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51.

Wohl dem, selig muß ich ihn preisen,
Der in der Stille der ländlichen Flur,
Fern von des Lebens verworrenen Kreisen,
Kindlich liegt an der Brust der Natur!

Schiller.

Zehn Jahre waren seit der Schlacht bei Gellheim und dem Tode Kaiser Adolphs verflossen. Albrecht von Oesterreich, der in einer deutschen Fürstenversammlung noch einmal zum Oberhaupte des Reiches erwählt worden war, hatte mit strenger Hand die Kriegsgeisel über die Länder des besiegten Gegners geschwungen. Ganz Nassau war einer Wüste gleich gemacht worden. Die Städte waren zerstört, die Burgen gebrochen. Lange hatte sich Sonnenberg gehalten. Der alte Marschalk Ludwig vertheidigte es mit jugendlichem Muthe. Endlich siegte die Uebermacht. Herr Ludwig starb den Heldentod und die stolze Burg fiel in Trümmer. Auch Adolphseck wurde in seinem verborgenen Thale aufgefunden. Es theilte mit Sonnenberg dasselbe Schicksal. Hoch oben im waldigen Taunusgebirge hatte sich während dieser traurigen Zeit die Liebe ein heimliches Asyl gegründet. Es war so abgelegen, daß nicht leicht der Zufall einen Wandrer oder einen herumstreifenden Krieger hinführen konnte. Eine unbedeutende Vertiefung des Bodens enthielt hier eine Wohnung, die, nach ihrem Aeußeren zu urtheilen von ungeübten Händen erbauet worden war. Die Stämme waren nicht behauen, das Dach bestand aus Brettern, mit Rasen und schweren, festhaltenden Steinen belegt, die Arbeit überhaupt zeigte sich in plumpen Formen, ob ihr gleich in keiner Weise Festigkeit und Stärke zu mangeln schien. Ringsum war auf mehrere Stunden hin diese Stelle mit dichtem Walde umgeben, durch den kein gebahnter Weg nach einem bedeutenden Wohnplatze führte. In der Nähe jener Niederlassung befand sich ein kleiner freier Bezirk, mit Feldfrüchten bepflanzt und von einigen Obstbäumen umgeben. Die Menge der Hirschgeweihe aber, mit denen die Hütte über Thür und Fenstern geschmückt war, konnte vermuthen lassen, daß sich der Eigenthümer mehr mit der Jagd, als mit dem Anbau des unbedeutenden Feldstückes beschäftige. Diese Vermuthung erhielt durch einige kräftige Jagdhunde, welche vor der Wohnung ihr Wesen trieben und ein alterndes, im Sonnenscheine sich erwärmendes Windspiel vergeblich zur Theilnahme an ihren Sprüngen und Spielen zu reizen suchten, ihre Bestätigung.

Es war gerade der Jahrestag der Schlacht bei Gellheim. Zehn Jahre lagen, wie wir bereits gemeldet, zwischen jenem Ereignisse und der Gegenwart. Die Sonne brannte heiß wie damals, aber kein Unwetter in der Frühe des Morgens verkündete dem heutigen Tage ein Unheil. Selbst jener verborgene Grund mit der einsamen Wohnung wurde von ihren Strahlen heimgesucht und das Grün des Eichenlaubes heller gefärbt.

Der Eigenthümer des Waldhauses trat, einen schönen achtjährigen Knaben an der Hand, aus der Thüre. Er selbst war ein kräftiger, hochgewachsener Mann von edler Gesichtsbildung. Ein leiser Zug von Schwermuth ruhete auf seinem Antlitze, doch schien er nicht hier einheimisch zu sein, denn oft blickte er auf den lieblichen Knaben mit dem Ausdrucke der ungetrübtesten Zufriedenheit. Der Knabe machte sich jetzt von seiner Hand los und eilte zu den Hunden, die ihren jungen Freund mit frohen Sprüngen und lautem Jauchzen empfingen.

Während er sich in wilde Spiele mit ihnen einließ, setzte sich der Mann auf eine Holzbank neben der Thüre seiner Wohnung nieder. Er streichelte das ruhende Windspiel, er sah es mit düsterwerdenden Blicken nachdenklich an.

Da öffnete sich wieder die Thüre der Hütte und zu ihm trat ein blühendes Weib, einen Säugling auf dem Arme und begleitet von einem artigen Mädchen, das etwa fünf Jahre zählen mochte. Sie fuhr sanft mit der Hand über die bewölkte Stirne des Mannes. Sie sah ihn mit einem bezaubernden Lächeln an und sprach bittend:

»Sei heiter, Du Lieber! Sieh den Kleinen an, wie er schon die Händchen nach Dir ausstrecket und lächelt und Vater sagen möchte, wenn er könnte!«

»Weißt Du auch, welchen Tag wir heute haben?« fragte mit bebender Stimme der Mann.

Da besann sich die reizende Frau und ein Strom von Thränen rann aus den sanften blauen Augen über ihre Wangen hin, auf das Antlitz des lächelnden Säuglings. Das Kind fing an zu weinen. Ein rasches junges Weib von frischem und muntern Ansehn, nicht so gut gekleidet wie jene, sprang hinter dem Hause hervor, nahm der trauernden Frau das weinende Kind ab und suchte es zu beruhigen, indem sie es tänzelte und lustig mit ihm herumsprang. Sie sang dazu ein fröhliches Lied, an dessen Aussprache jeder gute Nürnberger die Landsmännin erkannt haben würde. Ihr war ein derber Junge in dem Alter des ersten Knaben gefolgt und gesellte sich jetzt zu diesem und den lärmenden Hunden.

Die schöne Frau, welche der andern in der Art, wie eine Gebietende der Dienerin, den Säugling übergeben hatte, ergriff die Hand des Mannes und führte ihn schweigend in die Hütte zurück. Hinter beiden ging langsam und in trauernder Stellung das alte Windspiel her, Mann und Frau durchschritten schweigend die Wohnstube, die nur wenige unförmliche Geräthschaften enthielt, aber sonst mit allen zur Jagd erforderlichen Dingen, Armbrust, Bogen und Pfeil, Lanze und Wurfspeer, Netz und Schlingen wohl versehen war. Sie öffneten leise eine Seitenthüre und traten nun in ein kleineres Gemach, in dem sich noch ein Bewohner dieser einsamen Niederlassung aufhielt. Es war ein Greis, welcher die höchste Alterstufe, deren das menschliche Leben fähig ist, erreicht zu haben schien. Sein Antlitz war von unzähligen Furchen durchzogen, seine Gesichtsfarbe erdfahl, seine ganze Gestalt von einer abschreckenden Magerkeit. Unter einem verschlossenen rothen Sammetkäppchen sahen wenige Silberhaare hervor. Die hohe Stirne senkte sich zu einer fein geformten Adlernase herab und aus den dunkeln Augen blitzte noch ein lebendiges jugendliches Feuer. Das Gewand, welches er trug, war ein Talar von derselben Farbe und demselben Stoffe, wie seine Kopfbedeckung. Es mochte vor vielen Jahren neu gewesen sein. Die goldgestickten sonderbaren Figuren, die ihm einst zur Zierde gereicht hatten, waren jetzt nur noch in wenigen Spuren sichtbar. Der Sessel, in dem er saß, bot ihm hinlängliche Bequemlichkeit, aber in der rohen Bearbeitung glich er den übrigen Geräthen. Außer diesem Greise befanden sich noch andere Gegenstände in dem Gemache, die an dieser Stätte nicht leicht erwartet worden wären. Eine vollständige Rüstung, glänzend wie aus dem Laden des Waffenschmidts kommend, zierte die hintere Wand. Helm und Schwert schwebten über ihr; in dem obern Theile des Helmes zeigte sich eine Spalte, die nur nothdürftig mit einigem Eisendrathe zusammengehalten wurde. Unter dem Harnische stand ein kleiner Hausaltar, dessen zierliche Form und selbst kostbare Ausschmückung mit silbernen Figuren, einen großen Abstand gegen das Uebrige bildete.

Der Greis saß in einer nachdenklichen Stellung und schien die Eintretenden nicht zu bemerken. Das Windspiel, das mitgekommen war, lagerte sich zu seinen Füßen. Weinend sank die schöne Frau vor dem Altare nieder und betete still und innig. Der Mann stand mit trauernder Miene neben ihr. Auch er hatte die Hände zum Gebete gefaltet.

So hatte eine geraume Zeit tiefe Stille unter den drei Menschen geherrscht. Nur durch das Schluchzen der knieenden Frau war sie unterbrochen worden. Endlich erhob sie sich wieder und wankte zu einem Sitze.

»Was weint Ihr, was trauert Ihr?« begann jetzt der Alte mit einer festen, sehr wohltönenden Stimme. »Die Menschengeschlechter ziehen über die Erde und mit Ihnen die Leidenschaften und die Verirrungen der Einzelnen und das mächtige Rad der Zeit ergreift sie mit seinen Speichen, und zertrümmert ihre Spuren in seinem gewaltigen Umschwunge. Beweint Ihr den Stoff, der vergänglich, oder die Seele, die unsterblich ist? Stört nicht durch thörigte Klagen die Ruhe des Helden in der Gruft, in die er gern hinabstieg. Was ihm das Leben versagte, gewährte ihm der Tod: Vereinigung mit der Geliebten.«

»Sprich uns von ihm!« sagte der jüngere Mann, indem er sich zur Seite seines Weibes niederließ. »Wir wollen heute sein Gedächtniß feiern, wir wollen uns seines edeln Lebens erinnern an seinem Todestage.«

»Eine schönere Feier bringt noch der heutige Tag, sagt mir der Genius!« murmelte der Greis für sich. Dann sprach er laut: »Ich will Euch erzählen von ihm, denn ich spreche gern von einer schönen Zeit, die noch bessere Tage einer glücklichern Vergangenheit wiederzubringen versprach. Welcher Mann konnte sich in Schönheit der Gestalt, in Ritterlichkeit, in Kraft und Muth, in Tugend und Sanftmuth mit Adolph von Nassau vergleichen, als er die Jahre der Reife und Männlichkeit erreicht hatte? Soll ich Euch sagen, wo ich ihn zuerst fand? Es war dort, wo ich ihn zum letztenmale sah. Er stand seinem Vetter Gerhard von Mainz in einer Fehde gegen die Wormser bei. Er ward schwer verwundet und ich übernahm es ihn zu heilen. Ich kam gerade herauf aus dem Lande Italien und der Zufall führte mich in die Gegend, wo der Streit wüthete. Höre mir wohl zu, junge Frau, denn was ich nun erzählen werde, betrifft auch Dich, und ich habe es bisher immer verschwiegen, obschon Adolphs Vermächtniß Euch das Meiste offenbart hat und Ihr oft mir zugemuthet, seine Worte zu ergänzen! Höre mir wohl zu, denn die Stimme der Wahrheit wird zu Dir sprechen und bald verhallen für immer! Ich höre den Todessittich, wie er über meinem Haupte rauscht und sich bald herabsenken wird, um den scheidenden Geist aufwärts zu führen. Adolph war damals nur noch Graf von Nassau. Er wurde zur Heilung und Pflege in das nahe Nonnenkloster Rosenthal gebracht. Auch mir, dem damals schon Achtzigjährigen vergönnte man den Zutritt. Er genas, aber ob er auch die Kräfte seines Körpers gewann, so war die Ruhe seines Geistes verloren. Die junge und schöne Nonne Hedwiga hatte seiner gepflegt. Seinem Herzen, das sich so innig nach Liebe sehnte und so viel Liebe zu geben hatte, war Imagina immer stolz, kalt und zurückstoßend entgegen getreten. Hedwiga erschien ihm erst wie eine Heilige, dann wie das wünschenswertheste, höchste irdische Gut. Sie kannte die Welt nicht, sie war jung, sie konnte der Versuchung nicht widerstehn, sie theilte die Gefühle Adolphs. Was weile ich lange bei ihren Verirrungen? Sie entfloh mit ihrem Geliebten dem klösterlichen Zwange, sie genoß still und verborgen an jener Stelle, wo noch vor wenigen Jahren Adolphseck stolz seine Thürme erhob, in einer Hütte wie diese, eines Glückes, das zu schön war, um von Dauer sein zu können. Die neidische Zeit bricht in ihrem gewaltigen Fortschreiten alle Rosen; sie brach auch diese, Hedwiga wurde kränklich, sie versank in Schwermuth und tiefe Reue über ihr Vergehen gegen die Kirche ergriff sie. Sie fand keine Ruhe, bis man sie nach Kloster Rosenthal zurückgebracht hatte. Dort verschied sie in Adolphs Armen. Sie war Deine Mutter, Amalgundis. Laß Deine Thränen nicht stärker fließen um die Todte. Der Menschen Thränen gelten den Seligen für ein Lächeln, denn, wo jene Nacht und Unglück sehen, da haben diese Licht und Heil erkannt.«

Unsere Leser werden bereits geahnt haben, daß es alte Bekannte sind, die wir in der verborgenen Waldeinsamkeit wiederfanden. Friedmann und Amalgundis, der salernitanische Greis Alessandro, Stephan und Rösel lebten hier unbekannt und ruhig, den Stürmen, die über das unglückliche Land eingebrochen waren, entrückt. Was Alessandro, der nun mehr als hundertjährige wunderbare Greis, eben berichtet hatte, war Friedmann und der Tochter Hedwiga's im Wesentlichen schon aus dem Inhalte des Pergaments bekannt, das, wie wir wissen, der Kaiser, am Abende vor seinem Tode, dem Ritter von Sonnenberg in der Kirche von Kloster Rosenthal übergab. Diese Urkunde, von Friedmann im Sturme der Schlacht bewahrt, während einer langen Zeit der Besinnungslosigkeit, ihm glücklich erhalten, gab noch andere wichtige Aufschlüsse. Am Todbette hatte Adolph seiner Hedwiga mit heiligem Eide gelobt, niemand als der Tochter selbst und deren künftigen Gatten das Geheimnis ihrer Herkunft zu entdecken. Ein Schwur sollte auch die beiden zur ferneren Verschwiegenheit verbinden und so das Geheimniß mit ihnen aussterben. Deshalb mußte Amalgundis dem liebenden Friedmann in einem schrecklichen Verdachte erscheinen, deshalb ihr Ruf in den Augen der Welt befleckt sein, deshalb Imagina's Haß sich auf die Schuldlose wenden! Und Adolph, dem sonst das Leben keine Freuden bot, konnte den stillen Vaterwonnen, die er nur unter dem Schleier der Nacht genießen durfte, nicht entsagen. Ihm blieben jene Gerüchte unbekannt, er wähnte sein stilles Glück unbelauscht und unerforscht, er dachte nicht daran, daß das Böse, was den Hohen der Erde nachgesagt wird, selten den Weg zu ihrem Ohre findet. Er hatte die Liebe Friedmanns und seiner Tochter erkannt. Er billigte und segnete sie: das sprach eine Bestimmung jener Urkunde deutlich aus. Amalgundis durfte des jungen Ritters Hausfrau werden; nur mußte auch er sich verpflichtet halten, ihre Abkunft vor jedem, selbst vor den eigenen Kindern, als ein Geheimniß zu bewahren.

Wir haben berichtet, daß an jenem verhängnißvollen Tage, der Adolph Krone und Leben raubte, sein getreuer Pannerträger schwer verwundet neben ihm niedersank. Kein Zeichen des Lebens offenbarte sich mehr in ihm und als man des Kaisers sterbliche Hülle eilfertig hinwegbrachte, um sie still und prunklos in dem nahen Kloster Rosenthal zu begraben, ließ man ihn für todt liegen. Der Zufall, der ihn Tags zuvor mit dem Lombarden Bandini zusammengebracht hatte, rettete ihm wahrscheinlich das Leben. Wie sein Ritter ihm geboten, führte Stephan seine Schutzbefohlenen nach dem Flecken Gellheim. Aber vergeblich erwartete er hier eine weitere Nachricht von Friedmann. Er hörte das Getöse der Schlacht, es trieb ihn, seinem lieben jungen Herrn zur Seite zu stehen, allein an blinden Gehorsam gewöhnt, wagte er nicht seinen Posten zu verlassen. Wie großen Antheil die Liebe zu dem Pfeffer-Rösel an diesem Benehmen gehabt, wollen wir nicht entscheiden! Bald füllte sich der Flecken Gellheim mit Flüchtigen vom kaiserlichen Heere, die das Schrecklichste verkündigten. Alles sei verloren, der Kaiser erschlagen, seine Ritter mit ihm! Stephan weinte wie ein Kind und fragte jeden nach besonderer Nachricht von seinem Herrn, keiner aber wollte etwas wissen von diesem. Da trat das entschlossene Pfeffer-Rösel zu ihm und sagte: »Weißt Du was, Stephan? Wir wollen uns aufmachen, hinaus auf das Schlachtfeld! Vielleicht liegt der Ritter schwer verwundet und ihm kann noch geholfen werden. Meine Rußigen müssen mit.« Der treue Knecht war das wohl zufrieden. Er ging zu den Männern hinab, die im hintern Hofraume der Herberge bei den Waaren Wache standen. Indem er sich mit ihnen besprach, hörte er Frau Beatens Stimme aus dem Vorderhause ängstlich nach Hülfe schreien. Er und Gabriel, der eben im Hofe beschäftigt gewesen, stürzten dem Rufe nach. Ihnen folgten die Rußigen. Sie kamen noch zeitig genug, um zu sehen, wie der Waffenmeister Ralph Strichauer, der mit andern Kriegern vom Heere Albrechts, die Flüchtlinge verfolgte, den alten Meister Auffenthaler bei der Brust gepackt hielt und ihm einen bloßen Dolch an die Gurgel setzte, damit er seine Schätze herausgebe. Zwei andere Gesellen hatten die schreiende Beata ergriffen und waren bemüht, ihr die silbernen Halsketten und Spangen abzureißen. Ingrimmig schlugen die Rußigen die Plünderer zu Boden. »Euch soll Euer Recht werden, Ihr Diebe! Wir richten Euch nach Nürnberger Art!« riefen sie dann und schleppten sie hinaus. Ralph Strichauer fluchte und drohete lateinisch und deutsch durcheinander. Aber es half ihm nicht. Er mußte das Schicksal seiner Raubgenossen theilen. Die ergrimmten Rußigen knüpften sie auf im Garten hinter der Herberge. » Mors miseriarum finis!« waren die letzten Worte des sterbenden Ralph, der endlich den Lohn fand, den er vielfach verdient hatte. – Zwischen den Fliehenden und ihren Verfolgern entspann sich noch ein Gefecht im Orte. Bald brannte dieser an allen Ecken. Da fand es Gabriel für gut, sich mit den kostbaren Kaufmannsgütern hinter dem Flecken hin in das Waldgebirge zu ziehen. Vater Auffenthaler, seine Beata und die eine Hälfte der Rußigen begleiteten ihn, während die andern mit Bandini, Stephan und dem Rösel den Weg nach dem Schlachtfelde einschlugen. Diese letztern begegneten zu ihrem Erstaunen, nachdem es ihnen gelungen war sich unbemerkt von dem Flecken zu entfernen, nur einzelnen Kriegsmännern, die dem kleinen Häuflein keine Hindernisse in den Weg legten. Die größeren Heeresabtheilungen waren in die Thäler des Donnersberges eingedrungen, um dort die Flüchtlinge zu verfolgen, andere strömten den benachbarten Städten und Oertern zu, um hier zu rauben und zu plündern. Auf dem eigentlichen Schlachtfelde waren nur einzelne Herumschwärmende zu bemerken, welche das entschlossene Häuflein nicht zu fürchten brauchte. Das Aechzen und Jammern der Verwundeten und Sterbenden hätte wohl ein minder beherztes Mädchen, als Rösel beängstigen können. Sie behielt aber immer ihren Zweck im Sinne und schritt muthig zwischen den Schlachtgräueln hindurch. Der Abend war schon nahe und sie hatten die Stelle noch nicht gefunden, wo der Kaiser gefochten haben mochte. Da kam ihnen mit Klagegeheul ein Hund entgegen gesprungen. Er zerrte das Rösel so lange an der Schürze bis dieses ihm mit seinen Begleitern folgte. Ueber einen Hügel von Leichen führte sie der Hund. Er blieb neben einem schwer Verwundeten stehen, der hingestreckt am Boden lag und nur durch tiefe Odemzüge noch Zeichen des Lebens von sich gab. Es war Nassau's treuer Pannerträger, Friedmann von Sonnenberg: der Hund war Aura. Er flog mit Windeseile, nachdem er gesehen, wie die Herbeigeführten sich sorgsam um den Gefallenen beschäftigten, über das Schlachtfeld dem Rheine zu. Wie nun Bandini den wunden Ritter glücklich in ein friedliches Land gebracht, ihn dort geheilt und das Rösel seiner gepflegt habe, wollen wir hier nur kürzlich beibringen. Als er gänzlich genesen war, eröffnete er das von Adolph erhaltene Pergament. Er sah das Vertrauen zu Amalgundis, das zuletzt in seiner Brust über jeden Zweifel gesiegt, gerechtfertigt, er sah seine schönsten Hoffnungen erfüllt. Er eilte in das Aarthal nach Adolphseck. Bandini, Stephan und Rösel begleiteten ihn. Er fand Amalgundis in tiefer Trauer: Aura, die auf dem Schlachtfelde die Schritte der Freunde zu ihm gelenkt, war der erste Bote der Schreckenspost auf Adolphseck gewesen. Sie kam heulend und mit Blut bedeckt dort an. Amalgundis ahnete das unglückliche Schicksal Adolphs; durch sichere Boten erfuhr sie bald alle Umstände des tragischen Ereignisses. Ein tiefer Schmerz ergriff sie und ein schwerer Kummer fiel um so lastender auf ihre Seele, da sie eine dunkele, zweifelhafte Zukunft vor sich sah. Jetzt erschien Friedmann, den sie auch als todt beweint hatte, wieder unter den Lebendigen, sie glaubte den Schutzgeist ihres Daseins zu sehen und ein Sonnenstrahl senkte sich erhellend in die Nacht ihrer Zukunft. Adolphs Vermächtniß bestimmte ihr den Geliebten zum Gatten. Sonnenberg war gefallen, Friedmanns Vater, während des Sohnes schwerer Krankheit, den Heldentod gestorben. Nun wälzte sich der Kriegsgräuel über das Land hin. Idstein und Weilburg wurden erstürmt; schon waren österreichische Späher in der Nähe von Adolphseck gesehen worden und die zierliche Burg konnte der Uebermacht nur einen schwachen Widerstand entgegensetzen. Da siegte in Friedmanns Herzen die Liebe über die Ruhmsucht, mit der sie lange gekämpft hatte. An einem Tage wurden der Ritter von Sonnenberg mit Amalgundis, und sein treuer Stephan mit dem Pfeffer-Rösel am Altare verbunden. Bandini und der alte Alessandro, der sich indessen auch eingefunden hatte, waren Zeugen der Doppelheirath. Dann zog sich Friedmann mit der jungen Gattin, dem Greise und den beiden andern jungen Eheleuten in jene Einsamkeit zurück, wo wir sie wiederfanden und wo die Stürme einer zehnjährigen kriegerischen Zeit spurlos an ihnen vorübergegangen waren. Der lombardische Handelsmann hatte sie nur bis dahin begleitet, um sie dereinst wieder auffinden zu können; er war dann weiter gereist, seinen Geschäften und dem langen Gabriel nach, in dessen Obhut er bei der Trennung seine Waaren zurückgelassen hatte.

Der Tag, der uns die zwei Hauptpersonen unserer Geschichte, durch ein heiliges Band vereinigt, von blühenden Kindern umgeben und in einem friedlichen Verhältnisse wieder gezeigt, das in der That in jenen stürmischen Tagen als eine besondere Gunst des Schicksals angesehen werden konnte, ward von ihnen still und trübe hingebracht. Die Kinder hatten ihre Eltern noch nie so traurig gesehen und wußten sich diese ungewöhnliche Erscheinung nicht zu erklären. Nur der alte Alessandro zeigte heute eine jugendliche Lebendigkeit. Er ließ sich in seinem Sessel, den er nicht mehr verlassen konnte, ins Freie tragen. Seine Blicke weilten freudig auf dem Grün des Waldes, auf dem frischen Wiesengrunde, auf den bunten Feldblumen. Die Kinder traten zu ihm und hingen sich an die Lehne des Sessels, das alte Windspiel – wer hat in diesem nicht Kaiser Adolphs einstigen Liebling, Aura, erkannt? – war ihm gefolgt und lag zu seinen Füßen. Ein reges und heiteres Leben herrschte in der Natur. Käfer und Bienen summten über den Blumen, Vögel sangen ihr lustiges Lied im Walde. Da begann der Hundertjährige zu erzählen von schönen, vergangenen Zeiten, und die Blicke der Kinder hingen an seinem Munde und sie lauschten, Alles vergessend, seiner Rede. Er sprach von den glücklichen Tagen der schwäbischen Kaiser, wie da nur Sang und Klang gezogen sei durch die Lande und weit entfernte Gegenden vereinigt habe durch ein heiteres Band der Kunst. Die Kinder begriffen Vieles nicht von dem, was er sagte, allein es klang ihnen wie ein wunderbares, anziehendes Märchen. Je weiter er sprach, desto mehr erhob sich seine Stimme, seine Augen strahlten im höhern Glanze und eine seltsame Begeisterung offenbarte sich in seinem ganzen Wesen. Sein Angesicht nahm den Ausdruck einer Verklärung an, die ihm ein überirdisches Ansehen gab; Friedmann und Amalgundis traten ihm erstaunt näher, auch Rösel wurde durch seine seltsamen Reden und noch mehr durch seine wunderbare Lebhaftigkeit angezogen. So hatten sie ihn noch nie gesehen, so hatte er ihnen noch nie die seltsamen Verkettungen seines langen Lebens entschleiert. Die Erinnerungen aus seiner Kinderzeit, aus den Jugendtagen und den männlichen Jahren führte er in frischen Gebilden vorüber, und die alten Gefühle erwärmten sich an ihnen zu einer begeisterungsvollen Gluth. Er glaubte die vielen Freunde wieder zu sehen, die vor ihm hingeschieden, er stand noch immer in der Mitte der freudigen Ereignisse, die er erlebt, er berührte nur leichthin und mit einer gewissen Scheu, als wolle er diese Augenblicke sich nicht trüben, die traurigen Dinge, die ihm begegnet. Oft glaubten Friedmann und seine Gattin, er habe nun seine Kräfte erschöpft und werde in Schwäche verfallen, aber dann trat wieder ein erhöhetes Leben in ihm hervor und seine Rede zeugte von neuer Stärke und Begeisterung. Seltsam schien es, daß die alterschwache Aura erst dem ungewöhnlich lauten Klange der bekannten Stimme aufmerksam lauschte, dann sich erhob, dem Sprecher gegenüberstellte und ihn unverwandt anblickte. So näherte sich der Abend. Da tönte mit einemmale ein wohlbekannter Jagdruf aus dem Walde herüber. Rösel eilte, ihren Knaben an der Hand, fröhlich der Stelle zu, wo er laut geworden war. Ehe sie diese aber noch erreichte, kam hinter dem Gebüsche ein Zug von Wanderern hervor, an dessen Spitze Friedmann neben seinem treuen Stephan, den Lombarden Bandini, den langen Gabriel und Frau Beaten erkannte. Sie waren freilich in dem Zeiträume von zehn Jahren sehr gealtert, aber den Freunden nicht fremd geworden.

»Wir bringen gute Nachrichten!« rief schon aus der Ferne der Italiener. »Glückliche Tage sind wieder gekommen, Friede ist's geworden im Lande, und die, welche lange in Verborgenheit und Entbehrung gelebt, können nun frei und ungehindert wieder einziehen in die Burgen ihrer Väter.«

Da vernahmen, im Wechsel der verschiedenartigsten Empfindungen, die Waldbewohner, daß Kaiser Albrecht im Schweizerlande von seinem Neffen, Johann von Schwaben, ermordet worden, daß Gerhard von Mainz unter dem Drucke von Albrechts Haß, bekriegt und gebeugt von ihm, schon vor zwei Jahren gestorben sei, daß Gerlach, der Sohn Adolphs von Nassau, die Regierung seiner Erblande übernommen habe, und sich nun bemühe, die Wunden, welche diesen der Krieg geschlagen, zu heilen.

Diese letzte Nachricht erfüllte alle mit reiner Freude. Schöne Entwürfe für die Zukunft wurden gemacht, und als Frau Beata mit Thränen berichtete, daß auch ihr Vater schon vor einigen Jahren diese Zeitlichkeit verlassen, widmete man seinem Andenken eine schmerzliche Theilnahme, kam aber gern wieder zu den freudigen Aussichten, die sich eröffnet hatten, zurück. Selbst die Kinder sprangen im frohen Jubel umher, ohne den Grund der allgemeinen Freude zu begreifen, aber voll kindischen Frohsinns über das Glück der Eltern.

Erst spät bemerkte man, daß der hundertjährige Greis, dessen Lebensflamme noch vor einer halben Stunde in frischer jugendlicher Gluth emporgeschlagen, ganz still geworden war und kein Zeichen der Theilnahme an Ereignissen, die auf sein Gemüth einen tiefen Eindruck machen mußten, von sich gab. Besorgt und ahnungsvoll wandte sich Amalgundis zu ihm hin. Die Freude hatte ihn getödtet. Die Sehne des Lebens war überspannt und sie mußte reißen bei der starken Berührung des Bogens. Ein seltsamer, gewiß rührender Zufall wollte, daß auch Aura, der alte Liebling Adolphs, zugleich mit dessen ärztlichem Freunde den letzten Odemzug ausgehaucht hatte. –

Wir glauben nun diese Schilderung aus einer viel bewegten Vorzeit unseres Vaterlandes dem Schlusse zuführen zu können. Schloß Sonnenberg erstand aus seinen Trümmern und Friedmann von Sonnenberg, geliebt und geachtet von dem Sohne Adolphs, erreichte dort, als ein glücklicher Gatte, und Vater, ein spätes Lebensziel. Stephan und Rösel waren aus der stillen Waldeinsamkeit, wo Alessandro sein Grab gefunden, mit nach Sonnenberggezogen. Sie wurden nicht als Diener, sondern als Freunde angesehen, die in mancher Noth geholfen und ausgedauert hatten. Bandini, der lange Gabriel und seine Ehehälfte, betrieben fortwährend mit Eifer ihre Handelsgeschäfte, und setzten sich, nachdem sie ein sehr ansehnliches Vermögen erworben, erst in späten Jahren in Ruhe. –

Die Zeit eilt in Riesenschritten über die Erde und vernichtet unter ihrem Fortschreiten die Werke, welche Menschenhand gegründet. So sind von dem einst mächtigen Schlosse Sonnenberg jetzt nur noch Trümmer übrig, aus denen die Sage zu der Phantasie spricht. Die Trümmer aber zeugen von der Grösse und Stattlichkeit des Schlosses, denn sie umringen fast ganz den am Bergabhange liegenden ansehnlichen Flecken. Oft wandeln diejenigen, die in dem reizenden Heilorte, Wiesbaden, Freude suchen oder Genesung finden, durch ein liebliches, von Natur und Kunst verschönertes Thal, hierher. Sie steigen den Berg hinan und ruhen auf den Sitzen, die Huld und ein empfänglicher Sinn für die Schönheiten der Natur bereitet. Sie betreten den obersten Gipfel und genießen nun einer entzückenden Aussicht auf das anmuthige Thal, nach dem herrlichen Rhein hin, der wieder, wie zu den Zeiten, als Kaiser Conrad von Hohenstaufen in Bacharach Hof hielt, von unzähligen Nachen bedeckt ist, aus denen Musik und Gesang ertönt. Dann überrascht sie auch wohl der Abend und die erregte Phantasie läßt sie die riesigen Burgtrümmer als graue Gestalten von Zauberern sehen, die das Reich der Vergangenheit eröffnen. Sie träumen von dem Hasse hoher Fürstengeschlechter, von ihren Feindseligkeiten, von ihren Kriegen. Dann erweckt sie ein harmloser Ton der Wirklichkeit, das Lied der Nachtigall im Walde, der Gesang eines spät heimkehrenden Dorfbewohners aus ihren Träumen, und sie erkennen, daß die verderblichen Leidenschaften der Menschen spurlos unter dem Tritte des Zeitriesen verschwinden, indem sie sehen, wie die Nachkommen derjenigen, welche der Haß geschieden, sich in Liebe vereinigen. Sie erkennen, daß alles gehässige Streben nur der vergängliche Hauch eines flüchtigen Momentes ist, während die Saat der Liebe gedeiht und für ferne Zeiten ihre Früchte trägt.

Der Wiesengrund, in welchem Adolphseck stand, trägt immer noch sein liebliches Grün, der Wasserfall rauscht nieder zwischen Felsengestein und der dunkle Wald drängt sich vom Berge herab, wie damals. Aber von dem zierlichen Schlosse sind, nachdem es in einem spätern Jahrhunderte wieder hergestellt worden, auch nur noch wenige Trümmer übrig geblieben, die ernst auf das kleine Dörfchen im Grunde herabsehen.

Wenn der sinnige Wanderer vielleicht am plätschernden Bache im Wiesengrunde sich niederläßt und, indem ernste Gedanken seine Seele beschäftigen, die Blicke auf Adolphseck heftet: dann gesellt sich wohl ein Bewohner der Gegend zu ihm und erzählt betheuernd, aber mit einem leichtfertigen Lächeln, daß dieses der Ort gewesen, wo Kaiser Adolph von Nassau seine Liebste Amalgundis verborgen gehalten und sich ihres Umgangs erfreuet habe. Der Wanderer aber traue dieser Sage nicht! Er halte lieber den schönern Glauben fest, den die Phantasie erzeugt und das Herz genährt hat: daß es die Vaterliebe gewesen sei, welche hier dem theuern Kinde ein Asyl gegründet und in seiner entgegnenden Liebe ein stilles Glück gefunden habe.

 

Ende des vierten und letzten Bandes.

 


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