Georg Ebers
Die Nilbraut
Georg Ebers

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Neununddreißigstes Kapitel.

Die Witwe Susanna war der Damascenerin nie zugethan gewesen, doch ihr Schicksal erschreckte sie und erweckte ihr Mitleid. Man mußte nachfragen, ob es nicht angehe, ihr statt der Gefangenenkost bessere Nahrung in den Kerker zu schicken. Das war Christenpflicht, und ihrer Tochter schien das Unglück der Freundin auch sehr nahe zu gehen; denn wie sie mit Frau Martina zurückkam, sah sie so niedergeschlagen und verwirrt aus, daß es Fremden gewiß nicht eingefallen wäre, sie mit einem munteren Vögelchen zu vergleichen.

Wiederum hatte ein giftiger Pfeil sie getroffen.

Bisher war sie schlecht gewesen für sich allein, jetzt war sie es auch im Bewußtsein eines andern Menschen.

Paula wußte, daß sie sie verraten! Die Verräterin hatte einen Verräter gefunden. Die Verhaßte war berechtigt, sie für bös und hämisch zu halten, und das machte sie ihr noch tiefer verhaßt.

Wo wäre sie bisher nicht freundlich begrüßt und liebreich empfangen worden, und welche Abweisung hatte sie heute erfahren, nicht nur von Paula, sondern auch von Frau Martina, die etwas bemerkt haben mußte und deren herbe Zurückhaltung ihr vorhin unerträglich erschienen war.

Der alte Bischof trug schuld an dem allem; denn er war seinem Versprechen untreu geworden, ihren Verrat so geheim wie die Beichte zu halten. Ja, er mußte wortbrüchig geworden sein; denn sie besaß keinen Mitwisser. Vielleicht hatte er gar auch den Arabern ihren Namen genannt, und dann mußte sie Zeugnis vor Gericht ablegen, und in welchem Licht stand sie dann da vor Orion, ihrer Mutter, Frau Johanna und Martina?

Der alte Rufinus, sie hatte es wohl bemerkt, war bei dem Unternehmen zu Grunde gegangen, und das that ihr leid. Die Nachbarinnen hatten ihr ja immer nur Freundliches erwiesen, und sie wollte sie nicht gern unglücklich machen. Mußte sie vor Gericht alles bekennen, so konnte es auch ihnen übel ergehen, und sie wünschte niemand Böses außer denen, die sie um Orions Liebe betrogen.

Ja, das Zeugnis vor Gericht, das war das Schlimmste und mußte vermieden werden um jeden Preis.

Wo steckte nur der Bischof Plotinus?

Er war schon gestern heimgekehrt und noch nicht bei der Mutter gewesen, die er sonst tagtäglich besuchte. Auch hinter diesem Ausbleiben witterte sie Unheil. Es kam alles darauf an, den alten Herrn möglichst bald an sein Versprechen zu erinnern; denn wenn er morgen früh bei dem Verhör, dem er gewiß beiwohnen mußte, ihren Namen nannte, dann drangen die Häscher, die Dolmetscher und Schreiber auch in ihr Haus, und dann – brrr – sie hatte schon einmal Zeugnis ablegen müssen, und das, was darauf gefolgt war, das wollte sie nicht zum zweitenmal erleben.

Aber wie konnte sie heute oder wenigstens morgen in der frühesten Frühe zu dem Bischof gelangen?

Der Wagen war noch unterwegs, und wenn sie . . . Es fehlten noch zwei Stunden an Mitternacht . . . Ja, so mußte es gehen!

Ungesäumt begann sie mit der Mutter über das Ausbleiben des Prälaten zu reden. Auch Frau Susanna zeigte sich darüber besorgt, zumal sie gehört hatte, daß der alte Herr unwohl von der Reise zurückgekehrt und sein Diener umhergelaufen sei, um einen Arzt zu suchen.

Da erbot sich Katharina, sogleich bei ihm vorzufahren. Der Wagen sei angeschirrt, die Amme könne sie begleiten. Sie müsse hin zu dem würdigen Freunde und hören, wie es ihm gehe.

Frau Susanna fand das alles sehr schön, doch meinte sie, es sei sicher zu spät für dergleichen; aber ihr Liebling hatte einmal »ich muß« gesagt, und damit war die Frage von vornherein entschieden.

Frau Susanna streckte die Waffen, die Amme wurde gerufen, und sobald der Wagen vorfuhr, flog Katharina der Mutter um den Hals, versprach ihr, sich nicht lange aufzuhalten, und kurz darauf hielt das Fuhrwerk vor dem bischöflichen Palaste. Dort gebot sie der Amme, auf sie zu warten, und betrat allein das große, lang hingestreckte Gebäude.

In dem weiten Vorsaal, den nur ein bescheidenes Lämpchen erhellte, war alles still und leer, selbst der Thorhüter mußte ausgegangen sein; doch sie kannte hier Weg und Steg und trat durch das Impluvium in die Bücherei, wo der Bischof sonst zu dieser Stunde sich aufzuhalten pflegte. Aber es war dort dunkel, und niemand beantwortete ihr leises Rufen.

Im folgenden Zimmer, wohin sie sich mit einiger Befangenheit tastete, lag ein Sklave vor einem großen Weinkruge und einer Handleuchte und schnarchte. Sein Anblick beruhigte sie etwas. Das folgende Gemach war das Schlafzimmer Plotins, das sie noch nie betreten. Durch die geöffnete Thür schimmerte matter Lichtschein und klang ein wehes Wimmern und Röcheln.

Nun rief sie den Namen der Wirtschafterin einmal und wieder, doch sie erhielt keine Antwort. Auch der Sklave hinter dem Weinkrug regte sich nicht, wohl aber hörte sie eine ihr wohlbekannte Stimme, die aus dem Schlafgemach, mehr stöhnend als sprechend, fragte:

»Wer ist da? Kommt er? Hast Du ihn endlich?«

Die ganze Dienerschaft des Bischofs war aus Furcht vor der Krankheit entflohen, und so auch der Akoluth, welcher Weib und Kinder besaß. Die Wirtschafterin hatte ihren Herrn verlassen müssen, um des Arztes, der schon einmal dagewesen, von neuem habhaft zu werden. Der letzte zurückgebliebene Sklave, ein treuer, gutmütiger, leichtsinniger Säufer, sollte indessen die Pflege übernehmen, doch er hatte sich einen Weinkrug aus dem unbewachten Speicher geholt, ihn schnell geleert, und war dann, von Trunkenheit und der drückenden Schwüle dieser Nacht überwältigt, entschlummert.

Katharina gab sich sogleich zu erkennen und hörte sich mit einem freundlichen, aber mühsam herausgestoßenen: »Ah, Du, Du, meine Kleine!« begrüßen.

Nun ergriff sie die Handleuchte und trat damit auf den Kranken zu.

Dieser hatte ihr die mageren Arme zum Willkommen entgegengestreckt, doch als sich zugleich mit ihr auch die Leuchte näherte, schlug er die Hände vor die lichtscheuen Augen und rief ängstlich und schmerzlich:

»Nicht, nicht, das thut weh; fort mit der Lampe!«

Da stellte Katharina sie auf die niedere Truhe hinter dem Kopfende des Bettes, trat dem Leidenden mit freien Händen näher, bestellte ihm die Grüße der Mutter und fragte ihn, wie er sich befinde, und warum er so allein sei; er aber gab ihr nur undeutliche, mühsam hervorgeröchelte Antworten und bat sie, näher zu treten, weil er sie nicht deutlich verstehe. Es gehe ihm schlecht, er werde wohl sterben. Es sei schön von ihr, daß sie komme, sie sei immer sein Liebling gewesen, seine kleine, fromme Katharina. »Und es zieht Dich wohl her, Kind,« schloß er, »um Dir den Segen des Alten zu holen. Von ganzem Herzen sollst Du ihn haben.«

Dabei streckte er ihr freundlich die Hand hin, sie aber folgte einem inneren Drange und kniete gerührt vor dem Lager nieder.

Da legte er ihr die heiße Rechte auf den Scheitel und murmelte segnende Worte; sie aber hörte sie kaum; denn seine Hand schien ihr schwer wie Blei, und ihre Glut that ihr weh und beängstigte sie furchtbar. Ihn, den alten, treuen Freund ihrer Kindheit, so leiden, vielleicht sterben zu sehen, verursachte ihr aufrichtigen Schmerz, indessen vergaß sie doch nicht, was sie hieher geführt; aber wie durfte sie ihn bei seinem Liebeswerk stören?

Er segnete sie, das war so freundlich, doch das Gemurmel nahm und nahm kein Ende, und die Last der glühenden Hand auf ihrem Haupt ward schwerer und schwerer und zuletzt unerträglich. Ihrer selbst kaum mehr mächtig, raffte sie sich zusammen; und nun nahm sie wahr, daß der Greis statt der üblichen Segensformeln nur unverständliche, zusammenhanglose Worte murmelte.

Da befreite sie sich von der heißen, schrecklichen Hand, legte sie auf das Bett zurück und wollte ihn fragen, ob er sie verraten und dem Patriarchen ihren Namen genannt habe, doch, großer Gott, da waren ja an seinen Wangen dieselben dunklen Flecken wie auf denen des Verseuchten im Hause der Lockenmedea, und mit einem Schrei des Entsetzens sprang sie auf und riß das Lämpchen von der Truhe, und während sie dem Leidenden, ohne seines schmerzlichen Aufschreis zu achten, ins Antlitz leuchtete, zog sie ihm die matten Hände, mit denen er die Augen vor dem Lichtschein zu schützen suchte, gewaltsam beiseite und stürzte, nachdem sie sich überzeugt hatte, daß sie richtig gesehen, von Raum zu Raum in den Vorsaal.

Hier trat ihr die heimkehrende Wirtschafterin entgegen, nahm ihr die Leuchte aus der Hand und wollte sie mit Fragen aufhalten, sie aber rief ihr nur zu:

»Ihr habt die Seuche im Haus! Laß das Thor verschließen!« und eilte an dem Arzte vorbei ins Freie. Mit einem raschen Sprung war sie im Wagen, und wie die Pferde anzogen, wimmerte sie der Amme zu. »Die Seuche, die Seuche ist dort – Plotin hat die Seuche!«

Die erschreckte Frau versuchte Katharina zu beruhigen und versicherte, daß sie sich irren müsse; denn solche höllischen Dinge wagten sich nicht an einen so heiligen Mann; doch das Mädchen würdigte sie keiner Antwort und befahl ihr nur, gleich nach der Heimkehr ein Bad für sie zu bestellen.

Sie fühlte sich wie niedergeschmettert, und an der Stelle, wo die heiße Hand des verseuchten Greises so lang gelegen, empfand sie unaufhörlich einen starken, widrigen Druck; ja als der Wagen endlich in den Garten einfuhr, war ihr immer noch, als belaste etwas Warmes, Schweres, nie zu Beseitigendes, Gräßliches ihren Scheitel.

Die Fenster des Hauses waren schon dunkel; nur aus dem Zimmer zu ebener Erde, das Heliodora bewohnte, glänzte ihr noch Licht entgegen.

Da schoß ihr ein teuflischer Gedanke durch das überreizte, unruhige Gehirn, und ohne nach rechts und links zu schauen, gab sie ihm nach und trat, wie sie ging und stand, in das Wohngemach und dann durch einen Vorhang in das Schlafzimmer ihres schönen Gastes.

Da lag Heliodora, immer noch von dem Kopfschmerz geplagt, der sie gehindert hatte, an dem Besuch im Nachbarhause teilzunehmen, im Bette und bemerkte den späten Besuch erst, als er dicht vor ihr stand und sie begrüßte.

Eine einzige Lampe erhellte den großen Raum mit bescheidenem Licht, und so anmutig wie in ihrem dämmernden Schein war die junge Frau der Kleinen noch nie erschienen. Ein Nachtgewand von dem feinsten, durchsichtigen Gewebe verbarg nur halb ihre schönen Formen. Von dem vollen blonden Haar ging wohl der wundervoll feine, kaum merkliche Wohlgeruch aus, der diese Glückliche stets umgab. Wie zwei schimmernde Schlangen lag es in schweren Flechten über ihrem herrlich gewölbten Busen und dem weißen Betttuch. Das aufwärts gerichtete Gesicht war unendlich lieblich und still, ja sie glich, wie sie so dalag und Katharina zulächelte, einem von freundlichem Wohlthun ermüdeten Engel.

Dem Reiz dieser Frau konnte kein Mann widerstehen, und auch Orion war ihm verfallen.

Vor ihr lag eine Laute, der sie ganz leise, einschmeichelnde Töne entlockte, und diese steigerten noch den bestrickenden Reiz, den ihr Anblick ohnehin übte.

Katharinas ganzes Wesen befand sich in Aufruhr, und sie wußte nicht, wie es ihr gelang, Heliodoras Gruß zu erwidern und sie zu fragen, ob es denn möglich sei, mit schmerzendem Haupt die Leier zu schlagen.

»So leise mit den Fingern über die Saiten streichen, das beruhigt, das sänftigt das Blut,« antwortete sie freundlich. »Aber Du, Kind, Du siehst aus, als littest Du schwerer als ich. Kamst Du mit dem Wagen, der eben vorfuhr?«

»Ja,« versetzte Katharina. »Ich war bei unserem lieben alten Bischof; er ist sterbenskrank, und auch er wird uns bald entrissen. Ach, dieser Tag! Erst Orions Mutter, dann Paula, und nun auch das noch! O Heliodora, Heliodora!«

Dabei warf sie sich vor dem Lager auf die Kniee und schmiegte das Antlitz an die von Mitleid bewegte Brust der ruhenden Frau.

Diese sah die feuchten Augen des Mädchens, welche sich von selbst und ohne Zwang mit Thränen gefüllt hatten, und ihr weiches Herz ward mit ergriffen von dem Weh des frohen Geschöpfchens, dem schon früh so viel Schweres auferlegt ward, und sie beugte sich über die Kleine, küßte ihr freundlich die Stirn und sagte ihr tröstende Worte.

Und Katharina schmiegte sich fester an sie und wies auf die Stelle an ihrem Scheitel, auf der die heiße Hand des Seuchekranken gelegen, und sagte:

»Hieher, küsse mich hieher; hier, hier schmerzt es am meisten! Ja, so ist es gut, das thut wohl!«

Und während der frische Mund der weichherzigen, jungen Frau sich mit ihrem verpesteten Haar vermählte, schloß sie die Augen, und es ward ihr zu Mut wie dem Fechter, der die Waffen bisher nur auf dem Uebungsplatz gebrauchte und sie nun zum erstenmal in der Arena benützt, um dem Gegner das Herz zu durchbohren. Wie eine Fremde, größer als sie selbst kam sie sich vor; ja, sie war wie der alles bändigende Tod und hauchte sich selbst in die Brust ihres Opfers.

Diese Empfindungen beherrschten sie ganz, während sie auf dem weichen Teppich kniete, und sie bemerkte nicht, daß sich auf demselben eine Frauengestalt dem Lager ihrer Trösterin näherte, und ward auch nicht gewahr, wie diese der andern verständnisvoll zuwinkte.

Doch während sie von neuem ausrief: »Noch einen Kuß hieher; da brennt es so schrecklich!« fühlte sie zwei Hände an ihren Schläfen, und zwei andere Lippen als die Heliodoras preßten sich fest auf ihren Scheitel.

Da schlug sie überrascht und erschrocken die Augen auf und sah in das lächelnde Antlitz der eigenen Mutter, die ihr nachgeeilt war, um zu hören, wie sie den Bischof gefunden, und die es dann verlangt hatte, auch einen Anteil an der Linderung der Pein ihres Lieblings zu haben.

Wie hübsch war der kleine, unerwartete Ueberfall gelungen!

Aber was überkam denn da ihre Kleine?

Wie vom Blitz getroffen, wie von einer Natter gestochen, sprang sie in die Höhe, schaute sie ihr entsetzt in die Augen, und als Frau Susanna ihr Köpfchen noch einmal fest zu halten versuchte, um ihr wiederum die verruchte, schmerzende Stelle zu küssen, stieß Katharina sie von sich und lief, ihrer selbst nicht mächtig, durch das Wohnzimmer in den Vorsaal und von dort aus die wenigen Stufen hinunter, die in den Baderaum führten.

Die Mutter schaute ihr verdutzt und kopfschüttelnd nach. Dann wandte sie sich an Heliodora, zuckte die Achseln und sagte mit feuchten Augen: »Arme, arme Kleine. Es kommt gerade jetzt auch gar zu viel Trauriges für sie zusammen. Wie ein heller Sonnentag war noch vor kurzem ihr Leben, und nun schlägt der Hagel von allen Seiten auf sie ein. Gewiß bringt sie traurige Nachrichten vom Bischof.«

»Er soll sterbenskrank sein,« entgegnete die junge Frau mitleidig.

»Unser bester, treuster Freund,« schluchzte die Witwe. »Ja, es ist, ist wahrlich zu viel! Oft mein' ich, ich müßte selbst unterliegen, und nun erst sie, das kaum erwachsene Kind! Und mit welcher Ergebung trägt sie das Schwerste! O Frau Heliodora, Du weißt ja lange nicht alles, was sie betroffen, doch vielleicht hast Du bemerkt, wie sie immer nur bedacht ist, fröhlich zu scheinen, um mir das Herz zu erleichtern. Kein Seufzer, keine Klage ist bis jetzt über ihre Lippen gekommen. Wie eine Heilige fügt sie sich in alles, ohne zu murren. Aber nun, da es auch den alten, lieben Freund trifft, nun hat sie zum erstenmal die Fassung verloren. Sie weiß ja, was Plotinus mir war . . .«

Dabei brach sie in erneutes Schluchzen aus, und nachdem sie sich einigermaßen beruhigt, entschuldigte sie sich wegen ihrer Schwäche und verabschiedete sich von dem schönen Gaste.

Indessen befand sich Katharina im Bade.

Ein solches gehörte zu den vorzüglichsten Bestandteilen eines jeden reichen griechisch-ägyptischen Hauses, und ihr verstorbener Vater hatte das seine mit besonderer Liebe herstellen lassen.

Es bestand aus zwei Abteilungen, eine für Männer, eine für Frauen, die beide gleich prächtig ausgestattet waren.

Weißer Marmor, gelblicher Alabaster, brauner Porphyr überall, und am Fußboden schöne byzantinische Mosaik auf goldschimmerndem Grunde. Kein Bildwerk wie in heidnischen Bädern, doch dafür an den Wänden Bibelsprüche in goldener Schrift, und ein Kruzifix über den mit Giraffenfell überzogenen Polstern. Aus dem Mittelfelde der kassettirten Decke, welches wie herausfordernd mit dem Hauptsatze des jakobitischen Bekenntnisses: »Wir glauben an die eine, einzige göttliche Natur Jesu Christi,« in koptischer Schrift und Sprache umgeben war, hingen silberne Lampen.

Das große Bassin hatte sofort für Katharina gefüllt werden können, da die Badeöfen allabendlich für die Frauen des Hauses geheizt werden mußten.

Beim Auskleiden wies ihr die Zofe eine erkrankte Dattel. Der Obergärtner hatte sie ihr gezeigt, nachdem er heute Mittag wahrgenommen, daß die Pflanzenseuche auch seine Palmen ergriffen.

Doch die Dienerin bereute bald ihre Redseligkeit; denn nachdem sie hinzugefügt, daß der brave Schuster Anchhor, der ihr noch vorgestern die hübschen neuen Sandalen gebracht, nun auch der Seuche erlegen, ward sie übel angeherrscht und zum Schweigen verwiesen. Aber während sie vor Katharina kniete und ihr die Sandalen von den Füßen löste, ging diese dennoch auf ihre Erzählung ein und fragte, ob auch die hübsche junge Frau des Schusters von der Seuche ergriffen worden sei. Da versetzte das Mädchen, die sei noch am Leben, doch man habe die alte Schwiegermutter und die Kinder in das Haus eingeschlossen und auch die Fensterladen versperrt, nachdem man die Leiche des Mannes hinausgetragen. Die Buleuten hätten befohlen, es überall so zu halten, damit die Krankheit nicht auf die Straße dringe oder durch die Gesunden weiter verschleppt werde. Speise und Trank reiche man den Eingesperrten durch eine verschließbare Oeffnung in der Thür. Solche Maßregeln, fügte sie hinzu, seien doch besonders wohl bedacht und weise. Aber sie hätte dies Urteil für sich behalten sollen; denn bevor sie damit zu Ende gekommen, trat Katharina sie erbost mit dem Fuße. Dann ward ihr anbefohlen, das SmegmaUnsere Seife, welche indessen nur in ungehärtetem Zustande gebraucht wurde. nicht zu schonen, und ihr das Haar so tüchtig auszuwaschen wie möglich.

Das geschah denn auch, und Katharina rieb sich selbst Hände und Arme mit leidenschaftlichem Eifer. Darauf ließ sie sich wieder und wieder Wasser über das Haupt gießen, und nachdem sie damit innezuhalten geboten, lehnte sie sich atemlos und wie erschöpft an den Marmor.

Trotz des Smegmas und Wassers empfand sie den Druck der heißen Hand noch immer auf dem Scheitel, und es war ihr, als werde auch ihr Herz von einem unsichtbaren Bleigewichte belastet.

Die Mutter, die Mutter!

Sie hatte sie dahin geküßt, wo die Seuche mit ihr in Berührung gekommen, und vor ihrem inneren Ohre hörte sie sie röcheln und um einen Schluck Wasser betteln wie die Sterbenden, zu denen sie das Schicksal geführt. Und dann – dann kamen die Diener des Senates und schlossen sie mit der Kranken in dem verpesteten Haus ein, und sie sah die Seuche vor sich wie eine grausame, hämische Hexengestalt, und hinter ihr reckte und streckte ihr unerbittlicher Begleiter, der Tod, die Knochenhand aus und griff nach der Mutter und allen, allen, die sie umgaben, und auch nach ihr.

Da sanken ihr die Arme, und wenn sie sich heute früh mächtig und furchtbar gefühlt, so ward sie jetzt von der Empfindung der erbärmlichsten, schwächlichsten Ohnmacht niedergedrückt.

Gegen ein Menschenkind, eine schwache, zarte Frau, war ihre Herausforderung gerichtet gewesen, und Gott und das Schicksal hatten sich an Heliodoras Stelle auf den Kampfplatz gestellt.

Dieser Gedanke machte sie frösteln, und wie sie eben dem Bade entstieg, trat ihre Mutter in die Halle und rief: »Noch immer hier, Kind? Wie Du mich erschreckt hast! Ist es denn wahr? Wäre Plotins Krankheit wirklich mit der Seuche verwandt?«

»Mehr als das, Mutter,« versetzte sie dumpf; »er hat die Seuche, und mir fiel da ein, daß man sich baden, muß, wenn man in einem verpesteten Hause gewesen und Du hast mich doch auch berührt und geküßt. Bitte, laß wieder feuern, so spät es auch ist, und bade doch auch.«

»Aber, Kind!« lachte die Witwe; doch Katharina ließ ihr keine Ruh', bis sie ihr nachgab und versprach, sich des Bassins in der Männerabteilung zu bedienen, das seit dem Ausbruch der Seuche von niemand benützt worden war.

Wie Frau Susanna allein war, lächelte sie still und dankbar vor sich hin, und während des Bades erhob sie Herz und Hände und betete für das gute, so zärtlich für sie besorgte einzige Kind.

Katharina begab sich auf ihr Zimmer, nachdem sie sich erkundigt, ob auch die Kleider, welche sie vorhin getragen, dem Feuer in der Badeheizung zum Opfer gefallen.

Mitternacht war vorüber, doch sie befahl der Zofe, zu warten, und legte sich nicht zu Bette.

Sie hätte doch keine Ruhe gefunden.

Es zog sie hinaus auf den Altan, und sie ließ sich dort auf ihrem Schaukelstuhl nieder.

Die Nacht war heiß und schwül. Jedes Haus, jeder Baum, jede Mauer strahlte die Wärme aus, womit sie sich bei Tage gesättigt. Auf der Nilstraße zog erst eine lange Prozession mit Bittgängern dahin, dann kam ein Leichenzug, und ihm folgte bald darauf ein zweiter, beide so dicht von Staubwolken umhüllt, daß das Licht der Fackeln ihrer Begleiter nur wie Kohlen unter der Asche zu glimmen schien.

An der Seuche Verschiedene, die bei Tage nicht zur Ruhe gebracht werden durften, wurden da bestattet. Der eine Leichenzug, so schwebte es ihr vor, war der Heliodoras, der andere ihr eigener oder, und dabei durchschauerte es sie kalt, der ihrer Mutter. Und das Leichengefolge schwankte in seiner Staubwolke weiter und hielt still an der Nekropole, und der Schlitten mit dem Sarg kehrte leer und mit glühenden Kufen zurück; sie aber hatte nicht zu den Leidtragenden gehört; denn sie war eingeschlossen worden in dem verpesteten Hause. Und als es sich wieder öffnete – sie sah das alles vor sich wie wahr und wirklich – da hatte man im Hofe der Gerichtshalle zwei Häupter gefällt: Orions und Paulas, und sie, sie war nun allein, ganz allein und vereinsamt. Die Mutter lag neben dem Vater im Staube des Friedhofs, und wer fragte nach ihr, wer sorgte für sie, wer war ihr Beschützer? Wie ein Baum ohne Wurzel, wie ein ins Meer verwehtes Blatt, wie ein aus dem Nest gefallener, unflügger Vogel stand sie da in der Welt. Und nun kam ihr zum erstenmal seit jener Nacht, in der sie falsches Zeugnis geredet, alles in den Sinn, was ihr in der Schule und Kirche von den Strafen der Hölle berichtet, gepredigt, angedroht worden war, und sie sah vor sich die Sitze der Verdammten und das heiße, glühende Flammenmeer, worin Mörder, Ketzer und falsche Zeugen . . .

Aber was war das?

Hatte die Hölle sich wirklich geöffnet, und lohten ihre Flammen durch die geborstene Schale der Erde gen Himmel? Hatte auch das Firmament sich aufgethan und ergoß lohende Glut und schwarzen Qualm über den Norden der Stadt?

Entsetzt sprang sie auf und starrte hin auf die furchtbare Erscheinung.

Das ganze Firmament schien in Flammen zu stehen, und dichter Rauch, glühende Lohe und Milliarden von stiebenden Funken erfüllten den Raum zwischen Erde und Himmel. Eine alles vernichtende Feuersbrunst schien Stadt und Strom und das nächtliche Sternengewölbe zugleich ergriffen zu haben, und nun erhoben all die metallenen Herolde, welche sonst die Gläubigen in die Kirche riefen, die Stimme, und auf der stillen Straße vor ihr ward es lebendig, mit Tausenden füllte sich der vereinsamte Weg, Geschrei, Geheul und wildes Befehlen und Rufen scholl zu ihr empor, und in dem Stimmengewirr unter und vor ihr unterschied sie die Worte »Statthalterei«, »Araber«, »Mukaukas«, »Orion«, »Feuer«, »Löschen« und »Retten«.

Und nun rief der alte Obergärtner von dem Lotosteiche her zu ihr hinauf: »Die Statthalterei steht in Flammen. Bei dieser Dürre! Gott der Barmherzige behüte die Stadt!«

Da wankten dem Bachstelzchen die Kniee, und als es mit einem leisen Aufschrei nach einem Halt suchte, um sich zu stützen, da fingen zwei Arme sie auf, von denen sie sich in der letzten Zeit so gern frei gemacht hatte, die ihrer Mutter, der Mutter, die sich über das einzige Kind gebeugt hatte, um sich von seinem verpesteten Scheitel mit einem zärtlichen Kuß den Tod zu pflücken.


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