Max Dreyer
Die Siedler von Hohenmoor
Max Dreyer

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Das Haus

Weidlich gezaust und gekraust wachte er am andern Morgen auf und war ganz in der Verfassung, mit Dankwart, dem Skeptiker, in den kommenden Tag sich hineinzugrimmen.

Dessen Gedanken waren wie ihrer aller bei dem Haus, das kräftig und frei und stolz in die Höhe ging, aber er hatte seine bösen Beklemmungen, die er los werden mußte. Stoßweise kam es hervor. »Das Haus – wird man seiner recht froh? Wenn auch alle ihre frömmsten und kugelrundesten Augen dazu machen.«

»Das laß sie.« Kunz blies in dasselbe Horn. »Immer gefühlvoll – wie können wir auch anders! Es gibt eine Franzosenkrankheit, und es gibt eine deutsche Krankheit – und unsere ist die Sentimentalität. Das Haus – die holde Stätte des Friedens. Und das eine ist selbstverständlich: jetzt kommt das Vielliebe auch über uns, sie, die ganze soziale Wonne.«

»Mit der Frage, wer dieses Haus beziehen soll.«

»Die eigentlich keine Frage ist.«

»Du meinst, Horst gehört da hinein.«

»Natürlich. Und Du mit Deiner Werkstatt. Und das Bureau.«

»Das meinst Du. Aber die andern meinen auch. Und sie meinen anders. Wird unser heiliger Zimmermann nicht predigen?«

»Natürlich wird er das. ›Die Ersten sollen die Letzten sein!‹ wird er predigen. Wobei man sich immer fragt: wie lange, nachdem nun die Letzten die Ersten geworden 252 sind! Und unser praktischer Maurer wird daraus die ihm genehme Forderung ziehen. Und mein Liebling, der Metzling, grinst als Abgesang seine sozialwissenschaftlichen Theorien herunter – hol der Deixer den Feixer! Aber, Du lieber Gott – was wollen die! Horst hat ja doch schließlich alles in der Hand.«

»Ja. Wenn er die Hand noch hätte! Überall und auch hier kommt erst mal das Geistige – früher hätte er so gesprochen!«

»Das wird er ihnen auch heute sagen. Und das wollen sie ja hören. Sie sehnen sich danach, gerade die am meisten, die ihre armselige Materie herauskehren. Führerschaft ist, was sie wollen! Was sie brauchen!«

»Bloß Horst – will er denn noch seine eigene Führerschaft?«

»Wie kannst Du das sagen! Er hat sich doch längst wieder beisammen.«

»Nein, Kunz, das hat er eben nicht. Und das kriegt er auch nicht. Und darum kriegt er auch uns hier nicht mehr zusammen. Du wirst es ja sehen. Und nun laß mich. Ich hab die eine Schraube noch nicht.«

Er arbeitete an einem Flugzeugmodell mit ganz neuem Propeller-System und zog sinnend über die Heide. Und Kunz blieb allein. Nie waren seine Gedanken so schwer über Liebe und Leben. Aber stecken blieb er nicht in dem zähen Brei. Es gab etwas zu tun. Über Horst zu reden, das lag ihm weniger. Mit Horst wollte er sprechen, frei von der Leber.

Horst saß in dem engen Verschlag, der sich Bureau nannte, über den Rechnungsbüchern.

»Nun, wie stehen die Papiere?« fragte Kunz.

»Kümmerlich.«

»Wie können sie hier anders als kümmern. Zum Rechnen gehört auch ein genius loci. Hier aber ist mehr locus als genius. Im neuen Haus wirst Du den angemessenen Raum haben.« 253

»Ich – im neuen Haus? Und einen Bureauraum! Die Stimmung ist anders.« Er sagte es dumpf und unfroh.

»Stimmung – was Stimmung! Stimmung wird gemacht und Du wirst sie machen!«

Horst sah ihn an mit großen Augen. Sie waren nicht ganz bei der Sache. Ihr Ausdruck war müde. Dann sprach er still und fest: »Gerade hier will ich nicht eingreifen. Es geht Dir um Selbstverständliches – mir im Grunde auch. Aber eben deshalb lasse ich die Sache an mich herankommen. Ein Führer braucht etwas, was ihn trägt.«

Weiter war er nicht zu sprechen, der Rechnungsabschluß drängte. Kunz aber fragte sich: ist das ein Wort, ein Manneswort? Ist es einer Ausrede ähnlich? Wie schlimm, daß solches Mißtrauen an einem schmarutzt! Aber – hat Dankwart nicht recht und bleibt es nicht dabei, daß Horst nicht mehr der Alte ist? –

Sitzung der Siedler. In vierzehn Tagen etwa steht das Richtfest des Hauses bevor. Sie wollen sich heute schlüssig werden, wer es beziehen soll. Für zwei Familien ist es berechnet. Darum ist auch Familie das Merkwort für die Geister.

Horst nimmt vorher die Freunde beiseite. »Wir wollen die Leute ruhig sich ausdenken und ausreden lassen.«

Kunz erhebt Einwand. »Ausreden, Du lieber Gott! Soll hier jeder wieder seinen Ochsenmaulsalat bereiten! Gut – wir sind hier an Mehrheitsbeschlüsse gebunden. Wir sind in der Politik. In der Politik aber gilt die Agitation und nichts Dümmeres gibt es hier als die spröde Vornehmheit.«

Doch der Wunsch von Horst bleibt bestehen. Soviel Kunz auch schilt: nun horstet er wieder in seiner Erhabenheit. Und es kommt im wesentlichen, wie Dankwart es angekündigt hat. 254

Horst spricht die einleitenden Worte: es sei davon die Rede gewesen, zu losen. Aber dies blöde, blinde Ungefähr sei ihrer nicht würdig. Wählen wollten sie. Er bitte um Vorschläge.

Maurer Mulitz ist treulich zur Stelle. Sie hätten sich das durch den Kopf gehen lassen. Zwei Kameraden wären so gut wie Familienhäupter. Zuerst Lüders, der mit einer Witfrau, Mutter von zwei Kindern, verlobt wäre. Und dann Hofmann, dessen Braut ein Kind erwarte. Beides Kameraden, gegen die niemand etwas einzuwenden hätte. Sie, so wäre die Meinung, hätten die erste Anwartschaft auf das neue Siedlerhaus.

Ist die Begründung für alle zwingend? Aber Meinung ist jedenfalls Meinung. Und Klassensinn bleibt Klassensinn.

Gegenvorschläge tragen ihr Mal an der Stirn. Und Kunz, der sie macht, befindet sich schon deshalb im Nachteil, weil er zornig ist. »Ich habe ja gewiß nichts gegen Lüders und Hoffmann einzuwenden. Auch für Bräute und Witwen mit und ohne Kinder habe ich eine fühlende Brust. Aber bei jedem Werk ist nun mal die Leitung die Hauptsache, und der Kopf muß besser und höher liegen als die Beine. Darum und um dessentwillen: unser erstes Haus gehört zuerst einmal dem Gründer und Führer unserer Siedlerschaft für seine Arbeit an unserem Werk. Da er nicht alle Räume für sich braucht, mag er sich seinen oder seine Hausgenossen aussuchen!«

In den Worten, deren Ton mühselig die Grenze wahrt, schnaubt seine Erregung. Und die ist es, die Widerhall und Widerstand erweckt. Die Meinung steift sich gegen ihn, in dem sattsam gehegten und gepflegten Zeichen des Sozialen. Und der schlaue Metzling weiß wohl, was er spricht: »Wir möchten, daß Herr Oldefeld sich selbst hierzu äußert. Wenn es sein ausdrücklicher Wunsch ist –« Die Pause ist inhaltschwer. 255

Darauf Horst sehr gehalten: »Ich soll hier einen Wunsch aussprechen, der von mir ausgesprochen kein Wunsch mehr ist.«

Kunz schlägt sich aufs Knie und blickt zuckend zu Dankwart hinüber. Nun hat er sich von dem Feixer auf den Leim locken lassen und spricht Feinheiten. Und noch schlimmer, empfindet sie. Die andern aber haben es nicht nötig, sie zu verstehen. Wenn sie überhaupt Sinn dafür haben. Um so bereitwilliger fliegt ihr Verständnis den letzten Worten von Horst entgegen: »Im übrigen bin ich dadurch, daß ich an der Spitze stehe, bevorzugt genug. Und dieser Vorzug nimmt gern die kleinen Unbequemlichkeiten in Kauf. Außerdem sollen bei uns ganz gewiß auch die Rangverhältnisse des Bedarfes und der Bedürftigkeit gelten. Die beiden Kameraden brauchen zuerst ein Nest – sie sollen es haben.«

In den Worten, die immer bestimmter wurden, fehlte etwas von dem alten Herzenston, der sonst die Gemüter zwang. Aber die Wirkung blieb nicht aus, die Augen leuchteten ihm zu.

Dankwarts harte Dürftigkeit grollte: Ist er jetzt wie einer, der bei der Masse sich schustern will! Immer schwerer, aus ihm klug zu werden!

Gisbert, treu bei der Sache, sobald er seine Gedanken in die Erdenbahn gezwungen, stand lebhaft auf und drückte Horst die Hand. Kunz aber stöhnte laut auf zu diesem lebenden Bild, zu solcher politischen Gruppe. Nun ist er bei der Lotosblume angelangt, jetzt wird er mit dem Hinduknaben sich weiter zerpflücken und zerfasern. Sein Grimm, der Scheltworte brauchte, benannte die beiden vor Dankwart »die Indiafaserkompagnie«, und der quittierte mit gezerrtem Lachen. Und Kunz klagte sich aus: so bleibt also wieder mal die Empfindsamkeit Trumpf, und wie ist 256 sie uns so not, so bitter not, die gesunde Rohheit unserer Urnatur!

Die beiden, Horst und Gisbert, gingen in den Abend hinein. Mit ganzer Zärtlichkeit umfing Horst den jungen Freund. Er fand in dessen Augen, die sonst so gläubig sich verklärten, die Tiefen einer dunklen Angst. Er ahnte wohl, was ihn so quälte und umtrieb. Aber war dies nicht zarter und feiner, als daß hieran selbst Gedanken rühren durften!

Sie wanderten still. Horst war auf dem Wege zu dem Landhaus der Schweden, wo er den Abend verbringen sollte. Er dachte nicht anders, als daß Gisberts Ziel das Moorhofer Herrenhaus sei. Aber wie ihre Wege sich trennten, ging er die Höhen hinauf, nach den Dünen zu, an die See.

Sie alle badeten am Tage, meist in der Morgenfrühe. Er war der einzige, der den Abend dazu wählte. Wie alles bei ihm Naturandacht war, so auch sein Schwimmen.

Hineintauchen in die Dunkelheit, mit dem weißen Leib die schwarze Flut beseelen, der Lichtbahn eines Sterns sich hingeben, dem Staub der Erde entfliehen, aufgehen in das schweigende, sternenhohe, gütig verhüllte, gnädig sich entschleiernde selige All – das war seines Schwimmens heilige Lust.

Er hatte wie keiner die Kunst, sich auf die Flut zu legen, sich von ihr tragen zu lassen, ohne daß er ein Glied rührte, auszuruhen auf ihr in Schlaf und Traum. Wie eine Mutter hielt ihn das Meer in den Armen.

Noch war es ihm zu früh für sein Bad. Auf einem der Hügel ließ er sich nieder, hier sah Horst ihn sitzen, die Hände verschränkt um die Knie, und mit zurückgebeugtem Antlitz in den Abendstern, den der Osten emportrug, sich hineinheben.

Der Abendstern, der Morgenstern, der Liebesstern – aller Zeiten der Stern bist Du! 257

Und Du, Gisbert, flüchtest Du Dich nicht bewußt aus der Sinnenwelt in diesen Sternenglanz?

Lange noch sah Horst die Silhouette gegen den Abendhimmel – die feine überschlanke Gestalt, diese zarten in die Dämmerung gestrichelten, mit der Dämmerung sich lösenden Linien, die schon nichts Körperliches mehr hatten.

Und Horst stockte der Fuß auf seinem Weg. Da geh ich nun zu den Fremden – und Gisbert, mein lieber Junge, schwindet uns hier unter den Händen. Muß ich – ich vor den andern ihn nicht halten und hegen!

Wär nicht diese Scheu um ihn, diese sprödeste Wehr, und in ihm dies Rührmichnichtan, das vor jedem Wort versteinert, das schon vor einem Ahnen des andern zusammenschauert. Was hat es zu leiden, das deutsche Blut!

Wie kann er dem Freunde helfen, da er nur erschrecken und wehtun würde. Und ist in ihm selbst nicht diese Scheu? Dieses Heiligtum der Schweigsamkeit, das niemand betreten darf?

Jetzt führt ihn sein Weg zu den Fremden, denen aufs neue er widerstrebt. Was will er bei ihnen, was soll er bei ihnen? Blutsverwandte ja – aber wie weit blieben sie vom Schuß! Diese lieben germanischen Neutralen! Wie haben sie sich gepflegt, da die Not uns verzehrte, wie wohl lassen sie es jetzt sich sein, da Elend und Schande uns zerfressen. Was soll ich bei diesen Menschen mit den wohlig satten Muskeln und den gut genährten Gehirnen?

 


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