Georg Ebers
Uarda
Georg Ebers

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Viertes Kapitel.

Pentaur wußte, wo er den hochgestellten Priester zu suchen habe, denn er selbst war zu dem Gastmahle geladen worden, das derselbe zu Ehren zweier neuer aus der Hochschule von ChennuBei einer Stromenge des Nils, unweit der nubischen Grenze gelegen; das heutige Gebel Silsileh, woselbst im Alterthum eine berühmte Priesterschule blühte. in das Setihaus versetzter Gelehrten veranstaltet hatte.

In einem offenen, von bunt bemalten Holzsäulen umgebenen und mit vielen Lampen beleuchteten Hofe saßen die schmausenden Priester in zwei langen Reihen auf bequemen Lehnstühlen. Vor jedem stand ein Tischchen und geschäftige Diener waren beflissen, sie mit den Speisen und Getränken zu versehen, welche auf einem überfüllten, inmitten des Hofes prangenden Büffet aufgestellt waren. GazellenkeulenDie Gazellen waren als Haustiere gezähmt. Wir begegnen ihnen unter den Darstellungen der Heerden reicher Aegypter und als Schlachtvieh. Das Gastmahl wird nach den Bildern von Schmausereien, von denen sich viele in den Grüften finden, beschrieben., gebratene Gänse und Enten, Fleischpasteten, Artischocken, Spargel und andere Gemüse, verschiedenartige Kuchen und Süßigkeiten wurden den Gästen zugetragen und die Becher reichlich mit den köstlichen Weinsorten gefüllt, an denen die luftigen SpeicherDie Keller bewahren die mittlere Jahrestemperatur und sind in Aegypten heiß; man verwahrt also den Wein am besten in schattigen und luftigen Speichern. des Setihauses niemals Mangel litten.

Zwischen den einzelnen Gängen reichten einige Diener metallene Becken, in denen man sich die Hände wusch, und fein gewebte Handtücher umher.

Nachdem man den Hunger gestillt hatte, floß der Wein reichlicher, und jedem Gaste wurden wohlriechende Blumen dargeboten, deren Duft sie bei den nunmehr lebhafter werdenden Gesprächen erfreuen sollte.

Sämmtliche Teilnehmer an diesem Mahle trugen lange, schneeweiße Gewänder und gehörten zu den in die Mysterien Eingeweihten, und also zu den Führern der Priesterordnungen des Setihauses.

Der zweite Prophet, Gagabu, dem heute die Leitung des Festes von dem Oberpriester, der sich bei solchen Gelegenheiten immer nur auf wenige Minuten zeigte, übertragen worden war, war ein kleiner, starker Mann mit einem kahlen, fast kugelrunden Schädel. Seine alternden Züge waren gut geformt und die glattrasirten, fleischigen Wangen wohl gerundet. Seine grauen Augen schauten munter und aufmerksam in den Tag hinein, funkelten aber lebhaft, wenn er sich erregt fühlte und seine starken sinnlichen Lippen zu zucken begannen.

Neben ihm stand der prachtvolle, unbesetzte Lehnsessel des Oberpriesters Ameni und an seiner Seite saßen die aus Chennu berufenen Priester, zwei stattliche, ältere Männer von dunklerer Hautfarbe.

Die übrigen Gäste waren genau nach der Höhe der Stellung geordnet, die sie in dem Priesterkollegium des Tempels einnahmen, und die sich keineswegs allein nach ihrem Alter richtete.

So streng auch die Plätze nach der Rangordnung der Tischgenossen vertheilt waren, so zwanglos mischte sich jeder Einzelne in das Gespräch.

»Unsere Berufung nach Theben,« sagte der ältere der aus Chennu in das Setihaus versetzten Priester, Tuauf, dessen Lehrbriefe in den Schulen häufig benützt wurden,Einige derselben blieben erhalten. »wissen wir zu schätzen, denn einerseits bringt sie uns in die Nähe des Pharao, dem Leben, Heil und Gesundheit blühe, andererseits gewährt sie uns die Ehre, uns zu den Euren rechnen zu dürfen, denn wenn auch das Kollegium von Chennu in früheren Zeiten manchen großen Mann zu den Seinen rechnete und in seinen Schulen auszubilden das Glück hatte, so vermag es sich doch nicht mehr mit dem Setihause zu messen. Selbst Heliopolis und Memphis stehen hinter euch zurück, und wenn ich Kleinerer mich dennoch guten Muthes neben so viele Größere zu stellen wage, so geschieht es, weil ich euere Erfolge eben so wohl der in eurem Tempel wirksamen göttlichen Kraft, die auch mein Können und Vollbringen steigern wird, als euerer hohen Begabung und euerem Fleiße, an dem es auch bei mir nicht fehlen soll, zuschreibe. Schon hab' ich den Oberpriester Ameni gesehen; welch' ein Mann. Wer kennt nicht Deinen Namen, Gagabu, wer nicht den Deinen, Meriapu!«

»Und wen von euch,« fragte der andere Neuangekommene, »dürfen wir als den Dichter des schönsten Hymnus an Amon begrüßen, welcher jemals im Sykomorenlande gesungen ward? Wer von euch ist Pentaur?«

»Der leere Stuhl dort hinten,« sagte Gagabu, indem er auf einen Sessel am untersten Theile der Tafel deutete, »wartet seiner. Er ist der Jüngste von uns Allen; aber ihm wird eine große Zukunft blühen.«

»Und seinen Gesängen nicht minder,« fügte der ältere der aus Chennu angelangten Gelehrten hinzu.

»Ohne Zweifel,« entgegnete der erste Vorsteher der HoroskopenStundenschauer. Eine der Priesterordnungen in der ägyptischen Hierarchie., ein älterer Mann mit einem gewaltigen, grauen Krauskopfe, der zu schwer zu sein schien für seinen dünnen, vielleicht durch die Gewohnheit des steten nach Zeichen Ausschauens weit vorgestreckten Hals, indem seine stark gewölbten Augen fanatisch glühten, »ohne Zweifel haben die Götter unserem jungen Freunde reiche Gaben verliehen; aber es muß dahingestellt bleiben, wie er sie gebrauchen wird. Ich finde eine gewisse Ungebundenheit des Geistes bei diesem Jüngling, welche mich ängstigt. Wenn er dichtet, so fügt sich zwar seine geschmeidige Rede den vorgeschriebenen Formen, aber seine Gedanken fliegen über das Hergebrachte hinaus, und in dem auch für die Ohren des Volks bestimmten Hymnus finde ich Wendungen, die man einen Verrath an den Mysterien, die er doch erst vor wenigen Monden geheim zu halten beschworen hat, nennen könnte. Da sagt er, und wir singen's ihm nach und Laien hören's:

›Einzig bist Du, Du Schöpfer der Wesen,
Und allein, der Du Alles machst, was geschaffen‹

und weiter:

›Er ist einzig, allein und sondergleichen,
Wohnend im Allerheiligen.‹Hymnus an Amon. Erhalten aus einem zu Bulaq konservirten Papyrus. Behandelt von Grebaut und L. Stern.

»Stellen wie diese sollten nicht öffentlich gesungen werden dürfen, am wenigsten in einer Zeit wie der unseren, in der Neuerungen aus der Fremde eindringen wie die von Osten kommenden Heuschreckenschaaren.«

»Mir aus der Seele gesprochen!« rief der Schatzmeister des Tempels. »Ameni hat diesen Jüngling zu früh in das Mysterium eingeführt.«

»Auf meinen, seines Lehrers Vorschlag,« sagte Gagabu. »Unsere Genossenschaft kann stolz sein auf ein Mitglied, das den Ruhm unseres Tempels glänzend erhöht. Das Volk hört seinen Hymnus und dringt nicht ein in den tieferen Sinn seiner Worte. Ich sah die Laien niemals andächtiger, als da das tief empfundene und schöne Loblied beim Feste der TreppeHohes, besonders feierlich in der Nekropole von Theben im Tempel von Medinet Habu begangenes Fest. gesungen ward.«

»Pentaur war von je Dein Liebling,« rief der Vorsteher der Horoskopen. »Einem Anderen würdest Du Mancherlei nicht gestatten, das Du von ihm hinnimmst. Sein Hymnus bleibt für mich und Andere ein gefährliches Machwerk; oder leugnest Du, daß wir Grund zu ernsten Besorgnissen haben und Dinge geschehen und Zustände erwachsen, die uns hemmen und endlich vielleicht erdrücken werden, wenn wir ihnen nicht, so lang es noch Zeit ist, unerbittlich entgegentreten?«

»Du bringst Sand in die Wüste und gießt Honig auf die Dattel,« rief Gagabu und seine Lippen begannen zu zucken. »Nichts ist jetzt wie es sein sollte und es wird hart zu kämpfen geben, aber nicht mit Schwertern, sondern hiemit und damit –« und der lebhafte Mann schlug sich auf die Stirn und die Lippen. »Wer aber ist da und hier besser bestellt als mein Schüler? Der wird ein Vorkämpfer werden für unsere Sache, ein zweiter Hor Hut, der als geflügelte Sonnenscheibe den Bösen niederwarf. Da kommt ihr und wollt ihm die Schwingen stutzen und die Krallen beschneiden! Ach, ach und weh, ihr Herren, werdet ihr denn niemals begreifen, daß ein Löwe lauter brüllt als ein Kater und die Sonne heller leuchtet als eine Thranlampe? Laßt mir den Pentaur ungeschoren, sag' ich euch, sonst handelt ihr wie jener Mann, der sich aus Furcht vor Zahnschmerzen die gesunden Zähne ausreißen ließ. Ach, ach und weh', wir werden zu beißen bekommen in den nächsten Jahren, daß die Fleischstücke fliegen und das Blut strömt, wenn wir nicht erleben wollen, daß man uns selbst auffrißt.«

»Auch uns ist der Feind nicht unbekannt geblieben,« sagte der ältere Chennupriester, »obgleich wir an der entlegenen Südgrenze des Reichs Manches von uns fern zu halten wußten, das im Norden wie ein Krebsschaden an unserem gesunden Leibe frißt. Das Fremde wird hier kaum mehr für unrein und typhonischgehalten.«

»Kaum mehr?« rief der Vorsteher der Horoskopen. »Herbeigelockt wird es, geliebkost und verehrt. Wie Staub, wenn die Glutwinde wehen durch die Fugen eines Holzhauses, so dringt es in Sitte und Sprache,Zu keiner Zeit gebrauchten die ägyptischen Schriftsteller mehr semitische Fremdwörter, als in der Ramses II. und seines Sohnes Mernephtah. in die Häuser und selbst in die Tempel ein und auf dem Throne der Nachfolger des Ra sitzt ein Abkömmling . . .«

»Vermessener,« rief in diesem Augenblicke die Stimme des den Saal betretenden Oberpriesters, »hüte Deine Zunge und unterstehe Dich nicht, sie gegen denjenigen zu brauchen, der unser König ist und als Stellvertreter des Ra das Szepter in diesen Landen führt.«

Der Vorsteher der Horoskopen neigte sich schweigend. Dann erhoben sich mit ihm alle Festgenossen, um Ameni zu begrüßen, der ihnen freundlich und würdevoll zuwinkte, seinen Sitz einnahm und, sich an Gagabu wendend, gelassen fragte:

»Ich sehe euch in unpriesterlicher Erregung. Was störte das Gleichgewicht euerer Seelen?«

»Wir gedachten des übermächtig in Aegypten eindringenden Fremden und der Notwendigkeit, ihm Widerstand entgegenzusetzen.«

»Ihr werdet mich unter den Vorkämpfern finden,« sagte Ameni. »Vieles haben wir ertragen und neue Nachrichten aus dem Norden sind angelangt, die mich schwer bekümmern.«

»Haben unsere Truppen eine Niederlage erfahren?«

»Sie blieben siegreich, aber neue Tausende unserer Landsleute sind in den Schlachten und auf den Märschen ein Opfer des Todes geworden. Ramses begehrt neue Hülfsvölker. Der Wegeführer Paaker hat mir einen Brief von unseren, den König umgebenden Genossen und dem Statthalter ein Schreiben des Pharao überbracht, welches den Befehl ertheilt, ihm fünfzigtausend Streiter nachzusenden, und, weil die ganze Kriegerkaste und alle Hülfsvölker bereits unter Waffen stehen, die Hörigen der Tempel, welche unsere Äcker bestellen, auszuheben und nach Asien zu senden.« –

Ein Gemurmel des Unwillens erhob sich bei diesen Worten. Der Vorsteher der Horoskopen stampfte mit dem Fuß und Gagabu fragte: »Was gedenkst Du zu thun?«

»Die Erfüllung des königlichen Befehls vorzubereiten,« antwortete Ameni, »und ungesäumt die Vorsteher aller Tempel der Amonstadt zu einer Rathsversammlung hieher zu berufen. Ein Jeder soll in seinem Allerheiligsten die Gottheit um weise Einsicht bitten. Haben wir einen Entschluß gefaßt, so wird es zunächst gelten, den schwankenden Sinn des Statthalters zu kräftigen. Wer wohnte gestern seinen Gebeten bei?«

»Die Reihe war an mir,« sagte der Vorsteher der Horoskopen.

»Folge mir nach der Mahlzeit in meine Wohnung,« befahl Ameni. »Aber warum fehlt unser Dichter in eurem Kreise?«

In diesem Augenblicke betrat Pentaur die Halle und bat, indem er sich frei und würdig vor den anderen Tischgenossen und tief vor Ameni verneigte, ihm zu gestatten, den blinden Pastophoren Teta mit dem Arzte Nebsecht zu der Paraschitentochter schicken zu dürfen. Ameni nickte zustimmend und rief: »Sie sollen sich beeilen. Paaker harrt ihrer an der großen Pforte und wird sie in meinem Wagen begleiten.«

Sobald Pentaur die Schmausenden verlassen hatte, rief der ältere Priester aus Chennu, indem er sich an Ameni wandte: »Wahrlich, heiliger Vater, so und nicht anders hab' ich mir eueren Dichter gedacht. Er gleicht dem Sonnengott und seine Haltung ist die eines Fürsten. Gewiß entstammt er einem edlen Hause!«

»Sein Vater ist ein schlichter Gärtner,« sagte der Oberpriester, »der zwar das ihm von unserem Tempel zugetheilte Land mit Fleiß und Geschick verwerthet, aber unedel ist an Gestalt und von rauhen Sitten. Er schickte Pentaur früh in die SchuleEs geht aus den Papyrus mit Sicherheit hervor, daß auch die Söhne geringer Leute, dafern sie die vorgeschriebenen Bedingungen erfüllten, in die Priesterschaft Aufnahme finden konnten. Abgeschlossene Kasten, wie die Inder, besaßen die Aegypter nicht. und wir zogen hier den vortrefflich begabten Knaben heran zu dem was er ist.«

»Welche Aemter bekleidet er hier im Tempel?«

»Er unterrichtet die ältesten Zöglinge der hohen Schule in der Sprachlehre und Redekunst; auch ist er ein vortrefflicher Beobachter des gestirnten Himmels und der sinnreichste unter unseren Traumdeutern,« erwiederte Gagabu. »Aber da ist er ja wieder! Zu wem führt Paaker unsern stammelnden Chirurgen und seinen Helfer?«

»Zu der überfahrenen Paraschitentochter,« gab Pentaur zurück. »Aber welch' ein rauher Mann ist dieser Wegeführer! Seine Stimme thut meinen Ohren weh und er begrüßte damit unsere Aerzte, als wenn sie seine Sklaven wären.« –

»Er war verdrossen über den Auftrag, welchen die Prinzessin ihm ertheilte,« sagte der Oberpriester begütigend, »und leider hat seine werkthätige Frömmigkeit seine unfreundliche Sinnesart nicht zu mildern vermocht.«

»Und dabei,« sagte ein älterer Priester, »ist sein Bruder, der uns vor einigen Jahren verließ und mich zu seinem leitenden Lehrer erwählte, ein besonders liebenswerther und fügsamer Jüngling.«

»Und sein Vater,« sagte Ameni, »war einer der vorzüglichsten, thatkräftigsten und dabei feinsinnigsten Männer.«

»So wird er die üblen Eigenschaften von der Mutter geerbt haben.«

»Mit nichten. Sie ist eine sanfte, freundliche, weichherzige Frau.«

»Muß denn,« fragte Pentaur, »das Kind durchaus den Eltern gleichen? Von den Söhnen des heiligen Stieres soll doch keiner jemals die Abzeichen seines Vaters getragen haben.«

»Und wenn Paaker's Vater ein Apis war,« lachte Gagabu, »so gehört der Wegeführer nach Deiner Meinung, ach und weh! in den Bauernstall.«

Pentaur widersprach nicht, sondern sagte lächelnd: »Er ist sich seit der Schulbank, wo ihn die Buben wegen seiner Ungeberdigkeit ›den Waldesel‹ nannten, gleich geblieben. Er war stärker als die meisten unter ihnen, und doch kannten sie kein größeres Vergnügen, als ihn zur Wuth zu reizen.«

»Kinder sind grausam,« sagte der Oberpriester. »Sie sehen immer nur die Erscheinungen und fragen nie nach den Ursachen derselben. Der mangelhaft Begabte gilt ihnen für ebenso schuldig wie der Träge, und Paaker hatte wenig einzusetzen, um ihre Schonung zu verdienen. Ich halte« – und dabei wandte Ameni seine Augen den Priestern von Chennu zu – »auf Freiheit und Heiterkeit unter unseren Zöglingen, denn knebelt man die frische Jugendluft, so legt man seine besten Helfer lahm! Die Auswüchse in den Neigungen der Knaben können nirgends sicherer und schmerzloser ausgerottet werden, als bei ihren wilden Spielen. Der Schüler ist des Schülers bester Erzieher!«

»Aber Paaker,« sagte der Priester Meriapu, »ist durch den Uebermuth seiner Genossen nicht gefördert worden. Im steten Kampfe mit ihnen hat sich jene Schroffheit gesteigert, die ihn jetzt zum Schrecken seiner Untergebenen macht und ihm viele Herzen entfremdet.«

»Er war der unglücklichste von all' den vielen Knaben, die meiner Obhut anvertraut gewesen sind,« erwiederte Ameni, »und ich glaube zu wissen wodurch. Ihm fehlte der kindliche Sinn, da er dem Alter nach noch ein Kind war, und die Gottheit versagte ihm die himmlische Gabe des Leichtsinns. Genügsam soll die Jugend sein und anspruchsvoll war er von Kindheit an. Den Spaß seiner Mitschüler nahm Paaker für Ernst, ihren Scherz für Narrheit, ihre Neckereien für Anfeindungen, und sein nur als Erzieher unweiser Vater munterte ihn statt zur Nachgiebigkeit zum Widerstand auf, in der Meinung, daß er sich durch diesen zu dem kampfreichen Leben eines Mohar stählen werde.«

»Ich habe oft von den Thaten des MoharDie Obliegenheiten und schweren Aufgaben des Mohar (Helden) kennen wir genau durch den Papyrus Anastast I. (British Museum). Vorzüglich behandelt von F. Chabas in seiner Voyage d'un Égyptien. reden hören,« sagte der ältere Priester aus Chennu, »doch weiß ich nicht genau, was sein Amt von ihm fordert.«

»Er hat,« antwortete Gagabu, »mit auserlesenen und verwegenen Leuten das Feindesland zu durchstreifen und sich über die Art und Zahl der Bevölkerung zu vergewissern, die Richtung der Berge, Thäler und Flüsse zu erforschen, seine Wahrnehmungen aufzuzeichnen und sie dem Herrn des KriegshausesWohl mit unserem »Kriegsminister« zu vergleichende, auf den Denkmälern schon früh vorkommende Würde. zu übergeben, der nach ihnen die Märsche der Truppen anordnet.«

»So muß der Mohar als Krieger und Schreiber gleich bewandert sein.«

»Du sagst es, und Paaker's Vater ist nicht nur ein Held, sondern zu gleicher Zeit ein Schriftsteller gewesen, dessen knappe und klare Berichte gestattet haben, das von ihm bereiste Land zu überblicken, als stünde man auf eines Berges Spitze. Er war der Erste, der den Namen des Mohar empfing. Der König hielt ihn so hoch, daß er nur von ihm und dem Herrn des Kriegshauses, Befehle anzunehmen hatte.«

»Gehörte er zu einem edlen Geschlechte?«

»Zu einem der ältesten und edelsten des ganzen Landes. Sein Vater war der herrliche Krieger Assa,« antwortete der oberste der Horoskopen, »und dazu führte er, nachdem er selbst zu hohem Ansehen und ungewöhnlichem Reichthum gelangt war, die Nichte des Königs Hor-em-heb heim, die so gut wie der Statthalter ein Anrecht auf den Thron haben würde, wenn nicht der Großvater des Ramses ihr Geschlecht durch einen Gewaltstreich des Thrones beraubt hätte.«

»Wäge Deine Worte,« sagte Ameni, die Rede des heftigen Greises unterbrechend. »Ramses I. ist und bleibt der Großvater unseres Königs, und in den Adern des letzteren fließt durch seine Mutter das Blut der echten Nachkommen des Sonnengottes.«

»Aber voller und unvermischter wogt es doch wohl in denen des Statthalters!« wagte der Horoskop zu erwiedern.

»Doch Ramses trägt die Krone,« rief Ameni, »und wird sie tragen, so lange es den Göttern genehm ist. Bedenke, daß Deine Haare grau sind und aufrührerische Worte den Feuerfunken gleichen, die der Wind oft verweht, die aber, wenn sie unglücklich fallen, unser Haus in Brand stecken können. Freut euch weiter des Mahles, – ihr Herren. Ich bitte euch am heutigen Abend nicht mehr über den König und die neue Verordnung zu sprechen. – Du, Pentaur, erfülle morgen meinen Befehl mit Strenge und Weisheit!«

Der Oberpriester winkte und verließ die Schmausenden.

Sobald sich die Thüre hinter ihm geschlossen hatte, sagte der ältere Priester aus Chennu:

»Was wir über den Wegeführer des Königs, den Träger eines so wichtigen Amtes, vernahmen, überrascht mich. Zeichnet er sich durch besonderen Scharfsinn aus?«

»Er war ein zäher Lerner von mittelmäßiger Begabung.«

»So ist die Würde des Mohar erblich, wie die eines Reichsfürsten?«

»Bewahre!«

»Aber wie konnte denn . . .?«

»Das ging wie es ging,« unterbrach der alte Gagabu den Frager. »Des Winzers Sohn hat den Mund voll Trauben und das Kind des Thürhüters sprengt mit Worten die Schlösser.«

»Immerhin,« fügte ein älterer Priester, der bis dahin geschwiegen hatte, hinzu, »hat sich Paaker als Mohar Verdienste erworben und besitzt Eigenschaften, die zu loben sind. Er ist unermüdlich und zäh, weicht vor keiner Gefahr zurück und war ein Frommer von großer Werkthätigkeit schon als Knabe. Wenn die anderen Schüler ihr Taschengeld zu den Obstverkäufern und Zuckerbäckern an den Tempelpforten trugen, so kaufte er Gänse, und, wenn ihm von seiner Mutter reichere Geschenke zuflossen, junge Gazellen, um sie den Himmlischen aus den Altar zu legen. Kein Großer des Landes besitzt einen reicheren Schatz an Amuleten und Götterfiguren als er, – heute noch ist er der Frömmsten einer und die Todtenopfer, welche er seinem verstorbenen Vater stiftete, sind geradezu königlich zu nennen.«

»Wir wissen ihm Dank für diese Gaben,« sagte der Schatzmeister, »und die hohe Verehrung, mit der er seines Vaters auch nach dessen Tode gedenkt, ist ungewöhnlich und rühmlich.«

»Er eifert ihm nach in allen Stücken,« spottete Gagabu, »und wenn er auch in keinem Zuge seinem Vater gleicht, so ist er ihm doch nach und nach ähnlich geworden; aber, ach und weh, wie die Gans dem Schwan oder die Eule dem Adler! Da war Stolz, hier ist Hochmuth, da freundliche Strenge, hier ist rohe Härte, da war Würde, hier ist Dünkel, da war Beharrlichkeit, hier ist Trotz. Fromm ist er und seine Gaben können wir brauchen. Der Schatzmeister soll sich ihrer freuen und die Datteln von einem verkrüppelten Baume schmecken so gut wie die von einem graden! Aber wär' ich die Gottheit, ich schätzte sie nicht höher als eine Wiedehopffeder, denn wie sieht es in dem Herzen aus, das sie darbringt, ach und weh, wie sieht es aus! Die Wolken und der Sturm gehören dem Seth, und da drinnen, da, da,« und der Alte schlug seine breite Brust, »da tobt es und wirbelt es, und vom blanken, blauen Himmel des Ra, der in der Seele des Frommen freundlich und rein erglänzen soll, keine Stelle so groß wie dieser Weizenkuchen.«

»Hast Du sein Herz ergründet?« fragte der Horoskop.

»Wie diesen Becher!« rief Gagabu, indem er den Rand des blanken Trinkgeschirrs auf seinen Nagel preßte. »Seit fünfzehn Jahren, unabläßlich! Dieser Mensch war uns dienlich, ist es noch und wird es bleiben. Unsere Aerzte brauchen auch bittere Fischgalle und Menschen mordende Gifte als Heilmittel; und Leute wie dieser . . .«

»Der Haß redet aus Dir,« unterbrach der Horoskop den erregten Alten.

»Der Haß?« wiederholte dieser und seine Lippen zuckten. »Der Haß?« – und er schlug mit der Faust auf die breite Brust. »Wohl ist er kein fremder Gast in diesem alten Gefäße; aber jetzt öffne Deine Ohren, Horoskop, und ihr Anderen alle sollt mich hören! Zwei Arten des Hasses kenn' ich. Die eine ist der des Menschen gegen den Menschen und diesen hab' ich in mir geknebelt, ertödtet, erstickt, vernichtet – ach und weh, unter welchen Kämpfen! Vor Jahren freilich hab' auch ich seine Bitterniß geschmeckt und wie die Wespen gehandelt, die, ob sie gleich wissen, daß sie das Leben verlieren, wenn sie stechen, dennoch ihren Stachel gebrauchen. Nun aber wurden mir viele Tage des Daseins, das heißt der Belehrung zu Theil und ich weiß, daß von allen starken Trieben, die unser Herz bewegen, nur einer ganz dem Seth, nur einer vollkommen dem Bösen angehört, und das ist der Haß des Menschen gegen den Menschen. Die Habsucht kann den Fleiß, die sinnliche Begierde edle Frucht erzeugen; aber der Haß ist ein Verwüster, und in dem von ihm erfüllten Herzen wächst alles Edle statt in das Licht hinein, rückwärts in den Boden und in das Dunkel. Alles mag die Gottheit vergeben, nur nicht den Haß des Menschen gegen den Menschen! – Aber es gibt eine andere Art des Hasses, die den Himmlischen gefällt, und die ihr hegen mögt, wie ich sie nicht missen möchte in meiner Brust: Das ist der Haß gegen Alles, was der Entfaltung des Lichten und Guten und Reinen hindernd entgegensteht, der Haß des Horus gegen Seth. So sollen die Götter mich strafen, wenn ich den Wegeführer Paaker, dessen Vater mir lieb war, hasse; aber die Geister der Finsterniß mögen dieses alte Herz aus meiner Brust reißen, wenn es den Abscheu einbüßt vor dem unlautern, habsüchtigen Opferspender, der irdisches Glück von den Göttern mit Thierschenkeln und Weinkrügen kaufen will, wie man von den Händlern einen Rock und einen Esel erschachert, und in dessen Seele sich finstere Triebe tummeln. – Paaker's Gaben können die Himmlischen nicht mehr erfreuen, wie Dich, Horoskop, ein Gefäß voll Rosenöl, in dem Skorpione, Tausendfüße und Giftschlangen schwimmen. Lange hab' ich die Gebete dieses Mannes geleitet und nimmer hört' ich um edle Güter, tausendmal um das Verderben des Menschen flehen, den er haßt.«

»In den heiligsten Gebeten aus alten Zeiten,« sagte der Horoskop, »werden die Götter angefleht daß sie unsere Feinde unter unsere Fußsohlen werfen möchten, und zudem hörte ich Paaker nicht selten für das Wohl seiner Eltern inbrünstig flehen.«

»Du bist ein Priester, ein Eingeweihter,« rief Gagabu, »und, ach und weh! Du weißt nicht oder willst nicht wissen, daß unter den Feinden, um deren Vernichtung wir bitten, nur die Dämonen der Finsterniß und die Aegypten gefährdenden Völker des Auslandes gemeint sind? Für seine Eltern hat Paaker gefleht? Das wird er auch für seine Kinder thun; denn sie werden seine Zukunft sein, wie die Eltern seine Vergangenheit sind. Hätt' er ein Weib, so würden auch ihm seine Opfer gelten, denn sie würde die Hälfte seiner eigenen Gegenwart bilden.«

»Und trotz alledem,« entgegnete der Horoskop Sephtah, »beurtheilst Du den Wegeführer zu hart, denn wenn er gleich unter glücklichen Zeichen geboren ward, so versagten ihm doch die HathorenS. Anmerkung 4. Alles, was die Jugend beglückt. Der Feind, um dessen Vernichtung er fleht, ist Mena, der Rosselenker des Königs. Und wahrlich, er würde übermenschlich edel oder unmännlich weich handeln, wenn er Gutes für den Mann erwünscht wollte, der ihm das schöne Weib geraubt hat, das für ihn bestimmt war.«

»Wie konnte Solches geschehen?« fragte einer der Priester aus Chennu. »Ein Verlöbniß ist heilig.«In dem zu Bulaq konservirten, zuerst von H. Brugsch behandelten demotischen Papyrus (Roman vom Setnau) heißt es: »Ist es denn nicht das Gesetz welches den Einen mit dem Andern verbindet?« Bräute werden erwähnt, z. B. auf dem Sarkophage des Unnefer zu Bulaq.

»Paaker war,« erwiederte der Horoskop, »mit der ganzen Kraft seines ungelenken, aber leidenschaftlichen und zähen Herzens seiner Base Nefert zugethan, dem holdesten Kind in Theben, der Tochter der Katuti, der Schwester seiner Mutter, und man hatte sie ihm zum Weibe versprochen. Da ward sein Vater, den er auf seinen Zügen begleitete, in Syrien tödtlich verwundet. Der König stand an dem Sterbelager des Helden, erhörte seine letzte Bitte und belehnte Paaker mit seiner Würde. Der brachte denn die Mumie seines Vaters nach Theben, ließ ihn fürstlich bestatten und mußte vor Ablauf der Trauerzeit nach Syrien zurück, wo es, während der König nach Aegypten heimgekehrt war, für ihn, der neue Gebiete auszukundschaften hatte, vollauf zu thun gab. Endlich durfte auch er mit der Hoffnung, sich nunmehr mit Nefert vermählen zu können, den Kriegsschauplatz verlassen. Er jagte seine Rosse zu Tode, um das Ziel seiner Sehnsucht schneller zu erreichen; aber schon in der Ramsesstadt Tanis erfuhr er, daß die ihm versprochene Base die Gattin eines Andern, des schönsten und tapfersten Mannes im Heere, des edlen Mena, geworden sei. Je kostbarer ein Ding ist, auf dessen Besitz wir hoffen, je berechtigter sind wir doch wohl, Demjenigen zu grollen, der es uns streitig macht und an sich zu bringen weiß. Paaker müßte Froschblut in seinen Adern haben, wenn er Mena vergeben hätte, statt ihn zu hassen, und es zählen auch die Rinder nach Hunderten, welche er unseren Göttern darbrachte, um ihren Zorn auf den Räuber seines Glücks zu lenken.«

»Und als ihr sie annahmt, obgleich ihr wußtet wofür, habt ihr unweise und unrecht gehandelt,« rief Gagabu. »Wär' ich ein Laie, ich würde mich wohl hüten, der Gottheit zu dienen, die sich gegen Lohn herbeiläßt, den unreinsten menschlichen Begierden zu Hülfe zu kommen. Aber der allwissende Geist, der nach ewigen Gesetzen freundlich die Welt regiert, weiß nichts von diesen Opfern, die nur die Nase des Bösen kitzeln. Der Schatzmeister freute sich, als man das schöne, blanke Vieh in unsere Hürden trieb; aber Seth hat seine rothen FäusteDie Farbe des Seth Typhon war das Rothe. Das Böse, Schädliche wird z. B. im Papyrus Ebers geradezu das Rothe genannt. Rothhaarige Menschen galten für typhonisch. vor Vergnügen heiß gerieben, da er es annahm! Ihr Freunde, ich habe die Verwünschungen mit angehört, die Paaker wie Spülwasser, das man den Schweinen vorsetzt, über unsere reinen Altäre ausgoß. Pestilenz und Beulen, Jammer und Tod hat er auf ihn herniedergewünscht und Unfruchtbarkeit und Herzeleid auf das arme, holde Weib, dem ich wahrlich nicht verdenke, daß es ein Schlachtroß dem Nilpferd, einen Mena dem Paaker vorzog.«

»Die Himmlischen aber müssen seine Klagen weniger unberechtigt gefunden und strengere Ansichten über den Bruch eines Verlöbnisses haben, als Du,« sagte der Schatzmeister, »denn Nefert war in einer vierjährigen Ehe nur wenige Wochen mit ihrem reisigen Gatten vereint und blieb kinderlos. Es wird mir schwer, zu begreifen, Gagabu, wie Du, der Du sonst freisprichst, wo wir Alle verdammen, einen der größten Wohlthäter unseres Tempels so schonungslos verurtheilen magst.«

»Und ich verstehe sonder Mühe!« rief der Alte, »wie ihr, die ihr sonst so gern verdammt, diesen, diesen – nennt ihn, wie ihr wollt, so emsig entschuldigen mögt!«

»Er ist uns unentbehrlich in dieser Zeit,« sagte der Horoskop.

»Zugegeben!« rief Gagabu, indem er seine Stimme senkte. »Auch ich denk' ihn noch zu gebrauchen, wie ihn der Oberpriester seit Jahren benützt hat zum Besten unserer gefährdeten Sache; denn auch ein schmutziger Weg ist gut, wenn er zum Ziele führt. Selbst die Gottheit leitet oft durch das Böse zum Heil; aber sollen wir darum das Böse gut und das Häßliche schön nennen? Braucht den Wegeführer wie ihr wollt, verlernt aber nicht, weil ihr ihm Gaben schuldet, ihn nach seinen Empfindungen und Thaten zu beurtheilen, wenn ihr euren Namen der Eingeweihten und Erleuchteten verdienen wollt. Laßt ihn all' sein Vieh in den Tempel treiben und all' sein Gold in unsere Schatzkammer schütten, aber befleckt euch nicht mit dem Gedanken, daß Gaben aus solchem Herzen und von solcher Hand der Gottheit genehm sind! Vor Allem,« und bei diesen Worten gewann die Stimme des Alten eine von Herzen kommende Innigkeit, »vor Allem spiegelt dem irrenden Manne nicht vor, – und das thut ihr noch immer, – daß er auf dem rechten Wege wandle, denn eure, denn unsere erste Pflicht, ihr Freunde, bleibt es, die Seelen Derer, die sich uns anvertrauen, dem Guten und Rechten zuzuführen.«

»O, mein Lehrer,« rief Pentaur, »wie mild ist Deine Härte!«

»Ich zeigte euch die häßlichen Schwären dieses Mannes,« sagte der Alte, »indem er sich erhob und die Halle verließ, »euer Lob wird sie verhärten, euer Tadel erweichen. Gefällt es euch fürder nicht, hier eure Pflicht zu thun, so kommt der alte Gagabu eines Tages mit seinem Messer, wirft den Kranken nieder und schneidet!«

Der Horoskop hatte während der Rede des Greises mehrmals die Achseln gezuckt. Jetzt sagte er, indem er sich an die Priester aus Chennu wandte: »Gagabu ist ein alter, weicher Brausekopf und ihr habt aus seinem Mund eine Predigt vernommen, wie man sie wohl auch bei euch den jungen Schreibern hält, die das Amt des Seelsorgers antreten sollen. Seine Gesinnung ist rein, aber er vergißt gern dem Kleinen zu liebe das Große. Ameni wird euch sagen, daß es auch unter uns auf zehn Seelen, oder hundert nicht ankommt, wenn es sich um das Heil des Ganzen handelt.«


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