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Amazonen

Traditionen solcher Art anfechten, heißt wider Jahrtausende streiten.

Simonides

 

Selbst die Sagen von ihnen hätten sich nicht solange erhalten, wenn die Taten nicht so ausgezeichnet gewesen wären.

Isokrates (Panegyrikos)

 

Hat es sie gegeben, die fabelhaften Jungfrauenvölker, die Rossedämoninnen, hereinjagend vom Rand der Welt, daß Eis und Goldsand spritzt? Das »männerhassende Heer«, mit klirrenden Locken und Bräuchen unerhört?

Hat es sie faktisch gegeben?

Bei dieser Frage hätte ein Grieche ungefähr so dreingeschaut wie ein Deutscher bei der Frage, ob es »faktisch« Franzosen gebe. Sie waren ihm der gottgewollte Erbfeind vom Grund der Jahrhunderte auf. Also feierte ganz Attika alljährlich die Amazonenschlacht bei Athen, wie Deutschland die Völkerschlacht bei Leipzig, doch übertraf die Befreiung der vier Monate durch Oreithyia belagerten Akropolis an Bedeutung die napoleonischen Freiheitskriege weit!

Ein gewisser säuerlicher Widerstand bis in die jüngste Zeit hinein gegen das reine Zeugnis der gesamten Antike über den Amazonenzug nach Athen erinnert stark an jenen famosen Satz einer Goethebiographie, der des Dichters Versicherung, er habe von allen Frauen Lily am meisten geliebt, also berichtigt: »Hier irrt Goethe, das war bei ihm mit Friederike der Fall.«

Warum »irrten« nun die Griechen, wenn sie die Amazonen, mit denen sie in Übersee wie im eignen Lande kämpften, nicht nur für wirklich hielten, sondern das ungeheure Erlebnis dieses Kampfes auf Leben und Tod schicksalsvoller nannten als selbst die Perserkriege? Ja aber,

heißt es, die Verteidigung Athens werde Theseus zugeschrieben, die Königslisten mit Theseus seien jedoch nicht über allen Zweifel und lückenlos historisch beglaubigt. Dagegen kann nur wieder auf das Ridgeway-Zitat im Kapitel »Athen« verwiesen werden, was dort über Tradition und Totenkult an Heroengräbern mit erblicher Priesterschaft gesagt wurde und über die Lebenskraft von Eigennamen. So lebt Kekrops als Gründer der Akropolis, Erechtheus als Besieger von Eleusis, Theseus als Einiger von Attika fort. An seinen Namen ist überdies die detaillierte Gesetzgebung des neuen Freistaates genau so geknüpft wie die spartanische an den des Lykurg.

Ja aber,

diese skythischen Amazonen trügen doch keine skythischen, sondern griechische Namen, seien demnach griechische Phantasiegebilde. Dann sind der Rückzug der Zehntausend, die gesamten Perserkriege auch Phantasie, denn Perser werden ebenso mit griechischen Namen genannt. Und keineswegs könnte Rhamses II. gelebt haben, für die Griechen existiert er nur als Sesostris. Schon Plato hat den gleichen, alten, faulen Einwurf gegen seine Atlantier, daß sie ja griechische Namen trügen, widerlegt. Der Bericht über Atlantis geht auf Solon zurück. Bei seinen langen Reisen durch Ägypten erfuhr er von einem Priester der Neith zu Sais den Untergang der großen Insel außerhalb der Säulen des Herakles und ihrer Bewohner. Die Tempelbücher enthielten in Chronikform das ganze Ereignis verzeichnet. Dazu bemerkt Kritias: » Nur noch eine Kleinigkeit muß ich meinem Bericht vorausschicken, damit ihr euch nicht wundert, wenn nichthellenische Männer hellenische Namen tragen. Ihr sollt den Grund davon erfahren.« Nun wird erzählt, wie Solon sich genau bei dem Neithpriester nach der Bedeutung der fremden Eigennamen erkundigt habe, die von den Ägyptern übersetzt worden waren; dann nahm er selbst den Sinn jedes Eigennamens vor »und schrieb ihn so nieder, wie er in unserer Sprache lautet ..., wundert euch also nicht, wenn ihr auch dort Eigennamen hört wie hierzulande.« Bei uns wundern sich manche immer noch. Die Griechen übersetzten prinzipiell den Sinn jedes fremden Namens oder verballhornten ihn so lang, bis er ihnen auf griechisch sinnvoll erschien. Ein Beispiel dafür ist das Wort »Amazone« selbst.

Ja aber,

da sei bei den griechischen Historikern nicht nur von kaukasischen Amazonen die Rede, in Nordafrika solle es auch welche gegeben haben mit ganz ähnlichen Bräuchen. Diese » verdächtige Duplizität« sei ein Beweis dafür, wie einer das Sagengut vom andern übernommen und nur in andere Gegenden verlegt habe. Ganz unabhängige chinesische Annalen verzeichnen jedoch in genau der gleichen Gegend zwischen Schwarzem Meer und Kaspisee ein »westliches Frauenreich«. » Tscherkessen, die noch weniger altgriechische Literatur kennen als die Chinesen, bestätigen, daß dort einst rein weibliche Kriegervölker lebten.« Durch das ganze Mittelalter hat sich bei den verschiedenen, wechselnden Anrainern das Wissen um die amazonischen Zustände erhalten. Das neueste Reisewerk von Essad Bey erzählt von zwei frisch entdeckten Stämmen in dem gleichen Land des » ewigen Feuers« zwischen Schwarzem Meer, Kaspisee, Kaukasus, eben dem alten Kerngebiet. Nach ihm leben dort, bisher fast völlig unbekannt, »das Volk der Jungfrauen« und »die blauäugigen Osseten«, beide an Sitten den Amazonen erstaunlich verwandt. Nur Frauen tragen Waffen, jagen, reiten, nehmen sich Männer nach Bedarf auf Zeit und verstoßen sie wieder. »Daß amazonische Frauen zahlreich waren, ist aber eigentlich kein Beweis dafür, daß sie nicht existierten.« (Briffault.) Eingangs wurde erwähnt, Griechenland habe die Amazonen genau so als »Erbfeind« empfunden, wie Deutschland Napoleon. Nun existiert ja allerdings eine Schule, die behauptet, auch dieser habe nie gelebt, er sei, wie schon die auseinandergeblätterte Symbolik seines Namens zeige, nur ein Astralmythos. »Nur«? Sogar ein Astralmythos hätte die Antike gesagt und sich dabei zweimal verneigt vor so viel Realität. Sie wußte eben: nur das Lebendigste dringt durch zur Verstirnung, wird Äon und Dämon, und vom großen Stil einer Seele hängt es ab, ob ihr zerflatternder Körperschatten aus dem einmalig Vorübergleitenden herausgehoben wird zu Plastik, in die Dimension der Ewigkeit.

Amazonisches Wesen aber vibrierte vor Mythenkeimen von Anbeginn. Aufgebrochen unter einem barbarischen Mond, hat es Spannungen in die mediterrane Welt getrieben, die sich ein Jahrtausend lang entluden in nicht endenwollender Bilderpracht. Fast noch bei lebendigem Leib entführte eine Art Gnadenwahl die Trägerinnen dieses Wesens aus bloßer Wirklichkeit in die Wahrheit des Mythos hinein.

Jetzt aber wird es nachgerade Zeit, ihnen die Zügel zu wenden, zurück ins Nur-Gewesene, denn auf allen Seiten, ethnographisch, archäologisch, soziologisch, morphologisch, psychologisch, kulturgeschichtlich, werden sie demnächst dringend gebraucht, um von dann ab zwiefach da zu sein, zeitlich-wirklich und zeitlos-wahr zugleich; auch das im Grunde nur Vordergrundsteilung und nichts als vorläufig-bequem, weil Mythenzüge als seelische Nachbilder genau so mit zum lebendigen Phänomen gehören wie der Schwanz zum Kometen; Stoff von seinem Stoff, Fluid von seinem Fluid.

Zeitlich-wirklich bilden die Amazonen nicht nur ein extremes Ende des »Mutterrechts«. Sie sind Selbstzweck und Anfang auch. Als ausschweifende Töchterreiche mit Ausschließung alles Männlichen bis auf versklavte Knabenkrüppel, heben sie sich ab von der weltalten, ruhend toleranten Muttersippe, die unbotmäßige junge Mannheit ganz friedlich abschob durch Exogamie. Im Mutterclan gebaren »große Mütter« immer wieder künftige »große Mütter«. Amazonen hingegen pflanzen den Töchtertyp fort, einen neuen Bewegungstypus, der gleichsam durch eine Erbschleife hindurchgeschlüpft und etwas Keimverschiedenes ist. Eroberinnen, Rossebändigerinnen, Jägerinnen, die Kinder zwar werfen, den Wurf aber weder säugen, noch selbst warten. Sie schwärmen aus, als äußerster, linker Frauenflügel einer flügge werdenden Menschheit, deren äußerster rechter Flügel die jungen Sohnesreiche mit funkelnagelneuem, daher rabiatem Männerrecht sind. Gerade die griechischen Stämme, der Amazonen schicksalhafte Gegner, gebärden sich wie frisch erwachsene »Söhne«, nicht als künftige »Väter«, denn »Väterlichkeit«, als Gefühl, ist Muttermimikri. Auch vereinen die beiden neuen Menschheitstypen sich hier nicht wie Brüder und Schwestern zu Geschwisterstaaten gegen die alte Muttermacht, vielmehr prallen »Söhne« und »Töchter« von den Enden der damals bekannten Welt tödlich-feindlich gegeneinander. Nach den antiken Historikern hat das Amazonentum zwei Brennpunkte gehabt. Libyen in Nordwestafrika und die Schwarze-Meer-Gegend am Flusse Thermodon. Atlas und Kaukasus sind die beiden Erdnabel, wo ihnen das Leben pulst. Berühmter als das libysche Reich war die zeitlich viel spätere Gründung am Schwarzen Meer. Von dort gegen den Ural zu, schon an der Grenze des nicht mehr Menschlichen, gelten die Amazonen der Tradition für Gegnerinnen der Greife. » Greif« steht eben für totemisches Landschafts-Tier, Ahnenseele des Bodens. In seinem Zwitterwesen droht adlerschnabelig die geflügelte Spannweite der Schrecken über dem Abgrund, vermischt mit dem Schlangen- und Löwenleibigen goldsandiger Dürre. Das muß bekämpfen, wer dort hausen will. So wirft unbemühtes Genie symbolisch verdichtende Bilder aus, als Lebensschau zum fortlaufend Registrierten, dem engeren Objekt der Geschichte.

Die Thermodontinnen

Jenseits des Kaukasus liegt »Skythenland«. Dort schweifen die hürnenen Völker. Geräte und Waffen aus Horn, Schilde aus Pferdehufen. Aus dem Nebel dringt Tier- und Menschengebrüll, Hahnenschrei und Rossegewieher. Wenn das stärker anschwillt, kuscheln sich die Anrainer in ihre Mauselöcher. Dann gibt es da oben noch Kolchis am unbewohnbaren Nordufer (Pontos axenos) des Schwarzen Meeres, das Reich der Medea, voll Gift und Zauberkräutern; Grenze der Fabelwesen und Zwitter, wo Menschliches anfängt theriomorph zu werden, die Natur ins Chaos zurücktritt.

»Skythen« (wörtlich: Verteidiger) ist ein antiker Sammelname für alles, was in bemalten Wagenzelten auf Rädern daherzieht, mit Pfeil und Bogen heraussprengt aus diesem Unbekannten. Es hat eine ethnische Spielbreite vom rein Iranischen bis nahe ans Mongoloide. Kann säbelbeinig, tiefbauchig, schlitzäugig, schwarzsträhnig, kann hell, hoch, hart, grad bedeuten. Hat auch ein Jahrtausend Spielbreite in der Zeit, weil dieser Sammelname frühere, also nichttatarische, vielmehr indogermanische Nomadenwellen, wie die alten Kimmerer, einbezieht, mit ihren rein iranischen Königsnamen. Nicht iranisch-indogermanische »Skythen« kamen erst mit dem achten vorchristlichen Jahrhundert. Inmitten all dieser Völker steht der Kaukasus. Seine Kette zieht vom Schwarzen Meer bis zum Kaspisee eine natürliche Mauer, »skythische« statt »chinesische« Mauer, trennt das ruhelose Gebrodel von der seßhaften Zivilisation. Die Titanenwand hat in ihrer ganzen Ausdehnung einen einzigen Durchbruch, die berühmte Völkerpforte, wo der Alexanderzug endete. Der schmale Einschnitt, durch ein riesiges Tor mit Metallbarren gesperrt, war nur auf der einen Seite erschließbar, um Einbrüche nach den blauen Niederungen der geklärten Welt zu hindern; »Skythenland« erlaubte sich nämlich bisweilen, bis an den Nil zu reichen.

Jenseits der Schranke mochte brodeln, was wollte. Wer kannte sich aus mit diesen Barbaren. Später weiß man besser Bescheid, die Flüsse drüben schwemmen viel Gold, und die ionischen Kolonien vermitteln den Verkehr. Man lernt Saker, Arimaspen, Sauromaten (Sarmaten) unterscheiden, parthische Stämme, die fliehen, um zu siegen; nach rückwärts hageln sie über die gedrehte linke Schulter weg den waagrecht schwirrenden Tod, dann Geten und Massageten, aschblond, langschenkelig, zwei Aquamarine im Kopf, »echte« Skythen, die wildesten von allen, kochen ihre Väter und ältere Leute zu hohen Festen mit Rindfleisch vermischt, und schmecken sie schlecht, so gilt das als übles Omen für ein ganzes Jahr; auch Budiner, blaue Augen, rote Schädel, fressen Läuse. Pack! Manchmal erwischt man welche, Läuse nämlich. Das kommt von den Handelsbeziehungen und jener spitznasigen Neugierde, wie sie auf den rotgrundigen Vasen den schwarzen Griechenmännchen im Gesicht steht.

Bei all diesen Barbaren mit Pferdeverstand üben die Weiber den Kriegsdienst, sitzen rittlings zu Roß und vorneweg im Rat. Leisten ganze Arbeit. Noch zur Meder- und Perserzeit hat die Massagetenkönigin Tomyris im Osten des Kaspisees den großen Cyrus samt seinem Heer wortwörtlich aufs Haupt geschlagen, ihm dann dieses abgeschlagene Haupt in einen mit Menschenblut gefüllten Sack gesteckt, damit er endlich seinen Blutdurst stille. Bitten und Warnungen zum Trotz, war er aus greller Machtgier ihr ins Land gedrungen. Skythischer Lebensstil!

Diesem skythischen Lebensstil sind ein Jahrtausend früher, um das sechzehnte vorchristliche Jahrhundert, die Amazonenreiche zu kurzer Hochblüte entwachsen. Da oben im dichten Völkernebel scheint sich damals wieder einmal ein neuer Wirbel gebildet zu haben. Durch innere Wirren, Revolutionen, Dynastiewechsel, Massaker der Männer untereinander nach fremden Gebieten abgedrängt, sammeln Frauen vom Schlag der Tomyris gleiche Frauen um sich zu einem Heer. Nach Plinius gehen die Amazonenreiche zwar von den Sauromaten aus, wahrscheinlicher aber bilden sich mehrere Heere aus mehreren Stämmen, über verschiedene Landstriche verteilt, denn auch »Amazonen« ist ein Sammelname, und zwar für kriegerische Weiberhorden mit Selbstverwaltung, deren Abneigung gegen jede eheähnliche Dauerbindung die verschiedensten Grade umfaßt.

Der mildeste führt sie in jedem Frühling zu flüchtiger, aus Prinzip wahlloser Vermischung an männliche Nachbarn heran. Weibliche Frucht wird behalten, männliche dem fernen väterlichen Stamm zurückgeschickt. Die schärfere Abart schickt nichts zurück, sondern verstümmelt die neugeborenen Knaben, macht sie für später ungefährlich durch Auskegeln einer Hand und einer Hüfte. Als verachtete Sklavenkrüppel, von keiner Amazone je erotisch berührt, werden sie im Stamm lediglich zum Kinderwarten, Wollespinnen und häuslichem Dienst verwendet. Im extremen Fall wird meist der Besamer selbst nachträglich getötet, ausnahmslos aber jede männliche Geburt. Allen Spielarten gemeinsam ist es, nur Mädchen, diese allerdings durch prachtvolles Training, zu vollwertigen Menschenexemplaren aufzuzüchten.

Die Skythen selbst nannten alle ihre Weiberhorden Aiorpatai = »Männertöterinnen«, obwohl die milde Abart mit »Grenzverkehr« kaum um ein Tempo über das in der alten Muttersippe Übliche hinausgeht, wo erwachsene Männer nur schweifend am Saum der Gemeinschaft leben, im Inneren aber höchstens als Gäste geduldet, während die heranwachsenden Knaben durch Exogamie entfernt werden.

Wer im Altertum »Amazonen« sagt, meint immer nur die am Thermodon. Auf ihnen liegt aller Glanz gesammelt. Sie haben ein Reich gegründet, von der sarmatischen Tiefebene bis ans Ägäische Meer, eigentlich durch lauter Präventivkriege, um ihre Eigenart behaupten zu können. Erst bringen sie es fertig, sämtliche Kaukasus-Völker – ein unebener Schlag – einschließlich der albanischen Bergstämme zu unterwerfen, dann kommt der entscheidende Vorstoß ans milde Südostufer des Schwarzen Meeres mit den berühmten Erzlagern, Wäldern voll jagdbaren Wildes, reich an Früchten, Nußbäumen und Wein, die Weideflächen grasreich und betaut. Das wird ihr größter, dauerhaftester Stützpunkt. Er bleibt Reichskern, von dem die Hochkultur ausstrahlt mit der Hauptstadt Themiskyra nahe den Flüssen Thermodon und Iris, von deren Mündung Schiffe direkt ins Mittelmeer gelangen können, und umgekehrt. Das sollte später zum Verhängnis werden, denn selbst bleiben diese sarmatischen Rassestuten völlig talentlos für Navigation, und Schiffahrt der andern brachte ihnen immer Pech. Flüsse sind nur zum Schwimmen erwünscht, besonders der Thermodon, auch Kristallos genannt, mit Ufern aus vollkommen weißen, durchsichtigen Steinchen und einer strahlend blauen Art, die man für Jaspis hält.

Zu Land sind die Thermodontinen unwiderstehlich. Ein Stück Kleinasien nach dem andern wird niedergeritten, bis ans Meer, niedergehauen alles, was sich widersetzt, mit geschwungener, metallner Doppelaxt, daß der strahlige Narbenstern der weggebrannten rechten Brust sich ihnen krampft dabei. Bestialisch bis zum Sieg, betragen sie sich nachher plötzlich konziliant wie Römer. Sanftmut und Weitblick ihrer Regierung lassen sie von den Besiegten Göttinnen gleich verehrt werden. Erfolgreiche Barbareneinfälle hat es ja immer und überall gesetzt, das aber gibt ihrem Ruhm den feenhaften Regenbogenbruch, daß, was jenseits des Don in Eissturm, Wolken, Steppe, bei Väter- und Verwandtenfraß noch nichts war als Bravour, Kontraktion der Poren, Wildheit, Temperament, Rassensubstanz jetzt diesseits der Kulturlinie, ohne zu erschlaffen, zeigt, was an formbildender Kraft in ihm steckt.

Groß und hell beschienen, wird Kühnheit weise auch.

Städtebauerinnen, Stifterinnen von Heiligtümern nennt sie die gesamte ionische Welt. Tempel, Gräber, Städte, ganze Länder haben lückenlos ihre Tradition bewahrt. Eine Reihe wichtiger Handelsplätze, wie Smyrna, Sinope, Kyme, Gryne, Pitane, Magnesia, Mytilene, Klete, Amastris, jede rühmt sich, eine Amazone zur Eponyme (Gründerin und Namengeberin) zu haben. Das berühmteste Kultbild Kleinasiens, die Diana von Ephesus, aus Weinstockholz, mit Schnüren von Rubinen und Schnüren geopferter Amazonenbrüste behängt, geht auf sie zurück. Vor ihm führten sie ihre klirrenden Reigen, Schwert- und Schildtänze auf.

Die Amazonenstatuen unserer Museen sind alle Nachbildungen jener, die Phidias, Polyklet, Kresilas, Phradmon im Wettstreit als Weihgeschenke für Ephesus schufen. Völlig schlicht bleiben die Gesetze der Thermodontinnen auch im Zenit der Macht (etwa fünfzehntes Jahrhundert v. Chr.). Aus jener grundtiefen Verachtung der Frau für alles Jus – nicht zufällig erfindet das männlichste Volk das römische Recht – gelten nur zwei Verbrechen: Diebstahl und Lüge, und als sittliche Forderungen: immer auf Ehe verzichten, kein männliches Kind aufziehen, über alles die Herrschaft des Mannes fürchten, daher ohne seelische oder sinnliche Bindung den Geschlechtsakt wahllos mit einem zufälligen Fremden, nur um der Fortpflanzung willen, üben, jeden Tag in Schweiß und Gefahr sich die Mahlzeiten selbst erarbeiten oder erjagen, nur den Befehlen derer folgen, die durch Wahl oder königliche Abstammung auf den Thron gelangt sind.

Zwei Königinnen verwalten gleichzeitig das Reich; eine im Inneren, während die andre draußen mit der Armee die Grenzen bewacht. Für Menschen einer bestimmten Seelenschicht steht eben ein Staat so natürlich auf zwei Führern, wie der Körper auf zwei Beinen steht.

Als gedeihlich für den Ablauf äußeren Geschehens kommt empfindungsgemäß nur der Dual in Betracht. Hygins Amazonenliste zählt eine ganze Reihe von Doppelköniginnen auf, beginnend mit Marpessa und Lampeto, die nach Unterwerfung der Kaukasusvölker den Stützpunkt am Schwarzen Meer angelegt und das Weltreich in Kantone geteilt haben.

Amazonisches Totemtier ist natürlich das Pferd. Nicht im ganz orthodoxen Sinn, da Iranier, Skythen, Zentralasiaten nicht Totemrassen sind, doch auf mächtig magische Weise als Triebtier der wiehernden Wünsche, durchgängerischen Begierden, wenn ihm vierfacher Blitz aus scheuenden Hufen bricht oder wenn es für Feuer steht, »der glänzenden Zunge der Götter«. Für viele Völker hat es immer auch etwas vom Irrsinn an sich gehabt. Der ganze Iran, Arisch-Indien, Zentralasien, besonders die Amazonen aber stehen in einer tief zauberischen Organverbindung mit ihm. Nicht umsonst enthält die sinngetreue Übertragung ihrer skythischen Eigennamen ins Griechische so viele Komposita mit »hippos« = Pferd, wie Alkippe, Melanippe, Hippolyte, Hippothoe, Dioxippe und viele andre. Auch der Mythos weiß, was er tut, läßt er gerade aus dem Blut der libyschen Amazone Medusa den Pegasus entspringen. Also hatte sie magisches Roßblut in sich, und die attische Komödie, von ihrem Niveau aus, wetzt ja stets den schmierigen Schnabel, wenn es um Amazonen mit ihren Hengsten geht, als ersetzten die ihnen den Mann.

Einmal im Jahr wurde als orgiastisches Weihefest, erst auf einem Granitfelsen im Kaukasus, später auf der schilfigen Aresinsel im Pontus, unter verschwiegenen Bräuchen, ein erlesenes milchweißes Roß geopfert. Die Ähnlichkeit mit jenem indisch-arischen Roßopfer, Asvamedha genannt, einem hieros gamos zwischen Königin und Gott-Tier zur magischen Erneuerung des Volkes, ist kaum zu übersehen.

Bei der mystischen Vertauschbarkeit von Pferd und Amazone war es also doch Muttermilch, eine tiefere geheimnisvollere Art totemistischer Muttermilch, die jene nie normal gesäugten weiblichen Babies sich als erste Nahrung aus den Stuten tranken.

Schäumende Stutenmilch, Honig, stürzendes Blut, Wildpret, ganz »englisch« gebraten, und – Schilfmark, vor Tau und Tag gesammelt, sind die sehr vitaminreiche Nahrung der Erwachsenen. Niemals Brot. Keine Mehlpapp-Esserinnen! Auch nachdem Ackerbauvölker ihnen längst tributpflichtig geworden.

Von diesem »niemals Brot« stammt die älteste griechische Ableitung ihres Namens. »A-maza« = ohne maza, die ohne Gerstenbrot leben. Populärer war das »a-mazo«, vielmehr a-mastòs = ohne Brust, weil diese Drüsen den Mädchen um das achte Jahr durch Applizieren heißer Eisen zum Verdorren gebracht wurden, oder nur im Wachstum beschränkt durch Anlegen von Binden, wie es ja in ganz Japan Brauch ist. Auch die jungen attischen Damen bandagierten die Brüste und hielten sie überdies durch medizinische Mittel (cos naxia) klein. Nur die bis vor kurzem noch ungepflegten Europäerinnen ließen ihre Brüste wild wachsen.

Weit bedeutsamer aber scheint die immer wiederkehrende Versicherung, nur gerade die rechte Brust sei zum Verkümmern gebracht oder ganz entfernt worden. Verweiblichung des Mannes beginnt bekanntlich an der linken, Vermännlichung der Frau an der rechten Seite. Nun besteht die ganze Idee des Amazonentums in einem Rückgängigmachen der ersten, parthenogenetischen weiblichen Tat, jenes urmütterlichen Geschenkes, die Aktivität, aus sich abgespalten, hinzugeben, selbständig nun als Männliches geformt. Amazonen negieren den Mann, vernichten die männliche Frucht, gestehen der Aktivität in Mannesgestalt kein Sonderdasein zu, resorbieren sie vielmehr, leben sie selber aus, androgyn: weiblich auf der linken, männlich auf der rechten Körperhälfte. Also beginnt auf dieser die Entmütterlichung durch Schrumpfung oder Ausbrennen der Brust als Symbolhandlung allerkühnsten Stils. Amazonentum ahmt somit Männliches nicht nach, sondern annulliert es wieder, um, was die »große Mutter« auf zwei Grundformen verteilt hatte, jetzt wieder, und zwar diesmal in paradiesischer Harmonie, selbst zu verwirklichen. Homer hat sehr recht empfunden, wenn er die Amazonen »antianeirai« nennt, was sowohl männerhassend als männergleich bedeutet. Er soll auch ein Amazonen-Epos geschrieben haben. Gegen die Ableitung des Wortes Amazone von »a-mastòs« spricht aber schon die verschiedene Länge der Vokale.

Mit » amazosas« etwa = dem Manne abgeneigt, und »azona« = Keuschheitsgürtel, sollte der Name auch zusammenhängen. Wiewohl nun Etymologie arg der Mode unterworfen ist, soviel scheint wenigstens für heute festzustehen, daß es sich hier gar nicht um ein griechisches, vielmehr um ein griechisch verballhorntes Wort einer fremden Sprache handelt, wahrscheinlich um das tscherkessische »emetchi« = die nach der Mutter zählen (ein Mutterrechtsstamm also!). Im Kalmückischen soll Aëmétzaïne ein gesundes, starkes, heroisches Frauenzimmer heißen.

Ihre Tracht und Erscheinung war nach früher Tradition immer original skythisch. Lange, enge Beinkleider und Joppe, weiche, hohe Russenstiefel, eine phrygische Mütze auf dem kleinen, kühnen Kopf, in dem achatne Augen stehen sollen, grünlich schillernd wie die Flecken auf Reptilienrücken. Die ganze Silhouette wirkt wie nordische Skidreß mit Fliegerhelm. Fast genau nach dem gleichen Modell waren im Sommer 1930, bei den englischen Shaw-Festspielen in Malvern, die Kostüme einer künftigen Menschheit in »Zurück zu Methusalem« stilisiert, nur fehlten jenes sternchenbestickte, nachflatternde Cape darüber, das archaische Vasenbilder manchmal zeigen, die bemalten Waffen, Doppelaxt und Schild.

Späterer Darstellung gehören an: längeres Pelzgewand aus einem Stück, über der linken Schulter geknüpft, rechte Schulter frei, Haare lockig im Nacken geknotet und Russenstiefel. Noch später der statuarische Typ » sterbende Amazone« mit dorischem Chiton und Sandalen, nach Phidias, Polyklet und andern endlos variiert; am allerspätesten, fast barock an zeremoniösem Pathos ist die Abart mit makedonischem Panzer, einer Purpurbinde zwischen die nackten Schenkel gezogen, Kothurnen und dem steigernden Straußfederbündel fremd und vogelhaft über dem Helm. Die Waffen bleiben sich fast immer gleich. Die berühmte Doppelaxt (Sagaris), als androgynes Symbol aller gynaikokratischer Völker, der winzige Schild (Pelta), geformt wie ein fünf Tage alter Mond, Bogen und »Partherpfeile«, kurzes Schwert. Lanzen lernten sie erst durch die Griechen kennen.

Eine zwiefach ungemeine Rolle spielt der Gürtel. Als Wehrgehenk aus Gold und Kristall ist er skythisches Königsinsignum für Herrschaft, von den Ahnen ererbt, in intimerer Form Jungfrauensymbol für Freiheit des sich selbst Gehörens. »Jungfräulich« bedeutet in der ganzen Antike »gattenlos«, nicht »keusch«. Wenn also griechisches Abenteurertum, angelockt durch den Weltruhm des Frauenreiches, etwa um das dreizehnte vorchristliche Jahrhundert, erstmalig mit der Kriegsflotte vom Ägäischen durchs Schwarze Meer direkt in die Mündung des Thermodon bis an die Hauptstadt Themiskyra herauffährt, zu dem erklärten Zweck, den »Gürtel der Amazonen-Königin« zu holen, so heißt das für diese nichts weniger als Entthronung und Schändung.

Nach Übersee kommen die Griechen der Heroenzeit ja immer als Plünderer, um, wenn auch scharmant eingekleidet, sich zu nehmen, was anderen Leuten gehört, wie das »Goldne Vlies« im Argonautenzug, den »Gürtel« als neunte Arbeit des Herakles. Fast unübersehbar variiert die Überlieferung das »Wie« des Raubes, der aber als solcher kaum bemäntelt wird. Entweder überfallen Herakles und Theseus auf gemeinsamem Zug das unbeschützte Themiskyra mit seiner Königin Hippolyte, während Oreithyia, die andre Königin, mit der Armee an der Reichsgrenze liegt. Die kleine Garnison wird überwältigt und niedergemacht, Hippolyte durch Herakles des Gürtels beraubt, indes Theseus eine dritte Schwester, Antiope, mittels List, Liebe oder Gewalt auf seinem Schiff entführt. Mit beiderlei Beute segeln sie ab. Oder nach anderer Überlieferung ereignet sich dies alles auf getrennten Zügen, der Raub des Gürtels durch Herakles, der Raub der Amazone durch Theseus. Was dann folgt, ist immer Vergeltung für Raub.

Oreithyia, von dem frechen Überfall benachrichtigt, stürmt mit der Armee zurück, kommt zu spät, findet die Feinde entflohen und rüstet sofort die Strafexpedition nach Griechenland aus. Sie zieht über den gefrorenen kimmerischen Bosporus, erreicht auf den nördlichen Straßen Athen, dringt bis mitten in die Stadt, besetzt den ganzen Areopag, belagert die Akropolis. Daß sie mit dem Heer schon innerhalb Athens war, wird nach den Atthidenschreibern durch die Namen der Örtlichkeiten, durch die Gräber der Gefallenen, ferner durch Tradition von Fest- und Kultgebräuchen bezeugt. Lange zögerte man auf beiden Seiten mit dem Entscheidungskampf, bis Theseus ihn nach einem günstigen Orakel begann. So fiel diese Schlacht, von der jedes Detail verzeichnet steht, in den Monat Boedromion, »und dafür opfern noch bis heute die Athener die Boedromien«. (Plutarch.) Die einen schildern den Ausgang als vernichtend für die Belagerer, nach andern wurden die Athener bis zur Eumeniden-Schlucht gedrängt. Schließlich soll eine Art Vergleich zustande gekommen sein. Er wird durch den Eidschwur: Horkomosion, das von altersher vor den Theseen dargebrachte Opfer bezeugt; dabei war es Sitte, auf die Gefallenen, besonders die im Amazonenkrieg Gefallenen, Lobreden zu halten. Jedenfalls aber zog das stark reduzierte Frauenheer ab, ohne sein Ziel, die rächende Vernichtung der Griechen, erreicht zu haben.

Eine Allee von Gräbern zeigt den Rückweg der armen »Götterkinder« an, beginnend mit jenem am itonischen Tor, beim Tempel der »himmlischen Erde« (Mond), wo die geraubte Amazone (Antiope oder Hippolyte), an Theseus' Seite kämpfend, für diesen Verrat von der Molpadia getötet wurde, bis hinauf durch ganz Thrakien, wo Oreithyia stirbt, aus Gram und Schmach über die desaströsen Folgen ihrer Belagerung Athens, denn » von hier wich alles, wie wenn ein Seil reißt, zurück«. (Aristeides.) Die Glückssträhne ist abgerissen. Nur Reste des Volkes erreichen die alte Heimat, das sieghafte Prestige ist weg, bei frischen Unruhen und Nomadenwellen läßt sich das reine Frauenreich nicht unvermischt zur Gänze halten. Es bröckelt ab. Was sich hält, ist der Todhaß gegen alles Griechentum, so sehr, daß selbst mehrere Generationen später (1190) unter Penthesilea eine Eliteschar den Trojanern zu Hilfe eilt, obwohl Priamos selbst in seiner Jugend die Amazonen bekriegt hatte.

Um das Ende der Penthesilea noch am toten Achill zu rächen, versucht ein Trupp ihrer Genossinnen sein Heiligtum auf der Mondinsel Leuke im Schwarzen Meer, der Donaumündung gegenüber, zu zerstören. Doch auch dies mißlingt, die weißen Rosse der Amazonen reißen sich los, die Schiffe zerschellen im Sturm. Die Frauenheere verschwinden wieder zurück ins Skythenland, nach vier großen, denkwürdigen Kriegen. Thalestris scheint ihre letzte reguläre Königin gewesen zu sein. Die Rede geht, sie habe zwecks »Grenzverkehr« Alexander den Großen durch dreizehn Nächte aufgesucht. Damals galten die Albaner für Nachbarn der Amazonen.

Von dem Reich am Thermodon wird es langsam still. Die Gestirne ihrer Hochkultur sind abgestrahlt. Zerstreut, in kleineren Trupps flitzen sie noch hier und dort durch die Berichte. Soldaten des Pompejus sollen unter den Verbündeten des Mithridates Amazonen gefunden haben, und am Schwarzen Meer geistern noch lange Spuren ihres Wesens. Als Erzbischof Lamberti (Recueil de Thevenot) im Kaukasus war, erhielt Dadian, Prinz von Mingrelien, Nachricht, aus dem Gebirge seien drei Gruppen von Völkern hervorgebrochen gegen die Moskowiter der Umgegend, man habe den Angriff zurückgeschlagen und unter den Toten eine Mehrzahl von Frauen gefunden. Der Bote überbrachte Waffen und Kleider dieser Kriegerinnen: Helm und Küraß aus Stahlplättchen, überaus beweglich und anschmiegsam, darunter eine Art kurzen Rockes aus Purpurserge, weiche, hohe Russenstiefelchen, mit Sternchen bestickt, die Pfeile vergoldet, mit sehr feiner Stahlspitze, doch wie eine Schere breit. Diese Amazonen wurden oft im Kampf mit Tataren und Kalmücken angetroffen. Dadian versprach hohe Belohnung dem, der ihm so eine Frau noch lebend finge. Nie gelang es. Auch der Chevalier Chardin (Voyage en Perse) berichtet über Amazonen, von denen dort die Mär geht. Der Fürst von Georgien erzählte dem Chevalier, daß fünf Tage gegen Norden ein großes Volk in ewigem Krieg mit Tataren und Kalmücken liege. Es sei ein Volk herumirrender Skythen, beherrscht von Frauen zu Pferd.

Da stirbt direkte Spur. Das greifbar Letzte sind jene den Leichen abgestreiften kleinen, weichen Russenstiefel, sternchenbestickt, in eines Prinzen Hand.

In Attika aber beginnt gleich nach der Befreiung Athens etwas, was nach Siegen ohne Beispiel ist: die Vergottung der Besiegten. Tempel werden ihnen erbaut, Opfer gespendet, Priesterdynastien eingesetzt, Feste gestiftet. Jeder Fleck, wo sie lebten, wo sie fielen, wird Weihbezirk mit Säule und Kranz, eingefügt von einem tieferen Eros dem Heroenkult der eigenen Ahnen.

Der griechisch-pelasgischen Welt waren sie wie ein Wunder erschienen, sterbliches Maß überfliegend, gefährlicher als alle übrigen Völker zusammen und irgendwie aufwühlender auch. Bei den Feiern zu Ehren Gefallener preisen Demosthenes, Lysias, Himerios, Isokrates, Aristeides im prunkenden Kanzleistil der großen Rhetorik ihre Überwindung höher als die Persersiege, höher als jede andre historische Tat. Einmal sagt Himerios auch deutlich, warum. Thraker, Perser und andre Feinde habe man nur aus dem Lande, » die Amazonen aber aus der menschlichen Natur vertrieben«.

Ob Griechen Perser oder Perser Griechen überwinden, das bleibt schließlich immer noch Geplänkel auf der gleichen Seite. Eine Abart »Mann« hat sich gegen eine andre Abart »Mann« durchgesetzt. Beim Amazonenkampf aber ging es darum, welche der beiden lebendigen Urformen, aus denen das Werden hervorbricht, hier auf europäischem Boden sein Weltbild prägen dürfe. Die Menschheit steht gespalten nicht in Rassen, sondern in »Söhne« und »Töchter«, und sie schmettern ihr reines »Ja« und »Nein« erschütternd gegeneinander. Erschütternd auch für den männlichen Sieger, der jetzt zum erstenmal das Polar-Ebenbürtige erlebt und seiner Werte tiefstes Rätsel spürt.

Keiner Mutter, keiner Gattin, keiner Hetäre bleibt die griechische Phantasie so unlösbar nachtwandlerisch verhaftet, wie diesen feindlichen Schwestern vom andern Pol, Töchter des Mars und der Harmonia genannt. Kaum aus »der Natur vertrieben«, kehren sie als Siegerinnen in den Seelenraum zurück. Dort setzt dann ein magischer Geschlechtswechsel ein. Was den seelischen Nachbildern der »männergleichen« Amazonen entstrahlt, davon läßt »frauengleich« ganz Hellas sich befruchten. Jede Form geht plötzlich mit ihrem Wesen schwanger. Nach der Vertreibung hebt die Allgegenwart an.

Auf Sternbildern und auf Sarkophagen stehen ihre Namen, durch Pindarsche Oden sprengen sie auf ihren Hengsten, schreiten mit Äschylus und Euripides durch die Tragödie, fließen aus Mikons Pinsel über die Wände der Stoa Poikile, der Stadthalle am Markt von Athen. Den beiden höchsten nationalen Heiligtümern verleihen sie Relief, von Phidias gemeißelt am Schild der Athena Parthenos und am Thron des olympischen Zeus.

Ein Jahrtausend lang gab es keine größere Schmeichelei, als einen Mann »Amazone« zu nennen. Um den Kaiser Commodus zu ehren, rief ihm das Volk bei öffentlichen Spielen zu: »Du bist der Herr der Welt, der erste unter den Fürsten, überall ist das Glück deinen Waffen hold, dein Ruhm kommt dem der Amazonen gleich

Die Libyerinnen und andere Amazonen

Denn da dieses Amazonengeschlecht viele Menschenalter vor dem Trojanischen Krieg völlig verschwunden ist, das am Flusse Thermodon hingegen erst kurz vor jener Begebenheit geblüht hat, so haben natürlich die späteren, welche mehr bekannt wurden, den Ruhm der älteren geerbt, die nun durch die Länge der Zeit fast gänzlich vergessen sind.

Diodor

 

Unser Staunen und unser Unglaube regen sich namentlich, wenn uns merkwürdige Erscheinungen ganz vereinzelt entgegentreten. Beschwichtigt wird es, sobald mehrere, ähnliche Beispiele zusammengestellt werden.

Strabo

 

Junge »Tochterreiche« kompromißlos amazonischer Art brauchen mindestens drei Komponenten: eine zeitliche, eine rassische, eine räumliche. Sie scheinen an bestimmte Perioden der Entwicklung gebunden, an bestimmte Rassen, die zum Amazonentum prädisponiert sind, und aufgegipfelt werden sie schließlich zu Spitzentypen in bestimmten Räumen, aus denen sie, im reifen Augenblick, völlig fertig hervorstürmen zu Größe, Bahn und Schicksal. Doch sind auch die Gestirne ihrer Hochkultur längst abgestrahlt, im Kerngebiet jenes engeren Lebensraumes schwelt etwas von ihrem Wesen fast unzerstörbar weiter, bricht trotz Ungunst der Zeit sogar ab und zu als schmale Stichflamme immer wieder hervor, falls das Blut nur halbwegs durchgehalten hat.

Im reifen Augenblick hervorgestürmt wird aus jubelnd bejahtem Trieb. Menschensorten, die nur unter äußerm Zwang sich verlagern, sind ganz anders geartet. Sämtliche Völkerwanderungen also automatisch auf Druck, asiatisch-europäische mit Vorliebe auf »Mongolendruck« zurückzuführen, heißt herdenhaft schließen. Die Wikinger fuhren so hochgemut nach England, Frankreich, Spanien, Afrika, Amerika, wie Admiral Byrd, ein Luftwikinger, an den Südpol fuhr – also nicht eben unter » Mongolendruck«.

Als »paideumatisches Raumphänomen« war das Amazonentum, soweit bisher bekannt, im letzten weiblichen Weltalter zweimal auf gegipfelt: am Kaukasus bei Eishörnern über Urgestein, bei Goldsand und Metall, in Nordsteppe und Sturm, stilisiert in Skidreß, phrygischem Helm, Russenstiefeln; lange vorher am Fuß des Atlas, wieder in einer Umwelt des Außerordentlichen, unter aufgerissenen Kratern und afrikanischen Sonnen, in Wüsten und Weideland, doch irgendwie schon angeweht von der Weite des Atlantik, aus dem, seidig-glasig, die grünen Brecher heranrollen. Zuerst dorthin, nach Westen, treibt es sie. In grellroten Lederpanzern, Schuhen aus Schlangenhaut, die Schilde mit Pythonleder bespannt, galoppieren sie los. Die erste Etappe scheint dann für längere Zeit die Gegend am Tritonsee, vielleicht des Sees Melrir, mit dem Wadi-el-dschedi geblieben zu sein und einer großen, offenbar vulkanischen Insel in der Mitte, reich bepflanzt, und besiedelt von den »Ichthyophagen«, einem fischessenden Äthiopenstamm. »Auch sollen dort gewaltige Feuerbrände vorgekommen sein, und es gab viele Edelsteine von den Arten, die bei den Griechen Anthrax, orientalischer Rubin, Sard und Smaragd heißen.« Nach einer Version ist das, was damals Tritonsee hieß, später durch Erdbeben verschwunden. Dabei wurde das Land angeblich aufgerissen bis zum Atlantik. Die Amazonen gründeten am See eine große Stadt, hielten Herden, ignorierten, wie überall, den Ackerbau, lebten von Milch und Fleisch, bekamen bald Lust zu kühneren Unternehmungen und eroberten einen großen Teil von Libyen und Numidien. Eines Tages stießen sie dann unvermutet auf eine überlebende Kolonie der Atlantier, außerordentlich zivilisierte, feine und müde Leute.

Auch Herodot spricht von Atlantiern, doch näher dem Atlas zu, und vermengt ihren Namen mit dem des Berges. Unmöglich, so ein hochgebettetes, aber stagnierendes Meerauge längst abgerollter Kulturflut zarter als Gebilde zu bewahren, als antike Tradition das tut, wenn sie, es gleichsam in die hohle Hand schöpfend, behutsam mit den Worten weitergibt: » Sie sind das gesittetste Volk der Welt, sie essen keine lebenden Wesen und haben keine Träume mehr,« also nichts mehr zu verdrängen, sind ohne Wunsch und Furcht, mit völlig sublimiertem oder – erstorbenem Triebleben. Von der Atlantis, ihrer Paradiesischkeit, beschützt von Ringmauern aus leuchtendem Bergerz, sagt Plato im Kritias: »Viele Generationen lang gehorchten die Bewohner den Gesetzen und waren für alles Göttliche empfänglich. Aber mit der Zeit blieben sie nicht mehr imstande, ihr Glück zu ertragen, sondern entarteten.« Daher Katastrophe und Untergang, denn die Umwelt entartete mit. Das Versinken der Atlantis soll in europäischer Richtung als Deukalische Flut und im Aufreißen vieler Erdspalten, auch jener zu Athen, nachgewirkt haben.

Die libyschen Amazonen, selbst gerade in stürmischer Formung begriffen, treffen im Nordwesten auf eine erhaltene Festlandskolonie der Atlantier, die ihnen mächtig imponiert, und von der sie manches lernen. Nachdem das Frauenheer sich anfangs wild gebärdet und vieles zerstört hat, baut es beschämt die Hauptstadt wieder auf, schließt sogar mit den Überfallenen ein Bündnis. Ganz Nordwestafrika scheint damals amazonischer Stämme voll gewesen zu sein. Diodor sagt darüber: »Es hat in Libyen mehrere Geschlechter streitbarer Weiber gegeben – die Gorgonen, gegen die Perseus zog, werden als ein Volk von ausgezeichneter Tapferkeit geschildert.« Der atlantischen Kolonie waren sie von jeher aufsässig. Diese bat, nach dem neuen Bündnis, die Libyerinnen um Hilfe. So kam es zum Krieg von Amazonen gegen Amazonen. Dreißigtausend libysche Reiterinnen unter Myrine lieferten den Gorgonen eine blutige Schlacht, siegten und machten eine Menge Gefangene. Zuviele sogar. Die Siegerinnen wurden aus Freude über den restlosen Erfolg nämlich sorglos; so kam es bei Nacht zum Aufstand der Gefangenen. Viele Libyerinnen starben, ehe die Gegner wieder überwältigt, umstellt und niedergemacht waren. Die Leichen ihrer Kriegerinnen ließ die Königin auf drei ungeheuren Scheiterhaufen verbrennen und über der Asche Hügel und Denkmäler errichten. Zu Diodors Zeiten existierten diese noch, wurden auch stets als Amazonengräber gezeigt. Der Gorgonenstamm erholte sich später wieder, wuchs an Macht, wurde in der griechischen Heroenzeit, wie die Thermodontinnen am Schwarzen Meer viele Generationen nachher von Theseus, so hier in Afrika von Perseus überfallen, der die Gorgonenkönigin Meduse tötet. Daß Eigennamen wie Myrine und Meduse sinngemäße griechische Übersetzungen aus dem Altlibyschen sind, braucht wohl kaum mehr der Erwähnung.

Nach dem Gorgonenkrieg beginnt Myrine ihren Zug von alexanderhaftem Ausmaß, friedlich durch ganz Ägypten, kriegerisch durch Arabien. Sie unterwirft Syrien, Groß-Phrygien, alle Länder der Meeresküste entlang und macht endlich den Kaïkos zur Reichsgrenze. In den riesigen, neu eroberten Provinzen sucht sie überall nach geeigneten Plätzen zum Städtebau. Da viel später, etwa im vierzehnten Jahrhundert v. Chr., die Thermodontinnen von dem Strahlungsgebiet am Schwarzen Meer aus die gleichen Länder erobern, bleibt es schwer, die verschiedenen Gründungen, wie Kyme, Pryene, Pitane, Smyrna, Paphos, Magnesia, Synope, Hieropolis, Pythopolis, Thiba, Amastris, auseinanderzuhalten, da die Städte selbst zwar die Amazonentradition durch Kultbilder, später Münzen, mit Stolz hüten, nicht aber überliefern, ob es sich gerade um Thermodontinnen oder Libyerinnen gehandelt habe. Die Inseln, wie Samos, Lesbos, Pathmos und Samothrake, scheint Myrine erobert zu haben. Weil die Amazonen, geborene Reiterinnen, zur See immer Pech haben, wurden auch die libyschen einmal vom Sturm überfallen und an eine menschenleere Insel verschlagen. Nach einer Erscheinung im Traum nennt Myrine die rettende Insel Samothrake, weiht sie der Göttermutter, stiftet ihr Mysterien und den weltberühmten Kult der Kabiren, Tempelopfer und Altäre, macht das ganze Gebiet zur Freistatt. Auch Ephesus, nach einmütiger Überlieferung aber eine Gründung der Thermodontinnen, wo sie ihre klirrenden Reigen um die Dianastatue mit den geopferten Amazonenbrüsten tanzten, war Freistatt, weshalb in Ephesus niemand dem andern Geld lieh. Später dringen Thraker und Skythen vereint von Norden in das libysche Kolonialgebiet ein. Myrine fällt in der Schlacht, das restliche Amazonenheer gibt das Weltreich auf und kehrt in die nordafrikanische Heimat zurück.

Von den libyschen Amazonenstämmen scheinen nur die Gorgonen ganz orthodox, im Sinn der Thermodontinnen, geraten zu sein, denn nur auf sie fällt die Gnadenwahl, in den Mythos einzugehen. Ihm entspringt aus dem Blut, dem magischen Roßblut der Meduse, der Pegasus. Nur von der Pallas, und wen sie beschützt, läßt er sich lenken. Auf die Libyerinnen unter Myrine fällt die Wahl nicht, trotz Weltreich und alexanderhaftem Zug. Sie hatten auch, wenigstens in den Zeiten am Tritonsee, nie die ganz verwegen-reine Eigenform des Amazonischen ausgelebt; denn war auch die Armee streng weiblich, so gab es doch Männer als Gatten im Land. Für die rechtsseitig entbrüsteten Mädchen bestand allgemeine Wehrpflicht, sie mußten eine Reihe von Jahren Kriegsdienst tun und jungfräulich bleiben. Dann traten sie in die »Landwehr« und konnten mit Männern verkehren, um ihr Geschlecht fortzupflanzen. Regierung und Stellen von Belang behielten sie sich allein vor. Im Gegensatz zu dem Reich am Thermodon aber lebten männliche Sexualpartner ständig in der Gemeinschaft, wenn auch zurückgezogen. Öffentlich durften sie nicht auftreten, sie nahmen an Feldzügen ebenso wenig teil wie am Staat, hatten auch nirgends dort dreinzureden, »wo sie, durch ihren Manneswert zu Stolz entflammt, den Weibern hätten zusetzen können.« Dafür übergab man ihnen, wie den Ägyptern, Kamtschadalen, manchen Indianern, die neugebornen Säuglinge zur künstlichen Aufzucht, hier mit Stutenmilch.

Dem alten Stricker, noch ohne Ahnung von der Häufigkeit dieser Arbeitsteilung, wird es ums Jahr 1868 ganz wirr im Kopf ob solcher »Fabeleien«. »Wir finden also hier noch etwas Unnatürlicheres als den männerlosen Weiberstaat, nämlich die Gynaikokratie, die Herrschaft der Weiber über die Männer, ausgebildet bis zur weibischen Erziehung der Knaben.«

Der ziemlich späte Diodor, mit seiner Schilderung der sehr weit zurückliegenden Kämpfe zwischen Gorgonen und Libyerinnen, des Zuges nach Kleinasien, der Zustände am Tritonsee, will sein Werk nur gewertet sehen als neues Rohrstück zur treulichen Weiterleitung längst gefaßter, uralter Geschichtsquellen. Herodot, der alles selber sieht, findet noch im sechsten vorchristlichen Jahrhundert am gleichen Tritonsee die Zustände in manchem verblüffend ähnlich vor, wenigstens was die Reste des Kriegerischen und ihre Bedeutung für die Mädchen betrifft. »An die Machlyer grenzen die Ausen, welche mit jenen um den tritonischen See wohnen. Der Athene (der großen jungfräulichen Göttin) wird jährlich ein Fest gefeiert. Ihre Jungfrauen teilen sie in zwei Haufen, und diese streiten gegeneinander ..., sie erweisen damit, wie sie sagen, der Göttin, welche bei ihnen geboren worden ..., eine von altersher gebräuchliche Ehre. Jungfrauen, welche an ihren Wunden sterben, halten sie nicht für reine Jungfrauen. Ehe sie zu kämpfen aufhören, beobachten sie folgende Gebräuche: die Jungfrau, welche sich am besten hält, schmücken sie mit einem korinthischen Helm und mit einem griechischen Panzer, setzen sie auf einen Streitwagen und führen sie rund um den See herum. Was für Waffen aber vorher die Jungfrauen angelegt haben, ehe die Griechen sich bei ihnen niedergelassen, kann ich nicht sagen. Ich glaube aber, daß sie ägyptische Waffen getragen haben. Denn ich behaupte, daß Schild und Helm von den Ägyptern auf die Griechen gekommen sind ... Die Kleider und die Schilde (Aegides) mit dem Bildnisse der Athene haben die Griechen von den Libyern angenommen, nur daß die Kleidung der libyschen Bildnisse von Leder ... ist. Das andre ist alles auf einerlei Weise eingerichtet. Auch der Name zeigt an, daß das Kleid der Pallasbilder aus Libyen kommt, denn die libyschen Weiber tragen rotgefärbte Ziegenfelle mit Bändern über ihrem Kleid. Von diesen Ziegenfellen, Aigeon, haben die Griechen die Schilde der Pallasbilder Aegides genannt.«

Also genau wie nach alten Geschichtsquellen bleibt auch im sechsten Jahrhundert der Zusammenhang von Kriegsdienst, hier nur mehr Kriegsspiel, wenn auch zuweilen mit tödlichem Ausgang, und der dazu erforderlichen Jungfräulichkeit bestehen. Auch der Dienst einer einzigen großen Göttin. Die roten Lederpanzer über dem Kleid werden zu Herodots Zeit ebenfalls von den Frauen getragen, und sogar die Rüstung der Pallas Promachos, der »Vorkämpferin«, geht auf diese libysche Amazonentracht zurück. Für wunderbar blutrotes Leder, »maroquin« von besondrer Qualität, ist Marokko, das alte Libyen, heute noch ebenso berühmt. Strabo, wieder sechshundert Jahre später, der das Land nur noch in der Zivilisationsphase kennt, findet seine Frauen nicht als Kriegerinnen, doch politisch völlig herrschend, die Männer noch immer ohne jede Bedeutung im Staat, hauptsächlich mit ihrer Toilette und Frisur beschäftigt, gierig danach aus, sich mit möglichst viel Goldschmuck zu behängen; doch auch die Damen – es wird gerade eine hohe Periode der Zivilisation durchlebt – erscheinen geschmückt und gepudert. Was heute Berber, blonde Berber, heißt, ist, abgesehen von etwas arabischer Beimischung, identisch mit den alten Libyern. Dem Atlas zu, wo sie sich am reinsten erhalten haben, sind sie auch am stärksten gynaikokratisch geblieben. Bei einzelnen Tuareg-Stämmen verwalten nur die Frauen das Kulturgut und kennen altlibysche Schrift wie Literatur; die Männer gehen verschleiert und bleiben mit Genuß Analphabeten, zeichnen sich aber auch sonst in keiner Weise aus.

Afrika zeigt eine ganze Musterkarte des Amazonischen. Unabhängig von den antiken nordwestlichen Stämmen gab es die Gager. Sie zogen überhaupt keine Söhne auf, vernichteten ganz im klassisch-amazonischen Stil jede männliche Geburt, bis zur Bekehrung durch die Missionare, »erhielten von Königinnen ihre Verfassung, nahmen von Königinnen Gesetze an und machten unter Königinnen die größten Eroberungen«. Der arabische Schriftsteller Magrizi schildert die Bedscha, einen hamitischen Amazonenstamm zwischen Nil und Rotem Meer. Die Frauen verfertigten herrliche Lanzen nach streng gehüteten Verfahren und töteten jede männliche Geburt. Eine Mittelstellung haben die weiblichen Prätorianergarden, wie in Monopotera. Sie leben für sich, in einer eigenen Provinz und bestimmen die Königswahl. Mischformen an der Grenze des Amazonischen sind in Afrika unübersehbar, genau wie im Kaukasusgebiet. Herodot nennt dort die Sauromalen, jenseits des Don, Mischlinge aus Amazonen mit Skythenjünglingen, die von den schönen Kriegerinnen nicht lassen wollten und ihnen nachzogen. Die Nachkommen, eben Sarmaten, behielten zum Teil amazonische Bräuche. Keine Frau durfte heiraten, bevor sie drei männliche Feinde getötet hatte. Ganz der gleiche Brauch herrschte bei dem iranischen Volk der Sigynnen, das an der Donau beheimatet war. Von den Sarmatinnen sagt Plinius: »Einige sterben alt, ohne geheiratet zu haben, weil sie dieses Gesetz nicht erfüllen konnten.« Mit dem Kulturwandel ändern sich wohl auch sonstige Sitten, trotz amazonischer Grundhaltung. Die Skythen, selbst die »echtesten«, sind nicht mehr abergläubisch, sondern längst abgekommen von dem bösen Omen schlechtschmeckender, mit Rindfleisch verkochter Väter. Man wird Globetrotter und geistreich. Solch ein skythischer Herr, zu Besuch im klassischen Athen, bemerkt witzig, daß »die Weisen dort reden, doch die Einfältigen beschließen«.

Auch wo Frauen bei den nordosteuropäischen Reitervölkern kaukasischer Rasse nicht rein weibliche Heere bilden, werden sie in gemischter oder gar männlicher Armee gern zu Anführern gewählt. Die Skythin Zarina war als Siegerin in Entscheidungsschlachten großen Stils, wo es um die Existenz des ganzen Volkes ging, ebenso berühmt wie die Massagetin Tomyris. Litauen hatte weibliche Kavallerie, und in den alten Gräbern des kaukasischen Terekgebietes finden sich Frauenleichen in voller Kriegsausrüstung. Von einem ganz exklusiven Frauenreich im Osten des Landes »Rus« mit Vernichtung jeder männlichen Geburt berichtet noch in später Zeit ein spanisch-arabischer Jude. So schwelt um den Strahlenkern am Kaukasus das Amazonische gedämpft weiter. Zur hohen Zeit der Tochterreiche aber waren Kleinasien, Mesopotamien, Arabien mit jungen Reiterinnen überschwemmt; auch in Italien lebt ihre Tradition, Klete ist Amazonengründung. Bleibend in den panhellenischen Kult verwoben, mehr noch als die eigenen Heroengeschlechter, aber werden ausschließlich die Thermodontinnen. Sie selbst, nach der Bekanntschaft mit der griechischen Götterwelt, stiften den Kult des Apollo Amazonios: reiner, geschlechtsferner Geistbruder der jungfräulichen Jägerin Diana. Von Dionysos, dem »phallischen Herrn«, dagegen wollen sie natürlich nichts wissen, auch der Mythos nennt ihn ihren Erzfeind.

Von den asiatischen Unternehmungen ist der Zug der Amazonenkönigin Eurypyle gegen Babylon, und daß sie die Hauptstadt des Amoriterstaates 1760 v. Chr. erobert hat, jetzt aus dem »Sagenhaften« ins Historische gehoben worden. Er beweist Amazonenheere schon lange vor der Gründung am Thermodon. Das einzige echte Frauenreich Mitteleuropas, jenes der Libussa und Valeska und ihres böhmischen Mädchenkriegs, hat Aeneas Piccolomini, der spätere Papst Pius II., in seiner »Historia bohemica« behandelt. Zusammengehalten mit gynaikokratischen Zügen so vieler slawischer Sagen und verstreuter Geschichtsfetzen, in Skandinavien und Irland, kann es, wenn auch unbewiesen, wenigstens für nicht unwahrscheinlich gelten.

Hier ist nicht Raum, die Vereinigung geistlicher und kriegerischer Ämter in den Händen von Frauen zu beschreiben, etwa jene mexikanischen Hohenpriestertums mit dem Oberbefehl einer Armee; auch geht es nicht an, in Dutzenden von Einzelfällen aus verschiedenen Nationen und Zeiten, besonders der deutschen Befreiungskriege, Frauen als kriegerisch ausnehmend begabt aufzuzeigen, mag es auch nicht ohne Reiz sein, sich die Szene in einer Garnisonskirche auszumalen, wo im Beisein von Generalen und ihrem Stab 1816 die feierliche Trauung zweier Unteroffiziere stattfand: des vielfach dekorierten Unteroffiziers Sophie Dorothea Krüger vom Regiment Kolberg und des Unteroffiziers Karl Kohler vom Garde-Ulanen-Regiment. Weibliche Soldaten hatten überall bei ihren Kameraden erotischen Riesensucces, Irokesen gaben einer Frau nach kriegerischen Taten sogar den offiziellen Titel »Geliebte«. Für einen »Umriß weiblicher Reiche« aber bleibt es sich ziemlich gleich, ob Frauen in Einzelfällen den Krieger- oder den Briefträgerberuf ergreifen. Bedeutsam wird hier Amazonisches erst als heroisches Mittel, das weibliche Weltbild zu prägen, rein erhalten in seiner Form vor männlichen Attacken. Tatsächlich hat es sich als das einzig Wirksame bewährt. Bei dem Kompromißversuch der Bruder-Schwester-Reiche nach Ablösung von der alten Muttermacht, verdrängt der Bruder die Schwester regelmäßig in dem Maß, als überbetonte ratio die Magie verdrängt, Königtum zur profanen Machtfrage wird.

Die extremsten aller bisher bekannt gewordenen Tochterstaaten: die antik amazonischen, galten so lange für ärgerliches Gefasel, bis eine erdumspannende Völkerkunde das große Loch im Verständnis für sie ausgefüllt hat mit Zwischenstufen jedes Grades. Mehr noch: damit der Lebensfächer heute voll entbreitet stehe, braucht er nötig jene »sagenhaften« Jungfrauenvölker als natürlichen linken Saum. Gäbe es sie nicht, müßten sie angestückelt werden mit Hilfe der Phantasie.

Das kann aber doch wieder kein Mensch so, wie das Schicksal von vorneweg dergleichen machen kann, so völlig unvoraussehbar und gerade recht. Ist auch nicht nötig, sie sind ja da; alles ist greifbar da, sobald es begriffen zu werden vermag. War es denn anders in der Chemie? Vor Entdeckung des periodischen Systems lagen überall überflüssige Elemente unbekömmlich herum; niemand wußte, wohin damit, keiner kannte sich aus. Kein Wunder, daß der Fachmann geflissentlich von ihnen absah. Durch ihre Anordnung nach Atomgewichten kam jedes streunende Element auf einmal brav »in die Reihe«, nein – umgekehrtes Dilemma – jetzt schien es, als reichten sie kaum. Wo etwas hätte sein sollen, blieben Plätze frei. Doch Löcher im Kosmos gibt es nicht. Nirgends setzt der strahlende Rhythmus aus. An jeder – vermeintlich – leeren Stelle steht, nur bisher unerkannt, von Anbeginn im stillen schon, was hingehört.

Bis zur Jahrhundertwende stand das Amazonen-Phänomen so »aus der Reihe«, daß sein Stoff sich hartnäckig gegen jede Glaubwürdigkeit zu sträuben schien. Damals hatte ein gemäßigter Kosmos in jeder Branche dreieinhalb Prozent an zahmem, geregeltem Geschehen auszuschütten. Etwas wie eine Katastrophentheorie in der Erdkunde war so wenig genehm, wie Exzentrik beim Kulturablauf. Die Parze durfte ihre Schicksalsfäden nur zu Schutzdeckchen verhäkeln, nur das Wahrscheinliche durfte Wahrheit sein.

Heute können Amazonenreiche wie das am Thermodon begriffen werden als eine notwendige Schöpfung aus feurigster Askese, als heroische Methode zur Schaffung leidenschaftlicher Eigengestalt von völlig neuem Rang, »geprägte Form, die lebend sich entwickelt«.

Was die Mitte und das Mittlere »Entartung« oder »Übertreibung« nennt, ist ja allemal erst die eigentliche Erfüllung gewesen.


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