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Ein Jahr verfließt schnell, wenn seine Tage vom Morgen bis zum Abend mit Arbeit erfüllt sind, und über einen Mangel an Arbeit konnten sich die Herren Wille und Schmidt nicht beklagen. Sie hatten ein gerüttelt und geschüttelt Maß davon zu bewältigen, während die neue deutsche Kolonie unter ihrer Obhut wuchs und gedieh.
Von Aktenstößen umgeben saß Dr. Schmidt in seinem Arbeitszimmer, als Wille mit einem Papier in der Hand zu ihm kam. Nur zögernd und etwas vor sich hin brummend unterbrach der lange Schmidt seine Tätigkeit, während Wille, das Papier in seiner Rechten schwenkend, ihn ansprach.
»Lassen Sie Ihren Zylinder bügeln und Ihren Gehrock ausbürsten, Herr Kollege.«
Schmidt kniff nach alter Gewohnheit die Lippen zusammen und setzte sein säuerlichstes Gesicht auf.
»Zylinder? . . . Gehrock? . . . Warum? Steht uns etwa hoher Besuch aus Deutschland bevor?«
Wille schüttelte den Kopf und sah im Gegensatz zu Schmidt höchst vergnügt aus. »Das ist es nicht, Doktor. Aber Pate stehen müssen Sie heut nachmittag.« Er sah das entsetzte Gesicht des langen Schmidt und fuhr fort, während er ihm das Blatt hinhielt. »Hier ist die amtliche Meldung. Der fünfzigtausendste Einwohner der Kolonie soll heut getauft werden, und uns beide hat man als Paten gebeten. Ja, Kollege Schmidt, Würde bringt Bürde. Da hilft nun nichts. Wir müssen beide hin, und etwas Nettes müssen wir dem Täufling auch schenken. Lassen Sie sich's mal durch den Kopf gehen, was wir dafür wählen; ich werde in einer Stunde wieder zu Ihnen kommen.«
Wille ging aus der Tür und ließ einen total aus dem seelischen Gleichgewicht gebrachten Mann zurück . . . Pate stehen . . . Geschenke machen? . . . Das waren für den langen Schmidt Dinge, mit denen er sich sein Leben lang noch nicht befaßt hatte. Unruhig begann er in seinen Schreibtischkästen zu kramen, als ob er in ihnen Rat und Hilfe finden könnte. Ein altes Notizbuch fiel ihm dabei in die Hände, und zerstreut begann er darin zu blättern.
Es waren Aufzeichnungen über die früheren Ereignisse auf der Insel, die er fortlaufend eingetragen hatte. Jetzt stieß er auf die Worte: vorzeitige Sprengung durch einen Amerikaner. Der Krater stürzt zusammen, der Teufel ist los. Wir fliehen in die Stratosphäre . . . Sein Blick fiel auf das Datum, das dabei stand und ging dann zu dem Terminkalender auf seinem Tisch. Er stutzte. Es war ja beidemal dasselbe. Dann war also heut der Jahrestag jenes denkwürdigen Experimentes, dem die neue Kolonie ihr Dasein verdankte. Fast hätte er es über der Arbeit des Alltages vergessen. Wille hatte auch kein Wort davon gesagt. Wahrscheinlich ging's dem wohl ebenso. Er sprang auf und eilte in Willes Zimmer. Ehe er jedoch seine Mitteilung anbringen konnte, kam ihm Wille schon zuvor. »Ein Funkspruch, Herr Kollege. Sie werden kaum erraten, von wem er kommt . . .«
»Keine Ahnung, Herr Doktor Wille.«
»Von ›St 25‹ kommt er. Professor Eggerth gratuliert uns zum ersten Jahrestag der Kolonie und bittet, den Sekt kühl zu stellen. In einer Stunde wird sein Schiff hier landen. Ohne den Professor hätten wir den Tag weiß Gott übersehen.«
»Doch nicht, Herr Dr. Wille«, widersprach der lange Schmidt und hielt ihm sein altes Notizbuch hin. »Ich wollte Sie eben daran erinnern.«
»Ja, mein lieber Schmidt«, Wille strich sich durch das Haar, »da wird's heut wohl mit der Arbeit nicht mehr viel werden. ›St 25‹ begrüßen . . . Taufe mitmachen . . . nachher Geburtstag feiern . . . nun wir haben das ganze Jahr hindurch keinen Tag gefeiert. Da können wir's uns heut schon einmal erlauben.« – – –
Als ›St 25‹ auf seinem alten Liegeplatz niederging, standen Wille und Schmidt zum Empfang bereit.
»Der Sekt steht bereit, Herr Professor«, begrüßte Dr. Wille den Mann, mit dem ihn jahrelange gemeinsame Arbeit verband und dem er soviel zu verdanken hatte. Professor Eggerth schaute sich nach allen Seiten um und griff den Arm Willes.
»Sie müssen mich führen, Herr Doktor«, sagte er dabei scherzend, »hier ist ja so viel anders geworden, daß ich mich allein nicht mehr zurechtfinde. Ihr altes Verwaltungsgebäude . . . meine Hochachtung! Das hat sich ja zu einem richtigen Regierungspalast entwickelt. Wer von uns hätte vor einem Jahr geglaubt, daß das alles so werden würde.«
»Wir glaubten an Sie, Herr Professor, und unsere Hoffnung ist nicht enttäuscht worden«, sagte Wille, während sie langsam auf das Gebäude zu schritten, Dr. Schmidt stand allein vor dem Stratosphärenschiff, aber er blieb nicht lange allein. Georg Berkoff stürmte die Treppe hinab und fiel ihm stürmisch in die Arme.
»Aber Herr Berkoff!« versuchte der lange Schmidt abzuwehren, doch Berkoff ließ sich nicht hindern und begann herauszusprudeln, was er auf dem Herzen hatte. Grüße aus Deutschland überbrachte er dem Doktor. Grüße von dem alten Forstrat in Waltershausen, bei dem er noch vor achtundvierzig Stunden zu Besuch gewesen war und Grüße auch von Frederic Smith, der nun schon fast ein Jahr in den Eggerth-Werken tätig war und sich zu einem Konstrukteur entwickelt hatte, dessen Fähigkeiten Professor Eggerth hoch einschätzte. – – –
Weiter liefen die Stunden, und der nächste Punkt, der auf der Tagesordnung stand, die Tauffeierlichkeit, mußte erledigt werden. Da fiel dem Dr. Schmidt ein schwerer Stein vom Herzen, als Professor Eggerth an seiner Statt die Patenstelle übernahm. Mit einer Mischung von Staunen und Entsetzen beobachtete er, wie der Professor den jungen Weltbürger auf seinen Armen hielt, ohne das Kind zu zerbrechen oder fallen zu lassen. Ganz undenkbar schien es ihm, daß er das selber jemals fertiggebracht hätte. – – –
Und dann kam zum Schluß die Jahresfeier, zu der sich um den alten runden Tisch im Verwaltungsgebäude alle zusammenfanden, die damals mit ›St 25‹ ausgezogen waren. Professor Eggerth und sein Sohn Hein, Wille und Schmidt, und selbstverständlich fehlte auch Georg Berkoff nicht in dem Kreise, der hier mit perlendem Schaumwein auf das weitere glückhafte Gedeihen der jungen Kolonie anstieß. Rede und Gegenrede flogen hin und her und auch derjenigen, die heute nicht dabei waren, wurde gedacht. Der lange Schmidt war es, der zuerst die Rede auf James Garrison brachte.
»Er war der Geist, der stets das Böse will und stets das Gute schafft«, bemerkte Dr. Wille philosophisch.
»Hoffentlich behalten Sie mit dieser Prophezeiung auch für die Zukunft recht«, meinte Professor Eggerth. »Ich würde es Garrison wünschen, aber ich habe Zweifel.«
»Weshalb denn?« fragte Wille.
»Weil er sich auf ein gefährliches Experiment eingelassen hat«, sagte der Professor nachdenklich. »Ich erfuhr vor drei Tagen, daß das Carnegie-Institut auf seine Veranlassung bergmännische Arbeiten an den Vulkanen in der Nikaragua-Zone vornimmt. Die Zeitungen berichten zwar nur von Schürfungen am Viejo und Ometepe. Aber aus anderer Quelle weiß ich, daß große Stollen in diese Berge getrieben werden, und daß unser Freund Garrison sie persönlich überwacht.«
»Viejo und Ometepe?« Der lange Schmidt kniff nach alter Manier die Lippen zusammen. »Der Yankee kann allerlei erleben, wenn er sich an diesen Vulkanen vergreift.«
Professor Eggerth zuckte die Achseln. »Wir können ihn nicht daran hindern, mein lieber Schmidt. Aber vielleicht bekommen wir schon in den nächsten Wochen etwas von ihm zu hören. Hoffen wir, daß es nichts allzu Schlimmes ist.«
»Ah, bah, Vater«, mischte sich Hein Eggerth ein, »Unkraut verdirbt nicht. Den Isthmus wird er vielleicht ruinieren, aber der Yankee kommt sicher heil davon.«
»Darauf wollen wir trinken«, sagte Professor Eggerth und hob sein Glas.