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Im Sturzflug kam ›St 25‹ nach unten. In wenigen Minuten erreichte es die tieferen dichteren Luftschichten, stand jetzt 3000 . . . jetzt nur noch 1500 Meter über der See, als Berkoff auf einen Wink des Professors in die Steuerung griff und den Kurs des Stratosphärenschiffes wieder in die Horizontale brachte. Weite Kreise ziehend glitt es in mäßiger Fahrt der See noch näher entgegen, während Professor Eggerth die Amerikaner nicht aus den Augen ließ. Er sah sie landen, sah James Garrison auf das Verwaltungsgebäude zu gehen, und seine Stirn runzelte sich, als er bemerkte, daß O'Brien sich an den elektrischen Geräten neben dem Funkmast zu schaffen machte.
»Narr verdammter!« Kurz und hart stieß er die Worte heraus und packte Berkoff so fest am Arm, daß den der Griff schmerzte.
»Was ist, Herr Professor? Habe ich einen Fehler gemacht?«
»Nicht Sie, Berkoff. Den Narren da unten meine ich. Sehen Sie, wie er mit täppischen Fingern an den Zündrelais spielt.«
Georg Berkoff schaute nach unten und wurde blaß. »Bei Gott, Herr Professor . . . das kann schlimm werden! Was können wir tun?«
»Nichts, Berkoff. Es ist zu spät.« Während Professor Eggerth die Worte noch sprach, war das Unheil schon geschehen. Sie sahen von ›St 25‹ aus den Krater einstürzen. Im Augenblick war die glühende Lavafläche verdunkelt und verschwunden. Sie sahen auf dem Seespiegel einen Wasserausbruch, sahen eine Flutwelle weit über den Nordstrand hinauflaufen und erschauten aus ihrer Höhe auch noch etwas anderes. Ein Schüttern und Beben ging durch die Bergnase an der Südspitze der Insel. Für eine Minute schien es, als wolle die Kuppe dort in sich zusammenstürzen, dann klaffte sie von unterirdischen Gewalten aufgerissen weit auseinander. Erst rötlich, dann grellweiß leuchtete es aus der Wunde auf, die vulkanische Kräfte hier in den Leib der Insel rissen, stieg empor, überflutete die Felstrümmer und floß als breiter Lavastrom das Ufer hinab, der See entgegen.
Ein neues Kommando des Professors, eine Steuerbewegung Berkoffs. ›St 25‹ begann zu steigen und schraubte sich mit voller Maschinenkraft wieder in die Höhe. Doch so schnell das Stratosphärenschiff auch stieg, die Dampfmassen, die jetzt von der Südspitze der Insel emporwirbelten, waren noch schneller. Erst dunstig, dann nebelig wurde die Atmosphäre um ›St 25‹.
»Schöne Milchsuppe, in die wir hier geraten«, meinte Berkoff.
»Für uns nicht schlimm, mein lieber Berkoff«, sagte Professor Eggerth. »Wir werden in ein paar Minuten wieder rauskommen, aber ich fürchte für Garrison und seine Leute. Unser neugieriger Freund hat sich diesmal etwas eingebrockt, an dem er zu kauen haben dürfte. Für die nächsten Stunden sehe ich keine Möglichkeit, ihm zu Hilfe zu kommen. Wir würden unnütz unser Schiff gefährden.«
»Könnte man es nicht vielleicht doch versuchen, Herr Professor?« wandte Berkoff ein. »Wenn man mit größter Vorsicht hinunterginge, das Echolot und die Hubschrauben benutzte . . .«
Professor Eggerth schüttelte den Kopf. »Es wäre zwecklos, Herr Berkoff. Wir wollen in die Stratosphäre gehen und die weitere Entwicklung der Dinge aus einer sicheren Entfernung ansehen.« – – –
Dr. Wille und der lange Schmidt hatten sich, als ›St 25‹ die Insel verließ, zu einem wissenschaftlichen Disput in Willes Kabine zurückgezogen; Dr. Schmidt hatte allerlei auf dem Herzen und wußte keinen besseren als seinen alten Freund und Gegner Wille, um seine mannigfachen Bedenken auszupacken. Kaum hatten sie am Fenster, durch das sie einen guten Blick auf den Vulkan hatten, Platz genommen, als Schmidt auch schon loslegte.
»Hoffentlich sprengt Professor Eggerth nicht zu früh. Ich fürchte das Schlimmste, wenn die Sache losgeht, bevor wir sicher in der Stratosphäre sind.«
Wille versuchte ihn zu beschwichtigen. »Ich kann Ihre Befürchtungen nicht teilen, Herr Kollege. Nach allem, was Herr Professor Eggerth mir gestern noch mitteilte, wird die Angelegenheit ziemlich friedlich verlaufen. Nach dem Geschmack des Professors vielleicht sogar zu friedlich . . .«
»Wie meinen Sie das?« fragte Schmidt dazwischen.
»Ich . . . oder richtiger gesagt, der Professor meinte . . .«, begann Dr. Wille bedächtig, »daß die unterirdischen Kräfte nicht hinreichen könnten, um eine Landbewegung in dem von ihm gewünschten Umfang hervorzurufen. In seinen Ausführungen behandelte er die so unvermutet an der Südspitze der Insel aufgetretenen Erscheinungen gewissermaßen als ein natürliches Sicherheitsventil. Soweit war er auch ganz einverstanden damit, aber er äußerte die Befürchtung, daß dies Ventil vielleicht zu groß sein könnte. Er rechnet mit der Möglichkeit, daß die unterirdischen Kräfte, die bei dem Zusammentreffen des Ozeans mit dem Magma des Erdinneren frei werden, an der Südspitze einen so bequemen Ausgang ins Freie finden, daß sie dort wirkungslos verpuffen könnten, während die Lage am Nordstrand sich nur wenig verändert.«
Der lange Schmidt hielt sich die Ohren zu, als wolle er Wille nicht weiter anhören. »Vollkommen unbegreiflich ist mir diese Ansicht«, brach er los, als Wille schwieg. »Weiß der Professor denn nicht, wie es damals zuging, als Ozean und Magma unter dem Mont Pelée zusammenstießen. Der ganze Berg flog in die Luft. Die halbe Insel flog mit. In einer Minute kamen dreißigtausend Menschen ums Leben. Bis zu einer Höhe von 100 Kilometern wurden Unmengen vulkanischer Asche in die Stratosphäre geworfen. Jahrelang kreisten die Staubwolken um unsern Erdball . . .«
»Da lagen die Verhältnisse wesentlich anders«, warf Wille ein und wollte noch mehr sagen, aber der lange Schmidt ließ ihn nicht zu Worte kommen.
»Sie lagen durchaus nicht anders«, widersprach er ihm. »Dort wie hier kommen glutflüssiges Magma und der Ozean zusammen. Ich wette mit Ihnen um was Sie wollen, Herr Dr. Wille. Auch hier wird der Teufel los sein, wenn es geschieht. Hoffentlich sind wir dann weit genug weg vom Schuß.«
Wille hatte während der letzten Worte von Schmidt seine Uhr gezogen. »Wir wollen uns nicht um des Kaisers Bart streiten, Herr Kollege«, begann er in seiner versöhnlichen Art. »In einer Minute wird Professor Eggerth sprengen. Dann werden wir schnell wissen, wer von uns recht hat.« Eine jähe Änderung der Schiffsbewegung zwang ihn, sich fester in seinen Sessel zu setzen. ›St 25‹ ging im Sturzflug nach unten.
»Was ist das? Ist der Professor toll geworden?« stieß Schmidt hervor, während seine Blicke zwischen dem Höhenzeiger in der Kabine und dem Fenster hin und her gingen . . . »Nur noch 3000 . . . nur noch 1500 Meter . . . unbegreiflich . . . unverantwortlich! . . . Jetzt hat er gesprengt!«
Sie sahen den Vulkan zusammenstürzen, sahen auch den schweren Lavaausbruch an der Südspitze und spürten gleich darauf, wie ›St 25‹ wieder seinen Kurs änderte und mit höchster Maschinenkraft der Stratosphäre zustrebte.
»Das ist heller Wahnsinn! Das heißt mit der Gefahr spielen!« schrie Dr. Schmidt erbittert, während dichte Nebelschwaden das Schiff einzuhüllen begannen.
»Kommen Sie, Herr Doktor!« Er sprang auf. »Wir wollen zu Professor Eggerth gehen. Ich muß wissen, was geschehen ist.« – – –
Captain Dryden hatte den Anker aufholen lassen, als die ›Berenice‹ von der Flutwelle erreicht und beträchtlich hin und her geschüttelt wurde. Während das Schiff sich ein paar Kilometer vom Land entfernte, stand er auf der Brücke und hielt Ausschau nach der Insel. Er verwünschte den Leichtsinn Garrisons, der ihn und sein Schiff in dieses Abenteuer hineingehetzt hatte, und fluchte in allen Tonarten auf die Deutschen, die auf einem so gefährlichen Boden noch halsbrecherische Experimente machten, und kam dabei zu einem festen Entschluß. Sobald wie möglich wollte er es versuchen, mit der Pinasse an die Insel heranzukommen; dann aber würde er ein Machtwort sprechen. Dann sollte Mr. Garrison ihn kennenlernen und einen Begriff von der Befehlsgewalt eines Kapitäns bekommen. Mit Gewalt würde er den Mann nötigenfalls an Bord holen und machen, daß er so schnell wie möglich von dieser verhexten Gegend loskäme. Mochte Garrison auch hundertmal Sekretär des Carnegie-Instituts sein, hier ging es um die Sicherheit des Schiffes und seiner Besatzung, und Mr. Dryden hatte nicht Lust, sein Kapitänspatent wegen der spleenigen Einfälle eines anderen loszuwerden.
Er griff zum Fernglas, um nach Garrison und seinen Leuten Ausschau zu halten, bekam jetzt das Dingi ins Blickfeld und sah zu seinem Schrecken, daß es kieloben auf dem festen Land lag. Er sah weiter James Garrison merkwürdig taumelnd und unsicher auf das Boot zuschreiten. Dann trübte sich das Bild. Er nahm das Glas von den Augen und bemerkte eine Nebelwand, die von Süden hier wie ein breiter Schleier heranwehte. Sein früherer Besuch kam ihm dabei in die Erinnerung, bei dem die ganze Insel und auch noch die See in ihrer Nähe in undurchdringlichem Nebel und Dampf lag. Sollte sich das jetzt wiederholen?
›Vorsicht ist der bessere Teil der Tapferkeit‹, dachte Captain Dryden und griff zum Maschinentelegraphen. In hoher Kraft wirbelten die Motoren die Schrauben durch das Wasser. In voller Fahrt suchte die ›Berenice‹ vor dem herankommenden Nebel davonzulaufen. Noch einmal wandte er sich zurück, um einen Blick nach dem Eiland zu werfen, als ein schweres Scharren und Schlittern durch den Schiffsrumpf ging. So stark war der Stoß, der die Fahrt der ›Berenice‹ jäh abbremste, daß Captain Dryden gestürzt wäre, wenn er nicht im letzten Moment die Reling zu packen bekommen hätte. Die ›Berenice‹ war schwer auf Grund gerannt.
Aber wie war das möglich? ging es dem Captain durch den Kopf. Vor wenigen Stunden hatte sein Schiff an der gleichen Stelle mehr als 20 Faden Wassertiefe unter sich. Fassungslos starrte er auf die See und sah etwas, das seinen Herzschlag stocken ließ. Hier und dort . . . teils in der Nähe der ›Berenice‹, zum Teil auch weit von ihr entfernt hoben sich Sandbänke und Felszacken aus der Flut.
Ein Rauschen drang stark und immer stärker an sein Ohr. Während das Schiff hoffnungslos festlag, strömte die See vom Land her in schnellem Fluß an seinem Rumpf vorbei und bildete am Heck eine Stauwelle, die hin und wieder Brecher über das Achterdeck warf.
An ein Wattengebiet mußte Captain Dryden denken, aus dem die See bei Ebbe in ähnlicher Weise abströmt. Und wie dort bei fallendem Seespiegel sich erst kleine Bänke bilden, immer größer werden und schließlich zusammenfließen, bis das ganze Wattengebiet trockenes Land geworden ist, so geschah es auch hier, mit dem einen Unterschied nur, daß sich hier nicht der Meeresspiegel senkte, sondern daß der ganze Seegrund sich gleichmäßig hob. Schon bekam die ›Berenice‹ leichte Schlagseite und legte sich etwas nach Steuerbord über; und dann war es geschehen. Nur noch in einigen wenigen Rinnen und Prielen strömte das Wasser seewärts, während von der Insel her mit Windeseile das Land heranwuchs, immer weiter über jene Stelle hinaus, an der die ›Berenice‹ noch vor kurzem frei im Ozean schwamm. Nur noch sandigen, hier und dort von Fels und Korallen unterbrochenen ehemaligen Seeboden sah Captain Dryden, wohin er auch den Blick richtete. Trockenen Fußes hätte er jetzt zu der Insel hingehen können, trockenen Fußes hätten auch Garrison und seine Leute zu dem Schiff zurückkehren können . . . wenn sich jetzt nicht von Minute zu Minute immer dichter werdende endlose Nebelschwaden über das gestrandete Schiff und seine Umgebung gelegt hätten. – – –
Die Kräfte der Tiefe, die Professor Eggerth durch seinen kühnen Versuch entfesselte, leisteten das, was er von ihnen erwartete. Auf viele Meilen hin hoben sie den Seeboden um die Insel herum um Hunderte von Metern. Langsam, aber unwiderstehlich wirkte sich der ungeheure Druck aus, den das bei der Verbindung mit dem Seewasser aufquellende und sein Volumen vervielfachende Magma auf die über ihm liegenden Gesteinsschichten ausübte.
Viele Stunden verstrichen darüber. In Stratosphärenhöhe beobachtete Professor Eggerth von ›St 25‹ aus, daß sich alles fast über sein Erwarten hinaus so vollzog, wie er es in vielen Tagen und Nächten geplant hatte. Neues Land stieg um die Insel herum aus der Tiefe und verhundertfachte . . . vertausendfachte schließlich ihr Areal. Wie ein Sicherheitsventil arbeitete dabei der neue Vulkan an der Südspitze. Immer neue unendliche Lavamassen warf er aus, sobald der Druck in der Tiefe über ein gewisses Maß anstieg. In breiter Front ergoß sich der glühende Strom dort in die See, ließ sie aufkochen, verzischen, versprühen und entsandte ungeheure Dampfmassen in die Atmosphäre. Bis auch dort sich das Land so weit gehoben hatte, daß die glutflüssigen Massen die See nicht mehr erreichten, sondern vorher zum Stillstand und zum Erstarren kamen.
Da hörte die Dampfbildung auf, aber schwer und massig lagerten die Nebelmengen, die bereits entstanden waren, wie eine undurchdringliche Wolkenbank über der Insel und ihrer Umgebung. Sie verdeckten die gestrandete ›Berenice‹, und sie hüllten auch James Garrison mit seinen drei Leuten wie in ein dichtes Tuch ein.
Für das Schiff Captain Drydens und seine Besatzung bestand im Augenblick keine Gefahr. Wohl verhinderte der Nebel jede Aussicht, aber man konnte in ihm atmen und leben, und konnte in den Räumen des gut verproviantierten Schiffes in Ruhe abwarten, bis er sich einmal verzogen haben würde. Schlimmer sah es für Garrison und seine Leute aus. Sie waren so, wie sie gingen und standen, an Land gefahren und dort auf ein leeres Nest gestoßen. Wenn es vielleicht Tage oder gar Wochen dauern sollte, bis die nebligen Schwaden sich wieder verzogen, dann konnte die Gefahr des Verschmachtens für sie akut werden. – – –
Captain Dryden hielt es für zwecklos, länger auf der Brücke des Schiffes zu bleiben. Von widerstreitenden Gedanken und Empfindungen hin- und hergerissen, begab er sich unter Deck und ging in seine Kabine. Hier war die Luft noch ziemlich klar, und beim Licht der elektrischen Lampen konnte er die Dinge in dem nicht allzu großen Raum mit einiger Deutlichkeit erkennen. In einen Sessel hingeworfen versuchte er, die Bilanz aus den Ereignissen zu ziehen, die während der letzten Stunden so elementar über ihn und sein Schiff hereingebrochen waren.
Die ›Berenice‹ war verloren, darüber gab es keinen Zweifel mehr. Schon jetzt war sie eigentlich kein Schiff mehr und würde nie wieder eines werden können, denn viele Kilometer, ja vielleicht Meilen trennten sie vom Meer. Das hatte Captain Dryden noch sehen können, bevor der Nebel kam.
Alles was der Captain an Vermögen besaß, hatte er für die Erwerbung und Instandhaltung der ›Berenice‹ aufgewendet. Wurde der Schaden ihm nicht ersetzt, dann war er ein Bettler. Es blieb die andere Frage, wer für den Verlust aufzukommen hatte. Das Schiff war versichert, und Captain Dryden hatte darauf gehalten, seine Prämien stets rechtzeitig zu zahlen. Auf einen Verlust des Schiffes durch Feuer, Sturm oder Strandung lautete die Police. Bei dem Gedanken daran kamen dem Captain aufs neue Zweifel. War das, was die ›Berenice‹ betroffen hatte, noch eine Strandung, im gebräuchlichen Sinne des Wortes? Würde die Versicherungsgesellschaft nicht vielleicht Schwierigkeiten machen? Ausflüchte suchen, von einem Elementarereignis sprechen, für das die Police nicht gälte. Dem Captain wurde bei dem Gedanken unbehaglich, und erst bei einem Soda-Whisky fand er seine Ruhe wieder.
Wenn die Gesellschaft sich weigerte, dann würde er sich an Mr. Garrison als den Bevollmächtigten des Carnegie-Instituts halten. Auf dessen Weisung war er hierhergekommen, und das Institut besaß genügende Mittel, um ihm den Preis für ein neues Schiff spielend auszuzahlen. Es würde freilich kaum ohne Prozeß abgehen, und es würde viel davon abhängen, welche von den beiden streitenden Parteien sich in den Staaten die besseren Rechtsanwälte kaufen konnte.
Als Captain Dryden mit seinen Überlegungen so weit gekommen war, hielt er es für angebracht, sich einen zweiten Soda-Whisky zu mischen, und während er ihn zu sich nahm, überdachte er die dritte Möglichkeit, die deutsche Regierung für den Schaden haftbar zu machen. Sehr aussichtsreich erschien ihm die Idee nicht, aber es blieb der letzte Ausweg, wenn alles andere versagte; während er noch darüber nachgrübelte, trat ein Funkergast in die Kabine und brachte ihm ein eben aufgenommenes Radiogramm. Die Depesche kam von ›St 25‹. Professor Eggerth bat um Auskunft über die Lage auf der ›Berenice‹. Captain Dryden ließ den Funker gleich warten und schrieb seine Antwort nieder: ›Hoffnungslos gestrandet. Im Augenblick keine Gefahr. Hilfe erwünscht.‹
Während der Bote mit der Antwort in den Funkerraum zurückeilte, sinnierte Dryden weiter . . . die Deutschen meldeten sich . . . fragten nach dem Zustand des Schiffes . . . konnte das nicht als das Zeichen eines schlechten Gewissens gelten . . . vielleicht waren die Aussichten, sich wegen des Schadenersatzes an sie zu wenden, doch nicht zu unterschätzen. Noch während er die Möglichkeit überlegte, kam schon wieder eine Antwort von ›St 25‹ auf seinen eigenen Funkspruch: ›Nebel geht sehr langsam zurück. Schätzen auf einige Tage, bevor wir Hilfe bringen können. Wie steht es um Garrison und seine Leute?‹
Mit einem Fluch zerknitterte Captain Dryden das Papier. Schöne Aussichten, tagelang in der Mehlsuppe sitzen zu müssen . . . Garrison und seine Leute?
›Wir wissen nichts über ihr Schicksal. Sahen sie zuletzt neben ihrem gekenterten Boot am Strand stehen‹, ließ er an ›St 25‹ zurückfunken. Eine große Wut auf Garrison überkam ihn, während er den Text seiner Antwort dem Funkergast übergab. Wie sorgenfrei könnte er jetzt mit seinem guten Schiff in der Südsee kreuzen, wenn dieser Mensch ihn nicht in das Unheil hineinkommandiert hätte.
Nur ausgleichende Gerechtigkeit war's, wenn der jetzt auf der gottverfluchten Insel im Nebel steckte. Hoffentlich würde das Schicksal ihm dort Zeit und Gelegenheit geben, alle seine Sünden zu bereuen. Mit diesem wenig christlichen Wunsch im Herzen ging Captain Dryden daran, sich einen dritten Whisky-Soda zurechtzumachen. – – –
James Garrison stand neben dem gekenterten Boot und blickte auf die See hinaus, als der Nebel kam. Eine kurze Weile konnte er noch die Silhouette der ›Berenice‹ erkennen, dann begann sie in der dunstigen Luft zu verschwimmen, und dann lag es dicht wie Watte um ihn und seine beiden Gefährten.
Er hatte noch gesehen, daß die ›Berenice‹ den Anker auf hatte und unter Motorkraft Fahrt machte; daß sie gleich danach auf Grund rannte, hatte er nicht mehr bemerken können; so war er der Meinung, daß Captain Dryden sein Schiff vor der heranziehenden Wolkenbank auf die hohe See in Sicherheit brachte, und es war ihm klar, daß von der ›Berenice‹ her für die nächste Zeit kaum Hilfe zu erwarten war.
»Hallo, Jeffris! Robertson!« Er rief seine Leute an, deren Gestalten er nur noch undeutlich erkannte, obwohl sie kaum fünf Meter von ihm entfernt standen.
»Hallo, Sir!« kam die Antwort von beiden zurück. »Sie wünschen, Sir?«
»Kommen Sie näher heran! Wir dürfen uns nicht aus den Augen verlieren. Bleiben Sie dicht bei mir! Wo steckt O'Brien?«
»O'Brien, Sir? Ich meine, ich habe ihn zuletzt vor dem Funkmast stehen sehen.« Die Antwort kam von Robertson und klang unsicher.
›Am Funkmast?‹ Das konnte stimmen. Garrison erinnerte sich, daß O'Brien nach ihrer Landung dort stehen blieb, während er selbst zum Verwaltungsgebäude ging. Der Funkmast? Schätzungsweise mußte der etwa 200 Meter von hier entfernt sein. Garrison griff in seine Brusttasche und holte eine kleine Planskizze heraus, die er sich bei seinem vorletzten Besuch in unbeobachteten Minuten aufgezeichnet hatte. Obwohl nur flüchtig hingeworfen, enthielt sie doch alles Wesentliche und dazu auch die Entfernungen, die der findige Amerikaner durch Abschreiten und Schrittezählen recht genau ermittelt hatte. Er betrachtete den Plan.
Dort, am weitesten nach Osten, lag das Maschinenhaus neben dem Bach. Dann kam das Verwaltungsgebäude und noch weiter nach Westen zu der Liegeplatz der deutschen Stratosphärenflotte. Der Funkmast war nicht eingetragen, denn er war damals noch nicht vorhanden. Garrison entsann sich, daß er ziemlich genau in der Mitte zwischen dem Verwaltungsgebäude und dem Liegeplatz stehen mußte und markierte den Punkt auf seiner Skizze, und dann tat er etwas Ähnliches wie Captain Dryden, er machte auch eine Inventur: er untersuchte seine Taschen. Allzuviel war es nicht, was er dabei entdeckte. Erstens ein gutes Chronometer; es war ja selbstverständlich, daß der ehemalige Astronom der Pasadena-Sternwarte sich von diesem Instrument niemals trennte. Ein Taschenmesser und ein Schlüsselbund wurden als einstweilen zwecklos wieder eingesteckt, aber danach stieß seine Hand auf einen Taschenkompaß, den er durch einen glücklichen Zufall bei sich hatte. Die nordweisende Magnetnadel war in dem undurchdringlichen Nebelmeer hier von größtem Wert, konnte vielleicht die Rettung bringen.
Garrison breitete seine Planskizze auf den Planken des Bootes aus und orientierte sie nach dem Kompaß. Dann visierte er den Punkt, an dem der Funkmast stehen mußte, und stellte den Winkel zur Südnordrichtung fest, unter dem er gehen mußte, wenn er von seinem jetzigen Standpunkt aus zu dem Mast gelangen wollte. Jeffris und Robertson betrachteten seine Vorbereitungen mit einem Gemisch von Neugier und Hochachtung, aber sie wurden unruhig, als er ihnen seine Absicht mitteilte, nach O'Brien suchen zu wollen. Auf keinen Fall wollten sie hier allein in der undurchdringlichen Nebelsuppe zurückbleiben und verlangten, ihn begleiten zu dürfen.
»Meinetwegen! Es ist vielleicht auch besser so«, gab Garrison nach kurzem Überlegen ihrem Begehren nach. Schon wollten sie sich zum Gehen anschicken, als Jeffris mit einem anderen Vorschlag kam.
»Könnten wir nicht erst einmal nach O'Brien rufen?« fragte er Garrison. Der zuckte die Achseln.
»Versuchen könnt ihr's, Boys, aber ich fürchte, es wird nicht viel Zweck haben. Der Nebel bremst die Schallwellen stark ab . . . es kann auch einen irreführenden Widerhall geben . . .« Er wollte noch weiteres sagen, als die beiden anderen schon aus vollem Halse losbrüllten.
»Hallo, O'Brien! Hallo! . . . hallo! . . . O'Brien!« klang es wechselweise aus ihren Kehlen. Sie strengten ihre Stimmbänder auf das äußerste an, aber vergeblich lauschten sie in kurzen Ruhepausen auf eine Antwort. Nur ein dumpfes Echo ihrer eigenen Rufe klang aus der weißen Wand, die sie umgab, zurück. Ein Echo, das überdies noch von allen Seiten her zu kommen schien.
»Hört auf, Boys! Ihr schreit euch unnütz heiser«, stoppte Garrison ihre Bemühungen ab. »Wenn er noch bei dem Mast ist, werden wir ihn auch so finden.«
»Wenn er aber von dort weggegangen ist?« fragte Robertson.
»Dann mag der Himmel ihm helfen. Wir können nicht mehr für ihn tun«, sagte Garrison, während er, den Kompaß flach vor sich in der Hand haltend, voranzuschreiten begann. Es war ein leichteres Gehen als noch vor kurzem, denn der Boden war inzwischen wieder zur Ruhe gekommen. Jenes Beben und Schwanken, das Garrison damals taumeln ließ, hatte aufgehört. Daß der ganze Grund sich immer noch langsam aber stetig hob, war kaum zu spüren.
Nach alter Gewohnheit seine Schritte zählend und sorgfältig die Richtung, die er auf dem Kompaßgehäuse markiert hatte, innehaltend, ging Garrison über Sand und Rasen, dicht von den beiden anderen gefolgt. Zahlen flüsterte er vor sich hin, während er einen Fuß vor den anderen setzte. ›198 . . . 199 . . . 200 . . .‹ Jetzt wurde die Sache kritisch. Nach seiner Meinung mußte der Mast in nächster Nähe sein. Ging er noch weiter, so riskierte er es, daran vorbei ins Ungewisse zu laufen.
Sie waren stehengeblieben und starrten nach allen Seiten in den Nebel. Unerbittlich und undurchsichtig umgab die weiße Wand sie von allen Seiten. Sie riefen noch einmal, in der Hoffnung, daß der Widerhall ihnen das Ziel verraten könnte, doch gleichmäßig kam der Schall von allen Seiten zurück.
»Wir wollen noch zehn Schritte weiter gehen«, entschied Garrison. Langsam setzten sie sich wieder in Bewegung. ›201 . . . 202 . . . 203 . . . 204 . . .‹ zählte Garrison, als Jeffris plötzlich ›Halt!‹ rief.
»Was ist, Jeffris? Warum rufen Sie Halt?«
»Hier liegt ein Kabel, Mr. Garrison. Ich bin mit dem Fuß dagegen gestoßen, sonst hätte ich's in dem Grase nicht gesehen.«
Garrison trat an Jeffris Seite, bückte sich und bekam einen etwa fingerstarken isolierten Draht zu fassen.
»Wohin mag das Ding führen?« sagte Jeffris mehr zu sich selbst als zu den anderen.
»Natürlich zu dem Funkmast«, meinte Robertson. »Wir brauchen dem Kabel nur nachzugehen und kommen sicher hin.«
»Also gehen wir schon!« drängte Jeffris.
»Stop, my boy«, bremste Garrison seinen Tatendrang und zog wieder seinen Plan zu Rate. Ungeduldig warteten seine Gefährten, was weiter werden würde. Erst nach längerem Überlegen kam Garrison zu einem Entschluß.
»Ich glaube, wir müssen dem Kabel nach rechts folgen, aber . . . für alle Fälle . . .« Er zog sein Taschentuch heraus und knotete es um den Leitungsdraht. »Für alle Fälle wollen wir uns die Stelle hier, an der wir auf das Kabel gestoßen sind, markieren. Es gibt uns auf jeden Fall die Möglichkeit, von hier aus den Weg zu unserem Boot zurückzufinden.«
»Pah! Der lecke Kahn, was soll uns der noch nützen?« meinte Jeffris mit einem Achselzucken.
»Das kann man im voraus nicht wissen«, sagte Garrison nachdenklich. Eine Erinnerung war ihm bei den Worten an ein anderes von ihm selbst gezimmertes Boot gekommen, auf dem er vor Jahren schon einmal diese Insel hier verlassen hatte. Die Möglichkeit, daß sich etwas Ähnliches unter anderen Umständen noch einmal wiederholen könnte, schoß ihm durch den Sinn. Er begann langsam voranzuschreiten, während er den Draht wie ein Leitseil durch seine Finger gleiten ließ und automatisch wieder seine Schritte zählte.
›. . . 49 . . . 50 . . . 51 . . .‹ Besorgnis befiel ihn. Sollte er sich so sehr geirrt haben, als er vorher vom Boot aus die Richtung auf den Funkmast festlegte. Hätten sie dem Kabel vielleicht doch besser nach links als nach rechts folgen sollen? Bis zum hundertsten Schritt wollte er noch weiter gehen, ehe er neue Entschlüsse faßte.
›. . . 60 . . . 61 . . .‹ Da sah er vor sich etwas Dunkles in der weißen Wand. ›. . . 65 . . . 66 . . .‹ da war es deutlicher zu erkennen. ›67 . . . 68 . . .‹ Da standen sie vor einem Tisch mit elektrischen Geräten, und neben dem Tisch sahen sie das Fachwerk des Funkmastes, das sich schon kurz über ihren Häuptern im Nebel verlor.
»Da wären wir glücklich angekommen«, rief Jeffris und warf sich in das Gras.
»Wo steckt O'Brien?« fragte Robertson und begann im nächsten Augenblick schon wieder den Namen des Iren in den Nebel hinauszuschreien. Widerhall kam von allen Seiten. Einmal stutzten sie. Da klang etwas auf, was vielleicht ein Ruf des Gesuchten sein könnte, aber sie wurden wieder unsicher, als die Töne sich nicht wiederholten.
Während Robertson und Jeffris abwechselnd ihre Kehlen anstrengten, hatte Garrison seine Planskizze auf den Tisch ausgebreitet und den Kompaß daraufgesetzt. Mit Gewalt suchte er sich zur Ruhe zu zwingen und mühte sich, so genau wie möglich auf dem Plan die Wege, die sie gegangen und die Winkel, die sie dabei gemacht hatten, einzutragen. Er war sich dessen bewußt, daß ihre Sicherheit, ja vielleicht ihre Rettung, in dieser schlimmen Lage von diesem Stückchen Papier abhinge.
Längst waren Jeffris und Robertson des zwecklosen Rufens müde geworden, als Garrison mit seinen Rechnungen, Messungen und neuen Eintragungen endlich fertig war.
»Was wollen wir jetzt machen, Sir?« fragte Jeffris.
»Erst mal sehen, was wir hier haben, Jeffris.« Garrison machte sich daran, die Apparatur auf dem Tisch gründlich zu untersuchen. Mit den Relais war er schnell durch, sie interessierten ihn nur wenig, aber der große Empfänger, der zwischen diese und den Mast geschaltet war, fesselte ihn um so stärker, und die Batterie untersuchte er ebenfalls sehr genau. Gewiß! . . . das hier war ein Empfangsapparat, aber nach einer Untersuchung der Röhren hielt Garrison es nicht für ausgeschlossen, ihn so umzuschalten, daß er auch als Sender arbeiten konnte. Daß es keine leichte Aufgabe sein würde, war ihm klar, aber er sah wenigstens eine entfernte Möglichkeit, mit der Außenwelt in Verbindung zu treten, wenn der katastrophale Nebel noch lange über der Insel lasten sollte.
»Was wollen wir jetzt unternehmen?« wiederholte Jeffris seine Frage, als Garrison mit seinen Untersuchungen zu Ende war.
»Ich muß sagen, ich fühle nachgerade, daß ich einen Magen habe«, gab Robertson seine Meinung kund. »Wenn sich's machen ließe, würde ich jetzt gern zum Lunch gehen.«
Er blickte Garrison an, erwartungsvoll, was der wohl dazu sagen würde. James Garrison schwieg; er hielt es nicht für zweckmäßig, seine Gedanken auszusprechen. ›Ihr werdet noch froh sein, wenn ihr einen Schluck Wasser habt und überglücklich, wenn ein unwahrscheinlicher Zufall euch einen Brotfruchtbaum finden läßt! Die Lust auf einen Lunch laßt euch vergehen, Boys!‹
»Hunger habe ich noch nicht«, äußerte sich Jeffris, »aber die Kehle ist mir von dem Rufen verflucht trocken geworden. Ich hätte gern was zum Trinken.«
Auch Jeffris wartete vergeblich auf eine Antwort. Garrison war wieder in tiefes Sinnen versunken. Er preßte die Rechte gegen die Stirn und starrte auf die Planskizze in seiner Linken, während er angestrengt kombinierte und überlegte.
›Wo läuft der Draht nach der anderen Seite hin?‹ war die Frage, um die sich seine Gedanken drehten. Daß die Leitung mit den Sprengungen der Deutschen zusammenhing, hatte er aus der Verbindung mit den Relais auf dem Tisch schnell erkannt. Also mußte sie notwendigerweise zu den Sprengstellen führen. Wo war gesprengt worden? Einmal sicher oben am Krater, außerdem aber wohl auch in dem Stollen. Um zu diesen Orten zu gelangen, mußte die Leitung den Bach neben dem Maschinenhaus überschreiten. Ergo mußte man zu dem Bach gelangen, wenn man ihr folgte.
»All right, Gentlemen!« Es waren die ersten Worte, die Garrison nach langen Minuten des Schweigens wieder sprach. »Wir wollen dem Draht nach der anderen Seite folgen und sehen, wohin er uns führt.« Wieder setzte sich der kleine Trupp in Bewegung und folgte dem Kabel wie einem Leitseil durch den dichten Nebel. Schon war die Stelle wieder erreicht, an der Garrison sein Taschentuch festgeknotet hatte. Jeffris wollte es abbinden; Garrison befahl ihm, es daran zu lassen, und der Marsch ging weiter.
»563 . . . 564 . . .« zählte Garrison aus alter Gewohnheit seine Schritte, als er plötzlich haltmachte. Ein in dem Rasen breit ausgetretener Pfad kreuzte den Draht. Er sah eine neue Möglichkeit. Dem Draht weiter zu folgen, hieß zwar sicher an den Bach gelangen, aber weiter auch nichts. Der Pfad hier hingegen? . . . Er erinnerte sich bei seinem letzten Besuch auf solch einem ausgetretenen Weg zum Verwaltungsgebäude gekommen zu sein . . . ein Entschluß mußte gefaßt werden. Auf dem Pfad würde er aller Voraussicht nach zu dem Verwaltungsgebäude gelangen . . . hatte es einen Zweck, dorthin zu gehen? Eine Einsturzgefahr war jetzt nicht mehr zu befürchten, und das Haus würde ihnen für die Nacht ein erträgliches Obdach bieten. Würde es sich sonst noch irgendwie lohnen?
Große Hoffnung hatte er nicht, denn die beiden Räume, in denen er noch vor einigen Stunden geweilt hatte, waren fast restlos ausgeräumt gewesen, aber in seiner augenblicklichen Lage durfte er nichts unversucht lassen. Wenn die Deutschen auch nur eine Brotkruste in dem Gebäude zurückgelassen hatten, würde es für ihn und seine Gefährten schon einen Gewinn bedeuten.
»Wir folgen dem Pfad hier, Boys«, entschied er sich, »aber gebt mir mal einer von euch ein Taschentuch. Der Punkt hier muß auch markiert werden.«
Jeffris gab ein großes rotes Sacktuch her, das Garrison fest um den Draht knotete; dann ging ihr Marsch weiter. Wesentlich langsamer jetzt als vorher, denn es war schwieriger, dem an manchen Stellen undeutlich werdenden Weg zu folgen als dem Kabel, das man sich beim Gehen einfach durch die Finger gleiten lassen konnte. Eine gute Viertelstunde gebrauchten sie, bis aus dem milchigen Dunst etwas Massiges vor ihnen auftauchte, das sich nach einigen weiteren Schritten als das Verwaltungsgebäude erwies.
»Hier sieht's ja ganz manierlich aus«, sagten Jeffris und Robertson gleichzeitig, während Garrison die Eingangstür öffnete, aber ihre Gesichter wurden lang, als sie in die kahlen Räume kamen. Gespenstisch hallten ihre Schritte auf dem steinernen Estrich, während sie unter der Führung vor Garrison über einen langen Korridor weiter gingen. Jeffris öffnete dabei ein paar Seitentüren. Sie führten in Räume, die zu Bürozwecken gedient hatten, wie einige Regale und Tische verrieten.
»Alles haben die Deutschen doch nicht mitgenommen«, brummte er mit einem Blick darauf vor sich hin und beeilte sich, den anderen wieder zu folgen.
James Garrison suchte zuerst einmal den Weg zu jenem Gemach, in dem er vor einigen Tagen noch mit Professor Eggerth zu Abend gegessen hatte und fand glücklich dorthin. Auch hier war vieles fortgeschafft, aber wenigstens Tische und Sessel waren noch vorhanden. Erschöpft von den Anstrengungen dieses so ereignisreichen Tages ließ er sich auf einem Sessel nieder, und seine beiden Gefährten folgten seinem Beispiel.
»Ja, Boys«, begann er nach kurzer Rast, »hier hat es noch vor einigen Tagen ein gutes Supper gegeben. Was meint ihr, was man daraus schließen könnte?«
»Daß eine Küche in der Nähe sein muß, Sir«, sagte Robertson.
»Und vermutlich auch eine Speisekammer«, fügte Jeffris hinzu.
»Richtig! Nach diesen beiden nützlichen Orten müssen wir also suchen.«
»Suchen wir!« sagten Jeffris und Robertson wie aus einem Munde und sprangen von ihren Stühlen auf.
»Aber mit Verstand und Vorsicht!« zügelte Garrison ihren Tatendrang. »Unter allen Umständen müssen wir zusammenbleiben. Erst wollen wir sehen, wohin es durch die Tür hier weiter geht.« Er öffnete sie und kam über einen schmalen Flur zu einer Treppe, die nach unten führte.
»Hier scheint's in den Keller zu gehen«, meinte er, »wäre nicht ausgeschlossen, daß wir da unten etwas Brauchbares finden.«
Er hatte den Fuß auf die erste Treppenstufe gesetzt, als er wieder stehenblieb. Ein Geräusch war von unten her hinaufgedrungen. Wie ein kurzes Klappern oder Rattern hatte sich's angehört. Jetzt war es wieder still.
Garrison wandte sich nach seinen beiden Begleitern um. Flüsternd fragte er, ob sie es auch gehört hätten. Ebenso leise bejahten sie seine Frage. Hin und her wurde zwischen den dreien geraunt, was es wohl sein mochte, als das Geräusch für ein paar Sekunden von neuem vernehmbar wurde.
»Ein Mensch? . . . Vielleicht mehrere Menschen müssen da unten sein«, sagte Garrison.
»Vielleicht auch Tiere, Sir?«, meinte Jeffris. »Das kurze Rattern. Ich mußte dabei an eine Klapperschlange denken.«
Garrison schüttelte den Kopf. »Nonsens, Jeffris, soviel ich weiß, gibt's auf der Insel keine Schlangen.«
»Wir könnten mal rufen«, schlug Robertson vor. »Wenn es Menschen sind, werden sie wohl antworten.«
Garrison winkte ab. »Lieber nicht, Robertson. Wir wollen leise hinuntergehen . . . dicht zusammenbleiben . . . auf der Hut sein, wenn es doch ein Tier ist.«
Vorsichtig stiegen sie Stufe für Stufe die Treppe hinab und kamen auf einen fast dunklen Gang. Nur aus einer halb geöffneten Tür, die einige Meter vom Fuß der Treppe entfernt war, kam ein schwacher Lichtschein . . . kam jetzt auch wieder ein Geräusch. Vorsichtig, nur auf den Fußspitzen gehend, schlichen sie sich näher heran. Als erster warf Garrison einen Blick durch den Türspalt und fuhr erstaunt zurück. Robertson benutzte sein Zurückweichen, um sich an ihm vorbei vorwärts zu drängen. Im nächsten Moment brach es laut von dessen Lippen:
»By Jove, da sitzt er beim Lunch!« Mit einem Ruck stieß Robertson die Tür ganz auf, zu dritt stürmten sie in den Raum, um sich das Wunder aus der Nähe zu besehen. Da saß O'Brien, den sie irgendwo draußen im Nebel verirrt und verloren wähnten, an einem Tisch; eine Reihe von Tellern mit allerlei Eßbarem darauf stand vor ihm. In der Hand hielt er ein volles Glas Bier, das er wohl gerade zum Munde führen wollte, als der Ausruf Robertsons ihn störte.
»O'Brien! Mann! Wie kommen Sie hierher?« Garrison stieß die Frage hervor. O'Brien gewann seine irische Ruhe wieder, als er Garrison sah und dessen Stimme hörte. Erst nachdem er einen kräftigen Schluck aus seinem Glas genommen hatte, bequemte er sich zu einer Antwort.
»Auf meinen beiden Füßen, Sir. Stand beim Funkmast, besah mir da den elektrischen Kram, kann sein, daß ich mit den Fingern rangekommen bin. Auf einmal fing's da an zu klappern, und im nächsten Moment ging der Krach los. Als ich den Nebel aufkommen sah, rannte ich, was ich konnte, auf das Haus los; bin gerade noch zur rechten Zeit reingekommen; beschloß, hier abzuwarten . . .«
»Mann, O'Brien! . . .« Garrison schüttelte den Kopf. »Bei so einem Erdbeben gehen Sie in ein Haus? Sie haben Glück gehabt, daß es Ihnen nicht über dem Kopf zusammengefallen ist.«
Der Ire lachte. »Ah bah, Sir! Ich bin gleich in den Keller gekrochen; der ist solide gebaut, der fällt so leicht nicht ein, und was Vernünftiges zum Essen und zum Trinken habe ich hier auch entdeckt.«
»Was zum Trinken!« unterbrach ihn Jefferson. »Ich habe einen Mordsdurst, O'Brien.«
Der Ire schenkte sein Glas aus einer angebrochenen Bierflasche wieder voll und hielt es ihm hin. Jeffris leerte es auf einen Zug. »Das tat gut«, sagte er nach einem tiefen Atemzug, »aber . . . ist zwar sonst nicht mein Geschmack, O'Brien .. aber frisches Wasser wäre mir jetzt beinahe noch lieber.«
O'Brien schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, Jeffris; damit kann ich nicht dienen. Der Leitungshahn gibt kein Wasser. Nehme an, daß das Rohr bei der Teufelei zerbrochen ist. Müssen uns vorläufig mit Bier behelfen. Ist ja genug davon vorhanden.« Er stand auf und öffnete die Tür zu einem Nebenraum, und durch einen Blick konnte sich Jeffris überzeugen, daß sie hier wirklich auf die von ihm vermutete Speisekammer gestoßen waren. Auch Garrison sah es, und eine Sorge fiel von ihm ab. Die Gefahr, zu verschmachten oder zu verhungern, war angesichts der Vorräte, die sich seinem Auge hier boten, nicht mehr zu fürchten. Man würde in einem erträglichen Zufluchtsort in Ruhe abwarten können, bis die schwere Nebelbank sich wieder aufgelöst hätte.
Daß die Wasserleitung Schaden gelitten hatte, war freilich störend, über kurz oder lang würde man doch einen Vorstoß zu dem Bach hin unternehmen müssen . . . er sah auf seine Uhr . . . Nur noch eine halbe Stunde bis zum Sonnenuntergang. Für heute war's zu spät dazu. In kurzer Zeit würde die Dunkelheit einbrechen. Er ging zu dem Lichtschalter an der Tür und betätigte ihn. Die Deckenlampe blieb dunkel.
O'Brien sah es und nickte. »Die elektrische Leitung ist auch zerrissen, Sir, habe mich schon vorher davon überzeugt. Werden im Dunklen kampieren müssen.«
Dreißig Minuten verstreichen schnell, wenn man sich aus zusammengesuchten Decken und Kissen ein Nachtlager herrichten und außerdem noch zu Abend essen soll. Dämmerung brach bereits herein, als sie sich zum Essen niedersetzten. Im Dunkeln mußten sie die letzten Bissen zu sich nehmen, und im Dunkeln tasteten sie sich danach zu ihren Ruhestätten hin.
*
Wie Wattenland zur Ebbezeit sah Captain Dryden den Seeboden um sein Schiff herum noch trocken werden, bevor der schwere milchige Nebel kam, der sich wie ein Leichentuch über die Insel und ihre Umgebung legte und jede Sicht unmöglich machte. So konnte der Captain nichts mehr von dem beobachten, was weiter geschah, und spürte nichts von den unterirdischen Kräften, die den Seeboden und mit ihm auch die ›Berenice‹ um mehr als hundert Meter in die Höhe wuchteten.
Ein anderes Bild aber boten die Dinge von ›St 25‹ aus, das in klarem Sonnenschein in Stratosphärenhöhe über der Insel schwebte. Viel deutlicher war von hier zu erschauen, wie der neue Vulkan an der Südspitze der Insel seinen Schlund auftat und unendliche Lavamassen in die See strömen ließ, während der Ozean von dem Nordstrand plötzlich zurückzuweichen begann. Durch die Fenster des Kommandoraumes sahen Professor Eggerth, Wille und Schmidt, wie die ›Berenice‹ auf dem Trockenen lag und sich leicht überneigte.
»Ich fürchte, sie wird kentern«, sagte Dr. Wille gerade, als der Nebel herankam und das Schiff ihren Blicken entzog. Wie eine gewaltige Haube lagerte er über der Insel, wuchs über sie hinaus und bedeckte auch das Meer auf Kilometer hin. Stunden hindurch brodelten von der Südspitze der Insel her, wo der Lavastrom mit der See zusammentraf, unaufhörlich neue Dampfmassen empor, bis der Weg zum Wasser für den feurigen Fluß zu weit wurde. Der Augenblick kam, in dem die Lava den Ozean nicht mehr erreichte, sondern schon vorher erstarrte. Da hörte das Wachstum der Nebelbank auf. Wie eine schimmernde schneeige Halbkugel lag sie im Licht der Tropensonne auf dem Azurschild des Ozeans, doch nur für eine kurze Weile blieb das Bild unverändert.
Dann begann das Blau der See sich an den Rändern des weißen Gebildes zu verfärben, verwandelte sich in tiefes Smaragdgrün, ging schließlich in helles Gelb über. Neues Land kam auf, wo vor kurzem noch die See wogte. Immer weiter lief die Verfärbung, immer größer wurde die Fläche, die gehoben von dem Druck des quellenden Magmas aus der Tiefe auftauchte. Schon betrug sie ein Mehrfaches der Wolkenbank und immer noch wuchs sie weiter.
Schweigend verfolgten die drei Männer im Kommandoraum von ›St 25‹ das wunderbare Schauspiel, während die Stunden darüber verrannen. Schon stand die Sonne tief im Westen, als die Bewegung langsamer wurde, als das Blau des Ozeans anfing, sich gegen das vordringende Gelb zu behaupten. Da griff Professor Eggerth zum Theodoliten, visierte, maß Winkel und begann zu rechnen. Vorgebeugt über das Papier, auf dem er schrieb, verfolgten Schmidt und Wille die Zahlen, die aus seiner Feder kamen, stutzten, wollten etwas dagegen einwenden. Professor Eggerth sah es, und ein Lächeln ging über sein Gesicht, während er zu sprechen begann.
»Doch, meine Herren! Es ist so, wenn es Ihnen auch vielleicht noch unglaublich erscheint. Das Ergebnis unseres Experimentes hat unsere Erwartungen noch übertroffen. Das Areal unserer Insel hat sich vertausendfacht.«
»Vertausendfacht?! Undenkbar, Herr Professor!« Dr. Schmidt brachte die Worte scharf und knapp heraus, während Wille zweifelnd den Kopf schüttelte.
»Meinetwegen undenkbar, aber trotzdem Tatsache, Herr Doktor.« Professor Eggerth deutete auf einige Zahlen seiner Rechnung. »Sehen Sie hier! Die Insel war vorher etwa 10 Kilometer lang und am Nordstrand 3 Kilometer breit. Hier stehen die neuen Maße. 300 Kilometer beträgt die Länge jetzt und 100 Kilometer die Breite im Norden. Ihr Reich ist gewachsen, Herr Kommissar«, wandte er sich weitersprechend an Dr. Wille. »Nicht über 15, sondern über 15 000 Quadratkilometer sind Sie jetzt Herr und Gebieter. Unser Versuch hat sich doch gelohnt.«
Dr. Wille fuhr sich über die Stirn, als wolle er lästige Gedanken verjagen. Langsam, als müsse er die Worte zusammensuchen, begann er zu reden.
»Wenn es nur so bleibt . . . ich fürchte, es wird nicht von langer Dauer sein. Die Dampfspannung, die das Land aus der Tiefe hob, wird wieder nachlassen und dann . . . dann wird es wieder in der See versinken . . . schneller vielleicht noch, als es emporgestiegen ist . . . es wäre nicht das erstemal, daß sich etwas Derartiges ereignete. Wir haben es in den Kordilleren erlebt, daß über Nacht ein 1000 Meter hoher Berg aus dem Boden wuchs und am Abend schon wieder verschwunden war . . .«
»Ich weiß es, Herr Doktor«, unterbrach ihn Professor Eggerth. »Wie eine schwankende zitternde Blase hob sich in jener grauenvollen Nacht, von der Sie sprechen, der vulkanische Grund, um mehr als 1000 Meter, und so schnell fast, wie eine Seifenblase verschwindet, sank er wieder in sich zusammen, sobald die hochgespannten Dämpfe, die das Phänomen verursachten, sich einen Ausweg ins Freie gebahnt hatten. Aber hier ist es etwas anderes. Unser frischgewonnenes Land ruht nicht auf einem Dampfkissen, sondern auf solidem Gestein, das aus der Vermählung des Weltmeeres mit dem Magma neu entstand. Es wird nicht wieder in die Tiefe sinken. Im Licht und in der Wärme dieses gesegneten Himmelsstrichs wird es sich schnell begrünen und bald, Herr Dr. Wille, wird Ihr neues Reich ein fruchtbares Paradies sein.«
Der Professor griff wieder zum Theodoliten und begann aufs neue zu visieren und zu rechnen. Seine Stirn krauste sich, als er das Ergebnis niederschrieb. »Die Wolkenbank steht fast unverändert, meine Herren«, sagte er, während er den Bleistift beiseite legte, »ich fürchte, wir werden uns auf eine Geduldsprobe gefaßt machen müssen. Es kann noch lange dauern, bis die Insel wieder nebelfrei wird. Im Augenblick hat es keinen Zweck, länger in der Luft zu bleiben. Wir wollen unseren Treibstoff sparen und lieber wassern.« Er griff zum Telefon, gab einen Befehl in den Pilotenstand, und in weiten Schleifen ging ›St 25‹ nach unten. Während das Schiff noch seine Kreise zog, kam ein Bote von Lorenzen in den Kommandoraum und legte eine Anzahl von Funksprüchen vor Professor Eggerth hin. Der las sie, nickte dazu und gab die Blätter dann an Dr. Wille.
»Sehen Sie, Herr Doktor«, meinte er dazu, »unser Sicherheitsventil an der Südspitze hat sich doch recht nützlich ausgewirkt. Die vulkanischen Erscheinungen auf den japanischen Inseln und in den Kordilleren waren nur unbedeutend. Unser erstes kleines Experiment mit der Eisbombe hat sich dort seinerzeit viel stärker bemerkbar gemacht.«
»In der Tat, Herr Professor.« Dr. Wille gab ihm die Depeschen zurück. »Nach unsern damaligen Erfahrungen hätte ich diesmal dort viel stärkere Ausbrüche erwartet. Sie schreiben das Ausbleiben dieser Erscheinungen dem Umstand zu, daß das Magma hier durch den neuen Vulkan eine Entlastung hatte?«
»Ich bin überzeugt, daß es der Grund dafür ist«, sagte Professor Eggerth. Mit wachsendem Mißfallen hatte Dr. Schmidt das Gespräch der beiden anderen verfolgt. Jetzt konnte er nicht länger an sich halten und mischte sich in ihre Unterhaltung. Energisch setzte er der von Professor Eggerth und Dr. Wille vertretenen Theorie, die einen Zusammenhang des gesamten Magmas annimmt, jene andere gegenüber, die ihn verneint. Da Wille seinem streitbaren Kollegen die Antwort nicht schuldig blieb, waren die beiden sehr schnell in den schönsten wissenschaftlichen Streit verwickelt.
Der Professor ließ sie einstweilen gewähren. Er war an ein Fenster getreten und blickte nach Westen hinaus, wo der Sonnenball wie eine kupferrote Scheibe dicht über der Kimme hing. Jetzt berührte er sie und begann in der Flut zu versinken, während der Rumpf von ›St 25‹ sich breit und massig auf den Wasserspiegel legte. Einen Augenblick später verstummte der Lärm der Motoren. Eine im ersten Moment fast unwahrscheinliche Stille herrschte in dem Raum, nur unterbrochen von den Reden und Gegenreden, mit denen Schmidt und Wille ihre auseinandergehenden Meinungen verfochten.
Professor Eggerth wußte, daß ein Ende dieser Debatte so bald nicht abzusehen war, wenn er nicht eingriffe. »Meine Herren«, mischte er sich in ihren Disput, »lassen wir jetzt die Theorie beiseite! Kümmern wir uns ein wenig um die Praxis . . .«
»Praxis?! Was meinen Sie damit, Herr Professor?« fragte der lange Schmidt.
»Das Schicksal der vier Amerikaner auf der Insel macht mir Sorge, meine Herren. Wir wissen, daß sie dort vom Nebel überrascht wurden und werden etwas zu ihrer Rettung unternehmen müssen . . .« Während er die letzten Worte sprach, brach bereits die Tropennacht herein.
»In der Dunkelheit ist nichts zu machen«, sagte Dr. Schmidt kategorisch.
»Es wird auch bei Tage nicht leicht sein, Herr Doktor,« fuhr Professor Eggerth fort. »Wir wollen die Stunden der Dunkelheit benutzen, um Vorbereitungen zu treffen.«
»Wie soll man sie in dem Nebel finden?« sagte Wille mit einem Achselzucken. »Man kann in dem Dunst nicht fünf Schritte weit sehen.«
»Unsere Augen können es nicht, Herr Dr. Wille, aber die photographische Platte wird es vielleicht können, wenn wir mit infrarotem Licht arbeiten«, verbesserte ihn der Professor.
»Infrarotaufnahmen! In der Tat, Herr Professor, sie könnten uns zeigen, was unseren Augen in dem Nebel verborgen bleibt,« pflichtete ihm Dr. Wille bei, und auch Dr. Schmidt nickte zustimmend.
»Meines Wissens haben wir mehrere Satz infrarotempfindlicher Filme an Bord«, meinte er, »man könnte es versuchen, mit diesem Material Aufnahmen zu machen. Wenn wir Glück haben, könnten wir die Vermißten dabei auf die Platte bekommen. Ob es uns wirklich gelingen wird, ist eine andere Frage. Die Wahrscheinlichkeit spricht dagegen.«
»Die Wahrscheinlichkeit spricht dagegen«, wiederholte Professor Eggerth die letzten Worte von Dr. Schmidt. »Ich habe deshalb eine andere Möglichkeit in Erwägung gezogen . . .«
Und nun begann der Professor seinen beiden Zuhörern einen neuen Plan zu entwickeln. Erst ungläubig und abweisend, dann immer mehr überzeugt und gefesselt, hörten sie ihn an und schwiegen nachdenklich, als Professor Eggerth geendet hatte.
»Nun, was meinen Sie dazu?« Er richtete die Frage an Dr. Wille.
»Großartig, Herr Professor, aber haben wir auch die Mittel dafür an Bord?«
»Das meiste, Herr Dr. Wille. Einiges werden wir freilich behelfsmäßig vorbereiten müssen, aber wir haben ja die ganze Nacht vor uns.«
»Wir wollen keine Zeit verlieren«, mischte sich Dr. Schmidt ein. »Wenn wir bis Sonnenaufgang fertig werden wollen, müssen wir uns dranhalten. Es wäre empfehlenswert, wenn wir schon morgen früh mit unseren Nachforschungen beginnen könnten.«
*
Zwölf Stunden dauert die Nacht in den Tropen, eine lange Zeit für Leute, die gewohnt sind, mit sieben Stunden Schlaf auszukommen. Schon bald nach Mitternacht waren Garrison und seine Gefährten wieder munter und wälzten sich ungeduldig auf ihren Lagerstätten hin und her, sehnsüchtig den Anbruch des neuen Tages erwartend. Mit dem Erzählen von allerlei Schnurren und Geschichten suchten sie sich die Zeit zu vertreiben, aber die Stunden schlichen dabei nur langsam dahin. Immer wieder mußte ihnen Garrison von den Leuchtziffern seines Chronometers die Zeit ansagen und mit Erleichterung vernahmen sie es, als er ihnen die fünfte Morgenstunde ankündete.
»Noch einmal sechzig Minuten, dann kommt die Sonne wieder«, meinte O'Brien.
»Einen Mordsdurst habe ich nach dem Bier vor gestern abend«, stöhnte Jeffris, »ein Königreich für einen Krug frischen Wassers.«
»Wir werden uns auf die Suche nach dem Bach machen, sobald es hell wird«, suchte ihn Garrison zu vertrösten und begann bei sich zu überlegen, wie diese Expedition am besten zu bewerkstelligen wäre. Zwei Möglichkeiten gingen ihm durch den Sinn.
Man konnte vom Verwaltungsgebäude den alten Pfad zurück gehen, bis man wieder auf das Kabel traf und dann diesem folgen. Mit Sicherheit mußte man dabei den Bach finden, aber ungewiß blieb die Stelle, an der man auf ihn stieß. Einfacher schien ihm die zweite Möglichkeit, vom Verwaltungsgebäude aus direkt auf das Maschinenhaus zuzumarschieren. Er würde sich dabei von Anfang an auf seinen Kompaß verlassen müssen, aber dafür war der Weg, so wie er ihn in der Erinnerung hatte, nur kurz, und dann hatte man auch den Vorteil, gleich im Maschinenhaus zu sein. Vielleicht würden sich dort ein Motor und eine Dynamo in Betrieb bringen lassen.
Man würde wieder Licht haben. Je länger Garrison es überlegte, um so verlockender schien ihm die Idee, denn eine zweite Nacht im Dunkeln wollte er nicht noch einmal durchmachen; er hatte von der ersten reichlich genug. Lebensmittel waren, wie er sich überzeugt hatte, für wenigstens eine Woche vorhanden. Wenn sie dazu noch frisches Wasser und Licht hatten, dann ließ sich das Leben trotz allem Dunst und Nebel ertragen.
Als James Garrison in seinen Überlegungen so weit gekommen war, fiel der erste Lichtschein in den Raum, ein neuer Tag brach an. ›Schöner sind wir alle zusammen in den letzten vierundzwanzig Stunden nicht geworden‹, konstatierte Garrison bei sich, als er in die Gesichter seiner Gefährten blickte. Ungewaschen, ungekämmt und unrasiert machten sie einen etwas verwilderten Eindruck, während ihre Augen wie in einem leichten Fieber glänzten.
»Wann gehen wir zum Wasser?« fragte Jeffris.
»Erst ordentlich frühstücken, Boys!« befahl Garrison. Das war einfacher gesagt als getan, denn zu einem Tee oder Kaffee, nach dem sich alle sehnten, fehlten Wasser und Feuer. Wohl oder übel mußten sie noch einmal zu den Biervorräten ihre Zuflucht nehmen und sich dazu mit kalten Konserven begnügen, da der elektrische Herd ebensowenig funktionierte wie das elektrische Licht.
Während dies biwakmäßige Frühstück eingenommen wurde, studierte Garrison seine Planskizze. Nach seinen Aufzeichnungen betrug die Entfernung vom Verwaltungsgebäude bis zum Maschinenhaus nur 300 Meter. Er glaubte, sein Ziel mit Hilfe des Kompasses sicher erreichen zu können und begann zum Aufbruch zu drängen. Die Frage, was sie auf den Weg mitnehmen sollten, war schnell geklärt. Proviant, um nötigenfalls bis zum Abend durchhalten zu können und außerdem ein paar Gefäße, um das ersehnte Wasser damit schöpfen zu können. Garrisons Chronometer wies die siebente Morgenstunde, als sie sich auf den Weg machten.
Noch immer lastete der Nebel unverändert auf dem Gelände, und ihr Marsch ging ebenso vor sich wie am vergangenen Tage, nur daß sie diesmal nicht drei, sondern ihrer vier waren. Wieder nahm Garrison die Spitze, den Kompaß in der flachen Hand vor sich haltend, nachdem er seine Gefährten aufgefordert hatte, in nächster Nähe bei ihm zu bleiben. Den Blick starr auf die Kompaßscheibe gerichtet, auf der er einen Winkel markiert hatte, begann er auszuschreiten und dabei nach alter Gewohnheit seine Schritte zu zählen.
Über unberührten Rasen führte ihr Weg zunächst, doch nach kaum hundert Schritten stießen sie auf einen ausgetretenen Pfad, der ziemlich genau die von Garrison ermittelte Richtung hatte, und sie beschlossen, ihm weiter zu folgen. Die Vermutung, daß er zum Maschinenhaus führte, erwies sich als zutreffend. Nicht allzulange währte es, und aus dem milchigen Dunst tauchten die Umrisse eines Gebäudes auf, das nur das Maschinenhaus sein konnte.
»Das Haus hätten wir, den Bach werden wir auch gleich haben«, triumphierte Garrison beim ersten Anblick, aber seine Laune sank beträchtlich, als sie vor dem Bau standen. Viel schlimmer als das Verwaltungsgebäude war das Maschinenhaus von dem Erdbeben mitgenommen worden. Seine Mauern zeigten, obwohl sie in Stampfbeton ausgeführt waren, schwere Risse. Ein Teil des Dachstuhles war eingestürzt, ein anderer Teil hing derart herab, daß er ebenfalls jeden Augenblick niederbrechen konnte. Es schien nicht geraten, den Bau zu betreten, und mit einem bitteren Gefühl sah Garrison die Hoffnung auf elektrisches Licht und helle Nächte entschwinden.
›Gehen wir erst mal zu dem Bach!‹ entschied er sich. Der Weg dorthin war nicht zu verfehlen. Sie brauchten nur um das Haus herumzugehen, das man ja seinerzeit unmittelbar neben dem Wasserlauf errichtet hatte, um Kühlwasser für die Motoren zu haben. Einstweilen konnte James Garrison seinen Kompaß einstecken; die Umfassungsmauern des Gebäudes gaben einen zuverlässigen Wegweiser ab.
Nun hatten sie die andere Seite des Hauses erreicht und mußten eine zweite herbe Enttäuschung erleben. Zwar die Rinne, in welcher der Bach früher floß, war noch vorhanden, aber kein Tropfen Wasser befand sich darin. Über die Ursache war sich ein so wissenschaftlich geschulter Kopf wie James Garrison schnell klar. Das Erdbeben hatte hier, wie ja schon der Zustand des Maschinenhauses verriet, mit besonderer Stärke gewütet. Zweifellos hatte es dabei Bodenbewegungen und Niveauveränderungen bewirkt, durch die der vom Innern der Insel her zum Ufer strömende Bach zu einem andern Lauf gezwungen worden war.
An der Stichhaltigkeit dieser Erklärung war kaum zu zweifeln, aber sie schaffte die bedenkliche Tatsache nicht aus der Welt, daß ihnen das lebenswichtige Element, das Wasser, fehlte. Wasser, nach dem sie alle sich jetzt schon sehnten und nach dem sie vierundzwanzig Stunden später sicher noch viel stärker dürsten würden. Über den Ernst ihrer Lage gab sich Garrison keiner Täuschung hin. Wasser mußte gefunden werden, und zwar bald.
Während seine Gefährten an dem leeren Rinnsal hockten und mißmutig auf die mitgebrachten Gefäße starrten, überlegte er. Der Bach kam von dem Hochland im Innern der Insel her. Irgendwo unterwegs hatte er sein altes Bett verlassen. Die Stelle, an der das geschehen war, mußte man aber notgedrungen treffen, wenn man seinem alten Lauf landeinwärts folgte. Vielleicht kam man dabei bald zum Ziel, vielleicht konnte es ein langer Marsch ins Ungewisse werden, doch auf jeden Fall mußte es gewagt werden. Mit einigen energischen Worten riß er seine mutlosen Gefährten zusammen und erklärte ihnen, was er vor hatte. Dann setzte sich die kleine Kolonne wieder in Bewegung und folgte dem alten Bachbett.
Der Weg war nicht zu verfehlen, aber er war reichlich unbequem. Nicht mehr über eine ebene Wiese, sondern über Stock und Stein mußten sie den Windungen des alten Wasserlaufes folgen und sehr bald begann das Gelände auch zu steigen. Sie sprachen wenig, während sie sich Schritt für Schritt durch den Nebel weiter tasteten. Jeder von ihnen hing seinen eigenen Gedanken nach, und bei jedem Schritt, den sie vorwärts kamen, wuchsen die Sorgen Garrisons. Viel mehr als seine Gefährten beunruhigte ihn die starke Steigung, die sie zu überwinden hatten. Die Befürchtung, daß der Bach durch die starken Bodenverschiebungen ganz zum Versiegen gekommen sein könnte, begann ihn zu quälen und wuchs mit jedem Schritt, den sie weiter bergauf machen mußten. Er hütete sich, den andern ein Wort von seinen Besorgnissen zu verraten, während er schon zu grübeln begann, was sie in diesem schlimmsten Fall unternehmen könnten.
Während er so zwischen Besorgnis und Hoffnung schwankend weiter ging, verspürte er, daß die Steigung allmählich schwächer wurde. Eine kurze Strecke nur noch, und das alte Bachbett, in dem sie sich Schritt für Schritt vorwärts arbeiteten, verlief in der Waagerechten, und dann begann es sogar wieder zu fallen. Garrison verhielt den Schritt, als er es merkte, er brauchte Zeit, um das, was hier geschehen war, voll zu erfassen, und nur langsam formte sich in seinem Geiste ein Bild der Geschehnisse.
Eine Bodenwelle hatten die unterirdischen Kräfte während des Bebens hier quer zu der Richtung des Baches emporgehoben. Es war ohne weiteres einleuchtend, daß dessen Lauf dadurch gehemmt werden mußte. Aber welchen andern Weg mochte es sich nun gesucht haben? Das war die Frage, die James Garrison bewegte, während er wieder auszuschreiten begann. Langsam und vorsichtig, wie der von allerlei Felsgeröll bedeckte Boden des Bachbettes es erforderte, setzte er einen Fuß vor den anderen. Immer noch ging der Weg bergab. Von neuem überfiel ihn Sorge, ob und wann sie wohl auf das lebenspendende Naß stoßen würden. In Gedanken versunken machte er einen weiteren Schritt und trat in klares Wasser. Soweit seine Blicke den Nebel zu durchdringen vermochten, war das Bachbett vor ihm mit Wasser gefüllt.
»Wasser!« Das kurze Wort von seinen Lippen wirkte belebend auf seine Gefährten. Sie stürzten hinzu, schöpften in die mitgebrachten Gefäße und tranken in vollen Zügen. James Garrison ließ sie gewähren, ohne ein Wort zu sprechen, während es in seinem Hirn arbeitete. Das Wasser floß nicht mehr. Es stand hier ruhig in dem alten Bett. Natürlich! So mußte es ja auch sein, schoß es ihm durch den Sinn. Diese Bodenwelle mußte ja auf den Wasserlauf ebenso wirken wie eine Talsperre. Ein Stausee mußte sich hinter ihr bilden . . . war diese Schlußfolgerung richtig . . . war sie falsch? . . . Eine Untersuchung mußte es ihm zeigen.
Das Bachbett war hier etwa einen Meter tief in das Gelände eingeschnitten. Er rief den anderen zu, an der Stelle zu bleiben, an der sie waren, stieg selbst die Böschung zur Rechten empor und folgte neben ihr dem alten Bachlauf. Schon nach kaum dreißig Schritten stieß er auch hier auf Wasser. Vorsichtig tastete er sich eine Strecke weit an der Uferlinie entlang und fand seine frühere Vermutung bestätigt. In weitem Umfang mußte das ganze Gelände hinter der Bodenwelle überschwemmt sein. Es hatte keinen Zweck für ihn, dem Ufer des neuentstandenen Stausees noch weiter zu folgen. So machte er wieder kehrt und ging zu dem Bachlauf zurück, wo seine Gefährten ungeduldig auf ihn warteten.
Ein kurzer Blick zeigte ihm, daß die Stimmung der drei während der kurzen Zeit seiner Abwesenheit bedenklich gesunken war. O'Brien und Robertson hatten sich der Länge lang hingeworfen und starrten schweigend auf das Wasser vor ihnen. Jeffris aber lief unruhig auf und ab und redete dabei laut vor sich hin.
Den Nebel verwünschte er. Von hellem Sonnenschein und blauem Himmel phantasierte er dazwischen. Es war ungereimtes und sinnloses Zeug, was er in wahllosem Durcheinander über seine Lippen brachte, aber mit Schrecken ersah Garrison daraus, daß Jeffris dicht vor einem Nervenzusammenbruch stand. Dieser trostlose milchige Nebel! Garrison spürte es nur allzusehr an sich selber, wie er das Gemüt bedrückte und die Sinne verwirrte. Erst seit vierundzwanzig Stunden steckten sie in der Wolkenbank, und doch schien's ihm eine Ewigkeit her zu sein, daß er zum letztenmal strahlende Sonne und blauen Himmel gesehen hatte.
Er erinnerte sich an das, was er über Vorkommnisse in der englischen Hauptstadt während solcher Nebeltage gelesen hatte. Geistesverwirrung, Spleen . . . Selbstmorde waren regelmäßige Folgeerscheinungen, wenn der gefürchtete Nebel London einhüllte. Sollte es hier ebenso gehen? . . . Würden sie am Ende einer nach dem anderen die Nerven verlieren? . . . Schließlich halb toll in die Irre laufen . . . Zugrunde gehen? Er zermarterte sich den Kopf, wie er die Gefahr abwenden könnte . . . Arbeit! Irgendeine Beschäftigung, die sie ablenkte . . . es war das einzige Mittel, das ihm im Augenblick zur Verfügung stand. Ganz allmählich formte sich ein Plan in seinem Hirn. In Einzelheiten begann er ihn zu überdenken, nur hin und wieder durch die krankhaften Ausbrüche von Jeffris gestört.
*
Die Morgensonne, deren Strahlen die Nebelbank über der Insel nur mit einem fahlen milchigen Licht durchdringen konnte, ließ den Rumpf von ›St 25‹ in tausend Reflexen erglänzen, als das Stratosphärenschiff sich vom Seespiegel emporhob und in geringer Höhe mit langsamer Fahrt die Insel ansteuerte. Ein kurzer Flug nur, dann stieß es in den Nebel hinein und jede Sicht hörte auf; mit den Mitteln des Blindfluges mußte weiter navigiert werden.
Im Pilotenraum saßen Georg Berkoff und Hein Eggerth an der Steuerung. Im Kommandoraum beobachteten Professor Eggerth, Wille und Schmidt den Gang der Instrumente.
»Es ist ein Zufall, wenn wir sie finden . . . aber ich glaube an solche Zufälle nicht«, sagte Dr. Wille mutlos.
»Man muß es versuchen«, gab Dr. Schmidt wortkarg wie immer seine Meinung kund.
Professor Eggerth ließ seine Blicke abwechselnd zwischen dem Fahrtmesser und dem Höhenzeiger hin und her gehen. 300 Meter Höhe zeigte der letztere an.
»In diesem Augenblick passieren wir die ehemalige Uferlinie«, konstatierte Dr. Schmidt. Der Professor nickte und drückte auf einen Knopf. Ein Knall wie von einem Schuß wurde hörbar. Im gleichen Moment begann der Zeiger des Echolotes über die Skala zu laufen und blieb stehen, als er die Fünfzig erreicht hatte. Wie gebannt starrten Schmidt und Wille auf das Instrument. 300 Meter zeigte der Höhenmesser und nur 50 Meter lag nach der Angabe des Echolotes das Land unter ihnen. Um 250 Meter mußte sich der Boden hier gehoben haben.
Professor Eggerth gab durch das Telefon einen Befehl in den Pilotenstand. Die Hubschrauben wirbelten um ihre Achsen. Schon hing das Schiff an ihnen, während die Horizontalpropeller stillgesetzt wurden. Langsam sank ›St 25‹ nach unten, bis es mit einem leichten Stoß aufsetzte.
Eine Tür wurde geöffnet, eine leichte Metalltreppe ausgestreckt. Als erster verließ der Professor das Schiff, gefolgt von Wille.
»Trostlos!« murmelte Dr. Wille vor sich hin, als er über die Stufen der Treppe in den dichten Nebel hinabschritt.
»Immer dicht beim Schiff bleiben, Herr Doktor«, ermahnt ihn Professor Eggerth. »Wir dürfen uns nicht aus den Augen verlieren.«
»Ich werde mich hüten, in die Milchsuppe hineinzulaufen«, sagte Wille und blieb am unteren Ende der Treppe stehen. Nur undeutlich konnte er von dort sehen, wie zwei Gestalten aus dem Rumpf des Schiffes hinaustraten und etwas Massiges mit sich schleppten. Erst als sie näher kamen, erkannte er Berkoff und Hein Eggerth, die eine große photographische Kamera und ein Stativ heranbrachten und aufstellten. Hinter den beiden kam Dr. Schmidt die Treppe herab, unter seinem rechten Arm trug er behutsam wie einen Schatz den Fluoreszenzschirm, den sie in der verflossenen Nacht nach den Anweisungen des Professors in stundenlanger Arbeit hergestellt hatten. Eine Platte, welcher die wunderbare Fähigkeit eignete, unter dem Einfluß der ultraroten Strahlen ebenso aufzuleuchten wie die in der Röntgentechnik benutzten Schirme unter der Einwirkung der Röntgenstrahlen. Er schob sie an Stelle der Mattglasscheibe in die Kamera. Während der Professor an dem Objektiv und der Blende des Apparates Einstellungen vornahm, warf der lange Schmidt sich ein schwarzes Tuch über den Kopf und betrachtete gespannt die Fluoreszenzscheibe. Nur ein undeutliches Funkeln und Schimmern war darauf zu bemerken. Keine Spur von festen Umrissen und irgendwelchen Einzelheiten eines Bildes ließ sich erkennen.
»Es funktioniert nicht, Herr Professor«, rief er mißmutig, während er sich das Tuch wieder vom Kopf riß.
»Geduld alter Freund!« meinte Professor Eggerth lachend. »Ganz so schnell geht es nicht.« Während er es sagte, hängte er eine Vorsatzscheibe vor das Objektiv. Dunkel, ja fast schwarz sah diese Scheibe aus; jedes sichtbare Licht mußte sie von der Kamera fernhalten, und damit hatte es auch seine Richtigkeit; es war ein Filter, das nur infrarote Strahlen zu dem Objektiv ließ, alle Strahlen kürzerer Wellenlänge aber, die das menschliche Auge als Licht empfindet, absperrte.
»Nun versuchen Sie es noch einmal!« ermunterte der Professor Dr. Schmidt. Der steckte den Kopf von neuem unter das Tuch. Es dauerte eine Minute, bis seine Augen sich an die Dunkelheit angepaßt hatten, dann aber erkannte er deutlich die Einzelheiten des Bildes, das von der Objektivlinse auf der Fluoreszenzscheibe entworfen wurde.
Freilich war es sehr lichtschwach, und auch mit der Tatsache, daß es verkehrt, das heißt mit dem Kopf nach unten auf der Scheibe erschien, mußte er sich erst abfinden. Dann aber erkannte er die Umrisse des Verwaltungsgebäudes, das von ihrem gegenwärtigen Standort reichlich 300 Meter entfernt war. Durch den Nebel hindurch, der für das menschliche Auge schon in nächster Nähe alles verschwimmen ließ brachten die langwelligen ultraroten Strahlen ein scharfes Bild des so weit entfernten Hauses bis in die Kamera. Die Minuten verstrichen, ohne daß Dr. Schmidt ein Wort über das sprach, was er unter seinem Tuch beobachtete. Aber nun begann er die Kamera auf dem Stativ ein wenig hin und her zu drehen, um andere Teile der Umgebung durch das Objektiv hindurch auf die Fluoreszenzscheibe zu bekommen. Professor Eggerth sah es und ein Lächeln lief über seine Züge. Schweigend stieg er die Treppe wieder hinauf, trat in das Schiff und sprach ein paar Worte mit seinem Sohn und Georg Berkoff.
»Jawohl, Herr Professor, wird sofort gemacht«, sagte Berkoff.
Während der Professor das Schiff verließ, schoben Berkoff und Hein Eggerth einen der großen Scheinwerfer, die ›St 25‹ an Bord führte, bis an die offene Schiffstür heran. Ein Kabel wurde in eine Dose gesteckt und ein Strom von hundert Ampere ging in den Scheinwerfer. Ein Klappern und Zischen verriet, daß das Lampenwerk in ihm in Betrieb war, aber anders als sonst arbeitete er heute. Sonst sandte er einen grellen mächtigen Lichtbalken aus, der auf eine geographische Meile hin jede angestrahlte Stelle tageshell erleuchtete; jetzt kam auch nicht die Spur eines Lichtschimmers aus seinem Gehäuse.
Der Grund dafür war unschwer zu erkennen. Nicht mehr klares Spiegelglas bildete den Abschluß seines Gehäuses, sondern eine Platte, die anscheinend aus dem gleichen dunklen Material bestand wie die Vorsatzscheibe vor dem Objektiv der Kamera. Nur ein infrarotes Strahlenbündel vermochte der Scheinwerfer noch ins Freie zu senden, während alles sichtbare Licht zurückgehalten wurde.
Hein Eggerth stieg die Treppe zur Hälfte hinab. So konnte er trotz des Nebels einigermaßen den Scheinwerfer oben in der Türöffnung und die Kamera unten erkennen. Mit dem rechten Arm deutete er Berkoff die Richtung an, in welche Dr. Schmidt unten die Kamera gerade drehte, und Berkoff richtete den Scheinwerfer danach.
»Ah!, was ist das?!« Der Ausruf kam unter dem schwarzen Tuch her aus dem Munde von Schmidt. In dem gleichen Augenblick, in dem die Richtung des Scheinwerfers mit derjenigen der Kamera zusammenfiel, in dem beide Apparate das gleiche Ziel anvisierten, leuchtete das bisher lichtschwache Bild auf der Fluoreszenzscheibe so hell und klar auf, daß der Doktor für einen Moment die Augen schließen mußte. So scharf zeichneten sich jetzt alle Einzelheiten des Verwaltungsgebäudes auf der Scheibe ab, als ob er es in vollem Sonnenschein betrachtete.
»Wundervoll! Erstaunlich!« Dr. Schmidt sprach die Worte unter seinem Tuch, während er die Kamera ein wenig drehte. Da wurde das Bild wieder dunkel, doch nur einen Moment blieb es so. Dann hatte Georg Berkoff auch den Scheinwerfer in die neue Richtung gebracht, und von neuem leuchtete es hell auf der Scheibe. Das Maschinenhaus, das fast einen Kilometer entfernt war, sah Dr. Schmidt jetzt. Sah weiter auch die Zerstörungen daran, die geborstenen Mauern und das eingestürzte Dach. Sah es und murmelte Worte der Überraschung und des Bedauerns vor sich hin.
Bis jetzt hatte Professor Eggerth den langen Doktor geduldig gewähren lassen, und reichlich eine Viertelstunde war darüber vergangen. Nun aber hielt er nicht länger an sich.
»Was ist, Herr Dr. Schmidt? Haben Sie klare Sicht?« fragte er ihn.
»Ganz vorzüglich, Herr Professor!« antwortete Schmidt, schob das Tuch beiseite und erschrak. »Mein Gott, was ist das?« Er wischte sich über die Augen und schüttelte den Kopf. »Ach so . . . Ach ja der Nebel! Ich hatte ihn vergessen, als ich auf die Fluoreszenzscheibe sah. Kommen Sie, Herr Professor. Überzeugen Sie sich, wie Ihre Anordnung arbeitet. Jetzt glaube ich selbst, daß eine Möglichkeit besteht, unsere Vermißten zu finden.«
Während Dr. Schmidt es sagte, war der Professor an die Kamera getreten und betrachtete das Bild, das ihr Objektiv auf die Scheibe warf. So hell und kräftig war es jetzt unter der Wirkung des Scheinwerfers, daß er es kaum noch nötig hatte, das schwarze Tuch zu Hilfe zu nehmen.
»Es ist gut«, meinte er nach wenigen Sekunden, »das kann uns wohl weiter helfen . . . aber . . .«
»Was ist da noch für ein ›Aber‹!« fragte Dr. Schmidt.
»Ein großes Aber, mein lieber Herr Doktor. Wenn man sie finden will, muß man sie suchen.«
Dr. Schmidt warf ihm einen erstaunten Blick zu. Was gab der gute Professor plötzlich für Gemeinplätze zum besten; das war doch selbstverständlich, daß man nach den Vermißten suchen mußte. Professor Eggerth fing den Blick Schmidts auf und sprach weiter.
»Ich habe einmal vor Jahren einen recht nützlichen Spruch gelesen: ›Suche nicht mit den Beinen, sondern mit dem Kopf!‹ Verstehen Sie, was das heißen will, Herr Doktor?«
Dr. Schmidt nickte. »Ein sehr verständiger Ratschlag, überlegen wir uns also, wo wir die Vermißten ungefähr vermuten dürfen, bevor wir uns daran machen, das Gelände nach ihnen abzuleuchten.« Bisher hatte Dr. Wille dem Gespräch der anderen schweigend zugehört. Jetzt mischte er sich ein.
»Ich glaube, meine Herren, wir werden am ehesten zum Ziele kommen, wenn wir uns selbst in die Lage Garrisons versetzen. Er ist Wissenschaftler und gewöhnt, logisch zu denken. Wir dürfen also annehmen, daß er ebenso gehandelt hat wie wir es in seiner Lage tun würden.«
»Ihr Vorschlag ist plausibel, Herr Doktor«, stimmte Professor Eggerth ihm bei. »Was würden Sie nun beispielsweise unternommen haben?«
»Ja, was hätte ich getan?« sagte Dr. Wille überlegend. »Ich hätte vielleicht . . .«
»Ich hätte jedenfalls versucht, aus dem Nebel unter Dach und Fach zu kommen«, fiel ihm Dr. Schmidt in die Rede. »Ich hätte auf jede nur mögliche Weise versucht, das Verwaltungsgebäude zu erreichen. Wenn es Garrison gelang . . . ich weiß natürlich nicht, ob es ihm gelungen ist . . . dann fand er dort eine Unterkunft und Lebensmittel und war einstweilen wenigstens geborgen.«
»Ihr Vorschlag läßt sich hören, Herr Kollege«, sagte Wille. »Wie denken Sie darüber, Herr Professor.«
»Ich bin damit einverstanden«, stimmte der Professor zu, »untersuchen wir also zunächst das Verwaltungsgebäude.«
»Ja . . . wie kommen wir durch den verteufelten Nebel dorthin?« fragte Schmidt.
»Mit ›St 25‹ selbstverständlich, meine Herren«, sagte Professor Eggerth.
Dr. Wille zog die Stirn in nachdenkliche Falten. »Ein Blindflug so dicht über dem Erdboden . . . die Sache ist nicht ganz ungefährlich . . .«
»Sie vergessen die infrarote Strahlung, Herr Dr. Wille«, unterbrach ihn Professor Eggerth. »Wir stellen unsere Apparatur in den Pilotenraum und können dann ohne weiteres nach Sicht steuern. Bitte, Herr Berkoff, veranlassen Sie, daß alles dorthin geschafft wird.« – – –
Fünf Minuten später stieg ›St 25‹ an seinen Hubschrauben hängend auf 50 Meter Höhe empor, dann begann einer seiner Horizontalpropeller zu spielen, und in langsamster Fahrt schwebte das Schiff dahin.
Im Pilotenraum hatten Hein Eggerth und Berkoff die Photokamera und den Scheinwerfer aufgebaut. Auch hatten sie die Verschraubungen des mittleren großen Bugfensters gelöst und es geöffnet, da das starke Kristallglas für infrarote Strahlen wenig durchlässig war.
In dem Scheinwerfer arbeitete der elektrische Strom, vor der Fluoreszenzscheibe der Kamera stand Professor Eggerth und nach seinen Rufen steuerte Berkoff das Schiff. Die Navigation war nicht schwierig, denn in plastischer Deutlichkeit stand das Bild des Verwaltungsgebäudes auf der Fluoreszenzscheibe.
»Einen Strich nach Steuerbord!« kommandierte der Professor, »Horizontalpropeller stillsetzen!« befahl er eine Minute später. »Schiff absinken lassen! Landen!« kam gleich danach ein drittes Kommando. Ein leichter Stoß und ›St 25‹ lag unmittelbar vor dem Verwaltungsgebäude auf dem Rasen.
Zu fünft betraten sie das Haus unter der Führung des Professors.
»Schlimme Risse in den Wänden«, meinte Dr. Wille zu Schmidt, als sie über den Flur gingen.
»Im Maschinenhaus sieht es noch viel toller aus«, erwiderte ihm Schmidt.
»Hier hat der Magistrat gefegt«, sagte Hein Eggerth zu Berkoff, während sie durch leere Räume weiter schritten. »Viel Freude wird Mr. Garrison hier nicht gehabt haben. Sieht übrigens nicht danach aus, als ob er hier gewesen wäre.«
»Abwarten und Tee trinken, Hein«, verwies ihn sein Vater und betrat die Treppe, die zu den Kellerräumen führte. Nach wenigen Schritten kamen sie in die Küche.
»Ah, also doch! Hier haben wir ja das Nachtlager von Granada«, meinte Berkoff zu Hein Eggerth. In der Tat war es unverkennbar, daß hier Leute gewesen waren. Geöffnete Konservenbüchsen und leere Bierflaschen legten Zeugnis dafür ab, und Decken und Kissen verrieten, daß die Besucher hier auch übernachtet hatten. Aber jetzt war niemand mehr da.
»Das Nest ist leer, die Vögel sind ausgeflogen«, raunte Hein Eggerth seinem Freunde Berkoff zu.
»Ja, wo sind sie geblieben?« fragte Dr. Wille den Professor. Der warf einen Blick auf die Bierflaschen, ging dann zur Wasserleitung und drehte den Hahn auf.
»Ach so!« Er sagte es, während er den Hahn wieder schloß. »Sie haben kein Wasser. Sie sind auf der Suche nach Wasser gegangen. Wir müssen Sie am Bach bei dem Maschinenhaus suchen.«
»Hoffentlich werden wir sie dort finden«, meinte Dr. Wille zweifelnd.
»Ich habe deswegen keine Sorge mehr«, beruhigte ihn Professor Eggerth. »Es wäre anders, wenn wir hier keine Spuren von ihnen gefunden hätten. Dann müßten wir fürchten, daß sie draußen irgendwo im Nebel umherirren, und es könnte ein langes und vielleicht erfolgloses Suchen geben. Aber jetzt sieht die Sache ganz anders aus. Ich bin überzeugt, daß wir sie bald entdecken werden.« – – –
Kurz danach stieg ›St 25‹ wieder empor und nahm Kurs auf das Maschinenhaus. Ebenso wie vorher stand Professor Eggerth vor der Fluoreszenzscheibe, doch diesmal beschränkte er sich nicht darauf, das Ziel ihres Fluges anzustrahlen, sondern suchte mit Kamera und Scheinwerfer die ganze Umgebung ab.
»Das Maschinenhaus sieht wüst aus, wir werden es von Grund auf neu bauen müssen«, wandte sich Dr. Schmidt an ihn.
»Vermutlich an einer ganz anderen Stelle, Herr Doktor«, erwiderte ihm der Herr Professor. »Ich sehe weiter landeinwärts eine starke Bodenwelle, die zweifellos durch die vulkanischen Kräfte emporgehoben wurde. Soweit ich es von hier beurteilen kann, muß sie den Bachlauf abgeriegelt haben. Ich fürchte, Mr. Garrison sucht vergebens nach Wasser.«
Er rief seinem Sohn ein Kommando zu. Schneller wirbelten danach die Hubschrauben um ihre Achsen. Langsam stieg ›St 25‹ höher. Weiter dehnte sich das Gelände, das Professor Eggerth anstrahlen und beobachten konnte.
»Es ist, wie ich's vermutete, meine Herren.« Er wandte sich an Wille und Schmidt. »Betrachten Sie das Bild auf der Scheibe. Hinter der Bodenwelle hat sich ein großer Stausee gebildet. Wir werden später mit unserm neuen Maschinenhaus wohl landeinwärts wandern müssen.«
»Wo sollen wir jetzt die Amerikaner suchen?« unterbrach ihn Dr. Schmidt.
»Am Wasser, Herr Doktor. Garrison wird sich mit seinen Begleitern bis zum Maschinenhaus durchgeschlagen haben. Er hat das Bachbett dort wasserleer gefunden. Was wird er dann logischerweise weiter getan haben?«
»Er wird dem Bachlauf landeinwärts gefolgt sein«, sagten Wille und Schmidt wie aus einem Mund. Professor Eggerth nickte.
»Richtig! Nur so und nicht anders kann es gewesen sein. Also werden wir es ebenso machen.«
*
James Garrison riß sich mit Gewalt zusammen. »Hallo, Boys«, rief er seine Gefährten an. »Mit bloßem Nichtstun und Lamentieren kommen wir nicht weiter. Wir müssen raus aus dem Elend! Wasser haben wir jetzt Gott sei Dank, wenn es auch unbequem weit abliegt. Aber Licht brauchen wir noch . . .«
»Licht! Sonne! Blauer Himmel!« schrie Jeffris dazwischen. »Ich werde wahnsinnig in dem verdammten Dunst! Verrückt werde ich, Sir! Bin es schon beinahe! . . .«
Garrison gab ihm einen schweren Schlag auf die Schulter, daß er zusammenknickte.
»Mann! Benehmt Euch nicht wie ein altes Weib!« schrie er ihn an und wollte noch mehr sagen, als ein fernes Geräusch vernehmbar wurde. Suchend wandte er den Kopf nach allen Seiten und hielt die Hände wie Schalltrichter an die Ohren, um festzustellen, woher der dröhnende Klang kam. Auch Robertson und O'Brien waren aufgesprungen. Im Augenblick war alle Lethargie von ihnen abgefallen. Aufgeregt sprudelten sie Worte und abgerissene Sätze heraus.
»Motoren! Propeller!« rief Robertson.
»Die Deutschen? Das Stratosphärenschiff! Rettung!« schrie O'Brien dazwischen.
»Sie müssen blind fliegen . . . es wäre ein Wunder, wenn sie uns finden«, murmelte Garrison vor sich hin, lauschte dann wieder suchend, während ein Hoffnungsschimmer über seine Züge glitt, denn viel stärker war das Geräusch inzwischen geworden. Schon klang es so, als ob das Schiff in der Nähe wäre.
›Man müßte ihnen ein Zeichen geben . . . rufen . . .‹ sinnierte Garrison für sich weiter und gab den Gedanken im nächsten Augenblick wieder auf. Die Deutschen würden es nicht hören. Der Motorenlärm ihres Schiffes würde ja doch jeden Ruf überdröhnen und ersticken. Während er es noch überdachte, sah er Jeffris plötzlich aufspringen und die Böschung emporeilen. Mit einem wilden Schrei stürzte er in der Richtung, aus der das Geräusch zu kommen schien, davon und war schon in der nächsten Sekunde verschwunden unsichtbar geworden, von dem Nebel verschluckt.
James Garrison machte eine Bewegung, als ob er ihm nacheilen, ihn zurückholen wolle. Gab es im nächsten Moment wieder auf und ließ die Arme mutlos sinken.
»Verloren! Rettungslos im Nebel verloren«, flüsterte er und schloß die Augen. Ihn, der durch seine Energie und unerschütterliche Ruhe die anderen solange aufrechtgehalten hatte, wollte jetzt Verzweiflung überkommen. Die Deutschen würden ihn und seine Gefährten in dem gräulichen Nebel nicht finden . . . würden die Suche bald als zwecklos aufgeben . . . würden mit ihrem Schiff dorthin zurückkehren, wo die Sonne strahlte, und ein klarer Himmel blaute . . . Er und seine Gefährten würden hier zurückbleiben müssen . . . verlassen . . . vergessen . . . verloren, wenn kein Wunder geschah . . . Übermächtig stark war inzwischen das Dröhnen der Hubschrauben von ›St 25‹ geworden. So gewaltig brüllten die Motoren des Stratosphärenschiffes, daß die lauten Rufe seiner Gefährten davon fast übertönt wurden. Was hatten die? Was schrieen die? Klang es nicht fast wie Freudenruf?
James Garrison öffnete die Augen wieder und fuhr sich zweifelnd mit der Hand darüber. Das Bild blieb, es ließ sich nicht wegwischen. Kaum drei Meter von ihm entfernt, setzte ›St 25‹, bis jetzt noch von seinen Hubschrauben gehalten, sicher neben der Böschung des Bachlaufes auf. Schon öffnete sich eine Tür, schon streckte sich eine Stiege heraus. James Garrison sah, wie O'Brien und Robertson sie emporstürmten. Langsam folgte er ihnen.
Er sah Professor Eggerth auf sich zukommen, wollte in überquellendem Gefühl etwas sagen und vermochte nur unzusammenhängende Worte zu stammeln. Er griff die Hand, die der Professor ihm entgegenstreckte und drückte sie stumm. Metallisch klang es hinter ihm auf. Die Stiege wurde wieder eingezogen, die Tür geschlossen. Gleich darauf setzte das donnernde Spiel der Hubschrauben wieder ein. ›St 25‹ hob sich vom Boden ab.
»Gerettet!« jubelte O'Brien.
»Geborgen!« jauchzte Robertson.
Tief aufatmend schauten die beiden sich um. Wohl war auch im Inneren des Stratosphärenschiffes die Luft dunstig, aber doch nicht zu vergleichen mit dem schweren Nebel draußen. Bis in die letzten Winkel vermochte das Licht der elektrischen Lampen den Raum zu erhellen. Nach einer Zeit, die ihnen unendlich schien, war die weiße Binde, die so lange vor ihren Augen gelegen hatte, von ihnen genommen.
»Wir werden die Sonne wiedersehen«, rief O'Brien.
»Und blauen Himmel und blaues Meer«, fügte Robertson hinzu.
»Einer von uns fehlt noch«, sagte Garrison.
»Er rannte in den Nebel hinein. Wir sahen ihn laufen . . .« bestätigte der Professor die Worte des Amerikaners.
»Sie sahen ihn?« Staunen . . . Ungläubigkeit klang aus den Worten Garrisons. Professor Eggerth ergriff seinen Arm. »Kommen Sie mit nach vorn in den Pilotenraum, Mr. Garrison.«
Widerstandslos ließ sich James Garrison von ihm führen, kam mit ihm in den Raum und geriet von neuem ins Staunen. Da stand Dr. Schmidt vor der Mattscheibe einer großen Kamera, betrachtete ein leuchtendes Bild, das die Scheibe ihm zeigte und gab Befehle, nach denen Berkoff die Steuerung von ›St 25‹ betätigte.
»Haben Sie ihn entdeckt, Herr Doktor?« fragte Professor Eggerth.
Dr. Schmidt wandte sich um und nickte ihm kurz zu. »Ich habe ihn auf der Platte, Herr Professor. Zweimal ist er gestürzt . . . hat sich wieder aufgerafft . . . läuft wie ein Toller . . . jetzt eben fällt er wieder . . . diesmal bleibt er liegen . . .«
Professor Eggerth zog Garrison zu der Kamera hin, und wieder glaubte der Amerikaner seinen Augen nicht trauen zu dürfen.
Das Land, das draußen in undurchdringlichem Nebel lag, zeichnete sich hier in allen Einzelheiten auf der Kamerascheibe ab. Jeden Baum, jeden Strauch, jeden Stein konnte er deutlich unterscheiden. Im Hintergrund zeigte das Bild den neuen Stausee. Nicht allzu weit von dessen Ufern entfernt erkannte Garrison eine menschliche Gestalt, die seitlich hingestreckt lag und vergebliche Bemühungen machte, um wieder auf die Beine zu kommen.
Dr. Schmidt griff nach dem Objektiv der Kamera und stellte etwas daran. Da zeigte die Scheibe einen kleinen Ausschnitt des früheren Bildes in einem größeren Maßstab, und jetzt vermochte Garrison in dem Gestürzten deutlich Jeffris zu erkennen. Er lag auf dem Rücken und starrte wild um sich. Immer größer und klarer wurde das Bild, während ›St 25‹ sich langsam vorwärts schob. Fast greifbar nahe schien die Gestalt von Jeffris jetzt zu sein, schob sich dann auf der Platte nach rechts und war plötzlich über deren Rand verschwunden. Noch ehe Garrison etwas sagen . . . etwas fragen konnte, ging eine leichte Erschütterung durch das Schiff. ›St 25‹ war gelandet.
Drei Minuten später gingen seine Hubschrauben schon wieder an, während ein Klirren von Metall auf Metall verriet, daß seine Besatzung am Werke war, alle Öffnungen luftdicht zu verschrauben; und dann kam Hein Eggerth aus dem Mittelraum zurück, wechselte ein paar Worte mit seinem Vater und wandte sich danach an Garrison.
»Ihr vierter Mann ist noch bewußtlos, aber soviel wir in der Eile feststellen konnten, nicht verletzt. Ich denke, er wird sich bald erholen.«
»Kann ich ihn sehen?« fragte Garrison.
»Bitte sehr.« Hein Eggerth machte eine einladende Handbewegung und ging zusammen mit dem Amerikaner in den Mittelraum.
Dort hatte man Jeffris auf einen Diwan gebettet. O'Brien und Robertson waren um ihn beschäftigt, rieben ihm die Schläfen mit Brandy und versuchten, ihm auch etwas von dem scharfen Getränk einzuflößen; doch vorläufig hatten ihre Bemühungen noch keinen Erfolg. Jeffris lag apathisch da und stieß nur bisweilen einen Seufzer aus. James Garrison warf Hein Eggerth einen fragenden Blick zu.
»Kein Grund zur Besorgnis«, meinte der leichthin, »in zehn Minuten wird die Sache schon ganz anders aussehen.« Er deutete auf den Höhenzeiger, während er weiter sprach: »1000 Meter, Sir. Noch einmal tausend, und wir haben's geschafft.«
In weiten Kurven schraubte sich ›St 25‹ weiter empor, und ebenso ständig bewegte sich der Zeiger des Höhenmessers über die Skala hin. Als er die Zahl 1600 erreichte, wurde das milchige Weiß vor den Scheiben draußen lichter. Als er über die 2000 glitt, riß es auf. Lichtes Blau schimmerte dazwischen. Im nächsten Moment fiel helles Sonnenlicht in den Raum.
Ein Schwindelgefühl überkam Garrison, als er das Tagesgestirn wieder erblickte. Er mußte sich setzen. Bedeckte die Augen für Sekunden mit den Händen und atmete in tiefen Zügen die klare dunstfreie Luft, die von den mächtigen Kompressoren des Stratosphärenschiffes in den Raum geworfen wurde. Wie ein wüster Traum lagen die letzten 24 Stunden hinter ihm, als er die Augen wieder öffnete. Sonne! Eine klare weite Sicht über die endlose See, auf der, jetzt schon tief unter ihnen, wie ein Wattebausch, die Nebelbank lag. Wie eine wundertätige Arznei wirkte das auf ihn, wirkte ebenso auf O'Brien und Robertson. Schien sich jetzt auch auf Jeffris auszuwirken.
Ein Zucken lief über dessen verstörte Züge. Er öffnete die Augen, blinzelte, schloß sie wie geblendet gleich wieder und stöhnte laut auf. Hein Eggerth paßte den richtigen Moment ab. Er richtete ihn halb auf und goß ihm eine tüchtige Dosis Brandy zwischen die Lippen. Jeffris schluckte, hustete und erwachte aus seiner Ohnmacht. Mit weitgeöffneten Augen schaute er sich um und sah das volle Sonnenlicht in tausend Reflexen auf den Metallwänden des Raumes spielen. Wie befreit atmete er auf.
»Sonne! Licht! . . . kein Nebel mehr.« Abgerissen kamen die ersten Worte aus seinem Munde, doch bald begann er zusammenhängend zu sprechen . . . zu fragen, zu antworten. Auch der letzte der vier in den Nebel Verschlagenen war im Begriff, die Folgen dieses Abenteuers zu überwinden. – – –
Im Kommandoraum von ›St 25‹ breitete Professor Eggerth inzwischen eine Karte auf dem Tisch aus. Sie zeigte die Umrisse der ehemaligen Insel, und um diese herum das neue Land, das von den durch die Sprengung entfesselten vulkanischen Kräften aus der Tiefe der See emporgehoben worden war.
»Ich glaube, Herr Professor, daß wir mit dem Erfolg unserer Arbeit zufrieden sein können«, sagte Dr. Wille.
»Ich glaube es auch, Herr Doktor«, pflichtete ihm Professor Eggerth bei, während er zu einem Schrank ging und ein aus Stäben, Zahnrädern und Rollen bestehendes Instrument herausnahm. Es war ein Planimeter, daß er jetzt auf die Karte setzte. Sorgfältig umfuhr er mit dem einen Arm des Apparates die Grenzlinie des neuen Landes und las dann von der Indikatorscheibe des Planimeters eine Zahl ab.
»14 860 Quadratkilometer, Herr Doktor, wir haben das alte Areal durch unser Experiment vertausendfacht. Wir verfügen jetzt über 265 Quadratmeilen, die in einem Jahr fruchtbarster Boden sein können. Genügend Land, Herr Doktor, für Hunderttausende.«
Dr. Wille notierte sich die Zahlen, die Professor Eggerth ihm soeben genannt hatte und meinte danach:
»Nun wäre es wohl Zeit, unsern Erfolg nach Berlin zu funken. Herr Schröter wird vermutlich schon ungeduldig auf eine Nachricht von uns warten.«
Dr. Schmidt hatte während des Gespräches der beiden abwechselnd auf die Karte und durch das Fenster hinaus auf das neue Land tief unter dem Stratosphärenschiff geblickt, hatte zuletzt einen Theodoliten zur Hand genommen und zu visieren und zu rechnen begonnen.
»Noch eine kurze Weile, meine Herren!« mischte er sich jetzt in die Unterredung. »Auf eine halbe Stunde kommt es schließlich nicht an. Ich möchte die neue Uferlinie noch einmal überprüfen. Nichts gegen Ihre Feststellungen, Herr Professor«, wandte er sich an Professor Eggerth, der ihn befremdet ansah. »Ich bezweifle die Exaktheit Ihrer Messungen keinen Augenblick, aber ich rechne mit der Möglichkeit, daß es dort unten während der letzten Stunden noch Veränderungen gegeben haben kann.«
Dr. Wille wandte sich lachend an Professor Eggerth. »Sehen Sie, Herr Professor, da haben wir mal wieder unsern alten gewissenhaften Schmidt. Er will sicher gehen, daß die Zahlen, die wir nach Berlin funken, auch bis auf das Tüpfelchen stimmen.«
Professor Eggerth gab achselzuckend nach. »Meinetwegen, Herr Doktor, obwohl ich nicht glaube, daß die Uferlinie sich noch verändert hat. Ich möchte Sie aber bitten, bei der Gelegenheit auch gleich die Umrißlinie der Nebelbank nachzuprüfen.« Er deutete auf die Karte. »Der alte Umriß ist hier eingetragen. Hier wären mir Veränderungen äußerst erwünscht. Ich begreife es nicht, daß der Nebel sich so lange hält.«
Während Dr. Schmidt sich schweigend mit der Nachprüfung der Uferlinie beschäftigte, griff Dr. Wille die Bemerkung des Professors auf und begann seine eigenen Ansichten darüber zu entwickeln.
»Die Luft über der Südsee ist stark mit Wasserdampf gesättigt«, hub er an zu dozieren. »Sie ist infolgedessen unfähig, diese Nebelmassen, die ja nichts anderes als flüssiges Wasser in feinster Tröpfchenform sind, so schnell zur Verdunstung zu bringen, wie es in einer trockenen Atmosphäre der Fall sein könnte. Leider haben wir auch gerade eine Periode völliger Windstille. Eine leichte Brise könnte den ganzen Dunst in einer Viertelstunde wegblasen, aber so wie es jetzt ist, werden wir uns wohl noch einige Zeit gedulden müssen.«
»Das ist ärgerlich«, meinte Professor Eggerth verdrießlich. »Ich brenne darauf, bald wieder zu landen und den Zustand der alten Insel festzustellen. Auch um Captain Dryden müssen wir uns kümmern. Es wird uns kaum etwas anderes übrigbleiben, als die gesamte Besatzung der ›Berenice‹ an Bord von ›St 25‹ zu übernehmen.«
Während Wille und Professor Eggerth noch die nächsten Maßnahmen besprachen, kam Dr. Schmidt mit seinen Messungen zu Ende.
»Die Uferlinie ist unverändert geblieben, Herr Professor«, meldete er das Ergebnis seiner Feststellungen. »Die Nebelbank ist in den letzten 24 Stunden um durchschnittlich drei bis vier Kilometer zurückgegangen. Ich halte es für wahrscheinlich, daß Drydens Schiff noch vor Sonnenuntergang von dem Nebel frei wird. Vielleicht kann es auch schon früher sichtbar werden.«
»Das wäre erfreulich«, meinte Professor Eggerth, »es würde uns den Verkehr mit dem Schiff erleichtern.«
»Bleibt noch der Verkehr mit Captain Dryden selber«, warf Wille dazwischen. »Ich fürchte er wird in keiner rosigen Laune sein und möglicherweise allerlei Regreßansprüche stellen.«
»Stellen kann er sie, viel Glück wird er damit nicht haben«, meinte der Professor mit einem Achselzucken und machte sich daran, für Minister Schröter einen Funkspruch aufzusetzen, der nach einigen geringfügigen Abänderungen auch die Zustimmung von Wille und Schmidt fand.
»Ich werde die Depesche verschlüsseln und zu Lorenzen bringen«, sagte Dr. Wille, während er das Schriftstück an sich nahm und damit zu seiner Kabine ging. Auch Professor Eggerth wollte den Raum verlassen, als ihm noch etwas einfiel.
»Übrigens, Herr Dr. Schmidt«, wandte er sich an den Doktor, »hatten Sie inzwischen noch Nachrichten von Mr. Smith? Sie erzählten mir zuletzt, daß er es verstanden hat, Ihren Vater für sich zu gewinnen.«
»Nur ein paar kurze Mitteilungen, Herr Professor. Ich bin nicht ganz klug daraus geworden, ob der Alte ihn nicht weglassen will, oder ob der Junge sich nicht von Deutschland trennen kann. Jedenfalls steckt er immer noch in Waltershausen. Auf seiner letzten Karte machte er eine Andeutung, als ob auch sein Vater möglicherweise zum Besuch nach Deutschland kommen würde . . .«
»Das würde mich für Sie aufrichtig freuen, mein lieber Herr Doktor«, sagte Professor Eggerth mit Wärme.
»Wir wollen es abwarten, Herr Professor« meinte Dr. Schmidt und war wieder ganz der trockene Wissenschaftler. »Vorläufig gibt es hier für mich reichlich zu tun. Das andere . . .« Er zuckte die Achseln, »mag sich meinethalben historisch entwickeln.«
Professor Eggerth merkte, daß dem langen Doktor an dem Gesprächsthema nicht besonders gelegen war, aber um so mehr interessierte es ihn selber. Nach dem, was er soeben erfahren hatte, mußte ein Funkspruch mit der Anschrift Mr. Smith per Adresse Forstrat Schmidt, Waltershausen, sein Ziel erreichen. Mit der Absicht, eine solche Depesche loszulassen, verließ er den Raum und machte sich auf den Weg zu Lorenzen.
In der Funkerkabine traf er Berkoff, der abwechselnd zum Fenster hinaussah und dazwischen Lorenzen allerlei zurief, was der sofort in die Morsetaste hieb. Jetzt legte Lorenzen die Station von Sendung auf Empfang um, und Berkoff benutzte die Pause, um sich an Professor Eggerth zu wenden.
»Sehen Sie das Schiff dort unten, Herr Professor? Eine amerikanische Jacht. Wir konnten die Besatzung eben noch rechtzeitig warnen, sonst wäre es auch aufgelaufen. Sie wollten uns anfangs nicht glauben, daß ein Seebeben hier starke Bodenveränderungen bewirkt hat. Erst als wir ihnen funkten, daß ein anderes amerikanisches Schiff, die ›Berenice‹, schon gestrandet wäre, entschlossen sie sich beizudrehen und zu loten.« Er griff nach einem Blatt, das Lorenzen eben vollgeschrieben hatte. »Sehen Sie, Herr Professor, jetzt sind die Yankees bekehrt. Funken hier zurück, daß sie gerade noch zwei Fuß Wasser unter dem Kiel haben. Bedanken sich für unsere Warnung, versuchen unter ständigem Loten wieder tieferes Wasser zu gewinnen . . . da . . .!«
Er nahm das nächste Blatt von Lorenzen entgegen. »Hier teilen sie mit, daß sie schon wieder sicheres Fahrwasser haben.« Lorenzen legte den Bleistift beiseite und stellte seine Station wieder auf Senden um.
»Die Jacht zieht auf Nordkurs davon«, sagte Berkoff nach einem Blick durch das Fenster.
»Wir müssen sie aufhalten« entschied sich der Professor im gleichen Augenblick. »Funken Sie, Lorenzen! Ich lasse den Kapitän bitten, sich an der Rettung seiner gestrandeten Landsleute zu beteiligen.«
Während Lorenzen die Morsetaste spielen ließ, sprach der Professor zu Berkoff weiter. »Es würde uns der Mühe entheben, die Besatzung der ›Berenice‹ bei uns an Bord nehmen zu müssen.«
Eine Minute später schrieb Lorenzen bereits die Antwort auf seinen letzten Funkspruch nieder. Der amerikanische Kapitän erklärte sich bereit, mitzuhelfen, bemerkte aber gleichzeitig, daß man von Bord seines Schiffes aus weit und breit kein gestrandetes Fahrzeug erblicken könne. Daraufhin mußte Lorenzen funken, daß das Schiff zwar augenblicklich noch im Nebel steckte, aber im Lauf der nächsten Stunden sichtbar sein würde.
Die Wirkung der Depesche konnte der Professor bereits durch sein Fernglas erkennen, bevor noch eine Antwort einlief. Die Jacht stoppte ihre Fahrt und ließ den Anker fallen.
»Ein vernünftiger Mann, dieser Kapitän«, meinte Professor Eggerth, als er es sah. »Wir wollen neben seinem Schiff niedergehen und die Angelegenheit mit ihm besprechen.«
»Über seine Vernunft könnte man verschiedener Meinung sein«, wandte Berkoff ein. »Es hat allerhand Mühe gekostet, ihm den Standpunkt klarzumachen, und dabei hat er das neue Land doch dicht vor der Nase. Wie ich es von hier aus taxiere, ist sein Schiff keine 500 Meter von der neuen Strandlinie entfernt.«
Während Berkoff es sagte, befand sich ›St 25‹ noch in etwa 2000 Meter Höhe, und von der schon ziemlich tiefstehenden Sonne seitlich beleuchtet lag das neue Land in plastischer Deutlichkeit unter dem Stratosphärenschiff. Rötlich-bräunlich schimmerte der frisch aus der See emporgestiegene Boden im Licht der Abendsonne. Scharf grenzte sich die Strandlinie ab, hinter der die See zunächst ein helles Gelbgrün zeigte, das erst allmählich in das dunklere Blau des tiefen Ozeans überging.
»Es ist mir unverständlich, daß der Kapitän die Gefahr, die seinem Schiff drohte, nicht rechtzeitig erkannte«, fuhr Berkoff in seiner Betrachtung fort. »Das flache Wasser da unten und das feste Land gleich dicht dabei . . . das muß ja beinahe ein Blinder sehen . . .«
»Von hier oben zweifellos, mein lieber Berkoff«, fiel ihm Professor Eggerth ins Wort. »Von unten sieht die Sache wesentlich anders aus. Sie werden es bald selber merken.«
Während Lorenzen noch eine Depesche an Mr. Smith, die Professor Eggerth ihm in die Hand drückte, und danach einen Funkspruch an Minister Schröter in den Äther sandte, glitt ›St 25‹ immer weiter nach unten, und je tiefer es kam, um so mehr begann sich die Grenze von Land und See zu verwischen. Nur noch undeutlich hob sich das Land vom Wasser ab, als ›St 25‹ es in 200 Meter Höhe überflog. Gleichmäßig blaugrau sah alles bis zu der fernen Nebelbank hin aus, als das Stratosphärenschiff neben der amerikanischen Jacht wasserte, an deren Heck in Goldbuchstaben der Name ›Silver Star‹ leuchtete.