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Schon das Wort »Reich der Mitte« gab die Suggestion von ewig Ausgewogenem. Ein fertig geborenes Gebilde schienen Sina und sein Sohn des Himmels dem Europäer, bis er, langsam umlernend, zu der Erkenntnis kam, daß gerade China unter der scheinbaren Einform der Monarchie die interessantesten sozialen Experimente, Umgruppierungen, selbst Umstürze durchprobiert hatte.
Aus diesen Wirbeln taucht auch die Frau in verschiedenen Spielarten, bis ihr Kontur süß erstarrt. Die Tataren Dschingis Khans und Timurs fanden die Straßen voll leichtbekleideter, freier und natürlicher Wesen, ohne »Lotosfüße«, die Jesuiten dagegen so keusch gezüchtete Hauskrüppel, daß schon die Taufe als indezente Handlung auf sie wirkte. Die hübschen Bildchen von katholischen Heiligen mit bloßen Füßen und wallendem Hemd, dessen Ärmel von ekstatischen Armen zurückfielen, wurden zwar betrachtet, doch einzig als Pornographie, was nicht in der Absicht der Bekehrer lag. Auch der wundervolle Stil der Kurtisanen hielt, gerade infolge raffinierter Sexualität, außerhalb der Liebesstunde auf erlesene Distanz.
Die stilbildende Kraft, mit der das zu unumschränkter Herrschaft gelangte Vaterrecht, allerdings nur in den oberen Schichten Chinas, die Frau zwang, sich sogar in zwei Varianten zu spalten: legitime Gebärerin und »Tochter der Blumen«, hoa-niu, ist für den Betrachter ein exquisiter Genuß, wie alle hohe Form; was hingegen mit dem Schlagwort »Stellung der Frau« bezeichnet zu werden pflegt, so sah es damit vielleicht in keinem Land und zu keiner Zeit, trotz höflicher Umgangsformen, so übel aus wie in »China während seiner Hochkultur, ganz abgesehen vom Töten weiblicher Kinder, um die hohen Kosten späterer Hochzeit zu sparen, während Söhne, des Ahnendienstes wegen, als hochwillkommen galten. Ein wohlgebornes Mädchen verließ nach dem siebenten Lebensjahr kaum mehr das Haus, blieb völlig unwissend, die Heirat war eine ökonomische und soziale Angelegenheit, vereinbart zwischen den beiderseitigen Familien, die Ehe selbst eine Sache der Fortpflanzung fast ohne menschliche Verbundenheit, ganz auf Sicherung der legitimen Vaterschaft gestellt. Im Haus also: Würde, Reinheit des Blutes, Beschränkung, gehorsame Treue, verkörpert in der »großen Frau«, der dann im Lauf der Zeit Nebenfrauen beigegeben
werden. Außer dem Haus: beseelte Sinnlichkeit der infantil gewollten »freien Frauen«, feinste Auslese an Anmut und erotischem Talent. Vom Standpunkt des Vaterrechts eine logische und radikale Befriedigung all seiner Ansprüche, die mit einem einzigen weiblichen Typus kaum je ihr Auslangen finden können. Neben dem chinesischen Hetärismus erscheint der recht überschätzte griechische als barbarische Stümperei. »Gewiß gab es sehr verschiedene Stufen der hoa-niu; damit aber ein junges Mädchen zur höchsten Kaste in den ‹grünen und roten Distrikten›, wo die Kurtisanen wie Schwestern zueinander sind, Eintritt erlange, mußte sie vor andern durch Schönheit, Charme und Geist glänzen, Meisterschaft erlangt haben in Gesang, Flöten- und Gitarrenspiel, Geschichte und Philosophie. Nicht genug damit, wird von ihr verlangt, daß sie alle Schriftzeichen, enthalten in der Lehre des Lao-tse, dem Tao-te-king, zu malen verstehe. Hat sie dann noch mehrere Monate im ‹Pavillon der hundert Blumen› verbracht, die letzten Feinheiten in Tanz und Gesang erlernt, darf ihr der Titel ‹freie Frau› zuerkannt werden. Nun ist sie erlöst von den beschwerlicheren Pflichten des Geschlechts, Gebären und Stillen, und mag sich wohl erhaben fühlen über das junge Mädchen unter der Kontrolle des Vaters, über die legale Konkubine unter der ihres Herrn, über die legitime Frau, bewacht vom Gatten, über die Witwe, bevormundet vom Sohn ...« (A. P. L. Bazin.) Der außerordentliche politische Einfluß, den die »Töchter der Blumen« in China ausgeübt haben, gehört jedoch bereits der männlichen Kulturgeschichte an, in der »Weibliches« nur indirekt, durch den Mann hindurch, zur Auswirkung gelangt. An den Fundamenten der großen chinesischen Zivilisation dagegen hat das Weibliche selbst unmittelbar Anteil.
Ein Sinologe von der Autorität des verstorbenen Professors R. Wilhelm hat das Matriarchat in China bis in die dritte Dynastie verfolgt. Erst durch das Haus Tschou wird die Bildung der Vatersippe fertig, mit Exogamie der Frau. »In den ältesten Zeiten, heißt es dagegen, haben die Menschen ihre Mutter gekannt, nicht aber ihren Vater. Die frühen Clannamen sind zusammengesetzt mit dem Bestimmungsnamen ‹Frau›, ja, auch jenes Wort, das heute ‹Familienname› bedeutet, trägt als Andenken daran, aus welchem Zusammenhang es stammt, noch das Bestimmungszeichen ‹Frau›. Diese hundert (nach der Mutter zählenden) Clans waren das ‹wehrhafte Volk›. Dies alles deutet auf ursprünglich matriarchale Zustände in China, die Umwandlung scheint nicht ohne Kämpfe vor sich gegangen zu sein.« Prof. Wilhelm schließt auch aus Opferbräuchen für die Ahnengeister des Hauses, bei denen stets die »große Frau« mitwirken muß, auf Vormachtstellung in früherer Zeit. Auch heute noch haben bei jeder Eheschließung die Verwandten mütterlicherseits den Vorrang und die Ehrenplätze der väterlichen Sippe gegenüber, und das chinesische Wort für Heirat selbst heißt: hun-yin, einen Mann nehmen.
Wie sich Urtümliches am längsten in dynastischen Bräuchen hält, so weist die chinesische Geschichte zu einer Zeit, wo der Frau kein öffentliches Amt mehr zu bekleiden gestattet war, mächtige Kaiserinnen auf, die nicht nur für minderjährige Söhne, sondern aus eigner Machtvollkommenheit weiter regierten. In den beiden ersten Jahrhunderten n. Chr. gab es allein drei sehr große und sehr despotische Herrscherinnen; eine von ihnen, Sing-Zche, versuchte sogar selbst eine neue Dynastie zu gründen. Jede Kaiserin-Witwe wählte zudem die Hauptfrau des Kaisers, seine acht Königinnen und ernannte meist ihre eigenen Brüder zu seinen Ministern, ein Zeichen von ausgesprochenem Avunculat.
Wie China gerade in der Dynastie, so zeigt umgekehrt Japan gerade im Volk noch Spuren seines Mutterrechts, während die Samurai-Kaste sklavisch das spätere chinesische Vaterrecht nachzuahmen bestrebt war. Bei den unteren Schichten blieb die Scheidung wie die Wiederverheiratung für beide Teile gleich leicht und üblich. »Die Frau wird mit Respekt behandelt und übt ihr Recht, den Mann zu entlassen, bei der geringsten Herausforderung aus.« Die alte japanische Familienordnung war völlig uterin bis ins XIV. Jahrhundert, die Ehe matrilokal; die Frau blieb demnach in ihrem eignen Heim und empfing den Mann dort nur zu Besuch.
Auf dem, jetzt zu Japan gehörigen, Formosa fand Janet MacGovern völlig gynaikokratische Zustände vor. Bei den Paiwans ist eine Frau Häuptling, und die Würde erbt sich stets von Mutter zu Tochter fort. Die Taiyals, ein andrer formosischer Stamm, wählen eine Priesterkönigin zu Regenzauber und glücklicher Kopfjagd. Rechtsstreitigkeiten schlichtet ihr Spruch, dem jeder sich fügt. Land, Jagdrecht und sämtliche Güter sind ausschließlich weiblicher Sippenbesitz. Den Männern ist sogar das Betreten der Speicher und der Wirtschaftsräume verboten. Ehe Formosa an Japan fiel, durfte kein Jüngling heiraten, ohne zuvor mindestens einen Chinesen erschlagen zu haben. Ob die politische Umgruppierung zu einer zeitgemäßen Variante dieses Gesetzes geführt hat, konnte noch nicht festgestellt werden. Kopfjäger sind ein fleißiger, aber eher schweigsamer Schlag.
Von den Lit-si auf der Insel Hainan, westlich von Formosa, sagt Wolter: »Bei ihnen haben in allen Dingen die Frauen das entscheidende Wort, dem sich die Männer bedingungslos unterwerfen. Sie beschäftigen sich mit dem Ackerbau, während die Männer der Jagd obliegen.«
Die amerikanische Expedition unter F. R. Wulsin stieß auch in China selbst, im Quellgebiet des Hoangho, kürzlich auf einen prächinesischen Stamm mit der »Urweib«form des Matriarchats, die den alten Frauen alle Würden und Ämter überträgt. Da Polyandrie »auf Zeit« herrscht, so sehen die Kinder den Mann als Vater an, der ihnen von der Mutter als solcher bezeichnet wird, die übrigen heißen »Onkel«, doch bleiben diese Beziehungen ohne praktische Bedeutung; Name und Besitz erben sich ja doch in der weiblichen Linie fort. Nur Frauen haben das Recht, Handel zu treiben, denn alle Güter, mit denen dies geschehen könnte, sind ihr Eigentum, jedenfalls darf ohne ihre Einwilligung nichts verkauft werden. Außerdem gibt es in Südchina, wenigstens so weit die Nachrichten reichen, zwei ausschließlich von Fürstinnen regierte Landstriche.
»Die Man-Tseu, ein Stamm von dreieinhalb Millionen Menschen, wird von einer Königin aus dem heiligen Frauenclan beherrscht. In diesem ist die Königsmacht erblich, sie kann immer nur von einer Frau ausgeübt werden.« (W. Gill.)
Von dem andern südchinesischen Frauenreich berichtet J. Gray: »Es ist der Erwähnung wert, daß einer der eingebornen Stämme stets von einer Frau regiert wird. Diese Souveränin erhält von ihren Untertanen den Titel Noi-Tak. Sie bringen ihr tiefste Ehrfurcht entgegen, und der ganze Stamm ist unter dem Namen Nuè-kun, die von Frauen Beherrschten, bekannt. Das Vorrecht, diese Stämme zu regieren, besitzen die weiblichen Mitglieder einer einzigen Familie, somit besteht beim Tod einer Fürstin wenig Wahrscheinlichkeit eines Streites um die Nachfolge. Da die Chinesen es ja im allgemeinen seltsam finden, daß Großbritannien und andre, nicht unter dem salischen Gesetz stehende, europäische Länder bisweilen von Frauen selbständig regiert werden, so sind sie einigermaßen geneigt, die Einwohner solcher Länder, und besonders Englands, als nur wenig, wenn überhaupt, höherstehend zu betrachten als den Stamm der Nuè-kun.«