Max Dreyer
Die Siedler von Hohenmoor
Max Dreyer

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Die Gutsherren

Als Horst nach vollbrachtem Tagwerk in das Beratungszimmer trat, waren die Herren in voller Tätigkeit.

Junkerliches Ungestüm hatte zuerst die Erörterungen verwirrt. Nun war ein parlamentarisches System errichtet. Herr von Trent führte den Vorsitz.

Sein gelbes kränkliches Marquisgesicht blickte mit kummervoll wartenden Augen in die Weite. Aber er hielt die Zügel in kundigen Händen.

Zuerst hatten die Besorgnisse das Wort geführt. Allerdings in halben Tönen. Angstmeierei war gerade in diesem Kreise nicht eben daheim. Bald hatten Eigenwille und eine betonte Sprödigkeit gegen neue soziale Operationen gewonnenes Feld. Vergeblich 91 bemühten sich die Nüchternen und Sachlichen um eine Gegenorganisation der Besitzer. Umsonst brach der Kabelsdorfer als Befürworter eines Landbundes seine letzte Lanze. Formlos, ungepflegt, ein bärtiger Mann mit klugen und warmen braunen Augen. Ein Bürgerlicher und manchem der Junker nicht nach der Mütze. Aber sicher einer von denen mit dem reinsten Gewissen.

»Nehmen Sie es mir nicht übel, meine Herren – von all den Dummheiten, die die Deutschen stammesmäßig begehen – und wir Landleute fühlen uns ja als besonders gute Deutsche – ist die größte die, daß wir von unseren Gegnern nichts lernen. Tun wir nicht und wollen wir nicht. Was erleben wir jetzt hier? Von denen, die sich in unseren Betrieben zum Kampfe gegen uns rüsten? Sie machen das, was das einzig Verständige ist. Müssen wir – wir darum das einzig Unverständige machen? Nur geschlossen können wir der Geschlossenheit begegnen. Aber nein! Wir laufen ihnen zuliebe einzeln im Gelände herum, damit sie uns einzeln zur Strecke bringen und ihr fröhliches Halali haben!«

Der dicke Poggenhagener mit den schiefen Kalmückenaugen, der sticken mußte, wenn er seine Witze nicht loswurde, beugte sich zu seinem Nachbarn, dem Tangentiner. »Es heißt nicht lali, es heißt le lit, das fröhliche«, und er meckerte wie eine Bekassine.

Bei dem überlebenslangen, himmelan vertrockneten Ammoniakiter fand er indessen keine Gegenliebe. Der lachte nicht, denn Lachen war eine Ausgabe. Aber in solchen Unterhaltungen zeigte sich immerhin, wie wenig noch von einer gemeinsamen Aktion die Gemüter band.

Was hier noch an Ängstlichkeit herumkroch, nahm die Maske vor, versteckte sich hinter großen Worten und größeren Gesten. Und gerade die Schlotterhosen, die ganz wenigen, plusterten sich auf zu prunkender Forschheit. 92

Dies war die Stimmung, in die nun Horst hineingeriet. Lebhaft begrüßte man ihn. Ein Teil von den Herren hatte für das Siedlungswerk auf Betreiben des Herrn von Borkhus opferwillig Beiträge gezeichnet. Alle aber schenkten sie der Siedlung ihr Wohlwollen. In diesem Artikel kannte hier wie anderswo die Freigebigkeit keine Grenzen – nur der Tangentiner hielt auch seine kostenlosen Regungen zu Rate.

Herr von Güldenbek, der Mann der Saatkartoffeln, strich durch seinen grauen, in konservativer Unbeschnittenheit wallenden Vollbart, legte die väterliche Hand auf Horstens Schulter und sprach gewinnend: »Solche Männer wie Sie braucht das Vaterland.« Und der Nebengedanke war bei ihm wie bei manchem andern: auch wir brauchen Dich, Deine Mannschaft und Eure Maschinengewehre, wenn es hier zum Ausstand und zu Unruhen kommen sollte.

Gleich wurde denn auch wie auf Stichwort der eben ergangene Regierungserlaß über die Waffenablieferung besprochen.

Horst erklärte: »Ich muß die Hände kennen, in die ich meine Waffen liefern soll. Ich kenne diese Hände nicht.« Da nickten ihm alle lebhaft zu, freudig und beruhigt.

Und dann wurde der sogenannten Regierung aufgespielt. Dies war die Weise, auf die man sich hier verstand. Wie oft hatte man auch dem alten geheiligten Regiment frondiert. Und nun dieses régime de canaille! »Den schiefen Absätzen dieser Usurpatoren den Nacken hinhalten –!« So sagte Herr von Seddewitz, und es funkelte sein scharfes, abgewetztes Gesicht.

Hoch gingen die Wellen. Teilnahmlos wie all die Stunden schon blieb Herr von Borkhus. Immer wieder waren durch seine tiefen Augen die Schatten gezogen. Dann sprach er leise: »Wie gleichgültig im Grunde, 93 wer da oben sitzt – wer die Satrapen sind über unserem Sklavenvolk.«

Damit ist die große Fuge der deutschen Passion angeschlagen. Und sie zittert durch die Seelen. All diese Männer – ihrem Eigenwillen fehlt es gewiß nicht an Eigennutz. Von größter Unbefangenheit sie alle in der Bejahung ihres Besitzes, ihres Herrentums. Sie können gar nicht aus ihrer Haut. In der sie so grad gewachsen sitzen. Nicht alle haben sie die Hände reingehalten. Aber jeder von ihnen hat dem Vaterlande mit Leib und Leben gedient. Jeder von ihnen ist im Felde gewesen. Kaum einer, der nicht für Deutschland geblutet hat. Der deutsche Klang bebt in jedem Herzen. Selbst in dem, was von dem Tangentiner noch nicht ganz verdorrt ist, brennt es wund und tödlich schmerzhaft von Schande und Ingrimm.

Unerschöpflich Neues trugen sie zusammen von den unaufhörlichen, täglich sich mehrenden Erpressungen, Blutsaugereien, Schändungen und Folterungen an dem wehrlosen deutschen Volk. Wie durch einen Wald rauschte der mächtige Zorn durch die versammelten Männer.

Einer saß stumm, wohl der Jüngste von ihnen. Horst hatte den Namen nicht verstanden. Aufgefallen waren ihm gleich die geradezu klassisch geprägten kraftvollen und edlen Züge des bartlosen Gesichts. Ebenso das wunderbare Ebenmaß des mittelgroßen Wuchses. Wie von Bronze die ganze Gestalt. Aber in den Augen, so fest und hart sie greifen konnten, war doch ein Verlorenes, Zerstörtes. Auch ein Gezeichneter der Zeit. Jetzt, wo ein Nachbar sich laut an ihn wandte, erfuhr Horst, wer er war – Achim von Mönkhov, Frau Tildes Mann. Prüfend gingen die Gedanken von ihm zu ihr.

Nun sprach er. Etwas seltsam Graues, Trockenes, unwillig Starres hatte die Stimme. Wie Asche lag es auf all seinen Worten. 94

»Größer ist Deutschland niemals gewesen – im Reden. Wie sieht dagegen unser Leben aus. In lauter armselige kleine egozentrische Kreise ist es zerfallen. Von großen Ideen ist nur eine geblieben: das große Einmaleins.«

Die Widersprüche stürzen nur so über ihn. Er blieb unbewegt. »Wollen uns doch nichts vormachen. Es gibt bei uns drei Sorten Menschen. Solche, die sich selbst betrügen, solche, die die anderen betrügen, und solche, die beides tun. Zu welch letzteren neunundneunzigdreiviertel Prozent gehören. Nun wollen wir uns jeder seinen Platz suchen und uns begraben lassen.«

Das alles in dem unerbittlich grauen Ton. War es der Nihilismus einer düsteren Stunde? War es das Weltbild eines erloschenen Lebens?

Herr von Trent, der wie ein müder Marquis aussah, hatte sich erhoben. Behutsam machte er ein paar Schritte – er hatte Beine wie ein Rokokomöbel. Wandernd suchte er nach Worten, die Entrüstung zu beschwören, und er fand sie. »Wir wissen, daß unsere Moral reparaturbedürftig ist. Was die Moral übrigens zu allen Zeiten war – was vielleicht recht eigentlich zum Wesen aller Moral gehört. Gewiß, unser Niveau ist gesunken. Aber die Anständigeren unter uns oder« – mit einem Zucken des Lids zu Achim hinüber – »die weniger Unanständigen unter uns werden dies Niveau wieder heben. Trotz Ihrer Verneinung, die absolut ist, wenn sie sich auch in der Abstufung hellschwarz, schwarz, dunkelschwarz gefällt. Um des Himmels willen nur hier die Loslösung von dem Losgelösten, dem Absoluten! In der Ethik hat schon immer die Relativitätstheorie gegolten. Und die Besseren unter uns – so sage ich nach wie vor – werden heute mehr als je an einer großen sittlichen Idee ihren Halt und ihren Mittelpunkt haben. An der Idee des Vaterlandes.« 95

»Und worauf läuft Ihre große sittliche Idee des Vaterlandes hinaus?« fragte Achim, und die Asche seiner Stimme beizte. »Auf die größte Unsittlichkeit, die Rache.«

Oho, dachte Horst. So ruft sich nun der Nihilismus den höchsten Positivismus zur Hilfe.

Jetzt ließ Herr von Borkhus sich vernehmen. »Die Rache ist mein, spricht der Herr. Gut, ihm wollen wir sie anvertrauen. Er unser Führer! Das Werkzeug seiner Rache sein, mehr wollen wir nicht. Aber Rache – der Herr spricht ja selbst davon. Und wenn wir sie brauchen für unser Leben! Wenn sie unsere Rettung ist! Wenn wir elend verrecken – im Dreck und in Schande – ohne diese befreiende Hilfe! Ein Teil unseres Gottesglaubens ist diese Rache!«

Er hob sich wie ein Priester. Seine Brust keuchte, seine Augen kreisten in Flammen. Dann sank er zurück und blickte wieder dumpf vor sich hin, leidend und matt.

Horst wollte nicht länger schweigen. Doch hielt er sich mit Bedacht in niederer Flugbahn. »Wir haben ein Wort: ›die Scharte auswetzen‹. Gibt es ein Mannesleben ohne den treibenden Pulsschlag, Erfolg auf einen Mißerfolg zu setzen? Schimpf mit Ehre auszulöschen, Verachtung mit Ruhm? Und wie der Mann, so das Volk. Was ist die Schwungkraft, die die Geschichte der Völker bewegt? Vergeltung! Und immer wieder Vergeltung! Sofern wir überhaupt ein Volk sind, sofern wir nicht außerhalb der Geschichte stehen, wir uns selbst nicht außerhalb der Geschichte stellen – so lange noch der leiseste Hauch eines lebendigen Atemzuges durch dieses Volk geht und noch ein Mannesherz aufzucken läßt, Vergeltung ist der Odem des Lebens! Vergeltung sein Wert und seine Höhe!«

Jetzt brausten die Geister und brausten ihm zu. Nur Achim blickte teilnahmlos und gefroren. Selbst der Tangentiner, der ein wenig abseits mit dem 96 Saatkartoffelbaron der deutschen Seele auf dem Felde der Kartoffelpreisbildung nachzuspüren gedachte, ging steil empor. Wäre Alarm geblasen gegen den Landesfeind, der erste wäre er auf dem Gaul gewesen. Man mochte sagen gegen ihn, was man wollte – aber jeder Zoll seines langen Leibes war Kurage.

Mit diesem Akkord klang die Besprechung aus. Mitteilungen von Horst über die Landarbeiterversammlung wurden nicht mehr verlangt. Zu politischen Entschlüssen war man nicht gekommen und würde man vorerst nicht kommen. Der Entwicklung der Dinge sah man mit geziemendem Männermut entgegen. Abwarten, Teetrinken! – mit diesem deutschen Worte des Heils ging man auseinander.

 


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