Max Dreyer
Die Siedler von Hohenmoor
Max Dreyer

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Heil dir, du deutsche Jugend!

Horst saß an Gisberts Lager und umfaßte seine Hand. Mit aller Inbrunst, die das Leben des zu Tode Getroffenen halten wollte. Der Schädel war angeschlagen und zersplittert, eine schwere Gehirnerschütterung hatte ihn in Nacht geworfen. Der Arzt gab leise Hoffnung.

Wächsern von dem Blutverlust war das feine Gesicht. Starr gestreckt, leblos lagen die edlen schlanken Hände. Frauenhände. Und hatten all die Zeit so schwer und treu gearbeitet an männlichem Werk. 135

Du darfst mir nicht sterben, Junge, Du lieber – so grub und dachte Horst ohn Unterlaß. Sein Wille wühlte und flehte und zwang.

Draußen leuchtende Frühlingsmorgenlust. Durch den geöffneten Fensterspalt drangen die Lieder aus schmetternden Finkenkehlen.

Vom Hof her gedämpfte Menschenstimmen. Den Rauch und Ruch von der Brandstätte verwehte der Wind nach anderer Richtung. Das da draußen, der Ausstand, der Aufruhr – wie fern lag das alles dem pflegenden Freund.

Bin ich ein Führer? Die Sache will mich – die Mannschaft wartet meiner. Versunken die Sache, die Pflicht, der Beruf. Hier muß ich führen – die gelöste Seele wieder ins Leben führen, das ist mein Amt.

In meiner Hand, die Dich hält, ist mein Wille – und mein Wille hat seine Kraft – Leben ist mein Wille – in Deine entseelten Finger ström ich es ein –

Die Finken schmettern ohn Unterlaß in den aufleuchtenden Morgen – stark ist das Leben und froh –

Zuversicht – des Glaubens Frohheit ist des Willens Odem und Herzschlag – ich will, daß Du lebst – ich glaube, daß Du uns lebst – Gisbert, Du geliebter Junge!

Und sieh – ist da jetzt nicht ein leises Schwingen – ganz leise unter der kalten Haut Deiner Finger – nur meiner hütenden, Dir ganz ergebenen Hand vernehmbar – aber es ist – es ist!

Und da – Hufschläge vor dem Haus – ein leichter Wagen fährt auf die Rampe – wenn es das ist, wenn eine Nähe mir hilft, Dich zu beleben – eine Nähe, die Du ahnst, die Du fühlst – die Dich zurückruft, zurückschmeichelt in das Diesseits –

Ja, eine neue Kraft ist erschienen – ist ins Haus gekommen – eine neue Hilfe, eine bessere, stärkere – 136 Steigt nicht ein leichtes Rot in Dein Gesicht? Beben nicht Deine Lippen? Zuckt es nicht in den gesenkten Lidern?

Jetzt – die Tür tut sich auf – Frau Tilde tritt ein – jetzt weiß ich es, Du wirst gehalten, Du wirst gewahrt, Du wirst gerettet! In ihre Hand leg ich Deine Finger. Ihrer Sorge, ihrem Willen, ihrem Glauben überantworte ich Dich. Jetzt habe ich die Gewißheit, daß Du lebst!

Tilde ist allein mit Gisbert. Schon hat der Schlaf ihn in die Arme genommen, an das Leben ihn wieder auszuliefern. Der Atem fängt an, ruhig zu gehen. Der Puls setzt nicht mehr so bedrohlich aus.

Augen wachen über ihm, in die seines eigenen Daseins Licht sich eingesenkt hat. Seines Schicksals Sternenglanz bestrahlt ihn. Jetzt hebt und trägt es ihn diesem Schein entgegen.

Seine Lider zittern. Ein dünner Spalt – scheu, angstvoll, ungläubig noch lugt der Blick hindurch in die entrückte, unfaßbare Wirklichkeit.

Aber jetzt träufelt und tropft es hinein von dem seligen Glanz – ein glückhaftes Erschrecken – groß im Offenbarungsschauer tut das Auge sich auf – und jauchzt in den Schein – und schließt sich dann wieder, müde von des Glückes Unendlichkeit.

So gaben Frau Tildes Augen dem todwunden Gisbert das Leben wieder.

Jetzt nach diesem Rettungswerk braucht auch der Vater ihre Hilfe. Von all den Erregungen und der krampfhaften Anspannung der Kräfte ist er doch zusammengeklappt. Tapfer gibt er sich. Aber die Tochter sieht tiefer.

Sie will ein paar Tage hierbleiben. In Mönkhov sei es nicht so schlimm. Nur ein Teil der Leute habe die Arbeit niedergelegt. 137

»Und bei mir alle im Ausstand. Und im Aufstand.« Wie viel Schmerz birgt sich unter dem Lächeln.

»Ihr seid hier bei der Stadt. Und Du bist der große Politiker. Du bist ein Programm. Du, unser Eckpfeiler, wirst am heftigsten berannt.«

Das gefällt dem alten Kämpen nun wieder. Und er schmunzelt auf: »Gut denn! Ehre, wem Ehre gebührt.«

Er hielt sich aufrecht, solange Tilde im Hause war. Die wie ein guter Geist hier wirkte. Nur, daß auch sie mit den Leuten keine Fühlung gewann. Als ob die sich schämten vor ihr, zogen sie sich trotzig und verbissen noch mehr zurück.

Weiter halfen die Siedler. Und sie huldigten begeistert ihrer lieben Frau.

Dann wurde ein Teil von ihnen auf einem Nachbargut begehrt. Auch hier drohten Gewalttätigkeiten. So ging ein Maschinengewehr dorthin ab.

Für die Feldarbeit aber fand junge Hilfe aus der Stadt sich ein. Doktor Georg Stump erschien mit seinen Gymnasiasten, seinen Turnern auf dem Plan. Mit dem Lied der Jugend an die deutsche Erde kamen sie angerückt.

Wir sind die Jungen! In unserm Sinnen
Du bist der Ausgang, Du das Beginnen!
Nicht einen Bissen von deutschem Korn,
nicht einen Tropfen aus deutschem Born,
Deutschland, daß wir nicht dächten
Dein! Frei sollst Du sein!

Horst ging das Herz auf. Er liebte die Jugend. Und diese nun, unsere Jugend! Was gräbt sich an Nachdenklichkeit, an Bitternis, an heiligem Zorn um den Frohmut der hellen Augen.

Wir sind die Jungen, in Not gestählt,
In Schmerzen geworden, in Schmerzen erwählt! 138

Doktor Stump tritt wie zur Meldung vor Horst. Nur zwei seiner Zöglinge haben sich angeschlossen – der eine aus ehrlicher, verzehrender Überzeugung, der andere aus ebenso ehrlicher, verfressener Überzeugungslosigkeit. Der Herr Direktor, Freund der Gesten und Feind dem Festen, einer von den hochbeinigen Leisetretern habe gewarnt und abgewinkt. Aber es seien Ferien, und eigene Entschlüsse gelten.

Horst teilt die Jungmannschaft in Trupps und weist diese den einzelnen Gütern zu, die am nötigsten Arbeitskräfte brauchen. An die Spitze der kleinen Schar, die für Moorhof bleibt, setzt er sich selbst.

Er nimmt sie gehörig heran. Sie müssen Dung fahren und streuen. Er selbst ihr Vorarbeiter – die Knochen werden nicht geschont.

Sie bleiben die Nacht auf dem Hof. Ein Heuboden ihre Ruhestatt. Sie sehen das Bild der Zerstörung. Die jungen Seelen fühlen, wer im Grunde die Schuld trägt. Woher die Verzweiflung stammt, die hier gewütet, die den Bruderkrieg entfesselt hat. Fluch den Zerstörern deutschen Lebens! Dem altbösen Feind!

Zum Feierabend führt Horst sie auf die Goldberge. Erzählt ihnen, was der Alte ihm verraten. All die jungen Augen und Ohren lauschen. Und lauschen jetzt, ob es in dem Berge klingt. Ja, ja ihnen allen tönt es aus dem Grunde!

Sie alle, alle sind berufen! Jubelnd umschlingen sie sich. Blutbrüder sind sie. Und singen Schwertlieder.

»Stahl, von Männerfaust gezwungen,
rettet einzig dies Geschlecht!«

Ein Überschwang von Kraft, von Stolz, von Freude steigt himmelan. Mit keuchender Brust, die Augen voll Tränen, verwünscht einer die »Dämonenbrut«.

»So lang sie in Germanien trotzt,
ist Haß mein Amt und meine Tugend Rache!« 139

Und ein anderer, verzückt in die Weihe seines Schwures – wir wollen nicht, können nicht als Knechte leben! Und können wir nicht siegen, wir wollen ihnen zeigen, wie man stirbt!

»Nicht der Sieg ist's, den der Deutsche fodert,
hilflos, wie er schon am Abgrund steht.
Wenn der Krieg nur fackelgleich entlodert,
Wert der Leiche, die zu Grabe geht.«

Heiliger junger Überschwang! Auch Horst werden die Augen feucht. Heil Dir, Du deutsche Jugend – so jauchzt und schluchzt es in ihm – heil dir, du deutsche Zukunft!

Eine Freundschaft ist geschlossen zwischen den Jungen und Horst, dem Mann. Gehärtet im Feuer der flammenden Herzen.

Horst bespricht sich mit Dr. Stump. Die Jungen sollten wiederkommen. Auch wenn der Ausstand vorüber wäre. Wöchentlich einmal zu einer Art Felddienstübung. Und Kriegsgeschichte wollte er sie lehren im Freien. Sie selbst sollten die Schlachten der Vergangenheit sich darstellen. Und sollten sich damit entwickeln für die mächtigen Aufgaben der Zukunft. Horst, der Doktor, die Jungen – sie alle waren Feuer und Flamme.

Hier habe ich nun ein neues Feld! Horst atmete tief. Und wenn die alte Pflicht mir zu schaffen macht, diese neue wird mir helfen, beide zu tragen. Münden sie nicht beide in mein großes Lebenswerk? Die allgemeine Arbeitsdienstpflicht mit vorzubereiten! Und aus ihr eine Stamm- und Lehrtruppe herauszuschulen, als Mittelpunkt der Miliz, die Deutschland haben muß, wenn es leben soll!

Gegen eigene Ermüdung, gegen Verzagtheit, gegen Fahnenflucht – diese junge Mannschaft als eine Art Schutztruppe ziehe ich mir heran. 140

Eine Schutztruppe auch gegen die schweifenden Gedanken. Die als Forschungstrieb, als Mitgefühl, als Seelenanalyse hinaussegeln – und doch das Weib um seiner Selbst willen suchen.

Hier oben, hier auf den Goldbergen hat er sie zuletzt gesehen. Gestern in der Brandnacht. Im Schein der Gluten, die ihr Wille, ihr Rachetrieb geschürt. Die Feindin! Die im Vernichtungskampf steht gegen seine Freunde, gegen ihn! Eine Priesterin jener Glaubenslehre, die Deutschland verdirbt, wie sie jede Volksgemeinschaft zerrütten muß.

Zu Euch, Ihr jungen Freunde! Euch und mir und uns gehören diese Goldberge. Wie ein Spuk, ein Nachtgespenst schwebte sie über diesen Boden, als ich hier vorbeijagte. In dieser grauenhaften Nacht. Vorüber, vorüber –! –

 


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