Georg Ebers
Die Nilbraut
Georg Ebers

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Zwölftes Kapitel.

Mit geballter Faust und grollendem Blick stieg Orion die Treppe hinunter. Das Herz that ihm weh zum Zerspringen.

Was hatte er gethan, was war aus ihm geworden!

So durfte ein Weib ihm begegnen, ein Weib, das er seiner Liebe gewürdigt, das schönste, edelste der Weiber, das hochmütigste, rachedürstigste, hassenwerteste zugleich! Er hatte einmal das Wort gelesen: »Wer etwas Niedriges begangen, um das auch nur ein anderer weiß, der trägt das Todesurteil seiner Ruhe in den Falten seines Gewandes.« Er fühlte die Wucht dieses Urteils, und die andere, die Mitwisserin, war Paula, war diejenige, von der er am meisten gewünscht hätte, daß sie zu ihm hinaufschauen möge. Seligkeit auf Erden hätte es ihm noch gestern geschienen, sie in den Armen halten, sie sein nennen zu dürfen, jetzt fühlte er nur den einen Wunsch, sie zu demütigen, sie zu strafen. Und daß ihm die Hände gebunden waren, daß er wie ein Verurteilter von ihrer Gnade abhing! Es war nicht zu fassen, war unerträglich! Aber sie sollte ihn kennen lernen! Wie ein weißer Schwan war er bis dahin durchs Leben gezogen; wenn diese unseligen Stunden, wenn dies Weib ihn zum Geier machte, war es nicht seine, war es ihre Schuld! Bald sollt' es sich erweisen, wer der Stärkere war von ihnen beiden. Wie man ein Weib nur immer züchtigen kann, mußt' er sie strafen, und wenn der Weg dazu durch Verbrechen und Elend führte! Daß der Arzt ihre Neigung gewonnen habe, fürchtete er nicht; denn mit wunderbarer Sicherheit empfand er, daß trotz aller Feindseligkeit, die sie ihm zu fühlen gab, ihr Herz ihm und nur ihm gehöre. »Das Goldstück der Liebe,« sagte er sich, »hat zwei Seiten: zärtliches Verlangen und bitteren Haß; jetzt zeigt sie mir diesen, aber wie verschieden auch Bild und Schrift an der Münze sein mögen, wenn man sie klingen läßt, gibt es doch nur einen Ton, und der liegt auch in ihren verletzendsten Worten.«

Bei der Familientafel entschuldigte er Paula und nahm selbst nur wenige Bissen; denn die Richter hatten sich schon längst versammelt und warteten seiner.

Schon den Ahnen des Mukaukas, mächtigen Gaufürsten, war das »Recht über Leben und Tod« verliehen worden, und sie hatten sich seiner sicher schon unter den Psamtikiden bedient, deren Herrschaft durch den Perser Kambyses ein grausames Ende gefunden. So prangten noch jetzt Uräusschlangen, diejenigen Nattern, deren Biß am schnellsten den Tod verursacht, und der Drachentöter St. Georg als ehrwürdige Symbole dieses Rechtes über des Mukaukas Palästen zu Memphis und Lykopolis in Oberägypten, und an beiden Orten stand es, nachdem Justinian und ganz zuletzt der Kaiser Heraklius diese alte Befugnis neu bestätigt hatten, dem Haupt der Familie zu, über die Hörigen des Hauses und die Insassen der Distrikte, denen er vorstand, aus eigener Machtvollkommenheit die Todesstrafe zu verhängen. Der Ritter Georg war zwischen die alten Schlangen gesetzt worden, um das heidnische Symbol durch ein christliches zu ersetzen. Früher hatte der Ritter das Haupt eines Sperbers, das heißt des Gottes Horus, getragen, der, um seinen Vater zu rächen, den bösen Seth Typhon niedergeworfen; doch schon vor zweihundert Jahren war der heidnische Krokodiltöter in den christlichen Besieger des Drachen verwandelt worden.

Die Araber hatten nach der Eroberung des Landes die alten Einrichtungen und Rechte, und so auch die des Mukaukas bestehen lassen.

Der Gerichtshof, welcher in Sachen der Angehörigen des Hauses zusammenberufen wurde, bestand aus den höheren Privatbeamten der Statthalterei. Das Amt des Oberrichters bekleidete der Mukaukas selbst, und sein erwachsener Sohn war sein natürlicher Stellvertreter. Während Orions Abwesenheit hatte der Vorsteher des Rechnungswesens, Nilus, ein kluger und besonnener Aegypter, den Platz seines leidenden Herrn häufig eingenommen, aber heute war Orion beauftragt worden, seine Stelle zu vertreten und den Vorsitz zu führen.

Aus dem Speisesaal eilte der Statthalterssohn in das Schlafgemach seines Vaters und bat ihn um seinen Ring als Zeichen der Vollmacht, die er auf ihn übertragen, und der Mukaukas ließ sich ihn willig vom Finger ziehen und legte dem Jüngling ans Herz, unnachsichtliche Strenge zu üben. Er sei sonst zur Milde geneigt, doch auf einen Einbruch im Hause stehe der Tod, und in diesem Fall sei es schon um des arabischen Kaufmanns willen geboten, keine Schonung zu üben.

Orion bat nun den Vater, eingedenk seines Vertrages mit Paula, ihm ganz freie Hand zu lassen. Der alte Muslim sei ein gerechter Mann, der unter Umständen auch ein mildes Urteil billigen werde, außerdem sei der Verbrecher nicht eigentlich ein Hausgenosse, sondern stehe im Dienst einer Verwandten.

Der Mukaukas lobte den besonnenen Sinn seines Sohnes. Wenn es ihm selbst nur etwas besser gehe, werde er sich die Freude gönnen, der Sitzung beizuwohnen und ihn zum erstenmal eine ernste Pflicht, würdig seiner Geburt und Stellung, erfüllen zu sehen.

Orion küßte dem Vater innig und mit wehmütiger Bewegung die Hand; denn jedes anerkennende Wort des geliebten Mannes that ihm tief innerlich wohl, und er empfand es dabei wie ein Unglück, daß er seine Richterlaufbahn, deren Ernst und Heiligkeit er kannte, so – so antreten mußte.

Weicher gestimmt, in Gedanken versunken und erwägend, wie Hiram zu retten und Paulas Name am besten ganz aus dem Spiel zu lassen sei, begab er sich zu dem Gerichtssaal, und vor ihm fand er die Amme Perpetua in lebhaftem Gespräch mit dem Rentmeister Nilus.

Die Alte war außer sich. Beim Klappern der Webstühle hatte sie bis vor kurzem nichts von dem Vorgefallenen erfahren; nun beschwor sie die Unschuld des unglücklichen Hiram. Der Stein, den er verkauft habe, sei das Eigentum ihrer Herrin gewesen, und dafür fehle es gottlob nicht an Beweisen: die Fassung des Smaragds liege wohlverwahrt in der Truhe ihrer Herrin. Es sei ihr zum Glück noch möglich gewesen, sie zu sprechen, aber daß man sie, die Tochter des Thomas, wie jedes Bürger- oder Sklavenkind vor Gericht stellen wolle, das sei unerhört, das sei schändlich!

Da unterbrach sie Orion barsch, gebot dem alten Thorhüter, sie sogleich in das Gewebemagazin neben dem Tablinum, wo die fertigen, für den Gebrauch des Hauses bestimmten Stoffe aufbewahrt wurden, zu führen und sie dort bis auf weiteres wohl zu bewachen. Der Ton, in dem er diesen Befehl erteilte, war so beschaffen, daß ihm selbst die Amme nicht widersprach, und auch der Rentmeister gehorchte schweigend seinem Gebot, sich zu den Richtern zurückzubegeben.

Erstaunt und beunruhigt ging Nilus in den Sitzungssaal zurück. So hatte er den Sohn seines Herrn noch nie gesehen! Bei der Mitteilung der Amme waren ihm die Adern auf der jugendlichen, faltenlosen Stirn weit hervorgetreten, und seine Nasenflügel hatten in rascher, krampfhafter Bewegung zu beben begonnen, der Wohlklang war aus seiner Stimme gewichen gewesen, und sein Auge hatte drohend gefunkelt.

Nun war Orion allein und knirschte tief aufgebracht mit den Zähnen. Trotz des gegebenen Versprechens hatte Paula ihn verraten, und wie elend war die Weiberlist, mit der sie es gethan! Vor den Richtern, herrlich! Vor denen konnte sie nun schweigen, ganz getrost schweigen bis ans Ende der Sitzung, die Amme, ihr Sprachrohr, hatte ja Nilus, den ernstesten und schärfsten im ganzen Kollegium, mit den Beweismitteln vertraut gemacht, welche für sie und gegen ihn zeugten. Unerhört, nichtswürdig! Ein schmählicher, ausgesucht tückischer Verrat! Aber noch war sie nicht am Ziele, noch hatte er freie Hand, den bösen Streich mit einem Gegenhieb zu pariren. Wie er zu führen sei, war ihm schon bei der Mitteilung der Amme klar gewesen, aber das Gewissen, die angeborene Neigung, die lange Gewohnheit, sich in den Schranken des Rechten, Guten, Schicklichen zu halten, hielt ihn zurück. Niedriges und Gemeines hatte er nicht nur niemals selbst begangen, sondern es auch nur mit Widerwillen an anderen gesehen, und das einzige, was er unternehmen konnte, um Paulas Verrat unschädlich zu machen, das war – er konnt' es nicht leugnen – das war zwar eigenartig und kühn, aber ebenso verabscheuungswürdig und schändlich.

Doch er wollte und durfte in diesem Streite nicht unterliegen. Die Zeit drängte, langes Erwägen war hier nicht möglich, und plötzlich überkam ihn grimmige und wilde Kampflust, ward ihm zu Mute wie an den Wettfahrtstagen im Zirkus, wenn er das eigene Gespann den anderen zuvor trieb.

Vorwärts denn, vorwärts, und wenn das Fahrzeug zerschellte, wenn die Rosse zu Grunde gingen und seine Räder die gestürzten Genossen im Sand der Arena zermalmten; vorwärts, nur vorwärts!

Mit wenigen raschen Schritten erreichte er das Stübchen des Thorhüters, eines wackern Alten, der seit vierzig Jahren seinem Amte vorstand. Früher war er Schlosser gewesen, und jetzt lag es ihm ob, die kleinen Reparaturen an dem einfacheren Hausgerät vorzunehmen. Orion war als Knabe ein holdes, jedes Herz bestrickendes Bürschchen und auch der Liebling dieses tüchtigen Mannes gewesen, hatte sich mit Vorliebe in seinem Stübchen aufgehalten und ihm die Kunstgriffe seines Handwerks abgesehen. Mit besonderem technischem Geschick begabt, war er ein gelehriger Schüler des Alten gewesen und hatte es so weit gebracht, für die Eltern zu ihren Geburtstagen, in Aegypten besonders feierlich begangenen und durch Geben und Nehmen gewürzten Festen, zierliche Kästchen, Gebetbuchdecken und dergleichen zu schnitzen und mit Schlosserarbeit zu versehen. Er verstand alle Instrumente zu führen und wählte sich jetzt hastig diejenigen aus, welche er zu benützen gedachte. Auf dem Fensterbrett des Stübchens stand ein Blumenstrauß, den er gestern Abend für Paula bestellt und an diesem schrecklichen Tage abzuholen vergessen hatte. Mit ihm in der Hand und den Instrumenten in den Brustfalten seines Gewandes eilte er die Treppe hinan.

»Vorwärts, immer nur vorwärts!« rief er sich selbst zu, wie er in Paulas Zimmer drang, den inneren Riegel vorstieß und sich vor ihrer Truhe nieder und die Blumen aus der Hand warf. Ward er entdeckt, so war er in Paulas Gemach eingedrungen, um ihr den Strauß zu überbringen.

»Und vorwärts, nur vorwärts!« dachte er immerfort, wie er die Scharniere losschraubte, an denen sich der Deckel der Truhe bewegte. Seine Hände zitterten, sein Atem flog dabei, aber die Arbeit förderte dennoch. Dies Verfahren war das rechte, denn das Kunstschloß an dem Kasten ließ sich nicht aufthun, ohne es zu verderben. Jetzt hob er den Deckel, und – als unterstützten ihn freundliche Mächte – auf den ersten Griff in die Truhe hielt er das Halsband mit der leeren Fassung in der Hand. Sie hing an dem sorgfältig gearbeiteten Schmuck; sie loshaken und zu sich stecken war das Werk eines Augenblicks.

Aber nun wollte auch das lauteste »Vorwärts« nicht länger fruchten. Das war ein Diebstahl, damit raubte er derjenigen etwas, die er, hätte sie nur gewollt, mit allem zu überhäufen bereit gewesen wäre, womit ihn die Schickung so überreich gesegnet. Nein, das, das . . .

Da schoß ihm plötzlich ein wunderlicher Gedanke durch das Hirn, ein Gedanke, der ihm mitten in dem furchtbaren Ernst dieser Stunde ein Lächeln auf die Lippen zwang. Ungesäumt ließ er ihm die Ausführung folgen, und mit einem tiefen Griff faßte er in sein Untergewand und holte eine Gemme hervor, welche an einem goldenen Kettchen auf seiner Brust hing. Dies Kleinod, das Meisterwerk eines großen griechischen Steinschneiders aus heidnischer Zeit, war ihm von seinem besten Freunde in Konstantinopel als Gegengabe für ein Viergespann, das diesem besonders gefallen, geschenkt worden, und es besaß in der That höheren Wert als ein halbes Dutzend edler Rosse. Wie im Rausche, halb wirren Geistes, folgte Orion den wilden Trieben, denen er sich überlassen, doch es freute ihn, daß er ein so kostbares Stück bei der Hand hatte, um es an Stelle des elenden Goldbleches zu hängen. Dies war mit zwei Griffen geschehen, aber das Wiederanschrauben der Scharniere nahm längere Zeit in Anspruch; denn die Finger zitterten ihm dabei heftig, und je näher der Augenblick kam, in dem er Paula seine Uebermacht fühlen lassen wollte, desto schneller schlug ihm das Herz, desto schwieriger ward es ihm, den Geist zu ruhigen Erwägungen zusammenzufassen.

Nachdem er die Thür aufgeriegelt, mußte er wieder wie ein Dieb auf den langen Gang des Fremdenstockes hinausspähen, und dies steigerte seine Erregung bis zum Ingrimm gegen Welt und Schicksal und am meisten gegen diejenige, welche ihn zu solcher schmählichen Selbsterniedrigung zwang.

Der Wettfahrer hielt nun Zügel und Stachel in der Hand. Vorwärts, nur vorwärts.

Wie einst als Knabe, jagte er, indem er immer drei Stufen auf einmal übersprang, die Treppe hinunter, und als er im Vorsaale die griechische Erzieherin Eudoxia traf, welche ihren wilden Zögling Maria eben ins Haus zog, warf ihr Orion den Blumenstrauß zu, den er wieder mit sich genommen, und eilte, ohne des schmachtenden Blickes zu achten, mit dem das alternde Fräulein ihre Danksagung begleitete, in die Thorhüterklause zurück und entledigte sich dort schnell der Werkzeuge des Pförtners.

Wenige Minuten später betrat er den Sitzungssaal. Der Rentmeister Nilus wies auf den erhöhten Oberrichterstuhl seines Vaters, ihn aber hielt eine starke Scheu zurück, diesen ehrwürdigen Sitz zu beschreiten, und mit glühendem Haupte und so finster blickendem Antlitz, daß die Anwesenden erstaunt und scheu auf ihn hinsahen, eröffnete er mit rasch hervorgestoßenen Worten die Sitzung.

Er wußte selbst kaum, was er sprach, und hörte die eigene Rede nicht deutlicher als fernes Meeresgebrause, und dennoch gelang es ihm, klar darzulegen, was geschehen war: er zeigte den Richtern den geraubten und dem Diebe abgejagten Stein, er berichtete, wie man seiner habhaft geworden, erklärte den Freigelassenen der Tochter des Thomas für schuldig des Einbruchs und forderte ihn auf, zu seiner Rechtfertigung vorzubringen, was er vermöge; aber der Angeklagte stotterte nur mühsam hervor, daß er unschuldig sei. Sich selbst verteidigen, sei nicht seine Sache, aber seine Herrin werde vielleicht einiges zu seiner Rechtfertigung vorbringen wollen.

Da strich sich Orion das wirre Haar aus dem Gesicht, warf das glühende Haupt stolz zurück und sagte, an die Richter gewandt:

»Sie ist eine vornehme Dame, eine Verwandte unseres Hauses; halten wir sie fern von dieser widrigen Sache, so ziemt sich's! Ihre Amme hat dem Nilus ohnehin mitgeteilt, was vielleicht geeignet ist, diesen Unglücklichen zu retten. Wir wollen nichts davon unberücksichtigt lassen, aber ihr, die ihr weniger gut mit den obwaltenden Verhältnissen vertraut seid, müßt folgendes im Gedächtnis behalten, um nicht irregeführt zu werden: Der Angeklagte dort ist ihr lieb, und ihn und Perpetua schätzt sie hoch als das einzige, was ihr aus der Heimat verblieben. Ferner darf es mich und euch nicht wundernehmen, wenn ein edles Weib wie sie es wagt, die Schuld eines andern auf sich zu nehmen und sich selbst in ein zweifelhaftes Licht zu stellen, um einen bis dahin treuen und redlichen Diener zu retten. Die Amme ist zur Hand, sollen wir sie rufen oder hat sie Dich, Nilus, mit allem vertraut gemacht, was ihre Herrin zu Gunsten ihres Freigelassenen vorbrachte?«

»Perpetua hat mir und ja zum Teil auch Dir, Herr, einige glaubhafte Angaben gemacht,« entgegnete der Rechnungsbeamte; »aber ich vermag sie doch nicht so treu wiederzugeben wie sie selbst, und ich dächte darum, wir forderten die Frau vor die Schranken.«

»So rufe man sie,« befahl Orion und blickte über die Richter hinweg finster und unnahbar ins Blaue.

Nach langem, peinlichem Schweigen auf allen Seiten erschien die Alte. Gewiß ihrer guten Sache, trat sie selbstbewußt auf, ließ erst den unglücklichen Hiram wenig freundlich an, weil er so lange geschwiegen, und erzählte darauf, wie Paula, um das nötige Geld für die Aufsuchung ihres Vaters zu erlangen, durch den Freigelassenen einen kostbaren Smaragd aus ihrem Halsband habe reißen lassen, und wie dann durch den Verkauf desselben der unglückselige Verdacht auf ihren Landsmann gefallen sei.

Die Aussage der Amme schien den größten Teil der Richter günstig für den Angeklagten zu stimmen, doch Orion ließ ihnen nicht Zeit, ihre Meinungen unter einander auszutauschen; denn kaum hatte Perpetua geschlossen, als Orion den Smaragd, welcher vor ihm auf dem Tische lag, aufhob und gereizt, ja unwillig ausrief:

»Und ein Stein, den sein Verkäufer selbst, einer der größten Juwelenkenner, für den aus dem Teppich und für einzig in seiner Art erklärt, soll plötzlich durch ein Wunder der Natur einen Doppelgänger gefunden haben? Böse Geister treiben auch heute noch ihr Spiel, doch wohl kaum in diesem christlichen Hause. Ihr wißt, was das Wort ›Ammenmärchen‹ in unserer Sprache bedeutet, und was die Amme dort uns vorgeführt hat, gehört zu den unwahrscheinlicheren der Gattung. ›Das kann man dem Juden Apelles weiß machen,‹ sagte der Römer Horaz; seinem Glaubensgenossen Gamaliel,« und dabei wandte er sich dem Juwelier zu, der auf der Zeugenbank saß, »dem dort ganz gewiß nicht, noch weniger aber mir, der ich dies Gewebe durchschaue. Des edlen Thomas Tochter ließ sich herab, es mit Hilfe der Webekünstlerin dort zu flechten und es vor uns zu entrollen, um uns Richter irrezuführen und ihren treuen Diener von Gefangenschaft, Bergwerkarbeit oder Tod zu erretten. So verhält sich die Sache. Irre ich, Weib, oder beharrst Du auf Deiner Behauptung?«

Die Amme, welche in Orion einen Verteidiger ihrer Herrin zu finden gehofft hatte, war seiner Rede mit wachsendem Entsetzen gefolgt. Aus seinen Augen blitzte ihr bald Spott, bald heftiger Groll entgegen, aber obgleich sich bei diesem unerwarteten Angriff ihre Augen mit Thränen gefüllt hatten, bewahrte sie die ihr eigene Gegenwart des Geistes und versicherte, sie habe der Wahrheit die Ehre gegeben, wie allezeit so auch jetzt. Die Fassung des Smaragds ihrer Herrin werde das schon beweisen.

Da zuckte Orion die Achseln, befahl der Amme, ihre Herrin zu rufen, deren persönliches Erscheinen jetzt unerläßlich geworden, und rief dem Rentmeister zu:

»Begleite sie, Nilus! Ein Diener bringt die Truhe hieher, damit sie vor unseren Augen und bevor ein anderer ihren Inhalt berührt, von der Besitzerin selbst geöffnet werde. Ich würde für diese Botschaft nicht taugen; denn niemand in diesem jakobitischen Hause – auch wohl schwerlich einer von euch – hat Gnade vor den Augen der schönen Melchitin gefunden. Mir ist sie leider besonders übel gesinnt, und so muß ich anderen jede Maßregel überlassen, die zu Mißdeutungen führen könnte. Geleite Du sie hieher, Nilus, natürlich mit aller Rücksicht, die einer hochgeborenen Jungfrau geziemt.«

Sobald der Abgesandte sich entfernt hatte, durchmaß Orion das Sitzungszimmer mit schnellen, ruhelosen Schritten. Nur einmal blieb er vor den Richtern stehen und rief:

»Aber wenn sich die Fassung auch findet, wie erklären wir dann das Vorhandensein von zwei, zwei Steinen, jeder einzig in seiner Art? 's ist, um die Geduld zu verlieren. Ein weichherziges Mädchen, das es wagt, einen ernsten Gerichtshof irre zu führen zu Gunsten, zu Gunsten . . .« damit stampfte er unwillig mit dem Fuße und setzte seine stumme Wanderung fort.

»Er ist noch ein Neuling,« dachten die Richter, welche seine tiefe Unruhe bemerkten, »wie ließe er sich sonst solchen thörichten Versuch, einen Angeklagten weiß zu brennen, so nahe gehen und sich die Laune durch dergleichen verderben?«

Endlich machte Paulas Erscheinen dem Auf- und Niederschreiten Orions ein Ende. Er empfing sie mit einer gemessenen Verbeugung und nötigte sie, sich niederzulassen. Dann forderte er Nilus auf, ihr darzulegen, was die Untersuchung und die Verhandlung bisher ergeben und was sie nach seiner und anderer Meinung veranlaßt haben könne, den geraubten Smaragd für den ihren zu erklären. Er werde es so viel als möglich anderen überlassen, sie zu verhören; denn sie wisse am besten, was zwischen ihnen beiden stehe. Vor seinem Eintritt in den Gerichtssaal habe sie durch Perpetua ihre Erklärung des Diebstahls dem Rentmeister Nilus mitteilen lassen, ihm aber – und hier erhob er die Stimme – würde es richtiger und verwandtschaftlicher erschienen sein, wenn sie ihm selbst, Orion, anvertraut hätte, was sie für ihren Freigelassenen zu thun gedenke, es würde ihm dann möglich gewesen sein, sie zu warnen. Dies über ihn Hinwegsehen und -handeln müsse er als neuen Beweis ihrer Abneigung betrachten, und die Folgen werde sie sich selbst zuschreiben müssen; denn nun werde die Verhandlung mit unerbittlicher Strenge ihren Gang gehen.

Der zornig leuchtende Blick seiner Augen verriet ihr, was sie von ihm zu erwarten, und daß er den Kampf mit ihr aufgenommen habe. Sie sagte sich, daß er der Meinung sei, sie habe das Versprechen gebrochen, das sie ihm vor kurzem gegeben; aber sie hatte Perpetua keineswegs beauftragt, sich in diese Angelegenheit zu mischen, nein, sie hatte sie vielmehr ersucht, sie im äußersten Fall ihre Beweismittel selbst vorbringen zu lassen. Orion mußte glauben, daß ihm ein Unrecht von ihrer Seite widerfahren, aber konnte er sich darum so weit vergessen, seine Drohung zur Wahrheit zu machen, einen Unschuldigen, um sich selbst vom Verdachte zu befreien, zu Grunde zu richten und sie als falsche Zeugin zu brandmarken? Ja, auch vor diesem Aeußersten schrak er nicht zurück! Sein flammendes Auge, seine hastigen Geberden, seine Brust, die gewaltsam auf und nieder arbeitete, sprachen es deutlich genug aus. So mochte der Kampf denn beginnen. In diesem Augenblicke wäre sie lieber gestorben, als daß sie es versucht hätte, ihn durch ein entschuldigendes Wort milder zu stimmen. Sie fühlte den Aufruhr in seinem ganzen Wesen nach und hätte sich vor ihm niederwerfen und ihn anflehen mögen, nach Ruhe zu ringen, um sich vor neuen ruchlosen Thaten zu hüten, doch sie bewahrte ihre stolze Würde, und der Blick, mit dem sie dem seinen begegnete, war nicht weniger aufgebracht und herausfordernd als dieser.

Wie zwei junge Adler, die kampfbereit die Federn aufblasen, die Flügel höher schieben und die Hälse recken, standen sie einander gegenüber. Sie, siegesgewiß im Bewußtsein ihrer guten Sache, aber bang viel mehr um ihn als um sich selbst; er beinahe blind für die eigene Gefahr, aber wie ein Gladiator, der seinem Todfeinde in der Arena gegenübersteht, eifriger bedacht, diesen zu fällen, als Leib und Leben zu schützen.

Während der Rechnungsführer ihr vortrug, was sie zum Teil schon wußte, und dann den Verdacht wiederholte, sie habe sich zu einer falschen Aussage hinreißen lassen, um ihrem Diener, der vielleicht aus Liebe zu seinem verschollenen Herrn den Einbruch unternommen, das Leben zu retten, blickte sie häufiger auf Orion als auf den Redner. Dieser erwähnte zuletzt die in Paulas Begleitung aus ihrem Zimmer herbeigebrachte Truhe und eröffnete ihr, daß das Kollegium bereit sei, alles anzuhören und zu prüfen, was sie zu ihrer Verteidigung vorzubringen habe.

Nun stieg Orions Erregung aufs höchste. Er fühlte, wie ihm das Blut aus den Wangen wich, und wie sich seine Gedanken verwirrten. Die Richter, der Angeklagte, seine Feindin, alles, was das weite Sitzungszimmer umschloß, lag vor ihm wie umhüllt von kreisenden grünlichen Nebeln. Was er sah, erschien ihm wie gefärbt mit hellem smaragdenem Grün. Das Haar, die Gesichter, die Gestalten der Anwesenden, alles schimmerte und schillerte in grünlichem Glanz; als aber Paula stolz und sicheren Schrittes auf die Truhe zuschritt, einen Schlüssel aus ihrem Gewand zog, ihn dem Beamten reichte, und dann als einzige Antwort auf die Rede des Nilus und als sei dies schon zu viel, mit kühler Herablassung sagte: »Oeffnet die Truhe!« sah er wieder ihr glänzend braunes Haar, den feurigen Glanz ihrer blauen Augen, das Weiß und Rot ihrer Wangen, das helle Gewand, welches ihre herrliche Gestalt in edlen Falten umfloß, und ihr triumphirendes Lächeln. Wie schön, wie begehrenswert war dieses Weib! Bald sollt' es im Kampf mit ihm unterliegen, aber dieser Sieg, er kostete ihm mit ihr selbst alles, was gut, was rein, was seiner Väter würdig in ihm gewesen. Eine innere Stimme rief es ihm zu, er aber übertäubte sie mit dem Vorwärtsschrei des Agitators. Ja, nur immer weiter bis ans Ziel, fort über Trümmer und Steine, durch Blut und Staub, bis sie den stolzen Nacken beugt, bis sie besiegt, gebrochen um Gnade bittet!

Nun sprang der Deckel der Truhe auf, nun bückte sich Paula, nun hielt sie das Halsband den Richtern entgegen und zog es an beiden Enden straff auseinander, und nun . . . Was war das für ein weher, herzerschütternder Schrei der Verzweiflung! Selbst Orion hätte nie, nie einen gleichen wieder zu hören gewünscht – nun warf sie den Schmuck auf den Tisch, und mit dem Rufe: »Schändlich, schändlich, verrucht!« taumelte sie zurück und hielt sich an ihrer treuen Betta fest; denn die Kniee wankten ihr, und sie fühlte sich in Gefahr, zu Boden zu sinken.

Da sprang Orion auf sie zu, um sie zu stützen, sie aber stieß ihn zurück, und dabei traf ihn ein Blick so voll von Schmerz, von Zorn und tiefer Verachtung, daß er regungslos vor ihr stehen blieb und nach der Stelle des Herzens griff. – Und diesen Streich, der zwei Menschenkindern so weh thun sollte, hatte er mit einem Lächeln begonnen! Dies Possenspiel, in dem ein Todesurteil versteckt lag, zu welchem entsetzlichen Ausgang mochte es führen?

Paula war indessen lautlos auf einen Sessel niedergesunken, und auch er schaute stumm vor sich hin, bis aus der Reihe der Beisitzer helles Gelächter erklang und der alte Psamtik, der Befehlshaber der Hauptwache, welcher längst zu den Richtern gehörte, ausrief: »Meiner Seele, ein köstlicher Stein! Das ist der heidnische Liebesgott Eros, dem sein geflügeltes Schätzchen, die Psyche, ins Angesicht leuchtet. Habt ihr nicht auch den schönen Roman des Apulejus, der ›Goldene Esel‹ heißt er, gelesen? Das Stückchen kommt darin vor. Heiliger Lucas! Wie fein das geschnitzt ist! Die edle Jungfrau hat sich in dem Halsband vergriffen. He, Gamaliel, wo hätte an dem Ding da« – und dabei wies er auf die Gemme – »das grüne Taubenei Platz?«

»Nirgends,« versetzte der Jude. »Die edle Jungfrau . . .«

Aber Orion verwies den Zeugen barsch zur Ruhe, und der Rentmeister Nilus nahm nun die Gemme zur Hand und betrachtete sie aufmerksam von allen Seiten. Dann trat er, der ernste, gerechte Mann, auf dessen Beistand Paula sicher gerechnet, auf sie zu, zuckte bedauerlich die Achseln und fragte sie, ob sich noch ein anderes Halsband mit der Fassung, von der sie gesprochen, in der Truhe befinde.

Da durchlief es sie kalt; denn was hier geschehen war, glich einem Wunder. Aber nein! Mit diesem Schlag gegen sie hatten keine höheren Mächte zu schaffen. Orion glaubte, daß sie ihr Versprechen, ihn zu schonen und zu schweigen, gebrochen, und das, das war seine Rache. Auf welchem Wege, wie er sie ins Werk zu setzen vermocht, das war ein Rätsel. Welch ein Streich! Er hatte getroffen! Aber sollte sie ihn hinnehmen wie ein geduldiges Kind? Nein, tausendmal nein! Und plötzlich gewann sie die alte Widerstandskraft zurück, der Haß stählte ihren geschwächten Willen, und wie ihn der Geist in den Zirkus inmitten des Wettfahrens, so versetzte er sie an das Schachbrett, und es war ihr, als ringe sie mit ihm um den Sieg, aber nicht wie mit seinem Vater um Blumen, kleine Geschenke oder die bloße Ehre des Gewinnens, sondern um einen ganz andern Einsatz: um Tod oder Leben. Alles wollte sie aufbieten, um ihn zu besiegen, und doch, nein – mochte kommen, was da wollte – nicht alles. Lieber unterliegen als ihn des Diebstahles zeihen, als das verraten, was sie im Viridarium erlauscht. Das zu verschweigen, hatte sie versprochen, den Sohn vor dieser Schmach zu bewahren, sollte der Lohn sein, den sie dem Vater heimzahlte für seine Güte. Wie schön, wie groß hatte Orions Bild vor ihrer Seele gestanden! Mit diesem Schandfleck wollte sie es nicht vor sich selbst und der Welt besudeln. Jede andere Rücksicht mußte fort, weit fort geschleudert werden, um ihm den Sieg zu entreißen und Hiram zu retten. Jede Waffe war recht, nur diesen Verrat sollte und durfte sie nicht an ihm üben! Empfinden mußte er, daß sie edler gesinnt war als er, daß sie in jeder Lage des Lebens treu festhalte an ihrem Worte. Es war beschlossen, und nun hob und senkte sich ihr Busen, ihr Blick belebte sich wieder, doch es dauerte lange, bis sie das rechte Wort fand, um den Kampf zu beginnen.

Orion sah, wie es in ihrem Innern gärte und kochte; er fühlte, daß sie sich zum Widerstand rüste und hätte sie aufmuntern mögen, den ersten Schlag zu führen. Noch kein Wort der Ueberraschung oder Empörung, noch keine Silbe des Vorwurfs war über ihre Lippen gekommen. Was sann sie, was bereitete sie vor? Je überraschender und gefährlicher es ausfiel, desto besser; je mutiger sie sich wehrte, desto tiefer durfte bei ihm der peinliche Gedanke in den Hintergrund treten, gegen ein Weib zu kämpfen. Auch Helden hatten sich des Sieges über Amazonen gerühmt!

Endlich, endlich erhob sie sich und näherte sich Hiram. Man hatte ihn an den Sünderpfahl gebunden, und als ein flehender Blick aus seinen treuen Augen sie traf, fiel ihr der Bann von der Zunge, ward ihr plötzlich bewußt, daß sie sich nicht nur zu wehren, sondern eine ernste Pflicht zu erfüllen habe, und nachdem sie sich mit wenigen raschen Schritten dem Tisch genähert, den die Richter im Halbkreise umgaben, stützte sie sich mit der Linken auf seine Platte und rief, indem sie die Rechte hoch aufhob:

»Ihr da seid das Opfer eines gräßlichen Betruges, und ich, an mir ward ein Schurkenstreich ohnegleichen verübt, um mich zu verderben! Der Mann dort am Schandpfahl, sieht er aus wie ein Räuber? Ein treuerer, redlicherer Diener ist nie von seinem Herrn freigelassen worden, und den Dank, den Hiram dem Vater schuldete, auf die Tochter hat er ihn übertragen, da er ihr zu liebe das eigene Haus, Weib und Kind verließ und mir, der Verwaisten, in die Fremde folgte; aber das kümmert euch wenig! Doch wenn ihr die Wahrheit hören wollt, die ganze und volle . . .«

»Sprich!« rief Orion ihr zu, sie aber fuhr fort, indem sie sich nur an Nilus und die Richter wandte und ihn geflissentlich übersah: »Euer Haupt, der Sohn des Mukaukas, weiß, daß ich aus einer Beschuldigten zur Anklägerin werden könnte, wenn ich nur wollte. Aber ich verschmäh' es aus Liebe zu seinem Vater, und weil ich höher denke als er! Er wird mich verstehen! Was den Smaragd hier angeht, so hat ihn der Freigelassene Hiram gestern Abend vor meinen Augen mit seinem Messer aus der Fassung gebrochen; aber außer uns haben sie, gottlob, auch noch andere an der Kette hängen sehen, zu der sie gehörte; heute Mittag befand sie sich noch an der Stelle, an die es der Hand eines Verbrechers später gelang, die Gemme dort zu befestigen. Ich habe diese – bei Christi Wunden beschwör' ich's – vorhin zum erstenmale gesehen. Sie ist ein kostbares Stück. Nur ein reicher Mann, der reichste unter euch allen, schenkt solchen Schatz fort, gleichviel zu welchem Zwecke: sagen wir, um einen Feind zu verderben. Gamaliel« – und dabei wandte sie sich an den Juwelier – »wie hoch, Gamaliel, schätzest Du den Onyx?«

Der Israelit ließ sich die Gemme noch einmal reichen, wandte sie hin und her und sagte dann schmunzelnd: »Ja, schöne Jungfrau, wenn meine schwarze Bruthenne solche Dingerchen legte, wollt' ich sie mit lauter Kuchen von Arsinoë und fetten Austern von Kanopus füttern. Das Ding hat den Wert eines Landguts, und ich bin kein reicher Mann, aber ich zahle dafür jeden Augenblick zwei große Talente, und müßt' ich sie borgen.«

Diese Erklärungen verfehlten nicht, eine starke Wirkung auf die Richter zu üben, Orion aber rief: »Die Wunder häufen sich an diesem denkwürdigen Tage! Der Edelmut, der ein leeres Wort geworden, wird unter uns wieder lebendig. Ein verschwenderischer Dämon macht aus einem wertlosen Goldblech eine kostbare Gemme. Darf man fragen, wer die Fassung an Deiner Kette gesehen hat?«

Da geriet sie in Gefahr, auch die letzte Rücksicht schwinden zu lassen, und versetzte mit bebender Stimme: »Wahrscheinlich Deine Helfershelfer oder Du selbst; denn Du, Du allein hast Ursache . . .«

Doch weiter ließ er sie nicht kommen, sondern schnitt ihr heftig das Wort ab: »Das ist zu viel! O, daß Du ein Mann wärest! Wie weit Dein Edelmut reicht, ich hab' es gesehen! Auch der Haß, die bitterste Feindschaft –«

»Sie besäßen das Recht, Dich ganz zu verderben!« rief sie aufgebracht bis ins tiefste. »Und wenn ich Dich der gräßlichsten Frevelthat zeihe . . .«

»So begehst Du damit einen Frevel gegen mich und Dich und dies Haus!« rief er drohend. »Hüte Dich, Mädchen! Kann die Verblendung so weit gehen, mich, mich selbst aufzurufen, damit ich das Märchen, das Du uns auftischest –«

»O nein, nein; denn das hieße ja noch etwas Braves von Dir erwarten,« unterbrach sie ihn laut. »Ich habe ganz andere Zeugen: Maria, die Enkelin des Mukaukas Georg,« und nun suchte ihr Auge das seine, er aber rief:

»Das Kind, dessen Herzchen Dir angehört, und das Dir folgt wie ein Schoßhund!«

»Und außer ihr, Katharina, die Tochter der Witwe Susanna,« fiel sie ihm siegesgewiß und mit glühenden Wangen ins Wort. »Sie ist kein Kind mehr, sondern eine Jungfrau, Du weißt es! Ich aber,« und nun wandte sie sich wieder an die Richter, »ich stelle an euch die Forderung, eures Amtes würdig zu warten, mir Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und die beiden Zeuginnen vor euch zu fordern und zu vernehmen.«

Da versetzte Orion mit mühsam erzwungener Ruhe:

»Die Großeltern mögen entscheiden, ob man das weichherzige Kind der Versuchung aussetzen darf, durch eine Aussage vor den Richtern, laute sie, wie sie wolle, ihre abgöttisch geliebte Freundin zu retten; ihr Alter beeinträchtigt ohnehin die Giltigkeit ihres Zeugnisses; auch widersteht es mir, ein Kind dieses Hauses in diese mißliche Angelegenheit zu verwickeln. Dagegen ist es die Pflicht des Gerichtshofes, die Jungfrau Katharina vorzuladen, und ich erbiete mich selbst, sie zu rufen.«

Paulas Versuch, ihn abermals zu unterbrechen, wies er mit Entschiedenheit zurück; man werde sie später in Gegenwart der Zeugin geduldig anhören. Die Gemme stamme wohl aus dem Besitz ihres Vaters.

Da übermannte Paula wiederum der gerechte Zorn und außer sich rief sie:

»Nein, tausendmal nein! Ein verruchter Bösewicht, einer Deiner Helfershelfer – ich wiederhol' es – ist in mein Zimmer gedrungen und hat, während ich bei den Kranken weilte, das Schloß meiner Truhe gesprengt oder es mit einem Nachschlüssel geöffnet!«

»Das wird sich feststellen lassen,« entgegnete Orion und seine Stimme klang zuversichtlich, wie er den Kasten auf den Tisch zu stellen befahl und einen der Richter ersuchte, sein Urteil als Sachverständiger abzugeben.

Paula kannte diesen Mann sehr wohl. Er gehörte zu den angesehensten Beamten des Hauses und war der oberste Mechaniker des Mukaukas, dem es oblag, Maße und Gewichte, die Wasseruhren und andere Instrumente zu prüfen und zu vervollkommnen.

Dieser kundige Mann begab sich sogleich an die Untersuchung des Schlosses und fand es in guter Ordnung, obgleich es aufs eigentümlichste konstruirt war, obschon der wunderlich gestaltete Schlüssel durch keinen Dietrich zu ersetzen gewesen wäre und Paula zugeben mußte, die Truhe am Mittag verschlossen und den Schlüssel von da ab am Halse getragen zu haben.

Orion hörte seinem Urteil achselzuckend zu und befahl dann, bevor er aufbrach, um Katharina zu rufen, Paula und die Amme – beide getrennt – in Nebenräume abzuführen. Um Klarheit in diese Angelegenheit zu bringen, sei es geboten, weitere Verabredungen zwischen ihnen unmöglich zu machen.

Sobald sich die Thür hinter den Frauen geschlossen, eilte er in den Garten, wo er Katharina zu finden hoffte.

Die Richter blickten ihm mit geteilten Empfindungen nach. Sie standen hier vor lauter schwer lösbaren Rätseln. An dem guten Willen des Sohnes ihres gerechten Herrn, den sie als einen hochbegabten und großmütigen Jüngling schätzten, zu zweifeln, fühlte sich keiner berechtigt. Sein Streit mit Paula hatte sie peinlich berührt, und jeder fragte sich, wie es gekommen, daß es diesem Liebling der Frauen nicht gelungen sei, andere Empfindungen als die des Hasses in einer der schönsten ihres Geschlechtes, zu erwecken. Die große Feindseligkeit, die sie gegen Orion zur Schau trug, schadete ihrer Sache in den Augen der Richter, welche ihr übles Verhältnis zu Frau Neforis nur zu gut kannten. Mehr als vermessen war es von ihr, den Sohn des Mukaukas zu beschuldigen, ihre Truhe erbrochen zu haben; nur der Haß hatte ihr die Anklage auf die Lippen zu drängen vermocht, aber es lag doch etwas in ihrem Wesen, was für die Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen einnahm, und konnte Katharina wirklich bezeugen, daß sie die Fassung des Smaragds an der Kette gesehen, dann blieb nichts übrig als die Untersuchung von einer neuen Seite her zu beginnen und auf einen andern Hausdieb zu fahnden. Aber wer sollte ein so kostbares Stück wie diese Gemme für ein elendes Nichts fortgeschleudert haben? Es war ja undenkbar, und der Mechaniker Ammonius hatte recht mit seiner Behauptung, einem von Haß erfüllten Weibe sei alles zuzutrauen, auch das Unglaubliche und Unerhörte.

Inzwischen war es völlig dunkel und aus dem glühenden Tage ein herrlicher, lauer Abend geworden.

Der Mukaukas hatte sein Gemach noch immer nicht verlassen, während seine Gattin mit der Witwe Susanna und ihrer Tochter, der kleinen Maria und ihrer Erzieherin in der dem Garten und dem Nil zugewandten offenen Halle Luft schöpften und plauderten. Die Frauen hatten den Kopf gegen die Mücken, welche vom Strome her durch die Windlichter scharenweise angelockt wurden, mit Spitzenschleiern verhüllt, die sie auch vor den aus dem flachen Nil aussteigenden Dünsten schützen sollten, und griffen eben nach den jüngst aufgetragenen kühlenden Fruchtsäften, als Orion erschien.

»Was ist da geschehen?« rief ihm die Mutter besorgt entgegen; denn sie schloß aus dem wirren Haar und den hochgeröteten Wangen des Sohnes, daß die Sitzung nichts weniger als glatt verlaufen.

»Unerhörtes,« versetzte dieser. »Paula kämpft wie eine Löwin für den Freigelassenen ihres Vaters . . .«

»Um uns zu kränken und in Verlegenheiten zu stürzen,« entgegnete Neforis.

»Nein, nein, Mutter,« erwiderte Orion erregt. »Aber ein Eisenkopf ist sie, ein Weib, das keine Rücksicht kennt, wo es seinen Willen durchzusetzen gilt, und dabei geht sie mit einer Klugheit vor, die des größten Advokaten würdig wäre, den ich auf dem Tribunal in der Hauptstadt eine mißliche Sache verteidigen hörte. Außerdem verwirren ihr vornehmes Wesen und ihre göttliche Schönheit unseren armen Hausbeamten die Köpfe. Es ist ja brav und edel, sich für einen Diener so zu ereifern, doch es kann ihr alles nichts helfen; denn die Beweise, welche gegen ihren stotternden Liebling vorliegen, sind geradezu erdrückend, und wenn ihr letzter Einwand am Boden liegt, ist die Sache entschieden. Sie will dem Kinde und auch Dir, reizende Katharina, ein Halsband gezeigt haben.«

»Gezeigt?« rief das Bachstelzchen. »Fortgenommen hat sie es uns, nicht wahr, Maria?«

»Wir hatten's eben ohne ihre Erlaubnis genommen,« erwiderte die Kleine.

»Und sie verlangt,« fragte Frau Neforis gereizt, »daß unsere Mädchen vor Gericht gezogen werden, um Zeugnis abzulegen für ihre Hoheit?«

»Freilich,« entgegnete Orion. »Aber Marias Aussage gilt noch nichts vor den Richtern . . .«

»Und wenn auch,« entgegnete seine Mutter. »Das Kind wird mir keinenfalls in diese nichtswürdigen Händel verwickelt!«

»Weil ich für Paula sprechen würde!« rief Maria und sprang unwillig auf.

»Den Mund wirst Du halten!« fiel ihr die Großmutter ins Wort.

»Und was Katharina angeht,« sagte die Witwe, »so kommt es mir nicht in den Sinn, sie zur Augenweide für all diese Herren herzugeben.«

»Herren!« machte das Mädchen. »Männer sind es, kleine Beamte und dergleichen mehr. Die können lang auf mich warten!«

»Aber Du mußt ihnen dennoch den Willen thun, stolzes Röschen,« lachte Orion; »denn Du bist gottlob kein Kind mehr, und dem Gerichtshofe steht es zu, jeden Erwachsenen als Zeugen vor die Schranken zu fordern. Geschehen wird Dir nichts; denn Du stehst unter meinem Schutz. Komm nur mit! Man muß alles kennen lernen im Leben! Hier hilft kein Sträuben. Uebrigens brauchst Du nur auszusagen, was Du gesehen hast, und dann führ' ich Dich, wenn sie es gestattet, wieder hübsch sorgsam an diesem Arme zu der Frau Mutter zurück. Du mußt mir Dein Kleinod heut schon anvertrauen, Susanna, und die ehrwürdige Zeugin soll Dir dann sagen, wie sich's mit mir auskommen läßt.«

Katharina wußte den versteckten Nebensinn dieser Worte zu deuten, und es gefiel ihr nicht übel, mit dem schönen Statthaltersohne, dem ersten Manne, für den ihr kleines Herz schneller schlug, allein sein zu dürfen, und so sprang sie denn munter auf; Maria aber klammerte sich an ihren Arm und verlangte so stürmisch und hartnäckig, mitgenommen zu werden und zu Paulas Gunsten zu reden, daß die Erzieherin und Frau Neforis sie nur mit Mühe zwingen konnten, sich zu fügen und das Pärchen allein ziehen zu lassen.

Beide Mütter sahen ihm zufriedenen Herzens nach, und die Statthaltersfrau flüsterte der Witwe zu: »Heut vor Gericht und recht bald, so Gott will, vor den Altar in der Kirche.«

Um in den Sitzungssaal zu gelangen, konnte man entweder durch das Haus gehen oder dasselbe umschreiten. Gab man dem letzten Wege den Vorzug, so mußte man zuerst durch den Garten, und ihn wählte Orion. Er hatte sich vor den Frauen Gewalt angethan, um Herr der Unruhe zu bleiben, die ihn erfüllte, und nun fühlte er, wie ihn der Kampf, den er begonnen und von dem er am wenigsten jetzt zurücktreten konnte und wollte, weiter und weiter trieb und ihn zwang, auch das junge Geschöpf, welches nun – der Würfel rollte schon – sein Weib werden mußte, auf die ruchlose Bahn nachzuziehen, die er betreten.

Als er der Mutter zugesagt, nicht morgen, sondern übermorgen um Katharina zu werben, hatte er gehofft, ihr in der bewilligten Frist zu beweisen, daß die Kleine doch nicht die rechte Frau für ihn sei, und nun – welch ein Hohn des Schicksals! – nun sah er sich gezwungen, in jeder Hinsicht das Gegenteil dessen zu thun, wozu seine Neigung ihn trieb: das Weib, das er liebte, ja immer noch liebte, wie eine Todfeindin bekämpfte er sie, und das Mädchen, welches ihm eigentlich nichts galt, um sie mußte er werben. Es war um den Verstand zu verlieren, doch es mußte geschehen, und mit einem neuen »Vorwärts« stürzte er sich in die Lösung der ruchlosen Aufgabe, das unerfahrene Wesen an seinem Arme sich so zu unterwerfen, daß es bereit war, auch Unrecht für ihn zu begehen.

Sein Herz pochte zum Zerspringen; doch da war kein Aufenthalt, kein Zurückweichen möglich; es galt, Sieger zu bleiben; also vorwärts, nur vorwärts!

Sobald sie aus dem Lichtkreise der Windlampen in den Schatten getreten, ergriff er, froh, daß das Dunkel seine Lüge verbarg, die winzige Rechte der neben ihm wandelnden Kleinen mit beiden Händen und drückte die Lippen auf ihre zarten Fingerspitzen.

»Aber, Orion,« sagte sie verschämt und ließ ihn dann gewähren.

»Ich fordere nur mein Recht, Du Sonnenschein meiner Seele!« versetzte er schmeichelnd. »Wenn Dein Herz so laut pocht wie das meine, so hören's die Mütter da drüben.«

»Es pocht schon,« versetzte sie glücklich und senkte den Lockenkopf auf die Seite.

»Aber meines thut es ihm doch wohl zuvor,« entgegnete er seufzend und legte ihr Händchen auf seine Brust. Er konnte es getrost wagen; denn sein krampfhafter Schlag drohte ihn zu ersticken; sie aber rief freudig:

»Ja, freilich, das hämmert . . .«

»Sie dürfen's auch drüben vernehmen,« entgegnete er mit einem erzwungenen Lachen. »Ob Dein Mütterchen nicht schon längst in unsere Herzen gelugt hat?«

»Natürlich,« antwortete sie leise. »So froh wie seit Deiner Heimkehr hab' ich sie selten gesehen.«

»Und Du, kleine Zauberin?«

»Ich? Natürlich bin ich auch froh gewesen; sie waren's ja alle. Und Deine Eltern!«

»Nein, nein, Katharina! Was Du selbst bei unserem Wiedersehen gefühlt hast, das möcht' ich wissen!«

»Ach, laß doch, wie kann man so etwas nur beschreiben?«

»Das sollte nicht angehen?« fragte er und zog ihren Arm fester in den seinen. Er mußte sie gewinnen, und seine dichterische Einbildungskraft half ihm, nie Empfundenes mit glühenden Farben zu schildern. Süße Liebesworte ließ er sie hören, und sie glaubte ihnen nur zu gern. Auf seinen Wink ließ sie sich vertrauensvoll auf einer Holzbank in der alten Allee nieder, die zu der Nordseite des Hauses führte.

An vielen Sträuchern hatten sich dort Blüten entfaltet und versandten süßen, die Brust beklemmenden Duft. Der Mondschein drang durch die dichten Kronen der Sykomoren, und schimmernde Lichtstreifen und Kreise spielten im Laubwerk, an den Stämmen und auf dem dunklen Boden. Die Glut des Tages war, festgehalten von dem Blätterdom zu ihren Häupten, immer noch schwül und drückend, und in diesem Gange nannte er sie zum erstenmale sein einziges Bräutchen, schlug er ihr Herz in Ketten und Bande. Jedes seiner glühenden Worte durchzitterte die seine Seele marternde wilde und bange Erregung und gewann das Ansehen, als sei es tief und aufrichtig empfunden.

Dazu berauschte der Blütenduft ihr junges, unerfahrenes Herz, und willig bot sie ihm die Lippen zum Kusse, tief beseligt fühlte sie hier die ersten Schauer junger, erwiderter Liebe.

Ein Leben lang hätte sie so mit ihm verbunden sein mögen, doch schon nach einigen Minuten sprang er auf und rief, begierig, der zärtlichen Wallung ein Ende zu machen, die sich auch seiner zu bemächtigen begann, laut und heftig:

»O dies teuflische, verwünschte Gericht! Aber das ist das Geschick des Mannes! Die Pflicht ruft, und er muß mitten aus allen Wonnen des Paradieses auf die Erde zurück. Deinen Arm, Du, mein ein und mein alles!«

Und Katharina gehorchte ihm und ließ sich, verwirrt und befangen von dem unerhörten Glück, das ihr widerfahren, von ihm fortziehen und horchte tief atmend auf, wie er ihr zurief:

»Nach dieser Himmelswonne in das nüchternste aller Geschäfte! Und wie widrig, wie häßlich über die Maßen ist die Sache, um die es sich handelt! Wie gern möcht' ich Paula ein Freund und treuer Beschützer sein, statt ein Gegner!«

Bei diesen Worten fühlte er die Linke des Mädchens auf seinem Arm zusammenzucken und weiter, immer weiter trieb es ihn auf der Bahn des Verbrechens. Katharina zeichnete ihm selbst den Weg vor, zum Ziel zu gelangen, und während er fortfuhr, ihre Eifersucht zu entflammen, indem er Paulas Anmut und Hoheit pries, entschuldigte er sich vor sich selbst mit der Erwägung, daß er als Bräutigam berechtigt sei, die Braut zu zwingen, ihm Glück und Ehre zu retten.

Dennoch hatte er bei jedem schmeichelnden Wort die Empfindung, als erniedrige es ihn selbst, als begehe er damit gegen Paula ein neues Unrecht. Es ward ihm nur zu leicht, ihr Lob zu singen; doch als er es mit wachsender Lebhaftigkeit that, schlug sie ihm auf den Arm und rief halb scherzend, halb ernstlich verdrossen:

»O, diese Göttin! Bin ich oder ist sie Deine Geliebte? Daß Du mich nicht eifersüchtig machst! Hörst Du?«

»Kleines Närrchen!« entgegnete er munter und fuhr dann beschwichtigend fort: »Sie ist wie der kühle Mond, aber Du bist die lichte, wärmende Sonne. Ja, Paula! – Einem Olympier, einem Erzengel wollen wir sie überlassen; ich lobe mir mein kleines, fröhliches Mädchen, das mit mir das Leben genießen soll mit all seinen Freuden!«

»Das wollen wir!« jauchzte sie auf und sah den Horizont ihrer Zukunft in glänzendem Sonnenlicht strahlen.

»Gütiger Himmel,« unterbrach er sie wie überrascht. »Das Licht dort scheint schon aus dem elenden Gerichtssaal. O, die Liebe, die Liebe! Von ihr bezaubert, haben wir den Zweck unseres Ganges vergessen. Sage mir, Schatz, weißt Du noch genau, wie das Halsband aussah, womit Du und Maria heute Mittag gespielt habt?«

»Es war sehr fein gearbeitet, und nur in der Mitte hing ein garstiges, verbogenes Goldblech.«

»Kunstkennerin, Du! Du hast die schön geschnittene Gemme übersehen, die in der unscheinbaren Fassung ruhte.«

»Gewiß nicht!«

»Doch, kleine Weisheit!«

»Nein, Liebster!« und als sie dies Wort aussprach, schlug sie die Augen froh auf, als sei ihr ein kühnes Wagnis gelungen. »Was Gemmen sind, weiß ich genau. Vater hat eine große Sammlung davon hinterlassen, und Mutter sagt, nach dem Testament gehörten sie einmal meinem künftigen Mann.«

»So kann ich Dich, mein reizendes Juwel, mit einem Rahmen von lauter Gemmen umgeben!«

»Nein, nein,« rief sie lustig. »Gib mir nur später eine Fassung; denn ich bin ein so flüchtiges Ding, doch es darf nur, nur Dein Herz sein!«

»Diese Goldschmiedsarbeit ist schon verrichtet! Aber im Ernste, Kind; was an Paulas Halsband hing, das war eine Gemme, und Du, kleine Kennerin, hast sie zufällig nur von hinten gesehen. Da hat sie einen Rücken, ganz wie Du ihn beschriebst, eine schlichte Kapsel von Goldblech.«

»Aber Orion!«

»Hast Du mich lieb, Herzensmädchen, dann widersprich mir nicht weiter. Später will ich Dich immer um Deine Ansicht fragen, doch in diesem Fall könnte mich Dein Irrtum in schwere Mißhelligkeiten stürzen und mich zwingen, Paula nachzugeben, und sie zu meiner Bundesgenossen zu machen. Da sind wir! Aber bleiben wir noch einen Augenblick stehen! Und nun noch einmal die Gemme! Siehst Du; – wir können beide irren, ich wie Du, aber ich glaube sicher, im Rechte zu sein, und wenn Du diesmal eine andere Aussage machst wie ich, so stehe ich vor den Richtern da wie ein Lügner. Wir sind nun doch Braut und Bräutigam, eins, ganz eins, und was das eine von uns schädigt oder erhebt, das erhebt und erniedrigt zugleich auch das andere. Sagst Du, die mich lieb hat, und von der die Leute schon munkeln, Du würdest bald als Herrin in der Statthalterei gebieten, etwas anderes aus wie ich, so glauben sie's sicher. Sieh, Dein ganzes Wesen ist lauter Güte, doch Du bist noch zu rein und jung, um jede Forderung der allgewaltigen Liebe, welche alles erträgt und erduldet, ganz zu verstehen. Wenn Du mir in diesem Falle nicht freudig nachgibst, so liebst Du mich sicher nicht, wie Du solltest. Und was verlangt man denn Großes? Ich frage Dich, und Du sagst nichts weiter vor den Richtern aus, als daß Du heut Mittag Paulas Halsband gesehen und daß eine Gemme daran befestigt gewesen sei, eine Gemme mit Amor und Psyche.«

»Das soll ich vor all den Männern bezeugen?« fragte Katharina bedenklich.

»Das mußt Du thun, Du freundlicher Engel!« rief Orion zärtlich. »Findest Du es hübsch, wenn die Braut ihrem Liebsten die erste Bitte grämlich, bedenklich, rechthaberisch abschlägt? Nein, nein; wenn nur ein Fünkchen Liebe für mich in Deinem Herzchen glimmt, wenn Du mich nicht gezwungen sehen willst, Paula zu bitten, sich mir gnädig zu erweisen . . .«

»Aber warum handelt sich denn das alles? Wem kann's nur so viel darauf ankommen, ob eine Gemme oder ein einfaches Goldblech . . .«

»Das wird Dir später alles ausführlich erklärt,« versetzte er eifrig.

»Thu es doch jetzt schon . . .«

»Es geht nicht, wir haben die Geduld der Richter schon längst viel zu hart auf die Probe gestellt; es ist kein Augenblick zu verlieren!«

»Nun gut, aber ich komme um vor Verlegenheit und Scham, wenn ich vor den Richtern eine Aussage mache . . .«

»Die richtig ist und wodurch Du mir zeigen kannst, daß Du mich liebst,« unterbrach er sie dringend.

»Wie schrecklich das ist!« rief sie ängstlich. »So binde mir wenigstens den Schleier fest um das Gesicht. All die bärtigen Männer

»Wie der Vogel Strauß,« lachte Orion und that ihr den Willen. »Wenn Du wirklich eine andere Ansicht hast als Dein . . . wie hast Du vorhin gesagt? Sag's doch noch einmal!«

»Dein Liebster!« rief sie verschämt und innig, und half Orion, ihr den Schleier doppelt vor das Gesicht binden, und wehrte ihm nicht, als er ihr ins Ohr flüsterte: »Laß doch sehen, ob ein Kuß auch durch solche Vermummung noch gut schmeckt! – Nun komm; in wenigen Minuten ist alles vorüber!«

Damit führte er sie schnell in den Vorraum des Gerichtssaals, bat sie, einen Augenblick zu warten, und teilte den Richtern eilig mit, Frau Susanna habe ihm ihr Töchterchen nur anvertraut unter der Bedingung, daß er sie, nachdem sie ihre Aussage als Zeugin gemacht, ungesäumt zu ihr zurückführe. Dann ließ er Paula rufen und forderte sie auf, sich zu setzen.

Katharina war zaudernd und beklommenen Herzens in den Vorraum des Gerichtssaals getreten. Sie hatte sich wohl manchmal durch kleine Winkelzüge vor Schelte zu retten gesucht, aber noch nie ernstlich gelogen, und nun sträubte sich alles in ihr gegen die Zumutung, etwas geradezu Unwahres zu sagen. Aber konnte das denn schlecht sein, was Orion, der edelste der Männer, der Abgott der ganzen Stadt, so dringend von ihr begehrte? Legte die Liebe – er war ja dieser Ansicht gewesen! – ihr nicht die Pflicht auf, alles zu thun, was ihn vor Nachteil und Schaden beschützen konnte? Das wollte ihr zwar nicht völlig billig erscheinen, aber vielleicht begriff sie es nur noch nicht ganz, weil sie so jung und unerfahren war. Es ängstige sie auch, daß ihr Geliebter, wenn sie gegen seinen Willen handelte, mit Paula einen Bund schließen mußte. An Selbstbewußtsein fehlte es ihr gar nicht, und sie sagte sich, daß sie vor keinem Mädchen in Memphis zurückzustehen brauche; nur die schöne, stolze, große Damascenerin fühlte sie ihrer kleinen Person hoch überlegen, und sie konnte nicht vergessen, wie vorgestern, da Paula mit ihrem Bräutigam im Garten auf und nieder gewandelt war, das Stadthaupt von Memphis ausgerufen hatte: »Welch ein wundervolles, herrliches Paar!« Oft hatte sie gedacht, daß kein schöneres, vornehmeres, liebenswerteres Geschöpf auf Erden wandle als die Tochter des Thomas, und um einen Blick, ein freundliches Wort von ihr sehnsüchtig geworben. Aber seit jenen Worten des Stadthauptes war eine bittere Empfindung gegen Paula, die später von vielen Seiten reichliche Nahrung empfing, in ihr lebendig geworden. Sie begegnete ihr immer wie einem Kinde, nicht wie einem erwachsenen Mädchen, das sie doch war. Warum hatte sie heute Mittag ihren Bräutigam, so durfte sie ihn ja nun nennen, ihren Bräutigam aufsuchen wollen und sie von ihm zurückgehalten? Und wie war es zugegangen, daß Orion mitten, während er ihr seine Liebe gestand, so mehr als warm, so begeistert von ihr gesprochen hatte? Nein, vor der Damascenerin mußte sie auf der Hut sein, und wenn man erst von dem Glück sprach, das ihr widerfahren, Paula wenigstens gönnte ihr's gewiß nicht; denn daß auch sie ihren Geliebten nicht gleichgiltig ansah, das fühlte, das wußte Katharina. Sie besaß keine Feindin auf der Welt, aber Paula, die war es, von ihr hatte ihre Liebe alles zu fürchten, und plötzlich fragte sie sich, ob das Goldblech, das sie gesehen, nicht doch eine Gemme gewesen. Hatte sie denn das Halsband auch nur einen Augenblick aufmerksam betrachtet? Und warum sollte sie schärfer gesehen haben als die großen, wunderschönen Augen des Orion?

Er hatte schon recht, recht wie immer!

Die meisten geschnittenen Steine hatten doch eine ovale Gestalt, und oval war auch das Ding gewesen, worüber sie Zeugnis ablegen sollte. Ein falsches von ihr zu verlangen, das sah Orion nicht ähnlich! In jedem Fall war es die Pflicht seiner Braut, ihn vor Schaden zu wahren und zu verhindern, mit der falschen Sirene ein Bündnis zu schließen. Sie wußte, was sie zu sagen hatte, und schon wollte sie sich ein Stück des Schleiers vom Antlitz lösen, um Paula recht fest in die Augen zu schauen, als Orion wiederkehrte, um sie in den Gerichtssaal zu führen.

Zu seiner Freude, ja fast zu seinem Erstaunen sagte sie hier mit aller Sicherheit aus, eine Gemme habe heute Mittag an Paulas Halsband gehangen, und als man ihr den Onyx wies und sie fragte, ob sie sich desselben erinnere, entgegnete sie ruhig:

»Das kann es gewesen sein oder auch nicht; ich entsinne mich nur noch des ovalen goldenen Rückens; übrigens ließ mir diese Jungfrau ihr Kleinod nur kurze Zeit in den Händen.«

Als der Rentmeister Nilus sie dann aufforderte, das Bild des Amor und der Psyche näher zu betrachten, um ihre Erinnerung zu schärfen, entgegnete sie abweisend:

»Ich mag solche heidnische Bilder nicht; wir jakobitischen Mädchen tragen auch anderen Schmuck.«

Da erhob sich Paula, trat ihr mit einem Blick voll strengen Vorwurfs entgegen, und nun war es der kleinen Katharina lieb, daß sie den Einfall gehabt, sich den doppelten Schleier umlegen zu lassen. Aber nur kurze Zeit dauerte die tiefe Beklemmung, in die sie das Auge der Damascenerin versetzte; denn als diese ihr vorwurfsvoll zurief: »Du deutest auf Dein Bekenntnis. Es fordert wie das meine, der Wahrheit die Ehre geben. Bedenke, was von Deiner Aussage abhängt; ich beschwöre Dich, Kind!« da unterbrach die Kleine ihre Gegnerin und rief gereizt und in leidenschaftlicher Wallung:

»Ich bin kein Kind mehr, auch nicht für Dich, und bevor ich rede, bedenke ich mich, wie mich's gelehrt ward!«

Dann warf sie das Köpfchen trotzig zurück und wiederholte bestimmt:

»Dieser Onyx hat in der Mitte der Kette gehangen.«

»Daß Dich, Du schändlicher Knirps!« rief ihr die Amme, ihrer selbst nicht mehr mächtig, ins Antlitz; Katharina aber schrak zusammen und blickte sich, als habe sie eine Natter gestochen, nach derjenigen um, die es gewagt hatte, sie so grausam und frech zu beschimpfen. Hilflos und dem Weinen nahe suchte ihr Blick nach Beistand, und sie brauchte nicht lang auf den Rächer zu warten; denn Orion befahl sogleich, Perpetua wegen ihrer falschen Aussagen ins Gefängnis zu führen, die Damascenerin aber, weil sie nicht geschworen und nur in guter Absicht eine unglaubliche Geschichte erdichtet, zu entlassen und die Truhe wieder auf ihr Zimmer zu tragen.

Da trat diese noch einmal vor die Schranken, löste den Onyx von der Kette, warf ihn dem Juden Gamaliel zu, der ihn auffing, und sagte:

»Ich schenke ihn Dir, Mann! Vielleicht kauft ihn Dir der Schurke wieder ab, der ihn an meine Kette gehängt hat. Von dem heiligen Kaiser Theodosius hat sie meine Ahnfrau empfangen, und ehe ich sie weiter durch dieses Geschenk eines Elenden besudeln ließe, würf' ich sie selbst in den Nil. Euch armen, betrogenen Richtern zürne ich nicht, doch ich beklag' euch! Mein Hiram« – und dabei wies sie auf den Freigelassenen – »ist ein redlicher Mann, dessen ich mit dankbarer Liebe gedenken will bis in den Tod; aber dieser ungerechte Sohn des gerechtesten Vaters, dieser dort . . .« Das rief sie, indem sie Orion gerade ins Gesicht wies; hier aber unterbrach sie der Jüngling mit einem lauten »Genug!«

Da suchte sie sich zu sammeln und sagte:

»Ich thu' Dir den Willen; denn Dein Gewissen wird Dir hundertfach wiederholen, was ich verschweige, und nun auf ein Wort!« Damit trat sie ihm näher und flüsterte ihm zu:

»Ich habe es über mich gewonnen, die schärfste Waffe gegen Dich unbenützt zu lassen, einem gegebenen Wort zu Gefallen. Wenn Du nicht der Elendeste der Elenden bist, so gedenke des Deinen und rette Hiram.«

Ein stummes Nicken war seine Antwort, sie aber blieb auf der Schwelle noch einmal stehen und rief Katharina zu:

»Dich, Kind; denn das bist Du, Dich wird der Sohn des Mukaukas für den Dienst, den Du ihm eben erwiesen, mit unnennbaren Schmerzen belohnen!«

Damit verließ sie den Saal, erstieg mit wankenden Knieen die Treppe, und als sie wieder neben dem Lager der armen Irrsinnigen weilte, schenkte ihr der gütige Gott die lindernde Wohlthat der Thränen.

Ihr Freund sah sie weinen und weinen und störte sie nicht, bis sie ihn selbst anrief und ihm alles vertraute, was ihr an diesem schweren Tage begegnet.

Orion und Katharina hatten den frohen Mut verloren und begaben sich ernst zu dem Säulengange zurück. Als sie unterwegs in ihn drang, ihr zu erklären, warum er sie zu diesem Zeugnis verleitet, vertröstete er sie auf morgen. Sie fanden Frau Susanna allein; denn seine Mutter war zu dem schwerer leidenden Gatten gerufen worden und hatte die kleine Maria mit sich genommen. Nachdem er die Witwe begrüßt und sie an den Wagen geleitet, kehrte er in den Sitzungssaal zurück.

Dort trug er den Richtern den gesamten Thatbestand und alles, was gegen den Freigelassenen zeugte, noch einmal in runder Zusammenfassung vor. Darauf wurde das Urteil gefällt. Es verdammte den treuen Hiram gegen die einzige Stimme des Rechnungsbeamten Nilus zum Tode.

Orion befahl, die Vollstreckung des Urteils aufzuschieben, und kehrte nicht wieder in das Haus zurück, sondern ließ sich den wildesten Hengst satteln und sprengte ganz allein in die Wüste. Er hatte gesiegt, aber es war ihm, als sei er bei diesem Rennen in den Schlamm geraten, und als müsse er darin ersticken.


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