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Die Einsegnung des Mukaukas Georg war am übernächsten Tage erfolgt. Seitdem die Geistlichkeit die alte heidnische Mumisirung verboten hatte, und in der Zeit der Antonine auch die Leichenverbrennung eingestellt worden war, mußten die Verstorbenen bald nach ihrem Hingang in die Erde versenkt werden; nur die vornehmsten wurden flüchtig balsamirt und in Kirchen oder Kapellen beigesetzt, für die sie Stiftungen gemacht hatten.
Die Leiche des Mukaukas Georg sollte seiner Bestimmung gemäß nach Alexandria geschafft und dort in der Kirche des heiligen Johannes neben der seines Vaters bestattet werden, doch die Brieftaube, welche dem Patriarchen den Tod des Statthalters mitgeteilt hatte, war mit der Verordnung zurückgekommen, daß diesem Wunsche des Verstorbenen Hindernisse im Wege stünden und daß man seine Leiche einstweilen in der Familiengruft zu Memphis beizusetzen habe.
Seit Menschengedenken war dort kein gleicher Leichenzug gesehen worden. Selbst der muslimische Gouverneur des Landes, der große Feldherr Amr, war mit seinen höchsten Truppenführern und Zivilbeamten vom jenseitigen Ufer des Nil herübergekommen, um dem hochgeschätzten und gerechten Statthalter die letzte Ehre zu erweisen. Ihre sehnigen, gebräunten Gestalten und schönen, selbstbewußten Gesichter, ihre goldenen, mit Edelsteinen besetzten Helme und Panzerhemden, Kriegsbeute aus dem Vernichtungskampfe gegen das persische Reich und die syrischen Lande, ihre herrlichen, kostbar geschirrten Rosse und die gebieterische Vornehmheit ihrer Haltung hatten einen großen Eindruck auf die Menge gemacht. Würdevoll und langsam waren sie gekommen, wie eine vom Sturm getriebene Wetterwolke hatten sie sich entfernt. Vom Friedhofe aus waren sie die Nilstraße entlang und dann über die Schiffbrücke dröhnend und rasselnd heimwärts gejagt. Aus den weißen Staubmassen, die sie umgaben, hatten wie Augen blendende, flammende Blitze hervorgeleuchtet, wenn die Sonnenstrahlen ihr goldenes Rüstzeug getroffen.
Ja, diesen Reitern von denen jeder einem stolzen Fürsten glich, konnt' es nicht schwer gefallen sein, die mächtigsten Reiche der Welt zu vernichten.
Mann und Weib, alle hatten sie mit zager Scheu bewundert, am meisten aber die Heldengestalt und das schöne braune Männerantlitz des Feldherrn Amr und den Sohn des Verstorbenen, der auf seinen Befehl von der Statthalterei aus an seiner Seite ritt, in dunklen Trauergewändern auf einem kohlschwarzen, heißblütigen Hengste.
Der schöne Jüngling und der herrliche, kraftvolle Mann bildeten ein Paar, von dem die Frauen ungern die Augen wandten; erschienen doch beide gleich vornehm in der Haltung, waren doch beide von herrlichem Wuchs, beide gleich geschickt, das Ungestüm ihres Rosses zu bändigen, beide wie zum Herrschen geboren. Auf manchen Memphiten machte das auf einem langen, prächtig gebauten Halse ruhende Haupt des berühmten Schlachtenlenkers, sein scharf geschnittenes Antlitz mit der Adlernase und den schwarzen, glühenden Augensternen einen mächtigeren Eindruck, als die noch ebenmäßigeren Züge und das köstliche, leicht gewellte Haar des Statthaltersohnes, des letzten Sprosses der ältesten und stolzesten Sippe in ganz Aegypten.
Gebieterisch und stetig schaute der Araber geradeaus, und auch des Jünglings Blick blieb vorwärts gerichtet, doch wandte der sich einigemale rückwärts, um die leidtragende Menge zu überschauen. Als er unter den der Leiche folgenden Frauen Paula entdeckte, flog ein freudiger Glanz über sein bleiches Antlitz, und seine Wangen röteten sich flüchtig; die Ausschau nach vorn hatte seine Stirn gefurcht und seinen Zügen einen so schweres Unheil kündenden Ausdruck geliehen, daß mancher Memphit dem andern zuraunte: »Aus dem frohen, leutseligen jungen Herrn wird ein strenger Gebieter.«
Was ihn empörte, war auch seinem hohen Begleiter und der Menge nicht entgangen.
Er allein wußte, daß der Patriarch die Ueberführung der sterblichen Reste seines Vaters nach Alexandria untersagt hatte; aber jedermann bemerkte, daß bei diesem Leichenbegängnis ohnegleichen der größte Teil der Geistlichkeit von Memphis fehlte. Nur der Bischof Plotinus ging mit dem gelehrten und mutigen Presbyter Johannes und einigen Chorknaben, welche ein Kruzifix trugen, psalmodirend dem von sechs feurigen Rappen gezogenen Schlitten voran, auf dem der kostbare Sarkophag nach alter Sitte dem Friedhof zugeführt wurde.
Vor demselben stieg alles von den Rossen, und barfüßige Läufer im Dienste der Araber waren zur Hand, die Pferde zu halten.
Am Grabe sprach der Bischof warme, anerkennende Worte, denen ärmlich und wenig feierlich der dünne Gesang der Chorknaben folgte; aber kaum hatte dieser aufgehört, als die Menge vieltausendstimmig einfiel, und ein Klagegesang so laut und mächtig erscholl, wie kaum je vorher auf diesem Friedhof. Die übrigen Zeremonien wurden, da der Klerus, dessen es dazu bedurfte, nicht erschienen war, schnell und unvollständig vollzogen.
Der Feldherr Amr, dessen Falkenaugen nichts entging, bemerkte sogleich, was hier fehlte, und rief Orion so laut und rücksichtslos zu, daß es weithin vernommen wurde:
»Der Tote büßt hier, was der Lebende als verständiger Mann zum besten seines Landes Hand in Hand mit uns Muslimen gethan hat.«
»Aus Befehl des Patriarchen,« versetzte Orion, und dabei bebte ihm die Stimme, und die Zornesader auf der Stirne schwoll ihm hoch auf. »Aber bei der Seele meines Vaters,« und dabei schwang er die geballte Faust, »wenn es einen gerechten Gott gibt, wird es Benjamin nicht glücken, dem Bravsten der Braven das Himmelsthor zu verschließen.«
»Wir tragen den Schlüssel zu dem unseren im eigenen Gürtel,« entgegnete der Feldherr und schlug sich selbstbewußt lächelnd und mit einem wohlgefälligen Blick auf den Jüngling an die hochgewölbte Brust. »Komm Samstag zu mir, junger Freund; ich will mit Dir reden! Gegen Sonnenuntergang erwarte ich Dich drüben in meinem Hause. Bin ich noch nicht zurück, wenn es dunkelt, hast Du zu warten.«
Dabei ergriff Amr die Mähne seines Hengstes, und Orion schickte sich an, ihm behilflich zu sein, doch der Fünfziger kam ihm zuvor, schwang sich behend wie ein Jüngling in den Sattel und gab den Seinen damit das Zeichen zum Aufbruch.
Paula, welche mit Frau Neforis in der nächsten Nähe der offenen Familiengruft gestanden, war kein Wort des Zwiegesprächs zwischen beiden Männern entgangen. Bleich, wie er gewesen, in kostbaren, doch schlichten, lang niederwallenden Trauerkleidern, von heiligem, männlichem Ingrimm ergriffen, wie er sich eben gezeigt hatte, wär' es unmöglich gewesen, nicht einzugestehen, daß die letzten Tage gewaltig auf den irregeleiteten Jüngling eingewirkt hatten.
Nachdem Paula die bleiche, verhärmte, aber thränenlose Statthalterswitwe an ihren Wagen geführt und dann mit Perpetua allein nach Hause gegangen war, hatte sich das Bild des schönen, zornigen Mannes, der den kraftstrotzenden Arm mit der fest geballten Faust hoch in die Höhe schwang, fortwährend vor ihr inneres Auge gestellt.
Es war ihr nicht entgangen, daß er sie, die ihm an der offenen Gruft gegenüber gestanden, bemerkt hatte, und es war ihr wohl gelungen, seinem Blick auszuweichen, doch ihr schwaches Herz hatte dabei so heftig geschlagen, daß sie es noch in der Brust nachklingen fühlte, und es ihr nicht gelungen war, mit rechter Hingabe des geliebten Verstorbenen zu denken.
Weder hatte sich Orion bis jetzt ihrem friedlichen Heim genähert noch ihr einen Boten gesandt, um ihr das Ihre zu überbringen, und sie fand das natürlich; denn es brauchte ihr niemand zu sagen, welche Ansprüche diese Zeit an ihn stellte.
Aber wenn sie vor der Beerdigung fest entschlossen gewesen war, seinen Besuch abzuweisen, und obgleich sie der Amme schon Vollmacht erteilt hatte, ihre Habe aus seiner Hand entgegenzunehmen, wollte ihr solches Verhalten nach der Bestattung des Oheims doch nicht mehr schicklich erscheinen; ja sie erachtete es im Andenken an den Entschlafenen für ihre Schuldigkeit, Orion nicht zurückzuweisen, wenn er sie um Vergebung bitten würde.
Und noch ein zweites war sie dem Oheim schuldig. Sie wollte diejenige sein, welche seinen Sohn in Philipps Sinne darauf hinwies, das Leben als ein Amt, einen Dienst aufzufassen, und öffnete er sein Herz dieser Mahnung, dann . . . nein, auch dann mußte alles aus sein zwischen ihnen, aus wie das Feuer auf einem versunkenen Floß, wie die Seifenblase, die im Winde zerplatzt, wie der Ton, der verhallt ist – aus – völlig aus.
Und die Mahnung, die sie ihm, zu dem sie dereinst hinaufgesehen, zukommen lassen wollte? Was gab ihr das Recht, sie ihm zu erteilen? Hatte er nicht ausgesehen wie ein Mann, der sein Leben mit eigener Kraft zu führen und zu lenken versteht? – Ihr Herz lechzte nach ihm, alles, was in ihr war, verlangte ihn wieder zu sehen, seine Stimme wieder zu hören, und dies Begehren, diese Sehnsucht nannte sie Pflicht und brachte sie mit dem Dank in Verbindung, den sie dem Verstorbenen schuldete.
Ganz von diesen Erwägungen und Zweifeln beherrscht, hörte sie kaum, was die gesprächige Perpetua, welche neben ihr herging, sagte.
Die Alte konnte sich über ein solches Leichenbegängnis gar nicht beruhigen; denn wie war das alles so anders gewesen als sonst bei Beerdigungen zu Memphis. Keine Priesterschaft, ein Leichengefolge zu Pferde, leidtragende Reiter, und darunter des Dahingeschiedenen eigener Sohn, während sonst die Hinterbliebenen, wie sich's überall schickte, dem Sarge zu Fuß folgten! Ein Heimchengezwitscher von elenden Buben an der Gruft eines solchen Verstorbenen, und dann das ungeordnete Zusammenschreien eines tausendköpfigen Pöbels: das Trommelfell wär' ihr beinahe gesprungen! Aber das konnte man den Memphiten am Ende zu gute halten; denn es war ja zu Ehren des Verstorbenen geschehen! Dieser Gedanke rührte sogar ihr wackeres Herz und trieb ihr Thränen in die Augen, aber es weckte auch ihre Empörung; hatte sie doch geringe Leute in feierlicherer Weise und mit würdigeren Zeremonien bestatten sehen als den großen, guten Mukaukas Georg, der der Kirche eine so bedeutende Schenkung zugewandt hatte. Ja, diese Jakobiten! So undankbar konnten nur sie handeln; solchen Frevel vermochte nur ihr ketzerisches Oberhaupt zu begehen. Im Cäcilienkloster war es von der Aebtissin bis zur jüngsten Novize bekannt, der Patriarch habe dem Bischof durch einen Taubenbrief verboten, den Klerus an der Beerdigung teilnehmen zu lassen. Der brave Plotinus sei sehr aufgebracht über diesen Befehl gewesen, doch da es nicht in seiner Macht gestanden, ihm entgegenzuhandeln, habe er den Sarg wenigstens in eigener Person begleitet und dem Presbyter Johannes nicht gewehrt, ihm zu folgen. Der junge Herr Orion habe übrigens ganz ausgesehen, als sei er nicht willens, solche Beleidigung seines Vaters ungestraft hinzunehmen Aber wessen Arm sei so lang, daß er bis an den Patriarchenstuhl reiche, wenn nicht . . . Doch das sei ja nicht möglich: beim bloßen Gedanken daran laufe es ihr kalt über den Rücken. Aber, aber . . . Wie gnädig habe der große Feldherr von drüben mit ihm geredet! Himmlischer Vater! Wenn er nun doch wie so viele gewissenlose Aegypter den heiligen christlichen Glauben abschwören und die sündhafte Lehre des arabischen Lügenpropheten annehmen würde! Verlockend sei es ja freilich für die schändlichen Männer, ohne sich einer Sünde zeihen zu brauchen, ein halbes Dutzend Weiber oder mehr ins Haus zu nehmen. Ernähren könne sie ja ein Herr wie Orion; denn die Aebtissin habe gesagt, der große Mukaukas sei zwar von aller Welt für einen sehr reichen Mann gehalten worden, doch selbst das Stadthaupt könne sich gar nicht über die ungeheure Größe seines Nachlasses beruhigen. Ja, ja, Gottes Fügungen seien unerforschlich. Warum ersticke er den einen unter dem goldenen Segen, während er tausend Armen zu wenig gebe, um den Hunger zu stillen!
Am Ende dieses Ergusses kamen die Frauen nach Hause, und hier erst gelangte Paula mit sich ins reine. Fort, fort mit der Leidenschaft, die sie noch immer beherrschen wollte, mochte sie nun Haß heißen oder Liebe! Dann erst konnte sie der neuen Freiheit und des neuen stillen Glückes in dem schönen Heim, das sie der Fürsorge des Arztes dankte, recht genießen, wenn alles aus mit Orion und das letzte Band zerrissen war, welches sie mit der Statthalterei verknüpfte.
Durfte sie denn mehr begehren, als was ihr die Gegenwart bot?
In einen wahren Friedenshafen war sie eingelaufen, wo es ihr an nichts gebrach, was sie nach der mahnenden Rede des Philipp für sich begehrte. Da gab es gute Menschen, die sie verstanden, mancherlei Tätigkeiten, denen sie gewachsen war, und die ihrer Neigung entsprachen, und dazu reiche Gelegenheit, Liebe zu spenden und zu ernten. Außerdem führten sie wenige Schritte durch freundlichen Schatten in das Kloster, wo sie unter frommen Genossinnen ihres eigenen Glaubens wie in der Kindheit Tag für Tag dem Gottesdienst beiwohnen durfte. Nach solcher Speise für das Gemüt hatte sie großes Verlangen getragen, und in welcher Fülle wußte die alte Aebtissin, eine vornehme Patriciuswitwe aus Konstantinopel, welche ihre Eltern gekannt hatte, ihr solche zu bieten! Wie gern erzählte ihr die rüstige Greisin von der Güte und königlichen Schönheit der Frühverstorbenen, die ihr das Leben gegeben. Was ihr Herz bedrückte, konnte sie in die Seele dieser Matrone ausgießen; denn sie begegnete ihr wie einer teuren, ihr im späten Alter geschenkten Tochter.
Und ihre Wirte! Was waren das für herzensgute, merkwürdige, in ihrer Weise bedeutende Menschen! Sie hatte nicht einmal geahnt, daß es solch sonderbare und doch liebenswerte Geschöpfe hienieden gebe!
Da war zuerst der alte Rufinus, das Haupt des Hauses, ein kräftiger, jugendfrischer Greis, der in seinem langen, schneeweißen, seidigen Haupt und Barthaar halb aussah wie der Apostel Johannes als Greis, halb wie ein im Kriege ergrauter Feldhauptmann. Wie liebenswürdigen, kindlich milden Herzens war er trotz aller Barschheit, in die er gelegentlich verfiel! Zum Widerspruch aufgelegt im Verkehr mit Männern, zeigte er sich heiter und neckisch, wenn seine Ansichten den ihren widersprachen. Einer zufriedeneren Seele, einem offeneren Gemüte war sie nie begegnet, und sie verstand es wohl, wie es gerade diesen Mann wurmen und beunruhigen mußte, wenigstens in einer Hinsicht tagaus tagein etwas anderes scheinen zu müssen, als er war. Auch er gehörte ihrer Kirche an, ließ seine Frau und Tochter an dem Gottesdienst im Cäcilienkloster teilnehmen und mußte sich dennoch das Ansehen geben, ein koptischer Christ zu sein und sich darum bequemen, an gewissen Feiertagen mit den Seinen die jakobitische Kirche zu besuchen, deren unschöne Kultusformen ihm tief widerstanden.
Das Vermögen des Rufinus genügte, ihm und den Seinen ein bequemes Dasein zu schaffen, und dennoch war er in seiner Weise von früh bis spät thätig; da indessen seine Beschäftigungen nicht nur nichts einbrachten, sondern Anforderungen an seine Kasse stellten, wußte jedermann, daß er ein bemittelter Mann sei, und dieser Umstand würde ihm, sobald einer der Späher des Patriarchen einen Melchiten in ihm erkannt hätte, Verfolgung. Vertreibung und wahrscheinlich die Konfiskation seiner Güter zugezogen haben. Da galt es denn Vorsicht üben, und hätte der Alte nur einen Käufer für Haus und Garten in einer Stadt, wo es zehnmal so viel leerstehende als bewohnte Gebäude gab, finden können, wäre er schon längst aufgebrochen, um sich mit den Seinen eine neue Heimat zu suchen.
Die meisten älteren Leute von heftiger Gemütsart und nicht allzu schnellem Geiste bedürfen eines Stichwortes als Hemmschuh oder Gedankenpause, und er bediente sich mit Vorliebe zweier Sätze, von denen der eine lautete: »So wahr der Mensch das Maß aller Dinge,« und der andere – mit Bezug auf sein Haus –: »So wahr ich das Rumpelzeug los sein möchte.« Aber »das Rumpelzeug« bestand aus einem gut gebauten, sehr geräumigen Wohnhause mit einem Garten, der schon wegen seiner Lage hart am Wasser in früheren Zeiten hoch bezahlt worden wäre. Er selbst hatte es freilich kurz vor dem Einbruch der Araber in Aegypten für einen Spottpreis erworben, und zwar – wie rasch die Zeiten sich ändern! – von einem jakobitischen Christen, den der damalige melchitische Patriarch Cyrus zu schleuniger Flucht gezwungen hatte, weil es ihm geglückt war, die orthodoxen Sklaven in seinem Dienste zu seinem Bekenntnis zu bekehren.
Der Arzt Philippus hatte den vielgewandten und erfahrenen Freund veranlaßt, nach Memphis zu kommen, und er hielt dort auch treulich mit ihm zusammen, und der eine unterstützte den andern bei der Arbeit.
Die Gattin des Rufinus, ein zartes, schmächtiges Frauchen, hätte mit ihrem schmalen, etwas eingefallenen Gesicht, das einmal höchst anziehend und lieblich gewesen sein mußte, für seine Tochter gelten können, und sie war auch wirklich zwanzig Jahre jünger als er. Man sah ihr an, daß sie recht viel Schweres im Leben erfahren, aber es geduldig hingenommen und zum Guten geschrieben hatte. Die größten Sorgen und Aengste waren ihr durch ihren ruhelosen Gatten bereitet worden, und doch bot sie alles auf, um sein Dasein angenehm zu gestalten. Jedes Hindernis, jede Unbequemlichkeit wußte sie ihm aus dem Wege zu räumen und mit wunderbarem Instinkt ahnte sie, was ihm nützen, ihm behagen, ihm Freude machen könne. Der Arzt behauptete, die nach vorn geneigte Haltung ihres Kopfes und der suchende Blick ihrer lebhaften, heiteren schwarzen Augen rührten davon her, daß sie immer nach dem Strohhalm ausspähe, der Rufinus in Gefahr bringen könnte, den schwieligen Wandererfuß daran zu stoßen.
Ihre Tochter Pulcheria wurde, »um Zeit zu ersparen«, gewöhnlich »Pul« gerufen, wenn der Alte nicht vorzog, sie »das arme Kind« zu nennen.
Es lag überhaupt etwas Mitleidiges in dem Verhalten des Rufinus gegen seine Tochter; denn selten sah er sie an, ohne sich zu fragen, was aus diesem geliebten Wesen wohl werde, wenn er, der so viel Aeltere, die Augen schließe und seine Johanna ihm bald nachfolgen werde; und Pulcheria, welche die Mutter so für den Vater sorgen sah, daß ihr selbst nichts für ihn zu thun übrig blieb, hielt sich für das überflüssigste Geschöpf auf Erden, das jederzeit bereit gewesen wäre, für die Eltern, die Aebtissin, ihren Glauben, für den Arzt und jetzt auch, trotz ihrer nur zwei Tage alten Bekanntschaft, für Paula das Leben zu lassen. Dennoch war sie ein sehr hübsches, wohlgewachsenes Mädchen mit großen, schönen, offen und schwärmerisch blickenden Augen, dessen prachtvolle rotblonde Haare kaum ihresgleichen in ganz Aegypten besaßen. Ihren Wunsch, in das Cäcilienkloster als Novize und künftige Krankenpflegerin einzutreten, kannte ihr Vater schon längst, aber obgleich er selbst einem ähnlichen Drange mit seinem ganzen Leben nachgab, hatte er ihn schon mehr als einmal aufs entschiedenste zurückgewiesen; denn er werde bald zu den Vätern wandern, und dann sei der Mutter, so lange sie ihn überlebe, jemand anderes nötig, um sich müde zu pflegen.
Eben jetzt verlangte es Pul weniger als sonst, den Schleier zu nehmen; denn sie hatte in Paula ein Wesen gefunden, dem gegenüber sie sich recht klein fühlen durfte, zu dem ihre neidlose, nach dem Höchsten strebende und verlangende Seele recht befriedigt und entzückt aufschauen konnte; außerdem aber gab es nun in ihrem eigenen Hause zwei der Pflege bedürftige Kranke: Rustem, der verwundete Masdakit, und die persische Sklavin. Die weitere Behandlung dieser beiden außerhalb ihres Hauses war dem Arzte von Frau Neforis, die, seit der entsetzlichen Todesstunde ihres Gatten wie betäubt und allen Anforderungen des Lebens entfremdet, nur noch dem Andenken des Verstorbenen lebte, mehr als gern überlassen worden.
Am Abend nach Paulas Einzug hatte der Arzt mit seinem Freunde über die Aufnahme seiner neuen Gäste Verhandlungen gepflogen, und der Alte war Philippus, als er über die zu zahlende Entschädigung zu reden anhob, lebhaft ins Wort gefallen:
»Sie sind alle willkommen. Wenn sie Wunden haben, werden wir die zum Zuwachsen zwingen, ist ihnen der Kopf verdreht, schrauben wir ihn wieder zurecht, sieht es dunkel aus in ihrer Seele, wollen wir ein Licht darin anzünden. Wenn die schöne Damascenerin bei uns vorlieb nehmen will, mag sie mit ihrer Alten hier bleiben, so lange es ihr und uns behagt. Das ›Willkommen‹ haben wir ihr von Herzen geboten, aber dafür muß uns das Lebewohlsagen – hörst Du – so gut frei stehen wie ihr! Man weiß nie, wie man mit so vornehmen Herrschaften daran ist, und so wahr ich dies Rumpelzeug los werden möchte, könnte es mir eines Tages einfallen, es den Eulen und Schakalen zu überlassen und meinen Stab weiter zu setzen. Du kennst mich! Mit der sogenannten Entschädigung sind wir gleich fertig. Da hinter den Kranken ein voller Beutel hängt und die Gesunde zehnmal mehr hat, als sie braucht, mögen sie zahlen. Bestimme Du das Wieviel, aber für die Frauen – ich meine es ernstlich – mach es gnädig! Du weißt, wozu ich des Mammons bedarf, und 's ist auch gut, wenn Johanna die Silberstückchen für die Wirtschaft weniger ängstlich herumzudrehen braucht. Zudem wird es die Damascenerin behaglicher bei uns finden, wenn sie das Ihre beiträgt für Essen und Trinken. Es ziemt sich auch nicht, daß die Tochter des Thomas sich bei Wandervögeln wie wir jeden Abend mit einem ›Ich bin euch verpflichtet‹ ins Bett legt. Steuert jeder das Seine, so stehen wir auf Geben und Nehmen, und wenn einer dem andern etwas besonders Liebes erweist, so wird es nicht von dem ›Danke‹ und ›Nimm doch‹ verschlungen; es behält seinen Wert und gereicht jedem zur Freude.«
»Amen,« hatte der Arzt erwidert, und Paula war glücklich über die Abmachungen des Freundes gewesen.
Schon am nächsten Tage hatte sie sich als Mitglied dieses Hauses gefühlt, wo sie doch stündlich Dingen begegnete, die ihr befremdlich vorkommen mußten.