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Die Oberstin, Sofja Petrowna Karpuchina, glich nur innerlich einer Elster. Äußerlich ähnelte sie eher einem Sperling. Sie war eine kleine, fünfzigjährige Dame, mit winzigen, scharfen Augen, mit Sommersprossen und gelben Flecken im ganzen Gesicht. Ihr kleiner, ausgetrockneter Körper, der auf dünnen, festen Sperlingsbeinen stand, war in ein dunkles Seidenkleid gehüllt, das ständig rauschte, weil die Oberstin sich keine zwei Sekunden ruhig verhalten konnte. Sie war eine bösartige und rachsüchtige Klatschbase. Der Oberstenrang ihres Mannes hatte ihr vollkommen den Kopf verdreht. Mit dem Obersten a. D., ihrem Gemahl, raufte sie sich oft und zerkratzte ihm dabei das Gesicht. Außerdem kippte sie jeden Morgen ungefähr vier Gläschen Schnaps und ebensoviele am Abend, und haßte Anna Nikolajewna Antipowa, die sie in der vorigen Woche aus ihrem Hause hinausgeworfen hatte, bis zum Irrsinn, ebenso Natalja Dmitrijewna Paskudina, die dem Vorschub geleistet hatte.
»Ach, ich komme nur auf einen Augenblick zu Ihnen, mon ange«, zwitscherte sie. »Ich habe kaum Zeit, mich hinzusetzen. Ich wollte Ihnen nur rasch erzählen, was für Wunder sich bei uns zutragen. Die ganze Stadt ist einfach verrückt geworden, seit der Fürst hier ist! Unsere Gimpelfängerinnen – vous comprenez! – fangen ihn ein, suchen ihn, entreißen ihn eine der anderen, tränken ihn mit Champagner – Sie werden es nicht glauben! Nicht glauben! Ja, sagen Sie mir, wie haben Sie sich denn nur dazu entschlossen, ihn von sich fortzulassen? Wissen Sie auch, daß er sich augenblicklich bei Natalja Dmitrijewna befindet?«
»Bei Natalja Dmitrijewna!« schrie Marja Alexandrowna und sprang auf, »aber er wollte ja doch nur zum Gouverneur fahren und dann nachher zu Anna Nikolajewna, und auch das nicht auf lange!«
»Nun ja, selbstverständlich, nicht auf lange; nun, jetzt haben Sie das Nachsehen! Den Gouverneur traf er nicht an, fuhr dann zu Anna Nikolajewna, versprach ihr, bei ihr Mittag zu essen, und Nataschka, die jetzt ständig bei ihr sitzt, hat ihn bis zum Mittag zu sich mitgeschleppt um zu frühstücken. Da haben Sie Ihren Fürsten!«
»Aber wie denn? ... Mosgljakoff? Er hat mir doch versprochen ...«
»Ach, Sie mit Ihrem Mosgljakoff, Ihrem gepriesenen! ... Natürlich ist er mitgefahren! Passen Sie nur auf, wenn man ihn da an den Kartentisch setzt, wird er wieder alles bis aufs Letzte verspielen, wie voriges Jahr! Und den Fürsten werden sie auch dazusetzen und ihn rupfen, wie ein Huhn. Und was diese Nataschka wieder alles erzählt! Sie verkündet es ganz laut, daß Sie den Fürsten anlocken, nun ... zu gewissen Zwecken – vous comprenez? Sie setzt es noch dazu selbst dem Fürsten auseinander. Nun, er begreift natürlich nichts, sitzt da, wie ein begossener Pudel, und sagt auf alles nur: ›nun ja, nun ja!‹ Und sie selbst erst, sie selbst! Führt ihre Ssonjka vor – denken Sie sich ein Mädel von fünfzehn Jahren, und immer noch im kurzen Kleidchen! Natürlich nur bis zu den Knien, wie Sie sich lebhaft vorstellen können! Dann schickten sie noch nach diesem Waisenkind Maschka, das erschien natürlich auch im kurzen Kleidchen, nur noch kürzer, bis ober das Knie – ich habe es durch die Lorgnette gesehen ... Auf den Kopf stülpte man ihnen irgendwas für rote Mützchen mit Federn – ich weiß wirklich nicht, was das vorstellen sollte! – Und unter Klavierbegleitung hat man sie beide angestellt, vor dem Fürsten den Kasatschok zu hopsen. Nun, Sie kennen ja die Schwäche des Fürsten? Er zerschmolz förmlich: ›Diese Formen,‹ ruft er, ›diese Formen!‹ fixiert sie durch seine Lorgnette und sie strengen sich natürlich an, diese Elstern! Purpurrot im Gesicht, verdrehen sie ihre Beine; so ein Monplaisir ging los, daß Gott erbarm! Pfui! Und das nennt sich Tanz! Ich habe auch einmal getanzt, mit einem Schal, bei einer Aufführung des vornehmen Pensionats von Madame Jarnie – das war wenigstens ein nobler Eindruck! Sogar Senatoren applaudierten mir! So wurden Fürsten- und Grafentöchter erzogen! Aber das ... das war einfach ein Cancan! Ich versank einfach vor Scham, ich versank, ich versank ... Ich konnte einfach nicht bis zum Schluß sitzen bleiben! ...«
»Ja, waren Sie denn selbst bei Natalja Dmitrijewna? Ich dachte, Sie ...«
»Nun ja, allerdings, sie hat mich vorige Woche beleidigt. Ich sage das allen ganz ehrlich. Mais, ma chère, ich wollte, wenn auch nur durch ein Ritzchen, den Fürsten sehen, und so fuhr ich denn hin. Wo hätte ich ihn denn sonstwo sehen können? Wäre ich denn sonst zu ihr gefahren, wenn nicht um dieses schäbigen Fürsten willen? Und denken Sie sich: Allen wird Schokolade serviert, nur mir nicht, und kein Wort hat man mit mir gesprochen. Das tat sie natürlich absichtlich ... Diese Verleumderin! Na, ich werde es ihr schon zeigen! Nun aber leben Sie wohl, mon ange! Ich eile schrecklich ... Ich muß noch unbedingt Akulina Panfilowna treffen und ihr alles erzählen ... Sie aber müssen jetzt ganz auf den Fürsten verzichten ... Zu Ihnen kommt er nicht mehr! Sie wissen ja doch, Gedächtnis hat er keines mehr, und so wird ihn Anna Nikolajewna zu sich schleppen! Sie befürchten ja alle, daß Sie ... na, Sie verstehen schon? Wegen Sina ...«
»Quelle horreur!«
»Nun, das sag ich Ihnen! Die ganze Stadt spricht schon davon. Anna Nikolajewna will ihn durchaus zu Mittag haben und dann überhaupt bei sich behalten. Das tut sie Ihnen zum Trotz, mon ange. Ich habe durch eine Türspalte zu ihr hineingesehen. Da ist eine Aufregung! Das Mittagessen wird vorbereitet, Messer klappern ... man hat schon nach Champagner geschickt. Eilen Sie, eilen Sie und fangen Sie ihn auf dem Wege zu ihr ab! Ihnen hat er es ja doch zuerst versprochen, bei Ihnen zu speisen. Er ist doch Ihr Gast, und nicht Anna Nikolajewnas! Damit sie später über Sie lachen kann, diese Gimpelfängerin, diese Rotznase! Sie ist ja nicht einmal meine Schuhsohle wert, obwohl sie Frau Staatsanwalt ist! Ich bin selbst Oberstin! Ich bin im vornehmen Pensionat vom Madame Jarnie erzogen ... Tjfu! Mais adieu, mon ange! Ich bin mit dem eigenen Schlitten gekommen, sonst wäre ich mit Ihnen zusammen gefahren ...«
Die wandernde Zeitung verschwand. Marja Alexandrowna zitterte vor Erregung, aber der Ratschlag der Oberstin war durchaus klar und praktisch. Es hatte keinen Sinn zu zögern, außerdem war keine Zeit zu verlieren. Aber die größte Schwierigkeit blieb noch zu überwinden. Marja Alexandrowna eilte in Sinas Zimmer.
Sina ging in ihrem Zimmer auf und ab, mit gekreuzten Armen, gesenktem Kopf, blaß und verstört. In ihren Augen glänzten Tränen, aber ihr Blick, den sie auf die Mutter richtete, war voller Entschlossenheit. Sie unterdrückte rasch ihre Tränen und ein sarkastisches Lächeln kräuselte ihre Lippen.
»Mamachen,« sagte sie, ihrer Mutter zuvorkommend, »Sie haben heute eine Menge schöne Worte an mich verschwendet, zu viele. Aber Sie haben mich damit nicht blenden können. Ich bin kein Kind mehr. Sich selbst davon überzeugen, daß ich als Barmherzige Schwester handle, meine Niederträchtigkeiten, die ich aus reinem Egoismus begehe, mit hohen Zwecken entschuldigen – das ist ein Jesuitismus, der mich nicht täuschen konnte. Hören Sie: Das konnte mich nicht täuschen und ich wünsche durchaus, daß Sie das wissen!«
»Aber, mon ange! ...« rief die ganz verschüchterte Marja Alexandrowna aus.
»Schweigen Sie, Mamachen! Gedulden Sie sich bis zum Schluß. Ungeachtet dessen, daß ich mir der ganzen Schäbigkeit meiner Handlung bewußt bin, ungeachtet dessen, daß ich weiß, daß das alles nur Jesuitismus ist – nehme ich Ihren Vorschlag zur Gänze an, hören Sie: zur Gänze, und teile Ihnen mit, daß ich bereit bin, den Fürsten zu heiraten und sogar bereit bin, alle Ihre Bemühungen zu unterstützen, um den Fürsten zu zwingen, mich zu heiraten. Warum ich das tue? Das brauchen Sie nicht zu wissen. Es muß Ihnen genügen, daß ich mich dazu entschlossen habe. Ich habe mich zu allem entschlossen: Ich werde ihm die Stiefel reichen, ich werde seine Dienerin sein, ich werde ihm zu seinem Vergnügen vortanzen, um vor ihm meine Niederträchtigkeit auszulöschen; ich werde alles tun, damit er nie bereut, mich geheiratet zu haben. Aber dagegen fordere ich, daß Sie mir aufrichtig sagen, wie Sie das zustande bringen wollen? Wenn Sie so entschlossen davon sprachen, so konnten Sie – dazu kenne ich Sie zu gut – nicht davon anfangen, ohne einen festen Plan im Kopfe zu haben. Seien Sie einmal in Ihrem Leben aufrichtig; Aufrichtigkeit ist in diesem Falle meine einzige Bedingung! Ich kann mich nicht eher entschließen, als bis ich weiß, wie Sie das alles machen wollen.«
Marja Alexandrowna war so erstaunt von dem unerwarteten Entschluß Sinas, daß sie längere Zeit stumm und unbeweglich vor Verwunderung vor ihr stand und sie starr anblickte. Sie war darauf vorbereitet gewesen, noch längere Zeit mit der trotzigen Romantik ihrer Tochter kämpfen zu müssen, deren strenge Tugend und hohe Gesinnung sie stets fürchtete, und nun mußte sie hören, daß ihre Tochter mit allem einverstanden und zu allem bereit sei, entgegen ihrer innersten Überzeugung! Also schien die Sache bereits auf festen Füßen zu stehen, und ihre Augen leuchteten auf vor Freude.
»Sinotschka,« rief sie voll Begeisterung, »Sinotschka, du bist wahrlich mein Fleisch und Blut!«
Sie konnte im Augenblick nichts weiter sagen und stürzte auf ihre Tochter zu, um sie zu umarmen.
»Ach, mein Gott! Ich brauche Ihre Zärtlichkeiten nicht, Mamachen,« rief Sina voll ungeduldigen Ekels, »ich brauche Ihre Ekstasen nicht! Ich fordere nur Ihre Antwort auf meine Frage und weiter nichts.«
»Aber, Sina, ich liebe dich doch! Ich vergöttere dich, und du stößt mich zurück ... Ich kämpfe doch für dein Glück ...«
Und echte Tränen blitzten in ihren Augen. Marja Alexandrowna liebte Sina wirklich, auf ihre Art, und war nun aus Freude über das Gelingen ihres Planes erregt und tief gerührt. Sina, ihrerseits, obwohl sie augenblicklich fast ausschließlich mit sich selbst beschäftigt war, wußte doch, daß ihre Mutter sie liebte, und dies Bewußtsein – drückte sie. Es wäre ihr sogar leichter gewesen, wenn die Mutter sie gehaßt hätte ...
»Nun, Mamachen, ärgern Sie sich nicht, ich bin in einer so großen Aufregung«, sagte sie, um sie zu beruhigen.
»Nein, nein, ich ärgere mich nicht, mein Engelchen!« zwitscherte Marja Alexandrowna, wieder ganz auf der Höhe, »ich begreife ja selbst, daß du aufgeregt sein mußt. Nun sieh einmal, meine Teure, du verlangst von mir volle Offenheit ... Bitte, ich werde ganz, ganz offen gegen dich sein, ich versichere dich. Wenn du mir nur glauben wolltest! Erstens muß ich dir gestehen, daß ich noch keinen festen Plan habe, Sinotschka, das heißt, was alle Einzelheiten anbetrifft, und das kann ich auch nicht haben; du, als kluges Köpfchen, wirst schon begreifen warum. Ich sehe sogar gewisse Schwierigkeiten voraus ... Eben noch hat mir diese Elster allerhand vorgeschwatzt ... (Ach, mein Gott, ich muß ja eilen!) Sieh, ich bin vollständig aufrichtig! Aber ich schwöre dir, daß ich mein Ziel erreichen werde!« fügte sie begeistert hinzu. »Meine Sicherheit ist durchaus nicht aus der Luft gegriffen; sie hat Hand und Fuß. Sie ist auf der absoluten Schwachsinnigkeit des Fürsten aufgebaut – und das ist ja so ein Kanevas, auf dem man ausnähen kann, was man will. Die Hauptsache ist, daß man nur ja nicht gestört wird! Aber nicht an diesen Gänsen ist es, mich zu überlisten«, rief sie, mit der Hand auf den Tisch schlagend, und ihre Augen blitzten: »Das laß nur meine Sorge sein! Aber man muß nun rasch damit beginnen, um womöglich noch heute die ganze Angelegenheit zum Klappen zu bringen.«
»Gut, Mamachen, aber hören Sie noch eine Aufrichtigkeit an: Wissen Sie, weshalb ich mich so für den Plan interessiere und kein Zutrauen zu ihm habe? Weil ich mich nicht auf mich selbst verlassen kann. Ich erklärte Ihnen schon, daß ich mich zu dieser Schändlichkeit entschlossen habe, aber wenn die Einzelheiten Ihres Planes zu abscheulich, zu schmutzig sind, so werde ich es nicht aushalten und alles fahren lassen. Ich weiß, daß das noch niedriger ist: sich zu einer Niederträchtigkeit zu entschließen und gleichzeitig den Schmutz zu fürchten, von dem sie umgeben ist, aber daran kann ich nichts ändern.«
»Aber, Sinotschka, was ist denn daran so niederträchtig, mon ange?« versuchte Marja Alexandrowna schüchtern zu erwidern. »Es handelt sich doch nur um eine vorteilhafte Heirat, und das tun doch alle! Man muß es nur von diesem Standpunkt aus betrachten, und dann erscheint alles ganz anständig ...«
»Ach, Mamachen, um Gottes willen, versuchen Sie doch nicht, sich mir gegenüber zu verstellen! Sie sehen, ich bin mit allem, allem einverstanden! Was brauchen Sie denn mehr? Befürchten Sie doch nichts, wenn ich auch die Sachen bei ihrem Namen nenne. Vielleicht ist das jetzt für mich noch die einzige Genugtuung.«
Und ein bitteres Lächeln kräuselte ihre Lippen.
»Nun, schon gut, mein Engelchen, man kann ja einander auch achten, ohne in allem übereinzustimmen. Doch wenn du fürchtest, die Einzelheiten könnten zu schmutzig sein, so überlasse nur mir alle Bemühungen; ich schwöre dir, daß dich kein Tropfen Schmutz treffen wird. Liegt es denn in meiner Absicht, dich vor allen zu kompromittieren? Verlaß dich nur auf mich, und alles wird ausgezeichnet und anständig vonstatten gehen, vor allem – anständig, hörst du? Zu einem Skandal wird es nicht kommen, und wenn es auch zu einem kleinen unvermeidlichen Skandälchen kommen sollte – nun, das muß man dann schon mit in den Kauf nehmen! Dann sind wir ja auch schon über alle Berge! Wir bleiben ja doch nicht hier. Laß sie nachher doch schreien, was geht uns das dann noch an? Sie werden uns ja nur beneiden. Und im übrigen, soll man sich ihretwegen den Kopf zerbrechen? Ich wundere mich sogar über dich, Sinotschka, nur bitte ärgere dich nicht – wie kommt es, daß du, mit deinem Stolz, diese Menschen fürchtest?«
»Ach, Mamachen, ich fürchte doch nicht sie! Sie verstehen mich absolut nicht«, antwortete Sina gereizt.
»Nun, nun, mein Herzchen, ärgere dich nur nicht. Ich will ja nur sagen, daß sie selbst jeden Gottestag irgendeine Niederträchtigkeit begehen, und du im ganzen Leben nur dieses eine Mal ... Aber, ich Gans, was sage ich denn! Es ist ja gar keine Niederträchtigkeit! Im Gegenteil, es ist sogar sehr löblich! Ich kann es dir wirklich beweisen, Sinotschka. Erstens, wie gesagt, alles hängt davon ab, von welchem Standpunkt aus man es betrachtet ...«
»Ach, Mamachen, lassen Sie doch endlich Ihre Beweise!« schrie Sina voll Wut und stampfte ungeduldig mit dem Fuß.
»Nun, ich werde nicht mehr, Herzchen, ich werde nicht mehr! Ich habe mich wieder verplappert ...«
Es trat ein kleines Schweigen ein. Marja Alexandrowna folgte Sina demütig, ihr dabei voll Unruhe in die Augen blickend, wie ein kleiner schuldbewußter Hund.
»Ich kann es mir überhaupt nicht denken, wie Sie die ganze Sache anfassen werden«, setzte Sina voll Ekel fort. »Ich bin überzeugt, daß Sie nur Schande ernten werden. Ich verachte die Meinung der Leute, aber für Sie, Mamachen, wird es eine Schande werden.«
»Ach, wenn das das Einzige ist, was dich beunruhigt, mein Engel, so sei, bitte, ganz ruhig! Ich bitte, ich beschwöre dich! Wenn wir nur einig sind, um mich brauchst du dich nicht zu kümmern. Ach, wenn du nur wüßtest, aus was für Situationen ich mit heiler Haut herausgekommen bin. Ich habe noch andere Sachen in Arbeit gehabt! Nun, erlaub mir nur, es zu versuchen! Vor allem muß man es so rasch als möglich durchsetzen, mit dem Fürsten allein zu bleiben. Das ist die Hauptsache! Alles andere hängt davon ab! Aber ich ahne bereits auch das andere! Sie werden sich alle gegen mich erheben, aber ... das ist gleichgültig! Ich werde schon mit ihnen fertig werden! Ich fürchte mich nur noch etwas vor Mosgljakoff ...«
»Vor Mosgljakoff?« sagte Sina voll Verachtung.
»Nun ja, vor Mosgljakoff; aber habe keine Angst, Sinotschka! Ich werde ihn schon so weit bringen, daß er zum Schluß selbst mithelfen wird! Du kennst mich noch nicht, Sinotschka! Du weißt noch nicht, wie ich zu handeln verstehe! Ach, Sinotschka, Herzchen! Als ich neulich vom Fürsten hörte, kam mir gleich dieser Gedanke! Es kam wie eine Erleuchtung über mich. Und wer, sage mir, wer hätte es voraussehen können, daß er zu uns kommt? In tausend Jahren trifft kein solcher Zufall ein! Sinotschka, Engelchen! Nicht das ist ehrlos, daß du einen Greis und einen Krüppel heiratest, sondern das, daß du einen Menschen nimmst, den du nicht leiden kannst und dessen »wirkliche« Frau du sein mußt! Aber du wirst ja nie im wahren Sinne des Wortes des Fürsten Frau sein. Das kann man ja eigentlich keine Ehe nennen! Das ist einfach ein häuslicher Kontrakt! Die Vorteile davon hat ja er allein, der Dummkopf; ihm, dem Dummkopf wird ja ein solch großes Glück geschenkt! Ach, Sinotschka, wie schön du heute bist! Eine wirkliche Schönheit! Wenn ich ein Mann wäre, ich würde dir ein halbes Königreich zu Füßen legen, wenn du es wünschen solltest! Esel sind sie alle! Wie kann man es über sich gewinnen, dieses Händchen nicht zu küssen?« Und Marja Alexandrowna drückte einen heißen Kuß auf die Hand ihrer Tochter. »Das ist ja mein Leib und Blut! Und wenn wir diesen Dummkopf auch mit Gewalt dazu zwingen müßten! Und wie wir dann leben werden, Sinotschka! Denn du wirst dich doch nicht von mir trennen, Sinotschka? Du wirst doch nicht deine Mutter von dir stoßen, wenn das Glück zu dir kommt? Wenn wir uns auch gestritten haben, mein Engelchen, so hast du doch keinen besseren Freund gehabt als mich; und ...«
»Mamachen! Wenn Sie sich nun einmal dazu entschlossen haben, so ist es vielleicht an der Zeit ... zu handeln. Sie vertrödeln hier nur Ihre Zeit!« sagte Sina voll Ungeduld.
»Ja, ja, du hast recht, es ist Zeit! Mein Gott, ich habe mich so verplappert!« besann sich Marja Alexandrowna plötzlich. »Sie wollen uns ja den Fürsten ganz abspenstig machen. Ich pack mich gleich zusammen und fahre los! Ich werde vorfahren, Mosgljakoff herausrufen lassen und dann ... Ach, ich werde ihn einfach mit Gewalt herbringen, wenn es nötig sein sollte! Leb wohl, Sinotschka, leb wohl, mein Täubchen, sorge dich nicht, zweifle nicht, gräm dich nicht, vor allem gräm dich nicht! Alles wird wunderbar und anständig vor sich gehen! Die Hauptsache ist, von welchem Standpunkt aus ... nun, leb wohl, leb wohl!«
Marja Alexandrowna bekreuzigte Sinotschka, flog aus dem Zimmer, drehte sich vielleicht eine Minute lang vor ihrem Spiegel und glitt bereits nach zwei Minuten in ihrem herrschaftlichen Schlitten, der täglich um diese Stunde für den Fall einer Ausfahrt angespannt wurde, durch die Straßen von Mordassoff. Marja Alexandrowna lebte nämlich »en grand«.
»Nein, es ist nicht an euch, mich zu überlisten!« dachte sie, sich in ihrem Sitz zurücklehnend. »Sina ist einverstanden und damit die halbe Sache gewonnen, und jetzt sollte sie scheitern! Unsinn! Ach, und diese Sina! Hat sich doch zum Schluß dazu entschlossen! Also auch auf dein Köpfchen wirken manche kleine Berechnungen! Ich habe ihr ja auch besonders verlockende Perspektiven eröffnet! Es ist mir endlich gelungen, sie zu rühren! Und, weiß Gott, schön ist sie heute! Wenn ich an ihrer Stelle wäre, ich würde ja halb Europa nach meiner Pfeife tanzen lassen. Nun, wir werden ja sehen ... Sie wird sich schon mit der Zeit diesen Shakespeare aus dem Kopfe schlagen, wenn sie erst Fürstin ist und Verschiedenes kennen gelernt hat. Was kennt sie denn auch schon? Mordassoff und ihren Lehrer! Hm ... Aber was für eine Fürstin sie abgeben wird! Wie liebe ich an ihr diesen Stolz, diese Kühnheit, diese Unnahbarkeit! Und ihr Blick, wie der einer Königin! Nein, wie kann man nur seinen Vorteil so wenig sehen? Jetzt sieht sie ihn endlich! Wird auch das andere sehen lernen ... Ich werde ja doch bei ihr sein! Zum Schluß wird sie dann ja doch in allem mit mir übereinstimmen. Und ohne mich wird sie nicht mehr auskommen können! Ich werde selbst Fürstin sein; man wird mich auch in Petersburg kennen lernen. Leb wohl dann, schäbiges Städtchen! Bis der Fürst tot ist, und dieser Bengel auch, dann werde ich sie an einen regierenden Prinzen verheiraten! Eines befürchte ich nur; hab ich mich ihr nicht zu sehr anvertraut? Bin ich nicht zu aufrichtig gewesen? Habe ich mich nicht zu sehr hinreißen lassen? Ich fürchte mich vor ihr, ach ja, ich fürchte mich wirklich ...«
Und Marja Alexandrowna versank in ihre Grübeleien. Man kann es nicht leugnen, sie hatte Grund genug zum Grübeln. Aber was sie sich einmal vorgenommen, davon konnte sie nicht mehr lassen.
Nachdem Sina allein geblieben war, wanderte sie lange im Zimmer auf und ab, die Arme gekreuzt und in Gedanken versunken. Vieles hatte sie durchdacht. Und oft und fast unbewußt wiederholte sie immer wieder: »es ist an der Zeit, längst an der Zeit«. Was bedeutete dieser Ausruf? Mehr als einmal glänzten Tränen an ihren langen, seidigen Wimpern. Sie dachte nicht daran, sie zu trocknen, sie zurückzuhalten. Aber ihre Mutter beunruhigte sich ganz unnütz und bemühte sich auch vergebens, die Gedanken ihrer Tochter zu erraten: Sina war wirklich fest entschlossen und war auf alle Folgen gefaßt.
»Warte nur«, dachte indessen Nastassja Petrowna, indem sie aus dem dunklen Verschlag nach der Abfahrt der Oberstin Karpuchina herauskroch. »Und ich wollte mir schon ein rosa Schleifchen für diesen Fürsten anstecken. Ich Gans, habe wirklich geglaubt, er würde mich vielleicht heiraten. Na, und jetzt stehe ich da mit meinem Schleifchen! Aber Marja Alexandrowna! Ich bin also ein Schmutzfink, eine Bettlerin, ich habe zweihundert Rubel Bestechungsgelder genommen? Ja, das wäre noch schöner gewesen, wenn ich dir das Geld geschenkt hätte! Ich nahm es aber auf noble Weise, ich nahm es nur für die mit der Sache verknüpften Ausgaben ... Ich hätte vielleicht selbst jemanden dabei bestechen müssen. Was geht es denn dich schließlich an, daß ich mir nicht zu gut dafür war, eigenhändig das Schloß aufzubrechen? Ich habe doch für dich gearbeitet, während du die Hände im Schoß liegen ließt! Du willst ja nur auf Kanevas ausnähen! Na, warte, ich werde dir schon das Kanevas zeigen! Ich werde schon euch beiden zeigen, was ich für ein Schmutzfink bin! Jetzt werdet ihr Nastassja Petrowna und ihre ganze Bescheidenheit kennen lernen!«