Georg Ebers
Die Nilbraut
Georg Ebers

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Zweiunddreißigstes Kapitel.

Tief innerlich verletzt, warf sich Orion zu Haus auf den Diwan. Sie hatte gesagt, daß ihr Herz ihm gehöre, doch was war das für eine ärmliche, kühle Liebe, die nichts gewährte, bevor sie sich sichergestellt sah! Und wie hatte Paula einer Dritten gestatten können, sich zwischen sie beide zu stellen und ihr Thun und Empfinden zu lenken? Was unter ihnen vorgegangen war, mußte sie dieser Dritten verraten haben, für diese ihm feindlich gesinnte melchitische Nonne wollte, sollte er . . . Es war um den Verstand zu verlieren . . . Aber er konnte nicht zurück, er hatte sich dem würdigen Greise, hatte sich ihr gegenüber zu dem unsinnigen Abenteuer verpflichtet. Statt der herrlichen, stolzen Beherrscherin seines ganzen Wesens zeigte ihm jetzt seine Einbildungskraft ein thränenreiches, unselbständiges, herzenslaues Weib.

Da lagen die Karten und Pläne, die er sich, um sie für die Aufgabe, welche ihm der edle Amr gestellt, zu benützen, von Nilus hatte auf sein Zimmer bringen lassen, und als sein Blick auf sie fiel, schlug er mit der Faust an die Wand, sprang er auf, lief er wie ein Besessener in demselben Zimmer auf und nieder, das ihr stilles Leben geweiht.

Da stand ihre Laute; er hatte sie neu besaitet und gestimmt. Um sich zu beruhigen, riß er sie an sich, ergriff er das Plektrum und begann zu spielen. Doch das Instrument war schlecht, sie hatte sich mit dem elenden Dinge begnügt! Er warf es auf die Polster und nahm sein eigenes zur Hand, ein Geschenk Heliodoras.

Wie schön und weich hatte sie es zu spielen verstanden! Auch jetzt gaben seine Saiten einen herrlichen Klang, und nach und nach begann er sich seiner zu freuen, und die Musik sänftigte, wie schon so oft, seine erregten Sinne. Schön und rührend klang sein Spiel, doch manchmal schlug er so heftig in die Saiten, daß ihr gewaltiges Klirren und Sausen und Schmettern sich anhörte wie der wehe Aufschrei einer verzweifelten Seele.

Bei solchem leidenschaftlichen Spiel klappte plötzlich mit dröhnendem Aufschlag der Steg auf den Boden der Laute, und im selben Augenblick öffnete der Sekretär, der ihn in die Hauptstadt begleitet, in freudiger Erregung die Thür und rief ihm schon auf der Schwelle entgegen:

»Herr, denke nur, Herr! Da kommt ein Bote aus der Herberge des Sostratus und überbringt Dir dies Täfelchen. Es ist offen, und ich hab' es gelesen. Denk nur, 's ist kaum zu glauben! Der Senator Justinus mit seiner edlen Gattin, der hohen Matrone Martina, ist hier, hier in Memphis, und sie lassen Dich bitten, sie aufzusuchen, um Wichtiges mit Dir zu besprechen. Heute Nacht sind sie angekommen, sagt mir der Bote, und nun, nun . . . Solche Freude! Was hast Du alles in ihrem Palast genossen! Können wir sie in der Herberge lassen? So lang es ein Gastrecht gibt, wäre das eine Sünde!«

»Unmöglich, völlig unmöglich!« rief Orion, der die Laute aus der Hand geworfen hatte und nun selbst auf das Täfelchen blickte. »Er ist es wahrhaftig; seine eigene Handschrift! Und gerade diese beiden Unbeweglichen sind in Memphis, sind in Aegypten! Beim Zeus,« – so schwur die goldene christliche Jugend in Alexandria und Konstantinopel noch immer – »beim Zeus, ich bin ihnen schuldig, sie hier aufzunehmen wie Fürsten! Warte! Du sagst natürlich dem Boten, ich werde gleich kommen, und läßt das neue pannonische Viergespann an den silbernen Wagen schirren. Und ich, ich geh' zu der Mutter; aber das hat ja noch Zeit. Du befiehlst gleich dem Sebek, den Fremdenstock, aus dem die Kranken ja gottlob heraus sind, für vornehme Gäste herrichten zu lassen. Mein jetziges Zimmer wird mit dazu genommen, und ich zieh' in die frühere Wohnung zurück. Sie haben sicher ein großes Gefolge. Zwanzig, dreißig Sklaven ans Werk! In längstens zwei Stunden muß alles bereit stehen. Die beiden Säle sind besonders schön auszustatten. Wo es fehlt, steht dem Sebek unbedenklich alles zur Verfügung, was in der Statthalterei ist. Justinus hier in Aegypten! Aber nun eile Dich! Doch warte! Noch eins! Nimm die Schriften und Pläne hier, oder nein . . . Sie sind für Dich zu schwer. Uebergib sie einem Sklaven und laß sie zu Rufinus bringen, der sie aufbewahren soll, bis ich komme Sag' ihm, ich dächte sie unterwegs zu benutzen, er weiß schon.«

Der Sekretär stürmte hinaus, und Orion ließ sich schnell das Haar ordnen und das Trauergewand in neue Falten legen; dann begab er sich zu der Mutter. Sie hatte oft und viel von der herzlichen Aufnahme gehört, die dem Sohn und in früherer Zeit ihrem verstorbenen Gatten im Hause des Senators zu teil geworden, und fand es darum selbstverständlich, daß der sogenannte Fremdenstock, zu dem auch Paulas Zimmer gehört hatte, den Reisenden eingeräumt werde; doch sie verlangte, selbst für leidend erklärt zu werden, um sich nicht um die Gäste bekümmern zu brauchen.

Dann riet sie Orion, seine Reise aufzuschieben und sich den Freunden zu widmen; er aber erklärte, daß er sich nicht durch sie zurückhalten lassen könne. Auf Sebek und die oberste Schaffnerin sei voller Verlaß. und einer Kranken erlasse selbst der Kaiser die Pflichten der Wirtin. Einmal werde sie dem edlen Paare wohl gestatten, ihr die Aufwartung zu machen, aber auch dies lehnte Frau Neforis ab. Es sei genug, wenn die Gäste täglich in ihrem Namen und mit Grüßen von ihr auserlesene Früchte und Blumen und zuletzt wertvolle Gastgeschenke empfingen.

Orion fand dies Vorhaben ihrer würdig, und bald darauf jagte er mit seinen Pannoniern zum Hofe hinaus.

Am Hafen begegnete er dem Schiffsführer, den er gemietet, hielt ihm schnell zwei Finger entgegen, und dieser deutete durch eifriges Kopfnicken an, die Bedeutung dieses Winkes: »Zwei Stunden vor Mitternacht wirst Du erwartet,« verstanden zu haben.

Der Anblick des wettergebräunten Schiffers und die Aussicht, den vornehmen Freunden ihre Güte zu vergelten, ermunterten ihn, und so leid es ihm that, gerade diese Gäste verlassen zu müssen, begannen die seiner wartenden Gefahren ihn doch wieder zu reizen. Es sollte ihm nicht schwer fallen, die Aebtissin unterwegs für sich zu gewinnen, und Paula brachte er vielleicht schon heut Abend zur Vernunft. Justinus und seine Frau waren auch Melchiten, und er wußte, daß sie, die er hoch schätzte, über sein Vorhaben entzückt sein würden, wenn er sie ins Vertrauen zog.

Die Herberge des Sostratus, ein gewaltiges Gebäudeviereck, das sich um einen weiten Hof schloß, war die vornehmste und größte der Stadt. Ihre Ostseite wandte sich der Straße und dem Nil zu und enthielt die besten Zimmer des Hauses, welche das Senatorenpaar mit seinen Begleitern seit der vergangenen Nacht bewohnte.

Den Justinus zog das Gerassel des Viergespanns ans Fenster, und sobald er Orion erkannte, schwenkte er mit einem Tischtuch, das er rasch ergriffen, in die Straße hinein, rief ihm ein heiteres »Willkommen!« entgegen und zog sich dann schnell in das Zimmer zurück.

»Er ist da!« rief er seiner Gattin zu, welche nur aufs notdürftigste bekleidet auf einem Polster lag, sich von einem Knaben Kühlung zuwedeln ließ und von Zeit zu Zeit einen Becher mit Fruchtsaft an die trockenen Lippen führte.

»Ei, sieh, das ist schön!« versetzte die Matrone und befahl ihrer Zofe, schnell, schnell einen Umwurf, aber einen ganz leichten, zu bringen. Dann wandte sie sich an ein höchst liebliches junges weibliches Wesen, das schon beim ersten Ruf des Justinus vom Diwan aufgesprungen war, und fragte:

»Willst Du, daß er Dich gleich hier finde, Herzchen, oder lässest Du uns erst mit ihm reden und ihm erzählen, daß wir Dich mitgeschleppt haben?«

»So ist's am besten,« versetzte die Gefragte mit wohllautender Stimme und seufzte leis auf, bevor sie beklommen fortfuhr: »Was soll er nur von mir denken? Man wird alt, aber die Thorheit, die Thorheit . . .«

»Wächst sie,« lachte die Matrone, »oder läßt sie nach mit den Jahren? Doch da ist er wohl schon.«

Nun eilte die junge Frau auf eine Seitenthür zu und verschwand hinter derselben. Frau Martina schaute ihr nach, und indem sie dem Blick ihres Gatten den Weg mit dem Finger wies, rief sie: »Sie läßt sich ein Spältchen offen. Herr Gott, bei dieser Hitze auch noch verliebt sein; grausiger Gedanke!«

Da öffnete sich die Thür, und nun erfolgte die allerherzlichste Begrüßung.

Man sah es dem alternden Paar wie dem Jüngling an, daß sie sich dieses Wiedersehens innig freuten.

Als Justinus Orion ans Herz zog, rief die Matrone: »Mir auch einen Kuß!« und nachdem der Jüngling ihr schnell und heiter den Willen gethan, klagte sie stöhnend.

»O Mensch, o Menschenkind, großer Sesostris! Wie hat es Dein berühmter Ahnherr dahin gebracht, unter dieser Sonne Großthaten zu verrichten? Was mich betrifft, ich vergehe, zerschmelze wie Butter; doch was thut man nicht alles für seine Lieben? Aber Syra, Syra! Um Gottes willen noch ein kleines Etwas, das wie ein Kleidungsstück aussieht! Wie verständig sind doch die afrikanischen Bauernmoden, denen wir unterwegs manchmal begegnet! Wenn sie ein drei Finger breites Tüchlein tragen, meinen sie, sie wären hübsch angezogen. Aber nun setzen – setzen; hieher, zu meinen Füßen! Einen Stuhl für den Herrn, Argos; dann etwas Wein, und das Wasser in solchem feuchten Thonkruge, und so kühl wie vorhin. »Mann, ich finde, der Junge ist wieder um einiges hübscher geworden. Aber lieber, lieber Gott, das Trauergewand! Wie's ihm steht! Armer, armer Schelm; wir haben's schon in Alexandria erfahren!«

Dabei trocknete sie sich die Augen und zugleich die perlende Stirn, und ihr Gatte fügte zu ihrer Beileidsbezeigung über den Tod des Mukaukas die seine.

Es war ein behagliches, fröhliches Paar, dieser Justinus mit seiner Martina. Zwei Menschen, die sich so recht sicher fühlten in ihrem großen, ererbten Wohlstand, und die, hochgeboren wie beide waren, nie Würde zur Schau zu tragen brauchten, weil sie ihnen in den Augen von Groß und Klein ohnehin zukam. Sie hatten sich das Recht erobert, in der von steifen Formen gebundensten aller Gesellschaften natürliche Menschen zu bleiben, und wem der ungebundene Ton an ihnen und ihrem Hause nicht gefiel, der konnte ja fern bleiben.

Er, ohne Ehrgeiz, Senator infolge seines Besitzes und Namens, nie bedacht, von dieser Scheinwürde einen andern Gebrauch zu machen, als bevorzugten Klienten des Hauses Stellen oder den Seinen bei festlichen Gelegenheiten gute Plätze zu verschaffen, aber ein gastlicher Herr, der Freund seiner Freunde, der gleich gern lebte wie leben ließ. Martina, eine herzensgute Matrone, die nie Anspruch auf Schönheit erhoben hatte, aber doch viel umworben gewesen war. Längst schon fand es dies Ehepaar nirgends schöner, als in der Hauptstadt oder auf ihrer herrlichen Villa am Bosporus, und es verschmähte darum, wie andere Große und Reiche, Bäder zu besuchen oder sich sonst auf Reisen zu begeben. Es guten Freunden in ihrem Hause angenehm zu machen, gewährte ihnen Vergnügen, und an solchen fehlte es nie, schon weil es gerade denen, die sich den Rücken am byzantinischen Hofe müde gebückt, in ihrem zwanglosen Kreise absonderlich behagte.

Die Jugend wählte Martina gern zu ihrer Vertrauten, und auch Heliodora, die Witwe ihres leiblichen Neffen, war in ihrer Herzensnot zu ihr gekommen; hatte sie Orion doch in ihrem Hause kennen gelernt. Heliodora war des alten Paares Liebling, aber höher noch als sie hatte den beiden der jüngere Bruder ihres verstorbenen Gatten gestanden. Er war bestimmt gewesen, ihr Erbe zu werden, doch sie hatten ihn zwei Jahre lang betrauert, da die Kunde zu ihnen gelangt war, daß Narses, der als Tribun unter den kaiserlichen Reitern gestanden, im Kampfe gegen die Ungläubigen gefallen. Indessen vermochte niemand nähere Auskunft über seinen Tod zu erteilen, bis ihre unermüdlichen Nachforschungen ergeben hatten, daß er von den Sarazenen gefangen worden sei und in Arabien Sklavendienste verrichte.

Durch Orion und seinen verstorbenen Vater hatten sie die Bestätigung dieser Nachricht und wenige Stunden nach der Abreise des jungen Aegypters einen mit zitternder Hand geschriebenen Brief des Verschollenen erhalten, in dem er sie anflehte, seine Lösung durch Amr, den Statthalter von Aegypten, zu bewirken. Da war das alternde Paar auf Reisen gegangen, und Heliodora hatte das Ihre gethan, sie zu diesem Schritt zu bewegen. Ihre Sehnsucht nach Orion, dem sie ein volles Jahr mit aller Hingabe ihres zärtlichen Herzens angehört hatte, war seit seinem Aufbruch von Stunde zu Stunde gewachsen, und sie hatte das der Matrone nicht verhehlt, diese aber hielt es für ihre Pflicht, dem armen, liebeskranken Kinde beizustehen; denn Heliodora hatte ihren Gatten, des Senators Neffen, bis an sein Ende mit rührender Treue und Sorgfalt gepflegt, und außerdem war sie, Martina, es gewesen, die dem jungen Aegypter, der »es ihr angethan hatte«, Gelegenheit geboten, sich der jungen Witwe zu nähern.

Die beiden waren ja wie für einander geschaffen, und das Ehestiften machte ihr Vergnügen. Aber es hatten sich in diesem Fall nur die Herzen, nicht die Hände finden wollen, und es war Martina endlich sehr peinlich geworden, Orion und Heliodora vor aller Welt und mit gutem Recht ein Liebespaar nennen zu hören.

Einmal hatte sie dem jungen Aegypter in ihrer behaglichen Weise ins Gewissen geredet und die Antwort erhalten, sein Vater, der Jakobit, werde ihm nie gestatten, sich mit einer Andersgläubigen zu vermählen. Dagegen hatte sie damals wenig sagen können; aber, hatte sie oft gedacht, ging es nur an, Heliodora dem alten Mukaukas zu zeigen, werde er, den sie als schönen jungen Freund anmutiger Frauen vor langen Jahren in der Hauptstadt gesehen, den Widerstand schon aufgeben, und ihr Liebling besaß in der That alles, was einem Vaterherzen den Wunsch nahe legen konnte, sie mit seinem Sohn zu verbinden. Sie war aus gutem Hause, eines vornehmen Mannes Witwe, reich, erst zweiundzwanzig Jahre alt, und von einer Schönheit, die alt und jung hinreißen mußte. Ein süßeres, sanfteres Wesen meinte Martina gar nicht zu kennen. Ihre großen, feuchten Augen, sie nannte sie »betende«, mußten einen Stein erweichen, und ihr blondes, leicht gewelltes Haar war so weich wie ihr Gemüt. Dazu kam ihre volle, biegsame Gestalt, und wie sie sich zu kleiden, wie sie zu singen und die Laute zu schlagen verstand!

Nicht von ungefähr ward sie von allem umworben, was jung und vornehm war in Konstantinopel! Und konnte der alte Mukaukas sie nur einmal lachen hören! Es gab ja nichts Froheres, Glockenhelleres als ihr Gelächter! Besonders hohen Geistes war sie gerade nicht, aber ebensowenig durfte man sie einfältig nennen. Gar zu kluge Frauen waren niemals jedermanns Sache.

Als es zur Reise nach Aegypten kam, stand es von vornherein in Martina fest, Heliodora mitzunehmen und in Memphis mit der Tändelei, die ihren Liebling in den Mund der Leute gebracht, Ernst werden zu lassen. Wie sie nun gar in Alexandria erfuhr, der Mukaukas Georg sei inzwischen gestorben, hielt sie das Spiel für gewonnen.

Nun waren sie in Memphis, nun saß Orion vor ihr, und nun lud der junge Mann sie und ihr ganzes Gefolge von einigen zwanzig Personen zu sich ins Haus. Es verstand sich von selbst, daß die Reisenden dieser geradezu gebotenen Forderung des Gastrechts Folge leisteten, und es wurden auch sogleich Vorbereitungen zur Uebersiedlung getroffen.

Justinus berichtete, was sie nach Aegypten geführt habe, und bat Orion um seine Unterstützung.

Der Jüngling hatte den Neffen des Senators als einen der glänzendsten und liebenswürdigsten jungen Männer in der Hauptstadt wohl gekannt, und es that ihm aufrichtig leid, den Freunden mitteilen zu müssen, daß Amr, der die Lösung des Gefangenen leicht bewirken konnte, übermorgen nach Medina zu reisen gedenke, er selbst aber sich gezwungen sehe, noch heute Abend auf unbestimmte Zeit zu verreisen.

Er sah, wie diese sehr bestimmt ausgesprochene Versicherung das alte Paar erregte und betrübte, und auf des Senators Drängen teilte er ihm und seiner Gattin unter dem Siegel strengster Verschwiegenheit mit, was ihn fortziehe, und welche gefahrvolle Aufgabe er zu lösen unternommen.

Des Beifalls seiner orthodoxen Gäste sicher, hatte er begonnen, doch zu seinem Erstaunen mißbilligten beide sein Vorhaben, und zwar, wie sie versicherten, nicht nur um ihrer selbst und der Hilfe willen, die sie von ihm erwarteten.

Der Senator wies ihn darauf hin, daß er das natürliche Haupt der ägyptischen Bevölkerung seiner Heimat sei, und sich durch ein solches Unternehmen die Geltung denjenigen gegenüber untergrabe, deren Leitung ihm schon als Sohn seines Vaters zukomme. Sein Ehrgeiz müsse ihm gebieten, diese Führerschaft zu erstreben, und statt dem Patriarchen durch solch ein Abenteuer ins Gesicht zu schlagen, sei es seine Pflicht, Hand in Hand mit ihm, dessen Macht er weit unterschätze, seinen Glaubensgenossen eine erträgliche Stellung in dem von Muslimen beherrschten Lande zu erhalten.

Paulas Name wurde bei dem allen nicht genannt, doch Orion dachte an sie und blieb standhaft, wenn auch nicht ohne heftiges inneres Widerstreben.

Um indessen den Freunden zu zeigen, wie viel ihm daran gelegen sei, ihnen gefällig zu sein, schlug er ihnen vor, sogleich mit Justinus über den Nil zu fahren und seine Angelegenheit dem Statthalter Amr vorzutragen. Ein Blick ins Freie belehrte ihn, daß bis zum Untergang der Sonne noch etwa anderthalb Stunden vergehen würden. Längere Zeit brauchte die Fahrt mit seinen raschen Pannoniern nicht in Anspruch zu nehmen, und während seiner Abwesenheit mit Justinus sollte die Uebersiedlung vorgenommen werden. Lastfuhrwerke aus der Statthalterei hielten schon vor der Herberge, und andere Wagen waren auf später bestellt, um die lieben Gäste in ihr neues Quartier zu führen.

Der Senator ging auf den Vorschlag des Jünglings ein, und wie sich beide Männer entfernten, rief Frau Martina Orion nach:

»Mein Senator bearbeitet Dich schon unterwegs, und wenn Du Vernunft annimmst, bekommst Du nachher eine schöne Belohnung! – Die Goldtalente nicht geschont, Alter, bis der Feldherr versprochen, für die Lösung des Jungen zu sorgen! Höre mich, Orion, und laß von dem thörichten Streiche!«

Noch war der Sonnenball nicht ganz hinter den libyschen Bergen verschwunden, als das schnaubende und mit weißem Schaum bedeckte Viergespann wieder in den Hof der Statthalterei einfuhr. Leider hatten die Männer nichts ausgerichtet; denn Amr besichtigte zwischen Heliopolis und Oniu die Truppen und wurde erst in der Nacht oder morgen früh zurückerwartet.

Die Uebersiedlung aus der Herberge war vollendet, und unter die meist braunen und schwarzen Sklaven der Statthalterei mischten sich schon die weißen des Senatorenpaares.

Frau Martina war entzückt über ihr neues Quartier und die herrlichen, ihr zum Teil ganz fremden Blumen, mit denen die leidende Hausfrau die beiden großen Empfangssäle als Bewillkommnungsgruß hatte ausschmücken lassen, aber der fehlgeschlagene Besuch in Fostat fiel wie Mehltau auf ihre frohe Stimmung.

Diesen Unstern, sagte sie, müsse Orion als Gottesurteil ansehen. Der Himmel selbst wünsche, daß er sein Abenteuer aufgebe und sich mit der Vorbereitung eines schönen Werkes, das auch ohne ihn durchführbar sei, begnüge, um ein anderes, welches seine Mithilfe dringend erfordere, schon aus Freundschaft zu Ende zu führen; er aber gab seinem Bedauern, trotz alledem fest bleiben zu müssen, erneuten Ausdruck, und als Martina ihn fragte: »Auch wenn Dir mein Geschenk ganz vorzüglich gefällt?« nickte er ihr bedauerlich zu: »Leider auch dann!«

Da sagte sie leichthin, man werde ja sehen, und fuhr nachdrücklicher fort: »Jedermann hat etwas an sich, was seine Besonderheit ausmacht und das ihm gut steht: Du Deine Liebenswürdigkeit, lieber Sohn. So fest bleiben, paßt nicht für Dich, mutet ganz fremd an Dir an und ist eben das grade Gegenteil dessen, was ich liebenswürdig nenne. Sei der, der Du bist, auch in diesem Falle!«

»Das heißt schwach und zum Nachgeben bereit, besonders wenn gütige Frauen . . .«

»Wenn alte Freunde Dich bitten,« versetzte sie schnell; doch bevor sie noch ausgesprochen, wandte sie sich an den Gemahl und rief: »Herr Gott, Mann, komm hieher ans Fenster! Hast Du je solch ein Gemisch von Purpur und Gold am Himmel gesehen? 's ist ja, als stünden die alten Pyramiden und das ganze Aegypten in Flammen. Aber nun, großer Sesostris,« – so nannte sie Orion bei guter Laune – »nun ist's Zeit, Dir Dein Mitgebrachtes zu zeigen. Erst diesen Reifen,« und dabei überreichte sie ihm einen kostbaren, mit Gemmen von alter griechischer Arbeit besetzten Armring, »und dann – nein, nein, noch keinen Dank – und dann . . . Das Ding ist von einiger Größe, und außerdem . . . Komm mir nur nach.« Damit trat sie aus dem Empfangssaal in den Vorraum, schritt ihm bis an die Thür des Zimmers voran, welches erst Paula und dann ihn selbst beherbergt hatte, öffnete sie ein wenig, winkte hinein und schob Orion mit einem flüchtigen: »Sieh nur, da hast Du's!« über die Schwelle.

Hart am Fenster stand Heliodora. Der lichte Widerschein der untergehenden Sonne umfloß ihre schlanke und doch volle, biegsame Gestalt, ihre »betenden« Augen schauten ihm mit andächtigem Entzücken entgegen, und die auf der Brust gekreuzten weißen Arme gaben ihr das Aussehen einer Heiligen, die sehnsuchtsvoll in der Ahnung unbeschreiblicher Wonnen einem Wunder demütig entgegenharrt.

Auch Frau Martinas Augen hingen an ihm, und sie sah, wie er beim Anblick der jungen Frau tief erblaßte, wie er von einer, sie wußte nicht welcher, Empfindung ergriffen zusammenschrak und vor der mit Licht umflossenen Erscheinung dort am Fenster zurückfuhr.

Solche Wirkung hatte die gute Matrone doch nicht von dieser Ueberraschung erwartet. So von Liebe ergriffen, meinte sie außer auf der Bühne noch keinen Mann gesehen zu haben; denn sie ahnte nicht, daß es ihm nur war, als habe sich plötzlich ein gähnender Abgrund vor ihm eröffnet.

Mit einer Behendigkeit, die niemand ihrem übervollen, schweren Körper zugetraut hätte, kehrte Frau Martina darauf schnell zu dem Gatten zurück und rief ihm schon von der Schwelle aus zu: »Alles stimmt, alles in Ordnung! Bei ihrem Anblick war es, als habe der Blitz ihn getroffen. Gib acht – es wird hier am Nil Hochzeit gefeiert!«

»Mit meinem Segen,« versetzte der Senator; »aber Hochzeit hin und Hochzeit her, wenn sie den prächtigen Jungen nur breitschlägt, von dem tollen Abenteuer zu lassen! Ich habe gesehen, daß sich auch die braunen Kerle bei dem Araber vor ihm bücken, und wenn einer, so bringt er den Statthalter dahin, für den Narses das Seine zu thun. Er darf und darf nicht fort! Du hast doch Heliodora auf die Seele gebunden . . .«

»Daß sie ihn festhält?« lachte die Matrone. »Ich sage Dir, sie nagelt ihn hier an, wenn es sein muß.«

»Nur zu!« entgegnete Justinus. »Aber Frau, es paßt sich doch eigentlich nicht, daß Du sie so zusammenzwingst, könnte man sagen. Eigentlich bist Du doch so was wie ihr weiblicher Mentor, ihre mütterliche Patronin.«

»Lieber Himmel!« versetzte Martina. »Zu Hause haben sie sich auch keine Zeugen zu ihren Zusammenkunften geladen. Erst muß sich das arme, verliebte Völkchen doch aussprechen und sich des Wiedersehens freuen! Nachher fahr' ich schon dazwischen und bin in allem Ernst wieder die besorgte mütterliche Freundin. Tine! Tine! Wenn es hier noch zur Hochzeit kommt, weiß Gott, ich mache barfuß eine Wallfahrt zu der heiligen Agathe.«

»Und ich nur mit einem Schuh!« versicherte der Senator; »denn – alles was recht ist – doch das Gerede über die Dora überstieg zuletzt doch die Grenzen. Es ging kaum mehr an, die beiden zusammen bei sich zu sehen. Aber Du . . . nein, ernstlich! Geh jetzt hinüber . . .«

»Gleich, gleich!« versetzte die Matrone. »Aber erst noch einmal hieher ans Fenster! O diese Sonne! Ja, nun ist's zu spät. Noch vor zwei Minuten sah der ganze Himmel aus wie mein roter syrischer Mantel. Nun liegt da unten alles im Dunkeln. Das Haus, der Garten sind schön, und alles alt und gediegen; gerade so hab' ich mir den Besitz des reichen Mukaukas gedacht!«

»Ich auch,« erwiderte Justinus. »Aber jetzt gehst Du. Werden sie eins, dann allerdings kann die Dora sich gratuliren!«

»Das will ich meinen!« rief Frau Martina. »Aber ihre Villa braucht sich auch nicht zu verstecken, und da sollen sie jeden Sommer wohnen, ich setz' es schon durch. Wenn der arme, liebe Schelm, der Narses, nicht mit dem Leben davonkommt; denn zwei Jahre Sklavendienst leisten, das hat was auf sich, dann wär' ich im stande . . .«

»Das Testament zu ändern? So übel nicht, doch damit hat's gute Wege, und jetzt sollst Du gehen!«

»Gleich, gleich! Ausreden wird man doch können. Ich für mein Teil wüßte niemand, den ich lieber an des Narses Stelle setzte . . .«

»Als Orion und die Dora? Nun, meinetwegen; doch jetzt . . .«

»Vielleicht ist es sündhaft, sich einen Lebenden so unter den Toten zu denken . . . Zu seinen Reitern darf der arme Junge in keinem Falle zurück.«

»Unter keiner Bedingung; aber, Martina . . .«

»Morgen legt der Orion dem Araber unsere Sache recht warm ans Herz . . .«

»Wenn er nur hier bleibt!«

»Wetten wir, daß sie ihn festhält?«

»Ich sollte ein Narr sein!« lachte der Senator. »Bekomm' ich je was von Dir, wenn ich gewinne? Aber jetzt, Spaß beiseite, jetzt gehst Du und siehst nach den beiden.«

Diesmal folgte die Matrone dem Geheiß ihres Gatten, und sie hätte die Wette gewonnen; denn wozu Orion weder durch den Brief seiner Schwägerin, noch durch die mahnende Stimme seines Kinderglaubens, noch durch die treue Warnung des redlichen Beamten, noch durch die überzeugenden Gründe des Senators zu bewegen gewesen war, dazu hatte ihn die süße Schmeichelei Heliodoras verleitet.

Wie war ihr liebendes Herz aufgeflammt, als sie wahrgenommen, daß ihr Anblick ihn so tief innerlich bewegte, mit wie rührender Hingebung war sie ihm in die Arme gesunken, wie demutsvoll und vergehend vor süßem Weh und süßerer Wonne hatte sie sich zu seinen Füßen niedergleiten lassen, hatte sie seine Kniee umklammert und ihn mit feuchten, von andächtiger Schwärmerei überfließenden Augen angefleht, sie heute nicht zu verlassen, nur noch bis morgen zu bleiben und sie dann, wenn er wolle, in den Staub zu treten. Jetzt, gerade jetzt, da sie, von Schmerz und Sehnsucht aufgerieben, ihn wiedergefunden, jetzt ihn scheiden, sich in ein ungewisses Schicksal stürzen zu sehen, das sei ihr Ende, das werde sicher ihr Tod sein. Und wie er ihr dennoch zu widerstehen versuchte, hatte sie sich auf ihn gestürzt, seinen Mund mit heißen Küssen verschlossen und ihm alle Schmeichelnamen ins Ohr geflüstert, die ihm einst so teuer gewesen.

Warum hatte er nie ernstlich versucht, sie zu der Seinen zumachen, warum sie so schnell vergessen? Weil sie, die den anderen gegenüber ihre Würde streng zu wahren verstanden, sich ihm, wie von einem magischen Zauber bethört, nach wenigen Begegnungen widerstandslos hingegeben hatte. Die leicht erworbene köstliche Beute war ihm bald weniger wertvoll erschienen. Aber heut entflammte grade das seine Glut, was sie damals abgekühlt hatte. So wollte, so mußte er geliebt sein! Mit voller, ganzer Hingabe, mit einem Herzen, das nur an ihn und gar nicht an sich selbst dachte, das für heiße Liebe nichts forderte als Liebe, das sich nicht ängstlich mit Schranken umgab und fremden Beistand anrief, um sich vor ihm zu schützen. Dies schöne junge Weib, das, ganz Leidenschaft, das Verdikt der Gesellschaft, Schmerz und Leid auf sich genommen, um seinetwillen, von dem sie gewußt hatte, daß er sie verlassen und nie vor Gott und den Menschen zu der Seinen machen werde, ja, das verstand zu lieben, und es hob ihm, der in mancher Stunde an sich selbst verzweifeln wollte, das Herz, so über alles hoch gehalten, so – gestand er sich's nur – so »vergöttert« zu werden.

Und wie anmutvoll, wie ganz weiblich sie war!

Die »betenden« Augen, deren er in Konstantinopel überdrüssig geworden, weil sie mit demselben rührenden Flehen erfüllt gewesen waren, wenn sie ihm angstvoll in die Seele gerufen, sie nicht zu verlassen, wie wenn sie ihn ersucht, ihr den Mantel umzuhängen, dieser bestrickende Augenaufschlag, der ihn zuerst zu ihr hingezogen, war ihm heute wieder neu und übte den alten Zauber.

In diesen Minuten voll zärtlicher Hingabe hatte er versprochen, wenigstens in Erwägung zu ziehen, ob er sich nicht von den Verpflichtungen, die er eingegangen, frei machen könne; doch kaum war dies geschehen, als die Erinnerung an Paula sich wieder in ihm geregt und eine innere Stimme ihm zugerufen hatte, daß sie einer höheren Menschengattung angehöre als dies hingebende, schwache, ihm ganz unterthänige Weib, daß sie sein Aufstreben, Heliodora seinen Niedergang bedeute.

Endlich war es ihm gelungen, sich aus den Armen der Wiedergefundenen zu reißen, und nach dem ersten Schritt aus dem Rausch in das wirkliche Leben hatte er wie ein Erwachender um sich geschaut, und es war ihm wie ein höhnischer Teufelsspuk vorgekommen, daß gerade Paulas Zimmer zum Schauplatz dieser Wiederbegegnung und seiner Schwäche geworden.

Ihre Frage nach dem weißen Hündchen, das sie ihm zum Andenken mitgegeben, rief ihm den unseligen Smaragd ins Gedächtnis, der das Antidoron, die Gegengabe dafür hatte sein sollen, und wie er ihr nun ausweichend erzählte, daß er sich ihrer Liebhaberei für seltene Juwelen erinnert und ihr einen besonders schönen Stein geschickt habe, über den er noch mit ihr zu reden haben werde, gab sie ihrer Freude und ihrem Dank so kindlich anmutigen Ausdruck, wußte sie sein Gefallen an ihrer anschmiegenden Zärtlichkeit so beredt auszunützen, um ihn von der Notwendigkeit seines Bleibens zu überzeugen, daß er selbst daran zu glauben begann und ihr nachgab. Je mehr dieser Entschluß seinen eigenen Wünschen entsprach, desto leichter wußte er ihn zu begründen. Der alte Rufinus bedurfte seiner nicht mehr, und wenn er, Orion, auch Ursache hatte, sich seines Wankelmutes zu schämen, so durfte er sich doch von der andern Seite sagen, daß es unfreundlich und undankbar gegen seine gütigen Freunde handeln heiße, wenn er sie gerade jetzt, wo er ihnen nützlich sein konnte, im Stich lasse. Den Nonnen konnte es auf zwei schützende Arme mehr oder weniger nicht ankommen, der gefangene Narses aber ohne seine Fürsprache bei dem Feldherrn leicht zu Grunde gehen, bevor es ihn zu lösen gelang. Jedenfalls war es die höchste Zeit, einen festen Entschluß zu fassen!

Nein, er durfte heute nicht fort!

Es war entschieden!

Rufinus mußte sogleich von seinem veränderten Entschluß in Kenntnis gesetzt werden.

Jetzt sich hinsetzen und schreiben, schien ihm unmöglich. Der Rentmeister sollte in seinem Namen reden, und er wußte ja, wie gern und eifrig Nilus diesen Auftrag ausrichten würde.

Heliodora klatschte in die Hände, und gerade als Frau Martina an die Thür pochte, traten beide in den hellerleuchteten Vorsaal. Sie strahlend vor Glück und in ihren kostbaren, modischen, sorgfältig gewählten Gewändern so anmutig, und trotz ihrer nur mittelgroßen Gestalt so fürstlich prächtig, daß sie auch in der Hauptstadt die Bewunderung der Männer und den Neid der Frauen erweckt haben würde; er heiter, aber doch mit einem nachdenklichen Lächeln um die Lippen.

Noch hatte er die Thür nicht geschlossen, als er vor dem an Paulas früheres Zimmer anstoßenden Raum zwei weibliche Wesen wahrnahm, die, während Frau Martina bei ihrer Nichte anklopfte, den Vorsaal betreten hatten. Es waren die kleine Katharina und ihre Zofe.

Man hatte den jungen Anubis, nachdem er vom Dache gefallen, hier untergebracht, und trotz der Einrichtung des Quartiers für die vornehmen Gäste war der Arzt Philippus nicht zu bewegen gewesen, die Ueberführung des Kranken, der regungsloser Ruhe bedurfte, in den untern Stock zu gestatten.

Die Mutter des schwer bestraften Lauschers, Katharinas Amme, war bei ihm; das Bachstelzchen hatte sie mit ihrer Zofe zu ihm begleitet und würde sich nebenbei gern vergewissert haben, ob es ihrem Milchbruder gelungen, schon vor seinem Fall etwas zu erhorchen; doch der arme Bursche war so schwach und sein Schmerz so heftig, daß sie keinen Mut fand, ihn mit Fragen zu quälen. Ihr Samaritergang sollte dennoch nicht unbelohnt bleiben; denn Orion mit einer so schönen, vornehmen Frau aus Paulas früherem Zimmer treten zu sehen, das war etwas Besonderes, weswegen es die Augen aufzuthun lohnte. Sie hätte gern zweimal den Weg in die Statthalterei zurückgelegt, nur um die Kleider und den Schmuck dieser vom Himmel gefallenen Fremden zu sehen. So etwas verirrte sich nach Memphis selten, und ob nicht etwa gar diese liebliche, vornehme Dame die eigentliche »Andere« war, und nicht Paula? Konnte denn Orion nicht ebenso gut mit der Damascenerin sein Spiel getrieben haben wie vorher mit ihr? In dem Zimmer dort mußte ein wonniges Wiedersehen gefeiert worden sein, das verriet jeder Zug im Heiligengesichte der blonden Schönen. O dieser Orion! Sie hätte ihn erdrosseln mögen, aber es freute sie auch, daß es außer ihr noch andere und so anmutige, glänzende andere gab, die er betrog.

»Er bleibt!« hatte Heliodora schon von der Schwelle aus der Matrone zugerufen, und diese dem Jüngling die Hand mit einem innigen: »Daß Gott Dir's lohne!« entgegengestreckt.

Sie freute sich auch über das glückliche Gesicht ihrer Nichte; aber bei alledem waren die Augen der lebhaften Frau doch überall, und wie sie Katharina bemerkte, die neugierig stehen geblieben war, wandte sie sich ihr zu, begrüßte sie freundlich und fragte Orion:

»Eine Schwester oder das Nichtchen, von dem Du erzähltest?«

Da rief der Jüngling Katharina heran und machte sie mit den Gästen bekannt, sie aber berichtete, was sie hieher geführt, und that es in so allerliebster und herzlich mitleidiger Weise – denn sie war ihrem Milchbruder und Spielgefährten aufrichtig gut – daß sie der Matrone und Heliodora sehr wohl gefiel und diese die Hoffnung aussprach, sie recht oft wiederzusehen. Ja, nachdem sie sich entfernt hatte, rief Frau Martina: »Ein reizendes Püppchen! Frisch und sauber, wie eben aus der Schale gesprungen, flink und nett, und wie niedlich sie plappert.«

»Und außerdem die reichste Erbin in Memphis, vielleicht in Aegypten,« fügte Orion hinzu. Da er aber bemerkte, wie Heliodora bei dieser Bemerkung die Augen betrübt zu Boden schlug, fuhr er lachend fort: »Die Mutter hatte uns für einander bestimmt, doch unsere Größe ist gar zu verschieden, und wir passen auch sonst nicht zusammen.«

Dann bat er die Frauen um Urlaub, begab sich zu Nilus und unterrichtete ihn von seinem Entschluß. Seine Bitte, sein Ausbleiben bei Rufinus zu entschuldigen, der Tochter des Thomas seinen Gruß zu entbieten und die Gründe lebhaft hervorzuheben, welche ihn zurückhielten, bewirkte, daß der stille, bescheidene Mann vor Freude außer sich geriet und sich herausnahm, Orion wie einen Sohn zu umarmen.

Bis um Mitternacht blieb der junge Wirt mit den Gästen beisammen, und als Frau Martina ihre Schutzbefohlene am folgenden Morgen ein wenig ermüdet, doch still glückselig wiedersah, konnte sie ihr mitteilen, daß die Männer schon über den Nil gefahren seien und mit dem Statthalter hoffentlich alles ins Reine gebracht hätten.

Doch ihre Enttäuschung war groß, wie beide nach einiger Zeit zurückkehrten und ihnen mitteilten, Amr sei von der Truppenbesichtigung bei Heliopolis aus, statt nach Fostat zurückzukehren, geradewegs nach Alexandria gegangen. Dort habe er einige Tage zu thun und werde sich dann erst nach Medina begeben.

Nun blieb für den Senator nichts übrig, als ihm ungesäumt nachzureisen, und Orion bot ihm freiwillig an, ihn dorthin zu begleiten.

Heliodoras kurzer Versuch, ihn zurückzuhalten, scheiterte an seiner ernsten, ja strengen Entschiedenheit. Diese Reise war doch nur eine Flucht vor der eigenen Schwäche und der schönen Frau, die ihm nichts mehr sein sollte und durfte. In der Frühe hatte er Zeit gefunden, an Paula zu schreiben, aber mehr als ein halb vollendeter Brief war fortgeschleudert worden, bevor er die rechten Worte gefunden. Sie sagten ihr, daß er sie und sie allein liebe, und während er sie in das Wachs ritzte, hatte er mit Grauen vor sich selbst empfunden, daß sein Herz in der That nur Paula gehörte, war der Entschluß in ihm gereift, seiner Verbindung mit Heliodora wie auch immer ein Ende zu machen und sich der Geliebten nicht eher wieder zu zeigen, bis es ihm gelungen, das Band auf immer zu lösen, das ihn an die junge Witwe gefesselt.

Die Frauen hatten die Reisenden an den Wagen begleitet, und als sie gesenkten Hauptes wie geschlagene Krieger in den großen Vorsaal zurückkehrten, begegnete ihnen dort das Bachstelzchen mit seiner Zofe. Martina wollte das Mädchen aufhalten und es bestimmen, sie in ihre Wohnung zu begleiten; doch Katharina that ihr nicht den Willen und schien große Eile zu haben. Sie kam von ihrem Milchbruder Anubis, der heute geringere Schmerzen litt als gestern und ihr, so gut es gehen wollte, mitgeteilt hatte, was er vernommen. Daß die Flucht sich gen Norden wenden sollte, das war gewiß; doch hatte er den Namen des Reiseziels der Schwestern entweder nicht verstanden oder vergessen.

Seine Mutter und Pflegerin waren hinausgeschickt worden, und dann hatte sich das dankbare Bachstelzchen über ihn gebeugt, seinen hübschen Kopf ein wenig in die Höhe gehoben und ihm zwei so süße Küsse gegeben, daß es dem armen Jungen ganz angst geworden war. Aber wie er sich wieder allein mit seiner Mutter befunden, war ihm wohler und wohler geworden, und die Erinnerung an das unfaßbare Glück, das ihm widerfahren, hatte die großen Schmerzen, die er um Katharinas willen erlitt, mehr und mehr gelindert.

Diese kehrte keineswegs sogleich zu der Mutter zurück, sondern begab sich ungesäumt zu dem Bischof von Memphis, dem sie alles erzählte, was sie über die Bewohnerinnen des Cäcilienklosters und was für sie ins Werk gesetzt worden war, erfahren, und der milde Plotinus geriet bei ihrer Mitteilung in großen Zorn und begab sich, sobald sie ihn verlassen, nach Fostat, um die Hilfe des Statthalters, und da dieser abwesend war, seines Wekils anzurufen und ihn zu bestimmen, die Verfolgung der fliehenden melchitischen Nonnen ins Werk zu setzen.

Als das Bachstelzchen auf seinem Zimmer allein war, sagte es sich still zufrieden, daß es da etwas eingefädelt habe, das Orion wie Paula manchen Tag verderben, ja sich hoffentlich verhängnisvoll für sie gestalten werde.


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