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Das Album einer Sängerin – was wird's sein? Ich habe schon vielerlei Albums gesehen, von Musikern und Malern, von Frauen, die einen Salon halten, von jungen Mädchen, für die noch jedes Blümchen etwas vorstellt, aber von einer Sängerin noch keines – sehen wir, was es sein mag. Ich bin nicht auf krummen Wegen dazu gekommen, ich habe das Recht, es durchzublättern, sie hat es mir heruntergebracht, denn sie wohnt in unserm Hotel, nur eine Stiege höher als wir, in einer Eckstube, wo jede Nacht die Fenster gefrieren. Sie hat noch kein Instrument, ich habe auch keines, so hab' ich sie noch nicht singen hören können, darum hat sie mir das Album gebracht – wenn ich das durchgegangen, versichert sie mir, sei es ebenso gut, als hätt' ich sie gehört, es sei Alles wahr, was d'rinnen stehe.
Wohl, hier ist zuerst ein Stückchen Illustrirte, mit dem Bilde Carlotta's als Norma Norma (1831) Oper von Vincenzo Bellini. Die Partie der Norma gilt als eine der schwierigsten und anspruchsvollsten Rollen für eine hohe Frauenstimme und fordert im Idealfall eine Darstellerin mit großen expressiven Fähigkeiten.. Denn die Sängerin heißt Charlotte, und mit ihrem nom de guerre, dem einzigen, mit welchem ich mir sie zu nennen gestatte, Carlotta del Lago. Hübscher Name, muß Veranlassung zu Anreden als Donna del lago La donna del lago (1819), Oper von Gioachino Rossini auf ein Libretto von Andrea Leone Tottola nach dem 1810 erschienenen Versepos The Lady of the Lake von Walter Scott. geben. Das Bild ist recht gut, geschmeichelt und nicht geschmeichelt. Carlotta hat nicht dieses klassische Normagesicht, welches die Illustrirte zeigt, ihr Profil ist schärfer, die Nase tritt fast ohne Biegung hervor, die Stirne ist mehr breit und fest, als gewölbt und idealisch erhoben, der Mund ist groß. Das schadet bei einer Sängerin Nichts, im Gegentheil, es ist ein wesentliches Erforderniß bei ihr, und Carlotta's Mund läßt so glänzende Zähne sehen, daß sie ihn nicht leicht zu groß aufmachen kann, aber darum brachte die Illustrirte nicht minder einen zu klassischen Kopf. Dagegen hat Carlotta's Gesicht weit mehr Spiel- und Ausdrucksfähigkeit, als den ganz regelmäßigen Zügen verliehen ist. Ihre Gedanken, oder ich will lieber sagen ihre Affekte, denn sie scheint mehr ein fühlendes als ein denkendes Wesen, ihre Affekte also ziehen mit wechselnden Schatten über ihr Antlitz hin, wie launenhaft treibende Wolken über eine Gegend, die dadurch bald in Gold aufglänzt, bald in Grau erlischt. Nicht eine halbe Minute bleibt der Ausdruck der Physiognomie sich gleich, Carlotta beendigt keine Phrase, ohne Stirn, Mund oder Augenbrauen zu verziehen. Darin, sowie in der unerschöpflichen Lebensthätigkeit, die sich bei ihr in der leichtesten Bewegung offenbart, ist sie recht französisch, obwohl sie sonst völlig deutsch aussieht, selbst ohne die geringste Beimischung von Slavischem. Ihr Geburtsjahr ist in der Biographie, welche das Bild begleitet, nicht angegeben; das ist thöricht, für ein junges Mädchen kann Carlotta nicht länger gelten, man sieht in ihr auf den ersten Blick die entfaltete weibliche Natur. Ist sie jung, so ist sie neunundzwanzig, sie kann aber auch zweiunddreißig sein, und ich glaube sogar das Letztere annehmen zu können, denn vor dem dreißigsten Jahre sind die Formen selten oder eigentlich fast nie so entschieden bestimmt wie bei ihr. Damit habe ich schon ausgesprochen, daß die Büste Carlotta's von fester Schönheit ist. Die Draperien der Norma müssen sie eben so gut kleiden, wie der mittelalterliche Miederpanzer der Valentine Opernrolle in Les Huguenots (1836) von Giacomo Meyerbeer., oder die schwarze spanische Tracht der Donna Anna Opernrolle in Mozarts Don Giovanni (1787).. Nur als Fides Opernrolle in Le prophète (1849) von Giacomo Meyerbeer. kann ich sie mir nicht recht vorstellen, und doch soll sie diese Rolle grade mit am ausgezeichnetsten singen – Meyerbeer, der ihr die Arie der Bettlerin einst selber begleitet hat, spricht davon in einem Briefe, welchen der Empfänger desselben später wol der Sängerin verehrt haben muß, denn der Brief findet sich im Album, ihr Adelsdiplom als Sängerin, wie ich Carlotta sage. Ein Brief von einer musikalischen Hoheit ist, obwol äußerst huldvoll und liebenswürdig, doch lange nicht von solcher Bedeutung. Briefe von Pariser Kunstnotabilitäten sind in Menge da, auch Dankschreiben von Gesellschaften, in denen sie mitgewirkt, unter andern eines vom deutschen Hülfsverein in Paris dafür, daß sie Adieu à la mer von Lamartine Alphonse de Lamartine (1790-1869), französischer Schriftsteller und Politiker. und Rosenhain Jakob Rosenhain (1813-1894), deutsch-jüdischer Pianist und Komponist. gesungen. Weiter Reclames und comptes rendus ohne Ende. Sehr günstig. Très-bonne voix, bien assise dans une excellente méthode, sagt die » Revue musicale«. Weiter heißt's im » Siècle«, dessen Feuilleton damals wenigstens Edmond Terier redigirte: une cantatrice douée d'une voix si rare qui unit au charme, à la légèreté du soprano, la gravité, l'expression dramatique du contra-alto. Im Juni 1855 ist eine Matinée im Hôtel Lambert bei der Czartoryska angezeigt, welche der ausgezeichneten Sängerin ihre Salons zur Verfügung gestellt hat. Der »Moniteur« sagt von diesem Konzert: comme on le voit, cette matinée-musicale était doublement remarquable par la qualité et la quantité und die »Debats« sprechen von der prima-donna cosmopolite. Der kleine Janin sogar hat seine Löwenkrallen eingezogen und Sammetpfötchen gemacht. Ich frage Carlotta: wer sie ihm empfohlen habe? – »Ich habe mich selbst empfohlen,« antwortete sie mir etwas protzig, »ich empfehle mich immer selbst.«
»Die beste Empfehlung, wenn sie angenommen wird, wie es bei Janin der Fall gewesen zu sein scheint. Bitte, was sagte er Ihnen denn, als Sie ihn um sein olympisches Wort baten?«
»Er sagte: Mademoiselle, je suis trop bien élevé, pour ne pas dire du bien d'une jeune artiste étrangère venue à Paris pour y chercher l'hospitalité française.«
Ich muß lachen, die Phrase: je suis trop bien élevé habe auch ich binnen einer halben Stunde nicht weniger als drei Mal von Janin gehört, er muß sich besonders viel darauf zu Gute thun, wohlerzogen zu sein.
Nun, wenigstens hat er Carlotta Wort gehalten und Gutes von ihr gesagt, nachdem er sie im Hôtel Lambert gehört. Und Recht hat er auch mit der kosmopolitischen Primadonna. Ernani, Don Juan, Appenzeller Kuhreihen, schwedische, tyrolische, ungarische und böhmische Nationallieder – es ist das ein Programm in allen Zungen. Nur etwas begreif' ich nicht: warum Carlotta; so besprochen und so gepriesen, an keiner der Pariser Opernbühnen debütirt hat. Warum das? frag' ich sie.
Carlotta wirft den Kopf zurück und die Lippen auf und sagt trocken: »es ist nicht eben leicht, an einer Pariser Oper zu debütiren.«
»Es ist sogar sehr schwer, aber ich sollte doch meinen, für Sie müßte es erreichbar gewesen sein?«
»Sie sehen doch, daß es unerreichbar gewesen ist,« lautet die verdrießliche Antwort. Carlotta geht zugleich von mir fort und ein Mal auf und ab im Zimmer; dann hat sie sich beruhigt, kommt zu mir zurück, stützt sich wieder auf die Lehne meines Stuhles und fragt: »nun, wollen Sie nicht weiter sehen?«
Eine Verwirrung von Städten – Pesth, Preßburg, Wien, Leipzig, Frankfurt, Hamburg, Köln, München, Hannover, nicht gerade chronologisch und geographisch geordnet, dazu Konzerte, Vorstellungen, mehr Dankschreiben, lauter preisende Kritiken, Soiréen bei hohen Herrschaften, Geschenke von hohen Herrschaften – was, hier ja sogar ein Programm von einem Konzert in Manchester, die große Arie aus der Lucrezia Lucrezia Borgia (1833), Oper von Gaetano Donizetti auf ein Libretto von Felice Romani nach dem Drama Lucrèce Borgia von Victor Hugo., die große Kavatine aus Robert Robert le diable (1831), Oper von Giacomo Meyerbeer., aus Figaro Le nozze di Figaro (1786), Oper von Mozart. das Duett zwischen Susanna und der Gräfin und zwar mit der Sonntag Henriette Sontag (1806-1854), deutsche Opernsängerin (Koloratursopran) von internationalem Renommee, um die damals die Medien einen bis dahin beispiellosen Rummel veranstalteten, welcher von Ludwig Rellstab (Henriette, oder die schöne Sängerin. Eine Geschichte unserer Tage von Freimund Zuschauer. 1826) satirisch verarbeitet wurde. als Gräfin!
Ich sehe Carlotta an und sage: »Schau! Schau!« In Oesterreich sagt man ebenso unwillkürlich: »Schau! schau!« wie man in Frankreich: » tiens! tiens!« sagt.
»Ja,« wirft Carlotta sehr nachlässig auf mich herunter, »Lumley Benjamin Lumley, Direktor der Londoner Oper. machte mir damals Anerbietungen –«
»Die Sie nicht angenommen haben?«
»Ich hatte dem Herzog von K. versprochen, wieder nach G. zu kommen.«
»Was ist denn das für ein Brief? Kuriose Unterschrift: ›ein menschlicher Mensch‹?«
»Den bekam ich in Wien. Die Straße, in der wir wohnten, wurde gerade gepflastert, so fuhren keine Wagen und man hörte mich, wenn ich Abends sang. Es blieben oft Leute stehen –«
»Der menschliche Mensch darunter?«
»Wahrscheinlich. Wenigstens dankt er mir, wie Sie sehen, für die herrliche Abendstunde. Ich habe später gehört, daß es ein Schriftsteller war, der seitdem nach Amerika ausgewandert ist.«
»Nun, da wünsch' ich ihm, daß er besser Englisch lernen möge, als er Französisch gelernt hat.«
»Wie so?«
»Haben Sie's noch nicht bemerkt? In seinem Postskriptum: le coeur a besoin d'affection comme la poitrine d'air(e), verwandelt er die Luft durch ein e am Ende in einen Horst, des Adlers Horst vermuthlich.«
Carlotta sieht mich etwas schief an, sie nimmt's übel, daß ich mich über den menschlichen Menschen lustig mache, sie hält auf ihn und seinen Brief. Es ist ein gutes Zeichen: um auf eine solche Epistel Werth legen zu können, muß ein Mädchen nicht viel, vielleicht noch gar keine bedeutungsvollen Briefe bekommen haben.
»Was ist denn das hier? Berlin – Messe in der St. Hedwigskirche – schwarze Dame –«
»Ach, das ist eine Dummheit,« unterbricht Carlotta mich ungeduldig.
»Die Sie gemacht haben?«
»Ja, die ich gemacht habe.«
»Warum haben Sie sie denn gemacht?«
»Weil ich – weil es mir gerade einfiel. Weil ich – ein Mal geheimnißvoll erscheinen wollte.«
»Das scheint Ihnen geglückt zu sein. ›Ganz Berlin zerbricht sich die Köpfe.‹ Das arme Berlin! Und warum haben Sie denn nachher so bitterlich geweint?«
»Weinen Sie nie, ohne zu wissen warum?« fragt Fräulein Carlotta sehr aus der Höhe herab. »Ja? Nun so ging es mir den Tag.«
»Schön.«
»Da sehen Sie. Petersburger, Moskauer Zeitungen. O, wer noch in Rußland wäre! Dort versteht man Künstlerinnen zu huldigen!«
»Verstehen's die Deutschen nicht?«
Carlotta zuckt die Achseln. »Dort liefen Andere für mich, hier muß ich alle Besuche, alle Besorgungen selbst machen, will ich, daß etwas geschehen soll. Und nun, zwei Frauen allein – ich bin manchmal außer mir!« Sie erhitzt sich förmlich.
»Ja, es wäre allerdings besser, wenn Sie einen männlichen Schutz hätten. Haben Sie noch nie daran gedacht, zu heirathen?«
Sie macht la moue. »Heirathen – das wäre den männlichen Schutz etwas theuer erkauft! Wenn sich ein Mann fände, der mich als Bruder, als platonischer Freund begleiten wollte – Sie lachen – ist denn das unmöglich?«
»So weit wie ich das Leben beurtheilen gelernt habe: ja. Wie können Sie einem Manne zumuthen, daß er sich ganz hingebe, ohne seinerseits Alles zu empfangen? Es müßte denn Ihr schwarzer Schatten –«
Das Fräulein unterbricht mich hastig und zeigt mir ein Gedicht »von einem Professor, einem Astronomen aus Dorpat –«
Also von einem Himmelsgelehrten? Wohl, sehen wir, wie er sich ausdrückt, wenn er sich zur Erde herabzulassen geruht.
Una voce poco fà,
Lehrtest du mit Engelstönen –
Wie den Widerspruch versöhnen?
Denn du selber lehrtest ja
Mit den Klängen, deinen schönen,
Den, der niemals es gedacht:
Wie viel eine Stimme macht.
Aber käm' ein Recensent
Wider jegliches Erwarten,
Der in deinen Lorbeergarten
Unkraut auszustreuen denkt,
Sei bei seinem Wort, dem harten,
Dir der Sinn des Spruches nah:
Una voce poco fà.
Das ist ja recht hübsch. Ein bischen perücken- und dozentenhaft, indessen von einem Professor, dessen Amt eher Alles ist als Versemachen, muß man's anerkennen. Auf jeden Fall zeigt der alte Herr, daß er, wenn er erst ein Mal auf der Erde ist, seine Augen und besonders seine Ohren vortrefflich zu brauchen versteht.
Mehr Verse. Ein Stanislav, in Prag 1849:
»Die bleiche Stirn vom Dorn der Zeit geritzt,
Auf's Schwert des Kampfes seinen Arm gestützt,«
blickt der Scheidenden melancholisch nach und ruft ihr als letzte Bitte zu:
»O, bleib' ein Kind!«
Sie hat es gethan, es ist fast unglaublich, wie eine Person von dreißig Jahren, die an allen Ecken und Enden der Welt und besonders in Paris und in Petersburg gewesen ist, noch so, nicht blos Kind, sondern geradezu kindisch sein kann, wie sie zu sehen ich selbst in den wenigen Tagen unserer Bekanntschaft schon mehr als ein Mal Gelegenheit gehabt habe. Man sagt, die Malibran María Malibrán (1808-1836), französische Opernsängerin; sie wurde als La Malibran gefeiert und gilt als erste Diva der Operngeschichte habe im Uebermuth bisweilen ein wahrer Gamin Straßenjunge. sein können. Carlotta könnt' ich diese Begabung auch zutrauen.
Da: » le Journal d'Odessa« und der » Odeski Wjestnik«, welcher Böhmen einen heißen Dank zuruft, weil es »dieser Sängerin das Licht und sie der Welt geschenkt.« Ruch Muzyczny – das ist aus Warschau, und hier in der Krakauer Zeitung – was sagen sie da? »Schwalbe und Storch sind die Herkulessäulen der Konzertsaison.« Verrückter Anfang, aber der Artikel selbst ist recht vernünftig. Zwei andere folgen, in allen dreien wird besonders das Andante aus der Asdur-Sonate von Beethoven hervorgehoben, welchem Griepenkerl Wolfgang Robert Griepenkerl (1810-1868), deutscher Dramatiker, Erzähler und Kunstkritiker. Sein Drama »Maximilian Robespierre« erschien 1849. Griepenkerl starb verbittert, alkoholkrank und verarmt., der Verfasser des Robespierre, Worte unterlegt hat. »Das muß hübsch sein, das müssen Sie mir mit zuerst singen.«
»Gern, und wenn nicht früher, so bei der Gräfin W. Jetzt aber sehen Sie noch einmal diese Lieder an – die sind aus Stuttgart.«
Das erste lautet:
Dir wirst ein Klang im Herzen,
Wenn man ein einzig Mal
Dich hörte beim Licht der Kerzen
Im heißen, vollen Saal.
Du wirst ein heilig Erinnern,
Vernahm man ein Mal dich
In einer Kirche Innern,
Die dunkel und feierlich.
Du wirst und bleibst die Eine,
Wenn deiner Stimme Macht,
So rein und hoch wie keine,
Uns einmal erbeben gemacht.
Und so ist das zweite:
O Lilie aus dem tiefen See –
In diesem Augenblicke wird gepocht: Das Fräulein soll geschwind zur Mama hinauf und das Album mitbringen, es ist eine Freundin da, die es sehen muß. Carlotta wirft schnell ihren kleinen rothen schottischen Kapuzenmantel über und sagt mir eilfertig guten Tag, und ich bin nicht böse darüber, denn ein solcher Triumphzug auf den Spuren einer Sängerin durch halb Europa ist nicht wenig ermüdend.