Georg Ebers
Uarda
Georg Ebers

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Drittes Kapitel.

Pentaur beeilte sich, die Aufträge des Oberpriesters zu erfüllen.

Durch einen Diener ließ er den im Vorhof des Tempels harrenden Wegeführer Paaker zu Ameni geleiten, während er sich in eigener Person zu den Aerzten begab, um ihnen die sorgfältige Pflege der Verunglückten recht warm an's Herz zu legen.

Viele HeilkünstlerDas über die Aerzte Gesagte ist hauptsächlich den medizinischen Schriften der Aegypter selbst entnommen, unter denen Papyrus Ebers die erste, der berliner medizinische Papyr. I. die zweite und eine Londoner hieratische Handschrift, die wie Papyr. Ebers der 18. Dynastie (16. Jahrhundert v. Chr.) entstammt, den dritten Platz einnimmt. Hauptstellen in den Klassikern Herod. II, 84. Diodor I, 82. wurden in dem Setihause gebildet, doch pflegten nur wenige von ihnen nach bestandenem Schreiberexamen hier zu verbleiben. Die Begabtesten wurden nach Heliopolis gesandt, in dessen großen Hallen von Alters her die berühmteste medizinische Fakultät des Landes blühte und von wo aus sie dann, durchgebildet und als Meister, entweder in der Chirurgie, oder der Augenheilkunde, oder irgend einem anderen Zweige ihrer Wissenschaft, geschmückt mit den höchsten Würden ihres Standes, nach Theben zurückkehrten, um als Leibärzte in der Nähe des Königs zu verbleiben oder als Lehrer ihre Kenntnisse zu verwerthen und in schwierigen Fällen zu Rathe gezogen zu werden.

Die meisten Aerzte wohnten natürlich am rechten Nilufer im eigentlichen Theben, und zwar mit ihren Familien in ihren eigenen Häusern; aber jeder von ihnen gehörte zu einem Priesterkollegium.

Wer eines Arztes bedurfte, sandte nicht in das Haus eines solchen, sondern in einen Tempel. Hier mußte angegeben werden, woran der Hülfesuchende erkrankt sei, und es blieb dem Vorsteher der Aerzte des Heiligthums überlassen, denjenigen Heilkünstler auszusuchen, dessen Spezialkenntnisse ihn für die Behandlung des vorliegenden Falles besonders geeignet erscheinen ließen.

Wie alle Priester, so lebten auch die Aerzte von den Einkünften, welche ihnen durch ihren Besitz an Grund und Boden, die Geschenke des Königs, die Steuern der Laienschaft und die ihnen aus dem Staatssäckel zufließenden Revenüen zukamen; von den Patienten, welche sie behandelten, hatten sie keine Honorare zu erwarten; doch versäumten die Geheilten es selten, dasjenige Heiligthum, welches ihnen einen Arzt gestellt hatte, zu beschenken, und es war nichts Seltenes, daß die priesterlichen Heilkünstler die Genesung der Leidenden geradezu von gewissen, ihrem Tempel darzubringenden Gaben abhängig machten.

Die Kenntnisse der ägyptischen Mediziner waren nach jeder Richtung hin bedeutend; aber es ist natürlich, daß die Aerzte, da sie als »verordnete Diener der Gottheit« an das Krankenbett traten, sich keineswegs mit der rationellen Behandlung der Leidenden begnügten, sondern vielmehr der mystischen Wirkung von Gebeten und Beschwörungen nicht entbehren zu können meinten.

Unter den ärztlichen Lehrern im Setihause befanden sich Männer von sehr verschiedener Begabung und Geistesrichtung; aber Pentaur war keinen Augenblick in Zweifel, wem von ihnen er die Behandlung des überfahrenen Paraschitenkindes, dem er seine Theilnahme zugewandt hatte, anvertrauen sollte.

Der Erwählte war der Enkel eines berühmten längst verstorbenen Arztes, dessen Name Nebsecht auf ihn übergegangen war, und einer der liebsten Schulfreunde und Altersgenossen des Pentaur.

Mit hoher, ihm angeerbter Begabung, Eifer und Neigung war dieser Jüngling von früh an seiner Wissenschaft ergeben gewesen, hatte sich in Heliopolis die ChirurgieUnter den sechs von Clemens von Alexandrien genannten hermetischen Büchern der Aerzte war eines den chirurgischen Instrumenten gewidmet; übrigens gereichen sehr schlecht geheilte Knochenbrüche an Mumien den ägyptischen Chirurgen zu geringer Ehre. zu seiner Spezialität erwählt und würde dort gewiß als Lehrer zurückgehalten worden sein, wenn ihm nicht ein Fehler an seinem Sprachorgan das Reden erschwert und die laute Rezitation von Formeln und Gebeten verboten haben würde.

Dieser von seinen Eltern und Lehrern tief beklagte Umstand sollte für ihn selbst im besten Sinne förderlich werden; wie es denn so oft geschieht, daß uns aus scheinbaren Vorzügen Schaden und aus scheinbaren Mängeln das Heil unseres Lebens erwächst.

Während nämlich die Genossen Nebsecht's in Gesängen und Deklamationen geübt wurden, konnte er, Dank seiner schweren Zunge, seiner ihm angeerbten fast leidenschaftlichen Neigung, das organische Leben in der Natur zu beobachten, nachgehen und seine Lehrer begünstigten bis zu einem gewissen Grade den ihm innewohnenden Forschungstrieb und zogen aus seiner Kenntniß des thierischen und menschlichen Körpers und der Geschicklichkeit seiner Hände Nutzen.

Seine tiefe Abneigung gegen den magischen Theil seiner Wissenschaft würde ihm strenge Strafen, ja vielleicht die Ausstoßung aus seiner Zunft zugezogen haben, wenn sie in irgend einer Form zum Ausdruck gekommen wäre; Nebsecht war jedoch eine still in sich selbst zurückgezogene Gelehrtennatur, die, frei von dem Verlangen nach äußerer Anerkennung, in der Süßigkeit der Forschung reiches Genügen fand und jede an ihn herantretende Aufforderung, seine Fähigkeiten öffentlich zu bewähren, als einen unvermeidlichen, aber widerwärtigen Eingriff in sein anspruchsloses, aber erfolg- und arbeitsreiches Streben unwillig hinnahm.

Diesem Nebsecht war Pentaur näher getreten, als irgend ein anderer unter seinen Mitschülern.

Er bewunderte seine Gelehrsamkeit und Geschicklichkeit, und wenn der schwächlich gebaute, aber auf seinen Wanderungen unermüdliche Arzt die Dickichte am Nilufer, die Wüste und das Gebirge durchstreifte, um Pflanzen oder Thiere zu suchen, dann begleitete ihn der junge priesterliche Dichter mit Freude und reichem Gewinn, denn sein Gefährte sah tausend Dinge, die, ohne ihn, seinem Auge für immer verborgen geblieben wären, und andere, ihm nur der Form nach bekannte Gegenstände gewannen für ihn Inhalt und Bedeutung durch die Erklärungen des Naturforschers, dessen ungelenke Zunge sich zwanglos regte, wenn es galt, dem Freunde die von ihm zuerst wahrgenommenen Eigentümlichkeiten der organischen Wesen, deren Entwicklungsgang er beobachtet hatte, darzulegen.

Der Dichter war dem Gelehrten hold und Nebsecht liebte Pentaur, der Alles besaß, was ihm selber abging: männliche Schönheit, kindliche Heiterkeit, freimüthige Offenheit, künstlerischen Schwung und die Gabe, in Wort und Lied Jedwedes zum Ausdruck zu bringen, was sein Herz bewegte.

Der Dichter war ein Laie auf den Gebieten, die er selbst beherrschte, aber wohl befähigt, auch das Schwierigste zu begreifen. So kam es, daß Nebsecht seinem Urtheil größeres Gewicht beilegte, als dem seiner eigenen Fachgenossen, die überall da, wo Pentaur frei und unbeeinflußt entschied, sich von vorgefaßten Meinungen befangen zeigten.

Das Zimmer des Naturforschers lag zu ebener Erde, abgesondert von allen übrigen Wohnräumen, unter einem der zum Setihause gehörenden Kornspeicher. Es hatte die Größe eines Saales und dennoch fand der auf seinen stillen Bewohner zuschreitende Pentaur seinen Weg fast überall verlegt von großen Bündeln der verschiedenartigsten Pflanzen, von zu vieren und fünfen über einander gestellten Käfigen aus Palmenstäben und einer Menge von größeren und kleineren, mit durchlöchertem Papier überbundenen Töpfen. In diesen Behältnissen bewegten sich allerlei lebendige Thiere, vom Springhasen, der großen Nileidechse und einer hellfarbigen Eulenart an bis zu den in vielen Exemplaren vertretenen Fröschen, Schlangen, Skorpionen und Käfern.

Auf dem einzigen, in der Mitte dieses Raumes stehenden Tische lagen neben einem Schreibzeuge Thierknochen, sowie scharfe Feuerstein- und Bronzemesser von verschiedener Größe.

In einer Ecke dieses Raumes lag eine Matte, auf der eine hölzerne KopfstützeS. Anmerkung 9 stand, welche andeutete, daß der Naturforscher auf ihr zu schlafen pflege.

Als Pentaur's Schritte sich an der Schwelle dieses seltsamen Raumes vernehmen ließen, schob sein Bewohner so ängstlich wie ein Schüler, der ein verbotenes Spielzeug vor seinem Lehrer zu verbergen wünscht, einen umfangreichen Gegenstand unter den Tisch, warf eine Decke über ihn und verbarg den scharfen, an einen hölzernen Griff befestigten Feuersteinsplitter,Zu chirurgischen Zwecken scheinen sich die Aegypter mit Vorliebe der Feuersteinmesser bedient zu haben, jedenfalls für die Eröffnung der Leichen und Beschneidung. Viele Feuersteinmesser sind gefunden worden und werden in den Museen konservirt. den er eben noch benutzt hatte, in die Falten seines Gewandes. Dann kreuzte er die Arme, um sich das Ansehen eines Mannes zu geben, der in harmlosem Nichtsthun vor sich hinträumt.

Die einzige an einem hohen Ständer befestigte Lampe neben seinem Stuhle verbreitete spärliches Licht, welches aber dennoch genügte, um dem mit allen Gewohnheiten seines Freundes vertrauten Pentaur zu zeigen, daß er Nebsecht in einer verbotenen Arbeit gestört habe. Der Letztere nickte dem Eintretenden, nachdem er ihn erkannt hatte, zu und sagte:

»Du hättest mich nicht zu erschrecken brauchen!« Dann griff er unter den Tisch und holte den verborgenen Gegenstand, ein an ein Brett gebundenes lebendes Kaninchen, in dessen aufgeschnittenem und mit Holzstäbchen auseinandergehaltenem Leibe sich das Herz bewegte, hervor und fuhr, ohne den Andern weiter zu berücksichtigen, in seinen unterbrochenen Beobachtungen fort.

Eine Zeitlang sah Pentaur dem Forscher schweigend zu; dann legte er ihm die Hand auf die Schulter und sagte:

»Schließe künftig Dein Gemach, wenn Du verbotene Dinge treibst.«

»Sie haben – haben mir,« stotterte der Gelehrte, »den Riegel von der Thür genommen, seitdem sie mich neulich bei der Zerlegung der Hand des Fälschers Ptahmes ertappten.«

»Der Mumie des armen Menschen wird ja nun auch seine Rechte fehlen,« erwiederte der Dichter.

»Wird sie nicht brauchen im Jenseits.«

»Hast Du ihm wenigstens SchebtifigurenKleine Statuetten, die man den Verstorbenen mit in's Grab gab, um ihnen bei den in der Unterwelt zu verrichtenden Arbeiten zu helfen. Sie haben Hacke und Pflug in den Händen und auf dem Rücken den Saatbeutel. Fast auf allen zeigt sich als Inschrift das sechste Kapitel des Todtenbuchs. mit in's Grab gegeben?«

»Unsinn!«

»Du gehst zu weit, Nebsecht, und bist unvorsichtig! Wer ein unschädliches Thier zu keinerlei Nutzen martert, dem sollen die Geister der Unterwelt das Gleiche thun, lehrt das Gesetz. Aber ich sehe Dir an, was Du sagen willst. Du hältst es für erlaubt, einem Thiere Schmerzen zu bereiten, wenn Du damit Dein Wissen, mit dessen Hülfe Du die Leiden der Menschen linderst, bereichern kannst . . .«

»Du nicht?«

Ein liebenswürdiges Lächeln überflog Pentaur's Züge. Er beugte sich zu dem Kaninchen hernieder und sagte. »Wie merkwürdig! Das Thierchen lebt und athmet noch immer! Ein Mensch würde schon längst nach solcher Behandlung gestorben sein. Sein Organismus ist wohl auch von kostbarerer, feinerer und darum leichter zerstörbarer Beschaffenheit?«

Nebsecht zuckte die Achseln und sagte. »Vielleicht.«

»Ich dächte doch, daß Du das wissen müßtest!«

»Ich?« fragte der Arzt. »Woher denn? Ich sagte es ja; – sie erlauben mir nicht einmal zu untersuchen, wie sich die Hand eines Fälschers bewegt.«

»Bedenke nur, daß die Schrift lehrt, die Wohlfahrt der Seele sei abhängig von der Erhaltung des Körpers.«

Nebsecht erhob seine klugen, kleinen Augen und sagte achselzuckend: »Das muß wohl so sein. Uebrigens gehen mich diese Dinge nichts an. Macht ihr mit den Seelen der Menschen, was ihr wollt; ich suche nur ihren Körper kennen zu lernen und flicke ihn, wenn er Schaden leidet, so gut zusammen, wie es eben gehen will.«

»Nun, TothToth ist der Gott der Gelehrten und Aerzte. Der Ibis ist sein heiliges Thier und er wird gewöhnlich ibisköpfig dargestellt. Ra soll ihn als »ein schönes Licht« erschaffen haben, um die Namen seiner bösen Feinde zu verzeichnen. Ursprünglich Mondgott, wird er zum Herrn des Zeitmaßes und der Maße überhaupt. Er ist der Abwägende und Weise unter den Himmlischen, der Gott der Schrift, der Kunst und Wissenschaft. Die Griechen nannten ihn Hermes Trismegistos, d. i. der dreimal oder sehr große, und zwar nach Vorgang der Aegypter, die ihn Toth oder Techuti, den zweimal großen, d. i. auch den »sehr großen« hießen. sei gelobt, daß Du Dir wenigstens in dieser Kunst die Meisterschaft nicht abzusprechen brauchst!«

»Wer wäre ein Meister,« fragte Nebsecht, »außer Gott? Ich kann nichts – gar nichts und führe meine Instrumente kaum sicherer als ein Bildhauer, der im Dunkeln zu arbeiten verdammt ist.«

»Etwa so wie der blinde Resu,« lachte Pentaur, »der besser zu malen verstand als alle sehenden Künstler im Tempel.«

»Es gibt auch in meiner Thätigkeit ein ›besser‹ oder ›schlechter‹,« erwiederte Nebsecht, »aber ein ›gut‹ gibt es nicht.«

»Dann müssen wir uns schon mit Deinem ›besser‹ begnügen und ich komme, um es in Anspruch zu nehmen.«

»Bist Du krank?«

»Isis sei gelobt; ich fühle mich so kräftig, daß ich eine Palme entwurzeln könnte, aber ich wollte Dich bitten, noch heute Abend ein krankes Mädchen zu besuchen. Die Prinzessin Bent-Anat . . .«

»Die königliche Familie hat ihre eigenen Aerzte.«

»Laß mich doch aussprechen! Die Prinzessin Bent-Anat hat ein Mädchen überfahren und das arme Kind soll schwer verwundet sein.«

»So–o,« sagte der Gelehrte gedehnt. »Liegt sie drüben in der Stadt oder hier in der Nekropole?«

»Hier; es ist freilich nur die Tochter eines Paraschiten.«

»Eines Paraschiten?« fragte Nebsecht und schob sein Kaninchen wiederum unter den Tisch. »Dann geh' ich hin!«

»Sonderling! Ich glaube, Du erwartest irgend eine seltene Waare bei den Unreinen zu finden.«

»Das ist meine Sache; aber ich werde kommen. Wie heißt der Paraschit?«

»Pinem.«

»Wird nichts mit ihm anzufangen sein,« murmelte der Gelehrte; »aber, wer weiß.«

Nach diesen Worten stand er auf, öffnete ein fest verschlossenes Fläschchen und pinselte Strychnosgift auf die Nase und in das Maul des Kaninchens, welches sofort zu athmen aufhörte. Dann legte er es in eine Kiste und sagte. »Ich bin bereit.«

»Aber in diesem beschmutzten Kleide kannst Du das Haus nicht verlassen!«

Der Arzt nickte, nahm ein reines Gewand aus seiner Kleiderlade und wollte es über das andere ziehen; Pentaur wehrte aber dem Freund und sagte lachend. »Erst wird der Arbeitsrock ausgezogen. Ich werde Dir helfen. Aber beim Gotte BesaDer in pygmäenhafter Mißgestalt gebildete Toilettengott der Aegypter. Die Frauen führt er zum Sieg in der Liebe, die Männer auch im Kampf. Er soll aus Arabien stammen., Du bist ja vielhäutig wie eine Zwiebel!«

Pentaur war als ein gewaltiger Lacher unter seinen Standesgenossen bekannt und seine laute Stimme erschütterte das stille Gelehrtengemach, nachdem er sich überzeugt hatte, daß sein Freund nun zum dritten Mal ein reines über ein beschmutztes Gewand zu ziehen im Begriff stehe, und also schon jetzt nicht weniger als drei Kleider trug.

Nebsecht lachte mit ihm und sagte: »Jetzt weiß ich auch, warum mir mein Rock so schwer und es mir um Mittag so unmenschlich heiß vorkam. Geh' hinaus, während ich die überflüssigen Gewänder ausziehe und laß, bitte, den Oberpriester Ameni fragen, ob ich den Tempel verlassen darf.«

»Er beauftragte mich, einen Arzt zu dem Paraschiten zu senden und fügte hinzu, die Kranke sollte wie eine Königin behandelt werden.«

»Ameni? Und wußte er, daß es sich nur um ein Paraschitenkind handle?«

»Jawohl!«

»Dann fang' ich zu glauben an, daß man mit Beschwörungen Glieder einzurenken vermag. Ja, die Beschwörungen! Du weißt – weißt ja, daß ich nicht mehr allein zu den Kranken darf, weil mein Schlauch von einer Zunge zu schwer ist, um die Sprüche herzusagen und den Sterbenden reiche Opfergaben für den Tempel abzuängstigen. Geh' Du, während ich mich ausziehe, zu dem Propheten Gagabu und bitte ihn, daß er den Pastophoren Teta mit mir gehen läßt, der mich gewöhnlich begleitet.«

»Ich würde mir doch statt des blinden Alten einen jüngeren Helfer aussuchen.«

»Laß nur! Ich wäre schon zufrieden, wenn er selbst zu Hause bleiben und nur seine Zunge mir nachkriechen wollte wie ein Aal oder eine Schnecke. Kopf und Herz haben mit seinem Sprachwerkzeuge doch nichts zu schaffen und es geht seinen Gang wie der Ochse, der das Korn drischt.«In Aegypten wie in Palästina traten, das lehren viele Bilder, auch schon aus ältester Zeit, in den Grüften Rinder das Korn aus, oft mit Hülfe eines belasteten Schlittens, an dessen Kufen halbrunde Scheiben befestigt sind, und den man heute noreg nennt.

»Das ist wahr,« sagte Pentaur; »ich sah neulich selbst, wie der Alte an einem Krankenbette seine Litaneien absang und dabei heimlich die Datteln zählte, von denen man ihm einen ganzen Sack voll geschenkt hatte.«

»Er wird ungern mit zu dem Paraschiten gehen, denn der ist arm und er würde eher diese Skorpionenfamilie in dem Topfe da oben anfassen, als ein Stück Brod aus der Hand des Unreinen kosten. Sag' ihm, er möge mich abholen und meinen Wein austrinken. Da stehen noch die Portionen von drei Tagen; er trübt bei dieser Hitze die Schärfe meiner Augen. Wohnt der Paraschit im Norden oder Süden der Nekropole?«

»Ich glaube im Norden. – Paaker, der Wegeführer des Königs, wird Dir den Weg zeigen.«

» Der?« lachte der Gelehrte. »Was steht denn heute im Kalender?Kalender haben sich erhalten; der vollständigste in dem am besten von F. Chabas behandelten Papyrus Sallier IV. Bei jedem Tage wird angegeben, ob er günstig sei oder nicht &c. In den Tempeln blieben Festkalender in großer Zahl erhalten, der vollständigste zu Medinet Habu; veröffentlicht von Dümichen. Ein Paraschitenkind soll wie eine Prinzessin behandelt und ein Arzt wie der Pharao selbst geführt werden. Ich hätte aber doch meine drei Röcke anbehalten sollen.«

»Die Nacht ist warm,« sagte Pentaur.

»Aber Paaker hat seltsame Gewohnheiten. Vorgestern wurde ich zu einem armen Jungen gerufen, dem er mit seinem Stabe das Schlüsselbein kurz und klein geschlagen hatte. Wär' ich ein Roß der Prinzessin, ich hätte lieber den, als ein armes Mädchen niedergetreten.«

»Ich auch!« lachte Pentaur und verließ das Zimmer, um den zweiten Propheten des Tempels, Gagabu, der zugleich der Vorsteher der Aerzte im Setihause war, zu bitten, seinem Freunde den blinden Pastophoren Teta als Litaneiensänger mitzugeben.


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