören, da sie sich gar nicht bewährt hat. Rust Joh. Nep. Rust (1775-1840). ist nicht hier und wird wohl auch erst im Spätherbst wiederkommen. Er hat immer seine besonderen Interessen und darum ist ihm auch jetzt nicht zu vertrauen. Bei allen seinen Verdiensten um die Verwaltung des Medizinalwesens hat er dem höheren medizinischen Unterrichtswesen mehr geschadet als genützt; für die Folge ist indes wenig von dieser Seite zu besorgen.

Mit herzlicher Verehrung
Ihr
Dr. Jo. Müller.

Berlin d. 8. August 1838.

 

Poststempel: Berlin 19. 4. 4–5. (1839)

Herrn Professor Dr. Schönlein

Wohlgeboren

Siegel:
in
Zürich

Königl. anatomisches
Museum Berlin.

Theuerster Herr College!

Nachdem der Ruf an Sie für unsere Universität nunmehr ergangen ist kann ich nicht umhin, Ihnen zugleich zu schreiben und Sie auf das freundlichste zu begrüßen. Kommen Sie recht bald, im Laufe des Sommers noch, Sie werden mit Sehnsucht von uns erwartet. Erst am 6. Mai 1840 hielt Schönlein – zum erstenmal in deutscher Sprache – seine Antrittsvorlesung, der u.a. Rudolf Virchow und Helmholtz und du Bois-Reymond beiwohnten. Keine geringe Freude macht es uns, daß die Sache durchgedrungen, und wenn es erst bekannt werden wird, wird sie allgemein seyn, da das ganze Publicum hier an einer Angelegenheit dieser Art großen Antheil nimmt und diesmal in hohem Grade genommen hat. In Hinsicht der Einkünfte an Honorar, wird es Ihnen vielleicht interessant seyn zu erfahren, daß eine Klinik hier sehr wohl 3000 Rth. an Honorar tragen kann (im Jahr). So viel nämlich hat Rust aus der chirurgischen Klinik, wie mir aus den Institutlisten bekannt ist. Daß Ihre Vorlesungen über spezielle Pathologie und Therapie ebenso sehr besucht werden, läßt sich als gewiß voraussetzen. Wie groß auch die Zahl der Dozenten hier ist und wie sehr es sich danach zu theilen scheint, so haben doch immer nur einige Dozenten in der medizinischen Fakultät einen numerus und es theilt sich nur, wenn eine Hauptvorlesung bei dem Ordinarius derselben nicht ziehen will, im entgegengesetzten Fall werden alle von Einem angezogen. In Hinsicht der Verhältnisse der ehemals lateinischen Klinik habe ich Ihnen schon im vorigen Sommer geschrieben und wiederhole ich nochmals, daß Sie in dieser Hinsicht nicht zu viel bedingen mögen. Gewisse Leute könnten es sich zu nutz machen. Sind Sie mit den allgemeinen Anerbietungen zufrieden, so sagen Sie zu. Alles wird sich dann hier nach Ihren Wünschen arrangieren. Daß die Facultät schon im vorigen Jahr angetragen, daß die Klinik zum Vortheil ihres Lebens in der Hauptsache deutsch seyn soll, habe ich Ihnen schon früher mitgetheilt. So viel ich weiß, wird man auch darauf eingehen, da die ganze Einrichtung nur zum Vortheil des sel. Bartels getroffen war, dem dadurch ein Zwangscollegium ward. Krukenberg Krukenberg (1788-1S65). in Halle war der bis jetzt geltenden Bestimmung der lat. Klinik gar nicht nachgekommen und man hat ihn nicht gezwungen. An den Doctorexamina müssen Sie Antheil nehmen, Sie participieren dadurch nach dem Aussterben der 4 Senioren (3 sind noch übrig) an den Emolumenten und diese betragen dann 2 ½ Louisd'or von jedem Examinierten auf den Examinator. Da immer 3 zusammen examiniert werden, so kömmt es nicht zu oft, und es ist vielmehr angenehm, da man Gelegenheit erhält, seine Collegen zu sehen. Die Zahl der promoti beträgt im Jahr bis 130 und 140. An den allerdings lästigen Staatsprüfungen, die ziemlich viel eintragen, können Sie Antheil nehmen oder nicht, ganz nach Ihrem Belieben, da es eine Sache für sich ist. Ich halte es für gewiß, daß wenn Sie hier sind die Zahl der Medizin Studierenden sich um mindestens ¼ – ½ vermehren wird, und es stehen der medizinischen Fakultät, die jetzt schon in vieler Hinsicht gut bestellt ist, die blühendsten Zeiten bevor. Nun mein theurer Collega, seyn Sie auf das herzlichste als der unserige begrüßt und lassen Sie sich bald in unserer Mitte bewillkommnen.

Ihr ganz ergebener
Müller

 

Berlin 19. 4. 39.

Das Gelingen der Sache war mir seit ungefähr einem Monat gewiß, die äußeren Schwierigkeiten waren längst geebnet. Ihr Brief an Dieffenbach kam zur rechten Zeit. Der jetzige Decan Prof. Schulze hat sich sehr wacker benommen. Daß es so spät geworden, hat auch seine Vortheile. Sie finden alles geebnet. Einige höher stehende Personen haben der Sache die letzten und wichtigsten Dienste gethan.

Haben Sie meinen herzlichen Dank für die Sendung der Muscardine, ich habe an mehrere davon vertheilt.

M[üller].

 

An C. F. Donders:

Verehrter Herr College!

Nach einer fast dreimonatlichen Abwesenheit bin ich seit Kurzem hierher zurückgekehrt und es drängt mich Ihnen Nachricht zu geben von dem Empfang ihrer Sendung und Ihnen meinen besten Dank zu sagen. Von den Schicksalen, die ich unterdeß erlebt habe, werden Sie einige Kenntnis erhalten haben, da sie einige Zeit durch die öffentlichen Blätter gegangen sind. Ich meine den schrecklichen Schiffbruch, den ich in Norwegen durch den Zusammenstoß zweier Dampfschiffe in der Nacht vom 9. zum 10. September erlitt, bei dem so viele Menschen, auch einer meiner jungen Gefährten, ein hoffnungsvoller, das Leben verloren und wobei ich einer der Geretteten war. Nach dem Ereignis eilte ich zu den Meinigen nach dem Rhein und blieb mit meiner Frau und Kindern (mein Sohn ist praktischer Arzt in Köln) dort zusammen bis zu der Rückkehr hierher. Ich hatte es nötig, mich nach dieser Erschütterung in aller Stille und Zurückgezogenheit geistig auszuheilen; denn ich war lange nicht imstande das Geschenk des Daseins zu genießen und ich sollte es erst wieder lernen von der Liebe und Theilnahme so Vieler, daß ich noch ein Recht darauf hatte. Unsere diesmalige Reise war überhaupt in vieler Hinsicht ungünstig, und das Ziel, Bergen in Norwegen, so unergiebig, wie ich es nie wieder erlebt habe. Dies war auch die Ursache, daß ich mich so bald wieder auf die Rückreise begab. Das Unglück ist bei Christiansand bald nach der Abfahrt aus dem dortigen Hafen geschehen, und bei stiller See, bei sternenhellem Himmel, ohne Nebel, wir sind also durch die beispiellose Unvorsichtigkeit, durch Mangel aller Wachsamkeit zugrunde gerichtet worden. Das kann wohl auf Norwegischen Dampfschiffen und bei Norwegischen Capitänen geschehen. Daß ich meine Instrumente, Bücher und alles andere, was ich bei mir hatte, verlor, versteht sich von selbst. Glücklicherweise hatte ich in meiner Weste, die ich trug, einige hundert Thaler in Papiergeld gerettet, von denen ich meine nächsten Bedürfnisse bestreiten konnte. Ich bin übrigens mit all den Kleidern, die ich gerade an mir hatte, ins Meer gekommen, und es ist ein Wunder, daß ich mich in so ungünstigen Verhältnissen so lange auf dem Wasser durch Schwimmen und Festhalten an schwimmenden Holztrümmern halten konnte. Das größte Glück ist ferner, daß niemand von meiner Familie bei mir war auf dieser Reise, nicht mein Sohn, der mich so oft in früheren Jahren begleitet; denn ohne diesen hätte ich nicht gewagt zu seiner Mutter wieder zu kehren.

Ich bitte Herrn Dr. Berlin freundlichst von mir zu grüßen.

Mit ausgezeichneter Hochachtung
Ihr ganz ergebener
J. Müller.

Berlin, d. 12. Nov. 1855.

 

An K. H. Schauenburg

Vgl. E. Ebstein, Deutsche med. Wochenschr. 1915, Nr.6.

»Hochgeehrtester Herr Kollege!

Ich kann das Jahr nicht wechseln, ohne Ihnen einige Nachricht von mir zu geben. Ich hatte es so bedauert, Sie nicht bei dem kurzen Aufenthalt in Bonn sprechen zu können, und war wenigstens mit der befriedigenden Nachricht weggegangen, daß Ihre Krankheit nicht von tieferer Bedeutung war. Ich habe mich allgemach von meinem Unglück, dem Schiffbruch und der geistigen Niederlage, die auf ein solches Ereigniß folgt, erhohlt. Am meisten hat dazu der stille und zurückgezogene Aufenthalt in Cöln mit meiner Familie beigetragen. Als ich hieher kam, hat das übrige die gewohnte Thätigkeit gethan. Doch hatte ich noch manche Aufregung durchzumachen. Denn ich war nicht gefaßt darauf, daß man hier so viel Wesens aus meinem Unglück und meiner Errettung machen würde und ich habe einen Antheil von meinen Collegen und nicht minder von meinen Schülern erlebt, von dem ich keine Ahndung hatte, daß ich ihn erwecken könnte und der mir unvergeßlich seyn wird. Jetzt wetteiferten Akademiee und Universität, ihm durch öffentliche Ehren ihre Freude an seiner wunderbaren Rettung zu bezeugen; und wo hätte man nicht glauben sollen, daß er uns bis an die natürlichen Grenzen des menschlichen Daseins würde erhalten bleiben.« (E. du Bois-Reymond, Gedächtnisrede, Berlin 1859, Berlin 1860, S.138.) Ich habe bei dem Ereigniß nichts behalten, als was ich in meinen Kleidern am Leibe hatte, darunter war das wichtigste ein paar hundert Thaler in Papiergeld was freilich eine sehr werthvolle Mitgabe in das Leben war. Am meisten Schmerzen machte natürlich der Verlust des jungen Gefährten, der mir sehr lieb gewesen war und auf den ich große Hoffnungen gebaut hatte. Er hieß Dr. Schmidt. Die optischen Instrumente, die mit allem andern verloren sind, sind schwer zu vermissen. Es waren darunter 2 Microscope von Schick und eines von Kellner, welche mir und meinen beiden Begleitern auf der Rückreise gehört hatten. Ich habe meine Rettung zunächst dem Holzstück, das ich erfaßte, einer schwimmenden Treppe zu verdanken, Dr. Schneider einem schwimmenden Hühnerstall. Mit Schwimmen hätte ich mich nicht lange erhalten können, da ich ganz in den Kleidern ins Meer gekommen war. Dr. Schneider war vor dem Untergang des Schiffes, Der eiserne Dampfer, auf dem sich Müller befand, hieß »Norge«; der anrennende Dampfer »Bergen« fuhr dem Norge so heftig in die Seite, daß dieser nach zehn Minuten mit allen an Bord befindlichen Menschen sank. nachdem er die Kleider ausgezogen, ins Meer gesprungen. Ich kam mit der großen Masse der Menschen, die auf dem Hinterdeck angehäuft waren und den Augenblick des Sturzes in die Tiefe erwarten mußten bei dieser Katastrophe ins Meer. Nun war dass Geheul und der Jammer mit uns vom Meere verschluckt. du Bois a. a. O.) schreibt: »Das Knirschen der eingerannten Eisenwände, das Geprassel der mit der Feuerung zusammentreffenden See, vor allem aber das gräßliche Geheul des auf dem Deck zusammengeballten verzweifelnden Menschenknäuels, sind ihm lange nicht aus dem Sinn gekommen.« Als wir wieder zur Oberfläche kamen, ging einer nach dem andern für immer unter und das eine Weile hörbare Gewimmer der Schwimmenden und mit dem Tode Ringenden ging bald in eine entsetzliche Stille aus. Es sind gegen 50 umgekommen und 43 gerettet. Ich hatte nicht mehr an Rettung gehofft und war ziemlich steif, aber bei vollem Bewußtsein, als das Rettungsboot des Schiffes das uns zu Grund gerichtet, auf mich aufmerksam wurde. Ich erblickte es, als man eben einen andern herauszog und ließ dann die Treppe los um mit der letzten Kraft das Boot zu erfassen.

Gott behüte Sie vor allen ähnlichen Erlebnissen und Gefahren; so viel ist aber nicht genug zum leben – der Himmel schenke Ihnen vielmehr recht lange den Genuß Schauenburg hatte 1853 Gedichte herausgegeben. Ihrer Kräfte, auch der lieblichen poetischen Gaben, die mir ein gar glückliches Geschenk der Natur erscheinen, das Sie mit Haller A. v. Hallers Versuch schweizerischer Gedichte 1732 und Rudolphi K. A. Rudolphi, Gedichte. 1898. Berlin u. Greifswald. (Berl. Staats-Bibliothek. Y m 7616). theilen. Sie besitzen eine große Leichtigkeit in der Behandlung der Verse, so daß ich mich respectvoll verneige; noch mehr aber erkenne ich in der Behandlung des Stoffes eine geübte Kunst, die Sie Ihren Freunden bisher verschwiegen hatten.

Berlin, den 1. Januar 1856.

Mit hochachtungsvoller Ergebenheit
Ihr J. Müller.«

*


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