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Ich han der Welt gedienet also schone,
Seht an den ihren schwachen Sold!
Ein leinen Kleid, das geit sie mir zu Lohne.
Im Laufe dieses Morgens schritt Cheyle, die schöne Jüdin, ungeduldig in ihrem Gemache auf und nieder. Eine fieberhafte Röthe zeigte sich auf ihren Wangen, ihre Augen leuchteten seltsam, sie warf irre, scheue Blicke rings umher. Wer sie in der Pracht ihres Anzugs, im Glanze der Edelsteine, der Perlen und des Goldes, womit sie sich bedeckt, gesehen hätte, der würde sie für eine Braut oder wenigstens für die Königin eines Festes, dem sie entgegenzugehn bereit war, gehalten haben. Doch nein! Eine Braut trägt das Gepräge der seligsten Befriedigung in allen Zügen, in jeder Bewegung, eine Braut fürchtet nichts, sie hofft nur. Cheyle war in diesen Augenblicken nicht glücklich, wie eine Braut. Sie lag auf der Folter einer Sehnsucht, die ihrer Erfüllung noch nicht gewiß ist, sie fühlte sich krank in ihrer Leidenschaft, sie hatte ein Gift in ihr Gewissen geflößt, das dort peinlich fortnagte und fortfraß. Und diese Beängstigungen, die nicht nur geistig, sondern auch körperlich waren, die plötzlich die Brust zusammenschnürten, daß Cheyle mit einem lauten Schrei sich Luft machen wollte, aber nur ein dumpfes Stöhnen ausstoßen konnte, diese Schauer, die ihre Glieder durchzogen, diese Gluth, die in Flammen aus Antlitz und Augen zu schlagen drohete! Waren es vielleicht Vorboten des Würgengels, der mit verpestetem Odem durch die Menschheit wandelte, sich leise ankündigen ließ, aber dann oft plötzlich mit der Schnelligkeit des Blitzes das erwählte Opfer niederwarf?
»Der Trank muß von ihm genossen seyn, er wird kommen!« sagte sie bewegt zu sich selbst. »Ich will nicht umsonst gemordet haben, ich will aus dem Blute des Kindes die Liebesblüthe pflücken, die ihm entsprießt. Wie es in mir kocht, wie dann wieder eine eisige Hand mit tödtlichem Schauer in mein Herz greift! Ich bin krank, aber ich begehre nicht nach Manasse. Einmal will ich ihn noch sehn, er soll seinen Lohn haben: dann bleibe er fern von mir, dann soll seine Nähe nicht mit entsetzlichen Mahnungen das Glück meiner Liebe trüben! Wie die Zeit schleicht, wie die Menschen zögern! Wo bleibt Salentin? Welches Entzücken, nur seinen Namen auszusprechen, nur diesem Klange zu lauschen!«
Sie trat, von ihrer Ungeduld gepeinigt, zu einer großen Truhe von Korbgeflecht, um sich an dem Anblicke einiger Kostbarkeiten, die sie im Grunde des Behältnisses verwahrte, zu zerstreuen. Sie betrachtete die reich mit Demanten besetzten Armbänder, die Gürtel von Gold und Perlen, die Spangen mit orientalischen Rubinen, das Diadem mit Smaragden: alles Dinge, die sonst leicht im Stande waren, das eitle Mädchen mit Vergnügen zu erfüllen; sie konnten ihr jetzt kein Lächeln, keinen freundlichen Blick abgewinnen.
»Hinweg mit euch!« stöhnte sie plötzlich aus beängstigter Brust. »Diese Strahlen dringen wie die Blicke des unglücklichen Kindes, dessen Blut um meinetwillen geflossen ist, in mein Herz, aus diesen Steinen sieht mir bleich und anklagend sein Antlitz entgegen. O, wie bin ich krank, wie bin ich elend!« rief sie, Alles zurück in die Truhe schleudernd und den Deckel zuwerfend. »Warum kommt mein Vater nicht, warum führt er nicht den einzigen Arzt herbei, der mir helfen kann? Er widerstand meiner Bitte nicht, er eilte selbst zu Salentin, den ich begehrte, er versprach mir fest, ihn mitzubringen. So genügte ich meiner Sehnsucht, so unterstützte ich Manasse's Werk. Aber das Kind, das Kind! Muß ich es denn allenthalben sehen, muß, wohin ich blicke, sein brechendes Auge in das meinige treffen? Gott meiner Väter, führe Salentin herbei, lass' mich nicht umsonst gesündigt haben!«
Sie verbarg ihr Angesicht in beide Hände, dann fuhr sie mit einer lebhaften Bewegung nach dem Herzen, durch das ein peinlicher Schmerz zuckte. Von einer seltsamen Ermattung ergriffen, ließ sie sich in einen der Armsessel nieder, der, wie alle Geräthschaften und jede Ausschmückung des Zimmers, von einem Luxus zeigte, der damals nur in den Schlössern der Fürsten und Herren gefunden wurde. Sie erhob die Augen und sah durch die hohen Fenster, die auf einen äußern freien Gang, nach dem Hofe zu, stießen. Hier befand sich eine kleine Gartenanlage von den damals so beliebten Violen und von Rosengesträuch, das des Gärtners Kunst in allerlei Gestalten zu formen verstanden hatte. Diese Anlage war von dem Hofraume nur durch ein niedres Gitterwerk und durch eine kleine Thüre, zu welcher nur Simeon den Schlüssel besaß, getrennt. Mit dem Zimmer Cheyle's stand sie durch eine große, jetzt geöffnete Doppelpforte in Verbindung. Auf der andern Seite gränzte Cheyle's Gemach an das Zimmer ihres Vaters, dem sich dann in einem fortlaufenden Viereck die übrigen Theile des geräumigen Hauses anschlossen.
Die schöne Jüdin bemühete sich vergebens, die Beängstigungen, die sie ergriffen, zu bewältigen. Sie richtete ihre Gedanken ganz auf Salentin, sie suchte zwischen den Rosen und Violen, auf denen ihr Auge weilte, sein Bild herauf zu beschwören, aber immer drängte sich ein andres vor, das eines blutigen, bleichen Mägdleins.
»Was hat sie groß mit dem Leben verloren?« sprach Cheyle in einem neuen Versuche, sich zu beruhigen, zu sich selbst. »Sie war arm, sie war eine Waise, sie lebte von den Brosamen, die von dem Tische ihrer Wohlthäter fielen! Sie hat nur wenig hingegeben, ein elendes, dunkles und karges Leben für das gränzenlose Glück, das mir ihr Tod bereitet. Aber ein Gefühl besaß sie, um das ich sie beneidet, das ich mit Schätzen hätte erkaufen mögen: das Gefühl, ihm ihr Leben zu verdanken. Aber ich erlange es auch. Mit seiner Liebe gibt er mir die Möglichkeit, ferner zu leben, ohne seine Liebe, moderte ich, wie Hagar in der Wüste, dem Tode des Verschmachtens zu. Aber wie es kalt ist!« unterbrach sie sich zusammenschaudernd. »Diese Sonnenstrahlen haben keine Wärme für mich, dieser Sommertag, dessen Gluth meine Blumen welken macht, dünkt mich mit eisiger Luft geschwängert!«
Sie nahm einen Mantel und hüllte sich in diesen, aber, während Flammenröthe ihr Angesicht bedeckte, bebten ihre Glieder im erschütternden Froste. Eine Nachtigall, die sich in den Hof verirrt, sang ihre Liebesklage, plötzlich tönte der Accord einer Zitter aus dem Rosengebüsche dazwischen. Sie fuhr auf, sie ließ den Mantel fallen, sie näherte sich hastig der Thüre, die zu der Gartenanlage führte. War er es, den Manasse's Zauberkunst schon herbeigebracht, wollte er durch diesen süßen Klang seine Nähe verkünden, auf seine Liebe vorbereiten? Ihre Blicke irrten über die Rosengebüsche hin. »Freund meines Herzens, führt dich endlich die Liebe zu mir!« bebte es unwillkührlich über ihre Lippen.
Da rauschte es in dem Gebüsche, da summte noch einmal leise der Ton der Zitter, da öffnete sich die Rosenhecke und – nicht der Ersehnte, nicht derjenige, den Cheyle durch unwiderstehlichen Zauber an sich gefesselt glaubte, ein Fremdling, klein von Gestalt, welken und bedeutungslosen Antlitzes, eilte mit geöffneten Armen auf sie zu. Sie floh in das Zimmer zurück, der Unbekannte ihr nach. Hier ließ er sich auf ein Knie vor ihr nieder, die ihn mit Zorn und Verachtung, mit allem bittern Unwillen der getäuschten Hoffnung anblickte, und rief, die noch immer geöffneten Armen nach ihr erhebend, mit emphatischer Stimme:
»Schönstes Wunder der Welt, verschmähe nicht die Huldigungen deines Knechtes, der tausend Gefahren getrotzt hat, um zu dir zu gelangen. Ich bin Muskablüt, der weltberühmte Zitterschläger. Es gibt kein Land in Europa, wo nicht der Reichthum, wo nicht die Minne meine Kunst belohnt. Der Ruf deiner Schönheit hat mich hierher geführt; und wenn Drachen dich bewacht, Riesen und Zaubrer dich gehütet, so wäre ich doch siegreich hindurchgedrungen, und Zaubrer und Ungeheuer wären von der Macht meines Spiels erlegen. Erhöre mich, Schönste, nimm mich an zum Leibeignen deines Herzens! Mit süßen Tönen will ich dir die Stunden verkürzen, mit meiner Minne sie verherrlichen. Meine Zitter soll dich einschläfern am Abend, ihr Spiel dich am Morgen erwecken. O blick' nicht zornig, nicht unwillig auf mich nieder! Gestatte, daß ich mein Saitenspiel aus dem Rosengebüsch hole, seine Töne werden dein sprödes Herz bezwingen.«
Cheyle war ebenso erstaunt, wie empört, über die Zudringlichkeit des ihr gänzlich unbekannten Mannes. Im ersten Augenblicke wollte sie um Hülfe rufen, dann aber bedachte sie, daß über der Verwirrung, die hierdurch entstehen würde, ihr Vater mit Salentin erscheinen möchte, daß die Gegenwart dieses Fremdlings den Argwohn des letztern reizen, daß ihre Wünsche, ihre Hoffnungen durch diese seltsame Begegnung leiden dürften. Dann widersprach auch bald ihr Stolz dieser ersten Wallung, die das versammelte Hausgesinde zum Zeuge ihrer erlittenen Schmach, sie selbst zum Gegenstande des Gespöttes der Knechte und Mägde machen konnte.
»Bleib, Elender!« rief sie gebieterisch, indem sie darauf sann, den verwegenen Besucher ebenso geheim, wie er gekommen, wieder zu entfernen. »Sprich, welcher Mittel hast du dich bedient, in das Innere dieses Hauses zu gelangen, dich dem still entlegenen Heiligthume des Frauengemachs zu nahen! Bei dem Gotte, der das Gesetz auf Sinai gab, du bist herangeschlichen, wie ein Dieb, und wie einen Dieb laß ich dich richten, wenn du nicht Alles bekennst!«
»Hinweg mit diesem Zorne, schönstes Wunder!« versetzte im süßlichsten Tone und in dem festen Vertrauen, die reizende Jüdin endlich doch zu günstigeren Gesinnungen zu stimmen, Muskablüt. »Ich sagte dir, daß ich Riesen und Drachen um deinetwillen bekämpft haben würde, um wie Vieles leichter war es nicht, den glücklichen Augenblick, unbemerkt in das Haus zu schlüpfen, zu erlauern und dann in einem sichern Versteck zu harren, bis sich die Gelegenheit bot, dem Gemach und dich selbst zu erspähen. Sprich, Schöne, wer wagte aber auch das schon um dich? Konnte es nicht Schläge regnen von dem Hausgesinde, wenn es mich ertappte, konnte nicht deines Vaters Zorn mich furchtbar treffen, wenn er mich entdeckte? Aber Muskablüt fürchtet nichts. Ein Klang seiner Zitter zähmt die Thiere der Wildniß, dem aufgehobenen Arme des Feindes entsinkt die Waffe und das Wort, das ihm zürnen will, verwandelt sich ein freundliches: Willkommen!«
»Eine Unverschämtheit, die an Wahnsinn gränzt, spricht aus Euch;« entgegnete mit dem Ausdrucke der tiefsten Verachtung Cheyle, indem sie sich zu fassen suchte. »Ihr dauert mich, und ich habe Mitleid mit Eurer Thorheit. Hört, unter welcher Bedingung ich Euch den Schimpf, so Ihr mir angethan, die Frechheit, die Euch in dieses Haus geführt, verzeihen will. Begebt Euch im Augenblicke in das Rosengebüsch zurück, das Euch bisher verborgen, verhaltet Euch dort still und ohne ein Zeichen des Lebens von Euch zu geben. Was auch geschehen mag, es kümmere Euch nicht! Zur Mittagsstunde wird es ruhig in den Gängen, leer im Hofe werden. Dann öffne ich Euch selbst die Hauspforte und Ihr entweicht, um nie wiederzukehren. Unterwerft Euch diesem Gebote, oder bei'm Gotte Israel! meine Rache, die Ihr selbst hervorgerufen, sollt Ihr schwer empfinden.«
Cheyle stand in hoher, zürnender Stellung vor dem Zitterschläger. Sie hatte in diesem Augenblicke mit schrecklichen Bewegungen des Gemüths, mit Leiden des Körpers, die immer empfindlicher wurden, zu kämpfen. Sie trotzte ihnen, sie verbarg sie gewaltsam vor dem verwegenen Fremdlinge. Aber ein tödtlicher Haß gegen diesen flammte in ihrem Herzen auf, als er, ihres strengen Gebotes gleichsam spottend, sie anlachte, sich gemächlich in einen Sessel streckte und in einem leichtfertigen Tone sprach: »Das Gerücht log nicht, das dich ebenso stolz und spröde, wie schön nannte! Aber Muskablüt ist nicht der Mann, den ein finstres Gesicht, ein hartes Wort zurückschreckt. Die Hoffnung konnte mich wohl in's Rosengebüsch führen, mich mit den Wunden, die mir die Dornen verursachten, versöhnen; aber ein Befehl, dem, schönstes Wunder, sicherlich dein Herz widerspricht, den nur dein Stolz dir abdringt, bringt mich nicht dahin zurück. Thu' dir keinen Zwang an, blicke nicht mit scheinbarem Kaltsinn, mit falschem Trotz auf mich. Ich kenne dein Geschlecht, ich kenne diese Künste. Der Roland war ein starker Held und dennoch erlag er der Liebe zu der schönen Maurenprinzessin. Glaubst du, Muskablüt hätte irgendwo umsonst geliebt, umsonst nach Gegenminne verlangt? Sträube dich nicht länger! Komm an mein Herz, laß uns einen Bund schließen, den kein Ereignis des Lebens, den der Tod selbst nicht trennt!«
»Der Tod selbst nicht?« versetzte zusammenzuckend und mit bitterm Nachdrucke die schöne Jüdin. »Bei'm ewigen Gotte, ich glaube, seine Schrecken wollen sich mir ankündigen, und wenn das wäre, wenn der Würgengel käme in dieser Stunde, du solltest dein Wort lösen mit deinem Leben!«
In diesem Augenblicke erhob sich Geräusch im Vorderhause. Cheyle vernahm ihres Vaters Stimme, sie glaubte, er führte ihr den ersehnten Geliebten zu. Mit Heftigkeit ergriff sie Muskablüt's Hand, riß ihn empor und rief:
»Entflieh' oder du bist verloren! Findet dich, den Feind unseres Glaubens, mein Vater hier, so straft sein Dolch deinen Frevel, und dieses Haus besitzt hundert verborgene Winkel, wo deine Leiche unentdeckt vermodert. Hinweg, Elender! Du zagtest vor Dornen, jetzt fürchte den Dolch des Rächers!«
Auf diese Entwicklung seines Liebesabentheuers war Muskablüt nicht vorbereitet. Er stand zitternd, keines Entschlusses fähig.
»Hinaus in die Rosengesträuche!« schrie ihm Cheyle in's Ohr. Aber auch dieser Weg bot keine Sicherheit mehr: schon erschien Simeon im Eingange des Hofes. Da drängte Cheyle den fast sinnlosen Muskablüt zu der Truhe, auf deren Grunde sie jene Schmuckstücke bewahrte, an deren Anblick sie sich vergebens zu erfreuen gesucht hatte; da riß sie den Deckel auf und sagte, damit sie der näher kommende Vater nicht höre, in einem leisen Tone, der aber etwas Furchtbares an sich hatte:
»Hier hinein, Elender! Es ist Raum genug für dich. Die Fugen des Korbgeflechtes schützen dich vor der Gefahr des Erstickens. Zögre nicht! Der Dolch meines Vaters zuckt nach deinem Herzen, und wenn du Schlimmeres fürchtest in diesem Versteck, so erinnere dich, daß du mir den Bund auf Leben und Tod angetragen hast!«
Simeon stand an der kleinen Gitterthüre, die in das Gärtchen führte. Er hatte den Kopf zurückgewandt und sprach zu einem seiner Diener im Hausgange. Die wenige Besinnung, welche der Zitterspieler noch bewahrte, verlor er bei'm Anblicke der kräftigen, gedrängten Gestalt, des finstern, drohenden Antlitzes. Zu spät verfluchte er seinen Leichtsinn, seine Sorglosigkeit, die ihn in diese Falle geführt. Es blieb ihm nichts übrig, als dem Rathe Cheyle's zu folgen. Leicht fand seine schmächtige Gestalt sich in den Raum des Kastens, der ansehnlich genug war, da er einst den ganzen Mahlschatz von Cheyle's Mutter in sich geschlossen hatte und von der Tochter zu einem gleichen Zwecke aufbewahrt worden war. Er sah noch einmal zu Cheyle auf; wie flammte ihr Auge, wie brannten ihre Wangen! Sie dünkte ihn jetzt ein schönes Ungeheuer, dem leicht das Gelüst kommen könne, seine Anmaßung, seine Zudringlichkeit schrecklich zu rächen. Wie bereuete er jetzt, die Ruhe, die Behaglichkeit und Sicherheit im Hause des Meisters Heinz, wo Frau Ursula seine Wünsche errieth, ehe er sie aussprach, wo nie vom gastlichen Tische die feinsten Leckereien, die den Gaumen erfreuen konnten, verschwanden, verlassen zu haben! Aber diese Reue kam zu spät. Der Deckel der Truhe wurde über ihm zugeworfen, er hörte ihn in das Schloß fallen und ein Gefühl drang in seine Seele, als sey er nun lebendig begraben, als sey dieses Asyl seiner verwegenen Liebe ein Sarg, über dem sich bald der Todtenhügel wölben werde. Jetzt vernahm er Simeon's Tritte im Zimmer, jetzt hörte er des Juden herbe, sein ganzes Wesen mit Entsetzen durchdringende Stimme. Er hielt den Odem an, er fürchtete, der leiseste Hauch möge ihn verrathen. Seine Erinnerung führte jenen schrecklichen Auftritt mit den Geißlern vor seine Seele zurück, wo der unglückliche Pickelhäring auf eine grausame Weise hingerichtet worden und er, in einem ähnlichen Verstecke Zeuge der mörderischen That gewesen war. Er konnte dieses Bild nicht verbannen, wie sehr er sich auch bemühete. Er gelobte sich, ein ganzes Jahr lang seine Blicke nicht wieder zu einer Schönen zu erheben, selbst Frau Ursula nur als eine Freundin und Wohlthäterin zu betrachten, wenn ihm sein guter Stern diesesmal aus der Verlegenheit helfe.
»Ich habe dir gethan den Willen,« sprach indessen Simeon mürrisch zu der Tochter, die ihn jetzt nicht ungern ohne Salentin zurückkommen sah: »ich habe den Doctor der Gojim gesucht in seinem Hause, ich habe ihn gesucht auf seinen Wegen, aber in die Häuser der Pestkranken bin ich ihm nicht gefolgt, denn du weißt, Cheyle, ich trage einen Abscheu in mir gegen die Seuche. Warum begehrtest du nicht nach Manasse, dem alten Freund unsres Hauses, dem klugen Manne aus unserm Volk, der da kennt die geheimen Kräfte aller Kräuter auf Erden, und der die Beschwörungen zu sprechen weiß, vor denen der böse Geist der Krankheit entflieht? Beim Bart meines Vaters, Cheyle, ich liebe dich, wie meinen Augapfel, ich habe dir zu Gefallen den Doctor der Gojim herführen wollen, allein wenn ich wüßte, daß du mit einem andern Grunde, als weil du ein besonderes Vertrauen auf seine Wissenschaft setzest, seine Gegenwart begehrtest, so sollte Verderben sein Gebein treffen, und meinen Fluch würde ich sprechen über dich, die dem Gotte Israel untreu geworden.«
»Vater,« sagte mit schwacher Stimme Cheyle, indem es ihr nur mit großer Anstrengung gelang, die Schmerzen, die, vom Herzen ausgehend, ihren ganzen Körper durchzuckten, zu verbergen, »glaube mir, daß ich das Gesetz Moses, die Lehre Abraham's und Jacob's treu beobachten werde bis zum letzten Augenblicke meines Lebens. Ich kann irren in manchen Dingen, die Schwäche und die Leidenschaft können mich zu übereilter That hinreißen, denn du selbst weißt, daß Cheyle nie gewohnt gewesen, ihre Wünsche zu beschränken, ihr Begehren zu unterdrücken; aber nie werde ich weichen vom Pfade des Glaubens, nie schmähen das Gedächtniß meiner Väter.«
Bei diesen Worten sank sie, von Schwäche überwältigt, in einen Sessel. Simeon trat besorgt näher und nahm ihre Hand:
»Cheyle, mein Kind,« rief er, von Vaterangst ergriffen, »wie ist dir, wo fühlst du dich übel? Deine Hand bebt und ist eisig kalt, wie die eines Todten, aus deinem Angesichte bricht Fiebergluth, deine Lippen werden blau, dein Auge irrt wild umher. Wehe, wenn der Würgengel sich auf das Dach Simeon's niederließe, wenn er nicht mit dem Opfer sich begnügen wollte, das er aus Japhet's, des Nachbarn Hause geholt, wenn er mir das Liebste nehmen wollte vom Herzen! Ja, Cheyle, des Nachbarn Weib ist heute Morgen gestorben an der Pest und von dir habe ich gehabt einen bösen Traum. Ich sah dich tanzen mit Manasse auf dem Grabe deiner Mutter, der Erdboden wich unter deinen Füßen, ein Gerippe streckte die Knochenarme nach dir und riß dich hinab und der Rabbi floh wild lachend von dannen. Sprich, Cheyle, sprich ein Wort, laß mich deine Stimme hören, sage, daß es dir besser geht.«
»Ich glaube, die Mutter verlangt nach mir,« versetzte in hinsterbendem Tone Cheyle. »Ich sehe die Arme, die sie aus dem Grabe emporstreckt, und ein Kindesangesicht, ein bloßes Messer und einen blutenden Hals – Vater, mir wird sehr schlimm, lass Manasse kommen!«
»Manasse! Manasse!« schrie, außer sich, nach dem Hofe hin, wo mehrere Diener beschäftigt waren, Simeon. »Schafft den Rabbi herbei, sagt ihm, daß Cheyle, mein einziges Kind, sterben wolle, daß ich ihn reich mache, wenn er sie rettet, daß mir kein Preis zu hoch ist für das Leben meines Kindes!«
Er blickte verzweiflungsvoll auf Cheyle. Sie hatte die Augen geschlossen, ihre Lippen zuckten krampfhaft, auf Stirn, Wangen, Brust und Händen zeigten sich dunkle Flecken. Von einer schrecklichen Ahnung ergriffen, von unwiderstehlicher Abscheu durchschauert, ließ Simeon die Hand der Tochter sinken, bebte einige Schritte zurück und betrachtete sie mit dem lebendigsten Ausdrucke der Angst und des Entsetzens.
»O, wie fühle ich mich mit einemmale selig, leicht und heiter!« begann im Fieberwahne die Kranke. »Ich wandle im Paradiese der ersten Menschen. Alles blüht und alle Blüthen strömen himmlischen, erquickenden Duft aus. Welche süße Stimmen rauschen aus den Blättern der Palme herab, aus den Wellen der Bäche herauf, aus den Blumenfeldern herüber! Komm her, mein süßer Freund, gib mir deine Hand, laß mich mit dir dieser Seligkeit genießen. Wie lange habe ich in einem schweren, düstren Traume voll ungestillter Sehnsucht nach dir, gelebt und erwache nun endlich in ein glückliches Daseyn, wo alle Wünsche gewährt, alle Hoffnungen erfüllt werden! Aber warum folgt dir das blasse, blutige Kind auf deinem Wege? Warum führst du eine so schreckliche Begleitung mit dir? Weis' es zurück, deiner Stimme gehorcht es; mich aber sieht es mit dem brechenden Blicke vorwurfsvoll und quälend an, ich kann nicht zu ihm reden, mein Auge fürchtet diesen Blick und muß sich vor ihm verschließen. Ich will dir ein Geheimniß entdecken, mein süßer Freund! Uns umgeben die Auen des Paradieses, wir athmen seine Luft, die nur Liebe und Gegenliebe haucht, wir lauschen dem Tone der Liebe in Allem, was hier lebt und sich bewegt; aber auch die Schlange fehlt dem Paradiese nicht. Sie hat sich schmeichlerisch an meine Brust gelegt, sich in mein Herz gestohlen und da so lange geflüstert von Seligkeit und unendlichem Glücke, bis ich zum Preiße dieser Seligkeit das Haupt meiner Mutter aus dem Grabe geholt und es ihr geopfert, bis ich das Blut eines schuldlosen Kindes ihr hingegeben. Und die brechenden Augen dieses Kindes sind es, die mich allenthalben verfolgen. An ihrem Blicke, mein süßer Freund, muß ich sterben. Er dringt in mein Innres, sein hinsterbendes Licht flammt dort von Neuem auf, und die Flamme verbreitet sich durch mein ganzes Wesen, nagt an meinem Gebein, verzehrt mein Herz – Sterben, sterben in dieser Paradiesesherrlichkeit!« schrie sie plötzlich auf, indem sie sich erhob, die blutroth unterlaufenen Augen öffnete und mit verzerrtem Angesichte vor sich hinstarrte. »Sterben, weil die Schlange gekommen ist, weil ich ihr die Hirnschale der Mutter, das Leben des Kindes hingeworfen? Wer rettet mich vor dem Engel des Todes? Ich bin noch so jung, und ich kenne nur die Freuden des Lebens, ich träume schöne Hoffnungen und soll durch den Tod aus diesem Traume emporgerissen werden? Ist Niemand, der hilft, Niemand, der rettet?«
Sie schwankte auf Simeon zu, sie hob die Arme gegen ihn hin. Der unglückliche Vater wich ihr aus, eilte zur Thüre und schrie wiederum verzweiflungsvoll nach Manasse.
Da trat der Rabbi, der um diese Stunde seinen täglichen Besuch im Hause Simeon's zu machen pflegte, mit raschen Schritten in den Hof. Ihm folgte Melach, sein armer Gehülfe, den Kasten mit Arzneimitteln nachtragend. Der Gehülfe blieb, der weitern Befehle seines Meisters harrend, ehrerbietig im Hofe zurück; Manasse schritt hastig in das Zimmer, wo sein Blick sogleich auf Cheyle traf. Sie war zu Boden gesunken, sie heftete das starre Auge auf ihn, schien ihn aber nicht zu erkennen.
»Erhalte mein Kind!« schrie ihm in den Qualen entsetzlicher Vaterangst Simeon entgegen. »Sprich, Manasse, daß der Gott unsrer Väter mir nur eine vorübergehende Prüfung senden will, daß er, wie einst dem Abraham seinen Sohn, mir die Tochter wiederschenken wird!«
Aber der erste Blick auf die Kranke hatte den Rabbi belehrt, daß hier keine Hoffnung mehr sey, daß der Todesengel mit dem bloßen Schwerdte schon am Haupte Cheyle's stehe und der Augenblick sich nähere, wo er den Tropfen der bittersten Galle, der jedes Leben tödtet, von der Spitze des Schwerdtes auf die Leidende niederfallen lassen werde.
»Wehe über dich und dein Haus!« rief er mit Zetergeschrei. »Der böse Geist hat es angehaucht mit seinem giftigen Odem und das Herz Cheyle's, deines einzigen Kindes, berührt. Siehst du diese dunkeln Flecken, diese rothflammenden Augen? Da ist keine Hülfe, keine Rettung mehr. Das wilde Feuer verzehrt sie, die Pest hat ergriffen ihr Gebein.«
Da zerriß der verzweifelnde Vater sein Gewand von oben bis unten, da warf er noch einen Blick der Liebe und des Entsetzens zugleich auf das rettungslos verlorene Kind, da stürzte er heulend hinaus durch den Hof in das Vorderhaus, das sich nun mit lauter Wehklage und lautem Jammer erfüllte. Aber nicht auf ihn allein hatte Manasse's entscheidendes Wort einen so schrecklichen Eindruck gemacht. Niederschmetternd, alle Kraft lähmend, seine Sinne verwirrend, traf es den armen Muskablüt. Wie schwer wurde sein Dünkel bestraft, wie gräßlich seine Hoffnung getäuscht! Liebe und Geld hatten ihn geblendet, jetzt trat ihm der Tod in seiner schrecklichsten Gestalt nahe. Die Geliebte, die er umarmen wollte, war schon der Pest heimgefallen, als er die Arme nach ihr erheben, als der Hauch ihres Mundes ihn getroffen, als ihre Hand ihn berührt! Mit Manasse's Erklärung durchzuckten diese Gedanken sein Inneres, er sah sich selbst schon als eine Pestleiche, er sah in dem Asyle, das ihn barg, wieder den Sarg, in dem man ihn zu Grabe tragen würde, er wollte schreien, aber seine Kehle war wie zugeschnürt, er wollte sich aller Gefahr trotzend, durch irgend ein andres Geräusch bemerkbar machen, allein ehe er dieses bewerkstelligen konnte, erlag der schwache Rest seiner Besonnenheit der Macht dieser auf ihn einbrechenden, furchtbaren Eindrücke, und eine tiefe Ohnmacht versetzte ihn in eine völlige Unthätigkeit, machte ihn unempfindlich gegen jede fernere äußere Wahrnehmung.
Indessen hatte Cheyle, als Manasse sprach, ihn erkannt. Ihre Geisteskraft kehrte zurück, aber auch mit ihr die Empfindung der entsetzlichen Schmerzen, die sie zerrissen, des immer weiter um sich greifenden Brandes, der sie verzehrte. Sie sah sich allein mit ihm, sie richtete sich mit dem Oberleibe vom Boden, wo sie lag, empor und sprach, ihre ganze Kraft zusammennehmend:
»Ich habe dich verstanden, Manasse! Die Pest wüthet in meinem Gebein, bald wird der bittre Tropfen des Todes mein Herz erreichen. Das ist das Gericht des Gottes meiner Väter, das mich trifft, weil ich gefrevelt gegen ihn, weil ich begehrt nach dem Manne aus dem Volke unsrer Feinde, nach dem Ungläubigen, nach dem Christen. Sprich, Manasse, wie lange habe ich noch zu leben, wann senkt sich das Schwerdt des Todesengels?«
Manasse zuckte die Schultern. Dann murmelte er kaum verständlich in sich hinein:
»Wer vermag den Gang des wilden Feuers zu berechnen? Da würde die Weisheit Salomonis selbst irren können, denn oft schwindet die Flamme zur langsam nagenden Gluth, oft schlägt sie, in einem Augenblicke ihr Wesen verändernd, tödtlich vernichtend empor.«
»Manasse, ich ließ dir ein Kind übergeben, du weißt zu welchem Zwecke;« begann Cheyle mit gewaltsamer Anstrengung auf's Neue. »Sage mir, hat das Kind geblutet, ward der Zauber vollendet, hat er denjenigen umstrickt, dem er bereitet worden?«
Der Rabbi zögerte mit der Antwort. Er wußte nicht, ob er die Wahrheit gestehn sollte, ob dieses Geständniß ihn nicht vielleicht des versprochenen Lohnes, den er noch von der Sterbenden zu erhalten hoffte, berauben würde. Cheyle schien ihn zu errathen. Sie nahm einen kleinen Schmuckbehälter aus ihrem Busen, reichte ihn mit bebender Hand dem Rabbi dar und sagte:
»Hier sind die Kleinodien, die ich dir gelobte. Nimm sie, wie auch die Sache sich verhält: aber entdecke mir die Wahrheit! Ich will wissen, ob ich an dem Blicke des todten Kindes sterbe oder ob es eine Macht in mir gibt, die ein quälendes Gespenst der Einbildungskraft vor mir heraufbeschwört. Der Sand im Stundenglase verrinnt, meiner Augenblicke sind nur noch wenige – sprich! Manasse: entdecke mir die Wahrheit.«
Der Rabbi hatte die Rechte nach den Kleinodien erhoben, aber sie, aus Furcht, die Pestkranke zu berühren, rasch wieder zurückgezogen. Jetzt ward die Furcht von der Habsucht besiegt. Mit einer hastigen Bewegung riß er das Kästchen an sich, überzeugte sich, daß sein Inhalt der getroffenen Übereinkunft entspreche, und versetzte:
»Ein Wunder, ausgebrütet von einem bösen Geiste, hat das Mägdlein meinem Gewahrsam entrissen, ehe ich die Ader geöffnet, aus der mir sein Herzblut rinnen sollte. Während ich den Streit zwischen dir und den geldgierigen Gojim schlichtete, verschwand es und keine Spur von ihm ist geblieben. Die Thüren waren verschlossen, die Fenster durch starke Eisenstäbe verwahrt: keine menschliche Kreatur konnte ihm zu Hülfe gekommen seyn. Aber der höllische Geist hatte den günstigen Augenblick erlauert, wo ich abwesend war, wo ich nicht durch eine kräftige Beschwörung ihn zu bannen vermochte. Dennoch brauete ich den Trank fertig nach der Kunst, ich sprach seinen Zauber über ihn, den mich ein grosser Meister in der Kabbala gelehrt, und auch ohne des Mägdleins Blut hätte der Trank seine Wirkung gethan, wenn ich dem Doctor Patricier heute schon auf meinen Wegen begegnet wäre, wenn er davon als von einem neuen, wunderkräftigen Arzneimittel versucht hätte.«
Cheyle antwortete nur mit einem tiefen Seufzer. Ihre Schmerzen wuchsen zu fürchterlicher Qual an. Sie biß die Zähne zusammen, sie suchte, indem sie die Füße des schweren eichenen Tisches mit den Armen umklammerte, sich der Krämpfe, die sie durchbebten, zu erwehren. Die dunkeln Flecken an ihrem Körper vermehrten sich. Das ganze Angesicht überzog nach und nach eine schwarzbraune Farbe, aus der die blitzflammenden Augen gräßlich hervorleuchteten.
»Du sollst mir für diese Kleinodien einen andern Dienst leisten, Manasse!« sprach sie zähneklappernd und oft von einem Röcheln, das aus der Tiefe der Brust drang, unterbrochen. »Jene Truhe enthält Dinge, die für mich von hoher Bedeutung sind: Geschenke meiner Mutter, Angedenken von Verwandten und von verstorbenen Freundinnen. Ihr Werth an Gold ist nicht groß und wird tausendfach durch Das, was du erhalten, überwogen. Ich kann mich von jener Truhe mit ihrem Inhalte nicht trennen. Der Gedanke ist mir unerträglich, daß Andre nach mir mit Gleichgültigkeit die Gaben, die ich hoch hielt, behandeln, daß sie diese vielleicht verächtlich zur Seite werfen sollten. Manasse, gelobe mir bei dem Gesetze Mosis, bei Allem, was der Glaube unsrer Väter heilig achtet, daß du diese Truhe, ohne sie zu öffnen, mit mir begraben lässest! Sie soll mit mir werden zu Staub, sie soll mir im Tode vereinigt bleiben.«
»Cheyle, du begehrst Seltsames, aber ich gelobe es dir;« versetzte, im Grunde seines Herzens erfreut, auf eine so leichte Weise zu dem Besitze der Edelsteine gelangt zu seyn, Manasse. »Ich will nicht ruhen in Abraham's Schooß, der Blitz soll zerschmettern mein Gebein, wenn ich nicht verfahre nach deinem Gebote. Melach, der Meschores, und der Chassan Vorsänger. aus der Schule sollen selbst die Truhe zu Grabe tragen.«
Cheyle hatte jenen Auftrag im leisen, hinsterbenden Tone ertheilt. Muskablüt würde ihn selbst nicht vernommen haben, wenn er seiner Sinne mächtig gewesen, wenn er das, was außerhalb seines engen Kerkers vorging, mit angestrengter Aufmerksamkeit bewacht hätte. In Cheyle's Verfügung lag, obgleich sie Muskablüt's Zudringlichkeit tief empören mußte, nicht so sehr die rachsüchtige Absicht, ihn mit sich in das Verderben zu reißen, sondern mehr noch das stolze Streben, ihren Wandel vor den Augen ihres Vaters und der Glaubensgenossen unbefleckt zu erhalten. Welche Schmach für sie, wenn man nach ihrem Tode einen fremden Mann, einen Feind ihres Volks, versteckt in ihrem Gemache gefunden hätte! Und war er es nicht selbst gewesen, der sie zu einem Bunde aufgefordert, den sogar der Tod nicht trennen sollte? Hatte sie, von dunkler Ahnung ergriffen, ihn nicht gewarnt, ihn nicht vergebens zur Flucht gedrängt? In jenem Augenblicke, als er zuerst vor ihr erschien und die süße Täuschung, Salentin sey der heimliche Besucher, zerstörte, fühlte sie sich von bittrem Groll gegen den Fremdling erfüllt. Sie haßte alle Christen, weil sie mit Übermuth die Ansprüche derjenigen zurückwiesen, die doch sonst die allgemeinen Loose der Menschheit mit ihnen theilten; sie haßte sie aus dem tief Innersten ihres Herzens, bis sie den jungen Patricier zum erstenmale sah und dieser Eine ihre ganze Liebe gewann, während ihr ganzer Haß noch auf seinen Glaubensgenossen ruhen blieb. Warum sollte sie Muskablüt's, der ihrer gehöhnt, der sie vor sich selbst erniedrigen wollte, schonen, wenn es galt, ihrem Stolze, dieser Leidenschaft, die von ihrer frühen Jugend zur Herrscherin in ihr ernährt worden, ein nothwendiges Opfer zu bringen? Sie fühlte sich beruhigter, nachdem sie den Schwur des Rabbi vernommen, es war ihr ein Trost im Sterben, dem Vater, den gewiß ihr Tod schon in entsetzlichen Jammer stürzte, ein andres bittres Leid, eine Entdeckung, die ihn vielleicht ebenso tief verletzte, zu ersparen.
Wir wollen das Zartgefühl der Leserinnen nicht durch eine genaue Darstellung des letzten Todeskampfes der unglücklichen Jüdin auf eine schwere Probe stellen. Sie verlor die Besinnung und mit ihr das Gefühl der schrecklichen Qual, die, alles Widerstandes der Jugendkraft spottend, in furchtbarer Schnelligkeit Formen verzehrte, die noch vor kurzer Zeit geeignet waren, Neid und Bewunderung zu erregen. Im großen Vordergebäude ertönte das Jammergeschrei des trostlosen Vaters, die Wehklage des weiblichen und männlichen Gesindes; in Cheyle's kleinem Gemach wurden nur einzelne schwache Laute vom Munde der Sterbenden hörbar, die da anzeigten, daß ihre Seele von glücklichen Phantasieen heimgesucht wurde, daß der letzte Augenblick sich ihr mit sanften, unvernehmbaren Schritten näherte. Da ließ der Engel des Todes sein Schwerdt sinken und der bittre Tropfen der Vernichtung fiel auf das Herz, das hienieden so stürmisch bewegt worden, mit der die Leidenschaften ihr dunkles, verhängnißvolles Spiel getrieben hatten. Cheyle athmete nicht mehr. Manasse nahm den Talisman mit dem Siegel Salomonis, den er auf seiner Brust trug, hervor und preßte ihn an seine Lippen, damit der forteilende Engel des Todes ihm im Vorüberfluge nicht schaden könne. Dann winkte er dem Gehülfen Melach herbei, um Anstalten zum schleunigen Begräbniß, wie es die Sitte seines Volkes und noch mehr die Pestleiche selbst erheischte, zu treffen.
Muskablüt lag noch immer ohnmächtig und bewußtlos in seinem Versteck.