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Viertes Kapitel.


Sanct Michel mit seiner Wag,
Der wieget Uebel und auch Gut;
So leit der Teufel auf der Lag,
Davon habt euch in rechter Hut.

Wir müssen, ehe wir diese furchtbare Begebenheit mit den für uns wichtigen Umständen, welche sie begleiteten, weiter schildern, die Aufmerksamkeit des Lesers für die Ereignisse, welche ihr vorangingen und sie zum Theil veranlaßten, in Anspruch nehmen. Noch seufzt auch die arme Imagina nach Befreiung aus ihrem seltsamen Versteck im Innern der Synagoge; noch scheint Muskablüt einem Schicksale verfallen, das zu grausam wäre, um als eine gerechte Strafe seiner Eitelkeit und seines Vorwitzes angesehen zu werden; noch sind die sterblichen Überreste einer Unglücklichen dem Grabe zu übergeben, die im Sturme unbefriedigter Leidenschaft, im Trotze des Stolzes eine Beute des zur reichen Ärndte über die Erde ziehenden Todesengels geworden.

Das Haus des reichen Juden Simeon Storch hatte sich im Raume einer kurzen Viertelstunde aus einer Wohnung der Üppigkeit und Freude in ein Trauerhaus verwandelt. Das Gesinde floh, um der Nähe der Pestseuche zu entgehn, in die obersten Kammern des Hauses. Von dort hernieder tönte sein Klagegeschrei, in das sich das Murmeln der Gebete, das Flehn um Verschonung vor der schrecklichen Pestilenz mischte. Simeon saß in seinem Geschäftszimmer vor offnen Kästen und wühlte – in Gold. Er that es, ohne es selbst zu wissen. Ein dunkler Trieb leitete ihn, nachdem er die Tochter verloren, zu Dem hin, was ihm nach ihr am Theuersten auf Erden gewesen, zu seinen Schätzen, zu seinem Golde. Er ließ es durch die Finger gleiten, er lauschte seinem hellen Klang, er spielte damit wie ein Kind. Dann trat aber auch der Gedanke an sein Unglück wiederum entsetzlich vor seine Seele. Er schrie laut auf, wüthete, indem er in Haupthaar und Bart raufte und seine Brust blutig schlug, gegen sich selbst und versank endlich in stilles Weinen, während dann seine Rechte wiederspielend im Golde wühlte und nach und nach die Macht dieses Spieles den Sieg über das Bewußtseyn seiner Leiden gewann und ihn in den Zauberkreis ihres mechanischen Treibens bannte.

Indessen war Rabbi Manasse mit seinem Gehülfen Melach im Todtengemach beschäftigt. Er hatte die sieben Psalmen, welche er, nach den Vorschriften seines Glaubens, der Sterbenden hätte vorlesen sollen, an der Leiche hergesagt, er betrieb nun das Begräbniß, das, dem Gesetze zufolge, innerhalb der nächsten drei Stunden nach dem Tode begangen werden mußte. Er löschte die Wachskerze, die er zum Haupte der Leiche angezündet hatte, dumpf murmelte er fortwährend die gebräuchlichen Todtengebete für sich hin. Da wurde die schrecklich entstellte sterbliche Hülle der einst von ihren Glaubensgenossinnen so glücklich gepriesenen, so viel beneideten Cheyle von rohen Lohnknechten in den Sarg gelegt, da umgaben sie nicht wehklagende Freundinnen, nicht jammernde Verwandte, da hielt selbst den Vater, der sie so sehr geliebt, der Abscheu vor der verderblichen Krankheit, an der sie gestorben, von ihr fern. Diese Blumen, die sie vor einer Stunde noch hatte blühen sehen, deren Duft sie erquickt, deren Farbenspiel sie ergötzt hatte, blühen noch, üppig und lebensfrisch wiegten sie sich im Hauche des Windes, aber das Menschenleben, unstäter, unsichrer, als das Daseyn der Blume, hatte der giftige Odem weniger Augenblicke verderblich getroffen. Das Herz voll glühender Liebe, das auf dunklem Wege Entgegnung dieser Liebe gesucht, das nur ein wohlwollendes Gefühl gekannt und diesem Gefühle Alles zum Opfer bringen wollte, was ihm im Wege stand oder was es – begünstigen konnte, dieses unglückliche, in seinem Wahne, in seinen Verirrungen mehr beklagens-, als verdammenswerthe Herz war nun zu Eis erkaltet und schon nagte der Wurm der Vernichtung an ihm, das vor so kurzer Zeit noch der Quell eines Lebens, dem alle Freuden der Erde sich zu bieten schienen, gewesen!

Ein einfacher, aber düstrer Zug bewegte sich aus dem Hause des reichen israelitischen Ältesten Simeon Storch dem nahegelegenen jüdischen Begräbnißplatze zu. Die Männer, welche den schlichten Sarg trugen, in dem Cheyle von dem letzten Sturme ihres ausruhete, eilten sich ihrer Bürde zu entledigen; denn, nach der Lehre der Rabbiner, erhält die Seele nicht eher Freiheit, sich in den Himmel zu schwingen, bis der Leib der Erde wiedergegeben ist. Dann wollte auch der allgemeine Gebrauch, daß die Pestleichen, sobald als möglich, aus den Wohnungen der Lebendigen fortgeschafft wurden. An jene Waschungen und Ceremonien, welche außerdem das jüdische Gesetz vorschreibt, war ohnehin in einem solchen Falle nicht zu denken. Rabbi Manasse schloß sich mit gleich eiligen Schritten den vorangehenden Trägern an. Seine Gesichtszüge verriethen weder Trauer noch Bestürzung. Er schien im Innern mit ganz andern Dingen, als dem Gebete, das seine Lippe sprach, beschäftigt. Langsamer folgten der neue Gehülfe Melach und ein fremder Lohnknecht. Sie trugen jene Truhe von Korbgeflecht, die, nach Cheyle's letzter Verfügung, mit ihr begraben werden sollte. Im Innern dieses Behältnisses weilte noch immer Muskablüt. Die tiefe Ohnmacht, die ihn ergriffen, verließ ihn erst, als er sich plötzlich aufgehoben fühlte, als die schwankende Bewegung des Tragens ihn erschütterte. Zudem er sich der Begebenheit erinnerte, die ihn in eine so unbequeme Lage versetzt, fühlte er sich von neuer Hoffnung belebt, als er durch die Fugen des Geflechts die Einströmung der freien Luft gewahrte. Bald hegte er keinen Zweifel mehr, daß man ihn aus dem Hause Simeons nur entfernte, um ihm an einem verborgenen Orte die Freiheit wieder zu geben. Noch wußte er Cheyle's Tod nicht; jene wohlthätige Bewußtlosigkeit hatte ihm so vieles Entsetzen erspart und er glaubte nun, einer Anordnung der schönen Jüdin selbst seine Rettung zu verdanken.

Aber was bedeutete dieser gellende Schrei, dieses Wehegeheul, das plötzlich hinter ihm erschallte? Er konnte Simeon nicht sehn, der an den Gitterfenstern seiner Geschäftsstube mit wüthender Gebehrde Antlitz und Brust blutig schlug, der dann mit einem krampfhaften Gelächter der Verzweiflung in sein Zimmer zurückstürzte. Er konnte jene Knechte und Mägde des Hauses nicht bemerken, die oben in den Giebelfenstern standen und durch entsetzlichen Jammer ihre Theilnahme an dem unersetzlichen Verlust des reichen Mannes kund gaben. Und nun dieses Gewoge, dieses hähmische Gelächter, dieser seltsame Wechsel von Stimmen ringsum, die bald ernst von dem Begräbnisse der schönsten Jungfrau des auserwählten Volks, bald mit bitterm Spotte von dem Tode der reichen, stolzen und hartherzigen Jüdin sprachen, bald ihrer wunderlichen Habsucht lachten, die Geld und Gut sogar mit in die Gruft nehmen wollte! Kalter Todesschweiß bedeckte den unglücklichen Zitterschläger. Er fing an die Wahrheit zu ahnen. Aber nein! Eine so grausame, höllische Rache konnte die Sterbende für eine geringfügige Beleidigung nicht ausgedacht haben. Und dennoch! Das Geräusch rings umher wurde zum rasenden Toben, er hörte eine scharfe Stimme, die durchaus keinem Juden angehören konnte, die er einst schon in einer schrecklichen Lage vernommen, sagen:

»Warum duldet Ihr, daß man der Jüdin das Gold und den Schmuck mit in's Grab gibt? Es ist doch nur fremdes Gut, der Christenheit gestohlen. Erbrecht die Kiste, laßt uns sehn, was drin ist! Bei der heiligen Geisel, diese Heilandsmörder möchten alles Gut der Welt mit sich begraben lassen, so versteckt im Geiz und in der Habsucht ist ihre Seele!«

Es war der Baseler Schuhflicker Godebrecht, der diese Worte sprach. Eine ungeheure Volksmenge hatte sich in das Innere des Begräbnißplatzes, wo Cheyle jetzt bestattet werden sollte, nachgedrängt. Viele Geißler befanden sich darunter. Sie hielten sich in der Nähe Godebrecht's, sie schienen nicht ohne eine besondre Absicht ihren Meister zu begleiten. Oft vernahm man aus ihrer Mitte drohende Stimmen, die an die Ereignisse von Basel und Straßburg erinnerten, und äußerten, es sey Zeit, mit den Frankfurter Juden nicht besser zu verfahren und es werde Feuer vom Himmel fallen, sie zu vertilgen, wenn man nicht diese Brunnenvergifter und Gottesschänder in ihrem Sündenwandel hemme. Um Melach und seinen Mitträger hatten sich viele Menschen gesammelt, die bereit schienen, dem Aufrufe des Geißlermeisters Folge zu leisten und nur mit Mühe war es jenen gelungen, die Truhe bis an den Rand des Grabes, in das Manasse, die drohende Gefahr erkennend, den Sarg mit der Todten, so rasch als möglich, hatte einsenken lassen, zu bringen. Der Rabbi murmelte eilig ein kurzes Gebet, eben hob Melach, von dem Träger unterstützt, die Truhe, um sie ebenfalls der Gruft zu übergeben, als er sie plötzlich hastig vom Rande des Grabes zurückriß und mit entsetzlicher Stimme rief: »Bei der heiligen Jungfrau, es befindet sich etwas Lebendiges in dem Kasten! Es regt sich und stöhnt. Es ist ein Mensch, der hier hat lebendig begraben werden sollen.«

Von starrem Entsetzen ergriffen, blickte der Rabbi auf den Diener und Gehülfen. Die Betheuerung, die er ausgesprochen, durchbebte ihn mit schrecklicher Ahnung. Imagina's Flucht dünkte ihm jetzt erklärlich, der Christ, der sich unter der Larve eines Glaubensgenossen bei ihm eingeschlichen, konnte allein dazu behülflich gewesen seyn. Aber es war jetzt nicht Zeit zu Betrachtungen über das Vergangene. Schon hatte der falsche Melach das künstliche, verstellende Haupthaar, den künstlichen Bart hinweggeworfen. Ein seltsam lächelndes Gesicht, das keine Spur orientalischer Abkunft an sich trug, kam zum Vorschein.

»Ein Christ unter den Juden!« schrien mit dem Ausdrucke des höchsten Erstaunens die zunächst Umstehenden. Das Gedränge nahm zu, der Kreis schloß sich enger um das Grab der Jüdin. Godebrecht heftete durchborende Blicke auf den Mann, der aus dieser seltsamen Verwandlung hervorgegangen. Er dünkte ihm bekannt, in seiner Erinnerung schwebte unklar ein solches Antlitz und der Gedanke, daß er ein Recht auf den Mann habe. Aber schon nahm eine neue wunderliche Erscheinung die allgemeine Aufmerksamkeit in Anspruch. Von vielen dienstfertigen Händen unterstützt hatte der nun erkannte Christ den Deckel der Truhe gesprengt. Mühevoll und langsam erhob sich aus ihrer gezwängten Lage die Gestalt eines schmächtigen Mannes, sein Antlitz war todtenblaß, von Furcht und Schreck entstellt, seine Blicke schweiften trüb und träumerisch über die Menge hin. Er zitterte an allen Gliedern, er öffnete die Lippen, er wollte sprechen, allein die Kräfte versagten ihm. Da fielen seine Blicke auf denjenigen, den seine Bewegungen im Innern des Behältnisses, den sein Stöhnen, das sich nicht zu einem lauten Hülferufe zu steigern vermochte, zuerst auf den unglücklichen Gefangenen in der Truhe aufmerksam gemacht. Er lächelte ihm matt zu, reichte ihm langsam die Rechte und sagte mit schwacher Stimme:

»Felician!«

»Muskablüt!« rief dieser, den gewiß die Leser unter der Larve Melach's schon längst vermuthet haben, im Tone der außerordentlichen Überraschung, welche diese Begegnung eines alten Freundes und Kunstgenossen in ihm hervorbringen mußte. »Du der Unglückliche, den das seltsamste Ereigniß von der Welt in diese Lage versetzt haben muß, den ich selbst zu Grabe trug, den der Wille der sterbenden Jüdin bestimmte, lebendig mit ihr die Gruft zu theilen? Armer Muskablüt, und du lebst noch, du konntest dieser drohenden Gefahr in's Antlitz sehen, ohne vor Schrecken getödtet zu werden?«

Der Zitterschläger befand sich noch außer Stande, eine genügende Antwort zu geben. Mit Felician's Hülfe verließ er den Kasten und stand nun, allgemein bestaunt, beklagt und bedauert, in der Mitte der zahlreichen Versammlung. Aber dieses Staunen, dieses Mitleid gingen bald in Rachsucht und Wuth über. Wie der fern rollende Donner den nahenden Ausbruch eines Wetters verkündet, so war es erst sein dumpfes Murmeln, das durch alle Reihen lief und die gährende Volkswuth verkündete, dann aber in wenigen Augenblicken im wildesten Geheul, in den entsetzlichsten Drohungen und Verwünschungen gegen die Juden ausbrach. Aller Augen forschten nach Manasse, Aller Hände zuckten, an ihm Rache wegen der gegen einen Christen beabsichtigten schrecklichen That zu nehmen. Muskablüt selbst und der aus seltsamer Verwandlung hervorgegangene Felician waren vergessen; nur nach Manasse verlangte die allgemeine Stimme der entfesselten Volkswuth. Er würde ihr zum Opfer gefallen seyn, wenn er nicht den Zeitpunkt, in dem die Erscheinung des unglücklichen Zitterschlägers die Theilnahme der Menge gefesselt hielt, klüglich benutzt hatte, sich hinter den Leichenträgern fortzuschleichen und durch eine Seitenthüre, zu der er den Schlüssel bei sich führte, zu entweichen. Aber durfte er hoffen, daß der Sturm, der im Anzuge schien, sich auf den engen Raum des Begräbnisplatzes beschränken, daß er, ohne ausgetobt zu haben, sich in kurzer Zeit besänftigen, daß ihn diese Flucht vor seinem Angriffe, vor seiner verderblichen Verfolgung schützen werde? Kannte er nicht den Haß, der mit ihm sein Volk traf, der, durch den Neid auf den Wohlstand der Juden, durch das Gelüst nach ihren Schätzen, durch den Übermuth und den Wucher der kaiserlichen Kammerknechte selbst genährt, nun nicht jetzt, da die Gegenwart, die Anforderungen der Geißler die Bitterkeit auf das Höchste gesteigert hatten, bei einem selbst geringfügigen Anlaß leicht zu einem vernichtenden Aufruhre, zu allen jenen gräßlichen Ereignissen, welche die Geißelfahrt an andern Orten herbeigeführt, sich gestalten konnte? Und Cheyle's entsetzliches Vermächtniß! Freilich war er unschuldig in dieses verflochten worden, freilich regte sich auch nicht die leiseste Ahnung dessen, was die verhängnißvolle Truhe enthalten hatte, in ihm; allein wer würde den Betheurungen seiner Unwissenheit, seiner völligen Schuldlosigkeit an dieser Handlung Glauben geschenkt haben. Nirgends sah er einen Ausweg vor der drohenden nahen Zukunft, nicht ein Rettungsmittel, auf das er vertrauen konnte. Dazu kam noch der Gedanke an die Entdeckung, daß er sich von einem Christen hatte täuschen, daß er diesen in seine Wohnung aufgenommen, daß er ihn zum Mitwisser manches gefährlichen Geheimnisses gemacht. »Bei'm Schwerdte des Todesengels,« sprach er zu sich selbst, indem er hastig seiner Wohnung zuschritt, »dieser Goi ist nicht ohne reiflich bedachte Absicht als einer unseres Volkes, zu mir getreten; er weiß von dem Kinde, dessen Herzblut den Doctor Patricier für die schöne Cheyle entflammen sollte, er wird mich des Raubes eines Kindes der Gojim anklagen, man wird suchen nach dem Kinde und, wenn man es nicht findet, wird man den Rabbi Manasse Ben Aher peinigen zum Tode, daß er es wieder herbeischaffe. Ich habe es nicht, ich kann es nicht geben. Mögen sie zu den Teufeln in der Hölle gehn und es ihnen wieder abfordern!« So trotzig diese Rede auch klang, so fand er in ihr keine Beruhigung. Er verschloß sich in seine Wohnung, er verrammelte mit Hülfe der alten Magd den Eingang und die Fenster des Erdgeschosses, er suchte, als jetzt das Getöse vom nahen Begräbnißplatze immer drohender klang, von Augenblick zu Augenblick näher zu kommen schien, jenes innerste Gemach seiner Wohnung auf, wo er sich mit der Bereitung von Tränken und Salben zu beschäftigen pflegte, deren Anwendung, wie wir wissen, nicht immer das Wohl der Menschheit bezweckte.

Indessen sollten die Ereignisse, welche auf dem jüdischen Begräbnißplatze stattgefunden, nur das Vorspiel einer schrecklichern, weit umfassendern Begebenheit seyn. Der Sturm der Volkswuth war losgebrochen, er schien keiner Steigerung mehr fähig zu seyn, als Godebrecht sich plötzlich auf einen Grabstein, der auf einer Erhöhung stand, schwang, mit aufmerksamer Gebehrde nach dem Dache des benachbarten Rathhauses, über welchem ein dünner, kaum bemerkbarer Rauch sich kräuselte, sah, durch ein gebieterisches Zeichen für den Augenblick allgemeine Stille bewirkte und in einem bewegten, heftigen Tone ausrief:

»Was war das? Eben sah ich aus dem Hause Simeon's, des gotteslästerlichen Juden, der einen guten Christen seiner Tochter lebendig in's Grab beilegen wollte, einen feurigen Pfeil in den Speicher des Rathhauses fliegen und jetzt steigt Rauch empor. Bei den Wunden des Heilands, die Flamme schlägt aus den Dachfenstern, der Jud' hat die Stadt angezündet, um das Verderben von sich ab auf die Christenheit zu wenden. Seine verfluchten Glaubensgenossen stehen ihm bei, sie wollen die Christen vertilgen, sie wollen sich zu Herren dieser gesegneten Stadt machen. Sollen wir das dulden, sollen wir uns ruhig berauben, erschlagen, verbrennen lassen? Wer seinen Christus liebt, folge mir nach. Nieder mit den Heilandsmördern! Brecht in ihre Häuser, zündet sie über ihren Häuptern an, vergeltet Brand mit Brand, Raub mit Raub, Mord mit Mord! Nicht des Kindes an der Mutter Brust schont! Sie sind Alle verflucht. Gott sieht gnädig herab auf das Opfer, das wir ihm bringen.«

In der That war jenem leichten Rauche über dem Dache des Rathhauses mit kaum glaublicher Geschwindigkeit der Ausbruch des Feuers gefolgt und nun wälzte sich aus Behältern, wo er wahrscheinlich bis jetzt eingeschlossen gewesen, ein dicker, schwarzer Rauch in gewaltigen Massen hervor. In wenigen Augenblicken ergriff die Flamme das ganze dürre Sparrwerk des Daches. Ein Feuermeer wogte hin und her, das der Wind, der sich jetzt erhob, furchtbar anschürte. Der Feuerruf ertönte in allen Straßen, die Sturmglocke heulte schaurig darein.

»Die Juden haben es gethan! Simeon Storch hat einen feuerigen Pfeil in das Rathhaus geschossen. Nieder mit den Mordbrennern, mit den Heilandsschändern!«

Dieser Ruf, den Godebrecht zuerst auf dem Begräbnißplatze hatte laut werden lassen, hallte durch die ganze Stadt nach. Die Geißler durchstürmten mit ihrem Wuthgeschrei alle Gassen und riefen die Bürger auf, sich mit ihnen zu der Vertilgung der verhaßten kaiserlichen Kammerknechte zu vereinigen. Der Pöbel strömte ihnen zu, während die geringe Anzahl rechtlicher Bürger sich vergebens widersetzte; während diese durch die Haufen der Geißler und ihrer Genossen sich umsonst einen Weg nach der Feuerstätte zu bahnen, dem Feuer Einhalt zu thun, suchten. Jetzt waren die Geißler Herrn in der Stadt. Ihrem Haß, ihrer Raubsucht waren die unglücklichen Kinder Israel heimgefallen, die sich wehklagend in das Innere ihrer Häuser flüchteten und da Schutz suchten, wo sie so lange einer ungestörten Sicherheit genossen hatten.

Indessen war der Wind zum Sturm geworden und trug die Flamme von Dach zu Dach. Ein Theil des Bartholomäusstifts stand in Feuer, der rothe Hahn schwang seine Flügel über die anstoßende Judengasse, Simeon Storch's pallastähnliches Haus brannte, nachdem das Dach in wenigen Augenblicken von der überspringenden Flamme verzehrt worden war, im Innern hellauf, und wo noch Häuser der Juden verschont geblieben, da warf die Hand der Geißler den Brand hinein, da drangen sie wüthend nach, um zu rauben und zu morden.

Der Haufe, der auf dem Begräbnißplatze versammelt gewesen, hatte sich unter Godebrecht's Anführung nach der Wohnung Simeon's gedrängt. Wir wissen, daß der Geißlermeister, der sich von dem Juden schwer beleidigt glaubte, diesem eine furchtbare Rache gelobt hatte. War jetzt vielleicht die Saat dieser Rache gereift, wo die Gluth der Bosheit, die in Godebrecht's Seele bis jetzt geglimmt, zur lebendigen Flamme aufgeschlagen, die nun nicht mehr beschränkt, nicht mehr bewältigt werden konnte? War die That selbst ebensowohl ein Werk seiner Rache, wie die gegen Simeon ausgesprochene schreckliche Beschuldigung, wollte er hier Brand und Mord ausstreuen, um Reichthum zu erndten, wie in Straßburg und Basel, sah er jetzt einen wohlangelegten Plan gelingen, oder hatte ihm der Zufall die Gelegenheit zu rächen, seine Habsucht und seinen Blutdurst zu befriedigen, zugeführt? Godebrecht verstand zu rechnen. Sein Auge hatte, während bei jenem Ereignisse auf dem Begräbnißplatz Alles mit Felician und Muskablüt beschäftigt gewesen, das Dach des Rathhauses gehütet; er sah den Augenblick nahen, wo das Feuer, dessen Veranlassung Niemand besser kannte, als er, ausbrechen mußte, er bemerkte das dünne Gewölk des ersten Rauchs, er erwartete ruhig den Feuerschein, der sich plötzlich durch ein offenes Dachfenster im Innern des Speichers aufdämmernd zeigte – dann war er als Ankläger, als Anführer zu Rache und Verwüstung aufgetreten. Wer bedurfte auch noch einer Lösung jener Fragen, der einen Blick in Godebrecht's Charakter gethan? Wer konnte zweifeln, daß Alles von ihm herrühre, wenn er jener Zusammenkunft mit Simeon, seines Betragens gegen Cheyle, seiner still und verborgen gepflegten Plane mit Galeazzo gedachte?

Auf dem Wege nach Simeon's Wohnung hatten sich dem Baseler Schuhflicker und seinem Haufen Hindernisse in den Weg gestellt, die sein Weiterdringen verzögerten. Andre Geißlerschaaren strömten aus den Seitengäßchen, der Pöbel der Stadt wollte sich bei dem Werke der Plünderung nicht zurücksetzen lassen. Nicht eher langte Godebrecht bei dem Hause, das seine Rache und seine Raubsucht reizte, an, als bis es mit den Nachbargebäuden in lichten Flammen stand. Diese schlugen aus allen Fenstern der obern Stockwerke, während Simeon's gewölbtes Gemach im Erdgeschosse noch unverletzt war. Die Hausthüre stand weit offen, das Gesinde war entflohn, aber Niemand wagte sich in das Innere, so viele Schätze auch da zu erbeuten seyn mochten, denn von der Treppe leckte die Flamme herab, die Decke über dem Hausgange senkte sich und einzelne brennende Balken stürzten nieder. Knirschend stand Godebrecht vor dem brennenden Hause. Ringsum erschallte das Wuthgeheul seiner Genossen, die den Raub, auf den sie so fest gerechnet, verloren, die ihn der Vernichtung preißgegeben sahen. Sie konnten durch die Gitterfenster den Juden im Innern seiner Schreibstube erblicken. Sie sahen ihn im rothen Schein des Feuers vor seinen geöffneten Geldkisten sitzen und im Gold wühlen mit einer Gebehrde der Gleichgültigkeit, als kümmere ihn Alles nicht, was um ihn geschah, als höre er das Wuthgeschrei der blutgierigen Feinde, das Stürmen der Glocken nicht, als sey die Flamme, die über und um ihn wüthete, für ihn nicht vorhanden, als stehe er unter einem Schutz, den nichts gefährden könne, der ihn unangreifbar mache. Hatte doch der unglückliche Vater verloren, was seinem Leben, was seinem Reichthum, was seinen Bestrebungen den Werth gab! Mit Cheyle war die Welt für ihn gestorben. Was konnte die Flamme, die immer näher drang, was konnte der Mord, der ihn bedrohete, die Raubsucht, die nach ihm griff, anders nehmen, als das Leben, das ihm gleichgültig geworden, als die Schätze, jener bestimmt, die sie nun nicht mehr erfreuen konnten? Vergebens hatten ihn die fliehenden Hausgenossen aufgefordert, sich mit ihnen zu entfernen; vergebens hatten sie die Gefahr, die von Augenblick zu Augenblick stieg, geschildert. Instinkt und Gewohnheit hielten ihn an seine Geldkisten gefesselt – er vernahm nichts von den Warnungen, den Mahnungen der Hausgenossen, eine dumpfe Betäubung lag auf seiner Seele, ein kindischer Wahnsinn, der seine Hand mit Geld spielen ließ.

»Hund von einem Juden!« rief, als er ihn erblickte, Godebrecht. »Seht! Er höhnt unsrer, er gönnt uns sein Geld nicht, es soll lieber mit ihm zu Grunde gehn, als daß er, was er und seine Vorfahren guten Christen geraubt, diesen wieder zurückgäbe! Laßt uns eindringen! Noch hält der Bau und ehe er zusammenbricht, ist der Mordbrenner gerichtet und seine Schätze sind unser. Bei der heiligen Geisel, er soll uns nicht um unser rechtmäßiges Eigenthum bestehlen!«

Er machte eine hastige Bewegung gegen den offnen Eingang hin, aber Niemand folgte ihm. Nur blinde Wuth, nur die gierigste Habsucht, die sich gern über eine entsetzlich drohende Gefahr täuscht, konnten irgend Jemand verleiten, in das Innere des Hauses, das einem gähnenden Höllenschlunde glich, zu dringen. Die Geißler brüllten vor rasender Wuth, daß Simeon seine Schätze vor ihren Augen offenbarte, ohne daß sie eine Möglichkeit sahen, ihren Theil daran zu haben, der Pöbel der Stadt stimmte in dieses wilde Geschrei ein. Man schleuderte Steine nach den Fenstern, Einige, die mit Armbrusten versehn waren, schossen ihre Bolzen nach dem Juden ab, doch nahe heran wagte sich Niemand, denn aus dem obern Theile des Bau's stürzten fortwährend brennende Balken und andre glühende Trümmer herab. Die Steine, die Bolzen, die Simeon treffen sollten, prallten entweder wirkungslos von den Gittern ab oder verloren, indem sie die Glasscheiben durchdrangen, ihre Richtung. So blieb Simeon unerreicht, unverletzt und fuhr, unbekümmert um diese Angriffe und seinen nahenden Untergang, in seinem träumerischen Spiele fort.

Aber es gab Einen, den die Begierde nach dem Golde, nach den Juwelen des Juden unaufhaltsam vorwärts trieb. Keine Warnungen seiner Genossen, nicht der Anblick der sich im Hausgange wild durchkreuzenden Flammen, nicht die Empfindung der Gluth, die sie ihm entgegen hauchten, konnten ihn zurückhalten. Mit schäumendem Munde, die eine Hand krampfhaft geballt vor sich hinstreckend, in der andern ein bloßes Messer, stürzte Godebrecht in das brennende Haus. Jeden andern hätte die Gluth zurückgetrieben, er aber drang, des versengten Haupt- und Barthaars, des von der Hitze entzündeten Mantels nicht achtend, nach der Stelle, wo, wie er wußte, die Thüre von Simeon's Schreibstube lag. Er fand sie, er stieß sie auf und man erblickte ihn jetzt im Innern des noch unverletzten Gewölbes, wie er den brennenden Mantel von sich warf und wilde, verwirrte Blicke umherstreifen ließ. Da schien Simeon zum erstenmale durch ein Ereigniß, das von Außen auf ihn hereindrang, aus seiner Stumpfheit gerissen zu werden. Er sah empor, er ließ die Goldstücke langsam aus seinen Händen auf den Boden rollen, er erkannte den Geißlermeister, ein entsetzliches Gelächter, das selbst durch das Getöse des Aufruhrs und der Empörung zu den Ohren der außen befindlichen Menge drang, ertönte aus seinem Munde, und mit der Wuth und Kraft eines gereizten Tigers, der zur Vertheidigung seiner Jungen sein Lager verläßt, stürzte er in einem furchtbaren Sprunge auf Godebrecht los, warf ihn zu Boden und begann hier, die Stiche, die ihm das Messer seines Gegners beibrachte, nicht empfindend, ein Werk der Rache und Vergeltung, das selbst die wüthenden und blutgierigen Zuschauer mit Entsetzen erfüllte. Er hatte den Geißlermeister mit beiden Fäusten an der Gurgel gepackt, wie eiserne, immer enger werdende Klammern lagen sie hier, ihr Druck wurde von Augenblick zu Augenblick gewaltsamer, tödtlicher, Godebrecht's Augen traten starr aus ihren Höhlungen hervor, sein Antlitze wurde blau, er verlor die Kraft zum Widerstande, zu jeder Bewegung. Aber Simeon ruhete nicht, bis er sein Werk vollendet hatte. Unter fortwährendem, schrecklichen Gelächter würgte er denjenigen, in dem er seinen Todfeind erkannt, und ließ erst dann ab, als keine Spur des Lebens sich mehr in dem erstarrenden Körper zeigte. Er legte seine Hand auf Godebrecht's Herz, um sich zu überzeugen, daß es nicht mehr schlage, er näherte sein Ohr dem Munde, um den vielleicht noch leisen Hauch des Odems wahrzunehmen. Aber der Geißlermeister hatte aufgehört zu leben. Er war das Opfer seines eigenen Unternehmens, seiner Raubgier und seiner Rachsucht geworden. Da sprang Simeon mit triumphirender Gebehrde auf, schob mit einem verächtlichen Fußtritt die Leiche zur Seite und – kehrte zu seinem Golde zurück, um wieder auf's Neue jenes wahnsinnige, mechanische Spiel zu beginnen. Er blutete an viele Stellen seines Körpers, allein er empfand den Schmerz der Wunden nicht. Er hörte nicht das entsetzliche Krachen, welches das durch die steigende Gluth bewirkte Sprengen des obern Gewölbs verkündete, er bemerkte die brennenden Holztrümmer nicht, die jetzt durch die Öffnung in der Decke hereinbrachen, er wühlte fort im Gold, bis mit einem ungeheuern Getöse die wankenden Mauerwände des Hauses nach innen zusammenstürzten und ihn, mit seinen Schätzen, mit der Leiche seines Todfeindes unter einem riesigen Trümmerhaufen begruben.

Die Menge war bei'm Einsturze des Hauses zurückgeflohen und stand einige Augenblicke in starrem Entsetzen. Dann brach ihre Wuth über den Tod des Geißlermeisters, über den verlorenen Raub in wüstes, stürmisches Geheul aus. Zwischen brennende Häuser drangen die Geißler und ihre Genossen gegen die Judengasse vor. Mordgeschrei tönte aus ihrem Munde, Waffen aller Art, wie sie in solchen Augenblicken Zufall und Gelegenheit in die Hand gaben, waren zu tödtlichem Verderben erhoben. Einige unglückliche Israeliten, die aus entfernten Gegenden der Stadt, wohin sie ein Geschäft gerufen, nach ihren brennenden Wohnungen, nach ihren Frauen und Kindern, zurückeilten, fielen in die Gewalt der wüthenden Rotte. Sie fanden ihren Tod unter den Händen der grausamen Geißler, wenige von ihnen wurden auf der Stelle erschlagen, der größte Theil unter wilden Verwünschungen, unter gräßlichem Hohn in die Gluth der benachbarten brennenden Häuser geworfen. In die Judengasse selbst, in deren Dächern ein Meer von Flammen wüthete, bemühete sich schon seit geraumer Zeit ein andrer Haufe von Geißlern und Raubgesindel vergebens zu dringen. Die Juden hatten die Thore der Gasse gesperrt und von Innen stark verrammelt. Sie schienen lieber in den Flammen, welche ihre Wohnungen verzehrten, umkommen, als sich der Wuth dieser Rasenden, die Raub und Mord zu Gottes Ehre beabsichtigten, preisgeben zu wollen. Man hörte das Geheul der Verbrennenden, den Jammer der Weiber, das Gekreisch der Kinder, aber die Thore öffneten sich nicht, aus dem obern Theile der Häuser, welche diesen nahe waren, wurden Steine nach den stürmenden Geißler geschleudert, Pfeile abgeschossen, Töpfe mit siedendem Pech geworfen; aber diese verzweiflungsvolle Vertheidigung vermehrte nur noch die Wuth der Angreifenden, die selbst dem Sturme, der brennende Trümmer, Sparrwerke der Dächer, tödtlich und verwundend, in ihre Mitte schleuderte, trotzten.

Wir wenden uns von dieser Gräuelscene ab, um im Innern der Synagoge, die, obgleich dem Brande nahe, noch nicht von ihm ergriffen worden, ein Wesen aufzusuchen, das hier ein Asyl gegen die grausamste Verfolgung, gegen heimlichen Mord und Opferung seines Lebens zu dem verdammlichsten Zwecke gefunden hatte. Imagina's Anstrengungen, die Thüre ihres dunkeln Aufenthaltes zu öffnen, waren, wie wir wissen, erfolglos geblieben. In einem Wechsel von peinigender Angst, von beruhigendem Vertrauen auf den Schutz Gottes und seiner Heiligen brachte sie mehrere Stunden hin. Jedes Geräusch, jeder Schritt eines Vorübergehenden erfüllte sie mit der Hoffnung, ihr Retter nahe, er werde nun ihren Kerker öffnen und sie in das Haus ihrer Wohlthäter und Freunde zurückführen; aber das Geräusch verstummte, jene Schritte verhallten und die Todtenstille, die sie umgab, klärte sie nur zu bald über die Täuschung, der sie sich hingegeben, auf. Sie hatte seit dem gestrigen Abend keine Nahrungsmittel genossen, sie fühlte sich schwach und erschöpft. Da neigte sich wieder ein wohlthätiger Schlaf zu ihr und führte heitre Träume aus dem Leben im Hause der Pflegeeltern an ihrer Seele vorüber. Sie wandelte mit der edlen Frau Gisela im kleinen Hausgarten. Das Gemüth der mütterlichen Wohlthäterin zeigte sich in jener himmlischen Friedlichkeit, die ihm vor der schrecklichen Begegnung mit Joffrieden innen gewohnt, es sprach sich in frommen Worten über die Güte Gottes, über die Freuden, die er auch ihr, der Blinden gewähre, aus. Da ließ sich Frau Gisela von ihr in eine heimliche, einsame Laube führen. Hier schlief sie ein und kaum hatte der Schlaf sich ihrer bemächtigt, als ein Engel mit goldnen Flügeln vom Himmel herabschwebte und an die blinden Augen der edlen Frau leise Küsse hauchte. Und es waren Küsse des Segens gewesen. Der Engel entschwebte. Frau Gisela erwachte und konnte sehen und erfreuete sich des Anblicks des fremden Kindes, das sie gütig aufgenommen und an der Stimme erkannte, und dankte Gott im feierlichen Gebete für die wunderbare Heilung, die ihr nun Alles, was sie liebte, näher legte und theurer machte. Aus diesem schönen Traume wurde Imagina plötzlich durch ein wildes Getöse außerhalb der Synagoge, durch ein dumpfes Geschrei, in dem sie zuerst den schrecklichen Feuerruf unterschied, erweckt. Die Glocken stürmten, das Getöse wurde lauter, das Geschrei drang näher. Eine furchtbare Angst ergriff sie. Wie wenn das Feuer in der Nähe wüthete, wenn es sich weiter verbreitete, die Synagoge ergriff und sie nun, von Flammen umgeben, ohne eine Möglichkeit des Entkommens, den langsam heranschreitenden, schrecklichen Feuertod erwarten mußte? Sie schrie laut auf, sie rief nach Rettung und Hülfe, aber draussen wuchs das Getöse, die Sturmglocke hallte ängstlicher drein, der Feuerruf vermehrte sich: Niemand hörte sie, ihr Freund, ihr Retter mußte ihrer vergessen haben. Da gab die Verzweiflung dem Kinde die Stärke eines Mannes. Unter einer Anstrengung, zu der Imagina alle Kräfte aufbot, wich die Thüre, das Mädchen stürzte hinaus und sah, von neuer Hoffnung belebt, den weiten Raum, der ihr dunkles Asyl umgab, in jener Ruhe, in jener Stille, welche hier, als sie im Mondenlicht der Mitternacht mit dem unbekannten Retter eingetreten, gewaltet hatten. Ihr Auge floh zu den hohen Fenstern empor. Dicke Rauchwolken qualmten dort vorüber, das Feuer mußte, wie sie geahnt, in der Nähe seyn, aber die Gewalt, mit der es wüthete, sein Umfang blieben ihr verborgen. Sie eilte nach der Thüre der Synagoge. Diese war verschlossen. Hier konnte keine Anstrengung, hier konnte selbst die Kraft eines starken Mannes nichts gegen das feste Eichenholz, gegen die dicken Eisenbanden ausrichten. Wo nun weiter einen Weg der Rettung suchen? Imagina dachte an jene Treppen und Gänge, die der hülfreiche Fremde sie geführt; allein wenn sie schon zweifeln mußte, sich in diesen zu finden, irgend einen Ausgang zu erreichen, so trat ihr noch überdem drohend das Bild Manasse's mit der Mordsucht im Blicke, mit dem blanken Schlachtmesser in der Hand entgegen. Da dröhnten furchtbare Schläge, mit einem gewaltigen Werkzeuge geführt, gegen die Thüre der Synagoge. Imagina bebte zurück. Was verkündete ihr dieser Versuch eines gewaltsamen Einbruchs, sollte sie neue Schrecken fürchten oder endlich Rettung hoffen? Wenige der donnernde Schläge reichten hin, selbst die starke Eichenwand der Thüre zu brechen. Sie stürzte in Trümmer und herein stürmte ein Mann, in dem erst, da jene seltsame Verwandlung, die wir kennen, mit ihm vorgegangen war, als er sprach, Imagina wieder ihren Freund und Retter erkannte. Sein Ansehn war verstört, in seinen Zügen trat der Ausdruck eines mächtigen innern Aufruhrs hervor.

»Hinweg von hier!« rief er, indem sein Arm die Axt, unter deren Schlägen die Thüre gefallen, nach außen schwang. »Der Brand ist losgelassen, der Mord wüthet auf seinen Fersen. Dieser Ort ist nur für den Augenblick noch unverletzt, im nächsten schlägt vielleicht die Flamme schon auf sein Dach. Komm, armes Kind! Denke, daß Alles dieses ein böser Traum ist, nach dem dich ein freudiges Erwachen erwartet.«

Er riß das Mädchen mit sich fort. Er wollte mit ihr den Weg einschlagen, der nach dem Hause des Herrn vom Rhein führte, aber dort eben wüthete die Flamme und ein furchtbares Geschrei tönte aus jener Gegend herüber. Zugleich bemerkte Felician durch die Wolken von Rauch, die der Sturm in die Straßen hinabdrängte, eine ungeheuere Menschenmasse. Sie wälzte sich näher und näher, aus ihrer Mitte ertönte Mordgeschrei und Waffengetöse. Von dem Feuer gedrängt, von Verzweiflung ergriffen, hatten die Juden ihre Straße geöffnet und einen Ausfall gewagt. Sie führten ihre Weiber und Kinder mit sich, diese trugen, was sie an Geld und werthvollen Gegenständen fortbringen konnten, während die Männer sie umgaben und mit Waffen, die sie in ihren Gewölben reichlich zum Verkaufe an Ritter und Kriegsmänner bewahrt, sich durch die Menge ihrer Feinde gewaltsam Bahn brachen. Die Heftigkeit des ersten Angriffs von Seiten der Juden, die Überlegenheit ihrer Waffen schien anfänglich ihrem kühnen Versuche einen günstigen Erfolg zu versprechen. Die verwegensten der Geißler, die sich ihrem ersten Andrange entgegenwarfen, fielen unter ihren Streichen; die andern zogen sich, eines solchen Angriffs nicht gewärtig, bestürzt zurück. Aber als sie nun die geringe Anzahl der Angreifenden wahrnahmen, als der Anblick der Kostbarkeiten, welche hier ihrem Auge bloßgestellt waren, der Raubsucht neue Nahrung gab, da stürzten sie sich wiederum in blinder Wuth auf die kleine kämpfende Schaar. Da warfen sie Feuerbrände unter den Haufen der schreienden Weiber und Kinder, da schleuderten sie schwere Steine, da schossen diejenigen, die sich mit Bogen oder Armbrust bewaffnet hatten, mörderische Pfeile und Bolzen in den dichten Haufen. Es war ein schreckliches Kämpfen der Verzweiflung gegen die Übermacht. Viele Juden und noch mehrere ihrer Gegner fanden den Tod. Aber die Unglücklichen, welche der Fanatismus und das Verbrechen zu ihren Opfern erkoren, stritten auch nicht für ihr Leben, auf das sie verzichtet hatten, sie wollten nur zusammen sterben, sie wollten an der Stätte, wo sie täglich ihr Gebet zu dem Gotte ihrer Väter gesandt hatten, mit Verwandten und Freunden, mit Weib und Kind untergehn. Je näher sie diesem Orte kamen, desto höher stieg ihr Muth. Die Verzweiflung machte sie zu Helden, welche der Übermacht widerstanden, wenn sie diese auch nicht besiegen konnten. Glücklich, wenn gleich zur Hälfte ihrer frühern Anzahl zusammengeschmolzen, erreichten sie den Eingang der Synagoge. Hier öffneten sich ihre Reihen! Während die Männer dem wüthenden Angriff der Geißler den beharrlichen Widerstand eines den Tod verachtenden Trotzes entgegensetzten, drangen die Weiber mit den Kindern und den wenigen Kostbarkeiten, die sie während des Kampfes bewahren können, in das Innere des Bethauses. Ihnen folgten die Männer, die sich nun zurückzogen, bis auf eine kleine Anzahl, welche die Thüre besetzt hielt, und sich hier dem zu erwartenden, einbrechenden Verderben, als erstes Opfer bot.

Felician hatte sich indessen mit seiner jungen Schützlingin nach einer entgegengesetzten Richtung gewandt. Er war des Anblicks dieser Gräuel müde, er ahnete noch Entsetzlicheres, als was schon geschehn, und diese Ahnung sollte nun in einem schrecklichen Gerichte über die unglücklichen, in der Synagoge eingeschlossenen Juden in Erfüllung gehn. Die Geißler und ihre Genossen standen lange, durch einen ansehnlichen Raum von der Thüre der Synagoge getrennt, und begnügten sich mit Steinwürfen, Bolzen und Pfeilen ihre Angriffe aus der Ferne fortzusetzen. Da rief Einer aus ihrer Mitte:

»Was zögern wir noch, diese Heilandsmörder zu uns herauszutreiben, wenn sie uns nicht einlassen wollen? Wohnt diesem Hause, in dem sie täglich Gott lästern eine wunderbare Kraft bei, daß es nicht brennen kann, wie die andern? Auf, laßt es uns versuchen! Feuer in das Innre, Feuer an das Gebälk und dann wird sich's zeigen, ob's ihnen behaglicher dünkt, drinnen zu braten, als draußen zu bluten.«

Dieser Vorschlag wurde mit wilder Freude aufgenommen. In wenigen Minuten hatte man große Haufen von Holz und Reißig an der äussern Wand der Synagoge aufgeschichtet, unter wüstem, höhnischem Gelächter wurden diese leicht entzündlichen Massen in Brand gesteckt, während einzelne Feuerbrände durch die Fenster in das Innere des Gebäudes flogen. Aber auch der Sturm und das verheerende Element selbst schienen sich gegen die bedrängten Märtyrer verschworen zu haben. Indem die Wuth ihrer Feinde das Gebäude von unten mit Feuer angriff, flog von den brennenden Nachbarhäusern die Flamme auf das Dach der Synagoge herüber. Der ungeheuere Feuerstrom, der jetzt schon über mehrere Straßen wogte und weder die Wohnungen der Juden noch der Christen verschonte, umgab es in wenigen Augenblicken mit seinen Fluthen. Die Wände des Gebäudes, leicht von Holz und Lehm, wie es damals vielfach gebräuchlich war, zusammengefügt, brannten in feuriger Lohe, die Balken des Daches krachten und drohten dem Einsturz. Da verschwanden die Juden, die bisher den Eingang gehütet, in das Innere der Synagoge. Niemand aber wagte ihnen nachzudrängen. Man hörte sie die Klagelieder Jeremiä, die sie in den Tagen der Trauer über die Zerstörung Jerusalems singen, anstimmen, aber kein Wehegeheul, kein Angstgeschrei, wenn nicht aus dem Munde der unmündigen Kinder, wurde vernehmlich. Die Geißler hatten sich zurückgezogen, die ungeheure Hitze, die ihnen entgegenströmte, ließ sie nicht länger ihren Platz behaupten. Wuth und Fanatismus schienen für einen Augenblick der Erwartung eines Ereignisses, das die nächsten Augenblicke bringen mußten, gewichen zu seyn. Sie standen ruhig, schweigend und nur die Stimmen Einzelner, die auf die Fortschritte der Flamme aufmerksam machten, ließen sich hören. Rings um das ganze Gebäude wüthete der Brand. Nur Manasse's Thürmchen ragte noch unverletzt hervor. Da erschien plötzlich auf diesem im weiten, schwarzen Talar die kleine, gebückte Gestalt des Rabbi. Der feurige Schein, der ihn von allen Seiten umgab, ließ ihn und was er jetzt begann, genau erkennen. Unter ihm, neben ihm drängte die Flamme; kein Rückweg stand ihm mehr offen. Er schien ruhig und besonnen. Er war gekommen, das Feuer zu beschwören, es durch die Kraft des Mogen David, von deren Wirksamkeit er überzeugt war, verlöschen zu machen. Zu seinen Füßen tönte der feierliche Gesang der unglücklichen Bedrängten, die Flamme leckte hinter ihm und wenn seine Beschwörung mißlang, so war er in wenigen Augenblicken verloren. Er hielt eine Pfanne mit glühenden Kohlen in der Linken, eine Kanne mit Wasser in der Rechten. Indem er, wie es die Lehre der Cabbala wollte, in einzelnen kurzen Zwischenräumen etwas Wasser in die Kohlengluth goß, sprach er langsam in hebräischer Sprache die Worte Mosis: »da schrie das Volk zu Mose, und Mose bat den Herrn und da verschwand das Feuer!« Schon war der letzte Tropfen Wassers auf die Kohlen geflossen, diese waren erloschen; aber die Flamme, die zu ihm heraufwirbelte, der Feuerstrom, der das Gebäude umwogte, brannte fort und wollte der Beschwörung sich nicht unterwerfen. Da schleuderte Manasse mit einer unwilligen Bewegung die beiden Gegenstände, die ihn in seiner Erwartung getäuscht, weit von sich, nahm unter seinem Talar eine glänzende Metallscheibe hervor und zeichnete mit einem Griffel auf diese den Mogen David (Schild Davids) ein, das bedeutungsvolle Doppeldreieck mit dem Namen Jehovah's, dem heiligen Worte Schemhamphorasch und andern cabbalistischen Sprüchen und Zeichen. Mit einer Gebehrde des Triumphs hob er die glänzende Scheibe gegen die unten stehenden Geißler empor und warf sie dann, bedachtsam zielend, in die Mitte des wogenden Feuerstroms. Er hatte seine kleine Gestalt so hoch, als möglich aufgerichtet, er sah mit weit vorgebogenem Leibe dem Falle der Scheibe nach, er glaubte nun nicht anders, als die Flamme werde sogleich verlöschen und kühlende, süße Lüfte des Paradieses müßten ihn und seine Glaubensgenossen anwehn. Dieser nämliche Augenblick aber, in dem er einen Sieg seiner Kunst zu feiern hoffte, sollte, ihm und den unglücklichen Flüchtlingen in der Synagoge Verderben bringend, eine vieljährige Täuschung zerstören. Das Gebälk in den Wänden des Gebäudes, in denen des Thürmchens war von der Flamme verzehrt. Man sah sie wanken, gleich darauf erfolgte der Einsturz, das Thürmchen schoß dem brennenden Dache nach, Manasse's Gestalt erblickte man schwebend in der Luft, sie ging in den Wogen des Feuerstroms unter, Alles brach zusammen und unter dem Getöse des einstürzenden Gebäudes verstummte der Gesang der sterbenden Märtyrer.

Welches Wesen in der weiten Schöpfung trägt den Keim des Hasses und der Vernichtungswuth gegen seine eigene Gattung in sich, wie der Mensch, den die Leidenschaft verblendet, den der erste Anstoß unaufhaltsam in die Bahn der Frevel fortschleudert? Der Tiger bekämpft den Löwen, er ist der geborene Feind jedes andern Thieres, das ihm an Stärke gleicht, der blutgierige Feind des Schwächern, aber er wüthet nicht gegen den Tiger, ein Trieb, durch den ihn die Natur beherrscht, läßt ihn seinesgleichen achten. Aber dieser Schule der Natur hat sich der Mensch längst enthoben. Ihm gilt der anders Denkende, derjenige, der mehr besitzt, als er, der seinem Dünkel sich nicht unterwirft, seinen Leidenschaften nicht fröhnt, ein Feind, und ist einmal die gehässige Meinung des Einzelnen in die Masse übergegangen, hat sie die Menge lebendig durchdrungen, zu feindseligen Handlungen gereizt, so erscheint uns das Thier der Wildniß als ein Lamm neben dem Menschen; so ist es lächerlich geworden, von der Grausamkeit des Tigers zu sprechen, die sich beschämt vor der des Menschen verbirgt.

In den Geißlern und ihren Genossen finden wir ein schreckliches Beispiel solcher menschlichen Verirrungen. Als das Gebäude über den unglücklichen Juden zusammenstürzte, als diese in den Qualen eines gräßlichen Todes verstummten, da brach die befriedigte Mordlust ihrer Gegner in wilden, höllischen Jubel aus. Einige von ihnen stimmten wahnsinnige Lieder zu Ehren Gottes und des Heilands an, andre tanzten vor dem qualmenden Trümmerhaufen auf und nieder, der größte Theil höhnte in Verwünschungen und rohen Flüchen das Gedächtniß ihrer Schlachtopfer. Erst nach einiger Zeit sammelten sie sich zu einer besonnenen Überlegung, die ihnen mit der Hoffnung schmeichelte, im Innern der Judengasse fänden sich gewiß noch unversehrt gebliebene Wohnungen, wo ihrer reiche Beute harre, wo mancher Einzelne der von ihnen Verfolgten ein Versteck gesucht haben könne. In wilder Verwirrung eilten sie wieder dahin zurück. Jetzt hinderte sie kein fest versperrtes Thor, kein hartnäckiger Widerstand mehr, und durch Rauch und Flammen, um des Raubes willen der Todesgefahr trotzend, drangen sie in das Innere der engen Gasse, zu Schwachen und Kranken, die zurückbleiben mußten, den Tod tragend, sich der Beute, die noch in ihre Hände fiel, erfreuend.

Indessen hatte der Feuerstrom, der sich verderblich über das Dach der Synagoge wälzte, bei einer plötzlichen Veränderung des Windes, sich von dem Nachbarhause des Herrn vom Rhein abgewandt und eine andre, entgegengesetzte Richtung genommen. Als der erste Schreckensruf, der den Ausbruch des Feuers verkündigte, erklang, befanden sich nur Frau Gisela, Regina und der Leibdiener Hartmuth im Hause des kaiserlichen Vogts gegenwärtig. Der alte Herr war, wie wir wissen, jener Einladung nach dem Hofe der guten Leute gefolgt, Salentin weilte fern am entgegengesetzten Ende der Stadt, in den Wohnungen gefährlicher Kranken, die seiner Hülfe bedurften.

Bei dem Feuergeschrei, das sich plötzlich aus vielen Kehlen erhob, bei dem Geläute der Sturmglocke, das unerwartet durch die Luft schwirrte, fuhr Frau Gisela, die noch immer in ihrem unglücklichen Wahne lebte, von einem gewaltsamen Schauer ergriffen, heftig zusammen und sagte zu Reginen:

»Horch, Kind, der jüngste Tag kommt! Die Stimme des Richters ertönt und die Posaune der Engel klingt vom Himmel herab. Ich bin verloren, ich bin verdammt. Ich habe um irdischer Neigung, um einer neuen Sünde willen, das Mittel zu Buße und Versöhnung, das er mir dargeboten, verschmäht. Jetzt ist es zu spät. Jetzt kommt er, zu richten die Lebendigen und Todten, jetzt naht er in seiner Majestät und seiner Strenge, jetzt verstößt er die, welche auf das erste Zeichen seines Zorns nicht geachtet, in die unendliche Verdammniß der Hölle.«

Sie brach in lauten Jammer aus. Regina eilte zur Thüre, öffnete diese und lauschte hinab. Sie vernahm, daß Hartmuth das Haus verließ, ohne Zweifel, um etwas Näheres über den Ausbruch des Brandes zu erfahren, sie warf einen Blick durch das gegenüberliegende Gangfenster und sah hier zu ihrem großen Schreck schweres Rauchgewölk, das sich in der Nähe des St. Bartholomäi Stiftes zum Himmel wälzte. Frau Gisela's ängstlicher Ruf führte sie zu der bedauernswürdigen Frau zurück.

»Verlaß mich nicht, Regina, mein Kind!« sprach die Blinde, die sich erhoben hatte und in die Mitte des Zimmers geschwankt war. »Gib mir deine Hand, umschlinge mich, nimm mich an deine Brust! Wie ist es so einsam auf der Welt für denjenigen, der sie nicht sehn kann! Mir träumte eben, der jüngste Tag sey da, die Stimme des Ewigen rollte, wie Donner, über die Erde hin, die Geister der Hölle lachten höhnisch empor und riefen nach Gisela, der blinden, der gottgezeichneten. Wehe, es ist kein Traum! Ich halte dich, ich fühle dein Herz an dem meinigen schlagen und ich höre den Ruf zum letzten Gerichte, das Jubelgeschrei der höllischen Geister.«

Ohne Regina's Worte, die sich ängstlich bemühete, ihr die Wahrheit begreiflich zu machen, zu beachten, sank sie auf die Kniee, rang die Hände verzweiflungsvoll zum Himmel und betete:

»Heilige Mutter Gottes, du ewig Reine und Gebenedeiete, sprich am Throne des Allmächtigen für die Sünderin! Deine Liebe hat noch kein Gebet verschmäht, noch kein's unerhört gelassen. Arger Frevel beugt mein Haupt und liegt, wie eine ungeheure Last, auf meiner Seele. Ich habe in Eitelkeit und sündiger Liebe zu dem Irdischen, zu meinem Gemahle, zu meinem Sohne und allen Menschen, die mir das Schicksal nahe gebracht, meines Gottes nicht geachtet, wie ich sollte, ich habe in meinem Stolze für ein Mißgeschick gehalten, was mir eine göttliche Warnung dünken mußte. Und als nun die fromme Geißlerin kam und mich erleuchtete, als sie die Buße nannte, die mich mit meinem Gotte versöhnen könne, da bin ich in noch schlimmere Sünde verfallen, denn, trotz der bessern Erkenntniß, die mir geworden, gab ich in der Schwäche meines Herzens Denjenigen Gehör, die im Irrthume ihrer Liebe mich abhielten, den einzigen Pfad, der zu Versöhnung und Entsündigung führt, zu betreten. Gott verlangte mein Blut und ich habe es ihm versagt. Gott verlangte, ich sollte mein Herz vom Irdischen abwenden und mich ganz ihm hingeben, ich sollte meine Liebe zu den Menschen der Liebe zu ihm zum Opfer bringen, und ich habe es nicht gethan. Heilige Himmelskönigin, bitte für mich! Im Staube ringe ich die Hände zu dir, mein Herz ist von unsäglichen Qualen zerrissen, aus der Tiefe der Verzweiflung blicke ich zu dir empor, als meiner letzten Zuflucht, als dem Quell aller Gnaden. Schon tobt die höllische Rotte heran, um sich meiner zu bemächtigen, ich sehe den Fürsten der Hölle die glühende Kralle nach mir ausstrecken – himmlische Mutter des Heilands, hilf, rette!«

Bei diesen Worten fiel sie ganz zu Boden, mit dem Antlitze gegen die Erde gekehrt. Wüthende Haufen der Geißler stürmten die Straße herab, ihr Mordgeschrei erfüllte die Lüfte. Welche Lage für Regina, die, von Zweifeln über ein, wie es schien, immer näher dringendes verderbliches Ereigniß bestürmt, in der Nähe der Pflegemutter weilen mußte, um ihre Versuche, diese zu beruhigen, fortzusetzen, den schrecklichen Wahn, der sich jetzt mit einer noch nicht erfahrenen Gewalt ihrer bemächtigte, zu zerstreuen! Aus tiefer Seele ersehnte sie die Gegenwart Salentin's, die Rückkehr des Pflegevaters. Sie hörte den Sturm heulen, sie bemerkte die dunkeln Rauchwolken, die er an den Fenstern vorübertrieb. Das schreckliche Getöse in der Nähe, einzelne Ausrufungen, die sie aus diesem von der Straße herauf verstand: Alles sagte ihr, daß auch Ihre Wohnung nicht sicher sey, von dem Unglücke, das sich so plötzlich und gewaltsam entbunden, ergriffen zu werden, daß hier nicht allein die Wuth der Flamme, sondern auch die der Menschen Verderben drohe.

Da stürzte, mit allen Zeichen des Entsetzens, Hartmuth herein und rief: »Laßt uns das Beste retten! Schrecklich wüthet der Brand und hat schon das Judenviertel ergriffen. Er dringt unaufhaltsam näher. Menschenhülfe vermag nichts gegen ihn, und wenn sie auch könnte, so wird sie durch jene Teufel in Menschengestalt, die nach fremdem wie nach ihrem eigenen Blute lechzen, verhindert und vereitelt. Kommt, edle Frau! Mord und Feuer durchziehn diese Straßen. Laßt uns zu Euern Freunden in der Neustadt flüchten!«

»Feuer fällt vom Himmel?« versetzte, sich erhebend und aufhorchend, Frau Gisela. »Das Gericht kommt, der Zorn des Herrn schleudert seine Blitze. Heilige Jungfrau, gibt es kein Erbarmen, keine Verzeihung für mich? Ich will kämpfen mit meiner Sünde, ich will ringen mit ihr. Ich will, ich muß siegen! Bin ich doch keine versteckte Sünderin, die ihren Frevel nicht erkennt, die ihn hartnäckig verläugnet. Gott, du erhörst mich, du verleihst mir deine Kraft zum Siege. Du wirst Großes an mir thun, du wirst ein Wunder senden, mich zu retten. Du sprachst: es werde Licht und es ward Licht. Laß mich sehen, Herr, und es soll mir ein Zeichen seyn, daß du mich nicht verwirfst!«

Sie war plötzlich mit einer Kraft, die Regina und den alten Diener überraschte, aufgestanden. In fester Haltung, mit zum Himmel gerichteten Antlitze, die gefalteten Hände erhoben, das Angesicht von einer seltsamen Verklärung umflossen, stand sie wie eine begeisterte Seherin. Jeder Ausdruck von Zweifel, von Seelenangst war aus ihren Zügen verschwunden. Aber ihre Brust hob sich stürmisch, eine wunderbare körperliche Umwälzung, die sich durch einzelne Zuckungen verrieth, schien mehr im Innern, als im Äußern sich zu begeben.

Regina und Hartmuth staunten sie an. Einer überirdischen Gewalt, welcher die edle Frau beseelte, war jener trübe, peinigende Wahn gewichen. Wenn es Bilder der Phantasie waren, die in diesem Augenblicke ihren Geist gefesselt hielten, so stand sie in diesen der Gottheit nahe, so hatte diese sie jeder Erkenntniß des irdischen Daseyns entrückt. Sie schien zu lauschen, von ihren Wangen strahlte ein seliges Lächeln. Mit einemmale durchzuckte es sie, wie ein Blitz. Ein flüchtiges Zittern ging durch ihre Glieder, in ihr Haupt brach eine Tageshelle, sie senkte sich zu den Augen hinab, sie kämpfte hier einige Augenblicke mit der langen, schweren Dunkelheit, dann war diese besiegt und mit großen, klaren Augen, aus denen das zurückkehrende Leben, die wiedergewonnene Sehkraft sprachen, blickte Frau Gisela in seliger Verzückung die Pflegetochter an.

»Gott ist versöhnt,« rief sie aus, »ich habe seine Stimme vernommen, ich habe die Worte seiner Verzeihung gehört. Sein Odem traf meine Augen, das Wunder, das ich ersehnte, ist geschehn! Ich kann sehen, ich sehe dich, Regina, die ich als ein Kind zum letztenmale erblickte, als eine blühende Jungfrau wieder; ich erkenne dich, Hartmuth, ich bin nun auch versöhnt mit mir selbst, ich erkenne, daß meine Liebe zu den Menschen keine Sünde gewesen. Mit der körperlichen Blindheit ist die geistige gewichen und ein neuer herrlicher Tag bricht an. Heilige Mutter Gottes, wie dank ich dir, daß du mich erhörtest, daß du mich zur Versöhnung mit dem Allbarmherzigen führtest! Daß die Krankheit des schwarzen Staars durch große Nervenerschütterungen augenblicklich gehoben werden könne, hat sich durch mehrfache Erfahrungen bewiesen.«

Welcher Augenblick der freudigsten Wonne für Regina, der tiefen Rührung und Theilnahme für den treuen Diener, wenn nicht das Verderben, das von Außen drohete, die Sorge für Gut und Leben, sich störend in diese schönen Gefühle gemischt hätten! Das Licht der Augen und des Geistes zugleich gab ein göttliches Wunder der verehrten Frau wieder, das Übel, welches Alle mit Trauer erfüllt, hatte dieses Wunder vorbereitet, war das düstre Dämmergrauen eines schönen Tags gewesen.

Aber draußen stieg das Getöse zu entsetzlichem Wuthgeschrei, dazwischen tönten jammernde Stimmen, Angstgeheul, wie von gewaltsam Sterbenden. Man vernahm das Krachen einstürzender Gebäude und brennende Schindel, die der Sturm herübertrug, schlugen an die Fenster.

»Die ganze Judengasse steht in Flammen!« rief Hartmuth, indem er einen Blick nach Außen warf. »Laßt uns nicht länger säumen, edle Frau! Gott hat Euch das Licht der Augen wiedergegeben, daß Ihr in dieser Stunde rathen und retten könnt.«

»Ich fürchte nichts,« antwortete gefaßt Frau Gisela. »Ich erkenne das Unglück in seiner drohenden Wirklichkeit, aber diejenige, die von Gott begnadigt worden, blickt ruhig auf die Angriffe des irdischen Verderbens. Laßt uns, was wir an Geld und Geldeswerth besitzen, zur Flucht bereit halten. Uns bleiben immer zwei Wege offen: der durch das Gewölbe nach der Wasserpforte, oder der gewöhnliche Ausgang nach der Straße. Jetzt erinnere ich mich Alles dessen, was während meines düstern, wachen Traumes um mich geschah. Mein Eheherr ist abwesend, um nach der verlorenen Imagina zu forschen, Salentin weilt bei seinen Kranken. Wir dürfen sie jeden Augenblick zurückerwarten. Hoffentlich erreicht uns das Unglück nicht vor ihrer Wiederkehr.«

Indem man im Begriff stand, dieser besonnenen Rede der Hausfrau Folge zu leisten, vernahm man plötzlich heftige, stürmische Schläge an der Hausthüre. Hartmuth, der nicht anders dachte, als Herr Hanns vom Rhein oder Junker Salentin zeige seine Ankunft an, eilte hinab um zu öffnen. Ehe er aber die Pforte erreichte, brach diese unter einem wilden Geschrei, unter dem Andrange eines gewaltthätigen Angriffs von Außen zusammen und herein stürzte, den Geißlermeister Galeazzo und die Geißlerin Joffriede an der Spitze, ein wilder, lärmender Haufe verdächtiger und bewaffneter Gestalten. In wenigen Augenblicken sah sich Hartmuth, trotz seines Hülferufs und seines hartnäckigen Widerstandes, gebunden und geknebelt. Auf einen Wink Galeazzo's schleppte man ihn in einen Winkel, wo man ihn liegen ließ, während die Eingedrungenen lärmend die Treppe hinaufstürmten. Hartmuth glaubte unter ihnen den treulosen Knecht, der mit Imagina verschwunden war, zu erkennen. Er strengte alle seine Kräfte an, um sich von dem lästigen Knebel und den fesselnden Banden zu befreien, allein diejenigen, die ihn in diesen Zustand versetzt, schienen mit Werken dieser Art wohl vertraut, so daß seine Bemühungen vergeblich blieben.

Eben so, wie der alte Leibdiener, wurden auch die beiden Frauen durch das Geräusch der Heraufdringenden getäuscht.

»Es ist Salentin mit dem Vater!« rief, tief Odem schöpfend, Regina und eilte nach der Thüre. Da trat ihr Galeazzo entgegen und vor seinen glühenden Blicken, vor seinen erhobenen Armen bebte die Jungfrau erschrocken zurück. Sie floh an die Brust der Pflegemutter, sie verbarg hier ihr Angesicht und rief, von entsetzlicher Angst ergriffen:

»Wehe mir, das ist der schreckliche Geißlermeister! Ich kann seinen Blick nicht ertragen und seine Nähe erfüllt mich mit Grauen. Schützt mich, ihr Heiligen, vor diesem! Aus seinem Auge sieht ein Geist der Hölle, der mich zum Opfer erkoren, der Blitz zum Mordbrande zuckt aus seinen Händen, von ihnen träufelt Blut der unschuldig Gemordeten, der gequälten Mütter, der gepeinigten Säuglinge!«

Langsam betrat Galeazzo das Zimmer; Joffriede folgte ihm. Ihre Gefährten blieben gleichsam wachehaltend vor der offenen Thüre, auf dem äußern Gange.

»Die Zeit der Buße ist vorüber und die des Glücks ist gekommen,« sprach der Geißlermeister. »Galeazzo hat entsagt und geblutet, mit Schmerzen und Wunden hat er die Versöhnung erkauft, jetzt will er den Kelch der Lebensfreuden an seine Lippen führen und bis zum Grunde leeren. Dich hat er erkoren, ihn zu beglücken. Komm mit mir, schöne Braut! Hörst du die Gäste jauchzen, die ich zum Feste geladen? Siehst du die Hochzeitsfackel zum Himmel emporlodern, die ich dir angezündet? Ich werfe die Krone des Geißlerfürsten in diese Gluth und opfre sie dir. Myrthen und Rosen sollen fortan meine Scheitel schmücken und deine Liebe soll die Blumen pflegen, daß sie nimmer verwelken. Du sagst, von meiner Hand träufle Blut, und ich habe den Blitz geschleudert, der diesen Brand geboren? Kann eine Hand reiner seyn, als die meinige, und wenn sie flammt, ist es denn nicht aus Liebe zu dir, aus jener Liebe, die mein ganzes Wesen glühend durchzückt! Ich habe meine Hand in Blut gewaschen, auf daß sie rein genug sey, dir geboten zu werden. Komm mit, schöne Braut! Das Hochzeithaus liegt fern und die Wandrung ist lang.«

Er war näher getreten und hatte seine Hand auf die Schulter der zusammenschreckenden Regina gelegt. Mit finstern, forschenden Blicken sah Joffriede auf Frau Gisela. Sie bemerkte, daß eine seltsame Umwandlung mit der edlen Frau vorgegangen sey. Das war nicht mehr der todte unsichre Blick einer Blinden, der zürnend auf Galeazzo lag. Das war nicht mehr die Verzweiflung einer unglücklichen Irren, das war die Würde einer reinen starken Seele, die aus diesem ruhig und frei erhabenen Antlitze sprach. Jetzt streckte Frau Gisela die Rechte schützend vor Regina hin, jetzt erhob sich ihre Stimme ernst und gebietend.

»Laßt ab von diesem Mädchen!« sagte sie zu Galeazzo, der bei dieser Anrede mit einem verächtlichen Lächeln auf die Sprechende blickte. »Ich, die Gott berufen hat, Mutterstelle bei der Verwais'ten zu vertreten, befehle es Euch in seinem heiligen Namen. Geht hin, Unglücklicher, sucht die entlegenste Einsamkeit, Euch und Eure Verbrechen zu verbergen, Euer Gedächtniß unter den Menschen vergessen zu machen. Eine stürmische Nacht war über mich gekommen, und ich träumte gräßliche Träume von der Nothwendigkeit büßender Entsagung, von der Versöhnung mit Gott durch Blut. Ich wollte Mann und Kind verlassen, um dieses blutigen Heils willen, ich wollte mit blinden Augen auf beschwerlicher Wandrung ein fernes Ziel suchen. Die Mutter aller Gnaden hat mich erleuchtet und ich blicke in die Nacht, die hinter mir liegt, wie in einen hellen Tag und erkenne dich wieder, der schon einmal die Schwelle dieses Hauses frevelhaft entweihete, und erkenne jene, die im Übermuthe ihres Trotzes gegen Gott und die Menschheit die Schlinge des traurigsten Wahnes über mich warf. Hinweg mit Euch! Ich gebiete es. Der Herr des Himmels und der Erde will kein Blut, er will Liebe. Ihr lästert seiner durch Eure Lehre, durch Euern Wandel. Hinweg aus dieser Wohnung guter Christen! Eure Gegenwart schändet sie!«

Mit seltsamer Scheu drängte sich unter dieser Rede der würdigen Frau Joffriede an Galeazzo.

»Die Blinde ist sehend geworden;« raunte sie diesem zu. »Hier geschehen Wunder und diese Wunder sind uns nicht günstig. Laß uns gehn, Galeazzo! Unser Werk ist zerstört, unser Bündniß aufgehoben. Ich gab dir das Mädchen, dafür unterwarfst du mir die Blinde. Aber es ist keine Blinde, keine Reuige, keine Büßende, die zu uns spricht. Blicke sie nur an: ein Heiligenschein schwebt um ihr Haupt, eine himmlische Kraft leuchtet aus diesem Auge. Sie hat nicht unter den Streichen der Geisel geblutet, nicht in verzweiflungsvoller Buße gerungen, nicht der Versöhnung durch Blut Tausende gewonnen, wie ich; sie hat nur geliebt, nur in Treue gelebt, nur die Bande des Herzens und der Kirche heilig gehalten – und darum ist sie eine Heilige geworden, vor der ich mich in die Wildniß, in die Einöde verbergen möchte. Laß uns gehn! Ich kann den Blick dieses sanften Auges nicht ertragen, er erweckt in meiner Seele alle Qualen, alle Pein des Gewissens wieder, die ich längst durch Blut und Buße überwunden zu haben glaubte. Sie liebte und war treu und darum ist sie Gott lieb. Weh mir, mich kann Gott nicht lieben! Fort, Galeazzo! Diese Frau ist ein strafender Engel des Himmels und dieses Mädchen – es ist Alles anders geworden, als ich mir es gedacht hatte. Laß das Mädchen, Galeazzo! Mich schaudert in seiner Nähe. Laß sie, Galeazzo! Sie bringt dir Verderben.«

Der Geißlermeister stieß ein wildes Hohngelächter aus. Mit starker Hand riß er Reginen von der Pflegemutter los und mit sich fort nach der Thüre.

»Mein ist sie,« rief er, »ich bin der Erwählte des Herrn, und was ich thue, ist sein Wille. Meinst du, umsonst leuchte die Hochzeitfackel zum Himmel empor, umsonst seyen die Gäste zum Feste geladen? Auf, Joffriede, gib dich nicht dem thörichten Kleinmuthe, den die Laune des Augenblicks gebürt, hin! Sey stark, wie du immer warst, folge mir nun zum Glücke, wie einst zur Buße. Du bist die Brautführerin. Du wandelst eine Bahn mit uns, du bist die treue Genossin unsres Glücks.«

Vergebens sträubte sich Regina im Arme Galeazzo's, vergebens erfüllte ihr Angstgeschrei die Gänge des Hauses, durch die sie sich fortgerissen sah. Frau Gisela wollte ihr folgen, allein die Gefährten Galeazzo's verschlossen, nachdem dieser mit seiner Beute und Joffrieden, die sich durch Regina's Weheklagen seltsam erschüttert und zu unerklärlicher Theilnahme bewogen fühlte, sich entfernt, von Außen die Thüre.

»Unglückliches Mädchen!« rief sie: »habe ich dich nur wiedergesehn, um dich für immer zu verlieren, um dich in der Gewalt eines Bösewichts zu wissen, der vor keinem Verbrechen zurückbebt, da er es durch den entweihten Namen Gottes vor seinem eignen Gewissen heiligt?«

Sie eilte an's Fenster und blickte hinab. Sie sah die Begleiter des Geißlermeisters aus dem Hause treten und sich unter die vorüberdrängenden lärmenden Haufen mischen, allein Galeazzo selbst, Joffriede und Regina erschienen nicht. Sie erinnerte sich jetzt der innern Verhältnisse ihrer Wohnung. Durch ein Seitengemach gelangte sie auf den äußern Gang, die Treppe hinab, in den untern Hausraum. Hier streifte ihr Blick durch die offene Hofthüre über den Gartenraum hin. Sie sah die benachbarte Synagoge in Flammen stehn, aber sie bemerkte auch zugleich, daß der Sturm Flamme und Rauch von ihrer Wohnung hinweg nach einer andern Gegend der Stadt trieb. Diese Erkenntniß drängte sich ihr unwillkührlich auf. Sie war viel zu sehr mit Regina's Mißgeschick beschäftigt, um in diesem Augenblicke Anderes, wenn es auch noch so außerordentlich war, zu beobachten. Da traten vier Gestalten in die Hausthüre. Sie blickten mit ängstlichen Bewegungen um sich, ein Mann eilte aus ihrer Mitte mit geöffneten Armen auf Gisela zu und sie erkannte in dem gealterten Antlitze die Züge ihres Gemahls. Sie warf sich an seine Brust, sie rief, von Liebe, Rührung und Sorge um das verlorene Pflegekind, bewegt:

»Ich sehe dich, mein Gemahl! Gott hat Großes an mir gethan und mir das Licht der Augen wieder geschenkt. Aber mein Herz beweint einen schmerzlichen Verlust: Regina ist uns geraubt, der Geißlermeister, dem sie einst schon eine rettende Hand entrissen, hat sie mit Gewalt von mir getrennt und auf unbekanntem Wege fortgeschleppt.«

Da blickte der Herr vom Rhein, der freudetrunken die sehende Gattin angestaunt, mitleidig auf einen grauen Mönch, der ihn begleitete, da zuckte dieser zusammen, als habe ein schwerer, unerwarteter Schlag seine Seele getroffen, aber er sprach nicht, er seufzte nur tief auf aus gepreßter Brust und in seinen Augen, die aus den Öffnungen der Kaputze dunkel hervorleuchteten, zeigte sich der Ausdruck eines tiefen, bittern Schmerzes. Frau Gisela fühlte ihre Hand von heißen Küssen bedeckt. Eine zarte, kindliche Stimme sprach zu ihr und sie erkannte an dieser die noch nie gesehene Imagina, die mit ihrem Befreier Felician in den Straßen der Stadt auf den Herrn vom Rhein und seinen Begleiter gestoßen war. Welche wunderbare, schreckliche und erfreuliche Ereignisse durchkreuzten sich in diesen Augenblicken! In der Nähe wüthete die Flamme und der Mord, hier fand der Gatte, der die Gattin blind verlassen, sie sehend wieder; hier kehrte ein verloren gegebenes Kind, auf die abentheuerlichste Weise vor dem Mordstahl eines sich und Andre täuschenden Beschwörers gerettet, glücklich heim; hier erfuhr ein bedauernswerther Vater, der in dieser Stunde das Glück seines Kindes zu gründen glaubte, eine Nachricht, welche die einzige Hoffnung, mit der ihm das Leben schmeichelte, vernichtete, ihm das einzige Wesen, welches ihm durch Bande des Blutes theuer war, einem Verderben, vor dessen näherer Erkenntnis seine Seele zurückbebte, preißgegeben zeigte.

Aber auf welchem Wege, wohin war der verwegene Räuber mit seiner Beute entflohn? das war die Frage, welche in den Blicken des Mönchs lag, welche auf den Lippen des Herrn vom Rhein schwebte. Da erklang aus einem dunkeln Winkel zunächst der Treppe ein dumpfes Stöhnen. Man fand den alten Diener Hartmuth, man löste seine Bande, man befreiete ihn von dem Knebel, der ihn am Sprechen hinderte.

»Sie haben Reginen durch ein Gewölbe nach der Wasserpforte gebracht;« sagte er, sich mühesam aufrichtend: »der wilde Geißlermeister, die tolle Joffriede und der schurkische Knecht, der sich an demselben Abende, wo Imagina verschwand, entfernte! Er muß ihnen die Gelegenheit verrathen haben. Sie gingen an mir vorüber, ich hörte des armen Mädchens Hülferuf, aber der gottlose Geißler lachte und meinte, sie würde schon heiter und fröhlich werden, wenn sie das Glück seine Braut zu seyn, recht erkannt habe, wenn sie draußen mit ihm in den Bergen und Wäldern lebe, frei und mächtig, wie eine Königin, wenn sie nicht mehr als eine elende Magd im Hause den Vornehmen und Reichen dienen müsse. Der Schuft von Knecht spottete meiner, als er sah, daß ich mich wie ein Wurm am Boden krümmte, um meiner Bande ledig zu werden. Der Teufel gesegne ihm den Spott.«

Der Mönch hatte ihn mit allen Zeichen der größten Aufmerksamkeit angehört. Jetzt stürzte er fort, den gewölbten Seitengang hinab, der durch eine enge, öde Straße nach der Wasserpforte führte. Frau Gisela blickte ihm erstaunt nach.

»Laß ihn,« sagte Herr Hanns, »wenn einer sie aus den Händen des Wüthrichs befreit, so ist er's. Beim Haupte des heiligen Bartholomäus, Niemand nimmt an dem Schicksale des armen Kindes innigern Antheil, als der unglückliche Mönch!«

Dieser erreichte mit stürmischen Schritten die Wasserpforte, das Ufer des Flusses. Hier war es ruhig und einsam. Tiefer unten beschäftigten sich viele hundert Hände mit Wasserschöpfen, ein wüster Lärm tönte herauf und in der nun nahenden Abenddämmerung spiegelte der Fluß die Flamme, die noch immer verheerend über diesen Theil der Stadt hinwüthete, im gräßlichen Widerschein. Der Mönch stand auf einer Erhöhung am Ufer und sandte die forschenden Blicke rings umher, stromauf, stromabwärts. Ein einziger Nachen schwebte auf den Wellen des Flusses. Er schwamm hinunter, er war schon fern; aber was das Auge nicht zu entdecken vermochte, das fühlte, das erkannte das Herz des Vaters. Jenes kleine Fahrzeug, wie ein dunkler Punkt schon unterhalb der Stadt schwebend, enthielt Alles, was er liebte und zugleich denjenigen, der das Verderben des Lieblings beabsichtigte und – die Mutter des Lieblings, die, ohne zu ahnen, daß sie zum Unheile der eigenen Tochter die Hand bot, dem Verderben sich zugesellt hatte. Welche Betrachtungen, die sich im Fluge des Augenblicks aufdrängten, fähig die Seele des Stärksten zu erschüttern! Der Mönch empfand die ganze Schwere der beängstigenden Zweifel, die Vaterliebe, Furcht, Unwille und eine noch nicht ganz erstorbene Neigung zu der Mutter seines Kindes auf sein Herz legten. Er war durch eine lange Schule des Unglücks gegangen, aber noch nie hatte er dessen grausame Verfolgungen in einem Grade erfahren, wie jetzt, wo seine letzte Hoffnung, der Lohn einer langen Buße und Entsagung, an der zügellosen Leidenschaft eines Rasenden scheiterte.

Er verlor den fern schwimmenden Nachen nicht aus den Augen. Zu seinen Füßen lag ein Kahn, leicht zusammengefügt, dessen Raum gerade zureichen mochte, zwei Menschen zu fassen. Nach! Nach! rief es stürmisch in seiner Seele. In der nächsten Minute schwebte er auf der Mitte des Stromes, beide Arme mit starken Rudern bewaffnet, die Wellen kräftig und rasch zertheilend. Wir wissen, daß er eine ungewöhnliche Körperstärke besaß; die Vaterangst steigerte diese zu außerordentlichen Anstrengungen. Neben ihm fielen brennende Schindeln und andre glühende Trümmer, die der Sturm von der brennenden Stadt herüber trieb, zischend in's Wasser, die Wellen selbst, vom wüthenden Winde aufgeregt, kämpften gegen das kleine Fahrzeug; aber der Mönch achtete dieser Dinge nicht: sein Auge hielt fest an dem Nachen in der Ferne, seine Arme blieben in rastloser Bewegung. Und dennoch überzeugte er sich nur zu bald, daß immer ein gleicher Zwischenraum ihn von denen, die er verfolgte, trennte, daß alle Anstrengungen ihn diesen nicht näher brachten. Die Stadt lag hinter ihm, bald auch jener Hof, in dessen Nähe er heute dem alten Jugendfreunde das lang bewahrte Geheimniß entdeckt; die Dämmerung webte ihre Schleier dichter, nur in dunkeln Umrissen sah noch das weithin gelagerte Taunusgebirg herüber – kaum vermochte der Mönch noch den dunkeln Punkt des voranschwebenden Nachens zu unterscheiden. Da wandte sich dieser an's Ufer, da landete er an einer Stelle, zu der in jener Zeit dichter Wald von den Vorhügeln des Gebirgs hinabreichte. Der graue Büßende wünschte sich in diesem Momente den Blick des Adlers. Er legte seine ganze Seele, seine ganze Kraft in das Auge, er glaubte mehrere Menschen zu erkennen, die an's Land stiegen. Er sah sie im Dickicht verschwinden. »Regina, mein Kind!« rief er die Arme nach jener Stelle hinbreitend. Dann tauchten die Ruder wieder mit vermehrter Kraft in die Wellen und mit einer Eile, die, von dem einzelnen Manne ausgehend, an das Wunderbare gränzte, flog der Kahn jenem waldbewachsenen Landungsplatze zu.



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