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Zu Füßen ihm in Eile
Schießt bodenlos ein Fluß,
Man hört auf eine Meile
Fernher den rauschenden Guß.
Gustav Schwab.
»Als ich jene Aeußerung des Ritters vernommen hatte,« erzählte der Kaufmann mit erzwungener Gelassenheit weiter, »befiel mich eine tödliche Angst. Ich eilte denselben Weg zurück, den ich gekommen war und versuchte noch einmal mit verzweiflungsvoller Anstrengung, ob keine der nach Außen führenden Thüren zu öffnen sei. Es war vergebens. Ich war ein Gefangener und sah kein Mittel vor mir, dem schrecklichsten Schicksale zu entgehn. Da ergriff mich ein wilder Ingrimm und ich leistete mir selbst den Schwur, den Willen derer, die mich in diese Lage versetzt hatten, auf keine Weise zu erfüllen, es möchte auch daraus entstehen, was da wolle. Nach einer kurzen Zeit, während der ich mich in diesem Entschluße immer mehr bestärkte, erschien Gerhard und sein Vertrauter. Mein trotziger und kurzer Gruß, die kalte und finstere Miene, welche ich Ihnen zeigte, mochte sie befremden. Der Erzbischof bemühete sich, mir mit heuchlerischen Worten sein Bedauern an den Tag zu legen, daß ohne sein Wissen und seinen Willen meine Wohnung bestürmt und geplündert worden sei, er versprach, nach den Thätern forschen und diese bestrafen zu lassen, dann kam er nach und nach seinem Zwecke näher. Er erwähnte seiner Vorliebe für geheime Wissenschaften, zeigte mir seinen chemischen Ofen, in welchem er selbst laborire, sprach viel vom Steine der Weisen und der Lebensessenz und daß er eine Sammlung merkwürdiger Curiositäten besitze, die von den berühmtesten Meistern der weißen Magie herrührten. Dann kam er darauf, daß er nur noch einen Ring mit den oben erwähnten Eigenschaften zu besitzen wünsche, nicht um sich dessen gegen jemand in irgend einer feindlichen Absicht zu bedienen, sondern blos um ihn diesen Curiositäten beizufügen. Ich sei der Mann, der gewißlich einen solchen Ring anzufertigen verstehe, und er rechne darauf, daß ich ihm diesen Dienst nicht abschlagen werde. Ich sah dem Erzbischof so starr und fest in die stechenden Tigeraugen, daß er sie niederschlagen mußte. Dieses geschah aber nicht, ohne daß eine hohe Röthe über sein Angesicht flog. Dann erklärte ich ihm sehr ernst, daß ich in solchen Dingen durchaus unerfahren sei, und daß ich es überhaupt für ein großes Verbrechen halte, dessen ich mich um keinen Preis schuldig machen möchte, aus Pflanzen oder Metallen todtbringende Mittel zu bereiten. Diese bestimmte Weigerung schien ihm und seinem Begleiter durchaus unerwartet zu kommen. Der Letztere trat zu ihm und flüsterte ihm einige Worte zu, die ich, da mich die Natur mit einem sehr scharfen Gehör begabt hat, wohl verstehen konnte, obschon sie vorsichtig und leise gesprochen wurden. »Er hat uns belauscht,« sagte er. »Ihr müßt den Weg der Güte verlassen, und den der Strenge einschlagen!« Es kochte in mir vor innerlicher Wuth. Ich wußte, daß ich mich in der Gewalt arger Bösewichter befand, die vor keinem Verbrechen zurückschrecken würden, aber ich empfand keine Furcht mehr, denn mein Abscheu und mein Zorn überwogen diese bei Weitem und ich erkannte, daß ich in meiner Lage nichts mehr zu wagen hatte. Ich sah grimmig nach Gerhard hin, der mit großen Schritten einigemale das Zimmer maß, ich warf einen verachtungsvollen Blick auf den Diener und Vertrauten seiner Verbrechen. Da trat der Erzbischof mir näher und indem sich seine Stirn in düstere Falten verzog und die dunkelglühenden Augen satanisch unter dieser finstern Wolke hervorblitzten, sagte er mit einer gänzlich veränderten heisern Stimme, in der sich eine verhaltene Wuth verkündete: »Du weißt mehr, als Du wissen solltest, Bube! Aber das hilft Dir nichts. Du mußt mir zu Willen sein, Du magst Dich sträuben, wie Du willst. In Salerno hast Du Deine Künste erlernt, wie mir Dein eigener Mund verrathen; dort ist kein Geheimniß von schädlichen und heilsamen Mitteln Dir verborgen geblieben, und Deine Unwissenheit ist nur ein lügenhaftes Vorgehen, durch das Du mich hintergehen willst. Du bereitest mir den Ring, den ich verlange noch in dieser Nacht, oder, bei meinem Leben! Du verlässest nicht lebendig diese Mauern?« – Da war ich meiner Wuth und meines Zorns nicht länger Herr: »Thut, was Ihr wollt, ihr elenden Bösewichte und Meuchelmörder!« schrie ich laut auf. »Ihr könnt mich ermorden, aber ihr werdet mich nimmermehr zwingen, an euern Schandthaten Theil zu nehmen!« – »Pfeifst Du nach dieser Weise?« versetzte Gerhard mit einem furchtbaren Lächeln, in dem Mordsucht und Blutgier lagen. »Nun ich will Dich ein anderes Liedlein lehren, das Dich auch auf andere Gesinnungen bringen wird.« Er winkte dem Ritter, dieser stampfte dreimal mit dem Fuße auf den Boden und Ralph Strichauer von einigen verdächtig aussehenden Männern begleitet, trat auf dieses Zeichen herein. Auf den Befehl des Ritters, dem Gerhard einige Worte zugeraunt hatte, ward ich ergriffen und fortgeschleppt. Man brachte mich durch einige düstere Gänge in ein großes, ebenfalls nur wenig erleuchtetes Gemach. Als ich mich an das schwache Licht gewöhnt hatte, das hier herrschte, erkannte ich, daß ich mich in einer Marterkammer befand. In der Mitte stand der gräßliche Foltertisch mit den Stacheln und Schrauben, an den Wänden standen und hingen die furchtbaren Torturwerkzeuge, welche ihr Dasein der erfinderischen Grausamkeit der Menschen verdanken. Jetzt wurde mir auch die Absicht klar, in der man mich hierher gebracht hatte. Man wollte durch Martern von mir erzwingen, was ich dem listigen Ansinnen und der Drohung abgeschlagen hatte. Aber diese Erkenntniß, weit entfernt, meinen Starrsinn zu beugen, erhob meinen Muth und gab mir den festen Willen, mir durch keine Marter meine Einwilligung in jenes verbrecherische Begehren abnöthigen zu lassen. Da trat der Herr von Nollingen, der ohne den Erzbischof gefolgt war, mit grinsendem Lächeln zu mir, erklärte mir die Bedeutung der hier befindlichen Geräthschaften und schloß mit der höhnischen Frage: ob ich es nun vorziehe, eine nähere Bekanntschaft mit diesen anmuthigen Instrumenten zu machen, oder ob ich lieber das billige Verlangen seines gnädigen Herrn erfüllen wolle! Statt aller Antwort spie ich vor ihm aus und wendete ihm den Rücken. Da fiel Ralph Strichauer mit den andern Henkersknechten über mich her, da rissen sie mir die Kleider vom Leibe, da warfen sie mich wild lachend und mit blutdürstiger Lust auf den Martertisch. Sie trieben die spitzigen Eisenstacheln durch mein Fleisch, sie befestigten sie mit gewaltigen Schrauben, so daß ich kein Glied zu rühren vermochte. Dann wurde der Tisch, auf dem ich lag und der aus mehreren Theilen bestand, gewaltsam auseinander gedehnt und mit ihm mein Gebein, daß es in allen Gelenken erbebte und ein gräßlicher Schmerz mich durchzuckte. Aber ich schrie nicht, ich hätte mir eher die Zunge abgebissen, als meinen Quälern den Gefallen gethan, meinen Schmerz laut werden zu lassen. Neben mir stand der Ritter von Nollingen und sah mich immerfort lächelnd an und fragte mit der Miene eines höhnenden Teufels: »Nun, Lieber, wie schmeckt Dir die Pein?« »Junker Friedmann,« sprach der Italiener, jetzt abbrechend, mit einem flammenden Blicke: »wenn Ihr in diesem Augenblicke den Schwur geleistet hättet, Euch zu rächen an dem grinsenden Satan, würdet Ihr ihn halten, wie auch die Christenpflicht Euch abmahnen dürfte von seiner Erfüllung und ob auch die Kirche bereit wäre, Euch davon zu entbinden?«
»Ich weiß nicht,« erwiederte Friedmann, dessen Empfindungen durch das Gehörte auf das heftigste erregt waren, »ob ich einen solchen Schwur damals geleistet hätte. Aber das weiß ich, daß, wenn mir das Schicksal meine Freiheit wiedergegeben hätte, der unritterliche und schändliche Bube, der so verfahren konnte, von meiner Hand hätte sterben müssen, und wäre ich zu diesem Zwecke genöthigt gewesen, ihn bis an das Ende der Welt zu verfolgen.«
»Ich habe den Schwur geleistet!« nahm der Lombarde wiederum das Wort, indem seine Hand krampfhaft den silbernen Becher ergriff und dessen Ränder zusammenbog: »und bei der Barmherzigkeit des Ewigen! ich will ihn halten. Von Henkershand muß das Wappen dieses Nollingen zerbrochen werden, unter dem Schwert des Henkers muß er sein verbrecherisches Leben endigen. Doch hört nur weiter! Die grausame Lust eines solchen Buben ist nicht so bald befriedigt. Sie hatten mich etwa eine Viertelstunde lang jene Qualen empfinden lassen, als der Ritter ihnen gebot innezuhalten und mich dann in seiner teuflischen Weise fragte: »wie es mir gefalle bei diesem Zeitvertreibe und ob ich durch solche Ueberredungskünste noch nicht auf andere Gedanken gekommen sei?« Mein trotziges Schweigen und meine Blicke, in die ich alle Wuth und alle Verachtung, die mich erfüllten, zu legen suchte, mußten ihn vom Gegentheile überzeigen. »So steigert die Pein!« sagte er da zu den Knechten seiner Grausamkeit, die mit Ungeduld eines solchen Befehls zu harren schienen. Und sie stürzten sich aufs Neue über mich her und rissen mit schartigen Messern tiefe Wunden in mein Fleisch und träufelten glühendes Oel hinein! Aber ich schrie doch nicht bei dieser entsetzlichen Qual, nur ein Stöhnen, das ich nicht gänzlich bewältigen konnte, preßte sie mir von Zeit zu Zeit aus. Ich that Uebermenschliches; ich that es, um dem Teufel seine Lust zu verderben, der an meiner Seite stand und wie die Pein sich vermehrte, immer freundlicher und vergnügter lächelte. Endlich mochte er glauben, meinen Trotz besiegt zu haben. Er hemmte die schreckliche Thätigkeit der Henkersknechte, er richtete dieselbe Frage an mich, wie früher, allein er erhielt keine andere Antwort. »Vielleicht werden einige Stunden, in Einsamkeit und Ruhe hingebracht, Euere Sinnesart ändern!« sprach er hierauf mit einer spöttischen Verbeugung nach mir hin. »Das anmuthige Lager, auf dem Ihr Euch befindet, ist ganz dazu gemacht, ein verständiges Nachdenken zu nähren und zu schärfen. Benutzt diese Zeit wohl, mein lieber Freund! Werdet sanft und nachgiebig. Betrachtet Euch mit Aufmerksamkeit alle die künstlichen Werkzeuge, die wir zu Euerer fernern Belustigung noch im Rückstande haben. Nur der kleinste Theil unseres Wohlwollens ward von Euch gekostet; das Beste kann noch folgen.« Alle verließen das Gemach und ich blieb allein in der qualvollen Lage, in die man mich gleich Anfangs versetzt hatte. Junker von Sonnenberg, ich hatte mich mein Tage lang für einen guten Christen gehalten, denn ich besuchte täglich die Messe und ging jede Woche einmal zur Beichte. Aber mein Kopf war immer mit Handelsgedanken beschäftigt gewesen und ein recht inniges Gebet zum Himmel war noch nicht aus meiner Seele gekommen. Unter den Qualen der Folter und bei der schaurigen Todtenstille um mich her, drängte mich plötzlich ein unwiederstehliches Gefühl zum heißen Gebete. Alle meine Empfindungen, mein ganzes Bewußtsein legte ich in dieses Flehen um Hülfe von Gott, so daß ich während desselben selbst meine schrecklichen Schmerzen nicht empfand. Und der Allbarmherzige erhörte mich. Ehe ich noch mein Gebet vollendet hatte, sprang plötzlich mit einem klirrenden Geräusch die Schraube, die meinen rechten Arm an der Stachel befestigt hielt, los und rollte zur Erde. Es kann sein, daß sie nachlässig befestigt, daß sie durch das Alter mürbe geworden war, aber Gott verkündigte seine Gegenwart, indem er sie gerade in jenem Augenblicke zerbrechen ließ. Es gelang mir nun, den rechten Arm zu erheben und von der schmerzenden Stachel zu befreien; trotz meiner Erschöpfung konnte ich ohne große Mühe die übrigen Schrauben lösen und nach wenigen Augenblicken hatte ich mich von dem Martertische aufgerafft und stand frei auf dem Boden, der mit meinem Blute getränkt war. Ich schöpfte neuen Muth, eine belebende Ahnung sagte mir, daß es Gottes Wille sei, mich zu retten. Meine Wunden schmerzten mich sehr; ich war so matt, daß ich mich nur mit großer Mühe aufrecht erhalten konnte. Am Boden lagen meine Kleider. Ich warf das Nothwendigste über, ergriff mit zitternder Hand ein Licht und schlich, indem ich mich an den Wänden hielt, in dem weiten Gemache umher, um nach einem Ausgange zur Flucht zu spähen. Die Brandwunden schmerzten fürchterlich, aus den andern Wunden, welche die Eisenstacheln verursacht hatten, rann unaufhaltsam mein Blut. Dennoch gab mir die Hoffnung Kräfte, mich fortzuschleppen. Es war kein Fenster in dem öden Gemache, es fand sich keine andere Thüre, als die, durch welche sich meine Quäler entfernt hatten und die nur dahin führte, wo ich nothwendig wieder in ihre Hände fallen mußte. Als ich das ganze Gemach aufmerksam untersucht und keinen Ausweg gefunden hatte, sank ich ermattet und aufs Neue der Verzweiflung hingegeben zu Boden. Ein dumpfer hohler Klang, der meinem Falle folgte, bewog mich, die Stelle genau zu betrachten, wo ich mich befand. Beim Scheine des Lichtes, das ich mit mir genommen hatte, entdeckte ich nun eine Fallthüre, auf der ich lag und welche nur durch einen schweren Riegel verschlossen war. Ich erhob mich so schnell, als es meine Erschöpfung zuließ, ich mußte meine wenigen Kräfte auf das Höchste anstrengen, um den Riegel wegzuschieben und die Thüre aufzuheben. Ein feuchter Moderduft stieg aus einem Abgrunde hervor, dessen Tiefe ich bei dem matten Scheine meines Lichtes nicht zu ermessen vermochte. Ich konnte nur die ersten Stufen einer schmalen steinernen Treppe erkennen, die in die unbekannte Gruft hinabführte. Mir blieb keine Wahl. Indem ich meine Leuchte zwischen die Zähne nahm und auf Händen und Füßen die Stufen hinabkroch, zog ich die Thüre wieder hinter mir zu. Mein Weg war schmerzlich und müheselig. Er führte weit hinab und oft verließen mich meine Kräfte, so daß ich unbeweglich eine Zeitlang auf einer der feuchten Stufen liegen blieb. Dann aber trieb mich der Gedanke, verfolgt zu werden und wieder in die Gewalt meiner Peiniger zu gerathen, aufs Neue vorwärts und ich langte endlich, unter unbeschreiblichen Schmerzen und Mühen am Fuße der Treppe an. Hier setzte ich mich, schöpfte Athem und suchte meine Sinne zu sammeln. Der Modergeruch und der feuchte Duft hatten sich vermehrt und mein Licht brannte matt und trübe. Nach einigen Augenblicken hatte ich mich gehörig gefaßt, um meine Umgebungen zu erkennen. Aber welche schreckliche Gefühle bemächtigten sich meiner, als ich mich mitten unter menschlichen Gerippen und halbvermoderten Leichnamen sah, die theils am Boden lagen, theils an die Wände eines geräumigen Gewölbes gelehnt standen! Das waren sicherlich die Ueberreste unglücklicher Schlachtopfer, die auf den Befehl des grausamen Gerhard hier in ewiger Verborgenheit begraben sein sollten! Ich schauderte zurück vor dem Schicksale, das meiner harrte, wenn ich wiederergriffen würde. Ich raffte mich auf und eilte, wie es mein Zustand erlaubte, durch einen weiter führenden Gang fort, indem meine Einbildungskraft mich die Schritte der nachsetzenden Verfolger und ihre Stimmen vernehmen ließ. Vergebens sagte ich mir, daß die Frist, die man mir zum Nachdenken gelassen hatte, noch lange nicht verflossen sei, daß man mich auf dem Martertische zu gut befestigt und bewahrt glauben müsse, um einen Versuch zur Flucht zu ahnen. Meine Unruhe vermehrte sich mit jedem Augenblicke und gab mir übernatürliche Kräfte zur Fortsetzung meines Wegs. Trotz der gewaltigen Anstrengung meines ganzen Innern vermochte ich doch zu erkennen, daß ich mich in dem Gewölbe einer Wasserleitung befand, die vielleicht noch aus den Zeiten der Römer herrührte. Ein kleiner Bach floß zwischen dem Boden von Quadersteinen hin und das Gewölbe schien für die Ewigkeit gemauert. Die Luft wurde reiner, sie erquickte mich, sie kühlte meine Wunden und belebte meine Hoffnung, bald einen Ausgang zu finden. Aber das Gewölbe wollte kein Ende nehmen und die Folgen der übermäßigen Anstrengungen, zu denen ich meinen von Blutverlust und Schmerzen entkräfteten Körper gezwungen hatte, ließen sich empfinden. Eine große Schwäche kam über mich. Ich konnte nur noch schleichen; bald konnte ich auch das nicht mehr und mußte nun versuchen auf Händen und Füßen fortzukriechen. Da drang plötzlich ein scharfer Zugwind in den gewölbten Gang, mein Licht verlosch und ich hörte ganz in der Nähe ein starkes Rauschen. Entsetzen durchschauerte mich im ersten Augenblicke, als ich mich mit einemmale von Dunkelheit umgeben sah. Ich warf mich verzweiflungsvoll auf den Boden und glaubte nun unerrettbar verloren zu sein und meinen Todfeinden nicht entgehen zu können. Da vernahm ich wieder das starke Rauschen. Ich richtete mich auf und erhob mein Auge, die Dunkelheit war zur Dämmerung geworden, ich sah vor mir den strömenden Rhein, in den sich hier das Bächlein der Wasserleitung ergoß, ich sah durch den nahen Ausgang des Gewölbes den freien Sternenhimmel, ich ward von einem Taumel des Entzückens ergriffen, dem mein Entsetzen wich, und nahm die letzten Kräfte, die mir noch übrig waren, zusammen, um dicht an den Fluß, von dem ich Rettung hoffte, zu gelangen. Hier lag ich am Rande der steil abgehenden Mauer und sah nun ein, daß noch viel fehle, ehe ich mich als einen freien und geretteten Mann preisen konnte. Der Ausgang des Gewölbes war weit vorgebaut in den Rhein, die beiden Seitenmauern trennten das Innere der Wasserleitung von dem übrigen Ufer ober- und unterhalb. Es war kein anderer Rettungsweg zu erdenken, als daß ich die eine der Mauern zu umgehen suchte, um auf den offenen Strand zu kommen. Zu diesem Zwecke mußte ich es wagen, eine kurze Strecke in den Fluß hineinzugehn. Aber ich fühlte mich so ermattet, daß ich nicht hoffen durfte, mich nur einige Schritte vorwärts zu bringen. Das Blut aus meinen Wunden hatte aufgehört zu fließen, aber meine Glieder waren wie gebrochen und die verbrannten Stellen schmerzten unsäglich. Ich wusch mein Gesicht und Hände mit frischem Wasser, was mich einigermaßen belebte. Ich war ruhiger geworden und konnte mit größerer Besonnenheit über meine Lage nachdenken. Da fiel mir ein, daß ich für gewöhnlich ein stärkendes Arcanum bei mir führe, um plötzlich Erkrankten damit zu dienen. Ich fand es in den Kleidern, die ich übergeworfen hatte, und einige Tropfen dieses kräftigen Mittels erhoben für den Augenblick meine Lebensgeister, so daß ich glaubte, jenen Rettungsversuch unternehmen zu können. Mit großer Anstrengung ließ ich mich von der Mauer hinab in den Fluß. Ich klammerte mich an den Wänden des Ausgangs an und schlich langsam vorwärts. Das Wasser ging mir Anfangs nur bis an die Kniee, aber, indem es in die Brandwunden drang, ergriff ein Fieberschauer meinen ganzen Körper und ich zitterte heftig. Mit einemmale war es mir, als höre ich Schritte hinter mir in dem Gewölbe, als vernehme ich die Stimmen Günthers von Nollingen und Ralph Strichauers! Ich blickte mich um, ich sah in der That einen fernen Lichtschimmer. »Besser den Tod in den Wellen finden, als wieder in Menschenhände fallen!« dachte ich und die Angst stärkte mich zu größern Anstrengungen. Bald war das äußerste Ende der Mauer erreicht, ich stand bis an den Hals im Wasser, aber ich achtete dessen nicht; jener Lichtschimmer, der immer näher kam, war mir fürchterlicher. Jetzt umklammerte ich mit beiden Armen die Mauer, um von der starken Strömung, die hier floß, nicht umgerissen zu werden, ich schwang mich mit einem weiten Schritte um die äußerste Spitze und stand nun, noch bis an die Brust von Wasser umgeben, durch eine breite Mauer von meinen Verfolgern getrennt und vor ihnen verborgen. Dennoch schien mir dieses Versteck nicht sicher genug, mein Fieberfrost nahm zu und ich raffte noch einmal meine schwachen Kräfte zusammen, um festen Fuß am Ufer zu gewinnen. Ich betrat es, ich schleppte mich noch einige Schritte fort, ich konnte mich des Gedankens nicht erwehren, daß, wenn ich nicht weiter zu fliehen vermöchte, ich hier immer noch in der größten Gefahr schwebte, von meinen blutdürstigen Gegnern aufgefunden zu werden. Ich warf einen Blick hinter mich und erkannte, daß ich mich oberhalb der Stadt befand. Zugleich aber stellte sich eine solche Abspannung meiner Kräfte ein, daß ich nicht weiter konnte und mich am Ufer niedersetzen mußte. Trostlos starrte ich in die vorüberrauschenden Wellen. Mit Sehnsucht blickte ich nach der dunkel gegenüberliegenden Halbinsel, an deren Spitze sich Main und Rhein vereinigen. Dort wäre ich sicher, dort wäre ich gerettet gewesen! Auf's Neue schien es mir, als hörte ich durch das Rauschen des Flußes die Stimmen meiner Verfolger. Ich kroch das Ufer hinab, um mich in Schilf und Gesträuch zu verbergen. Aber denkt Euch meine Freude, mein Entzücken, als ich hier einen kleinen, nur schwach angeketteten Nachen entdeckte, der ein sicheres Werkzeug meiner Rettung werden konnte. Mit dem letzten Aufgebote meiner Kräfte kletterte ich hinein, es gelang mir, ihn vom Ufer loszumachen, ich gewahrte, wie er von der Strömung ergriffen und rasch den Fluß hinabgeführt wurde, ich trieb in ziemlicher Entfernung an dem Ausgange der Wasserleitung vorüber, ich erkannte den Lichtschimmer und die Gestalten meiner Verfolger, ich sah wie die Thürme von Mainz hinter mir blieben – dann aber verließen mich meine Kräfte gänzlich und ich versank in eine Besinnungslosigkeit, die mich nichts mehr empfinden, nichts mehr denken und erkennen ließ.«
»Aber Ihr waret doch nun gerettet, jene Buben kamen nicht mehr an Euch heran?« fiel der Junker eifrig ein.
»Ich war gerettet,« versetzte der Italiener, »aber ich war es, ohne das Glück dieser Rettung empfinden zu kennen, denn meine Lebensgeister erlagen dem Sturme, der gegen sie gewüthet hatte. Lange Zeit blieb ich ohne alle Besinnung. Als ich erwachte, war ich erstaunt mich im Freien zu finden und ich konnte mich nicht sogleich des Geschehenen erinnern. Die Sonne stand hoch am Himmel. Grüne Zweige spielten über meinem Haupte und neigten sich zu mir herab. Die wiegende Bewegung des Nachens, in dem ich lag, gewährte mir ein angenehmes Gefühl. Obgleich sich das Fahrzeug hin und her schaukelte, so bemerkte ich doch, daß es sich nicht fortbewegte, sondern fest an einem Ufer, im Gesträuch verhangen lag. Indem ich den Versuch machte mich zu erheben, gaben mir plötzlich die heftigen Schmerzen, die ich empfand, das Gedächtniß für die erlittene grausame Behandlung zurück. Ich erinnerte mich jetzt genau aller Dinge, die mir seit dem gestrigen Abende begegnet waren. Mit großer Mühe richtete ich mich auf und bemerkte nun, daß mich die Wellen an eine jener Auen oder Inseln getrieben hatten, deren sich unterhalb Mainz mehrere im Fluße befinden. Leicht konnte ich hier noch entdeckt und aufgegriffen werden; der Nachen, der mich gerettet hatte, konnte mich ebensowohl verrathen. Aber der Schmerz, den mir meine Wunden verursachten, erlaubte mir nicht, vor der Hand an etwas anderes zu denken, als ihn zu lindern. Ich wusch die Wunden aus und bestrich sie mit einem sehr wirksamen Balsam, den ich in eben der Absicht, wie jene stärkende Arznei, mit mir zu führen pflegte. Dann erquickte ich mich wieder durch den kräftigen Trank und vermochte nun, das hier ohnehin nicht steile Ufer der Insel zu ersteigen. Den Kahn verbarg ich, so gut als es gehen wollte, unter dem überhangenden Gesträuche, denn ich mußte mich seiner zu meiner weitern Flucht versichern. Die Insel war unbewohnt, mit Gesträuch, Haidekraut und Beeren bewachsen. Ich machte mir unter dem Gesträuch ein Lager von Moos zurecht und stillte meinen Hunger mit den saftigen Beeren. Eine Müdigkeit ergriff mich, der ich nicht widerstehen konnte. Ich sank auf das Lager hin und schlief ein. Mein Schlaf dauerte, ohne daß ich erwachte, vom Mittage bis zum Abende. Die Dämmerung trat eben ein, als ich wieder zu mir kam. Ich fühlte mich ungemein gestärkt und beschloß nun meine Flucht weiter fortzusetzen. In dem Nachen befand sich ein Ruder, dessen ich mich früher aus Kraftlosigkeit nicht hatte bedienen könne. Jetzt vermochte ich, wenn auch nur mit großer Anstrengung, das Ruder zu führen. Mit seiner Hülfe gelang es mir, die Insel zu umschiffen und das rechte Ufer des Flußes zu erreichen. Aber ich hatte dieses nur sehr langsam bewerkstelligen können und die Mühe, die ich aufwenden mußte, hatte mich so sehr erschöpft, daß ich nur wenige Schritte am Lande machen konnte und dann todesmatt zu Boden sank. Die furchtbare Verrenkung, die meine Glieder erlitten hatten, raubte ihnen alle Spannkraft. Früher hatte die Verzweiflung mich zu übernatürlichen Anstrengungen vermocht; jetzt, wo die Gefahr nicht mehr so dringend war, konnte ich auch den gebieterischen Forderungen der Natur keinen solchen Widerstand entgegensetzen. Seit dem Morgen des gestrigen Tages hatte ich keine nahrhafte Speise zu mir genommen. Diese Entbehrung mochte dazu beitragen, mich in einen Zustand außerordentlicher Schwäche zu versetzen. Ich schlief wieder ein und schlief fort, bis mich ein lautes Geräusch in meiner Nähe erweckte. Es war heller Tag und ich sah viele bewaffnete Männer um mich her, von denen einige sich zu mir gebückt hatten und meine Wunden untersuchten. Andere hielten zu Pferde in der Nähe und unter diesen zeichnete sich besonders ein schöner, hochgewachsener Mann aus, den ich seines stattlichen Aeußern wegen für den Gebieter der Uebrigen hielt. Die Leute, die um mich beschäftigt waren, fragten mich auf eine freundliche Weise, wie und von wem ich die Verletzungen erhalten hätte, mit denen sie mich bedeckt sähen. Der unvollständige Anzug, den ich trug, hatte sie ihnen verrathen. Ich hüthete mich wohl, ihnen die Wahrheit zu entdecken, da ich nicht wußte mit wem ich es zu thun hatte. Ich sagte ihnen, ich sei von Räubern ausgeplündert und auf diese Art mißhandelt worden. Man reichte mir Speise und Trank. Jener Mann, den ich für den Anführer hielt, warf mir einige Silberstücke zu und sprengte, nachdem er Befehl gegeben hatte, für meine Heilung und Pflege zu sorgen, mit dem großen Haufen weiter. Zwei Männer, die bei mir zurückgeblieben waren, hoben mich vorsichtig auf ein Pferd und brachten mich nun langsam und mit schonender Rücksicht auf meinen Zustand, nach einem im Gebürge gelegenen einsamen Meierhof. Sie überließen mich der Pflege der gutmüthigen Landleute, die hier wohnten, und vertrauten mir beim Abschiede, daß es der große Kaiser Adolph von Nassau selbst gewesen sei, der sich meiner angenommen und für mich Sorge zu tragen geboten habe. Junker Friedmann, es gibt eine Vorsehung und hier zeigte sich unverkennbar ihre Spur! Derjenige, um dessenwillen ich als ein Opfer geblutet, das sich die Mordlust und die Grausamkeit erkoren hatten, mußte mich todtkrank und elend am Wege finden und seine Großmuth war es, die sich meiner erbarmte und mich dem Leben wiederschenkte. Denn schon waren meine Wunden durch die starke Erkältung bei dem nächtlichen Gange im Wasser, in eine heftige Entzündung übergegangen und wenn nicht schleunige Hülfe durch ihn mir gekommen wäre, so trat der Brand hinzu und ich war verloren. Mehrere Wochen lag ich sehr krank in dem einsamen Meierhofe. Endlich genas ich und konnte meine gutmüthigen, aber armen Wirthsleute von der Last befreien, die ihnen die Anwesenheit eines Kranken verursachen mußte. Das ist die Geschichte, die ich Euch erzählen wollte, Junker Friedmann. Jetzt wißt Ihr, warum ich mit großen Herrn keinen Verkehr haben mag, und weshalb meine Rache den Ritter von Nollingen verfolgt. Wie ich einige Tage später, nachdem ich den Meierhof verlassen hatte, mit dem tollen Anselmo zusammentraf, diesen auf den Falkenfang ausschickte und hierdurch aufs neue ein wohlhabender Mann wurde, das erzähle ich Euch vielleicht ein andersmal; denn seht! der Morgen ist schon angebrochen und Ihr dürft keinen Augenblick säumen, Euerm väterlichen Freunde, Herrn Mainhard Schelm, die Pergamente einzuhändigen. Die Verräther werden nur zu bald erfahren, daß ihre Absicht vereitelt worden. Der Thorwart wird plaudern und Euch durch seine Beschreibung kennbar machen. Dann seid Ihr keinen Augenblick vor Günthers Ränken sicher.«
Bandini hatte diese Worte noch nicht ausgesprochen, als sich eine lustige Musik von der Straße herauf hören ließ. Flöten und Schalmayen klangen in fröhlicher Weise und laute Stimmen vergnügter Menschen wurden hörbar.
»Sie haben die Hochzeitsfreude bis zum hellen Morgen getrieben;« sagte der Italiener, indem er ein Fenster öffnete und hinabsah. »Da kommt Beata von den Brautjungfern geführt, und ihr liebliches Antlitz ist von Lust und Scham röther gefärbt, als der Saum der Morgensonne, die sie bescheint. Da schreitet der Hochzeiter Gabriel einher, ernst und gravitätisch wie kaiserliche Majestät bei der Krönung; aber ich wette drauf unter'm Sammetwamms schlägt sein Herz in rascher Bewegung, als müsse es tanzen nach einer lustigen Melodei. Glück zu, ihr Leutchen! Möge Euch der Ehestand nie zum Wehestand werden!«
Auf's neue mußte Friedmann der schönen Amalgundis gedenken, als er zu Bandini in's Fenster trat und auf das junge Ehepaar hinabsah, das jetzt eben durch die Thüre des Hauses einschritt. Er blickte nachsinnend nieder, nachdem die Brautführer und die Hochzeitsjungfern sich wieder entfernt hatten und die Töne der Musik in der Ferne verklungen waren. Er würde vielleicht noch lange sich diesem Nachdenken überlassen haben, wenn er nicht von dem Lombarden an sein dringendes Geschäft erinnert worden wäre. Mit einem herzlichen Händedrucke trennte er sich von dem Manne, der ihn bei dem nächtlichen Abentheuer begleitet, der dieses zum günstigen Ausgange geführt und durch Mittheilung einer wichtigen Begebenheit seines Lebens, in der sich eine seltsame Rechtlichkeit und Standhaftigkeit bewährt, seine Zuneigung gewonnen hatte. Er begab sich von Bandini's Wohnung geradewegs in die Herberge zum Roseneck, wo, wie er wußte, Herr Schelm vom Berge sich eingelagert hatte, und erhielt hier, auf sein Begehren, sogleich Zutritt bei dem alten Ritter.