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Otte Setran hatte sich nach dem Brand eine kleine Bretterhütte gebaut. Sie bestand aus nur einem Baum, und in dem hatte er die Hobelbank, den Kochofen und sein Bett. Die Türe ging unmittelbar ins Freie. Aber es hatte den Anschein, als fühle er sich dort wohl, und im Grunde wunderte sich niemand darüber.
Er kümmerte sich nicht im geringsten um das, was die Leute in der Gegend zu dem Brand sagten, und tat so, als wären die anderen gar nicht da. Ja, ja, man kann die Welt ja auch auf diese Weise nehmen, hieß es. Aber es sah doch so aus, als käme er noch in die Enge. Zwei Verhöre hatte er bereits durchgemacht, und nun stand ihm das dritte bevor. Er mußte selbst sehen, wie er zurechtkommen konnte. Sie, die anderen, hatten nichts gesehen und gehört, und keiner konnte zu seinen Gunsten aussagen. Es hatte gebrannt, das war alles, was sie bezeugen konnten. Um die und die Zeit. Das Vieh hatte er vorher aus Futtermangel verkauft.
Es wäre nicht ausgeschlossen gewesen, daß sie ihm doch noch auf irgendeine Weise beigesprungen wären, hätte sich nicht Aasel Haaberg hineingemischt. Ja, sie waren sicher, daß sie es getan hätten, wenn es darauf angekommen wäre. Es sollte zwei oder drei Leute geben, die gesehen hatten, wie er am Tag vor dem Brand das Haus verlassen hatte. Er ruderte frühzeitig zur Stadt, hatten sie gesagt. Weiter drinnen im Fjord bekam er dann Gegenwind, so erklärte Otte selber, er hielt sich im Schutz einer Landzunge und wartete, und gegen Morgen dann kam er nach Holmen, zur Schwester hinüber. Und der Landsturm blies damals tüchtig. Am Morgen, als die Leute aufstanden, rauchte es drüben bei ihm. Und ehe sie sich recht besannen, schlug schon die helle Flamme empor. Da murmelte irgendeiner etwas von ein paar jungen Burschen, die während der Nacht in der Hütte gewesen seien und dort gezecht hätten, so etwas war schon öfters vorgekommen, seit Otte hier wohnte; denn er verschloß die Tür niemals, das tat er einfach nicht, und nun sah man, wohin das führte.
Da aber kam die Aasel angefahren. Sie nahm sich einen nach dem anderen vor und horchte jeden aus: ob sie ihn nicht am Tag vorher hätten fortrudern sehen? Und ob sie nicht wüßten, daß während der Nacht jemand in der Hütte gewesen sei? Sie zögerten mit der Antwort, anfangs, Aasel hatte stets einen so harten Griff, aber sie zogen sich leidlich aus der Sache. Denn mit Obrigkeit und solcherlei Dingen wollten sie nichts zu tun haben; und als Aasel fortgefahren war, wurde sie sich klar darüber: Jene Zeit, da Aasel Haaberg eine Übermacht besaß, hatte jetzt aufgehört; die Leute regierten sich jetzt selber; Aasel hätte lieber daheim bleiben sollen! Sie wollte diese Andrea mit Otte verheiraten, das begriff man ja, im übrigen sollte doch jeder seiner eigenen Nase nach gehen. Es hatte gebrannt, wie gesagt, und als dies erledigt war, kam Otte heimgeschlendert und sah sich den Schaden an; so gleichgültig wie irgendein Fremder. – »Ein Glück, daß ich jetzt gerade kein Vieh hatte«, sagte er. Und darin mußten sie ihm recht geben. Das Vieh wäre nicht einmal versichert gewesen.
Aber wenn er reines Mehl im Sack hatte, warum kam er dann nicht? Er wußte doch, wo sie wohnten. Warum handelte er nicht so, wie jeder andere auch gehandelt hätte?
Das gleiche sagte Aasel zu ihm, so vorsichtig sie nur konnte. Aber sie merkte, daß ihn das nicht berührte. Er mußte recht haben, auf seine Art, und das sollte er haben. Im übrigen aber ließ er sich in der letzten Zeit nicht sehen.
– – – Eines Abends, etwa eine Woche nach der Konfirmation, saß Otte auf der Hobelbank und zeichnete mit dem Bleistift auf ein Brett, das auf seinen Knien lag. Da trampelt jemand draußen vor der Türe und kommt herein und grüßt. Otte läßt sich Zeit mit dem Aufschauen.
Es war Ola Haaberg, der Küster. Otte legt das Brett weg, blickt um sich und will gerade von der Bank heruntersteigen.
»Sei so gut und – –«
»– bleib stehen, meinst du!«
Otte lachte still und gut, als er sah, wie der andere suchend um sich blickte, denn es gab ja keine Sitzgelegenheit. Die Gutmütigkeit zitterte in all den feinen Gesichtsfalten, und die Augen blinzelten wie bei einem kleinen Buben. – »So, so, hier also hat der Prophet jetzt seinen Tempel errichtet? Gott soll verhüten, daß ich mich setze. So roh bin ich denn doch nicht. Im übrigen aber« – er schwang sich auf die Hobelbank hinauf – »laß mich einmal deinen Sitz ausprobieren! So, so, hier sitzt du also und denkst dir das neue Haus aus. Ich wette, es soll eins werden, das keinem anderen ähnlich sieht.«
Otte wurde rot, sagte jedoch nichts. Drüben auf dem Ofen stand der Leimtopf und brodelte, und daneben war der Kaffeekessel. Ola saß eine Weile da und schnupperte in die Luft. – »Ja, meine liebe Nase, du hast nicht unrecht, wenn du meinst, daß es hier nach Kaffee riecht; auf dich kann man sich wirklich verlassen!«
Otte wurde noch verlegener. Der Küster war für ihn der fremdeste und unergründlichste Mensch, den er kannte, und nun roch es hier so gut nach Kaffee, daß es eine Schande war. Das tat es den ganzen Tag. – »Ja, ich wußte es ja nicht, als ich von daheim wegging. Ich wollte mich eigentlich nur nach meinem Moor umschauen. Das Moor und ich, wir sind langjährige Nachbarn. Wir sind zwei Ellen von dem gleichen Tuch. Wir sind alle beide gleich einsam. Und besonders ich. Heute abend nun liegt es da und hat sein Heidekraut mit ein paar Schneeflecken geschmückt, eine halbe Meile weit sieht man nichts als braun und weiß; und die Sterne stehen da und schauen und schauen und kommen nicht vom Fleck, sie haben sich ganz vergessen, wie die Kinder. Bisweilen bleibt auch der Herrgott vor dem Moor stehen und schaut es an.«
Ola saß da und behielt den Kessel im Auge. – »Und du bist also immer noch Religionsstifter? Prophet in deinem eigenen Land?« – »Ich? Nein. Nein, ich bin nur Schreiner. Was ich glaube, das glaube ich, aber ich will es am liebsten für mich allein haben. Die Leute sollen ihre eigenen Wege gehen.« – »Ja, laß sie das tun, laß sie sich die Hörner abstoßen.« – »Ja, gerade das meinte ich. Ich bin in letzter Zeit meiner Sache immer sicherer geworden – daß dies das richtigste ist.« – »Ja. Im übrigen aber: dieser Meinung bin ich doch nicht. Du solltest sie doch noch mehr beunruhigen. Du darfst nicht hier umhergehen und so sein wie – – na ja: so sein wie ich, da hast du ganz recht. Ich sehe, du lächelst innerlich darüber, daß man nicht so sein soll wie der Küstertod. Nein, jedenfalls nicht du. Die andere Seite hinhalten, wenn die Leute einen schlagen, das mag ja ganz gut sein; aber wird man schließlich nicht ganz flach davon? So richtig dünn?«
Otte saß still da und ließ die Blicke über den Boden schweifen. – »Ja, mögen sie glauben, was sie wollen«, sagte er vor sich hin. »Wegen des Brandes«, fügte er hinzu und blickte auf.
Ola war verdutzt, und Otte mußte lächeln. – »Nein, ich bin ja doch wegen dieses Lausbuben hergekommen«, sagte der Küster und schlug sich aufs Knie. »Wegen Odin. Er sollte eigentlich nicht mehr länger in der Gemeinde bleiben. Findest du nicht auch, Otte? Er sollte ein wenig ausgelüftet werden?«
»So?« antwortete Otte und griff sich in den Bart.
»Ja, denn sonst wird er ein ordentlicher Kerl, wie alle anderen auch – du verstehst, was ich meine, Otte?«
Ola sieht ihn fest an, dringt gleichsam durch den Nebel von Scherz und Ernst hindurch: »Er ist ein wahrer Halunke, und Gott sei Lob und Dank dafür, aber ich fürchte, er wird sich nicht lange halten können. Die Gemeinde frißt ihn auf. Er ist kein Juwiking, so wie wir es verstehen, darüber ist er hinausgewachsen, während er draußen in Kjelvika lebte, soviel ich sehen kann – er ist in eine gute Lehre gegangen, das kann ich dir sagen!«
»Der?«
»Ja, verflucht noch einmal! Er ist weiter fort gewesen als nur in Amerika. Er hat gelebt. Er hat in sieben Jahren sieben Menschenalter durchlebt. Noch steckt eine Art Dichter in ihm. Und wer das nicht mehr ist, den zähle ich nicht mit. Der bringt es zu nichts.«
Jetzt aber kam Ola von der Bank herunter, suchte auf dem Wandbrett herum, nahm die Kaffeetassen und Zucker und Rahm. – »Ich bekam solche Lust auf Kaffee, ja, ich sage bald alles, was ich meine.« Otte mußte jetzt auch von seinem Sitz herunter, wußte aber nicht recht, was er anfangen sollte. Ola schenkte Kaffee ein, und dann tranken sie. – »Schlecht?« sagte Ola, er sah Otte ins Gesicht. »Das ist ein Trank für Propheten. Aber der Odin, der Racker, wie gesagt: Jetzt wird es Ernst. Denn jetzt soll er kopfüber hinaus. Hinaus in das, was wir Leben nennen. Es muß eine scharfe Lauge sein. Um die Mädchengeschichte kümmere ich mich nicht. Aber wenn wirklich er es war, der diese Geschichte mit Ivers Fohlen angerichtet hat, dann –! Da war kein Witz dabei, so was machen kleine Leute. Das Tier beim offenen Graben anpflocken – gemeine Dummheit, sage ich, he?« Der Küster sah Otte über seine Tasse hinweg an.
»Der Odin? Was schwätzt du da? Der Odin, sagst du, jetzt wart' aber einmal!« Er griff rasch in seine Brusttasche, wühlte und suchte, die Augen starr auf die Hobelbank gerichtet, zog ein Stück Papier hervor: »Schau her – das bekam ich gestern vom Odin. Er fragt, ob ich dem Iver diesen Streich gespielt hätte!«
»Du? So ein Blödsinn! Das ist nur irgendein Weibergeschwätz.«
» Glaubt denn das jemand?«
Ola lachte so, daß ihm der Bauch hüpfte.
»Ja, meinst du denn, daß jemand das nicht glaubt?«
Otte lächelte, auch er, und setzte sich wieder auf die Hobelbank. Er fing an zu schildern, wie die Sache zugegangen war:
Er kam von Haaberg, hatte dort irgend etwas erledigt und dabei erfahren, daß Odin vom Pfarrer zurückgewiesen worden sei. Da faßte er sich ein Herz und ging nach Vennestad und erkundigte sich nach dem Buben. Dort aber war niemand daheim, und so mußte er wieder gehen. Am Weg stand das Fohlen und hatte sich in den Strick verwickelt, mit dem es angepflockt war, so kurz war das Ende nur noch, daß das Tier sich kaum bewegen konnte. Da erbarmte sich Otte seiner und band es an einer anderen Stelle fest – man kann doch an so einem Tier nicht vorbeigehen, und dabei hatte er wohl die Dummheit gemacht und gar nicht darauf geachtet, daß ein Graben in der Nähe war; es war schon ein wenig dämmerig, soweit er sich erinnern konnte.
Jetzt schaut Otte auf und dem Küster wieder ins Gesicht; in den Falten rings um die Augen und auf der Stirn zuckt es leicht:
»Ja, nun weißt du es. Du hast es wohl den ganzen Abend schon gewußt, daß ich der Missetäter war.«
»Ja, ja«, sagte Ola, er war sofort rot geworden.
»Und jetzt gehe ich noch heute abend nach Vennestad und erzähle ihnen, wie alles zusammenhängt.«
»Da wird man dich hinauswerfen! – weiß Gott, da will ich dabeisein und zuschauen!« Und er meinte, sie könnten dann auch gleich wegen des Buben reden; wenn es überhaupt so weit käme, daß sie sich setzen dürften, fügte er hinzu. Man sollte sich zusammentun und den Burschen irgendwo hinschicken, in eine Schule oder was es nun auch sei. – »Ja, ja«, sagte Otte. – »Ja, hier auf Segelsund gibt es doch so etwas wie eine Schule; oder hat es vielmehr gegeben. Der Arthur hat da etwas ganz Großes und Gutes angelegt, aber dann kam niemand. Das war das einzige, worauf er nicht gefaßt war. Nun, es ist ja vielleicht gleichgültig. Die jungen Leute müssen ein wenig in die Welt hinaus. Auf das, was die Kinder lernen, gebe ich nicht viel, aber ein Stück weit in die Welt hinaus, das sollen sie, und, wie gesagt, laßt sie sich nur die Hörner abstoßen, jeder will hinaus, hinaus, hinaus, wie der Dichter sagt, und nun ist eben Odin an der Reihe. Ja, nicht wahr, du fühlst das an dir selber? Es kann dahin und dorthin mit ihm gehen. Er ist wirklich ganz gefährlich. Du hast die Pflicht, das an dir zu fühlen. Es ist keine Kleinigkeit, Vater eines Kindes zu sein; dazu habe ich nie den Mut aufgebracht.«
Wie sie so dastehen und im Begriff sind zu gehen, schaut Ola rings um sich, betrachtet Wände und Decke: »Aber daß es brannte? Du läßt wohl die Leute glauben, was sie wollen?« – »Ja, was sollte ich sonst tun? Eines Tages wird die Wahrheit schon aufkommen.« – »Ja–a. Das hat man mir erzählt. Das soll eine alte Weisheit sein. Wenn sie nur nicht zu alt ist. Ja, es ist wahr: du bist das Salz der Erde. Salz mochten sie gerne, alle in unserer Sippe. Bis auf mich. Im übrigen, du, Otte Setran: Wir beide, wir sind der Abfall, so nennt man uns; wir sind der Abfall von unserer Sippe. Und so kommen mir auch die anderen vor, der größte Teil in der Gemeinde und im Land – ja, ich weiß wohl, daß es nicht wahr ist, aber –. Herrgott noch einmal, lustig war es doch, daß es bei dir brannte. Daß der liebe Gott dir diesen Streich spielte. Und jetzt gehst du zum Iver, wie gesagt.«
Sie kamen nach Vennestad, während man dort gerade beim Abendessen saß.
Iver und Elen blicken nur rasch auf, schauen einander an und sehen sich nach Stühlen um. Odin stellt seinen Stuhl hin, Ola hat aber bereits die Holzkiste gefunden, und Iver bittet Otte, auf der Bank Platz zu nehmen. Odin läßt den Stuhl leer stehen und ißt stehend weiter.
Iver schwitzte, wie immer, wenn er aß; auf seinem kahlen Kopf standen die blanken Perlen. Er redete selten bei Tisch. Elen war bald fertig mit dem Essen und ging zu dem Kleinen in die Kammer hinüber.
Odin rückte seinen Stuhl an die Wand. Er saß dort und wunderte sich immer mehr und mehr. Immer wieder sah er den Iver an. Ola Haaberg redete vom Wetter, wie gewöhnlich, wenn er zu fremden Leuten kam, ernsthafter als ein anderer, aber nie so, daß man wirklich an das glaubte, was er sagte.
Auf einmal sagte Otte: »Ich bin hergekommen, um mit dir wegen deines Pferdes zu reden, Iver.«
Iver legte den Suppenlöffel weg; für heute abend war er mit dem Essen fertig. – »Wegen des Pferdes?« fragte er. – »Ja, wegen deines Fohlens, du weißt doch? Ich war es, der es an jenem Abend von seinem Platz wegführte und noch dazu zu einem guten Grasplatz. Aber das mußt du mir glauben, Iver, eine Grube oder einen Graben habe ich nicht gesehen!«
Odin blickt seinen Stiefvater starr an. Auf seinem Gesicht kommt und geht ein Lächeln, kommt und geht: Welchen Weg würde Iver jetzt wohl einschlagen? Iver sah zu Boden.
»Ja, ich mußte herkommen und mit dir reden, Iver. Damit nicht ein anderer verdächtigt wird.«
»Ach, es ist ja nicht der Rede wert. Da war eben wieder einmal das Unglück unterwegs.«
Elen ist wieder hereingekommen. Sie steht da und sieht Iver an, und ihr Gesicht hellt sich immer mehr auf. – Gleich wird sie hingehen und ihm den Schweiß abwischen, dachte Ola.
»Was ich anfasse, geht alles verkehrt!« Odin blickt vom einen zum anderen und lächelt: »Darauf kann man sich verlassen.«
»Aber du, Odin, du bist ja jetzt ein erwachsener Kerl!« warf Ola ein.
Die anderen machten diesen Gedankensprung nicht mit, aber Elen suchte auf einmal eifrig nach ihrer Nähschachtel.
»Nein, was das Pferd anbetrifft«, sagte Iver, »so war ihm eben der Tod bestimmt. Reden wir nicht mehr davon.«
»Darf ich's bezahlen? Das würde ich gerne tun.«
Iver lachte ein wenig:
»Nun, verhungert sind wir ja schließlich noch nicht!«
»Er hat jetzt Geld, der Otte«, mischte sich der Küster drein. »Er bekommt ja jetzt bald die Versicherung für sein Haus.«
Die ganze Stube zuckte gleichsam zusammen, und Odin wurde es ganz heiß auf seinem Platz. Aber Otte lachte nur.
»Ja, ja, das ist ganz schön, aber ich will von seinem Geld nichts haben«, sagte Iver.
Otte lachte wiederum, und jetzt sah er Ola an:
»Jetzt will ich dir etwas erzählen, Ola Haaberg: Du kamst heute abend voller Verdacht zu mir; nicht nur wegen des Pferdes, sondern auch wegen des Brandes, nicht wahr?«
Ola klappte ein wenig zusammen, das konnten sie sehen. Odin saß steif auf seinem Stuhl.
»Prophet, Prophet!« sagte Ola. – »Aber das, was ich glaube, und das, was das Volk glaubt, das sind zwei verschiedene Dinge. Ich war das Volk, als ich kam; so wie der Iver und die Elen und jeder andere. Im übrigen aber wollten wir ja heute abend über Odin reden. Er ist jetzt erwachsen, wie gesagt, und wenn er erst einmal Flügel hat, so wird er ausfliegen. Du wirst doch nicht dein ganzes Leben lang daheim bleiben wollen und dir's gut gehen lassen, oder?«
Keiner sagte etwas, und Ola mußte wieder von neuem anfangen. Er erzählte, worüber er und Otte miteinander geredet hatten.
Iver hüstelte ein paarmal. – »Ich habe das gleiche gedacht. Und wenn die Zeit da ist, wollen wir einmal sehen, was sich machen läßt. Ich will ihm helfen, soweit ich kann, das ist meine Absicht.«
Elen sieht sie alle miteinander glücklich an. Otte weiß nicht, wie er sich benehmen soll. Odin bekommt ein paar scharfe Falten zwischen den Brauen, richtet sich aber gerade auf. Ola hat gleichsam weder etwas gehört noch gemerkt.
Ein paar Jahre auf der Schule oder in der Lehre, hatte Iver gedacht. Das müßte sich doch machen lassen. Obgleich es nicht leichtfallen mochte, ihn bei der Arbeit zu entbehren. Denn nach und nach stand der kleine Bursche doch seinen Mann. »Ihr hättet nur an jenem Abend dabeisein sollen, als der Bär kam! Das war eine Geschichte! In der schwärzesten Nacht mußten wir auf die Weide hinaus, der Bub und ich, und mitten vor der Nase haben wir dem Bären die Schafe weggeholt – wir hörten ihn noch im Dunkeln brummen, er fand uns wohl gehörig dreist. Und der Odin ist die ganze Zeit vorangegangen, und wer weiß, ob er den Bären nicht mit der Schuhspitze an der Schnauze gekitzelt hätte, wenn es gerade gepaßt hätte! Ein verfluchter Kerl!«
»War das am Samstagabend?« fragte Ola.
»Ja richtig, am Samstagabend war's!«
»Aber da war ja der Bär schon tot!«
»Tot? Hat ihm etwa einer eine Kugel auf den Pelz gebrannt?«
»Nein, aber sie haben ihn erschlagen. Es war der Hund von Segelsund gewesen – der hatte gerade zum Bären getaugt. Ein Schaf hat er zerrissen, mindestens. Den Rest lieferten die Leute – du solltest dich vor ihnen in acht nehmen, Otte.«
»War es der Hund? Dann war also alles nur Geschwätz und Gerede?«
Da brach Odin in Lachen aus, und damit atmete die ganze Stube erleichtert auf. Iver lachte als letzter, aber er konnte doch auch nicht anders.
»Aber geglaubt haben wir's doch, daß es der Bär sei!« sagte Odin, gleichsam als wollte er den Stiefvater trösten.
Ola sah ihn ernsthaft an.
»Der Glaube ist es, worauf es ankommt. Vergiß das nicht!« »Aber ich will noch nicht in eine Schule, daß ihr's nur wißt!« Odin sah sie verschmitzt an.
Das müßten sie sich nun überlegen, meinte Iver trocken.
Odin hatte es sich überlegt. Er fühlte, daß es unmöglich war. Die Mutter sah ihn von ihrem Winkel aus an, und er merkte, wie sie glücklich wurde.
»Ich will schreinern lernen«, sagte er. Er hielt den Blick fest auf sie gerichtet.
Noch einmal schien es allen, als stünde die Stube auf dem Kopf.
»Wie du willst«, sagte Iver, er stand auf und wollte in den Stall hinübergehen. »Wie gesagt, ich werde die Lehrzeit bezahlen.«
»Ja, aber – hast du denn keinen Platz für mich?« Odin wandte sich an seinen Vater.
»Ich?« Otte sah ganz verändert aus, fast wie ein Fremder. Jetzt lächelte er, jedoch armselig und ungläubig, er glich einem Bettler, dem man einen großen Geldschein hinhält. »Ist es dir Ernst damit?«
»Ja.«
»Wirklich, Odin?«
Elen war es, die dies sagte, und die übrigen zuckten alle zusammen.
»Ja, da hilft nichts, Mutter. Es muß schon so kommen, denn ich habe keine Angst, weder vor ihm noch vor seinem Geld. Damit mag es sein, wie es will, und außerdem –«
»Das wirst du doch nicht tun, Odin? Du wirst doch nicht jetzt von mir weggehen?«
Er blieb sitzen und sah sie an, aber die anderen konnten merken, daß er nicht nachgab.
»Es ist jetzt nicht mehr so schlimm für dich«, sagte er still und deutete mit dem Kopf zu Iver hinüber.
»Ja, ja«, meinte Otte. »Du weißt ja, daß ich nichts dagegen hätte, aber –«
»Dann komme ich also, so bald wie möglich. Aber morgen fahre ich zum Markt.«
»Zum Markt? Du?« Sie sahen ihn alle an.
»Ja. Ich habe sogar daran gedacht, dich zu fragen, ob du mir nicht zehn Kronen leihen willst?« Er wandte sich an Ola.
»Die sollst du haben; und fahr nur zu, jetzt kenne ich dich wieder.«
Iver war hinausgegangen. Und als er wieder hereinkam, waren die Gäste im Begriff zu gehen. Odin begleitete sie bis vor die Türe, und Ola suchte den Zehnkronenschein heraus. Otte wollte ihm auch einen geben, den aber nahm Odin nicht an. »Ich will mich überall selber durchbringen«, sagte er, »wartet nur, bis ich einmal mein Erbe in Kjelvika bekomme; oder bis sich ein anderer Rat findet.«
Odin blieb wach liegen. Morgen um neun Uhr war der Dampfer bei Segelsund, und dann ging es weiter, geradeswegs zum Markt. Die anderen waren schon fortgefahren, ein Boot nach dem anderen, und morgen fuhren die letzten fort, und er mit ihnen. Er drehte sich im Bett herum, wollte schlafen – er hatte die Welt umgestülpt, und jetzt mochte sie dastehen und warten, während er schlief.
Draußen lag die Stille, rings um die Häuser und überall im Land, er hörte sie so deutlich; und weiter fort lag die See und murmelte, und die Kjelvikweide und die Zeit, weit draußen und fern. Nun erreichte ihn das alles nie mehr.
Von Zeit zu Zeit schaute er in der Dunkelheit vor sich hin und zum Fenster hinüber: Jetzt sollte er nicht mehr länger hier sein.
Da hantierte jemand an der Türe. Aber heute abend war der Haken eingehängt. Kristine durfte dieses Jahr nicht mit auf den Markt, sie konnte nicht, denn der Alte war bettlägerig. Sie stand immer noch da. Ja, ja, da war nichts zu machen, sie sollte jetzt nicht noch öfters auf seinem Bettrand sitzen, und heute abend schon gar nicht. Sie war das Weichste, was man anfassen und woran man denken konnte, und wenn sie jetzt nicht gleich ging, dann sprang er auf und jagte sie weg. Er tat, was er wollte, darum war ihm nicht bange, er fragte keinen, er konnte in jedem Augenblick das große Übel tun. Aber da war irgend etwas, das sagte, er sei der Odin und nicht irgendein Geringerer. Es war fast so, als müsse er der Aasel auf Haaberg ins Gesicht sehen. Aus der Aasel machte er sich übrigens nicht das geringste, das wollte er ihr gleich bei der nächsten Begegnung sagen. Er war einer von den Alten; wenn er auch nicht so dumm war wie jene.
Da aber fiel der Haken herunter, und die Tür war offen. Kristine hatte sich mit einer Haarnadel geholfen. Jetzt kam sie über den knarrenden Boden geschlichen. Nachdem sie eine gute Weile auf seinem Bett gesessen und ihn gerüttelt und mit ihrem Haar im Gesicht gekitzelt hatte, drehte er sich im Bett herum: »Willst du etwas?« – »Wollen? Was glaubst du denn? Aber ist es wahr, daß du jetzt von hier fort sollst?« – »Ja, und was kann dir dran liegen!« – »Nein, nein. Aber gehst du wirklich von deiner Mutter weg?«
Er lag da und schwieg. Auf so etwas gab er ihr keine Antwort. Aber er dachte daran, wie er heute abend unten in der Stube gesessen hatte, und dann konnte er doch nicht anders und mußte es jetzt sagen, denn es bewegte ihn zu lebhaft: »Mein Vater ist mir ein seltsamer Kauz. Er ist aus feinerem Zeug als alle anderen, darum wetzen sie alle ihren Schnabel an ihm – ich hätte wissen sollen, wer er ist, der Teufel hol' mich! Die Mutter, sagst du? Sie hat ja den Iver. Er ist siebenmal besser, als ich gedacht hatte. Ich saß da und lauschte auf etwas, von weit draußen vom Meer oder vom Land oder aus der alten Zeit her, und ich wartete darauf, als sollte es mir einen kleinen Stoß versetzen. Und das tat es. Nein, d u verstehst das nicht, das habe ich auch nicht erwartet. Sie haben recht, alle beide. So ist die Welt, glaube ich – sie kann einen wild und blind machen, wenn man über sie nachdenkt. Aber wie gesagt, ich werde zum Vater ziehen. Und jetzt kannst du gehen und dich schlafen legen, hier bei mir darfst du doch nicht schlafen.«
Sie schwieg zu diesen Worten. Da wunderte er sich, und zugleich wurde ihm unbehaglich zumute, und als sie sich zu ihm hinunterbeugte und ihn küßte, legte er die Hand um ihren Nacken und hielt sie so fest. Dann schob er sie von sich weg und bat sie, zu gehen, und jetzt gehorchte sie. – »Nein, denn ich will ein freier Mann sein!« murmelte er; er dachte in diesem Augenblick an die Mutter und an Karen-Anna, und über diesen Gedanken schlief er ein.
Am Morgen darauf war es strahlend schön, ein wenig Rauhreif lag über den Mooren, und das Wasser im Fjord draußen und an den Ufern war mit einem Sonnengitter bedeckt. Es herrschte solch eine erwachende Bläue ringsum, gerade so, wie er sie erwartet hatte.
Es dauerte geraume Zeit, bis die Mutter ihn fahrtbereit ausgestattet hatte, sie wollte ihn doch, anständig ausrüsten, schien es ihm, und ihre Gedanken gerieten dabei immer wieder ins Stocken. Iver kam und steckte ihm zwei Zehnkronenscheine zu, zwei ganz neue gelbe sogar, und er und die Mutter begleiteten ihn bis vor die Türe. Dort schaute sie ihn noch einmal von oben bis unten an, war zufrieden mit ihm und wünschte ihm alles Glück. Und auf dieses Glück verließ er sich fest und ganz.
Dann und wann überkam ihn die Lust zu springen und zu laufen, er beherrschte sich aber und schritt nur weit aus; denn wer so erwachsen ist, daß er auf den Markt gehen darf, der läuft nicht.
Unten, wo der Weg nach Segelsund abbog, blieb er stehen und horchte, ob der Dampfer schon käme. Als er gerade wieder zu gehen angefangen hat, gewahrt er ein Fuhrwerk vor sich und ein Frauenzimmer, das dasteht und sich müht und plagt, um ein Pferd wieder in den Weg hereinzulenken, es aber nicht fertigbringt, weil das eine Wagenrad sich an einem Birkenstamm verfangen hat.
Es ist die braune Stute von Skare, und das Weib ist dann wohl die Serina, sie hat Marktbesucher zum Dampfer gebracht.
Das Pferd war durch einen auffliegenden Vogel erschreckt worden und wäre beinahe in den Straßengraben gesprungen. Jetzt steckte das Bad fest, war eingeklemmt zwischen einem Stein und der Birke, und die Frau wartete darauf, daß Odin ihr helfen würde. Zuerst wollte er den Gaul ausspannen, aber das ging nicht, denn die Gabeldeichsel war verzwängt, und die Stute war aufgeschreckt und trat unruhig hin und her. Der Stein war wie festgewachsen in der Erde; da wollte Odin den Wagen heben, aber das Rad verklemmte sich an der Birke. Odin faßte trotzdem zu, denn irgend etwas mußte geschehen – im nächsten Augenblick konnte das Pferd wild werden und im Graben liegen; Odin hob und stemmte, daß ihm blau vor den Augen wurde. Da krachte es in dem einen Deichselarm, und im selben Augenblick machte die Stute einen Satz; die Deichsel zerbrach, und schon setzte das Pferd über den Graben und sprang ins Moor. Dort aber war der Boden grundlos und weich, so daß es sogleich bis an den Bauch einsank, es wollte sich herausarbeiten und sank dadurch noch tiefer ein und hätte beinahe auch noch Odin mit hineingezogen. Endlich gelang es ihm, das Tier von den beiden Deichselenden zu befreien, und nun lag der Gaul still da. Odin blieb eine Weile stehen. Rings um sie war nichts als Sumpf. Serina jammerte laut und meinte, sie wolle Hilfe holen. Ein unmögliches Beginnen, das wußte er. Er mußte das Pferd herausbringen. Und es mußte sich irgendein Bat finden.
Da war zum Beispiel der Heusack.
Odin nahm den Sack und riß zugleich das rückwärtige Brett vom Wagen ab, legte beides vor dem Tier auf die Erde und ergriff dann die Zügel. – »Wenn du mir jetzt hilfst«, sagte er innerlich – »wenn du mir jetzt hilfst, dann will ich sagen – –«
Ringsum war es still, ihn dünkte, er sei mutterseelenallein. Serina stand in weiter Ferne, auf der anderen Seite des Grabens, sie wartete darauf, daß ein Wunder geschähe.
»So – da, Bruna!« sagte er.
Und wahrhaftig, die Stute kam auf, weiß der Himmel, wie es zuging, stand einen Augenblick mit den Vorderbeinen auf dem Heusack und auf dem Brett und war dann am Grabenrand, wo das Heidekraut ein wenig besser trug, setzte über den Graben weg und stand auf dem Weg. Dort schüttelte sie sich in den Zügeln, wollte schon fast das Gras am Wegrand abknabbern.
»Ende gut, alles gut!« sagte er zu Serina.
Sie lächelte, aber ihr Gesicht war im übrigen ganz steif – es greift die Weiber immer so an, wenn irgend etwas mit dem Viehzeug los ist. Jetzt erst fiel ihm ein, daß er eigentlich vor allem das Bad hätte abnehmen müssen. Pfuscherei, von Anfang an. Aber es ging trotzdem gut ab, lächelte er vor sich hin.
Dann stand der Karren wieder auf dem Weg, die Deichsel so einigermaßen zusammengebunden, daß sie wenigstens auf dem Heimweg noch hielt. Da durchfährt es ihn plötzlich heiß: War das der Dampfer, der vorhin pfiff? Der Ton lebte noch einmal in seinem Ohre auf, kehrte gleichsam um und kam wieder. Ja, ja, jetzt schoß er davon. Er rannte, daß es ihm in den Ohren sauste, sprang über den Zaun und den Hügel hinan.
Da sah er den Dampfer langsam an den Segelsund-Häusern vorbeigleiten und in den Fjord hinaus halten. Lang, und blau angestrichen, mit Gischtwellen vor sich, und mit Macht und Kraft dicke Ballen von Bauch ausstoßend. Das Deck war bis auf den letzten Platz mit schwarzgekleideten Marktbesuchern besetzt.
»Aber bist du denn vom Satan besessen?« rief er aus, hielt jedoch mitten darin inne. Er hatte soeben erst merkwürdige Dinge erlebt.
Ja, ja, da fuhr nun der Markt mit allen Herrlichkeiten davon.
Odin mußte lächeln, wie er so dastand. Er sah sich nun selber, wie er in großen Sätzen daherkam: ein wenig vornübergebeugt im Lauf, die Ellbogen nach außen gedrückt, die Augen starr und glücklich in die Welt hinausgerichtet, durch Kjelvika hindurch und durch die Gemeinde und bis hierher; immer wieder blieb er stehen und wunderte sich; immer wieder geschah ein Wunder.
Und jetzt ging es wieder weiter. Wozu hatte er denn in Kjelvika draußen im Wasser herumgeplätschert? durchfuhr es ihn. Wohl deshalb, damit er es mit der See aufnehmen konnte, wenn er es je einmal nötig hätte?
Er ging geradeswegs nach Segelsund und fragte, ob er ein Boot leihen könnte. Er traf die Frau selber an, die Mina, sie trug eine Brille und sah höchst vornehm aus; als er sie aber zum zweitenmal fragte, gab sie ihm endlich eine Antwort. Sie wollte wissen, wer er denn sei, und als sie das erfahren hatte, hieß es sofort: Ja, er könne ein Boot haben. »So, so, du bist der Odin? Kannst du denn wirklich so weit rudern?« Sie befahl dem Hüterbuben, mitzugehen und das Boot zu Wasser zu bringen. Dann wurde sie nachdenklich und bat Odin zu warten, sie müsse fast lachen, denn es füge sich doch zu seltsam, daß hier noch jemand sei, dem der Dampfer davongefahren war. Sie rief in den Dachraum hinauf, nach einer, die sie Ingrid nannte, und als einige Zeit verstrichen war, kam ein Mädchen in Odins Alter herunter, ein kleines dünnes Ding, das nordländisch sprach. Die sollte er mitnehmen. Sie könne rudern, sagte die Frau auf Segelsund. Es war wohl ihre Pflegetochter, man sagte, sie solle sogar mit ihnen verwandt sein.
Und nun fingen sie an zu rudern. Und anfangs ging es recht gut. Das Mädchen saß achtern im Boot und hatte die leichteren Ruder. Sie stellte sich gar nicht schlecht an bei dieser Arbeit. Aber der Landwind, den Odin schon weiter drinnen im Fjord gehört hatte, noch ehe sie sich auf den Weg machten, kam jetzt dicht und schwer heran, und dazu setzte noch Ebbe und Gegenströmung ein. Sie hielten sich nahe am Ufer und fuhren in jede Bucht hinein und um jede Landzunge herum, schließlich aber sahen sie nichts weiter als den breiten Fjord vor sich, der sich schäumend gegen sie warf. Naß wurden sie, und der Tag ging zu Ende, und jetzt sah er, wie dünn und kraftlos dieser Mädchenrücken vor ihm war, zart und fein, und dieser Bücken plagte sich, so gut er konnte, aber für den großen Fjord taugte er nicht, es war die reine Tierquälerei. Jetzt bekam sie noch einen Spritzer und noch einen dazu, so daß ihr das Wasser über Nacken und Rücken herunterfloß.
Da erkannte er, daß es ihm für dieses Mal nicht bestimmt war, auf den Markt zu kommen. Er sollte umkehren und Ingrid gut und sicher heimbringen. Sie lächelte und holte Atem, als er ihr das sagte.
»Ihr sollt nicht um meinetwillen umkehren«, sagte sie.
Nein, nein, aber jetzt blies gerade so ein schöner Segelwind heimwärts. – Konnte er denn segeln? Bei solchem Wetter? Er gab keine Antwort darauf, denn er sah, daß sie ihm vertraute. Es war ein Ballaststein zu wenig im Boot, und das Segel war auch nicht gerade das neueste, aber er stellte doch den Mast auf und hißte das Segel.
Eine Zeitlang tanzten sie nur so dahin. Das Boot schoß wie der Vogel über jede Welle und vor jeder Bö dahin, es freute sich, einmal losgelassen zu sein. Dann aber lag es zu leicht am Steuer, er hatte zuviel Segel gesetzt. Odin fierte das Fall, doch das Segel kam nicht herunter. Er packte die Hol-Leine, aber es wollte nicht herunter. Jetzt hängte er sich mit seinem ganzen Gewicht daran. Die Hol-Leine riß; sie war gänzlich verfault.
Und der Wind nahm zu. Das Boot schoß dahin und dorthin, das Segel paßte ihm nicht, es gebärdete sich wie eine erschreckte Ziege, wußte nicht, wo es hin sollte. Ingrid zerrte am Segel, desgleichen Odin; aber die Rahe saß unverrückbar fest am Mast oben.
Da durchfuhr es Odin, er fühlte es wie einen Griff, daß er vorhin, als er in der Klemme war, um Hilfe gebeten und sie bekommen hatte – es war nur ein Kinderspiel gewesen. Jetzt aber war es bitterer Ernst. Eines konnte er noch versuchen: mit dem Boot in den Wind zu schießen, jetzt gleich auf der Stelle, solange noch reine See war. Blieb es dann stehen, so waren sie gerettet. Das Mädchen sah ihn an. Sie hatte einen Ausdruck, als wisse sie, daß sie sterben müsse, aber sie vertraute trotzdem auf ihn.
Ja, ja, nun tat er es. Wenn es sich wirklich so verhielt, daß Gott bei einem war und half, dann mußte er es jetzt tun – viele hatte es gegeben, die so in der Not gewesen waren und sich keinen anderen Bat gewußt hatten, als nach ihm die Hand auszustrecken. Aber noch ehe Odin den Gedanken zu Ende gedacht hatte, schoß das Boot von selber zur Seite, das Wasser brauste leewärts herein, wie ein Berg war es, und als Odin wieder zu sich kam, lag er im Wasser und arbeitete mit Händen und Füßen, er hielt die Schote in der Faust, während die Wellen ununterbrochen über ihm zusammenschlugen.
Es gelang ihm, sich auf den Kiel zu retten. Ringsum schäumte der Fjord. Das war Einsamkeit! Hier gab es keine Hilfe. Jetzt erst dachte er an das Mädchen. Da sah er sie, sie arbeitete sich unter dem Boot hervor, suchte nach einem Griff an der Bootswölbung, aber die Wellen spülten sie weg:
Endlich hatte er sie gerettet. Sie konnte sich einigermaßen festhalten. Schon dachte er daran, um Hilfe zu rufen, unterließ es dann aber; er brachte es nicht fertig. Da sah er von Segelsund her ein Boot gegen den Wind herankämpfen und noch ein zweites dazu von der anderen Seite des Fjords.
– – – Er hatte vorgehabt, geradeswegs zu Frau Mina in die Stube zu gehen, so naß, wie er war, aber er traf sie schon vor der Tür an.
Sie fragte, ob er denn wirklich so unvernünftig sei, ob er sich denn gar nicht aufs Meer verstehe.
Er erzählte, wie sich alles zugetragen hatte. Im übrigen war es ihm gleichgültig, was die anderen sagten oder glaubten.
»Ich vertraute auf den Herrgott, daß er mir helfen würde«, sagte er und sah ihr in die Augen.
Nun, und das tat er wohl auch, oder?
»Nein. Nein, woher doch! Er war nicht da – das fühlte ich an mir.«
Sie wollte sich schon auf eine lange Strafpredigt vorbereiten, ließ es dann aber gleich wieder sein. Sie blieb stehen, halb ihn betrachtend, halb nachdenklich. Dann sagte sie, er solle ins Haus kommen und trockene Kleider anziehen. Nein, sagte er, er müsse jetzt heim, nahm Abschied und ging.
Elen nahm es ruhig. Sie sah Odin nur in Gedanken versunken an, und als sie sich wegdrehte, murmelte sie vor sich hin, daß man Gott doch für vieles zu danken habe.
»Ja«, sagte Odin. »Weißt du, er ist ganz gut zu haben, so in der Hinterhand. Wenn er mir auch nicht gerade sofort zu Willen war. Du weißt ja, daß ich an ihn glaube«, fügte er hinzu, vor sich hin. »Er muß doch da sein?«
Als er vom Dachraum herunterkam, hatte er seine Sachen zusammengepackt und erklärte nun, daß er fortzöge. Die Mutter erbleichte.
»Jetzt schon?« sagte sie.
»Ja.«
»Tust du es wirklich, Odin?«
»Ja, ich tue es. Verstehen kann ich's zwar selber nicht, aber –. Und schön ist es auch nicht von mir. Ich muß wohl sehen, daß ich später beständiger werde. Ja, leb wohl also, und Dank für alles!«
Iver und Elen standen da und machten lange Gesichter, alle beide. Jetzt erst erkannte Odin, daß es gute Leute waren, und was das zu bedeuten hatte. Dies war ein warmes und schweres Gefühl, ein Geschenk mit auf den Weg.
Dann aber drehte er sich von ihnen weg und ging.
Immer noch blies es laut, aber es war der reine Schönwetterwind. Und Odin dünkte es jetzt, so wie es ihn am frühen Morgen gedünkt, als er sich auf den Weg gemacht hatte, er habe graue Dunkelheit und Stubenwärme hinter sich gelassen und gehe einem hohen und klaren Tag entgegen. Es war merkwürdig, so ganz allein einen fremden Weg zu gehen. Und so hatte er es schon von klein auf manchmal empfunden: Man konnte gleichsam gar nicht glauben, was man sah. Darum aber blieb es doch unverändert groß. Und es war doch gut für den Menschen, allein zu sein.