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Achtes Kapitel

Schluß

Alles, was an Ungebührlichkeiten und Verbrechen begangen war, kam mit großer Geschwindigkeit an den Tag, weit schneller, als es Peter Stepanowitsch vorausgesetzt hatte. Die Sache begann damit, daß die unglückliche Marja Ignatjewna in der Nacht, in der ihr Mann ermordet war, vor Tagesgrauen aufwachte, nach ihm hinfaßte und in unbeschreibliche Aufregung geriet, als sie ihn nicht neben sich sah. Es war damals zur Nacht eine von Arina Prochorowna angenommene Wärterin bei ihr. Diese vermochte sie schlechterdings nicht zu beruhigen und lief, sobald es hell wurde, um Arina Prochorowna selbst zu holen, indem sie der Kranken versicherte, die wisse, wo ihr Mann sei, und wann er zurückkehren werde. Inzwischen befand sich Arina Prochorowna ebenfalls in Sorge: sie wußte bereits durch ihren Mann von der nächtlichen Tat in Skworeschniki. Er war schon zwischen zehn und elf Uhr abends nach Hause zurückgekehrt, in schrecklichem Zustande und Aussehen; die Hände ringend warf er sich, mit dem Gesicht nach unten, auf das Bett und sagte, von konvulsivischem Schluchzen erschüttert, einmal über das andere: »Das ist nicht das Richtige, nicht das Richtige; das ist gar nicht das Richtige!« Selbstverständlich endete die Sache damit, daß er der hinzukommenden Arina Prochorowna alles gestand, übrigens nur ihr allein im ganzen Hause. Diese ließ ihn auf dem Bette liegen, nachdem sie ihm streng eingeschärft hatte, wenn er schluchzen wolle, so solle er das Gesicht ins Kissen drücken, damit es nicht zu hören sei; sie fügte hinzu, er werde ein Dummkopf sein, wenn er sich morgen etwas anmerken ließe. Sie selbst jedoch dachte über das Ereignis ernstlich nach und begann sogleich, für jeden Fall Vorkehrungen zu treffen: anstößige Papiere und Bücher, vielleicht sogar Proklamationen, versteckte oder vernichtete sie schleunigst. Darauf kam sie zu der Ansicht, daß eigentlich sie, ihre Schwester, ihre Tante, die Studentin und vielleicht auch ihr langohriger Bruder nichts zu fürchten hatten. Als am Morgen die Krankenwärterin zu ihr gelaufen kam, ging sie, ohne sich zu besinnen, zu Marja Ignatjewna. Sie wollte gern so bald als möglich feststellen, ob das wahr sei, was ihr gestern ihr Mann, vor Angst sinnlos, beinah fieberhaft phantasierend, zugeflüstert hatte: daß Peter Stepanowitsch im gemeinsamen Interesse auf einen Selbstmord Kirillows rechne.

Aber sie kam zu Marja Ignatjewna bereits zu spät: als diese die Wärterin fortgeschickt hatte und allein geblieben war, hatte sie es nicht mehr aushalten können, war vom Bette aufgestanden, hatte sich ein paar Kleidungsstücke, wie sie ihr gerade in die Hand kamen, angezogen, wie es scheint, sehr leichte und für die Jahreszeit nicht passende, und hatte sich selbst in das Seitengebäude zu Kirillow begeben, in der Vorstellung, er werde ihr vielleicht noch am ehesten etwas über ihren Mann mitteilen können. Man kann sich vorstellen, wie das, was sie dort erblickte, auf die Wöchnerin wirkte. Beachtenswert ist, daß sie das von Kirillow vor seinem Selbstmorde geschriebene Dokument, das offen auf dem Tische lag, nicht las, gewiß, weil sie es in ihrem Schrecken übersehen hatte. Sie eilte in ihr Zimmer zurück, ergriff das Kind und ging mit ihm aus dem Hause auf die Straße. Der Morgen war feucht, und es herrschte ein dichter Nebel. Auf Passanten stieß sie in einer so öden Straße nicht. Atemlos lief sie durch den kalten, morastigen Schmutz immer weiter und begann schließlich an die Häuser zu klopfen; in dem einen Hause wurde ihr nicht geöffnet; auch beim zweiten dauerte es ihr zu lange, und sie stürzte ungeduldig weiter und begann am dritten zu pochen. Dies war das Haus unseres Kaufmanns Titow. Hier rief sie große Aufregung hervor; sie jammerte und versicherte in unzusammenhängenden Worten, daß ihr Mann ermordet sei. Schatow und zum Teil auch seine Lebensgeschichte waren der Familie Titow einigermaßen bekannt: sie waren bestürzt und erschrocken, daß die Frau, die nach ihrer Angabe eben erst tags zuvor niedergekommen war, in solchem Anzuge und bei solcher Kälte auf den Straßen umherlief, mit dem kaum eingehüllten kleinen Kinde auf dem Arme. Sie dachten zuerst, das seien bei ihr nur Fieberphantasien, um so mehr, da sie schlechterdings nicht herausbringen konnten, wer denn nun eigentlich ermordet sei: Kirillow oder ihr Mann. Da sie merkte, daß man ihr nicht glaubte, wollte sie weiterlaufen; aber man hielt sie mit Gewalt fest, wobei sie schrecklich geschrien und sich gewehrt haben soll. Man begab sich nach dem Filippowschen Hause, und zwei Stunden darauf waren Kirillows Selbstmord und der Zettel, den er vor seinem Tode geschrieben hatte, in der ganzen Stadt bekannt. Die Polizei kam zu der Wöchnerin, die noch bei Besinnung war; hierbei stellte sich auch heraus, daß sie Kirillows Zettel nicht gelesen hatte; woraus sie aber eigentlich geschlossen hatte, daß auch ihr Mann ermordet sei, das war aus ihr nicht herauszubekommen. Sie schrie nur, wenn der ermordet sei, dann sei auch ihr Mann ermordet; die beiden seien zusammengewesen. Gegen Mittag verfiel sie in Bewußtlosigkeit, aus der sie nicht mehr wieder zu sich kam; nach drei Tagen starb sie. Das Kind, welches sich erkältet hatte, war noch vor ihr verschieden. Arina Prochorowna, welche Marja Ignatjewna und das Kind nicht im Zimmer gefunden hatte und merkte, daß da etwas Schlimmes vorgegangen war, wollte schon zu sich nach Hause zurücklaufen, blieb aber doch noch am Tore stehen und schickte die Krankenwärterin zu dem Herrn im Seitengebäude, um zu fragen, ob etwa Marja Ignatjewna bei ihm sei oder er etwas von ihr wisse. Die Abgesandte kehrte zurück und erhob ein entsetztes Geschrei, das in der ganzen Straße zu hören war. Arina Prochorowna redete auf sie ein, sie solle nicht schreien und niemandem etwas sagen, mit der merkwürdigen Begründung, sie werde sonst streng bestraft werden; sie selbst schlich von dem Hause fort.

Selbstverständlich wurde sie, als die frühere Hebamme der Wöchnerin, noch an demselben Vormittage von der Polizei vernommen; aber das Resultat war nur gering: sie erzählte sehr verständig und kaltblütig alles, was sie selbst bei Schatow gesehen und gehört hatte; aber von dem stattgefundenen tragischen Ereignisse erklärte sie nichts zu wissen und nichts zu verstehen.

Man kann sich vorstellen, welche Aufregung sich der ganzen Stadt bemächtigte. Ein neues sensationelles Faktum, wieder ein Mord! Aber hier kam noch etwas anderes hinzu: es stellte sich klar heraus, daß es wirklich eine geheime Gesellschaft von Mördern und Brandstiftern, Revolutionären und Aufrührern gab. Alles wurde in diesen Zusammenhang gebracht: Lisas schrecklicher Tod, die Ermordung der Frau Stawrogins, Stawrogin selbst, die Brandstiftung, der Ball zum Besten der Gouvernanten, die Zügellosigkeit, die in Julija Michailownas Umgebung geherrscht hatte ... Sogar in Stepan Trofimowitschs Verschwinden wollte man durchaus ein Rätsel sehen. Viel, sehr viel wurde über Nikolai Wsewolodowitsch geflüstert. Gegen Ende des Tages erfuhr man auch von Peter Stepanowitsch Abwesenheit und redete merkwürdigerweise gerade darüber am wenigsten. Aber am meisten sprach man an diesem Tage von einem »Senator«. Beim Filippowschen Hause stand den ganzen Vormittag über ein großer Hause von Menschen. Die Behörde wurde durch Kirillows Zettel tatsächlich irregeführt. Man glaubte sowohl an die Ermordung Schatows durch Kirillow als auch an den Selbstmord des »Mörders«. Übrigens, wenn die Behörde auch im Dunklen tappte, so war dies doch nicht in jeder Hinsicht der Fall. Das Wort »Park« zum Beispiel, das in Kirillows Zettel in unbestimmter Weise gebraucht worden war, brachte niemanden in Verwirrung, wie dies doch Peter Stepanowitsch erwartet hatte. Die Polizei eilte sofort nach Skworeschniki, und zwar nicht allein deswegen, weil dort ein Park war, während es sonst bei uns an keinem anderen Orte einen solchen gab, sondern auch von einer Art Instinkt geleitet, da alle Schrecknisse der letzten Tage entweder direkt oder indirekt mit Skworeschniki verknüpft gewesen waren. Das war wenigstens meine Vermutung. (Ich bemerke, daß Warwara Petrowna am frühen Morgen, ohne von etwas zu wissen, auf die Suche nach Stepan Trofimowitsch weggefahren war.) Der Leichnam wurde auf Grund einiger Spuren noch an demselben Tage gegen Abend im Teiche entdeckt; an der Stelle des Mordes selbst war Schatows Mütze gefunden worden, die die Mörder dort mit erstaunlichem Leichtsinn vergessen hatten. Die polizeiliche und ärztliche Untersuchung des Leichnams sowie einige Anhaltspunkte, die sich gleich von vornherein ergeben hatten, ließen den Verdacht entstehen, daß Kirillow Mitschuldige gehabt haben müsse. Es ergab sich die Existenz einer geheimen Schatow-Kirillowschen Gesellschaft, die mit den Proklamationen zu tun hatte. Aber wer waren diese Mitschuldigen? Von den »Unsrigen« hatte man an jenem Tage noch keinen einzigen im Verdacht. Man erfuhr, daß Kirillow so zurückgezogen und einsiedlerisch gelebt habe, daß, wie in dem Zettel angegeben war, Fedka, den man überall so eifrig gesucht hatte, bei ihm so viele Tage unbemerkt habe logieren können ... Am peinlichsten war es allen, daß sich aus all diesem Wirrwarr kein größerer, zusammenhängender Komplex entnehmen ließ. Man kann sich schwer vorstellen, zu welchen Schlußfolgerungen und zu welcher Gedankenverwirrung schließlich unsere in panischen Schrecken geratene Gesellschaft gelangt wäre, wenn sich nicht plötzlich, gleich am andern Tage, alles aufgeklärt hätte, und zwar durch Ljamschin.

Er hielt es nicht aus. Es geschah mit ihm das, was auch Peter Stepanowitsch zuletzt geahnt hatte. Der Obhut Tolkatschenkos und demnächst Erkels anvertraut, hatte er den ganzen folgenden Tag anscheinend friedlich, mit dem Gesichte nach der Wand zu, im Bette gelegen, kein Wort geredet und kaum geantwortet, wenn zu ihm gesprochen wurde. Auf diese Weise hatte er den ganzen Tag über nichts von dem erfahren, was in der Stadt vorgegangen war. Aber Tolkatschenko, der von all diesen Vorgängen genaue Kenntnis besaß, kam gegen Abend zu dem Entschlusse, das Amt, das ihm Peter Stepanowitsch bei Ljamschin übertragen hatte, niederzulegen und sich aus der Stadt in den Kreis zu begeben, das heißt einfach davonzulaufen: in der Tat hatten sie alle den Verstand verloren, wie das Erkel von ihnen allen prophezeit hatte. Ich bemerke bei dieser Gelegenheit, daß auch Liputin an diesem selben Tage aus der Stadt verschwand, noch vor zwölf Uhr. Aber was diesen anlangt, so erhielt eigentümlicherweise von seinem Verschwinden die Behörde erst am Abend des folgenden Tages Kenntnis, als sie geradezu zur Befragung seiner Familie schritt, die über seine Abwesenheit in Angst war, aber aus Furcht geschwiegen hatte. Aber ich fahre über Ljamschin fort. Kaum war er allein geblieben (Erkel war im Vertrauen auf Tolkatschenkos Pflichttreue schon vorher zu sich nach Hause gegangen), als er sogleich aus dem Hause lief und selbstverständlich sehr bald den Stand der Dinge erfuhr. Ohne erst nach seiner Wohnung wieder heranzugehen, begann er ebenfalls blindlings davonzulaufen. Aber die Nacht war so dunkel und sein Unternehmen so schrecklich und mühevoll, daß er, nachdem er zwei oder drei Straßen durcheilt hatte, nach Hause zurückkehrte und sich die ganze Nacht einschloß. Wie es scheint, machte er gegen Morgen einen Selbstmordversuch, der jedoch nicht gelang. Er saß jedoch im verschlossenen Zimmer beinahe bis zum Mittage – und lief dann plötzlich zur Polizei. Man sagt, er sei auf den Knien herumgerutscht, habe geschluchzt, gewinselt, den Fußboden geküßt und geschrien, er sei nicht würdig, auch nur die Stiefel der vor ihm stehenden hohen Beamten zu küssen. Man beruhigte ihn und behandelte ihn sogar freundlich. Das Verhör zog sich, wie man sagt, etwa drei Stunden lang hin. Er deckte alles auf, alles; er erzählte alle Geheimnisse, alles, was er wußte, mit allen Einzelheiten; er griff vor, konnte gar nicht schnell genug bekennen und teilte sogar Unnötiges mit und ungefragt. Es stellte sich heraus, daß er recht viel wußte und die Sache anschaulich darzustellen verstand. Die Tragödie mit Schatow und Kirillow, die Feuersbrunst, der Tod der Geschwister Lebjadkin und so weiter, dies alles trat dabei in die zweite Linie zurück; in die erste Linie trat Peter Stepanowitsch, die geheime Gesellschaft, die Organisation, das Netz. Auf die Frage, wozu denn so viele Mordtaten, Skandalgeschichten und Schändlichkeiten begangen seien, antwortete er eilig und eifrig: zum Zwecke einer systematischen Erschütterung der Fundamente; zum Zwecke einer systematischen Zersetzung der Gesellschaft und aller Elemente; um alle zu entmutigen und aus allem einen Mischmasch zu machen und, wenn dann die Gesellschaft auf diese Weise ins Wanken gebracht, krank und matt, zynisch und ungläubig geworden sei, sich aber grenzenlos nach einem leitenden Gedanken und nach Selbsterhaltung sehne, sie auf einmal selbst in die Hand zu nehmen, indem man die Fahne der Empörung erhebe und sich auf ein ganzes Netz von Fünferkomitees stütze, die unterdes gewirkt, geworben und praktisch alle Kunstgriffe und alle schwachen Stellen, die man in Angriff nehmen könne, ausprobiert hätten. Er schloß damit, hier in unserer Stadt sei durch Peter Stepanowitsch nur ein erster Versuch der systematischen Herbeiführung einer solchen Unordnung gemacht worden; es sei damit sozusagen ein Programm der weiteren Aktionen, sogar als Muster für alle Fünferkomitees, aufgestellt worden. Dies sei sein (Ljamschins) eigener Gedanke und seine eigene Vermutung; man möge ihm das jedenfalls gedenken und möge in Betracht ziehen, in welcher offenherzigen, anständigen Weise er die ganze Sache klarlege, und daß er somit sogar auch künftig der Behörde werde gute Dienste leisten können. Auf die bestimmte Frage, ob es viele Fünferkomitees gebe, antwortete er, es gebe ihrer eine unendliche Menge; ganz Rußland sei mit einem Netze überdeckt; und obgleich er keine Beweise dafür beibrachte, so antwortete er, wie ich meine, doch ganz seiner Überzeugung gemäß. Er präsentierte nur ein im Auslande gedrucktes Programm der geheimen Gesellschaft und einen zwar nur im Unreinen, aber von Peter Stepanowitschs eigener Hand geschriebenen Entwurf, in welchem das System weiterer Aktionen entwickelt war. Es stellte sich heraus, daß Ljamschin das, was er über die Erschütterung der Fundamente gesagt hatte, buchstäblich aus diesem Blatte zitiert hatte, sogar ohne die Punkte und Kommata zu vergessen, obwohl er versicherte, daß das nur seine eigene Auffassung sei. Über Julija Michailowna äußerte er sich erstaunlich spöttisch und sogar ungefragt und vorgreifend dahin, sie sei ganz unschuldig, und man habe sie nur zum besten gehalten. Merkwürdig aber ist, daß er jede Beteiligung Nikolai Stawrogins an der geheimen Gesellschaft und jedes Einverständnis desselben mit Peter Stepanowitsch völlig in Abrede stellte. (Von den großartigen, sehr lächerlichen Hoffnungen, die Peter Stepanowitsch auf Stawrogin setzte, hatte Ljamschin nicht die entfernteste Ahnung.) Die Ermordung der Geschwister Lebjadkin war nach seiner Darstellung nur allein von Peter Stepanowitsch bewerkstelligt worden, ohne jede Beteiligung Nikolai Wsewolodowitschs, in der schlauen Absicht, diesen in ein Verbrechen hineinzuziehen und dadurch in Abhängigkeit von ihm (Peter Stepanowitsch) zu bringen. Aber statt Dankbarkeit, auf die Peter Stepanowitsch leichtsinnigerweise zuversichtlich gerechnet habe, habe er bei dem edeldenkenden Nikolai Wsewolodowitsch nur die höchste Entrüstung, ja sogar reine Verzweiflung hervorgerufen. Er schloß seine Aussagen über Stawrogin, wieder eilig und ungefragt, mit der offenbar absichtlichen Bemerkung, dieser sei eine außerordentlich wichtige Persönlichkeit; aber es liege da ein Geheimnis vor; er habe bei uns sozusagen inkognito gelebt, habe gewisse Aufträge, und es sei sehr möglich, daß er wieder von Petersburg zu uns komme (Ljamschin war davon überzeugt, daß Stawrogin in Petersburg sei), aber dann bereits in ganz anderer Gestalt und in anderer Umgebung und in Begleitung von Persönlichkeiten, von denen man vielleicht auch bei uns bald zu hören bekommen werde; all das habe er von Peter Stepanowitsch gehört, dem geheimen Feinde Nikolai Wsewolodowitschs.

Ich mache hierzu eine Anmerkung. Zwei Monate später gestand Ljamschin, er habe Stawrogins Beteiligung absichtlich geleugnet in der Hoffnung, dieser werde ihn protegieren, ihm in Petersburg eine Milderung der Strafe um zwei Stufen auswirken und ihn für die Verschickung mit Geld und Empfehlungsbriefen ausstatten. Aus diesem Geständnisse geht hervor, daß er tatsächlich eine übermäßig hohe Meinung von Nikolai Stawrogin hatte.

An demselben Tage arretierte man selbstverständlich auch Wirginski und im Eifer auch gleich seine ganze Familie. (Arina Prochorowna, ihre Schwester, ihre Tante und sogar die Studentin sind jetzt schon längst wieder in Freiheit; man sagt sogar, auch Schigalew werde jedenfalls in kurzer Zeit entlassen werden, da er zu keiner Kategorie der Angeklagten gehöre; übrigens ist das vorläufig nur ein Gerede.) Wirginski war sofort und in allen Punkten geständig: er lag krank und fieberte, als er arretiert wurde. Man sagt, er habe sich beinahe gefreut und gesagt, es sei ihm ein Stein vom Herzen gefallen. Es verlautet über ihn, er mache seine Aussagen jetzt offenherzig, aber sogar mit einer gewissen Würde und gebe keine einzige seiner »leuchtenden Hoffnungen« auf, verfluche aber gleichzeitig den politischen Weg (im Gegensatze zu dem sozialistischen), auf den er sich so unversehens und so leichtsinnig »durch den Wirbelsturm der zusammengekommenen Umstände« habe treiben lassen. Sein Verhalten bei der Ausführung des Mordes wird in einem für ihn günstigen Sinne beurteilt, und es scheint, daß auch er auf eine gewisse Milderung seines Schicksals rechnen kann. So behauptet man wenigstens bei uns.

Aber es wird kaum möglich sein, Erkels Los zu erleichtern. Gleich mit seiner Verhaftung hat er angefangen, zu schweigen oder nach Möglichkeit die Wahrheit zu verdrehen. Bis jetzt ist noch kein Wort der Reue von ihm zu erlangen gewesen. Dabei aber hat er selbst bei den strengsten Richtern eine gewisse Sympathie für sich erweckt durch seine Jugend, durch seine Schutzlosigkeit, sowie durch die klarliegende Tatsache, daß er nur das fanatische Opfer eines politischen Verführers ist, vor allem aber durch sein bekannt gewordenes Betragen gegen seine Mutter, der er dauernd beinah die Hälfte seines kärglichen Gehaltes übersandt hat. Die Mutter wohnt jetzt bei uns; sie ist eine schwächliche, kranke Frau, die über ihre Jahre alt aussieht; sie weint viel und wälzt sich buchstäblich vor den Füßen der Richter umher, bei denen sie Fürbitte für ihren Sohn einlegt. Wie auch immer der Ausgang sein mag, aber Erkel bedauern bei uns viele.

Liputin wurde erst in Petersburg festgenommen, wo er ganze zwei Wochen gelebt hatte. Mit ihm war etwas fast Unglaubliches geschehen, das sich nur schwer erklären läßt. Man sagt, er habe einen Paß auf einen fremden Namen und die vollständige Möglichkeit ins Ausland zu entrinnen gehabt, habe auch sehr bedeutende Geldmittel mit sich geführt und sei trotzdem in Petersburg geblieben und nirgendshin weggereist. Eine Zeitlang hatte er nach Stawrogin und Peter Stepanowitsch gesucht; dann aber hatte er sich auf einmal dem Trunke und einem maßlos liederlichen Lebenswandel ergeben, wie ein Mensch, der allen gesunden Verstand und jedes Bewußtsein seiner Lage vollständig verloren hat. Er wurde in Petersburg betrunken in einem Bordell verhaftet. Es geht das Gerücht, er habe auch jetzt keineswegs den Mut verloren, lüge bei seinen Aussagen und bereite sich auf die bevorstehende Gerichtsverhandlung mit einer gewissen Feierlichkeit und hoffnungsvoll (?) vor; er beabsichtige, vor Gericht zu reden. Tolkatschenko, der irgendwo im Kreise zehn Tage nach seiner Flucht festgenommen ist, benimmt sich unvergleichlich viel angemessener, lügt nicht, macht keine Winkelzüge, sagt alles, was er weiß, sucht sich nicht weißzubrennen, gibt seine Schuld mit aller Bescheidenheit zu, neigt aber ebenfalls dazu, kunstvolle Reden zu halten; er spricht viel und gern, und wenn die Rede auf die Kenntnis des gewöhnlichen Volkes und seiner revolutionären (?) Elemente kommt, wirft er sich sogar in besondere Positur und hascht nach Effekt. Auch er beabsichtigt, wie man hört, vor Gericht zu reden. Überhaupt sind er und Liputin nicht besonders in Angst, was einem sonderbar erscheinen kann.

Ich wiederhole: dieser Prozeß ist noch nicht beendet. Jetzt, drei Monate nach den Ereignissen, hat unsere Gesellschaft wieder Atem geschöpft, sich erholt, neue Kraft gesammelt und sich eine eigene Meinung gebildet, und zwar in der Weise, daß einige sogar Peter Stepanowitsch selbst beinah für ein Genie halten, mindestens für einen Menschen »mit genialen Fähigkeiten«. »Ein organisatorisches Talent!« sagen die Herren im Klub und heben dabei den Zeigefinger in die Höhe. Übrigens ist das alles sehr harmlos, und es sind auch nicht viele, die so reden. Andere sprechen ihm zwar hervorragende Fähigkeiten nicht ab, finden aber bei ihm eine vollständige Unkenntnis der Wirklichkeit, ein schreckliches Verranntsein in Theorien, eine ungeheuerliche, absurde Entwickelung nach einer Seite hin, mit einer sich davon herschreibenden außerordentlichen Leichtfertigkeit. Was seine moralische Qualitäten anlangt, so sind darüber alle einer Meinung; hier ist kein Streit möglich.

Ich weiß wirklich nicht, wen ich noch erwähnen muß, um niemand zu vergessen. Mawriki Nikolajewitsch ist von hier irgendwohin für immer weggereist. Die alte Frau Drosdowa ist kindisch geworden ... Es bleibt mir jedoch noch eine sehr traurige Geschichte zu erzählen. Ich beschränke mich dabei auf die Tatsachen.

Warwara Petrowna war bei ihrer Rückkehr in ihrem Stadthause abgestiegen. Nun stürmten alle Nachrichten, die sich aufgesammelt hatten, mit einem Male auf sie ein und erschütterten sie in furchtbarem Grade. Sie schloß sich allein ein. Es war Abend; alle waren müde geworden und legten sich früh schlafen.

Am Morgen übergab die Zofe mit geheimnisvoller Miene Darja Pawlowna einen Brief. Sie sagte, der Brief sei schon am vorhergehenden Tage gekommen, aber erst spät, als alle sich bereits zur Ruhe begeben gehabt hätten, so daß sie nicht gewagt habe, das Fräulein zu wecken. Er sei nicht mit der Post gekommen, sondern in Skworeschniki von einem Unbekannten dem Kammerdiener Alexei Jegorowitsch übergeben worden. Alexei Jegorowitsch habe ihn sofort selbst noch am vorhergehenden Abend nach der Stadt gebracht und ihr eingehändigt und sei sogleich wieder nach Skworeschniki zurückgefahren.

Darja Pawlowna betrachtete den Brief lange mit Herzklopfen und wagte ihn nicht zu erbrechen. Sie wußte, von wem er war: Nikolai Stawrogin hatte ihn geschrieben. Sie las die Adresse auf dem Kuvert: »An Alexei Jegorowitsch, zur Übergabe an Darja Pawlowna, geheim.«

Da ist dieser Brief, Wort für Wort, ohne die geringste Korrektur der Stilfehler eines jungen russischen Edelmannes, der trotz aller seiner westeuropäischen Bildung das Russische nicht vollständig beherrschte:

 

»Liebe Darja Pawlowna!

»Sie wollten einmal zu mir als Krankenwärterin und nahmen mir das Versprechen ab, Sie zu rufen, sobald es nötig sein werde. Ich fahre in zwei Tagen ab und komme nie mehr zurück. Wollen Sie mit?

»Im vorigen Jahre habe ich wie Herzen das Bürgerrecht im Kanton Uri erworben, und niemand weiß dies. Ich habe dort schon ein kleines Haus gekauft. Ich besitze noch zwölftausend Rubel; wir wollen hinfahren und dort lebenslänglich wohnen bleiben. Ich will niemals von dort fortreisen.

»Der Ort ist sehr langweilig, eine Schlucht; die Berge beschränken den Gesichtskreis und die Gedanken. Es ist ein sehr düsterer Platz. Ich habe das kleine Haus gekauft, weil es gerade zu haben war. Wenn es Ihnen nicht gefällt, werde ich es wieder verkaufen und in einer andern Gegend ein anderes kaufen.

»Ich bin nicht wohl; aber ich hoffe, in der dortigen Luft meine Halluzinationen loszuwerden. Das ist physisch; mein Seelenleben kennen Sie; aber ob vollständig?

»Ich habe Ihnen vieles aus meinem Leben erzählt. Aber nicht alles. Selbst Ihnen nicht alles! Apropos, ich erkenne an, daß ich vor meinem Gewissen an dem Tode meiner Frau schuld bin. Ich habe Sie seitdem nicht gesehen, und daher erkenne ich es ausdrücklich an. Auch Lisaweta Nikolajewna gegenüber habe ich mich schuldig gemacht; aber das wissen Sie; das haben Sie alles beinah vorhergesagt.

»Das Beste ist. Sie kommen nicht. Daß ich Sie zu mir rufe, ist eine große Gemeinheit. Und wozu sollten Sie auch Ihr Leben mit mir begraben? Sie sind mir lieb; es tat mir wohl, im Kummer neben Ihnen zu sein: nur zu Ihnen konnte ich laut von mir selbst sprechen. Aber daraus folgt noch nichts. Sie haben sich selbst zur ›Krankenwärterin‹ bestimmt; das war Ihr Ausdruck; aber wozu wollen Sie ein so großes Opfer bringen? Beachten Sie auch, daß ich Sie nicht bedaure, wenn ich Sie rufe, und Sie nicht hochschätze, wenn ich auf Sie warte. Trotzdem aber rufe ich Sie und warte ich auf Sie. Jedenfalls muß ich von Ihnen Antwort haben, weil ich sehr bald abreisen muß. Nötigenfalls werde ich allein reisen.

»Ich hoffe nichts von Uri. Ich reise einfach hin. Ich habe nicht mit Absicht einen so unfreundlichen Ort gewählt. In Rußland bin ich durch nichts gebunden; ich fühle mich in meinem Vaterlande ebenso fremd wie überall. Ich habe hier allerdings noch weniger gern gelebt als anderwärts; aber auch hier habe ich nichts hassen können!

»Ich habe überall meine Kraft auf die Probe gestellt. Sie rieten mir das, damit ich mich kennen lernen möchte. Bei den Proben, die ich teils in meinem Interesse, teils bloß zur Schau anstellte, erwies sich meine Kraft, ebenso wie auch früher in meinem ganzen Leben, als unbegrenzt. Vor Ihren Augen habe ich die Ohrfeige ertragen, die mir Ihr Bruder versetzte; ich habe meine Ehe öffentlich bekannt. Aber wozu ich diese Kraft verwenden soll, das habe ich nie eingesehen und sehe ich auch jetzt nicht ein, trotz Ihrer Ermutigungen in der Schweiz, denen ich Glauben schenkte. Ich kann, ganz ebenso wie früher immer, wünschen, eine gute Tat zu tun, und empfinde von ihr Vergnügen; daneben aber habe ich auch den Wunsch, Schlechtes zu tun, und empfinde davon ebenfalls Vergnügen. Aber sowohl das eine wie das andere Gefühl ist, gerade wie früher, immer nur sehr schwach, niemals bedeutend. Meinen Wünschen mangelt es an Energie; sie können mich nicht leiten. Auf einem Balken kann man über einen Fluß schwimmen, aber nicht auf einem Span. Das sage ich, damit Sie nicht denken, ich ginge mit irgendwelchen Hoffnungen nach Uri.

»Wie früher gebe ich niemandem die Schuld. Ich habe es mit einem sehr ausschweifenden Leben versucht und in ihm meine Kräfte erschöpft. Aber ich bin kein Freund von Ausschweifungen und fand kein Gefallen daran. Sie haben mich in der letzten Zeit beobachtet. Wissen Sie wohl, daß ich sogar auf die alles verneinenden Unsrigen voll Haß blickte, weil ich sie um ihre Hoffnungen beneidete? Aber Sie hegten ohne Grund Befürchtungen; ich konnte kein Genosse dieser Menschen sein, mit denen ich nichts gemein hatte. Und es bloß zum Spotte, aus Bosheit sein, das konnte ich auch nicht, und zwar nicht weil ich mich vor der Lächerlichkeit gefürchtet hätte (die Lächerlichkeit kann mich nicht schrecken), sondern weil ich doch die Gewohnheiten eines anständigen Menschen habe und dieses Treiben mich anekelte. Aber wenn meine Bosheit und mein Neid gegen sie stärker gewesen wären, dann wäre ich vielleicht mit ihnen zusammen gegangen. Nun urteilen Sie selbst, wie leicht mir ums Herz war, und wie ich mich hin und her gewendet habe!

»Liebe Freundin, Sie sanftes, hochherziges Geschöpf, das ich ganz verstanden habe! Vielleicht hegen Sie die phantastische Hoffnung, Sie könnten mir so viel Liebe geben und so viel Schönes aus Ihrer schönen Seele auf mich ausgießen, daß Sie imstande wären, eben dadurch mir endlich ein Ziel vor Augen zu stellen? Nein, seien Sie lieber vorsichtig; meine Liebe wird ebenso kleinlich sein wie ich selbst, und Sie werden unglücklich sein. Ihr Bruder hat zu mir gesagt, wer die Verbindung mit seinem Heimatlande verliere, der verliere auch seine Götter, das heißt all seine Ziele. Über alles kann man endlos hin und her streiten; aber ich habe immer nur Verneinung produziert ohne alle Hochherzigkeit und ohne alle Kraft. Selbst die Verneinung habe ich nicht eigentlich produziert. Alles war bei mir immer kleinlich und matt. Der hochherzige Kirillow vermochte seine Idee nicht zu ertragen und erschoß sich; aber ich sehe ja ein, daß er deswegen hochherzig war, weil er nicht seinen gesunden Verstand hatte. Ich kann nie den Verstand verlieren und kann nie an eine Idee in dem Grade glauben wie er. Ich kann mich mit einer Idee nicht einmal in solchem Grade beschäftigen. Niemals, niemals kann ich mich erschießen!

»Ich weiß, daß ich mich töten, mich wie ein gemeines Insekt von der Erde wegfegen müßte; aber ich fürchte mich vor dem Selbstmorde, weil ich mich davor fürchte, hochherzig zu scheinen. Ich weiß, daß das wieder ein neuer Betrug sein würde, der letzte Betrug in einer endlosen Reihe ähnlicher. Was hätte es für einen Nutzen, sich selbst zu täuschen, nur um die Rolle des Hochherzigen zu spielen? Empörung und Schamgefühl kann es in meiner Seele niemals geben, folglich auch keine Verzweiflung.

»Verzeihen Sie, daß ich so viel schreibe. Ich habe es unversehens getan und bin jetzt zur Besinnung gekommen. In Wahrheit sind hundert Seiten zu wenig und zehn Zeilen genug. Es genügen zehn Zeilen, um Sie als ›Krankenwärterin‹ zu mir zu rufen.

»Ich wohne, seit ich fortgereist bin, auf der sechsten Station beim Bahnhofsvorsteher. Ich bin mit ihm vor fünf Jahren, zur Zeit meines tollen Lebens, in Petersburg bekannt geworden. Daß ich hier wohne, weiß niemand. Schreiben Sie mir durch seine Vermittlung. Ich lege seine Adresse bei.

Nikolai Stawrogin.«

 

Darja Pawlowna ging mit diesem Briefe sogleich zu Warwara Petrowna und zeigte ihn ihr. Diese las ihn und bat dann Darja hinauszugehen, um ihn noch einmal allein durchzulesen; aber sehr bald rief sie sie wieder zurück.

»Wirst du hinreisen?« fragte sie sie beinah schüchtern.

»Ja, ich werde hinreisen,« antwortete Darja.

»Mach dich fertig! Wir fahren zusammen!«

Darja blickte sie fragend an.

»Was soll ich jetzt hier tun? Ist nicht alles ganz gleich? Ich werde ebenfalls in Uri das Bürgerrecht erwerben und in der Schlucht leben ... Sei unbesorgt; ich werde euch nicht stören.«

Sie fingen schnell an zu packen, um noch zum Mittagszuge zurechtzukommen. Aber es war noch keine halbe Stunde vergangen, als aus Skworeschniki Alexei Jegorowitsch eintraf. Er meldete, Nikolai Wsewolodowitsch sei plötzlich am Morgen mit dem Frühzuge angekommen und befinde sich in Skworeschniki; aber der Herr sei in einem solchen Zustande, daß er auf Fragen nicht antworte; er sei durch alle Zimmer hindurchgegangen und habe sich in seinen Wohnräumen eingeschlossen ...

»Ich habe für richtig gehalten, ohne des Herrn Befehl herzufahren und Meldung zu tun,« fügte Alexei Jegorowitsch mit sehr bedeutsamer Miene hinzu.

Warwara Petrowna sah ihn durchdringend an und stellte keine Frage. Augenblicklich mußte der Wagen vorfahren. Sie fuhr mit Darja zusammen. Während der Fahrt soll sie sich häufig bekreuzt haben.

In Nikolai Wsewolodowitschs Wohnräumen waren alle Türen geöffnet, er selbst aber nirgends zu sehen.

»Ob der Herr vielleicht im Halbgeschoß ist?« äußerte der Diener Fomuschka vorsichtig.

Auffälligerweise waren nach den Wohnräumen des Herrn mehrere Diener hinter Warwara Petrowna hergegangen; die übrigen warteten alle im Saale. Niemals hätten sie es früher gewagt, sich eine solche Verletzung der Etikette zu erlauben. Warwara Petrowna sah es und schwieg.

Sie stiegen auch nach dem Halbgeschoß hinauf. Dort waren drei Zimmer; aber in keinem fanden sie ihn.

»Ob der Herr nicht dahin gegangen ist?« sagte jemand und zeigte auf eine Tür, die nach der Giebelstube führte.

In der Tat war die sonst stets verschlossen gehaltene Tür zur Giebelstube jetzt geöffnet und stand sperrangelweit auf. Man mußte auf einer langen, sehr engen und furchtbar steilen Treppe bis fast unter das Dach hinaufsteigen. Dort war ebenfalls noch ein Zimmerchen.

»Ich gehe da nicht hinauf. Zu welchem Zwecke sollte er da hinaufgestiegen sein?« sagte Warwara Petrowna, die sehr blaß geworden war, und sah sich nach den Dienern um. Diese sahen sie an und schwiegen. Darja zitterte.

Warwara Petrowna eilte die Treppe hinauf, Darja ihr nach. Aber kaum war sie in die Giebelstube getreten, als sie aufschrie und bewußtlos hinfiel.

Der Bürger des Kantons Uri hing dort gleich hinter der Tür. Auf einem Tischchen lag ein Stück Papier, auf dem mit Bleistift geschrieben war: »Es soll niemand beschuldigt werden; ich habe es selbst getan.« Ebendort auf dem Tischchen lag auch ein Hammer, ein Stück Seife und ein großer Nagel, der augenscheinlich als Reserve bereitgehalten war. Die starke seidene Schnur, an welcher sich Nikolai Wsewolodowitsch aufgehängt hatte, war offenbar nach sorgsamer Auswahl vorher beschafft und reichlich mit Seife eingerieben worden. Alles zeugte von vorbedachter Absicht und klarer Überlegung bis zum letzten Augenblicke.

Unsere Ärzte stellten nach der Sektion das Vorhandensein von Geistesstörung vollständig und mit aller Entschiedenheit in Abrede.

 


Druck von E. Haberland in Leipzig

 


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