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Der Schlitten flog dahin. Wir erwähnten bereits, daß im Kopfe Marja Alexandrownas noch am Vormittag, während sie in der Stadt auf den Fürsten Jagd machte, eine geniale Idee entstanden war. Wir versprachen an geeigneter Stelle darauf zurückzukommen. Aber der Leser hat sie gewiß bereits erraten. Diese Idee bestand darin, den Fürsten neuerdings zu verhaften und ihn so schnell wie möglich auf das Gut zu schleppen, wo Afanassij Matwejewitsch sorglos seine Tage verbrachte. Wir wollen es nicht verhehlen, daß Marja Alexandrowna immer mehr und mehr von einer unbegreiflichen Unruhe ergriffen wurde. Das ist sogar bei wirklichen Helden der Fall, gerade in dem Augenblick, wo sie sich ihrem Ziele nähern. Irgendein Instinkt sagte ihr, daß es gefährlich sei, in Mordassoff zu bleiben. »Aber ist der Fürst erst auf dem Lande,« dachte sie, »so kann sich meinetwegen die ganze Stadt auf den Kopf stellen.« Natürlich durfte man auch auf dem Lande keine Zeit verlieren. Alles konnte geschehen, unbedingt alles, obwohl wir natürlich den Gerüchten nicht glauben, die die Feinde meiner Heldin nachher verbreiteten, nämlich, daß sie in diesem Augenblick sogar das Eingreifen der Polizei fürchtete. Mit einem Wort, sie sah es klar ein, daß die Trauung des Fürsten mit Sina sobald als möglich stattfinden müsse. Die Möglichkeit hiefür war bei der Hand. Eine Trauung im Hause konnte auch der Dorfgeistliche vornehmen. Man könnte die Trauung sogar für übermorgen festsetzen, im Notfalle sogar für morgen. Es gab ja auch Trauungen, die binnen zwei Stunden vollzogen worden waren. Dem Fürsten mußte man nur beibringen, daß diese Eile, dieses Fehlen aller Festlichkeiten, einer offiziellen Verlobung und des Polterabends, besonders comme il faut sei; ihm klarmachen, daß das viel anständiger, viel »grandioser« wäre. Und schließlich könnte man das alles als romantisches Abenteuer hinstellen und damit die empfindsamste Saite im Herzen des Fürsten zum Klingen bringen. Im Notfall könnte man ihn mit Alkohol benebeln und, noch besser, ihn in einem ständigen Dusel erhalten. Und nachher geschehe was wolle, aber Sina war dann bereits Fürstin! Sollte es später trotzdem zu einem Skandal kommen, zum Beispiel in Petersburg oder Moskau, wo der Fürst Verwandte hatte, so erfand sie auch hiefür einen Trost. Erstens war das alles noch in weiter Ferne; zweitens glaubte Marja Alexandrowna, daß es in der höheren Gesellschaft nie ohne Skandal abliefe, besonders in Heiratsangelegenheiten; daß das sogar zum vornehmen Ton gehöre, obwohl die Skandale der höheren Gesellschaft nach ihren Begriffen immer etwas Besonderes, was Grandioses an sich haben müßten, etwas in der Art, wie im »Grafen von Monte-Christo« oder in »Mémoires du Diable«. Daß endlich Sina sich nur in der großen Gesellschaft zu zeigen brauche, unterstützt von ihrer Mama, um alle, unbedingt alle im selben Augenblick zu besiegen, und daß keine dieser Gräfinnen und Fürstinnen einer richtigen Mordassower Kopfwäsche standhalten könnte, die Marja Alexandrowna ganz allein ihnen allen zusammen oder jeder einzelnen angedeihen lassen würde.
Infolge aller dieser Erwägungen eilte jetzt auch Marja Alexandrowna auf ihr Gut, um Afanassij Matwejewitsch abzuholen, welcher ihren Berechnungen nach jetzt unbedingt auf der Bildfläche erscheinen mußte. Tatsächlich, wollte man den Fürsten fortschaffen, so mußte man ihn zu Afanassij Matwejewitsch bringen, dessen Bekanntschaft der Fürst vielleicht gar nicht wünschte. Falls aber Afanassij Matwejewitsch ihn einladen würde, so bekäme die Sache schon einen ganz anderen Anstrich. Außerdem konnte das Erscheinen des bejahrten und würdigen Familienvaters, im weißen Halstuch und Frack, mit dem Hut unterm Arm, der aus weiter Ferne angereist kam, um den Fürsten zu begrüßen – einen sehr angenehmen Eindruck machen und der Eitelkeit des Fürsten schmeicheln.
»Eine solche nachdrückliche und feierliche Einladung ist auch schwer abzulehnen«, dachte Marja Alexandrowna. Endlich hatte der Schlitten die drei Werst bis zum Gute zurückgelegt und der Kutscher Ssofron hielt die Pferde mit einem Ruck vor dem Hause an, einem langen einstöckigen Holzgebäude, das bereits ziemlich hinfällig und von der Zeit verwittert aussah, mit einer langen Reihe von Fenstern und von allen Seiten von alten Linden umgeben. Das war das Landhaus und die Sommerresidenz von Marja Alexandrowna. Im Hause brannte schon Licht.
»Wo ist der Tölpel?« schrie Marja Alexandrowna, ins Zimmer, wie ein Wirbelwind fegend. »Wozu liegt hier das Handtuch? Ah, er hat sich damit getrocknet! War er wieder in der Badstube? Und ewig säuft er seinen Tee! Was glotzt du mich so an, du abgelebter Dummkopf? Warum hast du ungeschorene Haare? Grischka, Grischka, Grischka! Warum hast du den Herrn nicht geschoren, wie ich es dir in der vorigen Woche befohlen?«
Marja Alexandrowna hatte bei ihrem Eintritt ins Zimmer eigentlich beabsichtigt, Afanassij Matwejewitsch viel freundlicher zu begrüßen, aber als sie sah, daß er eben wieder in der Badstube gewesen war und mit Behagen seinen Tee schlürfte, flammte eine bittere Empörung in ihr auf. Und tatsächlich: so viel Mühe und Sorge ihrerseits und so viel sorgloser Quietismus seitens dieses vollkommen unnützen und zu nichts fähigen Afanassij Matwejewitsch: dieser Kontrast empörte sie tief. Indessen saß dieser Tölpel, oder, um es höflicher zu sagen, derjenige, den man Tölpel nannte, am Ssamowar und starrte in blödem Schrecken mit weit aufgerissenen, fast aus dem Kopf quellenden Augen auf seine Gattin, die ihn durch ihr Erscheinen fast in ein Bild aus Stein verwandelt hatte. Aus dem Vorzimmer erschien die verschlafene und ungelenke Gestalt von Grischka, der diese ganze Szene mit klappenden Augen beobachtete.
»Ja, seine Gnaden erlaubten es aber nicht, deshalb habe ich sie auch nicht geschoren«, sagte er mit mürrischer und heiserer Stimme. »Zehnmal bin ich mit der Schere gekommen, ›Sie werden sehen‹, sagte ich, ›die Gnädige wird erscheinen und dann werden wir beide abbekommen. Was werden wir dann machen?‹ ›Nein,‹ sagte Seine Gnaden, ›wart noch, für den Sonntag werde ich mir Locken einlegen, dazu brauche ich langes Haar!‹«
»Was? Er legt sich Locken ein? Also ohne mich hast du dir noch ausgedacht dir Locken einzulegen? Was sind das für Kunststücke? Ja, paßt sich das denn für dich, paßt das etwa zu deinem dummen Schädel? Mein Gott, was ist das hier für eine Unordnung! Wonach riecht es hier? Ich frage dich, Scheusal, wonach es hier riecht?« schrie die Gattin, immer ärger über den unschuldigen und vollkommen verdatterten Afanassij Matwejewitsch herfallend.
»Mü–mütterchen!« murmelte der verängstigte Gatte, ohne sich vom Stuhl zu erheben und mit flehenden Augen auf seine Gebieterin blickend.
»Mü–mütterchen!«
»Wie oft schon habe ich deinem Eselskopfes einzutrichtern versucht, daß ich für dich durchaus kein ›Mütterchen‹ bin? Was bin ich dir denn für ein ›Mütterchen‹, du Zwerg, du schäbiger! Wie wagst du es, eine solche Benennung einer vornehmen Dame zu geben, der ein Platz in der höchsten Gesellschaft gebührt und nicht an der Seite eines solchen Esels, wie du einer bist!«
»Aber, Marja Alexandrowna, du bist doch immerhin meine rechtmäßige Gattin, und so nenne ich dich auch ... wie es unter Eheleuten Sitte ...« wagte Afanassij Matwejewitsch zu antworten, aber griff im selben Augenblick mit beiden Händen nach seinem Kopf, um seine Haare zu schützen.
»Ach, du Fratze! Du Holzklotz! Hat man schon je eine dümmere Antwort gehört? Rechtmäßige Gattin! Was gibt es denn jetzt noch für rechtmäßige Gattinnen? Wer aus der höheren Gesellschaft wird jetzt noch diesen dummen, seminaristischen, ekelhaft-niederträchtigen Ausdruck gebrauchen: ›rechtmäßige‹? und wie wagst du es überhaupt mir in Erinnerung zu rufen, daß ich deine Frau bin, wenn ich es doch mit allen Kräften, allen Fähigkeiten meiner Seele zu vergessen suche? Was bedeckst du deinen Kopf mit den Händen? Ach, seht euch doch seine Haare an! Sie sind ja ganz, ganz naß! Sie werden ja in drei Stunden noch nicht trocken sein! Wie soll ich ihn jetzt mitnehmen? Wie soll ich ihn den Leuten zeigen? Was soll ich jetzt machen?«
Und Marja Alexandrowna rang die Hände vor Wut und rannte im Zimmer auf und ab. Das Unglück war natürlich nicht groß und leicht gutzumachen; aber die Sache war die, daß Marja Alexandrowna mit ihrem herrschsüchtigen, rechthaberischen Temperament nicht fertig werden konnte. Sie hatte das Bedürfnis, ihren Zorn in einem ununterbrochenen Strom über Afanassij Matwejewitsch zu ergießen, denn Tyrannei ist eine Angewohnheit, die zum Bedürfnis werden kann. Und schließlich weiß man ja, zu welchen Kontrasten in ihrem Benehmen einige verfeinerte Damen einer gewissen Gesellschaftsklasse bei sich zu Hause hinter den Kulissen fähig sind, und mir lag daran, eben diesen Kontrast vor Augen zu führen. Afanassij Matwejewitsch folgte mit Zittern und Zagen den Evolutionen seiner Gattin und schwitzte vor Angst.
»Grischka!« schrie sie endlich, »der Herr muß sich sofort ankleiden! Bring den Frack, die Beinkleider, das weiße Halstuch, das Gilet ... aber rasch! Und wo ist seine Kopfbürste, wo ist die Bürste?«
»Aber Mütterchen! Ich komme doch eben aus der Badstube: ich kann mich doch erkälten, wenn ich jetzt in die Stadt fahre ...«
»Wirst dich schon nicht erkälten!«
»Und die Haare sind ja noch ganz naß ...«
»Nun, paß auf, wir werden sie schon gleich trocken kriegen! Grischka, nimm die Kopfbürste und reib ihm damit das Haar trocken; fester! fester! fester! So ist's recht! So! so!«
Unter diesem Kommando begann der eifrige und seiner Gebieterin ergebene Grischka aus aller Kraft das Haar seines Herrn zu bürsten, ihn dabei zwecks größerer Bequemlichkeit an den Schultern packend und seinen Kopf an die Sofalehne pressend. Afanassij Matwejewitsch zog das Gesicht kraus und konnte sich kaum vom Weinen zurückhalten.
»Jetzt komm her! Hilf ihm aufstehen, Grischka! Wo ist die Pomade? Bück dich, bück dich, du Nichtsnutz, bück dich, du Schmarotzer!«
Und Marja Alexandrowna begann eigenhändig ihren Gatten zu pomadisieren, erbarmungslos dabei an seinen angegrauten dichten Haaren reißend, die er zu seinem Unglück noch dazu nicht hatte schneiden lassen. Afanassij Matwejewitsch krächzte, seufzte, aber schrie kein einziges Mal auf und ließ gehorsam diese ganze Prozedur über sich ergehen.
»Meine Lebenssäfte hast du mir ausgesogen, du Schmutzfink, du elender!« sagte Marja Alexandrowna, »aber bück dich noch mehr, so bück dich doch!«
»Wieso denn, Mütterchen, habe ich dir die Lebenssäfte ausgesogen?« murmelte der Gatte, seinen Kopf so tief wie möglich vorneigend.
»Tölpel! Verstehst nicht einmal eine Allegorie! Jetzt kämm' dich! Und du, Grischka, kleide ihn so rasch wie möglich an! So rühr dich doch!«
Unsere Heldin ließ sich ins Fauteuil nieder und verfolgte mit inquisitorischem Blick das ganze Zeremoniell der Einkleidung von Afanassij Matwejewitsch. Indessen hatte er Zeit gefunden, sich ein wenig zu erholen und seine Lebensgeister zu sammeln, und als seine Toilette bis zum Schlingen des Halstuches gediehen war, wagte er sogar eine Art eigene Meinung in betreff der Form und der Schönheit des Knotens zu äußern. Endlich, nachdem der Frack angezogen war, hatte der würdige Mann seinen Mut ganz wiedergewonnen und begann sich sogar im Spiegel mit einer gewissen Hochachtung zu betrachten.
»Wohin bringst du mich denn, Marja Alexandrowna?« fragte er, sich selbstgefällig musternd.
Marja Alexandrowna traute kaum ihren Ohren.
»Nein, hört das nur an! Ach du Vogelscheuche! Wie wagst du es überhaupt mich zu fragen, wohin ich dich bringe?«
»Mütterchen, aber das muß man doch wissen ...«
»Schweig! Und wage es nicht, mich nur noch ein einziges Mal ›Mütterchen‹ zu nennen, besonders dort, wo wir hinfahren! Einen ganzen Monat lang lasse ich dich dann ohne Tee sitzen!«
Der erschrockene Gatte verstummte.
»Schau nur an, nicht einen einzigen Orden hast du dir verdient, du Schmutzfink, du schäbiger«, fuhr sie fort, mit Verachtung den schwarzen Frack Afanassij Matwejewitschs betrachtend.
Afanassij Matwejewitsch war jetzt endlich doch gekränkt.
»Die Orden, Mütterchen, verleiht die Obrigkeit, und ich bin Rat und kein Schmutzfink«, äußerte er mit edlem Unmut.
»Was, was, was? Aber du hast es ja hier gelernt zu widersprechen! Ach, du Bauernkerl! Ach, du Rotznase! Nun, leider habe ich jetzt keine Zeit, mich mit dir abzugeben, sonst ... Nun, ich werde schon darauf zurückkommen! Reich ihm den Hut, Grischka! Gib ihm den Pelz! Während ich fort bin, sind alle diese drei Zimmer aufzuräumen; und das grüne Eckzimmer auch. Rasch den Besen in die Hand! Die Bezüge von den Spiegeln müssen herunter, von der Uhr auch; und daß das alles in einer Stunde fertig ist! Du selbst zieh den Frack an, den Dienstboten gib Handschuhe heraus, hörst du, Grischka, hörst du?«
Dann setzte man sich in den Schlitten. Afanassij Matwejewitsch begriff nichts und wunderte sich nur. Indessen überdachte Marja Alexandrowna, wie sie ihrem Gatten einige Verhaltungsmaßregeln, die die Situation erforderte, begreiflicher einpauken könne. Aber der Gatte kam ihr zuvor.
»Weißt du, Marja Alexandrowna, ich habe heute einen höchst originellen Traum gehabt«, verkündete er plötzlich, inmitten des beiderseitigen Schweigens.
»Ach, du verfluchter Popanz! Und ich dachte schon, weiß Gott was! Ein Traum! Und wie wagst du es überhaupt, mir mit deinen blöden Träumen zu kommen! Ein origineller Traum! Ja, weißt du denn überhaupt, was originell bedeutet? Höre, ich sage es dir zum letztenmal: Wenn du heute bei mir im Hause wagst, auch nur ein einziges Wort von deinem Traum oder was anderem zu erwähnen, so werde ich ... ich weiß dann wirklich nicht, was ich mit dir tun werde! – Paß jetzt auf: Zu mir ist heute der Fürst K. gekommen. Entsinnst du dich noch seiner?«
»Ja, ja, Mütterchen, ich entsinne mich schon. Weshalb ist er denn gekommen?«
»Schweig, das geht dich nichts an. Du mußt ihn mit besonderer Liebenswürdigkeit als Hausherr auffordern, sofort zu uns aufs Gut zu kommen. Zu diesem Zwecke schleppe ich dich auch mit. Wir werden uns noch heute in den Schlitten setzen und fahren. Aber wenn du es wagen solltest auch nur ein einziges Wort zu sagen, heute abend oder morgen, oder übermorgen oder irgendwann, so werde ich dich durch ein Jahr hindurch die Gänse hüten lassen! Sprich nicht, nicht ein einziges Wort! Das ist alles, was du zu tun hast, verstehst du?«
»Aber wenn mich jemand was fragt?«
»Ganz gleich. Du schweigst.«
»Aber man kann doch nicht die ganze Zeit schweigen, Marja Alexandrowna.«
»In diesem Falle antworte einsilbig, irgend etwas in der Art, wie ›Hm!‹ oder was Ähnliches, um zu zeigen, daß du ein kluger Mensch bist und erst die Frage bedenkst, ehe du antwortest.«
»Hm!«
»Versteh mich recht! Ich bringe dich deshalb hin, damit man sieht, daß du vom Fürsten gehört hast und sofort, entzückt über seinen Besuch, herbeigeeilt bist, ihm deine Aufwartung zu machen und ihn zu bitten, zu dir aufs Gut zu kommen; verstehst du?«
»Hm!«
»Aber sag doch nicht schon jetzt immer ›Hm!‹, du Dummkopf! Mir sollst du doch antworten!«
»Gut, Mütterchen, alles wird nach deinem Willen geschehen, aber wozu soll ich denn den Fürsten einladen?«
»Was, was? Du redest schon wieder? Was geht dich denn das an? Ja, wie wagst du es auch nur danach zu fragen?«
»Ja, ich meine nur, Marja Alexandrowna; wie soll ich ihn denn einladen, da du mir doch befohlen hast zu schweigen?«
»Ich werde schon für dich sprechen, und du verbeug dich nur, hörst du, du hast dich nur zu verbeugen und halte den Hut in der Hand. Verstehst du?«
»Jawohl, Mut ... Marja Alexandrowna.«
»Der Fürst ist äußerst geistreich. Wenn er was sagt, wenn auch nicht zu dir, so antworte auf alles mit einem gutmütigen und heiteren Lächeln, hörst du?«
»Hm!«
»Wieder sagst du ›hm!‹ Mir hast du nicht ›hm!‹ zu sagen. Antworte gerade und einfach: Hast du gehört oder nicht?«
»Ich höre, Marja Alexandrowna, ich höre, wie sollte ich denn nicht hören? Ich sage nur ›hm‹ um mich einzuüben, wie du es befohlen. Aber ich komme immer wieder auf dasselbe zurück, Mütterchen; wie ist denn das: Wenn der Fürst mir was sagt, befiehlst du mir ihn anzusehen und zu lächeln. Aber, wenn er mich direkt was fragt?«
»Mein Gott! Bist du aber schwer von Begriff! Ich habe dir doch schon gesagt: Ich werde für dich antworten und du hast ihn nur anzusehen und zu lächeln.«
»Aber er wird mich ja für einen Taubstummen halten«, murrte Afanassij Matwejewitsch.
»Auch ein Unglück! Mag er es doch denken; dafür wird man nicht merken, daß du ein Dummkopf bist.«
»Hm ... wenn mich nun aber jemand anderer was fragt?«
»Niemand wird dich fragen, niemand wird da sein. Und falls – Gott verhüte – jemand kommen und dich am Ende was fragen oder dir was sagen sollte, so beantworte es unverzüglich mit einem sarkastischen Lächeln. Weißt du, was das ist: ein sarkastisches Lächeln?«
»Bedeutet das ein geistreiches, Mütterchen?«
»Ich werde dir zeigen ›geistreiches‹, du Esel! Nun sag mir doch, wer wird von dir, du Dummkopf, Geist erwarten? Das bedeutet ein spöttisches Lächeln, verstehst du; spöttisch und verächtlich.«
»Hm!«
»Mein Gott, ich fürchte mich für diesen Dummkopf!« flüsterte Marja Alexandrowna halblaut. »Entschieden saugt er mir die letzten Kräfte aus dem Leibe! Es wäre vielleicht besser gewesen, ihn gar nicht mitzunehmen.«
So vor sich hingrübelnd, sich sorgend und beunruhigend, blickte Marja Alexandrowna ununterbrochen aus dem Fenster ihres Schlittens und trieb den Kutscher an. Die Pferde flogen dahin und trotzdem erschien es ihr immer noch zu langsam. Afanassij Matwejewitsch saß schweigend in seinem Winkel und wiederholte in Gedanken die ihm erteilten Verhaltungsmaßregeln. Endlich erreichte der Schlitten die Stadt und hielt vor dem Hause Marja Alexandrownas. Aber kaum war unsere Heldin herausgesprungen, als sie einen zweisitzigen, verdeckten Schlitten sich dem Hause nähern sah, denselben Schlitten, in dem Anna Nikolajewna Antipowa auszufahren pflegte. Im Schlitten befanden sich zwei Damen. Die eine von ihnen war selbstverständlich Anna Nikolajewna selbst und die andere – Natalja Dmitrijewna, seit kurzem ihre intimste Freundin und Anhängerin. Auf Marja Alexandrownas Herz senkte sich eine Zentnerlast. Aber sie hatte noch keine Zeit gehabt aufzuschreien, als bereits ein zweiter Schlitten vorfuhr, in dem sich offenbar noch ein Gast befand. Frohe Ausrufe wurden laut.
»Marja Alexandrowna! Und mit Afanassij Matwejewitsch zusammen! Von wo kommen Sie denn? Und gerade rechtzeitig! Wir kommen nämlich zu Ihnen zum Abend! Welche Überraschung!«
Die Gäste sprangen heraus und zwitscherten wie die Schwalben. Marja Alexandrowna wollte ihren Augen und Ohren nicht trauen.
»Oh, wenn Ihr doch in die Erde versinken wolltet!« dachte sie bei sich. »Das sieht schon nach einer Verschwörung aus! Das muß untersucht werden! Aber euch Elstern, soll es nicht gelingen, mich zu überlisten! Wartet nur!«