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Dantes war noch keinen Tag an Bord, als er bereits wußte, mit wem er es zu tun hatte, er befand sich an Bord eines Schmugglerschiffes. Der Patron hatte ihn auch anfangs mit einem gewissen Mißtrauen aufgenommen; er war allen Zollbeamten der Küste sehr wohl bekannt, und da zwischen diesen Herren und ihm selbst ein beständiger Wettkampf in Listen stattfand, so meinte er zuerst, Dantes sei nichts als ein Zollspion. Die glänzende Art und Weise jedoch, wie Dantes aus der Prüfung hervorgegangen war, hatte ihn völlig von dessen Vertrauenswürdigkeit überzeugt. Als er sodann den leichten Rauch über der Bastei des Kastells If schweben sah, dachte er einen Augenblick, er hätte einen von denen an Bord genommen, denen man, wie den Königen bei ihren Ein- und Auszügen, bei ihrem Ausrücken die Ehre des Kanonierens zuteil werden ließ. Dies beunruhigte ihn schon weniger, als wenn der Ankömmling ein Zöllner gewesen wäre; doch die zweite Mutmaßung verschwand bald wie die erste angesichts der vollkommenen Ruhe seines Rekruten.
Edmond hatte also den Vorteil, zu wissen, was sein Patron war, ohne daß sein Patron wissen konnte, was er war. Von welcher Seite ihn auch der alte Seemann und seine Kameraden angriffen, er gab nicht nach und machte kein Geständnis, sondern erzählte nur viel von Neapel und Malta, das er so gut wie Marseille kannte, und er hielt seine erste Angabe mit einer Festigkeit aufrecht, die seinem Gedächtnis Ehre machte. Es ließ sich also der Genueser trotz seiner Pfiffigkeit von Dantes betören, zu dessen Gunsten überdies sein bescheidenes Auftreten und seine nautische Erfahrenheit sprachen. So gelangte man nach Livorno.
Hier mußte Edmond eine erste Probe machen; er mußte sehen, ob er sich nach den vierzehn Jahren, die er sich nicht gesehen, selbst wiedererkannte. Er hatte eine ziemlich genaue Erinnerung von dem bewahrt, was er als Jüngling gewesen war, und es drängte ihn, zu wissen, wie er als Mann aussah. Er trat daher bei einem Barbier ein, um sich den Bart und die Haare schneiden zu lassen. Der Barbier schaute erstaunt den Mann mit den langen Haaren, dem dichten schwarzen Barte und dem schönen Tiziankopfe an und ging an die Arbeit. Als er fertig war, ließ sich Dantes einen Spiegel geben und beschaute sich. Als er vor vierzehn Jahren das Kastell If betreten hatte, besaß er das runde, lachende, blühende Gesicht des glücklichen Jünglings, dem die ersten Schritte im Leben leicht gewesen sind, und der auf die Zukunft vertraut. Das hatte sich völlig geändert. Sein ovales Gesicht war länglich geworden, sein lachender Mund hatte die festen Formen angenommen, die Entschlossenheit andeuten, seine Brauen waren unter einer einzigen nachdenklichen Falte gebogen, seine Augen umschwebte der Ausdruck tiefer Traurigkeit, aus dem zuweilen düstere, von Menschenscheu und Haß zeugende Blitze hervorbrachen. Seine des Lichtes und der Sonnenstrahlen so lange entbehrende Gesichtshaut hatte die matte Farbe angenommen, die bei den Aristokraten des Nordens für schön gilt. Das tiefe Wissen, das er erlangt, hatte dabei über sein ganzes Antlitz den Wiederschein geistiger Hoheit verbreitet. Edmond lächelte, als er sich sah; sein bester Freund, wenn ihm noch ein Freund übrig blieb, konnte ihn unmöglich erkennen; er erkannte sich selbst nicht mehr.
Als er den Barbier verließ, kaufte er sich einen vollständigen Matrosenanzug und erschien in diesem Gewande an Bord der Amalie. Der Patron wollte in dem stattlichen Matrosen den Mann mit dem dichten Barte und Haaren voll Seegras nicht wiedererkennen, den er nackt und sterbend auf dem Verdeck seines Schiffes aufgenommen hatte. Seine schöne Erscheinung und der Gedanke an die guten Dienste, die er ihm leisten konnte, bewogen ihn jedoch, Dantes vorteilhafte Anerbietungen mit Anteil am Gewinn zu machen, wenn er dauernd bei ihm bleiben wolle; aber Dantes hatte seine eigenen Pläne und verpflichtete sich nur auf drei Monate. Übrigens entwickelte die Mannschaft der Amalie eine emsige und fruchtbare Tätigkeit. Kaum war sie acht Tage in Livorno, als die bauchigen Räume des Schiffes von Musselinen, von verbotenen Baumwollenwaren und Tabak voll waren, auf welche die Zollbehörde ihren Stempel zu setzen vergessen hatte. Es handelte sich darum, diese Waren ungefährdet fortzubringen und auf Korsika auszuschiffen, wo andere es übernahmen, die Ladung nach Frankreich zu schaffen. Das Schiff stach in See, und Edmond durchschnitt abermals das azurblaue Meer, das schon der Traum und der Horizont seiner Jugendzeit gewesen war. Als der Patron am andern Morgen auf das Verdeck stieg, was er immer frühzeitig tat, fand er Dantes, der an die Schiffswand gelehnt mit seltsamem Ausdruck einen Haufen von Granitfelsen betrachtete, welche die ausgehende Sonne mit rosigem Lichte übergoß: es war die Insel Monte Christo. Die Amalie ließ sie auf ungefähr drei Viertelstunden von ihrem Steuerbord und setzte ihren Weg nach Korsika fort.
Als Dantes an dieser Insel mit dem für ihn so bedeutungsvoll klingenden Namen hinfuhr, dachte er, er brauche nur in das Meer zu springen, und in einer halben Stunde sei er auf dem gelobten Lande. Aber was sollte er dort tun, ohne Werkzeuge, um seinen Schatz zu entdecken, ohne Waffen, um ihn zu verteidigen? Was würden überdies die Matrosen sagen, was würde der Patron denken? Er mußte warten. Glücklicherweise verstand Dantes zu warten; er hatte vierzehn Jahre auf seine Freiheit gewartet und konnte nun, da er frei war, auch sechs Monate oder ein Jahr auf seinen Reichtum warten. Hätte er nicht auch mit Entzücken die Freiheit ohne Reichtum angenommen, wenn man sie ihm geboten hätte? War dieser Reichtum überhaupt etwas Wirkliches? War er nicht, im kranken Gehirn des Abbés Faria geboren, mit diesem gestorben? Allerdings, der Brief des Kardinals Spada war seltsam genug. Und Dantes wiederholte in seinem Gedächtnis den Brief, von dem er kein Wort vergessen hatte. Am andern Morgen erwachte man auf der Höhe von Aleria. Man lavierte den ganzen Tag; am Abend entzündeten sich Feuer auf der Küste, man näherte sich dem Ufer auf Schußweite und schiffte ohne weitere Fährlichkeiten die Ladung aus. Doch die Expedition war noch nicht zu Ende; man legte sich gegen Sardinien. Es handelte sich darum, das Schiff, das man gelöscht hatte, wieder zu laden. Die zweite Operation verlief so günstig wie die erste. Die für das Großherzogtum Lucca bestimmte Ladung bestand fast ausschließlich aus Xeres- und Malagaweinen. Hier geriet man in Streit mit Zollbeamten; ein Zollwächter blieb auf dem Platze, und zwei Matrosen wurden verwundet. Dantes war einer von diesen beiden; eine Kugel hatte ihm eine Fleischwunde an der linken Schulter verursacht.
Dantes war mit diesem Verlauf der Dinge durchaus zufrieden; mit Freuden hatte er bemerkt, wie wenig ihm Gefahr und Leiden anhaben konnten. Er hatte die Gefahr lachend angeschaut, und als er den Schuß erhielt, sagte er wie der griechische Philosoph: Schmerz, du bist kein Übel. Er war auf dem Wege, den er durchlaufen wollte, und ging unentwegt dem Ziele zu, das er zu erreichen gedachte. Sein Herz war im Begriff, sich in seiner Brust zu versteinern. Jacopo, der Dantes, als er ihn fallen sah, für tot hielt, stürzte auf ihn zu, hob ihn auf und pflegte ihn auch nachher als trefflicher Kamerad.
Die Welt war also nicht so schlecht, wie sie Dantes nach seiner Gefangenschaft ansah, da dieser Mensch, der von seinem Gefährten nichts zu erwarten hatte, als daß er seinen Prisenanteil erben konnte, so lebhaft bekümmert war, weil er ihn sterben sehen sollte. Glücklicherweise war Edmond nur leicht verwundet. Edmond wollte Jacopo prüfen; er bot ihm für die Pflege, die er von ihm empfangen hatte, seinen Prisenanteil; aber Jacopo schlug das Anerbieten mit Entrüstung aus.
Die Folge der sympathischen Ergebenheit, die Jacopo Edmond vom ersten Augenblick an, wo er ihn sah, widmete, war, daß auch Edmond seinerseits dem Kameraden einige Zuneigung schenkte. Mehr verlangte Jacopo nicht; er hatte bei Edmond die Überlegenheit herausgefühlt, die dieser vor den andern zu verbergen wußte, und der brave Seemann war mit dem wenigen, was ihm Edmond zugestand, zufrieden. Während der langen Fahrtage unterrichtete Edmond, eine Seekarte in der Hand, Jacopo, wie der arme Abbé Faria sein Lehrer gewesen war. Er prägte ihm die Lage der Küsten ein und erklärte ihm den Gebrauch des Kompasses. Wenn Jacopo, der aus Korsika stammte, ihn fragte: Wozu soll ein armer Matrose wie ich all dies lernen? so antwortete Edmond: Wer weiß, du wirst vielleicht eines Tags Schiffskapitän, dein Landsmann Bonaparte ist Kaiser geworden.
Man hatte bereits dritthalb Monate mit diesen Fahrten hingebracht. Edmond war ein ebenso geschickter Küstenfahrer geworden, als er zuvor ein kühner Seefahrer gewesen war; er hatte mit allen Schmugglern des Gestades Bekanntschaft gemacht und war zwanzigmal an seiner kleinen Insel Monte Christo hin und her gefahren, hatte aber nie Gelegenheit gefunden, dort zu landen. Er faßte daher den Entschluß, sobald sein Vertrag mit dem Patron der Amalie zu Ende wäre, eine kleine Barke auf eigene Rechnung zu mieten und sich unter irgend einem Vorwande nach der Insel Monte Christo zu begeben. Dort wollte er endlich seine Nachforschungen nach dem Schatze der Spada anstellen.
Edmond war im Gefängnis klug geworden. Er hätte es daher gern unterlassen, mit anderen die Insel aufzusuchen und diese so möglicherweise zu Zeugen seines Glückes zu machen. Aber er fand kein anderes Mittel, auf die so sehr ersehnte Insel zu gelangen, als das, sich dahin führen zu lassen. Noch erwog er zögernd seinen Plan, als der Patron, der ein großes Vertrauen in ihn setzte und ihn in seinem Dienste zu behalten wünschte, ihn eines Abends beim Arme nahm und ihn in eine Taverne der Via del Oglio führte, wo sich der Rahm der Livorner Schmugglerwelt zu versammeln pflegte. Es handelte sich diesmal um ein größeres Unternehmen: man mußte für ein mit türkischen Teppichen und Stoffen beladenes Schiff ein neutrales Gebiet finden, wo der Austausch statthaben konnte, und dann die Gegenstände auf die französische Küste zu werfen suchen. Der Patron der Amalie schlug als Ausschiffungsort die gänzlich verlassene Insel Monte Christo vor. Bei dem Namen Monte Christo bebte Dantes vor Freude; er stand auf, um seine Bewegung zu verbergen, und machte einen Gang durch die rauchige Taverne. Als man ihn um Rat fragte, meinte er, die Insel biete alle mögliche Sicherheit, übrigens müßten große Unternehmungen, wenn sie gelingen sollten, schnell ausgeführt werden. Es wurde also beschlossen, bei Monte Christo vor Anker zu gehen und schon am folgenden Abend die Fahrt anzutreten.