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Zweites Kapitel.
Der Geheimnißvolle.

In jedem der Fenster des Speisesaales standen zwei Töpfe mit kleinen Lebensbäumchen, die sich, so gut es ging, ihr Bischen Leben in den kalten Räumen zwischen zwei Glaswänden fristeten. Eigentlich waren es nur Skizzen von Lebensbäumchen. Zwischen den beiden nun, welche das Fenster am Ende unseres Tisches vergrünten, sah ich in dem Augenblicke, wo wir aufstanden, einen großen dunklen Mann in der Seitenstraße stehen und scharf in den Speisesaal blicken. Das fiel mir auf, weil es ungewöhnlich war. Zwar warf wol jeder Vorübergehende einen Blick herein, aber es geschah eben nur, während er vorüberging. Stehen geblieben war noch keiner. Dieser aber stand wie angewurzelt und faßte das Profil der Sängerin fest ins Auge. Sie bemerkte ihn nicht, ebensowenig die Mutter, diese saß mit dem Rücken gegen die Fenster, die Tochter blickte uns zugewandt in die Höhe. Als wir aufbrachen, um den Saal hinabzugehen, verließ auch der Fremde seinen Posten und ging rasch der Ecke zu. Ich hatte an der untern Seitenthür eben meine Mantille umgenommen, da trat er durch die Hauptthür ein. Er mußte wie fliegend gegangen sein, doch sein Eintreten war langsam. Ohne Zweifel Einer, der die Sängerin kannte oder wieder erkannte.

Am nächsten Mittag sahen wir ihn an einem der Tische, welche mit unserm in einer Reihe längs der Seitenfenster standen. Er war stark brünett und hatte unverkennbar eine romanische Physiognomie.

Wäre er kleiner und beweglicher gewesen, ich hätte ihn für einen Franzosen, nur kleiner, für einen Spanier gehalten; jetzt dachte ich mir, es müsse ein Belgier sein. Der Schnitt seiner Kleider war unzweifelhaft aus Paris oder Brüssel, sein Alter schätzte ich auf dreißig bis fünfunddreißig Jahr. Er trug einen starken Backenbart, war ungewöhnlich groß und breitschulterig, ohne stark oder gar beleibt zu sein. Er verlangte Alles, was er haben wollte, von Vincenz, dem Einzigen, der im Hause französisch sprach. Beim Zahlen fragte ich Vincenz, ob der Herr nicht französisch spreche, Vincenz bejahte es. Er saß noch, als wir gingen; die Sängerin war diesen Mittag nicht herunter gekommen, und erschien auch am Abend nicht, obschon der Fremde abermals da war. So ging es auch an den nächsten Tagen, sowohl Mittags wie Abends. Der Fremde saß an demselben Platz, machte den Mund nur auf, um sein Diner zu bestellen, trank Mittags Ofener Vinum Budense, der Wein, der zu Ofen (›Buda‹) in Ungarn wächst., Abends Pilsner oder »Bavorsky« Bairisches Doppelbock. und behielt unverwandt unsern Tisch im Auge. Es war entweder ein sehr geduldiger oder ein sehr eigensinniger Mensch.

Die Sängerin und ihre Mutter besuchten mich nach einigen Tagen. Ich wünschte ihnen in etwas nützlich sein zu können, und erbot mich, der jungen Dame die Bekanntschaft eines Journalisten zu verschaffen, welcher einer der bedeutendsten, vielleicht der bedeutendste in Prag war. Er redigirte nicht nur eine czechische Wochenschrift, welche ihm gehörte, er schrieb auch Berichte für mehrere der verbreitetsten Organe der deutsch-böhmischen Presse und war Korrespondent bei Wiener und Leipziger Blättern. War er gewonnen, so war viel gewonnen, doch er war etwas schwer zu gewinnen. Nicht weil er auf seiner Unentbehrlichkeit ruhte, sondern theils aus Unabhängigkeit, theils aus Trägheit. Man mußte ihm gefallen, und er mußte sich nicht zu viel bemühen dürfen. Meistens ersparten die Sängerinnen, Schauspielerinnen und Schriftstellerinnen, welche nach Prag kamen, ihm alle und jede Mühe, indem sie ihm den ersten Besuch machten, wol auch gar keinen Gegenbesuch von ihm verlangten. Das war denn aber auch wieder nicht räthlich. Ich hatte gar zu oft das halbe sarkastische Lächeln gesehen, mit welchem er zu erzählen pflegte: »Die oder die ist heute Morgen bei mir gewesen.« Da unsere neue Bekannte, gar nicht gerechnet, daß sie aus der Gesellschaft war, mir nicht zu dem gewöhnlichen Schlag der dramatischen Künstlerinnen zu gehören schien, so wünschte ich ihr, daß sie auf eine andere als eine gewöhnliche Art die Bekanntschaft Brzetislav's machen möge, denn so will ich den Journalisten nennen. Ich verabredete demnach mit ihr, daß ich sie benachrichtigen lassen würde, sobald er wieder zu uns käme, was immer zwischen Sechs und Acht geschah.

Wie es zu gehen pflegt, wenn man Jemand erwartet, kam Brzetislav grade die folgende Woche gar nicht. Er war nicht nur Journalist, sondern auch ein gelehrter Archäolog und hatte eben über einige Denkmäler in irgend einer Kirche besonders schwierige Studien zu machen, vielleicht auch anderweitig zu thun, genug, er kam nicht. Die Sängerin wurde ungeduldig, ihr lag an seiner Bekanntschaft, sie hörte eines Mittags, daß ich am Abend in's schwarze Roß gehen wollte, wo wir Brzetislav treffen würden, und sagte entschlossen: »ich geh' mit.« – »Warum nicht?« antwortete ich lachend; »wir werden die beiden einzigen Damen sein –«

»Wenn ich mit Ihnen bin –«

»Und Sie müssen ein Töpfchen Bier trinken –«

»Wo werd' ich nicht Bier trinken, ich bin ja Böhmin.«

»Gut, also nach neun Uhr. Dann wird's zehn, bevor wir soupirt haben, und vor zehn kommt Brzetislav nicht.«

Die Sängerin war diesen Mittag wieder einmal »zum Speisen« gekommen. Der Fremde, der Belgier oder der Geheimnißvolle, wie ich ihn nannte, saß schon an seinem Platze, als sie eintrat. Während sie sich setzte, fiel ihr Blick auf ihn. Sie wurde bleich und dann heiß und roth, und vermied das Diner über geflissentlich, ihr dunkles Gegenüber wieder anzusehen. Was ihn betraf, so saß er aufrecht und ernsthaft wie immer da, sprach, wie gewöhnlich, die unumgänglichsten Worte zu Vincenz und verwandte, auch wie gewöhnlich, kein Auge von unserem Tische. Kein Wunder, daß diese schwarzen, düsteren Augen, so unverwandt auf die Sängerin gerichtet, diese in nervöse Angst versetzten. Peinigt es einen doch schon, wenn ein Gleichgültiger einen unaufhörlich anstarrt. Und der Geheimnißvolle war der Sängerin nicht gleichgültig, so viel sah ich bereits. Mehr zu erfahren, nahm ich mir vor, doch hatte es Zeit damit. Wenn man so viel reist, und, ohne zu fragen, so viele Lebens- und andere Geschichten erfährt, wird man allmählich so theilnahmlos, daß man sich ordentlich erfrischt fühlt, wenn man wieder einmal neugierig wird. Ich hütete mich also wohlweislich, durch eine zu frühe Frage meine Neugier zu befriedigen, bevor ich sie genossen hätte. Nein, ich wollte sie hegen und pflegen, darum that ich wie blind, nicht nur wie kurzsichtig, und sah den Geheimnißvollen durchaus nicht, d. h. ich sah ihn nicht an, als wäre er geheimnißvoll, sondern als fände ich es ganz natürlich und in der Ordnung, daß die dunkle Männergestalt uns so bildsäulenhaft gegenüber säße. Die Sängerin ließ sich täuschen, sie glaubte, meine Aufmerksamkeit sei nicht erregt worden, und athmete sichtlich auf. Die Mutter konnte es nicht unterlassen, einige Blicke nach der linken Seite hin zu thun. Sie hatte belgisches und Schweizerblut in sich, ihre Physiognomie war daher, wie schon bemerkt, sehr scharf, eine von denen, welche sprechen. Ich las in ihr Mißtrauen und einen fast feindlichen Widerwillen gegen den Geheimnißvollen, der seinerseits in seinen unbewegten Zügen nicht die mindeste Andeutung von dem Eindrucke errathen ließ, welchen die Seitenblicke der Generalin etwa auf ihn hervorbringen mochten. Die Tochter wollte offenbar diese Blicke nicht sehen, sah sie aber recht gut und wurde allmählich immer heißer davon. Fürchtete sie dieselben als Zeichen von der Stimmung ihrer Mutter, oder aus Theilnahme, um des Fremden willen? So weit, um das entscheiden zu können, war ich noch nicht mit meinen Beobachtungen. Was mir bewies, wie aufgeregt die junge Dame eigentlich sein mußte, das war die Aengstlichkeit, mit der sie mich, als ich aufstehen wollte, noch um einige Augenblicke Verzug bat. »Bis wir mit Ihnen gehen können!« sagte sie überredend und einschmeichelnd. Wer erweist nicht gern eine solche kleine Gefälligkeit, besonders einem Geschöpf, welchem es bereits gelungen ist, zu interessiren? Sie aß hastig, um uns nicht zu lange aufzuhalten. Als sie fertig war, erhob sie sich eilig und sagte gewissermaßen eindringlich: »Mama, komm!« Die Generalin nahm sich mehr Zeit; es war deutlich: sie hätte dem Geheimnißvollen noch gern einen bösen Blick zukommen lassen, aber durch die Bewegung unserer Gruppe wurde ihr das unmöglich, und so gingen wir, ohne von dem Geheimnißvollen, der noch immer bildsäulenhaft dasaß, weiter Notiz zu nehmen.


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