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Lord Winter wurde von seinem Pferd und dem Lakaien an der Tür erwartet. Er ritt, ganz in Gedanken versunken, nach seiner Wohnung und schaute dabei von Zeit zu Zeit zurück, um die schwarze, schweigsame Fassade des Louvre zu betrachten. Da erblickte er einen Reiter, der sich sozusagen von der Mauer losmachte und ihm in einer gewissen Entfernung folgte; er erinnerte sich, bei seiner Entfernung aus dem Palais-Royal einen ähnlichen Schatten gesehen zu haben.
Lord Winters Lakai, der nur einige Schritte hinter ihm war, verfolgte diesen Reiter gleichfalls mit unruhigem Auge.
Tomy! sprach der Lord und machte dem Bedienten ein Zeichen, sich zu nähern.
Hier, gnädiger Herr.
Und der Bediente ritt an die Seite seines Herrn.
Hast du den Menschen bemerkt, der uns folgt? – Ja, Mylord. – Wer ist er? – Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß er Eurer Herrlichkeit von dem Palais-Royal an gefolgt ist, im Louvre angehalten hat, um Euern Abgang zu erwarten, und mit Eurer Herrlichkeit wieder vom Louvre weggeritten ist. – Ein Spion des Kardinals, sagte Winter zu sich selbst. Wir wollen uns stellen, als bemerkten wir seine Späherei gar nicht.
Lord Winter gab seinem Pferde die Sporen und ritt schnell durch ein Wirrsal von Gassen. Vor seinem Gasthause stieg er ab und ging in seine Wohnung hinauf, wobei er sich vornahm, den Spion beobachten zu lassen. Als er aber seine Handschuhe und seinen Hut auf einen Tisch legte, sah er in einem Spiegel vor sich eine Gestalt, die auf der Schwelle des Zimmers erschien.
Er wandte sich um, Mordaunt stand ihm gegenüber.
Lord Winter erbleichte und blieb unbeweglich stehen. Mordaunt hielt sich auf der Schwelle, kalt, drohend, einer Bildsäule ähnlich.
Einen Augenblick herrschte ein eisiges Stillschweigen zwischen diesen zwei Männern.
Mein Herr, ich glaubte Euch bereits begreiflich gemacht zu haben, daß mich diese Verfolgung ermüdet. Entfernt Euch also, oder ich rufe Leute und lasse Euch wegjagen, wie in London. Ich bin nicht Euer Oheim, ich kenne Euch nicht, sagte der Lord.
Mein Oheim, versetzte Mordaunt mit seinem höhnischen Tone, Ihr täuscht Euch, Ihr werdet mich diesmal nicht wegjagen lassen, wie Ihr in London getan habt! Nein, Ihr werdet es nicht wagen. Wenn Ihr leugnen wollt, daß ich Euer Neffe sei, so werdet Ihr dies wohl zweimal überlegen, da ich mancherlei Dinge erfahren habe, die ich vor einem Jahre nicht wußte.
Ei, was liegt mir an dem, was Ihr erfahren habt? entgegnete Lord Winter.
Oh! es liegt Euch viel daran, mein Oheim, das weiß ich gewiß, und Ihr werdet sogleich meiner Meinung sein, fügte er mit einem Lächeln bei, wobei dem Lord ein Schauer durch die Adern lief. Als ich mich zum ersten Male in London bei Euch einfand, geschah es, um Euch zu fragen, was aus meinem Erbgut geworden sei. Als ich mich zum zweiten Male bei Euch einfand, geschah es, um Euch zu fragen, wer meinen Namen befleckt habe. Diesmal stelle ich mich vor Euch, um eine Frage an Euch zu richten, die viel furchtbarer ist, als alle vorhergehenden, um Euch zu sagen: Mylord, was habt Ihr mit Eurer Schwester gemacht, mit Eurer Schwester, die meine Mutter war?
Lord Winter wich vor dem Feuer dieser glühenden Augen zurück.
Mit Eurer Mutter! sagte er.
Ja, mit meiner Mutter, Mylord, antwortete der junge Mann, mit dem Kopf nickend.
Winter tat sich große Gewalt an, tauchte in seine Erinnerungen, um einen neuen Haß daraus zu holen, und rief: Sucht, was aus ihr geworden ist, Unglücklicher, und fragt die Hölle; vielleicht wird Euch die Hölle antworten.
Der junge Mann schritt nun im Zimmer vor, bis er Lord Winter unmittelbar gegenüber stand, und kreuzte die Arme. Ich habe den Henker von Bethune gefragt, sprach er mit dumpfer Stimme und einem Gesicht, das vor Schmerz und Zorn leichenblaß wurde, und der Henker von Bethune hat mir geantwortet.
Winter fiel auf einen Stuhl, als ob ihn der Blitz getroffen hätte, und bemühte sich vergebens, zu sprechen.
Ja, nicht wahr, fuhr der junge Mann fort, mit diesem Wort erklärt sich alles. Mit diesem Schlüssel öffnet sich der Abgrund. Meine Mutter hatte von ihrem Gatten geerbt, und Ihr habt meine Mutter ermordet! Mein Name sicherte mir das väterliche Erbteil, und Ihr habt mich meines Namens beraubt. Wenn man sich als Räuber weiß, ist es nicht ganz bequem, den Menschen, welchen man arm gemacht hat, seinen Neffen zu nennen; wenn man sich als Mörder weiß, will man nicht gern dem Menschen, den man zur Waise gemacht hat, den Titel seines Neffen gönnen.
Diese Worte brachten eine ganz andere Wirkung hervor, als Mordaunt erwartet hatte. Lord Winter erinnerte sich, welches Ungeheuer Mylady gewesen war. Er erhob sich ruhig und ernst und bezwang mit seinem strengen Blick das exaltierte Auge des jungen Mannes.
Ihr wollt in dieses furchtbare Geheimnis dringen, mein Herr? sprach er. Nun wohl, es sei! Erfahrt also, wer die Frau war, über die Ihr mir Rechenschaft abfordert: Diese Frau hat aller Wahrscheinlichkeit nach meinen Bruder vergiftet, und um mich zu beerben, wollte sie mich ebenfalls ermorden, dafür habe ich Beweise. Was sagt Ihr hierzu?
Ich sage, daß sie meine Mutter war!
Sie hat einen gerechten, guten und rechtschaffenen Mann, den Herzog von Buckingham, erdolchen lassen. Was sagt Ihr zu diesem Verbrechen, für das ich die Beweise habe?
Nach Frankreich zurückgekehrt, hat sie in dem Kloster der Augustinerinnen in Bethune eine Frau vergiftet, die einen ihrer Feinde liebte. Wird Euch dieses Verbrechen von der Gerechtigkeit der Strafe überzeugen? Ich habe die Beweise dafür. Was sagt Ihr dazu?
Daß sie meine Mutter war! rief der junge Mann, in immer stärkerem Tone.
Von Mordtaten und Ausschweifungen belastet, allen verhaßt, drohend wie ein blutdürstiger Panther, unterlag sie den Schlägen von Männern, die sie in Verzweiflung gebracht hatte, ohne daß diese Männer ihr je den geringsten Schaden zugefügt hätten. Ein verworfenes Mädchen, eine ehebrecherische Gattin, eine entartete Schwägerin, eine Giftmischerin, eine Mörderin, fluchwürdig bei allen Menschen, die sie kennen lernten, starb sie, verflucht von Himmel und Erde. Das ist das Bild dieser Frau.
Ein Schluchzen, das Mordaunt nicht zu bemeistern vermochte, zerriß ihm die Kehle und trieb das Blut in sein leichenbleiches Gesicht; er ballte die Fäuste, und mit schweißtriefendem Gesicht, mit emporgesträubten Haaren wie Hamlet, rief er in wütendem Grimm:
Schweigt, mein Herr, sie war meine Mutter. Ihr Leben kenne ich nicht, ihre Verbrechen kenne ich nicht! Aber ich weiß, daß ich eine Mutter hatte, daß fünf Männer, gegen eine Frau verbunden, sie heimlich, nächtlicherweise, schweigend wie Feiglinge ermordet haben. Ich weiß, daß Ihr dabei wart, mein Herr, daß Ihr dabei wart, mein Oheim, daß Ihr, wie die anderen und stärker als die anderen, spracht: Sie muß sterben! Ich sage Euch also, hört wohl auf diese Worte, und sie mögen sich in Euer Gedächtnis einprägen, damit Ihr sie nie vergesset: über diesen Mord, der mir alles geraubt hat, diesen Mord, der mich namenlos, der mich arm, der mich boshaft und unversöhnlich gemacht hat . . . werde ich zuerst von Euch und dann von Euern Genossen, sobald ich sie kenne, Rechenschaft verlangen!
Haß in den Augen, Schaum auf dem Munde, die Fäuste geballt, trat Mordaunt noch einen Schritt, einen furchtbar drohenden Schritt gegen Lord Winter näher.
Dieser griff mit der Hand nach dem Degen und sagte mit dem Lächeln des Mannes, der seit dreißig Jahren mit dem Tode spielt: Wollt Ihr mich ermorden, mein Herr? Dann erkenne ich Euch als meinen Neffen, denn Ihr seid der Sohn Eurer Mutter.
Nein, versetzte Mordaunt, und er zwang alle Fibern seines Gesichtes, alle Muskeln seines Körpers, ihren Platz wieder einzunehmen. Nein, ich werde Euch nicht töten, wenigstens in diesem Augenblick nicht; denn ohne Euch würde ich die andern nicht kennen lernen. Aber wenn ich sie kenne, dann zittert! Ich habe den Henker von Bethune erstochen; ich habe ihn ohne Barmherzigkeit erstochen, und er war der unschuldigste von Euch allen.
Nach diesen Worten entfernte sich der junge Mann und stieg ruhig genug, um nicht bemerkt zu werden, die Treppe hinab. Dann ging er auf dem inneren Treppenplatz an Tomy vorüber, der, an das Geländer gelehnt, nur auf einen Ruf seines Herrn wartete, um zu ihm hinaufzueilen.
Aber Lord Winter rief nicht. Im höchsten Grad erschüttert, blieb er mit gespanntem Ohr stehen. Erst als er den Tritt des Pferdes hörte, fiel er halb ohnmächtig auf einen Stuhl zurück und sprach: Mein Gott, ich danke dir, daß er nur mich kennt!