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Fünftes Kapitel.


Ach Gott! wie weh thut scheiden
Dem jungen Herzen mein,
Und bringt mir großes Leiden
Und dazu schwere Pein.

Erst im Laufe des nächsten Tages gelang es den besser gesinnten Bürgern der freien Reichsstadt, dem Beginnen der Geißler und des mit ihnen verbündeten Pöbels Einhalt zu thun. Die Geißler wurden aus der Stadt getrieben und als ihre zurückbleibenden Freunde sich ihrer Stütze beraubt sahen, fanden diese es am Klügsten, sich still von dem Schauplatze ihrer Verbrechen fortzuschleichen und ihren Raub und ihre Schuld in die heimlichsten Winkel zu verbergen. Aber welche Zerstörung, welche Scenen des Grauens hatten diese wenigen Stunden des Tages und die Nacht, die ihnen folgte, inmitten einer friedlichen Stadt gebracht! Man war endlich Herr des Feuers geworden, der Sturm hatte sich zum ruhigen, unschädlichen Lüftchen besänftigt, aber ein großer Theil der Stadt lag in Asche, Blut befleckte die Straßen, Leichen versperrten sie. Vor der Brandstätte der Synagoge, wo viele Hunderte, Greise, Männer, Frauen und Kinder, unter dem glühenden Schutte verkohlten, stieg ein dicker, schwarzer Dampf zum Himmel. Die Vorübergehenden behaupteten, von Zeit zu Zeit noch einzelne singende Stimmen zu vernehmen. Niemand verweilte gern in der Nähe des Ort's, über dem die Geister der grausam Ermordeten schweben mochten. Wohin sich der Blick wandte, stieß er auf Bilder des schrecklichsten Elends. Hier lag in den Schauern des Fiebers, an die Mauer einer Kirche zusammengedrängt, ein Haufe unglücklicher Pestkranken, die, von muthigen Menschenfreunden dem Flammentode entrissen, jetzt halbnackt, alle gräßlichen Zeichen ihres Übels zur Schau bietend, einem langsamen Tode entgegenschmachteten; dort trieben sich jammernd und Hände ringend vereinzelte Waisen umher, die vergebens nach den Eltern riefen, welche, als sie noch das Beste ihrer Habe retten wollten, das zusammenbrechende Dach, das ihnen so lange friedlichen Schutz gewährt, begraben hatte; dort rannten verzweiflungsvolle Mütter durch die Straßen und schrieen den Namen des Kindes, das sie im Drange des Unheils von ihrer Seite verloren; dort suchte unter einem Haufen von Todten die Liebe denjenigen hervor, dessen Staub sie nicht der Verwesung des Zufalls preißgeben, den sie an auserkorener Stätte begraben, dessen Gedächtniß sie dort feiern und betrauern wollte.

Die Würde der Obrigkeit, ihre Macht war wieder begründet und sie konnte jetzt streng gegen das Verbrechen, wohlthätig für das Unglück einschreiten. Ihrem Scharfblicke waren die Stadtangehörigen, die sich der Frevlerrotte der Geißler angeschlossen, die sie auf den Wegen zu Raub und Mord geleitet, nicht entgangen. Hinrichtungen folgten auf Hinrichtungen, in denen die ganze grausame Strenge jener Zeit sich aussprach. Einige der ärgsten Verbrecher wurden langsam von Pferden zerrissen, andre gerädert, andre gesäckt; wenige kamen mit dem Verluste von Nase und Ohren, noch weniger mit bloßer Stäupung davon. Es waren blutige Festtage für die Henkersknechte. Dazwischen hielt die Geistlichkeit, die sich nun wieder aus ihren Asylen hervorwagen durfte, feierliche Umgänge und stimmte in allen Kirchen das Te Deum wegen Befreiung von den Geißlern an. Jener Aufregung, welche die Ankunft der düstern Büßenden hervorgebracht hatte, folgte nun eine andre, die aber für den Menschenfreund auch ihre erfreulichen Beziehungen hatte. Man sah die edelsten Frauen aus dem Patricier- und Bürgerstande ohne Scheu, nur von reinem Wohlthätigkeitssinne getrieben, zu den obdachlosen Pestkranken treten, ihnen Nahrung und Arznei reichen, sie selbst in ihre eigene Wohnungen aufnehmen; elternlose Waisen fanden gütige Pflegemütter, die Abgebrannten gastliche Aufnahme: bei denen, welchen der Tod einen Liebling vom Herzen gerissen, konnte man nur Thränen trocknen, nur Trost und liebevolle Theilnahme in die wunde Seele zu flößen suchen.

Rastlos bewegte sich vom Morgen bis zum Abend unter den Hülfsbedürftigen Frau Gisela umher. Wohin ihr Fuß trat, da begleitete sie der Segen des Wohlthuns; wo sie ein Auge in Thränen sah, da eilte sie, diese zu trocknen. Imagina und Felician, der sich dem Herrn vom Rhein als einen Bekannten aus früher Jugendzeit zu erkennen gegeben, begleiteten sie aller Orten. Felician war dem alten Hartmuth als Gehülfe beigesellt worden und fühlte sich sehr glücklich, nach so vielen Jahren eines unruhigen, den mannigfachsten Widerwärtigkeiten unterworfenen Treibens, endlich ein friedliches Unterkommen bei einem Herrn, den er ehrte, dessen Gedächtniß immer in seiner dankbaren Erinnerung fortgelebt, zu finden. Die Erfahrungen der letzten Tage hatten ihn mit Widerwillen gegen ein erneuertes fahrendes Leben, das nur Nähe für eine frische, kräftige Jugend besitzen konnte, aber den bejahrten Mann zu tausend Entbehrungen, die das Alter erschweret, nöthigte, erfüllt. Seine Sorglosigkeit für die Zukunft war in jener Stunde, wo er dem büßenden Mönche beichtete, verloren gegangen, Alles hatte eine ernste, an die Vorbereitung zum Jenseits mahnende Gestalt für ihn angenommen. Durch den großen Dienst, den er der jungen Imagina leisten dürfen, war ihm diese theuer geworden, wie ein eigenes Kind. Was er sich auf seinen Fahrten sorgfältig erspart hatte und in gewichtigen Goldstücken in seinen Kleidern verborgen trug, das gedachte er einst ihr als ein Erbe, das der Waise in der Welt förderlich seyn möchte, zu hinterlassen. Demüthig folgte er der edlen Gebieterin und spendete mit jener seltsamen Freundlichkeit, die wir an ihm kennen, die Gaben der Wohlthätigkeit, welche sie bezeichnete. Frau Gisela glaubte nicht genug thun zu können, um der Gottheit ihren Dank für das Große, was sie an ihr geübt, darzulegen. Sie war in diesem allgemeinen Unglücke erwählt worden, die Huld des Himmels auf die wunderbarste Weise zu erfahren, und wenn auch der Schmerz über die gewaltsame Trennung von dem geliebten Pflegekinde Regina sich von Zeit zu Zeit empfindlich machte, so war eben durch jene erlebte wunderbare Begnadigung ihr Vertrauen auf Gottes weitern Beistand so sehr gestärkt worden, daß sie die feste Überzeugung hegte, der Herr, der die Blinde sehend gemacht, der die Nacht des Wahns von ihrem Geiste genommen, der den Flammen gewinkt, daß sie sich schonend von ihrer Wohnung abwandten, werde auch Regina sicher durch jedes Mißgeschick geleiten und in ihre Arme zurückführen. Als eines Abends die edle Frau aus dem Aufenthalte unglücklicher Nothleidender, die in dem entsetzlichen Brande Alles verloren hatten, trat, warfen sich ihr zwei Menschen, ein Mann und ein Weib in niedrer Tracht, zu Füßen. Imagina erkannte sie. Es waren Jörg und Walpurg, jene dienende Hausgenossen, die gleich bei der Ankunft der Geißler von dem argen Geiste der Zeit hingerissen, sich diesen beigesellt. Schwere Reue über ihre Verirrung und Furcht vor der Strafe, die den treulosen Leibeigenen bedrohete, hatten sie ergriffen; aber sie vertrauten auf die Güte und Sanftmuth der edlen Frau, sie fleheten um Verzeihung und Wiederaufnahme bei der Herrschaft und erhielten Beides, nachdem sich Frau Gisela überzeugt, daß sie, noch ehe die Geißler die Stadt, die sie gastlich aufgenommen, mit Mord und Brand heimgesucht, ihren Irrthum erkannt und sich von ihnen entfernt.

Ängstlich schlichen nun auch einzelne Individuen des unglücklichen Volkes, die bei'm ersten Drohen der Gefahr geflüchtet waren, aus ihren verborgenen Zufluchtsorten hervor; andre kamen aus benachbarten Städten und Dörfern, wohin sie eine gerechte Besorgniß getrieben, zurück. Es gewährte einen traurigen Anblick, diese Unglücklichen scheu um die Trümmer ihrer Wohnungen umherschleichen zu sehn, kaum muthig genug, in dem Schutte und der glühenden Asche nach Dingen von Werth zu suchen, die sich vielleicht erhalten haben mochten, immer noch den Mord und das Verderben auf ihren Fersen fürchtend. Aber Herr Hanns vom Rhein wußte dem Unglück Achtung, dem Eigenthume, so viel noch davon vorhanden war, seine Rechte zu schützen. In seinem Amte als kaiserlicher Vogt zeigte er sich unermüdlich thätig. Die Stimme der Menge bezeichnete den todten Simeon Storch als den ersten Veranlasser des ganzen Unglücks, Godebrecht's Ruf: er habe ihn einen feuerigen Pfeil in das Rathhaus schießen sehn, hallte von einem Ende der Stadt bis zum andern wieder und fand bei dem allgemein herrschenden Judenhasse überall Glauben. Die wenigen Juden, die dem Brand und Mord entronnen waren, und die eine Sehnsucht, in der wir ein allgemeines menschliches Gefühl erkennen, an den Ort, wo sie geboren, an die Stelle, wo sie Verwandte und Freunde verloren, zu der Ruine des Hauses, wo sie einst zu ihrem Gotte gebetet, wo nun so viele der ihrigen den langen Schlaf schlummerten, zurückführte, wurden als Mitschuldige einer That, deren Opfer auch so mancher christliche Haushalt geworden, angesehn. Allenthalben begegneten ihnen finstre, drohende Blicke. Aber der Ernst, den die städtische Obrigkeit in ihren Strafurtheilen an den Tag legte, die Wachen der Söldner, die um die Brandstätte aufgestellt waren, wiesen jeden Ausdruck des unverhaltenen Grimms in seine Gränzen zurück. Der kaiserliche Vogt ließ indessen Bretterwohnungen für die obdachlos gewordenen Juden aufschlagen, er sandte Leute aus, um Lebensmittel einzukaufen, er that Alles, was die Verhältnisse gestatteten, seine mißhandelten Schützlinge vor der ärgsten Noth, vor den schlimmsten Entbehrungen zu wahren.

Und Salentin? – Seine Seele war vom herbsten Schmerze ergriffen, tiefe Schwermuth bemächtigte sich seines sonst so heitern und starken Gemüthes, die heiligsten Empfindungen trieben ihn fort, die verlorene Geliebte aufzusuchen; allein er opferte das eigne Unglück dem größern allgemeinen, das Elend vieler hundert Kranken hielt ihn hülfeverlangend an ihren Lagern gefesselt; er schöpfte aus dem Anblick der sehenden Mutter einen Ersatz für die verlorene Geliebte, der freilich die Wunde auf Augenblicke vergessen machen, aber nicht heilen konnte. Sein Vater hatte ihm alle jene Entdeckungen mitgetheilt, welche er, bei der Zusammenkunft mit dem büssenden Mönche am Gutleuthofe, erhalten. So war denn Regina ein Sprößling zweier der edelsten Geschlechter, so schien der büßende Meinrad Crafft zum Jungen mit dem berühmten Meister Lukas eine Person, so hatte der eigene Vater die Tochter als ihr Schutzgeist umschwebt, so glaubte Salentin noch darin eine Beruhigung zu finden, daß Regina, wenn auch ihr und dieser unbewußt, sich in der Gesellschaft ihrer Mutter befand! Dann aber trat wieder das Bild des wilden, leidenschaftlichen, halb wahnsinnigen Galeazzo vor seine Seele. Er hörte sein Hohnlachen wie an jenem Abende, als er Reginen triumphirend in seinen Armen fortgeschleppt; aber unwillkührlich drängte sich dann auch die dunkle Gestalt des büßenden Mönchs vor, der damals den Räuber mit mächtigem Faustschlage niedergeschmettert, und ihm die Beute entrissen – er lebte zu neuer Hoffnung auf, wenn er erwog, daß Regina's Vater selbst dem Entführer auf der Ferse nachgefolgt sey, bis, lähmend und seine Hoffnungen mit düstrer Schwermuth niederdrückend, das schmerzliche Bewußtseyn zurückkehrte, daß grade jetzt, wo der Erfüllung seiner Wünsche nichts mehr entgegenstand, wo sein Vater sie billigte und die seinigen mit ihnen vereinigte, die Geliebte ihm entrissen, einem Frevel, den er nicht auszudenken wagte, preißgegeben sey.

Indessen hatte Regina in der That in Joffrieden eine seltsame Beschützerin gegen Galeazzo's glühende Leidenschaft, einen starken Beistand in den Anfällen seines zunehmenden Wahnsinns, eine wunderliche Freundin, die Wohlwollen und zurückstoßende Heftigkeit auf die sonderbarste Weise mischte, gefunden. Als sie an jenem Abende tief in sich gekehrt, auf Rettung sinnend, in dem Nachen saß, der, von Galeazzo und dem treulosen Knechte geleitet, sie stromabwärts führte, kauerte Joffriede ihr gegenüber am Boden nieder, blickte sie oft lange und verstohlen an, und verbarg dann plötzlich scheu und wild ihr Angesicht in den Mantel, den sie umgeschlagen hatte. Regina glaubte sie heimlich weinen zu hören. Wenigstens vernahm sie deutlich schwere Seufzer, die aus gepreßter Brust heraufstiegen, ein ängstliches Stöhnen, das, obgleich sie noch in Joffrieden eine arge Feindin erkennen mußte, ihre Theilnahme seltsam und unwiderstehlich erregte. Ließ dann die Geißlerin wieder den Mantel fallen, blickte sie dann wieder langsam auf, so war jene Heftigkeit, jene fanatische Wildheit, jener gebietrische Hohn, womit sie Frau Gisela grausam verfolgt, gänzlich aus ihren Gesichtszügen verschwunden, und auf der bleichen Stirn, in den Augen, die das unheimliche Feuer verloren, in den gedehnten Wangen und um den immer noch edel gebildeten Mund, lag der Ausdruck eines tiefen, fort und fort nagenden Seelenschmerzes, einer Trauer, die durch keinen Thränenstrom hinweggespült werden konnte, einer quälenden Erinnerung, die, wenn die Außenwelt die Geißlerin nicht in ihre Stürme fortriß, unaufhörlich an ihr Herz und ihr Gewissen schlagen mochte.

Der Nachen durchschnitt die Wellen im Fluge und bald lag die Stadt, über die der Feuerstrom wogte, hinter ihm. Regina blickte nach der Gegend, wo das Haus der Pflegeeltern lag. Der Wind trieb die Flamme abwärts, das Mädchen durfte hoffen, daß dieses Unheil schonend an den Häuptern ihrer Lieben vorübergehe. Wer mag es ihr verargen, daß, wenn sie an diese dachte, es immer Salentin war, der, allen vortretend, sich ihrer Seele vergegenwärtigte, daß selbst die Pflegemutter, deren dunkles Geschick plötzlich ein Wunder gelichtet, dem Bilde des Pflegebruders weichen mußte, daß ihre Seufzer, ihre Sehnsucht, die Hoffnung, die in dem Herzen eines liebenden Wesens nie stirbt, ihm galten?

Während auf den Fluß und die niedre Gegend schon die Dämmerung anfing sich zu lagern, strahlten die gewölbten, üppigen Formen des Gebirgs noch im reizenden Abendlichte. Es lag, von einem sanften Goldglanze umsäumt, an der rechten Seite des Flusses. In seinen anmuthigen Formen glich es jenen Gebirgen südlicher Länder, die mehr durch sanfte und harmonische Verhältnisse dem Auge schmeicheln, als es durch abentheuerliche, mächtige Gebilde in Erstaunen versetzen, und selbst der Zufall, der vielleicht schon zu Carl des Großen Zeiten Kastanienwäldchen hier hatte anlegen, der milde Himmelsstrich, der sie hatte gedeihen lassen, dienten diese Ähnlichkeit zu vermehren.

Galeazzo ließ das Ruder sinken und sah mit glühenden Blicken nach dem Gebirge. Er lächelte seltsam, eine dunkle Röthe trat auf seine Wangen und, indem er beide Arme nach den Bergen hinbreitete, rief er in einem sonderbaren, singenden Tone:

»Hei, wie glücklich und schnell geht unsre Fahrt! Das kalte Deutschland liegt hinter uns, und die Alpen und die Appeninen, hier ist meine Heimath, das schöne albanische Gebirg, hier habe ich unter den Blüthen der Orangen, unter den Zweigen der Myrthe die erste Luft geathmet, hier will ich das Glück meiner Liebe, hier will ich meine Hochzeit feiern. In Deutschland habe ich durch Buße und Blut regiert, hier will ich der Sklave der Geliebten werden, hier lauschen auf ihren Wink, um ihn auszuführen, hier ihre Blicke bewachen, ob ein Wunsch in ihnen liegt, den ich erfülle, ehe sie ihn ausspricht. Du heissest Regina,« wandte er sich zu dem Mädchen, »und du sollst die Königin seyn. In unserm ewig heitern Lande, in unsern Wäldern und Bergen bedürfen wir nicht der engen Wohnungen, wie sie die Eisluft des Nordens den Menschen aufdrängt. Das Gewölbe des Himmels ist das Dach unsres Pallastes, das Paradies, das uns umgibt, die Wohnung, deren wir bedürfen. Aber ehe wir eingehn in diese Herrlichkeit, muß erst ein seltsames Werk, von dem ich in unglücklichen Augenblicken oft wähne, es sey unmöglich, gethan seyn. Siehe diese Hände, Regina! Sie sind von Menschenblut roth gefärbt, von Brand und Rauch dunkel angehaucht. Die Blut- und Brandflecken müssen erst fort. Meine Hand muß weiß werden, wie das Gefieder der Friedenstaube, dann erst darf sie die Myrthe pflücken.«

Er tauchte beide Hände in's Wasser und rieb sie mit großem Eifer. Plötzlich aber ließ er von dieser Beschäftigung ab, schüttelte wehemüthig das Haupt mit den verwirrten dunkeln Locken und dem bleichen Antlitze und sprach:

»Es geht nicht! Noch weht der Wind den Brandgeruch aus Deutschland herüber, noch schlägt von dorther der Feuerschein über die Berge, noch quillt ein Strom von Blut die Alpen herab, mir nach, der immer die Hände wieder roth färbt. Geduld, Galeazzo! Du kannst ja warten. Du besitzest die Geliebte, Niemand raubt sie dir: Geduld!«

»Es wäre besser, Ihr nähmt das Ruder zur Hand, und triebet tüchtig an,« nahm unmuthig der Knecht das Wort, »als daß Ihr Eure Freude an unnützen und kindischen Redensarten findet. Bei Sanct Veit! Wir werden verfolgt und Derjenige, der jenen kleinen Kahn, wie eine fliegende Schwalbe, hinter uns her eilen läßt, führt ein Ruder, das nicht zum ersten Male die Wellen durchschneidet.«

»Sklav, willst du mir gebieten?« fuhr Galeazzo heftig auf den Knecht ein, indem er das Ruder über seinem Haupte schwang. »Noch ein Wort aus deinem Maul, und ich schlage dir den Schädel ein. [Anmerkung zur Übertragung in den E-Text: sechs Zeilen sind nicht lesbar] sich noch am leichtesten abwaschen lassen. Da nimm Gold! Mit Gold wiege ich dir jeden Ruderschlag, jeden Schritt in meinem Dienste auf. Deine Seele habe ich gekauft, d'rum wahre dein Leben!«

Er warf dem Knechte einige Goldstücke vor die Füße, welche dieser gierig aufraffte. Dann sah er selbst nach dem Kahne, der aus der Ferne heraneilte. Nach einigem Besinnen setzte er sich schweigend auf die Stelle, die er früher eingenommen, und, indem er nun das Ruder wirken ließ, brachte seine durch die wahnsinnige Erregung gesteigerte Kraft das Fahrzeug in wenigen Augenblicken weit vorwärts.

Regina fühlte sich bei den Äußerungen, in denen Galeazzo die Zerrissenheit seines Innern, das Geständnis seiner Blutschuld ausgesprochen, von Grauen und Abscheu erfüllt. Als seine Gebehrde den Knecht mit einem tödtlichen Schlage bedrohete, war sie im Begriff aufzuspringen und sich zwischen Beide zu werfen. Doch lag auch in den Worten des Wahnsinnigen, daß er erst von Blut und Brand gereinigt seyn müsse, ehe er nach seinem Glücke verlangen dürfe, etwas Beruhigendes für sie. Ehe sie aber hierüber weiter nachdenken konnte, fühlte sie ihre Hand von der Joffrieden's ergriffen, vernahm sie die von dieser leise und hastig ausgestoßene Versicherung:

»Fürchte nichts, Mädchen! Du stehst unter meinem Schutze. In deinem Wesen liegt eine wunderbare, unerklärliche Macht, die mich zwingt, dich zu lieben.«

Sie sah die Geißlerin befremdet an. Hatte sich ihr doch dieses seltsame Weib immer unter einer abschreckenden Gestalt, als eine unablässige Verfolgerin der frommen und tugendhaften Frau Gisela gezeigt, beseelt von wildem, blutdürstigem Fanatismus, mit dem herrschsüchtigen Streben, Alles in den Kreis ihrer düstern und grausamen Buße zu reißen, und nun mit einemmale redete sie in einem sanften, trostbringenden Tone zu ihr; mit einemmale kündigte sich diejenige, die sie gefürchtet und verabscheut, als ihre einzige Freundin in der Noth an! Aber wie wunderbar verändert schien auch in diesem Augenblicke das ganze Äußere Joffrieden's! Nur Wehemuth und Trauer sprachen aus diesen Zügen, und den Augen, die auf Regina ruheten, entstrahlte ein milder Blick, in welchem der seltsame Ausdruck einer auflebenden Zärtlichkeit unverkennbar war. Auch nach dem Nachen, dessen der Knecht gedachte, dessen Annäherung dieser zu fürchten schien, forschte, von einer schwachen Hoffnung belebt, Regina's Auge. Er schwebte fern hinter ihnen, aber er verfolgte fest und unausgesetzt die Richtung, die sie eingeschlagen hatten, es schien keinem Zweifel unterworfen, daß es in der Absicht Desjenigen, der ihn führte, lag, sie zu erreichen.

Da landete Galeazzo, an jener buschumgebenen Stelle, da sah sich Regina, wollte sie sich nicht einer Gewaltthat der Leidenschaft aussetzen, genöthigt, ihrem Räuber zu folgen.

»Hier ist kein Weg, kein Steg, der mir unbekannt wäre,« sagte wunderlich lächelnd der Italiener. »Dort hinab liegt Albano mit seinem See, rechts führt die Straße nach der königlichen Neapolis. Aber was sollen uns die engen Mauern, was soll uns die Sklaverei der Städte? Ich hatte kaum die Spiele der Kindheit weggeworfen, als ich das grüne, freie Gebiet der Wälder und Berge betrat. Da lebte ich froh und glücklich und diese Zeit soll wiederkommen. Sie strahlt fernher im Goldesglanze, wie der Saum jener Berge. Dazwischen liegt eine dunkle, blutige Nacht – ich dränge an ihr, ich will sie hinwegwischen aus meinem Leben, aber sie weicht nicht. Aber auf den Bergen wird mir besser werden. Hinauf, hinauf! Die Brust sehnt sich nach ihrer Freiheit, die Seele nach ihrem Frieden.«

Er ging mit raschen Schritten durch den dämmerigen Wald voran, ihm folgten Regina und Joffriede, die des Mädchens Hand gefaßt hatte; der Knecht, mit einem gewichtigen Pack beladen, schloß den Zug. Der Wahn, er durchwandre die Fluren seines Vaterlandes, er nähere sich jenen Gebirgen, in denen er eine glückliche und heitre Zeit seiner Jugend verlebt, wurde in Galeazzo zur festen, Alles beherrschenden Idee. Dort sollte Alles von ihm weichen, was ihn bedrückte und ängstigte, tausendfache Blutschuld, Verbrechen, deren Last er dunkel fühlte, ohne sie zu erkennen, die ganze düstre Zeit seiner Buße und Geißlung, viele Jahre, die er in Entsagung aller Freuden, im Taumel eines rasenden, grausamen Treibens hingebracht. Dort sollte dann das Glück der Liebe, die in der reizenden Unschuld Reginens ihm begegnet und mit Allgewalt den Nebel einer langen düstern Verirrung zerstreut, ihm in der reichsten Fülle, die er nur ahnen, aber nicht denken konnte, erblühen; dort zeigten ihm unklare Vorstellungen eine Freiheit, eine Herrlichkeit, die das Leben mit Reginen erzeugen mußte. Und während er, diesen Träumen hingegeben, weiter eilte, rieb er immer die Hände, blickte er scheu auf sie nieder; aber die Blutflecken wollten nicht vergehen, die Brandzeichen blieben!

Die Dämmerung ging in Nacht über, die Nacht breitete ihr Sternengewand über die Erde und hüllte Alles in ihren majestätischen Frieden. Die Wandrer hatten auf den oft ungebahnten Wegen, die Galeazzo sie führte, wohl zwei Stunden zurückgelegt und fanden sich nahe am Fuße des Gebirges. Immer höher stiegen die dunkeln riesigen Umrisse vor ihnen auf, kühler wehete sie die scharfe Bergluft an. Wenn auch Regina an die Möglichkeit einer Flucht unter dem Schutze der Nacht dachte, so hielt sie Joffriede fortwährend so fest an der Hand, daß keine Hoffnung war, sich unbemerkt von ihrer Seite zu entfernen. Auch der Knecht, der seine Schritte an die der Frauen fesselte, schien sie sorgsam zu bewachen, und wäre auch eine Flucht gelungen, welchen neuen, vielleicht noch gefährlichern Unfällen setzte sich nicht in jener rohen Zeit persönlicher Willkühr, in den Tagen einer allgemeinen Verwirrung und Gesetzesverhöhnung, ein einsam umherirrendes Mädchen, jung und schön, wie Regina, aus?

Sie erreichten endlich einen Wiesenraum, der, rings von Gebüsch umgeben, zu einem ruhigen, verborgenen Asyl bestimmt schien. Galeazzo's forschendes und scharfes Auge entdeckte im Hintergrunde des Raumes eine Hütte. Sie war verlassen, sie mochte nur ermüdeten oder von einem Unwetter überraschten Jägern von Zeit zu Zeit zu einem Zufluchtsorte dienen. Hier war das Ziel ihrer heutigen Wandrung. Während der Knecht Licht anzündete, führte Galeazzo die Frauen zu einem liegenden Baumstamme im Innern der Hütte, der die Stelle einer Bank vertrat, und sagte:

»Seyd mir willkommen in der Heimath! Wie viel lieblicher ist es hier im Lande Italia, als drüben über den Alpen im rauhen Norden! Die Winde tragen süße Düfte herbei, die Nacht bringt keine frostigen Schauer, ein belebender, milder Hauch zieht durch die weite Schöpfung.«

Der offene Eingang der Hütte gab die Aussicht nach der Himmelsgegend, die sie verlassen, hatten, frei. Mit Entsetzen bemerkte Regina den Feuerschein, der dort den Horizont erhellte, der noch immer mächtig und weit verbreitet schien.

»Das ist der Vesuv bei der Königsstadt Neapolis,« rief mit einem wahnsinnigen Lachen der Italiener. »Die Leute sagen, ich hätte ihn angezündet. Alles Geschwätz! Drunten ist die Hölle, und wenn der Teufel das Feuer schürt, in dem er die Seelen der Verdammten peinigt, dann lodert manchmal die Flamme heraus. Vor tausend Jahren etwa lebte einmal ein Volk lustiger Leute in den Städten um den Vesuv. Die machten den Teufel oft unwillig mit ihrem tollen Gelächter, mit ihrer lärmenden Fröhlichkeit. Da nahm er eine Hand voll glühender Asche und warf sie hinaus und begrub darunter die Städte mit dem lustigen Volke, so daß es still ringsum wurde und man von der Zeit an des Teufels Schnauben und Brummen, wie fernes Donnerrollen, gar deutlich vernehmen kann.«

Bei einem Kienbrand, den der Knecht angezündet, packten Galeazzo und sein Gehülfe einige Lebensmittel, womit sie sich versehen, aus. Joffriede und Regina aber verschmäheten jede Speise. Die Geißlerin sah oft träumerisch vor sich hin, dann blickte sie wieder Reginen an, eine seltsame Unruhe bemächtigte sich ihrer Seele, sie bewegte die Lippen, als spreche sie im Geheim mit sich selbst, sie fuhr sich mit der flachen Hand über die Stirn, als wolle sie Gedanken, die ihr lästig fielen, dort wegwischen.

Galeazzo selbst bereitete von Moos und dürren Blättern, die er herbeischleppte, den Frauen ein Nachtlager. Als er einmal an Reginen vorüberging, schien ihr Anblick die ganze Stärke seiner Leidenschaft zu erwecken, das irrende Auge flammte, er erhob den Arm, das entsetzte Mädchen zu umschlingen. Da drängte sich Joffriede zwischen beide und sagte abwehrend und bedeutungsvoll zu dem Geißlermeister:

»Ist deine Hand von Blut rein, Galeazzo? Sind die Brandflecken verschwunden, daß du wagst, nach deiner Liebe zu reichen? Hinweg, Blutiger! Der Mord und die Liebe können sich nicht mit einander vermählen. Wenn deine Hand wieder weiß geworden ist, wie einst, da du noch ein Kind warst, dann erhebe sie nach diesem Mädchen.«

Der Italiener sah auf seine Hände und bebte zusammen. Er suchte sie in seinem Gewande zu verbergen, er verließ mit einem tiefen Seufzer die Hütte.

»Das ist der Bann, der ihn lähmt,« sprach Joffriede leise zu Reginen. »Wir halten den Wahnsinnigen an dieser Kette, die er sich selbst übergeworfen.«

»Wenn er sie aber in einem Augenblicke der ausbrechenden Wuth zerreißt?« versetzte ängstlich das Mädchen.

»Vertraue auf mich,« antwortete beruhigend die Geißlerin, »So lange ich athme, bist du vor diesem Manne sicher.«

Der Knecht hatte sich indessen, ohne die Gegenwart der Frauen zu achten, in einen Winkel hingestreckt und schien sich hier ohne Umstände dem Schlaf überlassen zu wollen, als Galeazzo noch einmal zurückkehrte. Er erblickte den liegenden Knecht, er stieß ihn mit dem Fuße an und rief:

»Hund von einem Diener, wie kannst du wagen, in der Nähe deiner Gebieterin, deiner Königin, dich zu lagern, durch deinen Odem die Luft zu entweihen, die sie trinkt? Sie, die ich aus der Ferne verehre, betrachtest du als deinesgleichen, wo ich in Demuth harre, da drängst du dich frech und überlästig auf –«

»Nun,« unterbrach ihn trotzig der Knecht, »ich werde doch nicht unter freiem Himmel liegen sollen?«

»In der Hölle, wenn es mir beliebt!« brüllte Galeazzo, indem seine Rechte den Diener emporriß und ihn mit unwiderstehlicher Gewalt aus der Hütte schleuderte. Hier sank dieser in die Kniee, sah, noch Ärgeres erwartend, flehend zu Galeazzo, der ihm folgte, auf und wollte mit bebender Stimme eine Entschuldigung stammeln.

»Das war das zweite Warnungszeichen,« fiel ihm drohend der Italiener in die Rede. »Noch einen Frevel, noch einen Trotz, wie dieser, und dein Leben ist mir, deinem König und Gebieter, verfallen.«

Er streckte sich vor die Thüre der Hütte, so daß, wer diese verlassen oder betreten wollte, über ihn hinwegschreiten mußte. Der Knecht kauerte sich in einiger Entfernung von ihm nieder und sandte tückische, drohende Blicke nach demjenigen, der ihn so arg mißhandelte, in dessen Nähe ihn aber der Eigennutz und die Habsucht gebannt hielten. Er hatte sich den Ort gemerkt, wo Galeazzo den mit Gold und köstlichen Kleinodien wohl gefüllten Säckel zu verwahren pflegte. Indem der Mond aufging und, sein Licht über den Waldrand ergießend, die Hütte und den liegenden Galeazzo deutlich erkennen ließ, stiegen in der Seele des Knechts Versuchungen auf, die ihn unwiderstehlich umstrickten. Wie, sagte die lockende Stimme in seinem Innern, wenn du dich zum Besitzer dieser Schätze machtest, wenn du den Wahnsinnigen, der sie doch nicht zu gebrauchen versteht, davon befreitest und mit ihnen die Ferne suchtest, wo seine Tollheit, seine Wuth dich nicht erreichen kann? Dort liegt er bewegungslos, bald vielleicht in einem so tiefen Schlafe, daß man ohne Furcht sein Wamms lockern und den reichen Säckel von der Brust wegholen kann. Bei Sanct Veit, ich wag's! Ich schließe kein Auge, ich harre auf den günstigen Augenblick und wenn ich bis zum Morgen wachen sollte. Gegen diesen Vorsatz aber kämpfte noch immer die Furcht, mit welcher Galeazzo's bisheriges Benehmen den Knecht erfüllt hatte; der Gedanke an die Möglichkeit, er könne im Augenblicke der That erwachen, wo dann der verwegene Räuber keine Verzeihung, keine Schonung seines Lebens zu erwarten hatte. Bald hörte er die tiefen Odemzüge des Italieners, die seinen Schlaf anzeigten. Aber es war nur ein leichter Schlummer, von lebhaften Träumen beunruhigt, öfters durch laute Ausrufungen, durch heftige Bewegungen mit den Händen unterbrochen. Das Gelüst in der Seele des Knechts erlosch nicht. Er saß still und harrte, er blieb wachsam und lauerte.

Indessen hatte im Innern der Hütte ein seltsamer, Reginen überraschender Auftritt stattgefunden. Joffriede zog sie, nachdem Galeazzo eingeschlummert war, plötzlich an ihre Brust, bedeckte ihr Antlitz mit Küssen und Thränen und sprach schluchzend:

»Stoße mich nicht von dir, zerstöre nicht einen süßen Wahn, der mich beglückt! Laß mich bei dir weinen, lege dein Haupt an meine Brust; glaube, es sey hier sicher, wie an der Brust einer Mutter. Als du bei der blinden Frau, die ich meinem düstern Wandel zugesellen wollte, mir entgegentratest in der Macht deiner Unschuld, in der Heiligkeit deines starken frommen Sinnes, als aus deinen Zügen eine wunderbare Erinnerung an mein Herz drang, als Galeazzo mit mir den Vertrag einging, mir die Blinde zu überlassen und dich als seine Braut heimzuführen, als nun die Blinde plötzlich sehend geworden und dieses Wunder den Glauben an meine eigne Heiligkeit, an meine Vereinigung mit Gott selbst durch Blut umstürzte – da erschienest du mir bald als ein Engel mit dem feurigen Schwerte, bald als ein wahrhaft versöhnender Geist des Himmels, mir verkündend, daß ihm die Buße durch Blut ein Gräuel sey. Ich bebte vor mir selbst zurück, ich konnte nicht unterscheiden, ob ich diejenige liebte oder haßte, welche mir mit einemmale die Frucht einer langen Zeit schwerer Buße und Entsagung rauben wollte. Da sah ich wiederum in dein thränendes Angesicht, als Galeazzo's Nachen dich von dem Hause deiner Eltern, von deiner Heimath entfernte. In deinem Anblicke stieg das Bild meiner Jugend, der Jugend eines Andern, der mir Großes zu verzeihen hat, empor. Reue über mich selbst, ein unbeschreiblich süßes Gefühl zu dir, wie Mutterliebe, zogen in meine Seele. Ja, Kind, ich bin Mutter gewesen, aber ich habe nur das früheste Lallen meines Kindes vernommen, dann ward es mir entrissen. Wehe mir, daß ich nicht verdiente, es in meiner Nähe zu bewahren, mich seiner kindischen Spiele, seines Aufblühens zu erfreuen! Es hieß Regina, wie du, es müßte in deinem Alter stehn, aber – thörigter Traum! du bist das Kind der Frau Gisela, die Tochter eines Mannes, der –«

In diesem Augenblicke ertönte aus nicht grosser Entfernung das Geläut einer Glocke. Joffriede fuhr heftig auf, dann ergriff sie beide Hände des Mädchens, das ihre Mittheilung, von den seltsamsten Gefühlen bewegt, angehört, verbarg ihr Angesicht in diese und fuhr mit banger, gepreßter Stimme fort:

»Es gehen wunderbare Dinge mit mir vor. Die Täuschung langer Jahre fällt von mir ab, wie die Kette von dem genesenen Wahnsinnigen und das Leben ergreift mich wieder mit Liebesarmen, die aus meiner Jugend emportauchen, mit Tönen, die aus ihr herüberklingen. Es war eine dunkle, unheimliche Nacht, als ich den Schall dieses Glöckchens zum letztenmale vernahm. Es ist das Klosterglöckchen von Königstein, Mädchen, es war eine häßliche, verführerische Nacht und eine That geschah in dieser Nacht, vor der die Treue und die Ehre sich in Trauer hüllen. Sprich, Kind, hat man dir nie von Richardis von Falkenstein erzählt?«

»Nie!« versicherte Regina , indem noch immer die erste Rede Joffriedens seltsam in ihr nachhallte.

»Um so besser,« entgegnete Joffriede. »Sie haben das Gedächtniß Derjenigen, an die sie nur voll Abscheu und Verachtung denken konnten, in Vergessenheit begraben. Die That jener Nacht, Mädchen, betraf einen Mann, den du kennst. Von seinem Freunde, von seiner Braut, die er am nächsten Tage zum Altare zu führen hoffte, wurde er damals grausam betrogen und, als nun die treulose Braut nach vielen Jahren in sein Haus trat und ihn, wenn auch nicht ganz glücklich, doch zufrieden fand, da mochte sie diese Zufriedenheit ihm nicht gönnen, da wollte sie sie zerstören, indem sie strebte, ihm das Liebste von seiner Seite zu reißen. Aber es kam anders. Gott that ein Wunder und die Nacht floh vor dem Lichte, der Wahn vor der Wahrheit.«

Sie schwieg und schien aufmerksam den Tönen des fortläutenden Glöckchens zu lauschen. Regina befand sich in wunderlicher Verwirrung. Sie fühlte sich von mehr als mitleidiger Neigung zu Joffrieden hingezogen, sie sah die drohende schreckliche Geißlerin in eine weinende Reuige, in eine Unglückliche verwandelt, die nun den Wahn einer finstern und blutigen Buße erkannte; sie fand in dem Räthsel ihrer Geburt und dem Räthsel von dem Verlust eines Kindes, das ihren Namen getragen, eine Verwandtschaft, die wenigstens seltsam genug war, um ihre Aufmerksamkeit, um eine theilnehmende Empfindung in ihr zu erwecken.

»Das Glöckchen will ewig nicht enden,« hob in einem halb unwilligen, halb scheuen Tone Joffriede wiederum an. »Ich verstehe, was seine eherne Zunge spricht. Sie erzählt von den heitern Tagen einer schuldlosen Kindheit, sie klagt mich an, daß ich selbst dieses Paradies verscherzte, daß ich dem Engel mit dem flammenden Schwerte gerufen habe, der mich daraus verjagt. Horch, Regina, wie verändert sich mit einemmale sein Ton? Wie Grabgeläute schauert sein Klang hernieder. Er dringt in mein Gehirn, in meine Seele. Er wird zum düstern Bilde, das mich verwirrt, das mich entsetzt. Ein Trauerzug geht vorüber, die Wappen meines Hauses prangen auf den Gewändern der Trauernden, der Sarg ist offen, ich erkenne die Leiche, ich erkenne mich selbst! Fort, fort, du häßliches Bild! Jetzt kann ich, jetzt will ich nicht sterben! Ich habe ein Wesen gefunden, das mir das Leben theuer macht, ich darf nicht sterben, denn ich habe nur im Hasse, nicht in der Liebe gebüßt, ich muß erst den Himmel durch Liebe wieder versöhnen, damit ich würdig werde, in seine Seligkeit einzugehn. Umschlinge mich, Regina, nimm mich auf an deine Brust! Ich will ganz Liebe, ganz Hingebung werden. Für dich nur will ich leben und für Gott. Jene Blinde hat ihn durch Milde und Sanftmuth zu einem Wunder vermocht, vielleicht erringe auch ich auf diesem Wege das Wunder seiner Verzeihung!«

Ihr Haupt ruhete auf Reginen's Schulter, das Mädchen hatte mitleidig ihre Arme um Joffriede gelegt. Die Geißlerin schien in dieser Lage sich still glücklich zu fühlen. Sie sah mit einem wehemüthigen Lächeln in Reginen's Angesicht, sie spielte mit ihren Locken, sie streichelte ihr die Wange. Da regte sich Galeazzo und stöhnte aus tiefer Brust. Er träumte schwer. Einige dumpfe, unverständliche Töne gingen über seine Lippen, dann sprach er vernehmlich: »Auf, Godebrecht, an's Werk! Wirf Feuer in das alte Haus! Das trockne Sparrwerk brennt wie Pech und Schwefel. Feuer! Feuer!« schrie er plötzlich heftig auf. »Der Jud' hat's gethan. Nimm ihn, Godebrecht! Er ist dein mit seinen Schätzen. Aber das Mädchen gehört mir. Hey, wie die Flamme lodert! Komm, Joffriede, es ist Zeit! Dir die Alte, mir die Junge. Im Welschlande ist's schön. Da wird die Geisel zum Myrthenzweig, da werde ich wieder jung, da habe ich keinen Mord begangen, keinen Brand entzündet –«

Seine Rede ging in ein unverständliches Lallen über und verstummte bald ganz. Unwillkührlich hatte Regina durch die offne Thüre nach der Gegend der Heimat geblickt. Dort flammte der nächtliche Himmel noch in entsetzlicher Gluth, dort hatte das Werk der Zerstörung und des Verderbnis noch nicht sein Ziel erreicht. Das Mädchen sandte ein stilles Gebet für die Pflegeeltern, für den geliebten Salentin zu der heiligen Jungfrau. Mit festem Gottvertrauen wußte sie alle drohenden Bilder entsetzlichen Unglücks, das ihre Lieben treffen könne, aus ihrer Seele zu verbannen. Joffrieden's wiederholte Anrede störte sie in ihren frommen Gedanken.

»Ich könnte dich wohl aus der Nähe des Wahnsinnigen hinwegführen,« sagte, auf den Schlafenden deutend, die Geißlerin, »es wäre wohl eine List zu erdenken, dich von ihm zu befreien, dann aber hätte auch ich deinen Verlust zu befürchten, dann würdest du, die ich nicht so streng bewachen konnte, mich verlassen und zu deinen Eltern zurückkehren. Nein, nein: es ist besser so! Ich kann mich nicht mehr von dir trennen, ich kann nicht mehr leben ohne dich. Wir müssen zusammen bleiben. Gegen den Wahnsinnigen will ich dich schon schützen. Komm, Kind, schlummre ein an meiner Brust! Ruhe sanft, ich wache für dich. Denke, es sey deine Mutter, die dich in ihren Armen hält.«

Sie zog Reginen an sich, sie legte jetzt zärtlich ihre Arme um das Mädchen. Ein seltsames, süßes Gefühl ergriff Reginen. Es war ihr, als ruhe sie wirklich in diesem Augenblicke an der Mutter Brust, wie ein fernes Schlummerlied, das Mütter den Kindern zu singen pflegen, klang es in ihrer Seele und, indem sie sich diesen Empfindungen und Halbträumen willig hingab, versank sie bald in einen sanften, ruhigen Schlaf.

Ein undeutliches Geräusch, ein heftiger Fall, dem ein dumpfer Schrei folgte, erweckten sie mit einemmale. Sie fuhr schlaftrunken von der Brust Joffrieden's auf, sie starrte nach dem Eingang. Dort trat eben, wie ein wüstes Traumbild, Galeazzo vor. Er sah in die Hütte auf die beiden Frauen, dann streckte er sich wieder am Eingang hin, lachte halblaut und wild in sich hinein und blieb nun regungslos in der Stellung, die er seither behauptet hatte, liegen. Joffrieden's sanfte und freundliche Worte beruhigten das aufgeschreckte Mädchen bald wieder. Es klang von Neuem aus ihrer Seele, wie ein süßes, vertrautes Schlummerlied und der Schlaf, der die Jugend liebt, ließ nicht lange auf seine Ankunft warten.

Der helle Glanz der Morgensonne, der jetzt, statt der Flammengluth am nächtlichen Himmel, durch die offne Thüre hereindrang, erweckte die schöne Schläferin. Sie sah sich mit Verwundrung an der Brust Joffrieden's, welche die ganze Nacht über ihr gewacht hatte; sie mußte erst ihre Gedanken sammeln, um sich Alles zu erklären, um sich der Ereignisse zu erinnern, die sie in diese wunderliche Gesellschaft, in dieses seltsame Verhältnis brachten. Mit seinem tiefen Seufzer unterwarf sie sich der Erkenntniß, der Nothwendigkeit der Wirklichkeit.

Galeazzo stand zur weitern Wandrung gerüstet vor der Hütte. Sein Wort rief die Frauen hinaus in den lieblichen Morgen, in den frischen Wald, in die duftumflossenen Berge. Von allen Seiten ließen sich Stimmen der fröhlich erwachten, der jung erkräftigten Natur vernehmen. In den Zweigen rauschte ein leichter Morgenwind, aus dem Laube rief der Chor der Vögel seinen Morgengruß, ein Bächlein flüsterte durch den Wiesengrund hin. Reginen dünkten alle diese Laute Stimmen von Gottes Liebe, gesandt, Trost und Beruhigung in ihre Brust zu bringen. Gab es denn ein Wesen in der weiten Schöpfung, noch so klein und unbedeutend, das sich nicht seiner Güte, seiner Pflege, seines Schutzes zu erfreuen hatte? Und sie sollte an ihm verzweifeln, sie, die als eine gute Christin durch seine Heiligen, durch die hohe Himmelskönigin seiner unendlichen Liebe nahe gelegt, die von ihrer frühesten Kindheit an ihn als einen Wohlthäter, der seine Gaben in reicher Fülle gespendet, erkennen müssen? Nein, nein! rief es stark in ihrem Innern: die heilige Jungfrau ist mit mir, sie läßt mich nicht verderben!

Heiter trat sie mit Joffrieden aus der Hütte. Da traf ihr Blick auf einen gräßlichen Gegenstand, da bebte sie entsetzt zusammen, da drängte sie ängstlich die Begleiterin weiter. Der Knecht lag ausgestreckt und unbeweglich am Boden, sein Antlitz war verzerrt, seine Stirn bedeckte Blut. Indem Galeazzo an ihm vorüberschritt, berührte er ihn verächtlich mit dem Fuße. Ein leises Zittern, das durch die Glieder des Verwundeten lief, ließ noch eine Spur von Leben ahnen. Galeazzo beachtete sie nicht. Er glaubte sein Werk vollendet, er sprach in einem heisern Tone, mehr in sich selbst hinein, als zu den Frauen hin:

»Ich habe eine Schlange zerdrückt, die sich an meine Brust stehlen wollte. Sie kam leise und raubsüchtig, sie wollte den Schlaf betrügen, aber der Schlaf Galeazzo's ist nicht blind, nicht unempfindlich, wie der Schlaf andrer Menschen.

Tausend Gestalten der Vergangenheit treten in seinen Schlaf und machen ihn lebendig und zwischen diesem Traumleben und dem wachen Leben ist nur eine dünne Scheidewand, die vor dem leisesten Hauche eines Nahekommenden zusammenfällt. Schlangen zischen und ihr Zischen ist ihr Odem, und der Odem hat mich erweckt. Da traf meine Hand das Haupt der Schlange und nun ist sie stumm geworden, leblos, kalt, ihr Gift vertrocknet, ihr lauerndes Auge im Tode gebrochen.«

Dieses Ereigniß schien ihn mit einem Argwohn erfüllt zu haben, den er jetzt auf die Frauen übertrug. Er ließ sie den schmalen Bergpfad voranschreiten, er hütete sie mit aufmerksamen Blicken. Nach und nach gelang es Reginen, ihre Seele wieder in jene ruhige, vertrauungsvolle Stimmung zu versetzen, in der sie der Anblick des blutenden, leblos scheinenden Knechts gestört. Sie gab sich den Eindrücken des Augenblicks, dem erquickenden Hauche des Morgens, dem harmlosen Vergnügen an den Scenen der Natur, die sich vor ihren Augen entwickelten, hin. Bald waren es seltsame Duftgebilde, die sich, wie Kränze, von den Häuptern der Berge ablös'ten und dann in wunderlichen Verwandlungen in die Schluchten zogen, bald war es der fröhliche Gesang eines seltnen Waldvogels, bald ein freier Blick in die umliegenden Thäler, was sie ergötzte. Joffriede hatte ein strenges Schweigen, das sie am heutigen Morgen beobachtete, noch nicht gebrochen. Sie schien blässer, als gewöhnlich, ihr Gang war unsicher und verrieth eine mühevolle Anstrengung, sich aufrecht zu erhalten.

Da erhob sich mit einemmale in der Nähe der fröhliche Klang von Waldhörnern, man vernahm von der freien Seite nach dem Gebirge hin Pferdestampfen und kecken Jagdruf. Galeazzo sprang vor und riß hastig Reginen in ein Gebüsch am Wege. Joffriede folgte ihnen. Die Jagd kam näher, sie erschien auf dem offnen Raume, sie stürmte im lustigen Drange vorüber. Zwei stattlich gekleidete Jünglinge befanden sich an der Spitze des Zuges, Jäger und Knechte schlossen sich ihnen an. In wenigen Augenblicken flog das Ganze vorüber.

Als aber jetzt Regina ihre Blicke von der Stelle, wo die Jagd verschwunden war, zurückzog und auf ihre Umgebung richtete, da sah sie Joffrieden zur Erde niedergesunken, ihr Antlitz in beide Hände verhüllend. Ein tiefes Stöhnen rang sich aus schwer gepreßter Brust, ihr Kopf zuckte krampfhaft, ihre Glieder zitterten. Die Gegenwart hatte die Unglückliche schmerzlich berührt. Jene Jäger trugen die Wappen des edeln Geschlechts von Falkenstein; aus waldiger Höhe blickten die Zinnen der väterlichen Burg, in der nun ein andrer Zweig des alten Stamms hauste, herab.

Regina schauderte vor dem Gedanken, Joffriede möchte außer Stande seyn, die Wandrung fortzusetzen und Galeazzo, nur seinem wahnsinnigen Drange, seiner stürmischen Leidenschaft Gehör gebend, sie nöthigen, ihm allein in die Wildniß der Berge zu folgen. Welche schreckliche Aussicht, sich ohne Schutz, sich ohne den Beistand derjenigen, die sich ihr als eine so seltsame Freundin offenbart, in der Gewalt eines Mannes zu befinden, den sie als Mörder verabscheute, als einen Wahnsinnigen fürchtete, vor dessen leidenschaftlicher Verfolgung sie zitterte, und selbst den Tod als letzte Zuflucht erwählt haben würde! Da aber erhob sich Joffriede plötzlich mit einer Gewalt, die das Mädchen mit Erstaunen erfüllte. Die eben noch so tief Gebeugte, die ohnmächtig Scheinende stand aufrecht und stark, als sey kein Sturm des Lebens erschütternd durch ihre Seele gezogen. Sie heftete einen langen Blick auf Regina. Ihre Kraft schien sich zu vermehren, die Blässe der Wange war einer dunkeln Röthe gewichen. Ohne Galeazzo's Aufforderung zu erwarten, ergriff sie wiederum stark Reginen's Hand und zog diese mit sich den Berg hinan, dem Raume der Wälder zu. Noch einen scheuen Blick warf sie nach der Heimath ihrer Kindheit hinüber. Dann trat sie hastig in das grüne Dunkel, wo noch tausend schmerzliche Erinnerungen ihrer harrten, wo Galeazzo in den Kastanienwäldern Italiens zu wandeln träumte, wo Regina einer Zukunft entgegenschritt, auf die sie nur in frommem Gottvertrauen zu blicken wagte. Immer aber tauchte aus tiefem Hintergrunde ihrer Seele das geliebte Bild Salentin's hervor, und wenn sie ihn nun sich vorstellte, wie er daheim um sie trauern, wie tausend schreckliche Zweifel über ihr Schicksal ihn schmerzlich ergreifen würden, dann war es, als flüstere aus grünem Laubdach eine tröstende Engelstimme herab: du lebst nur in einem düstern Traum, du wirst glücklich daraus erwachen, an Salentin's Hand, als seine Braut!



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