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Eine Novelle
1848
Ich betrachtete diesen Menschen genauer. Sogar sein Äußeres hatte etwas so Eigentümliches, daß man, auch wenn man zerstreut und gedankenlos war, unwillkürlich veranlaßt wurde, ihn länger zu fixieren und sofort in ein unhemmbares Gelächter auszubrechen. So erging es auch mir. Ich muß bemerken, daß die Äuglein dieses kleinen Herrn so beweglich waren oder auch er selbst mit seiner ganzen Person für die magnetische Wirkung jedes auf ihn gerichteten Blickes so empfindlich war, daß er es beinah instinktiv merkte, wenn man ihn beobachtete, sich sofort zu seinem Beobachter umdrehte und unruhig darüber ins klare zu kommen suchte, was der auf ihn gerichtete Blick zu bedeuten habe. Durch seine stete Beweglichkeit und seine fortwährenden Kopfdrehungen hatte er eine entschiedene Ähnlichkeit mit einer Wetterfahne. Und sonderbar: er schien sich vor Spöttereien zu fürchten, obwohl er sich doch fast nur damit sein Brot erwarb, daß er ein Allerweltsnarr war und sich demütig alle Nasenstüber gefallen ließ, im übertragenen und sogar im eigentlichen Sinne, je nach der Gesellschaft, in der er sich befand. Menschen, die sich freiwillig als Narren mißbrauchen lassen, tun einem ja nicht einmal leid. Aber ich merkte bald, daß dieses sonderbare Geschöpf, dieses lächerliche Subjekt keineswegs ein Narr von Profession war. Es steckte noch etwas von einem Gentleman in ihm. Sein ganzes unruhiges Wesen und seine fortwährende Besorgnis um seine Person zeugten zu seinen Gunsten. Sein Wunsch, jedermann Dienste zu erweisen, schien mir eher aus Gutherzigkeit als aus dem Streben nach materiellen Vorteilen zu entspringen. Mit Vergnügen erlaubte er es einem jeden, aus vollem Halse, in der unanständigsten Weise, ganz unverhohlen über ihn zu lachen; aber gleichzeitig (das möchte ich beschwören) zog sich sein Herz schmerzlich bei dem Gedanken zusammen, seine Zuhörer könnten so unedel und grausam sein, nicht über das, was er sagte, sondern über sein ganzes Wesen, über sein Herz, seinen Kopf, sein Äußeres, über seine Individualität zu lachen. Ich bin überzeugt, daß ihm in solchen Augenblicken die ganze Abgeschmacktheit seiner Situation zum Bewußtsein kam; aber sein Protest hiergegen erstarb sofort immer wieder in seiner Brust, obwohl er unfehlbar jedesmal mit schönem Mute ins Leben getreten war. Ich bin überzeugt, daß auch diese Widerstandslosigkeit ihren Ursprung in seiner natürlichen Gutherzigkeit hatte und nicht etwa in der Befürchtung, eine Auflehnung könne materielle Nachteile für ihn zur Folge haben, indem man ihn vielleicht mit Schlägen wegjagen oder ihm das erbetene Darlehen abschlagen werde; denn dieser Herr borgte sich fortwährend Geld, d. h. er bat in dieser Form um Almosen, sobald er genug Faxen getrieben, die Anwesenden auf seine Kosten zum Lachen gebracht und dadurch seiner Ansicht nach gewissermaßen ein Recht auf ein solches »Darlehen« erworben hatte. Aber Herr des Himmels, wie ging es bei diesem Borgen zu! Was machte er dabei für ein Gesicht! Es war mir unbegreiflich, daß auf einem so kleinen Raume, wie das runzlige, eckige Gesicht dieses Menschen, gleichzeitig so viele verschiedenartige Grimassen, so viele sonderbare, mannigfaltige Affekte, so viele peinliche Empfindungen zum Ausdruck kommen konnten. Was war auf diesem Gesichte nicht alles zu finden: Scham, und erkünstelte Frechheit, und Ärger mit plötzlichem Erröten, und Zorn, und Bangigkeit vor einem Mißerfolge, und die Bitte um Verzeihung, daß er zu belästigen wage, und das Bewußtsein der eigenen Würde, und das vollständige Bewußtsein der eigenen Geringwertigkeit, – alles das ging wie zuckende Blitze über sein Gesicht hin. Ganze sechs Jahre lang hatte er sich schon in dieser Weise auf der Welt durchgeschlagen, hatte sich aber immer noch nicht eine sichere Haltung in dem kritischen Augenblicke der Bitte um ein Darlehen zu eigen gemacht! Selbstverständlich war es ganz ausgeschlossen, daß er jemals ein abgesottener Lump werden konnte; dazu war sein Herz zu warm und zu empfindsam. Meiner Meinung nach war er der ehrenhafteste und anständigste Mensch von der Welt, aber allerdings mit einer kleinen Schwäche behaftet: auf die erste beste Aufforderung hin war er imstande, eine unwürdige Handlung zu begehen, in aller Gutherzigkeit und Uneigennützigkeit, nur um einem andern damit einen Gefallen zu tun. Kurz er war, was man so nennt, ein Waschlappen. Das Lächerlichste war, daß er fast ebenso angezogen ging wie alle Leute, nicht schlechter und nicht besser, sauber, sogar mit einer gewissen Eleganz und dem ausgesprochenen Streben, für einen gesetzten, ordentlichen Menschen gehalten zu werden. Diese äußere Gleichheit und innere Ungleichheit mit anderen Menschen, seine ängstliche Besorgnis, man könne seine Persönlichkeit mißachten, und gleichzeitig diese stete Selbsterniedrigung, das alles bildete einen schroffen Kontrast und rief Gelächter und Mitleid hervor. Wenn er in seinem Herzen überzeugt gewesen wäre (und trotz aller entgegenstehenden Erfahrungen kamen bei ihm recht häufig Augenblicke vor, wo er davon überzeugt war), daß alle seine Zuhörer die besten Menschen von der Welt seien und nur über einen lächerlichen Spaß, aber nicht über seine respektable Persönlichkeit lachten, so hätte er sich mit Vergnügen den Frack ausgezogen, ihn mit der Innenseite nach außen wieder angezogen und wäre in diesem Aufzuge andern zu Gefallen und zu seinem eigenen Genusse durch die Straßen gegangen, lediglich um seinen Gönnern Stoff zum Lachen zu geben und ihnen allen ein Vergnügen zu bereiten. Aber zu einer inneren Gleichheit mit anderen Menschen konnte er es nie und auf keine Weise bringen. Noch ein Charakterzug von ihm verdient angeführt zu werden: der wunderliche Mensch war nicht ohne Ehrgefühl und bekam, wenn nur nicht gerade Gefahr zu befürchten war, mitunter sogar Anfälle von Mut. Man mußte nur sehen und hören, wie er, manchmal ohne sich selbst zu schonen, also mit einem gewissen Risiko, beinah mit Heroismus den einen oder andern seiner Gönner abzutrumpfen verstand, der ihn bis zur äußersten Wut gereizt hatte. Aber das dauerte immer nur ganz kurze Zeit … Kurz gesagt, er war ein Märtyrer im vollen Sinne des Wortes; aber da sein Märtyrertum keinerlei Nutzen hatte, war er ein sehr komischer Märtyrer.
Unter den Gästen war über die Beurteilung einer Persönlichkeit ein Streit entstanden, an dem sich viele beteiligten. Auf einmal sah ich, wie jener seltsame Kauz vom Stuhle aufsprang und aus voller Kehle schreiend verlangte, man solle ihn allein reden lassen.
»Hören Sie einmal zu!« sagte der Wirt flüsternd zu mir. »Er erzählt manchmal sehr merkwürdige Dinge … Interessiert er Sie?«
Ich nickte mit dem Kopfe und drängte mich in den Menschenschwarm hinein. Der Anblick eines anständig gekleideten Herrn, der auf einen Stuhl gestiegen war und aus Leibeskräften etwas schrie, erregte die allgemeine Aufmerksamkeit. Viele, die den wunderlichen Gesellen nicht kannten, wechselten erstaunte Blicke miteinander; andere fingen laut an zu lachen.
»Ich kenne Fedosei Nikolaitsch! Ich muß Fedosei Nikolaitsch besser kennen als jeder andere!« rief der sonderbare Mensch von seinem erhöhten Platze aus. »Meine Herren, gestatten Sie mir, Ihnen etwas zu erzählen … Ich will Ihnen etwas Hübsches von Fedosei Nikolaitsch erzählen! Ich weiß eine Geschichte, die ist kostbar! …«
»Erzählen Sie, Osip Michailytsch, erzählen Sie!«
»Erzähle!«
»Hören Sie nur zu!«
»Hört, hört, Ruhe!«
»Ich beginne also; aber, meine Herren, es ist eine ganz eigentümliche Geschichte …«
»Gut, gut!«
»Es ist eine komische Geschichte.«
»Sehr gut, vorzüglich, ausgezeichnet! Zur Sache!«
»Es ist ein Vorfall aus dem eigenen Leben Ihres ergebensten Dieners …«
»Na, dann brauchten Sie nicht erst zu sagen, daß die Geschichte komisch ist!«
»Und sie ist zugleich ein wenig tragisch!«
»Nanu?«
»Kurz gesagt, es ist dasjenige Erlebnis, dem Sie alle das Glück zu verdanken haben, daß Sie mir jetzt zuhören können, meine Herren, dasjenige Erlebnis, infolgedessen ich in diese Gesellschaft hineingekommen bin, der anzugehören ich nur als einen Gewinn für mich betrachten kann …«
»Keine Kalauer!«
»Dasjenige Erlebnis …«
»Kommen Sie nur mit Ihrer Vorrede bald zu Ende! Also kurz gesagt: ein Erlebnis, dessen Erzählung uns wohl etwas kosten wird,« bemerkte mit heiserer Stimme ein blonder junger Herr mit Schnurrbart. Er steckte die Hand in seine Rocktasche und zog, wie versehentlich, die Geldbörse statt des Taschentuches heraus.
»Ein Erlebnis, meine lieben Herren, das mich wünschen läßt, es wären recht viele von Ihnen an meinem Platze gewesen. Und, um auch das noch zum Schluß zu sagen, ein Erlebnis, infolgedessen meine beabsichtigte Verheiratung unterblieb.«
»Beabsichtigte Verheiratung! … Polsunkow hat heiraten wollen!«
»Ich gestehe, ich würde jetzt gern Madame Polsunkowa sehen!«
»Gestatten Sie die Frage: wie hieß denn die Dame, welche Madame Polsunkowa hatte werden sollen?« rief mit dünner Stimme ein junger Mann, der sich zu dem Erzähler durchdrängte.
»Also, erstes Kapitel, meine Herren! Es war vor sechs Jahren, im Frühling, am 31. März. Beachten Sie das Datum, meine Herren: am Tage vor …«
»Vor dem 1. April!« rief ein junger Mann mit gebrannten Locken.
»Sie sind außerordentlich scharfsinnig. Es war Abend. Über die Kreisstadt N. senkte sich die Dämmerung herab; der Mond wollte eben auftauchen … na, es war alles, wie es sein mußte. Da also, in dieser späten Dämmerstunde, tauchte auch ich ganz heimlich und sachte aus meinem bescheidenen Heim auf, nachdem ich mich von meiner Großmutter verabschiedet hatte; die alte Frau (jetzt ist sie verstorben) war ganz von der Welt abgeschieden: sie war blind, stumm, taub, dumm, – alles, was Sie nur wollen! … Ich muß bekennen, ich war in großer Angst; denn ich hatte ein großes Unternehmen vor. Das arme Herz pochte mir wie einem jungen Kater, wenn ihn eine knochige Hand am Genick packt.«
»Gestatten Sie, Monsieur Polsunkow!«
»Was wünschen Sie?«
»Erzählen Sie einfacher! Geben Sie sich nicht so viel Mühe mit der Ausmalung!«
»Sehr wohl,« erwiderte Osip Michailytsch etwas verdrossen »Ich trat in Fedosei Nikolaitschs Haus, in sein ehrlich erworbenes Haus. Fedosei Nikolaitsch war bekanntlich nicht mein Kollege, sondern mein verehrter Vorgesetzter. Ich wurde gemeldet und sogleich in sein Arbeitszimmer geführt. Ich glaube noch jetzt alles vor mir zu sehen: das Zimmer war fast ganz dunkel, aber es wurde kein Licht gebracht. Da sah ich, daß jemand eintrat: es war Fedosei Nikolaitsch. Ich blieb mit ihm im Dunkeln …«
»Was sollte denn da zwischen Ihnen beiden vorgehen?« fragte ein Offizier.
»Ja, was meinen Sie wohl?« fragte Polsunkow, indem er sich schnell mit krampfhaft zuckendem Gesichte an den jungen Mann mit dem gelockten Haar wandte.
»Also, meine Herren, da begab sich nun etwas Seltsames. Das heißt, Seltsames war eigentlich nichts dabei, sondern es war ein Vorgang, wie er hienieden nicht selten ist: ich zog ganz einfach eine Rolle mit Papieren aus der Tasche und er aus der seinigen ein Kuvert mit Reichs- …«
»Reichsbanknoten?«
»Ganz recht, mit Reichsbanknoten, und wir tauschten beides gegeneinander aus.«
»Ich gehe jede Wette ein, daß es sich dabei um Bestechung handelte,« sagte ein gut gekleideter junger Mann mit kurz geschorenem Kopfe.
»Bestechung!« erwiderte Polsunkow. »Ach was! Ein Beamter, der in der Provinz angestellt ist, der muß sich, was man so nennt, die Hände wärmen … am heimischen Herde. Meine Herren, das Vaterland ist unsere Mutter, und wir sind Säuglinge; also müssen wir eben an ihr saugen! …«
Es erscholl ein allgemeines Gelächter.
»Aber glauben Sie mir, meine Herren, ich habe mich nie bestechen lassen,« sagte Polsunkow und ließ einen mißtrauischen Blick über die ganze Versammlung hinschweifen. Ein homerisches, unhemmbares Gelächter aller Anwesenden verschlang Polsunkows Worte.
»Es ist wirklich so, meine Herren …«
Aber hier hielt er inne; er schaute immer noch alle mit einem sonderbaren Gesichtsausdruck an. Vielleicht (wer weiß?), vielleicht kam ihm in diesem Augenblick der Gedanke, daß er ehrenhafter sei als viele aus dieser ganzen ehrenhaften Gesellschaft … Aber sein Gesicht behielt den ernsten Ausdruck bei bis zum Ende der allgemeinen Heiterkeit.
»Also,« begann Polsunkow von neuem, als alle wieder still geworden waren, »obgleich ich mich nie bestechen ließ, beging ich doch diesmal eine Sünde: ich ließ mir von einem bestechlichen Beamten ein Schweigegeld geben, das ich in meine Tasche steckte. Es befanden sich nämlich in meinen Händen gewisse Papiere; wenn ich die an eine höhere Instanz eingesandt hätte, dann wäre es Fedosei Nikolaitsch sehr schlecht ergangen.«
»Da hat er sie also ausgelöst?«
»Ja, das tat er.«
»Hat er denn viel dafür bezahlt?«
»Er bezahlte dafür einen Preis, für den mancher in unserer Zeit sein ganzes Gewissen mit allen Nebenräumen verkaufen würde … wenn er nur überhaupt etwas dafür bekäme. Aber ich war wie mit heißem Dampf abgebrüht, als ich das Geld in die Tasche steckte. Wahrhaftig, ich weiß nicht, wie mir das immer geht, meine Herren; aber ich war halbtot vor Erregung, ich bewegte die Lippen, und die Beine zitterten mir nur so; na, ich fühlte mich schuldig, sehr schuldig; ich machte mir die schwersten Vorwürfe und war nahe daran, Fedosei Nikolaitsch um Verzeihung zu bitten …«
»Na, hat er Ihnen denn verziehen?«
»Ich habe ihn ja gar nicht um Verzeihung gebeten … ich sage ja nur, daß mir damals so zumute war; ich habe ein sehr weiches, warmes Herz. Ich bemerkte, daß er mir gerade in die Augen sah: ›Sie fürchten sich nicht vor Gott, Osip Michailytsch,‹ sagte er. Na, was sollte ich tun? Um des Anstandes willen breitete ich, wie wenn ich über den Vorwurf ganz erstaunt wäre, die Arme auseinander und legte den Kopf auf die Seite. ›Warum meinen Sie,‹ sagte ich, ›daß ich mich vor Gott nicht fürchte, Fedosei Nikolaitsch?‹ … Aber ich redete so nur um des Anstandes willen; in Wirklichkeit wäre ich vor Scham am liebsten in die Erde gesunken. ›So lange sind Sie ein Freund unserer Familie gewesen; wie ein Sohn, kann ich wohl sagen, sind Sie bei uns behandelt worden, und wer weiß, was der Himmel noch sonst vorhatte, Osip Michailytsch! Und nun auf einmal wollten Sie mich denunzieren! Und wie haben Sie jetzt eben an mir gehandelt! Wenn Sie sich so benehmen, was soll man da von der Menschheit denken, Osip Michailytsch?‹ Ganz gehörig las er mir die Leviten. Wissen Sie, es kratzte mich in der Kehle, und die Stimme zitterte mir, na, und ich fühlte schon, daß mir mein weiches Herz wieder einen Streich spielen wollte, und griff nach meiner Mütze. ›Wo wollen Sie hin, Osip Michailytsch? Wollen Sie wirklich am Vorabend eines solchen Tages, wollen Sie wirklich auch jetzt noch mit mir grollen? Womit habe ich mich denn gegen Sie versündigt?‹ ›Fedosei Nikolaitsch,‹ sagte ich, ›Fedosei Nikolaitsch!‹ Na, also ich wurde weich, meine Herren; wie ein nasses Zuckerpüppchen schmolz ich. Und auch das Kuvert mit den Banknoten, das ich in der Tasche hatte, schien mir ordentlich zuzurufen: ›Du Undankbarer, du Räuber, du verfluchter Dieb!‹ Und es zog mich zu Boden, als wenn ein Zentner darin steckte … (Wenn doch in Wahrheit ein Zentner Banknoten darin gewesen wäre!) ›Ich sehe,‹ sagte Fedosei Nikolaitsch, ›ich sehe, daß Sie es bereuen … Sie wissen, morgen …‹ ›Morgen ist Maria Aegyptiaca …‹ ›Na, dann weine nicht,‹ sagte Fedosei Nikolaitsch. ›Hör auf; du hast gesündigt und es bereut! Komm mit! Vielleicht gelingt es mir,‹ sagte er, ›dich wieder auf den rechten Weg zurückzuführen … Vielleicht erwärmen meine bescheidenen Penaten‹ (ich erinnere mich noch ganz genau: ›Penaten‹, so drückte er sich aus, der Räuber) ›wieder dein verhärtetes … nein, das will ich nicht sagen, dein verirrtes Herz …‹ Er nahm mich bei der Hand, meine Herren, und führte mich zu seiner Familie. Es lief mir kalt über den Rücken; ich zitterte nur so! Ich dachte: ›Mit welchem Gesichte soll ich nur vor sie hintreten? …‹ Aber nun müssen Sie wissen, meine Herren, daß … wie soll ich mich nur ausdrücken? … daß da noch so eine heikle Sache passiert war!«
»Nun kommt wohl Madame Polsunkowa?«
»Es handelt sich um Marja Fedosejewna; aber allerdings war es ihr nicht vom Schicksal bestimmt, durch die Ehe den Namen zu erlangen, den Sie soeben aussprachen; auf diese Ehre spitzte sie sich vergebens. Sehen Sie, Fedosei Nikolaitsch hatte ganz recht, wenn er sagte, ich sei in seinem Hause beinah wie ein Sohn behandelt worden. So war das noch ein halbes Jahr vorher gewesen, als noch ein gewisser Fahnenjunker a. D., namens Michailo Maximytsch Dwigailow, gelebt hatte. Der war indessen nach Gottes Ratschluß gestorben, und da er die Abfassung eines Testamentes immer auf die lange Bank geschoben hatte, so war nach seinem Tode keins zu finden. Es war für mich ein recht übles Ding, daß ich nun völlig leer ausging; nämlich obgleich ich nie zu dem Fahnenjunker a. D. hatte ins Haus kommen dürfen (er lebte auf großem Fuße, weil er früher lange Finger gemacht hatte!), so hatte er sich doch vielleicht nicht geirrt, wenn er mich für seinen leiblichen Sohn gehalten hatte.«
»Aha!«
»Ja, so war das! Nun, seit dessen Tode wurde ich bei Fedosei Nikolaitsch sehr kühl behandelt. Ich bemerkte das sehr wohl, harrte aber doch aus. Aber da auf einmal kam zu meinem Unglück (oder vielleicht auch zu meinem Glücke!) ein Remonteoffizier in unser Städtchen hereingeschneit. Er hatte in seinem Wesen allerdings so etwas Leichtbewegliches, Kavalleristisches; aber in Fedosei Nikolaitschs Familie faßte er doch festen Fuß; als wenn er da angewachsen wäre. Ich war völlig abgesetzt; da nahm ich nach meiner üblen Gewohnheit Fedosei Nikolaitsch beiseite und sagte zu ihm: ›So und so, Fedosei Nikolaitsch; womit habe ich diese Kränkung verdient? Ich benehme mich gewissermaßen schon als Sohn gegen Sie; wann werde ich denn von Ihnen eine väterliche Behandlung erfahren?‹ Da fing er nun an, mir zu antworten, meine Herren! Das heißt, er fing an zu reden, daß es wie ein langes Gedicht in zwölf Gesängen klang, ordentlich wie in Versen; man konnte nur zuhören und entzückt sein und die Arme vor Vergnügen ausbreiten. Aber Sinn und Verstand war nicht für einen Dreier darin; d. h. was eigentlich der Sinn war, konnte man nicht herauskriegen; man begriff es einfach nicht und stand da wie ein Narr; wie in einen Nebel hüllte er einen ein; wie ein Aal wand er sich und entschlüpfte einem; na, das war eben bei ihm ein Talent, geradezu ein Talent, eine besondere Gabe, so daß man es ordentlich mit der Angst bekam. Ich versuchte nun alles mögliche: ich schleppte ihr Romane heran, brachte ihr Konfekt, sann mir Witzchen aus, ächzte und stöhnte, ›das Herz‹, sagte ich, ›tut mir so weh, von Liebe tut es mir weh‹, und Tränen vergoß ich und machte ihr eine heimliche Liebeserklärung! Ja, der Mensch ist zu dumm! Aber ich kam damit nicht vorwärts; von allen Seiten bekam ich nur Hohn und Spott zu hören. Na, da packte mich denn der Grimm, ordentlich an der Kehle faßte er mich; ich blieb still fort und nahm mir vor, in dieses Haus nie wieder einen Fuß zu setzen. Und wuppdich, da kam mir der Gedanke, eine Denunziation einzureichen! Nun ja, es war eine gemeine Handlungsweise von mir, ich wollte einen Freund denunzieren, ich gestehe es; aber es war viel belastendes Material vorhanden, und ausgezeichnetes Material war es; es wäre ein großartiger Prozeß geworden! Tausendfünfhundert Rubel trug mir die Sache ein, als ich für das Anklagematerial Banknoten eintauschte!«
»Aha, da haben wir das Schweigegeld!«
»Ja, mein Herr, es war ein Schweigegeld, das mir ein bestechlicher Beamter zahlte! Aber das ist doch keine Sünde; nein, eine Sünde ist das wirklich nicht. Nun, aber jetzt will ich in meiner Erzählung fortfahren. Er zog mich also, wenn Sie sich erinnern wollen, mit sich in das Teezimmer; ich war mehr tot als lebendig. Man begrüßte mich; alle waren gewissermaßen gekränkt, d. h. nicht eigentlich gekränkt, sondern mehr betrübt, so daß es einfach nicht zum Ertragen war. Eine Niedergeschlagenheit, eine tiefe Niedergeschlagenheit; und dabei doch auf den Gesichtern ein so würdiger Ernst, und in den Blicken etwas Gemessenes, so etwas Elterliches, Verwandtschaftliches … der verlorene Sohn kehrte zu ihnen zurück, das war die Situation! Wir setzten uns zum Tee hin; aber mir war zumute, als hätte ich selbst einen Samowar in der Brust; es siedete in mir, aber die Füße waren mir wie Eis; ich machte mich ganz klein und verging vor Angst! Marja Fominischna, seine Gattin, die Frau Hofrat (jetzt ist sie Frau Kollegienrat), begann mich gleich von vornherein zu duzen. ›Du siehst ja so schlecht aus, lieber Freund,‹ sagte sie. ›Es ist nichts Besonderes,‹ erwiderte ich, ›ich bin nicht ganz wohl, Marja Fominischna.‹ Und wie ich das sagte, zitterte mir die Stimme. Aber sie setzte mir ohne weiteres die Schrauben an, das schändliche Weib: ›Offenbar hat dich dein Gewissen gepeinigt, lieber Osip Michailytsch,‹ sagte sie. ›Unser Brot und Salz, das du wie ein Verwandter bei uns genossen hast, hat zum Himmel geschrien! Meine blutigen Tränen sind auf deine Seele gefallen!‹ Wahrhaftig, so sagte sie, gegen ihr eigenes Gewissen! Das lag so in ihrem Wesen; ein schlaues Weib! Sie saß also da und goß den Tee ein. Ich dachte bei mir: ›Wenn du auf dem Markt wärest, meine Verehrteste, würdest du alle Marktweiber mit deinem Mundwerke schlagen.‹ Ja, so eine war sie, unsere Frau Hofrat! Aber in diesem Augenblicke kam zu meinem Unglück Marja Fedosejewna, die Tochter, herein, mit dem ganzen Reize ihrer Unschuld geschmückt, aber etwas blaß, mit geröteten Augen wie von Tränen, – und ich Dummkopf war sofort ganz hin. Später stellte sich aber heraus, daß sie die Tränen wegen des Remonteoffiziers vergossen hatte: der hatte sich nach seinem Wohnort davongemacht und war rechtzeitig verduftet; denn wissen Sie (ich muß das jetzt bei dieser Gelegenheit bemerken), es war für ihn Zeit, wegzufahren, hohe Zeit; nicht in dienstlicher Hinsicht, sondern anderweitig … die teuren Eltern merkten es erst nachher und erfuhren das ganze Geheimnis; aber was war zu machen, sie reparierten den Schaden ganz in der Stille, – es handelte sich um einen Familienzuwachs! … Also, als ich sie erblickte, da war ich verloren, einfach verloren; ich schielte nach meinem Hute, wollte ihn ergreifen und mich so schnell wie möglich davonmachen; aber das gelang mir nicht; man schaffte meinen Hut beiseite. Offengestanden, ich wollte schon ohne Hut weggehn; auch das ging nicht; sie schlossen die Tür zu. Nun erhob sich ein freundliches Gelächter, sie winkten einander mit den Augen zu, sie scherzten; ich wurde ganz verlegen, redete irgendwelchen Unsinn, schwatzte von Liebe. Sie, mein liebes Täubchen, setzte sich ans Klavier und sang im Tone tiefster Kränkung das Lied von dem Husaren, der sich auf seinen Säbel stützt; das gab mir vollends den Rest! ›Na,‹ sagte Fedosei Nikolaitsch, ›alles sei vergessen; komm, komm … in meine Arme!‹ Ich warf mich ohne weiteres mit dem Gesichte gegen seine Weste. ›Du mein Wohltäter, mein leiblicher Vater!‹ sagte ich. Die heißen Tränen stürzten mir aus den Augen! Herr mein Gott, was gab es nun für eine Szene! Er weinte, seine Frau weinte, Marja weinte. Da war noch so eine hellblonde Frauensperson, die weinte auch … ja, aus allen Ecken kamen die Kinder hervorgekrochen (Gott hatte sein Haus mit Nachkommenschaft gesegnet!) und fingen ebenfalls an zu heulen … Es flossen eine Unmenge von Tränen, d. h. Tränen der Rührung; alle freuten sich maßlos, daß sie den verlorenen Sohn wiederhatten; es war gerade, wie wenn ein Soldat in die Heimat zurückkehrt! Dann wurde das Abendessen aufgetragen; darauf folgten Pfänderspiele: ›Ach, es tut weh!‹ ›Was tut weh?‹ ›Das Herz.‹ ›Wovon?‹ Sie errötete, das süße Kind! Der Alte und ich tranken Punsch; na, als ich wegging, hatten sie mich mit ihren Liebenswürdigkeiten vollständig eingewickelt … Ich ging zurück zu meiner Großmutter. Im Kopfe war es mir ganz wirbelig; auf dem ganzen Heimwege lächelte ich vor mich hin. Zu Hause ging ich zwei geschlagene Stunden lang in meinem Kämmerchen auf und ab; ich weckte die alte Frau und erzählte ihr mein ganzes Glück. ›Hat er dir Geld gegeben, der Räuber?‹ fragte sie. ›Jawohl, jawohl, Großmütterchen, er hat mir Geld gegeben. Das Glück klopft bei uns an; wir brauchen ihm nur das Tor zu öffnen!‹ ›Na, jetzt heirate aber auch; nun heirate aber auch gleich!‹ sagte die Alte zu mir; ›meine Gebete sind erhört!‹ Ich weckte meinen Diener Sofron auf. ›Sofron,‹ sagte ich, ›zieh mir die Stiefel aus!‹ Sofron tat es. ›Na, Sofron,‹ sagte ich, ›jetzt gratuliere mir und küsse mich! Ich heirate; wirklich, Brüderchen, ich heirate. Du kannst dich morgen betrinken und amüsieren, guter Kerl,‹ sagte ich; ›dein Herr heiratet!‹ Mein Herz war voll Freude und Lustigkeit! … Ich war schon nahe am Einschlafen; aber es trieb mich wieder auf die Beine; ich setzte mich auf den Bettrand und dachte nach. Auf einmal fuhr mir ein Gedanke durch den Kopf: morgen ist ja der erste April; das ist so ein munterer, spaßhafter Tag. Und da sann ich mir etwas aus! Also, meine lieben Herren, ich stand vom Bette auf, zündete ein Licht an und setzte mich so, wie ich war, im Nachtzeuge an den Schreibtisch. Nämlich ich hatte alle ruhige Überlegung verloren und war in einen blinden Eifer hineingeraten; wissen Sie, meine Herren, ebenso wie wenn jemand beim Spiel in Rage kommt! Kopfüber stürzte ich mich in den Sumpf, Herr du mein Gott! Manch einer hat das so in seinem Wesen: die Leute nehmen ihm etwas weg, und er gibt ihnen freiwillig noch etwas anderes dazu; ›da nehmt auch das noch!‹ sagt er. Sie geben ihm eine Ohrfeige, und er hält ihnen mit Vergnügen den ganzen Rücken hin. Und dann locken sie ihn wie einen Hund mit einem Stück Semmel, und er liebkost sie von ganzem Herzen mit seinen dummen Pfoten und leckt ihnen die Hände! So steht's mit mir zum Beispiel auch gerade jetzt, meine Herren! Sie lachen und flüstern, das sehe ich recht wohl; und nachher, wenn ich Ihnen meine ganze Geschichte erzählt haben werde, werden Sie mich auslachen und verspotten. Aber ich erzähle sie Ihnen trotzdem! Na, wer hat es mir befohlen? Wer treibt mich dazu? Wer steht hinter mir und flüstert mir zu: ›Rede, rede, erzähle!‹ Niemand. Aber ich rede und erzähle und schließe Ihnen mein ganzes Herz auf, als ob Sie meine leiblichen Brüder und intimsten Freunde wären … o weh! …«
Das Gelächter, das auf allen Seiten allmählich immer stärker geworden war, übertönte schließlich vollständig die Stimme des Erzählers, der tatsächlich in eine Art von Begeisterung hineingeraten war; er hielt inne und ließ seine Augen ein Weilchen über die Versammlung hinschweifen; dann war es, als würde er in diesen Sturm der Heiterkeit mit hineingerissen; er machte eine Handbewegung, mit der er gleichsam alles Trübe hinter sich warf, und lachte selbst laut los, wie wenn er wirklich seine Lage sehr lächerlich fände. Hierauf begann er von neuem zu erzählen:
»In jener Nacht kam ich kaum zum Schlafen, meine Herren; fast die ganze Nacht hindurch schrieb ich. Sehen Sie, ich hatte mir einen Spaß ausgedacht! Ach, meine Herren, schon bei der bloßen Erinnerung schäme ich mich. Mußte ich mich da in der Nacht hinsetzen und in meiner Trunkenheit verrücktes, erlogenes Zeug hinschreiben! Am Morgen erwachte ich bei Tagesgrauen; ich hatte nur eine oder zwei Stunden geschlafen; und das dafür, dafür! Ich zog mich an, wusch mich, kräuselte mir das Haar, pomadisierte mich, zog meinen neuen Frack an und begab mich geradeswegs zu Fedosei Nikolaitsch, um ihm zum Feste Glück zu wünschen. Beim Eintritt hielt ich mein Schriftstück im Hute. Er empfing mich mit offenen Armen und wollte mich wieder an seine väterliche Weste ziehen. Ich aber nahm eine würdevolle Haltung an, obwohl mir der Kopf noch vom vorhergehenden Tage ganz wüst war, und trat einen Schritt zurück. ›Nein, Fedosei Nikolaitsch,‹ sagte ich; ›sondern lesen Sie, wenn es Ihnen gefällig ist, dieses Schriftstück durch!‹ und mit diesen Worten überreichte ich es ihm. Und wissen Sie, was darin stand? Es stand darin, aus dem und dem Grunde bitte ein gewisser Osip Michailytsch um seine Entlassung aus dem Amte; und unter dem Gesuche hatte ich mich mit Namen und Titel unterschrieben! Das war's, was ich mir ausgedacht hatte, o Gott! Etwas Klügeres hatte mir nicht einfallen wollen! Mein Gedanke war dabei der gewesen: heute ist der erste April; da will ich mich also spaßeshalber so stellen, als sei meine feindselige Stimmung gestern doch nicht endgültig behoben worden, als hätte ich mich über Nacht anders besonnen und sei nun noch grimmiger und feindseliger als vorher und spräche gewissermaßen: ›Da habt ihr's, meine teuren Wohltäter; ich will weder von euch noch von eurer Tochter mehr etwas wissen. Das Geld habe ich gestern in meine Tasche gesteckt, so daß ich für einige Zeit versorgt bin; darum reiche ich jetzt meinen Abschied ein. Ich habe keine Lust, unter einem solchen Vorgesetzten wie Fedosei Nikolaitsch länger zu dienen! Ich will mir ein anderes Amt suchen, und paßt mal auf, dann werde ich die Denunziation doch einreichen!‹ Als einen solchen Schurken stellte ich mich hin; ich wollte sie erschrecken! Und ich hatte mir allerdings etwas ausgedacht, worüber sie arg erschrecken mußten! Nicht wahr? Fein, meine Herren! Das heißt in Wirklichkeit war mein Herz seit dem vorhergehenden Tage wieder durchaus freundlich gegen sie gesinnt, und da wollte ich nun so einen kleinen Scherz machen, wie er unter Familienmitgliedern üblich ist, und Fedosei Nikolaitschs väterliches Herz ein bißchen necken …
Kaum hatte er mein Schriftstück hingenommen und es auseinandergefaltet, da sah ich auch, wie sein ganzes Gesicht in Bewegung geriet. ›Was soll das heißen, Osip Michailytsch?‹ fragte er. Und ich Dummkopf rief: ›April! April! Ich gratuliere Ihnen zum Feste, Fedosei Nikolaitsch!‹ Ich hatte es ganz wie ein kleiner Junge gemacht, der sich hinter dem Lehnstuhl seiner Großmutter still versteckt hat und ihr dann, um sie zu erschrecken, auf einmal laut ins Ohr schreit. Ja … man schämt sich, es zu erzählen, meine Herren! Aber nein! Ich will nicht weiter erzählen!«
»Nicht doch! Was begab sich weiter?«
»Nein, nein, erzählen Sie nur! Erzählen! Erzählen!« wurde von allen Seiten gerufen.
»Darauf, meine Herren, wurde über meinen Streich geredet, mit zahllosen Ausrufen des Erstaunens und der Verwunderung. Ich war ein Schelm und ein Spaßvogel und hatte sie so erschreckt! Und das alles klang so liebenswürdig, daß ich mich selbst schämte und voll Angst dachte: ›Wie kann nur ein solcher Sünder wie ich einen so heiligen Platz für sich in Anspruch nehmen!‹ ›Nun, lieber Freund,‹ sagte die Hofrätin, ›du hast mir einen solchen Schreck eingejagt, daß mir bis jetzt noch die Beine zittern und ich mich kaum auf den Füßen halten kann. Ich lief halb von Sinnen zu Marja. »Marja,« sagte ich, »was wird aus uns werden! Sieh nur, als was für ein Charakter sich dein Verlobter entpuppt!« So sündhaft redete ich, lieber Freund; verzeih nur schon mir alten Frau; ich habe mich mit meinem Urteil blamiert! Nun, ich dachte eben: als er gestern von uns wegging und spät nach Hause kam, da hat er über alles noch einmal nachgedacht, und es hat ihm vielleicht so geschienen, als hätten wir ihm gestern absichtlich den Hof gemacht und ihn für uns gewinnen wollen; ich wurde ganz starr bei diesem Gedanken! Laß nur, Marja, du brauchst mir nicht zuzuwinken; Osip Michailytsch ist uns kein Fremder, und ich bin deine Mutter und werde schon nichts Schlimmes sagen! Gott sei Dank, ich lebe ja nicht erst zwanzig Jahre auf der Welt, sondern ganze fünfundvierzig! …«‹
Nun, was meinen Sie, meine Herren? Ich wäre ihr nach diesen Worten beinah zu Füßen gestürzt! Wieder folgten Tränen und Küsse! Auch kleine Scherze wurden gemacht. Fedosei Nikolaitsch dachte sich ebenfalls ein Aprilspäßchen aus: er erzählte, der Vogel Phönix sei angeflogen gekommen, mit einem Schnabel von Brillanten, und in diesem Schnabel habe er einen Brief gebracht! Mit dieser Geschichte wollte Fedosei Nikolaitsch seinerseits uns anführen! Darüber wurde viel gelacht! Es herrschte eine so gerührte Stimmung! Pfui Teufel! Es ist eine Schande, das zu erzählen!
Also, meine verehrten Herren, jetzt nähert sich meine Geschichte ihrem Ende. So verlebten wir einen Tag, den zweiten, den dritten, eine ganze Woche; ich war bereits endgültig Marjas Bräutigam. Die Ringe waren bestellt, der Tag für die Verlobungsfeier angesetzt; nur sollte die Verlobung einstweilen nicht veröffentlicht werden, weil ein Revisor erwartet wurde. Ich für meine Person konnte seine Ankunft kaum erwarten, weil mit ihr auch mein Glück verzögert wurde. Fedosei Nikolaitsch aber wälzte ganz im stillen und mit großem Vergnügen alle Arbeit auf meine Schultern ab: die Berechnungen auszuführen, Berichte zu schreiben, die Bücher zu kontrollieren, die Abschlüsse zu machen, – ich sah bald: es herrschte eine gräßliche Unordnung, alles war in wüstem Zustande, überall Mängel und Anstöße! ›Na,‹ dachte ich, ›willst für deinen Schwiegervater tüchtig arbeiten!‹ Aber der kränkelte jetzt fortwährend; es bildete sich eine ernstliche Krankheit heraus; von Tag zu Tag wurde es schlimmer mit ihm. Ich selbst aber war von der vielen Arbeit dünn geworden wie ein Streichholz; ich saß die Nächte über auf und fürchtete umzufallen. Indessen brachte ich die Arbeit doch rechtzeitig und in guter Ausführung zu Ende und half so meinem Schwiegervater aus der Klemme. Auf einmal schickten sie einen Boten zu mir, der mich holen sollte. ›Komm so schnell wie möglich!‹ ließen sie sagen; ›mit Fedosei Nikolaitsch steht es schlecht.‹ Ich lief Hals über Kopf hin, um zu sehen, was denn mit ihm wäre. Als ich hinkam, saß er da, ganz umwickelt, Essigumschläge auf dem Kopfe, machte ein kummervolles Gesicht und ächzte und stöhnte. ›Mein teurer Freund, mein lieber Sohn,‹ sagte er, ›ich sterbe; wer wird sich euer annehmen, meine Lieben?‹ (Seine Frau und seine Kinder standen dabei, Marja in Tränen; na, und ich selbst weinte ebenfalls.) ›Aber Gott wird barmherzig sein,‹ sagte er; ›er wird euch nicht für meine Sünden heimsuchen!‹ Dann schickte er sie alle hinaus und ließ hinter ihnen die Tür zumachen, so daß ich mit ihm allein, unter vier Augen, blieb. ›Ich habe eine Bitte an dich.‹ ›Was für eine denn?‹ ›So und so, lieber Freund; auch auf dem Sterbebette habe ich keine Ruhe; ich bin in großer Geldnot!‹ ›Wie geht denn das zu?‹ Das Blut stieg mir in den Kopf, und die Zunge versagte mir den Dienst. ›Ja, siehst du, lieber Freund, ich muß von meinem eigenen Gelde in die Staatskasse legen, und wo es sich um das Gemeinwohl handelt, tut mir ja auch das Geld nicht leid; selbst mein Leben schone ich nicht. Glaube nichts Schlechtes von mir! Es ist mir ein großer Schmerz gewesen, daß mich Verleumder bei dir angeschwärzt hatten … Du hast dich verführen lassen; der Gram hat seitdem mein Haar gebleicht. Der Revisor ist jeden Augenblick zu erwarten, und in Matwejews Kasse ist ein Defizit von siebentausend Rubeln, und ich muß dafür einstehen … wer auch sonst? Von mir, lieber Freund, wird man das Geld verlangen: »Wozu hast du die Oberaufsicht gehabt?« wird es heißen. Von Matwejew ist ja nichts zu bekommen! Der hat schon so seine liebe Not; wie kann ich den armen Kerl ins Unglück stürzen?‹ ›All ihr Heiligen,‹ dachte ich, ›ist das ein rechtlich denkender Mann! Welch eine edle Seele!‹ Und er fuhr fort: ›Ja, das Geld, das ich meiner Tochter als Mitgift bestimmt habe, will ich nicht angreifen; das ist eine heilige Summe! Ich habe ja auch eigenes Geld, gewiß; aber das ist an Leute ausgeliehen, von denen es nicht so plötzlich zurückzuerhalten ist.‹ Wie ich dastand, warf ich mich, bums, vor ihm aus die Knie. ›Mein Wohltäter,‹ rief ich, ›ich habe dich gekränkt, ich habe dich beleidigt; Verleumder hatten häßliche Schriftstücke gegen dich abgefaßt; geh nicht zu streng mit mir ins Gericht; nimm dein Geld zurück!‹ Er blickte mich an, und die Tränen liefen ihm aus den Augen. ›Das hatte ich von dir erwartet, mein Sohn,‹ sagte er; ›stehe auf! Damals habe ich dir um der Tränen meiner Tochter willen verziehen; jetzt verzeiht dir auch mein eigenes Herz. Du hast Balsam in meine Wunden gegossen. Ich segne dich für dein ganzes Leben!‹ Na also, als er mich gesegnet hatte, meine Herren, da lief ich, so schnell ich nur konnte, nach Hause und holte das Geld. ›Hier, Väterchen,‹ sagte ich, ›hier ist alles; nur fünfzig Rubel habe ich davon genommen!‹ ›Nun,‹ erwiderte er, ›das darf man jetzt nicht so genau nehmen; die Zeit drängt; schreibe eine Eingabe mit einem zurückliegenden Datum, du wärest in Geldnot und bätest um einen Gehaltsvorschuß von fünfzig Rubeln. Ich werde dann als Vorgesetzter im Ausgabetitel angeben, daß du den Vorschuß erhalten hast …‹ Na schön, meine Herren! Was meinen Sie? Ich schrieb auch die Eingabe! …«
»Nun, und weiter?«
»Na, was dann?«
»Na, wie endete denn die Geschichte?«
»Sobald ich die Eingabe geschrieben hatte, meine lieben Herren, ging die Geschichte folgendermaßen zu Ende. Am nächsten Tage frühmorgens erhielt ich einen Brief mit dem Amtssiegel. Ich öffnete ihn, und was fand ich darin? Meine Entlassung! Es hieß darin, ich solle meine Akten abgeben, meine Rechnungen abschließen, und dann möge ich gehen, wohin ich wolle!«
»Wie ging denn das zu?«
»Ja, meine lieben Herren, ich habe damals selbst aus voller Kehle geschrien: ›Wie geht denn das zu?‹ Es sauste mir in den Ohren, und das Herz krampfte sich in meiner Brust zusammen. Wie ich ging und stand, lief ich zu Fedosei Nikolaitsch. ›Was ist das?‹ sagte ich. ›Nun, was denn?‹ erwiderte er. ›Das ist ja meine Entlassung.‹ ›Nun ja, ganz richtig, das ist Ihre Entlassung.‹ ›Aber wie geht denn das zu? Habe ich etwa darum nachgesucht?‹ ›Aber gewiß! Sie haben ja eine Eingabe gemacht; am ersten April haben Sie eine Eingabe gemacht.‹ (Ich hatte das Schriftstück damals nicht wieder an mich genommen.) ›Fedosei Nikolaitsch, ich traue meinen Augen und Ohren nicht; ich erkenne Sie gar nicht wieder!‹ ›Mich? Was soll das heißen‹ ›Herr du mein Gott! Es tut mir leid, mein Herr, sehr leid, daß Sie sich dafür entschieden haben, so früh aus dem Dienste auszuscheiden. Ein junger Mann muß ein Amt verwalten; aber Sie, mein Herr, haben in neuerer Zeit wohl allerlei windige Gedanken im Kopfe. Was aber ein Zeugnis über Ihre dienstliche Tätigkeit anlangt, so mögen Sie deswegen unbesorgt sein; ich werde Ihnen ein solches ausstellen. Sie haben sich ja auch stets so gut geführt.‹ ›Aber ich habe es ja damals nur im Scherz getan, Fedosei Nikolaitsch; ich wollte es ja gar nicht; ich gab Ihnen das Schriftstück bloß so, um Ihrem väterlichen Herzen … ja …‹ ›Was soll das heißen, mein Herr: »Im Scherz?« Scherzt man denn etwa mit solchen Schriftstücken? Für solche Scherze können Sie noch einmal nach Sibirien spediert werden. Jetzt leben Sie wohl; ich habe keine Zeit mehr; bei uns ist der Revisor angekommen; die dienstlichen Pflichten gehen allem andern vor. Sie können ja jetzt faulenzen; aber wir müssen bei der Arbeit sitzen. Aber ein Zeugnis werde ich Ihnen ausstellen, wie es in der Ordnung ist. Und noch eins: ich habe Matwejews Haus gekauft, und wir ziehen nächster Tage dorthin um; ich hoffe also, daß ich nicht das Vergnügen haben werde, Sie in meiner neuen Wohnung zu sehen. Leben Sie wohl!‹ Ich stürmte nach Hause. ›Großmutter!‹ rief ich, ›wir sind verloren!‹ Die gute Seele fing an zu heulen; indem kam ein kleiner Laufdiener von Fedosei Nikolaitsch zu uns mit einem Briefchen und einem Vogelbauer, in dem ein Star saß; diesen Star hatte ich ihr vor kurzem im Überschwange meiner Zärtlichkeit geschenkt. In dem Briefchen stand: ›Der erste April!‹ und weiter kein Wort. Na, so etwas, meine Herren; wie denken Sie darüber?«
»Na, was denn? Was geschah denn nun weiter?«
»Was sollte denn noch weiter geschehen? Ich begegnete einmal Fedosei Nikolaitsch und wollte ihm ins Gesicht sagen, daß er ein Schurke sei …«
»Na, und?«
»Ich weiß nicht, ich konnte es nicht herausbringen, meine Herren!«