Hans Dominik
Wunder des Schmelztiegels
Hans Dominik

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Keramik

Der Töpferton heißt auf griechisch keramos. Keramik nennt man daher die Technik, die aus plastischen Tonen und Lehmen Gefäße formt und sie in der Glut eines scharfen Feuers hart brennt. Uralt ist diese Technik, viel älter als die Metallurgie; denn unter den Funden aus der mittleren Steinzeit sind Bruchstücke irdener Gefäße in beträchtlicher Zahl vorhanden, und aus den Gräberfeldern der jüngeren Steinzeit hat man Hunderte von tönernen Urnen geborgen.

Die Uranfänge der Keramik sind in Dunkel gehüllt; in den Legenden vieler Völker erscheint ein Gott selbst als Töpfer, in richtiger Erkenntnis der Tatsache, daß diese Kunst für die Menschheit in Wahrheit ein göttliches Geschenk gewesen ist. Vielleicht verdankt sie ihre Entstehung einem Zufall; kann es doch sehr wohl so gewesen sein, daß der Urmensch seine rohgeflochtenen Körbe, in denen er die Körner der wilden Getreidearten aufbewahrte, mit einer fettigen Erdart, einem Lehm oder Ton ausschmierte, um sie dicht zu machen und Verluste des darin befindlichen Gutes zu vermeiden. Weiter kann ein derart gedichteter Korb zu nahe an das Feuer gekommen und in Brand geraten sein. Das Korbgeflecht war danach verascht und verschwunden, aber der Ton war in der Glut erhärtet. Er bewahrte seine Form auch ohne das schützende Geflecht, und damit war die Keramik erfunden.

In unvordenklichen Zeiten mag das geschehen sein, vielleicht vor 50 000, ja 100 000 Jahren. Wir wissen nicht, wo es geschah und von welcher Stelle die Keramik sich über die Erde verbreitet hat. Ungelöst ist auch heute noch das Rätsel jenes alten Töpferzeichens, der Svastika oder des Hakenkreuzes, das sich in gleicher Form ebenso auf den in Europa und in den Steppen Asiens wie auf den im südamerikanischen Feuerland gefundenen Scherben findet. Doch die Vermutung wird durch dies Zeichen bestärkt, daß alle Keramik von einer Stelle ihren Ursprung genommen hat.

Durch die Jahrtausende und Jahrzehntausende hindurch hat menschlicher Erfindungsgeist unaufhörlich an der Verbesserung der keramischen Technik gearbeitet, und ebenso alt wie der Spinnwirtel dürfte vielleicht die Töpferscheibe sein, eine waagerechte, um eine senkrechte Achse drehbare Scheibe, auf der man aus der plastischen Töpfererde nun genau runde Gefäße formen konnte. Daß sie schon in prähistorischer Zeit in Gebrauch gewesen ist, geht aus den Urnenfunden mit Sicherheit hervor.

Ein Blick auf die lange Entwicklung von der Urzeit bis auf unsere Tage läßt in der Hauptsache vier Stufen unterscheiden. Sie beginnt mit einer Töpferware aus farbigem, saugendem Scherben ohne Glasur, wie wir sie etwa heute noch in unseren Blumentöpfen haben. Zu dieser untersten Stufe der Keramik gehören auch noch die antiken griechischen und römischen Vasen, so schön sie auch in ihrer Formgebung sind und so künstlerisch vollendet auch ihre Bemalung sein mag. Sie saugen sich mit der in sie gefüllten Flüssigkeit voll. In den warmen Mittelmeerländern mag das noch nicht einmal als Nachteil empfunden worden sein, weil die Flüssigkeit an der Außenfläche der Gefäße ständig verdunstet und dadurch eine merkliche Abkühlung erfährt. Trotzdem konnte ein derartiges keramisches Erzeugnis auf die Dauer nicht befriedigen, und so bringt eine weitere, vielleicht auch dem Zufall zu verdankende Erfindung den nächsten großen Fortschritt. Es ist die Glasur, eine glasartige Masse, die im Brande schmilzt und den Scherben als eine glänzende dünne Haut bedeckt. Keramische Erzeugnisse dieser Art sind beispielsweise die heute noch in den Küchen gebräuchlichen braunglasierten Geschirre. Wirklich vollkommen ist auch dies Produkt noch nicht, da die Glasur häufig haarrissig ist und dann den porösen, saugenden Scherben nicht völlig schützt.

Die dritte Stufe der Keramik wird in Europa um die Wende vom dreizehnten zum vierzehnten Jahrhundert beschritten, als man eine reinweiße Farbe der Erzeugnisse erstrebt. Auf zwei verschiedenen Wegen wird das Ziel erreicht. Es entstehen einmal Tonwaren aus farbigem, saugendem Scherben und einer weißen Zinnglasur. Die wertvollsten dieser Erzeugnisse sind als Majolika und als Fayence bekannt, so benannt nach ihren Herstellungsorten, der spanischen Insel Mallorca und der italienischen Stadt Faenza. Das andere Verfahren arbeitet mit einem weißbrennenden Ton. So entsteht ein weißer saugender Scherben, auf den nun eine durchsichtige Glasur gelegt wird. Die derart gewonnenen Erzeugnisse gehen unter dem Namen Steingut und finden als ein verhältnismäßig billiges Gebrauchsgeschirr seit der Mitte des 18. Jahrhunderts vielfache Verwendung. Wenn diese dritte Stufe der Keramik auch zweifellos einen wesentlichen Fortschritt zumal in ästhetischer Hinsicht bedeutet, so ist es doch noch nicht möglich, eine völlig haarrißfreie Glasur zu schaffen und damit die Nachteile des saugenden Scherbens grundsätzlich zu beseitigen.

Erst die vierte Stufe der Keramik bringt den völlig gesinterten Scherben. Die Glut des Brandes wird hier so hoch getrieben, daß die Tonteilchen oberflächlich zusammenschmelzen oder zusammenbacken und damit die Fähigkeit verlieren, Flüssigkeit aufzusaugen. Erst die Erzeugnisse dieser Stufe genügen den hygienischen Anforderungen unserer Zeit. Auch bei dieser Stufe sind wieder zwei Gruppen zu unterscheiden: Erstens Tonwaren aus völlig gesintertem, farbigem Scherben mit durchsichtiger Glasur oder unglasiert. Diese Ware ist als Steinzeug, besonders als rheinisches Steinzeug bekannt und nicht mit dem Steingut zu verwechseln. Nicht nur als Gebrauchsgeschirr, sondern auch in der Elektrotechnik spielt das Steinzeug neben dem Porzellan als hochwertiger Isolierstoff eine wichtige Rolle. Ein Teil der Isolatoren für die Ueberlandleitungen der großen Kraftwerke besteht aus glasiertem Steinzeug.

Die zweite Gruppe dieser vierten Stufe ist durch einen völlig gesinterten, reinweißen, durchscheinenden Scherben gekennzeichnet, der entweder eine durchsichtige Glasur trägt oder unglasiert ist. Das ist das Porzellan, das edelste Erzeugnis der Keramik, das in gleicher Weise die schärfsten hygienischen als auch die höchsten ästhetischen Ansprüche befriedigt. Ermöglicht doch die blütenweiße Grundfarbe die Anwendung von Schmuckfarben höchster Leuchtkraft und schafft damit künstlerische Möglichkeiten, wie sie in dieser Fülle keinem zweiten Werkstoff gegeben sind.

Erfunden wurde das Porzellan etwa im sechsten Jahrhundert nach der Zeitwende im Fernen Osten von den Chinesen, die das Geheimnis seiner Herstellung sorgsam hüteten. Als kostbare Exportware kommt es im 17. Jahrhundert über Indien nach Holland und wird von dort zu phantastischen Preisen an die europäischen Fürstenhöfe weiterverhandelt. Die schönsten Stücke werden buchstäblich mit Gold aufgewogen, und die Holländer ziehen ungeheuren Gewinn aus diesem Geschäft. Im ausgehenden 17. und noch mehr im 18. Jahrhundert bricht in Europa geradezu eine »Porzellanmanie« aus. Jeder Herrscher will sein Porzellankabinett, wenn nicht gar ganze Porzellansäle und Galerien haben, und so bedeutend werden die Summen, die für diese Leidenschaft nach Holland und weiter nach dem Fernen Osten gehen, daß die Kreise der merkantilistischen Wirtschaft dadurch merklich gestört werden. Der oberste Grundsatz dieser Wirtschaft verlangt ja, möglichst alle Gebrauchsgegenstände im eigenen Lande zu erzeugen, so wenig Geld wie möglich dafür über die Grenzen hinausgehen zu lassen.

So setzen schon im 17. Jahrhundert an vielen Stellen Versuche ein, hinter das ostasiatische Geheimnis zu kommen und Porzellan aus einheimischen Stoffen zu erzeugen. Auch der Freiherr von Tschirnhausen hat sich darum bemüht, doch ebenso vergeblich wie alle anderen; was aus ihren Tiegeln und Oefen hervorgeht, ist minderwertig und mit dem echten indianischen Porzellan nicht im entferntesten zu vergleichen. Doch wenn die Lösung auch noch nicht gefunden ist, so hat man doch erkannt, wie wichtig und notwendig es ist, sie endlich zu finden, und die besten Köpfe bleiben um die Entschleierung des Geheimnisses bemüht, das über dem indianischen Porzellan liegt.

Indianisch wird dieses nach Europa eingeführte Porzellan allgemein genannt, weil es die holländischen Kaufleute in ihren ostindischen Kolonien von den chinesischen Händlern einkaufen und weiter nach Europa verfrachten. Wenn es also tatsächlich ein Erzeugnis des Fernen Ostens (China und Japan) ist, bringen es doch ganz allgemein die Holländer unter dieser Bezeichnung zum Kauf; vielleicht um damit den Eindruck zu erwecken, als ob es ein holländisches Kolonialerzeugnis wäre.

 


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