Georg Ebers
Uarda
Georg Ebers

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Sechstes Kapitel.

Als Nemu, dießmal auf dem Rücken eines Esels, heimkehrte, fand er weder seine Herrin, noch Nefert zu Hause.

Die Erstere hatte sich in den Tempel und dann in die Stadt begeben, während Nefert, einer unwiderstehlichen Regung folgend, zu ihrer fürstlichen Freundin Bent-Anat gegangen war.

Der Königspalast glich eher einer kleinen Stadt als einem Hause.Die in vielen Büchern wiederholte Ansicht, die Tempel wären zugleich die Paläste der Pharaonen gewesen, ist falsch. Wir kennen in wohlerhaltenen Tempeln, wie denen von Dendera und Edfu, die Bestimmung sämmtlicher Räume und alle waren gottesdienstlichen Zwecken gewidmet. Die Denkmäler lehren, daß auch die Könige in weitläufigen, von Gärten umgebenen und aus leichtem Material errichteten Gebäuden wohnten. Die Paläste glichen den Häusern der Großen, waren aber größer als diese. Siehe Bd. I. S. 139 Der Flügel, in dem der Statthalter residirte und welchen wir bereits betreten haben, lag landeinwärts, während diejenigen Gebäude, die der König mit seiner Familie bewohnte, dem Strome zugekehrt waren.

Dem Schiffer, welcher an dem Pharaonensitze vorbeifuhr, bot er einen glänzenden und zugleich freundlichen Anblick, denn nicht als ungeheurer einzelner Körper erhob er sich aus der Mitte der ihn umgebenden Gärten, sondern vielfach gegliedert und in mannigfaltigen Formen.

An ein größeres Bauwerk, in dem sich die Prunk- und Festsäle befanden, schloß sich symmetrisch an jeder Seite eine dreifache Reihe von Pavillons in verschiedener Größe. Alle waren unter einander verbunden durch Säulengänge oder Brücken, unter denen sich Wasserarme hinzogen, welche die Gärten tränkten und dem Palaste das Ansehen einer Inselstadt verliehen.

Aus leichten Nilziegeln und zierlich verarbeitetem Holz bestanden sämmtliche Theile des Pharaonenschlosses; auch die unermeßliche Ringmauer, deren Zugänge mit hohen Thorbauten verziert waren, vor denen schwerbewaffnete Soldaten den Wachtdienst verrichteten.

Die Mauern und Pfeiler, die Altane und Säulengänge, ja selbst die Dächer prangten in buntem Farbenschmuck und an allen Thoren standen hohe Maste, an denen rothe und blaue Fahnen flatterten, wenn der König hier residirte. Jetzt ragten sie mit ihren Erzspitzen, welche den Wetterstrahl aufzufangen bestimmt waren,Nach einer zuerst von Dümichen mitgetheilten Inschrift zu Dendera. kahl in die Lüfte.

Zur Rechten des Hauptgebäudes lagen, ganz von reichen Baumpflanzungen umgeben, der königlichen Frauen Häuser, von denen einige sich in dem Wasser spiegelten, das sie näher oder ferner umgab. An diesen Theil des Palastes schlossen sich die Vorrathshäuser des Königs in unabsehbaren Reihen, während hinter dem mittlern Bauwerk, in dem der Pharao residirte, die Kasernen der Leibgarden und die Schatzhäuser standen. Der linke Flügel des Schlosses war den Hofbeamten, den zahllosen Dienerschaaren, den Rossen und Wagen des Herrschers eingeräumt.

Trotz der Abwesenheit des Königs herrscht lebendiges Leben in dem Palaste des Ramses, denn hundert Gärtner besprengten den Rasen, die Blumenrabatten, die Sträucher und Bäume; Wachtmannschaften zogen hin und her, Rosse wurden getummelt und eingefahren und in dem Flügel der königlichen Frauen wogten wie in einem Bienenstocke Dienerinnen und Sklaven, Hofbeamte und Priester hin und her.

Nefert war in diesem Theile des Schlosses wohl bekannt. Die Garden und Thürhüter ließen ihre Sänfte mit ehrerbietigen Neigungen des Oberkörpers unangerufen passiren, im Garten nahm sie ein Kammerherr in Empfang, führte sie selbst zu dem Ceremonienmeister und dieser geleitete sie nach einer kurzen Meldung in das Gemach der Lieblingstochter des Ramses.

Bent-Anat's Wohnung lag im ersten Stockwerke des dem Hause des Pharao am nächsten gelegenen Pavillons. Ihre verstorbene Mutter hatte diese freundlichen Räume innegehabt, aber nachdem die Prinzessin zur Jungfrau herangereift war, freute es den König, sie in seiner Nähe zu wissen; darum überließ er ihr das schöne Haus der zu früh Dahingegangenen und zugleich, denn sie war die älteste seiner Töchter, manches Vorrecht, dessen sonst nur die Königinnen genossen.

Das weite Gemach, in welchem Nefert Bent-Anat fand, war dem Strome zugekehrt.

Eine nur mit hellen Vorhängen verschlossene Thüröffnung führte auf einen langen Altan mit kunstreich gearbeiteten Geländern von vergoldetem Kupfer, um welches sich Kletterrosen mit blaßrothen Blüten schlangen.

Die Prinzessin ließ, als die Gattin des Mena ihre Schwelle betrat, soeben von einigen Dienerinnen den rauschenden Vorhang zur Seite ziehen, denn die Sonne neigte sich, die Kühlung nahte und Bent-Anat liebte es, in dieser Stunde auf ihrem Altan zu sitzen und mit andächtigen Empfindungen dem Scheiden des Ra zuzuschauen, der als greiser TumS. Anmerkung 1 hinter dem westlichen Horizonte im Rücken der Nekropole des Abends verschwand, um in der Unterwelt den Seligen Licht zu spenden.

Nefert's Wohngemach war weit zierlicher ausgestattet als das der Prinzessin. Ihre Mutter und Mena hatten sie mit tausend niedlichen Dingen umgeben. Ihre Tapeten bestanden aus himmelblauem, mit Silber durchwirktem Brokat von Damaskus, die Stühle und das Ruhebett waren mit einem von äthiopischen Frauen gearbeiteten Stoff aus Federn überzogen, der wie die Brust eines vielfarbigen Vogels zu schauen war. Die Bildsäule der Göttin Hathor auf ihrem Hausaltare bestand aus unechtem Smaragd, den man Mafkat nannte, und die übrigen kleineren Götterfiguren, welche neben ihrer Patronin prangten, aus Lapislazuli, Malachit, Achat und mit Gold ausgelegter Bronze. Auf ihrem Putztisch stand eine Sammlung von Salbenbüchsen und Schalen aus Ebenholz und Elfenbein in feinster Schnitzerei. Das Alles war auf's Zierlichste geordnet und paßte durchaus zu Nefert's Erscheinung.

Auch Bent-Anat's Wohnung war ihrem Wesen angemessen.

Hoch und luftig waren die Räume und ihre Ausstattung bestand aus kostbarem, aber einfachem Geräth. Der untere Theil der Wände war mit kühlen Kacheln von feiner weißer und violetter Fayence belegt, von denen jede einen Stern darstellte und die alle zusammen geschmackvolle Figuren bildeten. Weiter nach oben hin waren die Mauern mit dem gleichen schönen dunkelgrünen Stoff von Sais bekleidet, aus dem auch der Ueberzug der langen Divans an den Wänden bestand.

Rohrstühle und Tabourets standen um einen sehr großen Tisch inmitten dieses Gemachs, an welches sich viele andere Zimmer schlossen, die alle stattlich, vornehm und harmonisch aussahen, aber schnell verriethen, daß ihre Bewohnerin geringen Gefallen fand an kleinlichem Zierat, um so größern aber an schöngezogenen Pflanzen, die in wundervollen und seltenen Exemplaren, auf Stufen kunstreich geordnet, die Ecken mehrerer Zimmer ausfüllten, während in anderen an dem gleichen Platze hohe Gestelle von Ebenholz in Obeliskenform sich erhoben, welche kostbare Schalen für Rauchwerk trugen, das alle Aegypter liebten und mit dem die Aerzte die Wohnungen zu räuchern vorschrieben.

Ihr einfaches Schlafgemach würde einem der Blumenzucht holden Königssohne ebensowohl als Wohnung angestanden haben, als einer fürstlichen Jungfrau.

Vor allen Dingen liebte Bent-Anat Luft und Licht.

Nur wenn es der Stand der Sonne dringend verlangte, wurden die Vorhänge an Fenstern und Thüren geschlossen, während in Nefert's Wohnung von früh bis spät ein dämmerndes Halbdunkel hergestellt werden mußte.

Die Prinzessin ging der Gattin des Mena, die sich an der Schwelle des Zimmers tief vor ihr verneigte, liebreich entgegen, faßte mit der Rechten ihr Kinn, küßte ihre feine, schmale Stirn und sagte:

»Du süßes Geschöpf! kommst Du endlich einmal ungeladen zu mir Einsamen? Es ist das erste Mal seitdem die Männer wiederum in den Krieg zogen. Wenn Ramses' Tochter ruft, dann gilt kein Widerspruch und Du erscheinst; aber freiwillig . . .«

Nefert schlug ihre großen, thränenfeuchten Augen bittend auf und ihr Blick war so unwiderstehlich, daß Bent-Anat ihre Rede unterbrach und, ihre beiden Hände ergreifend, ausrief:

»Weißt Du, wer gerade solche Augen gehabt haben muß wie Du? Die Gottheit mein' ich, aus deren Thränen, da sie auf die Erde fielen, die Blumen entstanden.«

Nefert senkte den Blick, schaute erröthend zu Boden und murmelte:

»Ich wollte, daß ich diese Augen für immer schließen könnte, denn ich bin sehr unglücklich.« Dabei rollten zwei schwere Zähren über ihre Wangen.

»Was ist Dir geschehen, Liebling?« fragte die Prinzessin teilnehmend und zog sie mit der Rechten wie ein krankes Kind an sich.

Nefert schaute ängstlich zu dem Ceremonienmeister und den Frauen vom Hofstaate hin, welche das Zimmer mit ihr betreten hatten, und Bent-Anat verstand diesen Wink, bat die ihres Befehles Gewärtigen, sie zu verlassen und sagte, als sie mit ihrer betrübten Freundin allein war:

»Nun sprich! Was bekümmert Dein Herz? Wie kommt dieser schmerzliche Zug in Dein liebes Kindergesicht? Rede, und ich will Dich trösten und Du sollst wieder meine heitere, sorglose Puppe werden!«

»Deine Puppe,« wiederholte Nefert und ein Blitz des Unwillens strahlte aus ihren Augen. »Du hast Recht, mich so zu schelten, denn ich verdiene keinen bessern Namen, hab' ich mir's doch, so lang ich lebe, gefallen lassen, nichts zu sein als das Spielzeug der Meinen.«

»Aber Nefert, ich erkenne Dich nicht wieder,« rief Bent-Anat, »ist das meine sanfte, freundliche Träumerin?«

»Das ist das Wort, das ich suchte,« sagte Nefert leise. »Ich habe geschlafen und geträumt und immer geträumt, bis Mena mich weckte, und wenn er mich verließ, so bin ich wieder entschlummert, und nun lag ich im Traume zwei Jahre lang, aber heute bin ich aus dem Schlaf gerissen worden so hart und rauh, daß ich niemals wieder Ruhe finden werde.«

Während Nefert also redete, floß langsam eine schwere Thräne nach der andern über ihre Wangen.

Bent-Anat fühlte sich so tief bewegt von dem, was sie hier sah und hörte, als sei Mena's Gattin ihr eigenes leidendes Kind. Liebreich zog sie die junge Frau auf den Divan nieder, setzte sich an ihre Seite und ließ nicht ab, bis Nefert sie in die Noth ihrer Seele blicken ließ.

Es war der Tochter Katuti's in den letzten Stunden ergangen wie einem Blindgeborenen, der plötzlich die Gabe des Gesichts zurückerlangt. Er schaut das Glanzlicht der Sonne und die mannigfaltigen Gestalten des Geschaffenen rings umher, aber die Strahlen des Tagesgestirns blenden sein Auge und die neuen Formen, die er ahnend mit der Seele suchte und die sich ihm nun in ihrer rohen Wirklichkeit aufdrängen, beängstigen und peinigen ihn. Heut zum ersten Male fragte sie sich, warum denn ihre Mutter und nicht sie das Hans zu verwalten berufen sei, dessen Herrin sie doch genannt werde,Herrin des Hauses ist der gewöhnliche Titel der Gattinnen vornehmer Aegypter. und die Antwort lautete: »Weil Mena dich für unfähig hält, zu denken und zu handeln.« Er hatte sie oft sein Röslein genannt und sie fühlte nun, daß sie nicht mehr und besser sei als eine Blume, die wächst und verwelkt und nur durch ihre bunten Blätter die Augen erfreut.

»Meine Mutter,« sagte sie zu Bent-Anat, »liebt mich gewiß, aber sie hat meines Gatten Güter übel verwaltet, sehr übel, und ich Elende schlief und träumte von Mena und sah nicht und hörte nicht, was mit seinem, mit unserem Erbe geschah. Jetzt bangt der Mutter vor meinem Gatten und wen man fürchtet, so sagte der Oheim, den kann man nicht lieben, und wen man nicht liebt, von dem ist man gern bereit das Böse zu glauben. So leiht sie ihr Ohr den Leuten, die Mena schelten und von ihm berichten, er habe mich aus seinem Herzen verstoßen und ein fremdes Weib in sein Zelt genommen. Aber das ist falsch und erlogen und ich kann und will der eigenen Mutter Antlitz nicht schauen, wenn sie mir das Einzige verkümmert und schändet, was mir bleibt, was mich hält, die Luft und das Blut meines Lebens, die Liebe, die heiße Liebe für meinen Mann.«

Bent-Anat hatte ihr, ohne sie zu unterbrechen, zugehört. Eine Zeitlang blieb sie schweigend neben ihr sitzen. Dann sagte sie.

»Komm' hinaus auf den Altan! Da will ich Dir sagen, was ich meine, und vielleicht flößt Toth einen helfenden Rath in mein Herz. Ich habe Dich lieb und kenne Dich ganz, und bin ich nicht weise, so hab' ich doch offene Augen und eine thatkräftige Hand. Nimm sie und folge mir jetzt auf den Altan!«

Ein erquickender Lufthauch wehte vom Strome her den in's Freie tretenden Frauen entgegen. Es war Abend geworden und labende Kühle folgte der Glut des Tages. Schon warfen die Gebäude und Häuser längere Schatten und zahllose Boote mit den aus der Nekropole heimkehrenden Leuten bevölkerten den Strom, der majestätisch seine übervolle Flut gen Norden wälzte.

Rings um sie her grünte der Garten, welcher die duftigen Rosenranken zu dem Gitter des Altans der Prinzessin hinaufsandte. Ein weitberühmter Künstler hatte ihn schon zu Hatasu's Zeiten angelegt, und das Gemälde, welches er im Geiste erschaute, als er den Samen legte und die Schößlinge pflanzte, war nun, viele Jahrzehnte nach seinem Tode, zur Wirklichkeit geworden. Er hatte sich seine Anlage als Teppich gedacht, auf welchem die zahlreichen Palasthäuser standen. Vielfältig gebogene Wasseradern, auf denen weiße Schwäne schwammen, bildeten gleichsam die Umrisse der Zeichnungen in ihm, und die von ihnen begrenzten Figuren waren ausschattirt mit Pflanzen in jeder Größe, Form und Farbe. Schöne Flächen von saftgrünem Rasen bildeten überall den Grund des Gewebes und von diesem hoben sich die vollen, bunten Blumenbeete und Sträuchergruppen harmonisch ab, während die alten hohen und seltenen Bäume, von denen die Schiffe Hatasu'sNach Aegypten gebrachte Nehabäume in großen Kübeln finden sich im Tempel Hatasu's zu Der el Bahri abgebildet. viele aus Arabien nach Aegypten gebracht hatten, dem Ganzen Ernst und Ehrwürdigkeit verliehen.

Aus Blättern, Blüten und Halmen schimmerten jetzt helle Tropfen, denn vor Kurzem erst hatte man die dem Hause Bent-Anat's benachbarten Anlagen mit frischem Wasser benetzt.

Jenseits des Gartens umfloß der Nil eine Insel, auf welcher die wohlgepflegten heiligen Haine des Amon grünten.

Die Nekropole am jenseitigen Stromesufer ließ sich von dem Altane Bent-Anat's aus wohl überblicken. Da zogen sich die Sphinxreihen hin, welche von den Landungsplätzen der Festbarken aus zu dem Riesenbau Amenophis III. mit seinen Kolossen, den größten in Theben, zum Setihause und dem Tempel Hatasu's führten. Da lagen die langen Werkstätten der Balsamirer und die häuserreichen Straßen der Todtenstadtbewohner. Im fernsten Westen erhoben sich die libyschen Berge mit ihren zahllosen Grüften und in ihrem Rücken dehnte sich, von ihnen versteckt, in weitem Bogen das Thal der Königsgräber.

Schweigend schauten die Frauen nach Westen.

Schon näherte sich die Sonne dem Horizonte; jetzt erreichte sie ihn, jetzt verschwand sie hinter dem Gebirge, und als sich nun der Himmel mit Farbentönen überzog, die lichtem Golde, feurigen Rubinen und geschmolzenen Granaten und Amethysten glichen, da erschollen aus allen Tempeln rings umher die Abendlieder und die Freundinnen sanken auf die Kniee, verbargen ihr Antlitz in die das Gitter des Altans umschlingenden Rosenguirlanden und beteten aus vollem Herzen.

Als sie sich wiederum erhoben, breitete sich die Nacht über die Wege, denn die Dämmerung ist kurz in Theben. Nur hier und da flatterte noch ein rosiges Wölkchen an dem sich verdunkelnden Himmel und verblaßte allmälig, als der Abendstern aufging.

»Mir ist wohl,« sagte tief aufathmend Bent-Anat. »Kehrt auch in Deine Seele der Friede zurück?«

Nefert schüttelte verneinend das Haupt.

Die Prinzessin zog sie auf einen Ruhesitz, ließ sich an ihrer Seite nieder und begann von Neuem:

»Dein armes Herz ist wund, man hat Dir die Vergangenheit verleidet, und Dir bangt vor der Zukunft. Laß mich offen sein, auch wenn es Dir weh thut. Du bist krank und ich möchte Dich heilen. Willst Du mich hören?«

»Rede nur,« sagte Nefert.

»Das Reden,« gab die Prinzessin zurück, »ist nicht meine Sache, aber das Handeln, und ich glaube, daß ich weiß, was Dir fehlt, und daß ich Dir helfen kann. Du liebst Deinen Mann; die Pflicht rief ihn von Dir und Du fühlst Dich verlassen und einsam. Das ist ja natürlich! Aber Die, die ich liebe, mein Vater und meine Brüder, zogen doch auch in den Krieg, meine Mutter ist längst verstorben, die edle Frau, welche mir der König als Gesellschafterin zurückließ, erlag vor wenigen Wochen der Krankheit. Sieh hier diese halb verlassene Stadt, die mein Haus ist. Wen darf man einsamer nennen, Dich oder mich?«

»Mich,« sagte Nefert. »Denn so einsam ist Niemand als die Frau, die getrennt von dem Gatten ihr Herz zersehnt.«

»Aber Du glaubst an Mena's Liebe?« fragte Bent-Anat.

Nefert preßte die Hand auf ihr Herz und nickte bejahend.

»Und er wird heimkehren und mit ihm Dein Glück!«

»Ich hoff' es,« gab Nefert leise zurück.

»Und wer da hofft,« sagte Bent-Anat, »der besitzt das Glück der Zukunft. Sage, hättest Du mit den Göttern getauscht, so lange Mena mit Dir vereint war? Nein! Nun dann bist Du überreich, denn die seligste Erinnerung, das Glück der Vergangenheit, ist gleichfalls Dein eigen. Was ist denn die Gegenwart? Ich rede und sie ist nicht mehr! Nun frage ich Dich, an welche Wonnen kann ich gedenken und auf welches sichere Glück bin ich zu hoffen berechtigt?«

»Du liebst nicht,« sagte Nefert. »Wie der Mond gehst Du kühl und unabwegbar dahin auf Deiner Bahn. Das höchste Glück ist Dir wohl fremd geblieben, aber dafür kennst Du auch nicht das bittere Leid.«

»Welches Leid?« fragte Bent-Anat.

»Den Schmerz der Sehnsucht eines von den Flammen der Sechet verzehrten Herzens,« antwortete Nefert.

Die Prinzessin schaute lange nachdenklich zu Boden; dann schlug sie lebhaft ihre Augen zu der Freundin auf und sagte:

»Du irrst! Ich kenne die Liebe und die Sehnsucht. Aber wenn Du nur den Festtag erwartest, um den Schmuck, der Dein eigen ist, wieder anzulegen, so gehört mir mein Kleinod nicht eigener an, als die Perle, die ich auf dem Grunde des tiefen Meeres schimmern sehe.«

»Du liebst!« rief Nefert freudig bewegt. »O, so dank' ich der Hathor, daß sie endlich Dein Herz berührte. Die Tochter des Ramses braucht nicht erst die Taucher zu rufen, um das Kleinod für sie aus dem Meere zu fischen. Sie winkt und die Perle steigt auf zu ihr und legt sich in den Sand vor ihre schlanken Füße.«

Bent-Anat küßte lächelnd Nefert's Stirn und sagte:

»Wie das Dich erregt und Dir den Geist und die Zunge bewegt! Wenn zwei Saiten ganz gleich gestimmt sind und man schlägt die eine an, so klingt die andere mit, sagt mein Musikmeister. Ich glaube, Du hörtest mir zu bis zum Morgen, wenn ich Dir mehr von meiner Liebe erzählte. Aber dazu kamen wir nicht auf den Altan. Nun höre! Ich bin einsam wie Du, ich liebe weniger glücklich als Du, mir drohen vom Setihause her schlimme Stunden, und doch verläßt mich nicht der sichere Lebensmuth und die Freude am Dasein. Wie willst Du das erklären?«

»Wir sind so verschieden geartet,« sagte Nefert.

»Wohl,« entgegnete Bent-Anat, »aber wir Beide sind jung, sind Frauen und wollen das Gute. Mir starb zeitig die Mutter und Niemand hat mich geleitet, denn man gehorchte mir schon, als ich am meisten der Führung bedurfte. Dich zog eine Mutter heran, die sich, da Du ein Kind warst, mit dem schönen Töchterchen putzte und es – das stand ihm so gut – träumen und spielen ließ, ohne dem üblen Hange zu wehren. Da freite Dich Mena. Du liebtest ihn innig, aber in vier langen Jahren war er nur wenige Monde Dein eigen; die Mutter blieb bei Dir und Du merktest es kaum, daß sie für Dich Dein eigenes Haus verwaltet und die Mühen der Wirtschaft getragen hat. Du besaßest ein großes Spielzeug, dem Du Deine Tage widmetest, die Gedanken an Mena, und ein Ziel für tausend Träume, Deinen fernen Geliebten. Ich weiß es, Nefert; Alles was Du seit zwanzig Monden gesehen, gehört, empfunden hast, bezog sich auf ihn und ihn allein; das ist ja an sich nichts Schlechtes. Der Rosenstock hier, der meinen Altan umwindet, erfreut uns Beide; aber wenn der Gärtner ihn nicht häufig beschnitte und mit Palmenbast fesselte, so würde er in diesem Boden, der Alles zu schnellem Wachsthum treibt, gar bald in die Höhe schießen, mir Fenster und Thür verdecken und ich säße im Dunkeln. Nimm dieß Tuch um die Schultern, denn mit der Kühlung fällt Thau hernieder, und höre mich weiter! – Das schöne Gefühl der Liebe und Treue ist in Deinem träumerischen Herzen ungezügelt und ungehemmt wild in die Höhe gewuchert und verdunkelt Dir Seele und Geist. Rechte Liebe, denk' ich, sollte ein edler Fruchtbaum sein und kein solches Wuchergewächs. Ich tadle Dich nicht, denn die Deine Gärtner hätten sein sollen, bemerkten nicht, was Dir geschah, oder wollten's nicht merken. Sieh', Nefert, so lange ich die Kinderlocke trug, hab' auch ich nur gethan, was mir eben gefiel. Am Träumen fand ich niemals Gefallen, aber an wildem Spiel mit den Brüdern, an Rossen und Falken;In mehreren Papyrus aus der Zeit unserer Erzählung wird von der Abrichtung der Falken gesprochen. sie sagten oft, ich hätte das Herz eines Knaben, und gern auch wär' ich ein Jüngling gewesen.«

»Ich niemals,« murmelte Nefert.

»Du bist ja das Röslein, Du Liebe,« fuhr Bent-Anat fort. »Wie war ich als Fünfzehnjährige so verdrossen, so mißvergnügt bei aller Wildheit, so unbefriedigt trotz all' der Güte und Liebe, die rings mich umgab. Da geschah es einmal, – vier Jahre ist's her, es war kurz vor Deiner Hochzeit mit Mena, daß der Vater mich zum Brettspiele rief.Zu Medinet Habu hat sich eine Darstellung nicht Ramses II., aber Ramses III. erhalten, wie er mit einer Tochter das Brettspiel spielt. Du weißt, wie sicher er selbst die geschicktesten Gegner besiegt; an jenem Tage aber war er zerstreut und ich gewann zweimal hintereinander das Spiel. Voll frohen Uebermuthes sprang ich auf und küßte sein schönes, großes Haupt und rief: ›Den erhabenen Gott, den Helden, unter dessen Sohlen die Fremdvölker sich winden, welchen Volk und Priester anbeten, hat ein Mädchen besiegt!‹ Er lächelte mild und gab mir zurück: ›Oft sind ja die himmlischen Frauen den Herren des Himmels überlegen und unsere Siegesgöttin NechebDie Eileithyia der Griechen, die der Nordgöttin Buto entgegengestellte Göttin des Südens, die oft in Geiergestalt als Siegesgöttin zu Häupten des in den Krieg ziehenden Pharao schwebt. ist ein Weib.‹ Dann wurde er ernster und sprach: ›Sie nennen mich einen Gott, mein Kind, aber nur in dem Einen fühl' ich mich wahrhaft göttlich, daß ich mich zu jeder Stunde im größten Maßstabe durch meine Arbeit nützlich zu erweisen vermag, hier hemmend, dort fördernd.Die beiden in den Händen der Pharaonen und vieler Götter selten fehlenden Embleme, der hakenförmige Krummstab und die Geißel, erinnern vielleicht an die Pflicht der Könige, zurückzuhalten und anzutreiben. Gottähnlich bin ich allein, weil ich Großes wirke und schaffe.‹ Diese Worte, Nefert, fielen wie Saatkörner in meine Seele. Ich wußte auf einmal, was mir fehlte; und als wenige Wochen später der Vater mit Deinem Gatten und hunderttausend Streitern in den Krieg zog, da beschloß ich des göttlichen Vaters würdig zu werden und auch in meinem Kreise zu nützen. Du weißt nicht Alles, was in den Häusern dahinten unter meiner Leitung geschieht. Dreihundert Mädchen spinnen dort reinen Flachs und verweben ihn zu Leinwandbinden für die Wunden der Krieger, viele Kinder und Greisinnen suchen Pflanzen auf den Bergen und Andere lesen sie aus nach der Vorschrift der Aerzte, in den Küchen werden keine Gastmähler bereitet, aber Früchte in Zucker eingekocht für die Lieben und Kranken im Felde. Fleischstücke werden dort gesalzen, gedörrt und geräuchert für den Marsch des Heeres durch die Wüste. Der Kellermeister sorgt nicht mehr für die Zechgelage, aber bringt mir den Wein in großen Krügen von Stein; wir aber füllen ihn um in gutverschlossene Schläuche für die Soldaten, und die edleren Sorten gießen wir in feste Flaschen, die wir sorgsam verpichen, damit sie unbeschädigt die Reise bestehen und das Herz der Helden erquicken können. Alles das und viel mehr noch hab' ich zu lenken und zu leiten und in saurer Arbeit verrinnen meine Tage. Kein Traumgesicht schicken mir in den Nächten die Götter, denn nach schwerer Ermüdung umfängt mich tiefer Schlaf. Aber ich weiß, daß ich nütze, und stolz erheb' ich mein Haupt, weil ich nun dem großen Vater in etwas gleiche; und denkt der König an mich, das weiß ich, so freut er sich des Thuns seines Kindes. Nun aber bin ich am Ende, Nefert, und sage nur noch: Schließe Dich mir an, sei mit mir thätig, erweise Dich nützlich und zwinge Mena, nicht nur mit Liebe, sondern auch mit Stolz seines Weibes zu denken.«

Nefert ließ ihr Haupt langsam zu ihr hernieder sinken, umschlang ihren Hals mit beiden Armen und weinte wie ein Kind an ihrem Busen. Endlich raffte sie sich auf und sagte bittend:

»Nimm mich in die Schule und lehre mich nützen.«

»Wußte ich's doch,« lächelte Bent-Anat, »daß Du nur der führenden Hand bedürftest. Glaube mir, bald wirst auch Du mit der Sehnsucht die Zufriedenheit zu paaren wissen. Nun höre noch dieß. Kehre jetzt heim zu Deiner Mutter, denn es ist spät, und begegne ihr liebreich, denn so wollen es die Götter. Am morgenden Tage werd' ich euch aufsuchen und Frau Katuti bitten, Dich mir als Gefährtin an Stelle meiner verstorbenen Freundin anzuvertrauen. Uebermorgen ziehst Du zu mir in den Palast. Du bewohnst die Gemächer der Dahingegangenen und beginnst, wie sie es gethan, mir bei meiner Arbeit zu helfen. Möge diese Stunde eine gesegnete sein!«


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