Hans Dominik
John Workmann der Zeitungsboy
Hans Dominik

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14. Kapitel

Heiß und glühend brannte jetzt die Mittagssonne auf die Straße und unter ihren Strahlen schien die gesamte Landschaft wie in tiefer Ermattung zu liegen.

Dicht bei John Workmann begann ein mit Gestrüpp, mannshohen Feldpflanzen, Brombeeren und kleinen Felsblöcken bedecktes Feld, welches sich in kurzer Entfernung an den Wald anschloß.

Die Landstraße, an welcher John Workmann lag, war der von den Indianern in alter Zeit benutzte Kriegspfad, auf dem die ersten Ansiedler von New York aus den Weg durch Connecticut nach dem Westen nahmen. Wie bei einer neuen Völkerwanderung waren Millionen von Auswanderern mit Sack und Pack, mit Tieren und Gerätschaften auf diesem Wege nach dem Westen gezogen, um dort, wie heute John Workmann, ihr Glück zu machen.

Aber seit fünfzig Jahren, seitdem die Eisenbahnen ihre eisernen Schienenwege zum Westen eröffnet hatten, war die Landstraße verödet und wurde nur von den Farmern benutzt.

Unheimliche Rufe schollen plötzlich aus dem Schatten des Waldes. Aber den tiefen, gesunden Schlaf unseres Helden störten sie nicht.

Da teilte sich in nächster Nähe von ihm das dichtverwachsene Unterholz, das sich von dem Walde aus bis halb auf das Feld hinüberzog, und der schreckhafte, mit kriegerischen Farben bemalte Kopf eines jungen Indianers tauchte spähend zwischen dem Gewirr der Blätter hervor.

Vorsichtig wie ein Raubtier lauschte er nach allen Seiten, entdeckte den schlafenden John Workmann und stieß einen leichten Pfiff der Überraschung aus.

Noch einige Male blickte er zu John Workmann, um sich von dessen tiefem Schlaf zu überzeugen, und lauschte, ob sich auf der Straße irgendein Gefährt näherte.

Dann verschwand er wieder im Dickicht.

Wenige Sekunden später schrillten einige langgezogene Pfiffe durch den Wald, denen gleiche Signale von verschiedenen Seiten antworteten.

Nun wurde das Gestrüpp an derselben Stelle, wo der Kopf aufgetaucht, von neuem auseinandergeschoben, und auf dem Bauche kriechend, wie eine Schlange, glitt ein junger Indianer aus dem Walde zu John Workmann herüber.

Fast unhörbar – selbst das Rascheln des Laubes vermeidend – näherte er sich John Workmann.

Sein Oberkörper war unbekleidet und nach indianischer Kriegsart bemalt.

Seine Lederhose war durch einen Riemen um die Hüften festgehalten und im Riemen steckte ein Messer ohne Scheide, während an dem Riemen angeknüpft ein Lasso und eine Lederhülse mit einem halben Dutzend bunter, langer Rohrpfeile hing.

In der Hand hielt er einen großen, starken Bogen.

Bevor er bei John Workmann anlangte, glitten in derselben Weise wie er ein halbes Dutzend gleichalteriger Gefährten aus dem Walde und näherten sich lautlos, einer hinter dem andern, dem von keiner Gefahr träumenden John Workmann.

Nach Indianerart bildeten sie einen großen Kreis um ihn, damit er, falls er vor der Zeit erwache, nach keiner Seite hin flüchten könne.

Da war auf der Landstraße das dumpfe Geräusch herankommender Wagen zu vernehmen.

Sofort blieben die jungen Indianer bewegungslos, wie aus Stein gemeißelt stehen, während einer von ihnen, der scharf nach der Richtung des herankommenden Wagens blickte, den ihn beobachtenden Gefährten ein Zeichen mit der Hand gab, worauf sie alle schnell und lautlos Deckung suchten. Sie besaßen eine große Kunstfertigkeit, sich in vorhandene Erdfurchen, hinter hohe Steine oder niedriges Gestrüpp zu schmiegen, so daß sehr scharfe Augen dazu gehörten, sie zu entdecken.

Der Farmer, welcher jetzt mit einem Wagen auf der Straße dicht bei John Workmann vorüberfuhr, vermochte nichts von den Verborgenen zu sehen.

John Workmann aber hatte in seinem Schlaf bei dem Geräusch des vorüberfahrenden Wagens die traumhafte Empfindung, daß er in den Straßen New Yorks stände und seine Zeitungen unter einer Hochbahn verkaufe, über welche mit donnerndem Geräusch die mit Menschen beladenen Züge dahineilten.

Kaum war der Wagen in der Ferne verschwunden, da krochen die Indianer auf das leise gepfiffene Zeichen eines Pirols wieder zu dem Schläfer und umringten ihn von neuem, so daß es für ihn unmöglich gewesen wäre, sich zu verteidigen oder zu entkommen.

Zwei von ihnen knüpften ihre Lassos von den Lederriemen und, einen gellenden Triumphschrei ausstoßend, warfen sie sich auf den Schläfer, den zu gleicher Zeit ihre Kameraden an Händen und Füßen festhielten und begannen ihn zu fesseln.

Erschrocken – mit weitaufgerissenen Augen – starrte der aus dem Schlafe erwachte John Workmann auf die unheimlichen Gesichter seiner Überwinder.

Dann kam er zur Besinnung und begriff, um was es sich handelte.

Er versuchte, die Angreifer abzuschütteln, und wenn sie ihn nicht bereits gefesselt hätten, würden sie wohl trotz ihrer Überzahl einen harten Kampf mit ihm zu bestehen gehabt haben.

Mit aller Kraft rang er mit ihnen um seine Freiheit und rollte wie ein großer Ball mit den ihn Festhaltenden über den Boden.

Endlich gab er seine Befreiungsversuche auf.

Voller Zorn betrachtete er den jungen Indianer, welcher jetzt zu ihm trat und anscheinend der Führer der kleinen Rotte war.

»Das Blaßgesicht ist in Gewalt der jungen Krieger vom Stamme der Sioux. Das Blaßgesicht möge einsehen, daß es seinen Skalp verloren hat. – Es wird den roten Kriegern zum Lager folgen. Dort wird der Schwarze Adler und seine tapferen Krieger bestimmen, was mit dem Blaßgesicht geschehen soll.«

Wohl zum ersten Male in seinem Leben ballten sich in ohnmächtiger Wut die Fäuste John Workmanns.

Er schaute den Indianer mit blitzenden Augen an und sagte:

»Feige Hunde seid ihr, aber keine tapferen Krieger. Was fällt euch Gesindel ein, hier einige Meilen von New York entfernt einen Überfall auf einen wehrlosen Schläfer zu machen! Der nächste Sheriff wird euch ins Gefängnis bringen, und ich garantiere euch, daß die Prügel, welche ihr für eure Frechheit bekommen werdet, die wohlverdientesten sein werden, die jemals eine Rothaut geschmeckt hat.«

Die Worte John Workmanns entfesselten bei seinen Überwindern ein lautes Gelächter.

Der junge Häuptling gebot Ruhe und sagte:

»Das Blaßgesicht hat Mut. Aber es ist der Mut eines alten Weibes. Es möge seine Tapferkeit am Marterpfahl beweisen. Seine Worte wiegen hier nicht mehr als ein Windhauch über den Gräsern. – Vorwärts – schafft ihn in unser Lager.«

Noch einmal versuchte John Workmann, die ihn umschnürenden Fesseln abzureißen.

Umsonst! Wütend blickte er auf die lächelnden Gesichter der jungen Indianer und rief:

»Ihr seid schlimmer als eine Rotte Bowery-Boys.«

Zwei von den Angreifern packten ihn jetzt an den Armen und zerrten ihn zum Walde. Durch Dick und Dünn führten sie ihn. Oftmals blieben sie stehen und lauschten.

Unzweifelhaft fürchteten sie irgendeine unbekannte Gefahr.

Das gab Workmann neuen Mut.

Falls die Rotte eine Gefahr fürchtete, so mußten irgendwo in der Nähe Menschen sein, die ihm zu Hilfe eilen könnten.

Er begann deshalb von neuem möglichst laut, damit es irgendwelche in der Nähe sich aufhaltende Menschen hörten, zu schimpfen und die Indianer revanchierten sich, indem sie ihm einen Knebel aus einem Taschentuch in den Mund schoben.

Trotzdem gab John Workmann die Hoffnung auf unbekannte Befreier nicht auf.

Hastig arbeitete sein Gehirn und versuchte die seltsame, unheimliche Situation zu begreifen.

Es war das Ungewöhnlichste, was er sich nur denken konnte.

Beinahe unglaublich, denn nur wenige Meilen war New York entfernt und Indianer kannte man dort nur von Schaustellungen her. In der Riesenstadt glaubte man fast überhaupt nicht mehr an die Existenz von Nachkommen der sagenumwobenen roten Kriegsstämme Amerikas. Fast hielt man die Geschichten, welche noch hier und da in den Zeitungen oder Büchern standen und von ihrer Tapferkeit und Grausamkeit berichteten, für Erfindungen der Phantasie.

Vergebens versuchte John Workmann, sich in die Situation hineinzufinden.

Wo kommen die Indianer her?

Wie kam es, daß sie sich in nächster Nähe der größten Stadt Amerikas aufhalten konnten?

Er fand dafür keine Erklärung.

Große moos- und brombeerbewachsene Felsen begannen den Weg, auf welchen ihn die Indianer führten, zu versperren. Immer dichter und urwaldmäßiger wurden die Bäume, dunkler und unwegsamer der Wald.

Schweigsam führten ihn die Indianer, bis es zwischen den Stämmen heller wurde und das Wasser eines großen Sees blinkend auftauchte.

Ein hoher Felsen schob sich aus dem Waldesdickicht bis an das Ufer des Sees.

Seine blanken, kleinen Wellen bespülten den Fuß des Felsens, so daß man bis an die Knöchel durch das Wasser schreiten mußte, wenn man ihn umgehen wollte.

Sobald die kleine Schar sich dem Felsen näherte, erscholl von der Höhe ein lustiger Pfiff des Pirols, den die jungen Indianer mit gleichen Pfiffen beantworteten.

Nun gingen sie durch das Wasser und befanden sich auf einem von hohen Felsen umgebenen kleinen Platz, auf dem John Workmann einige indianische Zelte mit bunter Bemalung auftauchen sah.

Zwischen den Zelten brannten mehrere Lagerfeuer.

Bei dem größten Feuer stand ein Weißer, während bei ihm ein Dutzend junger Indianer am Boden saßen. Sie schälten Maiskolben aus, welche der Weiße, sobald sie gesäubert waren, in einen Kessel mit heißem Wasser warf.

Mit lauten Rufen begrüßten sich die Indianer und betrachteten John Workmann neugierig.

»Hallo, Schwarzer Adler«, rief der Weiße, der ein gegen seine Umgebung merkwürdig abstechendes, weißes Hemd, Tuchhosen und gelbe Sportgamaschen trug, »ist das der Braten, den du für unser Mittagsmahl besorgen wolltest?«

John Workmann sah, daß der Weiße denjenigen Indianer ansprach, welcher sich mit ihm unterhalten hatte.

Dieser erwiderte:

»Der Schwarze Adler fand das Bleichgesicht in seinen Jagdgründen und hat ihn zur Strafe für das unerlaubte Betreten derselben für den Marterpfahl bestimmt.«

Der Weiße, der einzige Erwachsene im Kreise, blickte mit klaren, freundlichen Augen auf John Workmann und sagte:

»Well, mein Boy, ich hoffe, du wirst die jungen Gentlemen entschuldigen. Sie haben sich im Eifer unserer guten Sache, wie ich sehe, zu weit hinreißen lassen.«

John Workmann warf den Kopf in den Nacken und betrachtete mit stolzem Blick den Weißen und die Indianer.

»Ich verstehe Sie nicht, Sir«, begann er, »wie Sie bei dieser Rotte von jungen Rowdies von einer guten Sache sprechen können. Ich denke, diese Sache verdient ein anderes Wort. Ich werde, sobald ich frei bin, den nächsten Sheriff und die Farmer benachrichtigen, damit sie dieses rote Wespennest unschädlich machen und die Jungens in die Reservationen führen, aus denen sie wahrscheinlich ausgebrochen sind.«

In lautes Gelächter brachen die Indianer, wie auch der Weiße aus. Dieses Lachen ergrimmte John Workmann, er wußte wirklich nicht, was die Jungen für eine Ursache hätten, sich über ihn lustig zu machen.

Da trat der Weiße zu ihm und sagte:

»Ich sehe, daß du in einem argen Mißverständnis befangen bist, du hältst die Jungen hier für wirkliche Indianer. Aber sie sind das ebenso wenig wie du oder ich. Wir gehören zu den Scouts.«

»Ich verstehe das nicht, Sir«, erwiderte John Workmann, »ich habe noch nie etwas von Scouts gehört, was heißt das?«

»Ich will es dir erklären, mein Junge, aber vor allen Dingen nehmt eurem Gefangenen die Fesseln ab und erweist ihm Gastfreundschaft.«

Der Schwarze Adler trat sofort zu John Workmann und sagte: »Der große weiße Häuptling, dem wir Gehorsam geschworen haben, bietet dir die Gastfreundschaft an.«

Dann wandte er sich zu einigen umstehenden Kriegern und sagte:

»Nehmt dem Gefangenen die Fesseln ab.«

Sobald das geschehen, dehnte und reckte John Workmann seine kräftige Gestalt und rief:

»Jetzt möchte ich es keinem von euch raten, nochmals mit mir anzubinden. Ich wiederhole, es war eine Feigheit von euch, mich im Schlafe zu überfallen.«

»Keine Feigheit, Blaßgesicht«, erwiderte der Schwarze Adler, »vielleicht lernst du aus unserer Handlungsweise Lebensweisheit. Einen Stärkeren überwindet man stets, wenn er sich nicht wehren kann.«

»Das werde ich mir merken«, sagte John Workmann und erinnerte sich in diesem Moment des alten Werkmeisters, der ihm einmal ähnliches gesagt hatte.

Sicherlich hatte der Schwarze Adler mit seiner Erklärung nicht so unrecht.

»Vor allen Dingen«, sagte John Workmann, indem er zu dem Weißen trat, »möchte ich wissen, mit wem ich es in dieser merkwürdigen Gesellschaft zu tun habe. Sie werden mir zugeben, Sir, daß der Ausdruck ›merkwürdige Gesellschaft‹ auf Sie im vollsten Maße zutrifft. Ich habe noch niemals in New York gehört, daß sich in so naher Entfernung Indianer aufhalten.«

Ein lautes Lachen ertönte von neuem von den Umstehenden und verwirrte John Workmann.

»Du hast immer noch nicht gemerkt«, sagte der Weiße, »daß du es hier nicht mit richtigen Indianern zu tun hast, sondern mit Indianer spielenden Jungen.

Wir gehören zu den New Yorker Boyscouts, und da du von ihnen noch nichts gehört hast, so will ich dir erklären, was das Wort bedeutet. Vor allem aber will ich einmal sehen, ob die Maiskolben, welche wir heute mittag verspeisen wollen, bereits gar sind.«

Er ging zu dem Kessel, einem gewöhnlichen eisernen Feldkessel, welcher an drei eisernen Stangen hing, und prüfte mit spitzem Holzstab die in dem brodelnden Wasser befindlichen Maiskolben.

Nachdem er sich überzeugt, daß sie noch hart seien, wandte er sich wieder zu John Workmann und sagte:

»Nimm Platz, mein Boy. Obwohl es hier in unseren Lagern nicht Sitte ist, sich in gesellschaftlichen Formen vorzustellen, will ich dir doch meinen Namen sagen: – ich heiße Fred Vanderbilt.« –

Einen Moment hielt John Workmann erstaunt den Atem an.

Der Name Vanderbilt war für jeden Amerikaner wie ein Märchenname, wie das Klingen unendlicher Goldberge, wie ein Schlüssel zu dem Reich ungezählter Milliarden.

»Entschuldigen Sie, Sir«, erwiderte John Workmann, »meine Frage soll nicht neugierig klingen, aber es interessiert mich, sind Sie mit dem berühmten Vanderbilt verwandt?«

»Jawohl, mein Junge. Aber das hat nichts zu bedeuten. Vielleicht nennst du mir jetzt deinen Namen, damit ich auch weiß, wer du bist.«

»Ich heiße John Workmann.«

Jetzt war das Erstaunen bei den Jungen.

Nach einigen Sekunden sagte der junge Vanderbilt:

»Also du bist der bekannte John Workmann?«

»Yes, Sir, ich bin John Workmann.«

»Well, dann freuen wir uns, dich kennenzulernen.«

Schweigen trat unter den Jungen ein, als sie den Namen John Workmann hörten, den sie alle aus den Zeitungen kannten. Für viele unter ihnen war er ja ein Vorbild geworden, für das sie im stillen nach Jungenart schwärmten.

Nun sahen sie ihn hier dicht vor sich, hatten ihn im Spiel als Gefangenen in ihr Lager gebracht. Und wie es so häufig im Leben geht, fanden sie, daß er eigentlich ganz anders aussähe, als sie ihn sich vorgestellt hatten.

John Workmann, welcher ihr Schweigen und Anstarren für Mißtrauen hielt, zog aus seiner Brieftasche die Nummer des »Herald« hervor, welche sein Bild enthielt.

»Ihr scheint mir nicht zu glauben, daß ich John Workmann bin. Aber hier könnt ihr mein Bild in der Zeitung sehen.«

Alle Jungen sahen auf das Zeitungsbild, obwohl keiner von ihnen an John Workmann gezweifelt hatte.

Der junge Vanderbilt, welcher neben John Workmann stand, reichte ihm nochmals die Hand und sagte: »Du verstehst uns nicht. Keiner von uns denkt, daß du uns belogen hast. Und nun bitte ich dich, entschuldige den Überfall, den ich mit meinen Freunden ausgeführt habe. Du mußt bedenken, daß ich eigentlich ein Recht habe, jeden Fremden, der sich hier auf den Feldern aufhält, festzuhalten. Du stehst auf dem Eigentum meines Vaters. Doch nun laß uns gute Freunde sein. Wir werden uns alle freuen, wenn du nicht gleich wieder fortgehst, sondern einige Tage bei uns bleibst. Da kannst du sehen, wie wir hier leben, und an unseren Spielen und Arbeiten teilnehmen.«

John Workmanns Zorn war vollständig verflogen.

Jetzt schätzte er sich sogar glücklich, daß die Boys ihn gegen seinen Willen in das Lager gebracht hatten.

Hatte er doch die Bekanntschaft des Angehörigen einer der berühmtesten Familien des Landes gemacht.

Ein zweiter Junge trat auf ihn zu, ein großer, langaufgeschossener Junge, der die übrigen um Kopfeslänge überragte, gab John Workmann die Hand und sagte:

»Es freut mich, daß ich dich kennenlerne, John Workmann. Mein Name ist Fred Harryson. Ich besuche noch die Schule und will Ingenieur werden. In meinem Zelt ist noch ein Platz frei, den biete ich dir für die Tage, die du hier bleiben willst, an.«

»Well, boys«, rief jetzt der Führer, den John Workmann zuerst für den einzigen Weißen gehalten hatte, »die Maiskolben sind gar und ich denke, wir essen unser Mittagbrot.«

So, wie es bei den Naturvölkern Sitte ist, setzten sich die Boys ohne alle Umstände auf den Erdboden, ein Blechtopf mit den Maiskolben wurde in die Mitte gesetzt, ein kleiner Holznapf mit Salz daneben, und mit gesundem Appetit begannen sie alle zu essen.

Selbst für John Workmann, der doch in einfachen, ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen war, war es zuerst ein komisches Gefühl, mit den Händen, ohne Teller, Messer oder Gabel zu essen. Wie anders aber mußte dieser Mangel auf die vornehmen, wohlerzogenen reichen Jungen wirken, die doch von allem Luxus der Welt umgeben aufgewachsen waren.

Aber mit fröhlichen Mienen und zufrieden glänzenden Gesichtern bissen die weißen Zähne der Boys in die Maiskolben und knabberten einen nach dem andern ab.

Nachdem sich alle gesättigt hatten, holten einige von ihnen Früchte und Weißbrot und reichten es als Nachtisch herum.

Dann legten sie sich zur Ruhe nieder.

Zum ersten Male betrat John Workmann ein echtes Indianerzelt.

In derselben Weise wie die Indianer, hatten sich die Jungen aus zusammengestellten Stangen, über welche sie buntbemaltes Segeltuch gespannt hatten, Zelte errichtet.

Oben, wo die Stangen an der Spitze auseinander gingen, hatten sie, um die Zeltöffnung gegen Regen und Wind zu schützen, aus Weidenruten in Pilzform geflochtene Deckel aufgesetzt, genau so, wie es die Indianer auch machten.

In den Zelten waren auf dem Boden aus dicken Mooslagen weiche, bequeme Lager gebildet, über welche Wolldecken gebreitet waren, während an den Zeltstangen allerlei Jagdgerätschaften, Kleider und sonstige Dinge aufgehängt waren.

In der Mitte des Zeltes aber war eine Vertiefung, in welcher die Boys ein Feuer anzünden konnten. Je vier Boys besaßen solch ein Zelt.

John Workmann schlief diese Nacht in dem Zelte seines Gastgebers ebenso lange wie die übrigen Boys und wurde aus seinem Schlummer erst durch den Klang einer dumpfen Pauke aufgeschreckt.

Das war nach Indianersitte das Wecksignal.

Jetzt traten die Boys wieder aus den Zelten, versammelten sich bei dem Medizinstein, einem buntbemalten, großen Feldstein, der vor dem Zelte des Häuptlings, des Schwarzen Adlers, lag. Hier stand der Schwarze Adler und gab seine Anordnungen für das nächste Spiel.

Es bestand darin, daß zwei Boys einen ausgestopften Rehbock auf den Rücken nahmen und mit ihm in die Wälder gingen. Dort legten sie ihn an einer möglichst schwer auffindbaren Stelle nieder und hatten dann auf einem Umwege das Lager wieder zu erreichen.

Für die übrigen hieß es nun nach zwei Stunden aufbrechen und zu versuchen, den Platz des Rehbocks zu finden. Wer ihn zuerst fand, bekam eine Belohnung.

Diesem Spiel folgte ein gemeinsames Bad, an dem sich auch John Workmann beteiligte.

Derweil hatten die Wachen einen Kessel für das Morgenfrühstück aufgestellt, und als die Boys aus dem Bade kamen, ließen sie sich von der Sonne trocknen, saßen um das Lagerfeuer und genossen ihr einfaches Frühstück.

Am Nachmittag dieses Tages sagte John Workmann zu seinem Gastgeber Fred Harryson:

»Ich werde euch morgen früh verlassen. Ich darf hier nicht so lange untätig liegenbleiben.

»Wo willst du denn hin?« fragte der junge Student.

»Nach dem Westen will ich, irgendwo Geld verdienen und lernen.«

»Du willst nach dem Westen? Well, my boy! Denn denselben Weg will ich auch einschlagen. Auf das Land hinter Chikago! Auf eine Farm, wo ich und meine Kameraden bereits im vorigen Jahre während der Erntezeit gearbeitet haben. Wenn du willst, so machen wir den Weg gemeinsam.«

»Es wird mich freuen, Fred Harryson. Wie weit haben wir es denn bis zu den Farmen?«

»Zu Fuß erreichen wir sie nicht«, entgegnete Fred Harryson mit leichtem Lächeln, »mit der Eisenbahn können wir in zwei Tagen hinkommen.«

»Ich habe mir vorgenommen, mich auf meine Füße zu verlassen«, erwiderte John Workmann. »Ich bin noch jung und will die Welt kennenlernen.«

»Das ist schon richtig«, sagte Fred Harryson. »Aber du würdest mindestens vier Wochen zu Fuß wandern müssen, um die Farmen zu erreichen. In den vier Wochen kannst du aber dort durch deine Arbeit mindestens dreißig Dollar über deinen Lebensunterhalt verdienen. Ein Billett bis dahin kostet zehn Dollar, so daß du also dadurch, daß du die Eisenbahn benutzt, zwanzig Dollar gewinnst. Also laß uns fahren.«

John Workmann war mit dem Vorschlag nach einigem Besinnen einverstanden.

Am Abend wurde zu Ehren des scheidenden Fred Harryson und John Workmann von den Scouts ein Abschiedsfest gegeben, dessen Höhepunkt ein Kriegstanz war.

Erschrocken wäre gewiß jeder New Yorker geflohen, der plötzlich unvermutet in dem Dunkel des Waldes ein grelles, rotes Lagerfeuer erblickt hätte, bei dessen flackerndem Schein schreckhaft bemalte, rote Krieger einen wilden Kriegstanz ausführten. Auch John Workmann vergaß beinahe, daß es nur Scouts waren, Freunde, die er in der kurzen Zeit gewonnen hatte.

Am nächsten Morgen in aller Frühe begleiteten alle Boys in vollem Kriegsschmuck die beiden Scheidenden bis zur Bahnstation und Fred Harryson kaufte die Billetts bis nach Springshill, 2500 Meilen von New York.


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