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Ein mattes Licht, das aus dem Fenster des Comptoirhauses auf dem Quilps-Kai blinkte und trübroth durch den Nachtnebel schien, als litte es an einer Augenentzündung, bedeutete Herrn Sampson Braß, als er sich mit vorsichtigen Tritten der Holzhütte näherte, daß der vortreffliche Eigenthümer derselben, sein werthgeschätzter Client, drinnen war und wahrscheinlich mit seinem gewöhnlichen geduldigen und liebenswürdigen Temperament des Vollzugs der Bestellung harrte, welche jetzt Herrn Braß in sein schönes Herrschgebiet brachte.
»Ein tückischer Ort, wenn man da im Dunkeln seinen Weg finden soll,« murmelte Sampson, als er zum zwanzigstenmale über zerstreut umherliegendes Gerümpel stolperte und mühsam weiter hinkte. »Ich glaube, jener Junge bestreut den Boden jeden Tag anders, um Einem Beulen und Verletzungen einzutragen, wenn es etwa nicht gar sein Herr eigenhändig thut, was mir sogar mehr als wahrscheinlich dünkt. Es ist mir in der Seele zuwider, diesen Ort ohne Sally zu besuchen. Sie gewährt mehr Schutz, als ein Dutzend Männer.«
Während Herr Braß dem Verdienste der abwesenden Zauberin dieses Compliment zollte, machte er Halt, blickte bedenklich nach dem Lichte und dann über seine Schultern.
»Ich möchte doch wissen, was er jetzt treibt?« murmelte der Rechtsgelehrte, indem er sich auf die Zehenspitze stellte und einen Blick nach dem zu gewinnen suchte, was innen vorging, obgleich dieß in einer solchen Entfernung unmöglich war. »Vermuthlich trinkt er – macht sich noch wilder und wüthender, und erhitzt seine Bosheit, seinen bösen Geist bis zum Uebersprudeln. Ich fürchte mich immer, allein hierher zu kommen, wenn seine Rechnung ein bischen hoch angelaufen ist. Ich glaube, er würde sich nicht viel daraus machen, mich zu erdrosseln und sanft in den Fluß hinabgleiten zu lassen, wenn die Fluth am höchsten ist – nicht mehr, als er sich daraus machen würde, eine Ratte todt zu schlagen. In der That, ich weiß nicht, ob er es nicht als einen lustigen Scherz betrachten würde. Horch! Jetzt singt er!«
Herr Quilp unterhielt sich allerdings mit einer musikalischen Leistung, doch klang es mehr wie eine Kirchenmelodie, als wie ein Lied, denn es war eine monotone Wiederholung eines einzigen Satzes in einem sehr hübschen Tempo, wobei er einen gedehnten Nachdruck auf das letzte Wort legte, welches er bis zu einem grausigen Brüllen anschwellen ließ. Auch bezog sich der Text weder auf Liebe noch auf Krieg, Wein, ritterliche Ergebenheit oder sonstige stereotype Gegenstände für Lieder, sondern auf einen Gegenstand, der nicht oft in Musik gesetzt oder überhaupt nur von Dichtern behandelt wird. Die Worte lauteten folgendermaßen: – »Die würdige Magistratsperson bemerkte, daß der Gefangene einige Schwierigkeit darin finden würde, eine Jury zu bereden, daß sie an sein Mährchen glaube, und entschied sodann, daß er bei den nächsten Sitzungen vor Gericht gestellt werde: sie befahl sofort, daß die üblichen Vorladungen eingeleitet werden sollten zu weiterer Verfolgung.«
So oft Quilp zu diesem Schlußwort kam und allen möglichen Nachdruck darauf erschöpft hatte, brach er in ein gellendes Gelächter aus und fing wieder von vorne an.
»Er ist schrecklich unklug, murmelte Braß, nachdem er zwei oder drei Wiederholungen dieses Cantus angehört hatte. »Fürchterlich unklug. Ich wünschte, er wäre stumm. Ich wünschte, er wäre taub. Ich wünschte er wäre blind. Zum Henker mit ihm,« rief Braß, als der Gesang abermals begann, »ich wünschte, er wäre todt.«
Diesem Stoßgebetlein im Interesse seines Clienten Luft machend, bot Herr Sampson die gewöhnliche Glätte seines Gesichts auf, wartete, bis der gellende Ruf wieder kam und verhallte, begab sich an die hölzerne Hütte und pochte.
»Herein!« rief der Zwerg.
»Wie befinden Sie sich diesen Abend, Sir?« fragte Sampson hineinschauend. »Ha, ha, ha! Wie geht es Ihnen, Sir?« O du meine Güte, wie gar grillenhaft! Gewiß, erstaunlich grillenhaft!«
»Komm herein, du Narr,« entgegnete der Zwerg, »und stehe nicht dort herum, um deinen Kopf zu schütteln und deine Zähne zu zeigen. Komm herein, du falscher Zeuge, du Meineidiger, du Beweisefabrikant! komm herein!«
»Er hat den köstlichsten Humor!« rief Braß indem er die Thüre hinter sich abschloß; »die bewundernswertheste komische Ader! Aber ist es nicht etwas unüberlegt, Sir –?
»Was?« fragte Quilp, »was, du Judas!«
»Judas! »rief Braß. »Er ist außerordentlich aufgeräumt! Sein Humor ist so ungemein scherzhaft! Judas! O ja – du mein Himmel, wie gar gut! Ha, ha, ha!«
Die ganze Zeit über rieb Sampson seine Hände und stierte mit spaßhaftem Erstaunen und Grauen auf das große, glotzäugige stumpfnasige Gallionbild eines alten Schiffes, das in einer Ecke bei dem Ofen gegen die Wand aufgepflanzt war, und wie ein Kobold oder ein häßlicher Götze aussah, welchen der Zwerg anbetete. Eine Holzmasse auf dem Kopf, welche in einer Weise geschnitzt war, daß es eine entfernte Ähnlichkeit mit einem eckigen Hut hatte, zugleich mit der Andeutung eines Sterns auf der linken Brust und Epauletten auf den Schultern, verkündigte, daß es das Bild irgend eines berühmten Admirals vorstellen sollte; ohne diese Beihülfen jedoch hätte es der Beschauer wohl für das authentische Bild eines ausgezeichneten Meermanns oder eines riesigen Seeungeheuers halten müssen.
Da es ursprünglich zu groß für das Gemach gewesen, in welchem es jetzt zur Zierde dienen sollte, war es hart über den Lenden abgesägt worden. Aber auch jetzt noch reichte es von dem Boden bis an die Decke, und indem es sich mit jenen weit offenen Augen und der Miene einer etwas zudringlichen Höflichkeit, wodurch sich Gallionenköpfe gewöhnlich charakterisiren, vorwärts beugte, schien es seine ganze Umgebung auf bloße Pygmäenproportionen zu reduciren.
»Kennen Sie es?« fragte der Zwerg, auf Sampson's Blicke Acht habend. »Bemerken Sie die Ähnlichkeit?«
»Eh?« versetzte Braß, den Kopf auf die eine Seite neigend und etwas zurückwerfend, wie Kenner zu thun pflegen. »Wenn ich es recht betrachte, so kömmt es mir vor, als sehe ich ein – ja, gewiß, es erinnert mich etwas in diesem Lächeln an – und doch, auf mein Wort, ich –«
Nun aber hatte in der That Sampson nie etwas gesehen, was nur im geringsten Grade eine Aehnlichkeit mit diesem verkörperten Phantom gehabt hätte, weßhalb er sich in nicht geringer Verlegenheit befand, denn er konnte ja nicht wissen, ob Quilp nicht meinte, es sehe ihm selbst gleich, und es daher als ein Familienporträt kaufte, oder ob er geneigt war, das Abbild eines Feindes darin zu finden. Er verblieb jedoch nicht lange im Zweifel; denn während er den Rumpf mit einem sachkundigen Blicke betrachtete, den Leute anzunehmen pflegen, wenn sie zum erstenmale ein Porträt sehen, das man ihnen zu erkennen zumuthet, warf der Zwerg die Zeitung, aus der er die bereits angeführten Worte abgesungen hatte, hinweg, ergriff eine rostige Eisenstange, deren er sich als eines Schüreisens bediente, und versetzte der Figur einen solchen Streich auf die Nase, daß sie hin und her wankte.
»Sieht es nicht Kit gleich – ist es nicht sein Ebenbild, sein Porträt, sein anderes Selbst?« rief der Zwerg, indem er einen Schauer von Schlägen auf das empfindungslose Gesicht niederfallen ließ und es mit tiefen Beulen bedeckte. »Ist es nicht das genaue Modell und Conterfei des Hundes – ist es nicht – ist es nicht – ist es nicht?«
Und bei jeder Wiederholung der Frage wetterte er auf die riesige Figur los, bis ihm in Folge des Ungestüms seiner Anstrengung der Schweiß über das Gesicht rann.
Obgleich dieß von einer sichern Galerie aus sehr komisch anzusehen gewesen sein dürfte, wie etwa ein Stiergefecht ein behagliches Schauspiel ist für diejenigen, welche sich nicht in der Arena befinden, oder ein brennendes Haus solchen, welche nicht in der Nähe wohnen, ergötzlicher vorkommt, als eine Comödie, so lag doch etwas in dem angelegentlichen Ernste von Quilp's Benehmen, was seinem Rechtsfreunde die Ueberzeugung einflößte, das Comptoirhaus sei doch etwas zu klein und viel zu einsam gelegen, um solchen humoristischen Exercitien den gebührenden Geschmack abgewinnen zu können. Er zog sich also, während der Zwerg in dieser Weise beschäftigt war, so weit als möglich zurück, drückte in schwachen, winselnden Tönen seinen Beifall aus, und als der andere endlich aus purer Erschöpfung aufhörte und sich niedersetzte, näherte er sich ihm geschmeidiger, als je.
»Vortrefflich, in der That!« rief Braß. »Hi, hi! Oh, sehr gut, Sir. Sie wissen,« fügte Sampson bei, indem er sich umwandte, als wollte er den zerwetterten Admiral anreden, »er ist ein ganz merkwürdiger Mann – äußerst merkwürdig.«
»Setzen Sie sich,« sagte der Zwerg. »Ich kaufte den Wicht gestern. Ich habe Löcher in ihn gebohrt, Gabeln in seine Augen gestochen und meinen Namen auf ihn eingeschnitten. Ich gedenke, ihn schließlich zu verbrennen.«
»Ha, ha!« rief Braß, »außerordentlich unterhaltend, in der That!«
»Kommen Sie her!« sagte Quilp, indem er ihm näher winkte. »Was ist unüberlegt – he?«
»Nichts, Sir, nichts. Kaum der Rede werth, Sir; aber ich meinte jener Gesang – so bewundernswürdig humoristisch er an sich auch sein mag – dürfte vielleicht etwas –«
»Ja,« entgegnete Quilp; »nun, was weiter?«
»An Unüberlegtheit gränzen, oder vielmehr, vielleicht entfernt sich zu der Gränze der Unüberlegtheit hinneigen, Sir,« erwiederte Braß schüchtern nach den verschmitzten Blicken des Zwerges hinsehend, die gegen das Feuer geheftet waren und dessen Schein widerstrahlten.
»Warum?« fragte Quilp, ohne seine Augen zu erheben.
»Je, nun. Sie wissen, Sir,« versetzte Braß, der es nachgerade wagte, vertraulicher zu werden; »die Sache ist nämlich, Sir, daß jede Anspielung auf solche kleine Verbindungen unter Freunden, welche das Gesetz Verschwörungen nennt, wenn sie auch noch so löbliche Zwecke haben – Sie verstehen mich, Sir – am besten für sich und unter Freunden behalten werden, wissen Sie.«
»Eh!« sagte Quilp mit vollkommen ausdrucksloser Miene aufsehend. »Was wollen Sie damit sagen?«
»Vorsichtig, außerordentlich vorsichtig – ganz recht und sachgemäß!« rief Braß mit dem Kopfe nickend. »Stumm, Sir, selbst hier – ganz meine Meinung, Sir.«
»Ganz deine Meinung, du eherne Vogelscheuche – was ist deine Meinung?« entgegnete Quilp. »Warum sprichst du mit mir von Verbindungen unter Freunden? Unterhalte ich Verbindungen? Weiß ich etwas von deinen Verbindungen?«
»Nein, nein, Sir – gewiß nicht; keineswegs,« erwiederte Braß.
»Wenn du so blinzelst und mir zunickst,« sagte der Zwerg, indem er umhersah, als suche er nach seinem Schüreisen, »so will ich dir dein Affengesicht zeichnen, daß du genug hast; ja, das will ich.«
»Ich bitte, machen Sie sich keine Ungelegenheit, Sir,« versetzte Braß, schnell einlenkend. »Sie haben ganz Recht, Sir, ganz Recht. Ich sollte des Gegenstandes nicht erwähnt haben, Sir. Es ist viel besser, man schweigt; Sie haben ganz Recht, Sir. Auf etwas Anderes, wenn es Ihnen gefällig ist. Sie haben, wie mir Sally sagte, nach unserem Miethsmann gefragt, Sir. Er ist noch nicht zurückgekommen, Sir.«
»Nicht?« sagte Quilp, der etwas Rum in einer Tasse über das Feuer gesetzt hatte und nun Acht gab, daß er nicht überlief. »Warum nicht?«
»Ei, Sir,« entgegnete Braß! »er – du meine Güte, Herr Quilp –«
»Was gibt's?« sagte der Zwerg, der mitten in seiner Bewegung inne hielt, als er eben die Tasse an seinen Mund führen wollte.
»Sie haben das Wasser vergessen, Sir,« erwiederte Braß. »Und entschuldigen Sie, Sir – aber er ist glühend heiß.«
Diese Bemerkung keiner andern, als einer thatsächlichen Antwort würdigend, erhob Herr Quilp die heiße Tasse an seine Lippen und trank mit Vorbedacht allen darin enthaltenen Spiritus aus, der etwa ein halbes Nösel betragen mochte, und den Augenblick zuvor, ehe er ihn vom Feuer nahm, ungestüm gezischt und Blasen geworfen hatte. Sobald dieses milde Reizmittel verschluckt war, schüttelte er seine Faust gegen den Admiral und forderte Herrn Braß auf, fortzufahren.
»Aber zuerst,« sagte Quilp mit seinem gewöhnlichen Grinsen, »sollen Sie auch ein Tröpflein haben – ein hübsches Tröpflein – ein gutes, warmes, feuriges Tröpflein.«
»Ei, Sir,« versetzte Braß, »wenn nur so etwas, wie ein Mundvoll Wasser zu bekommen wäre, ohne daß ich Sie bemühen müßte –«
»Etwas der Art giebt es hier nicht,« rief der Zwerg. »Wasser für Advokaten? Geschmolzenes Blei und Schwefel wollen Sie sagen – hübsch weißes, Blasen ziehendes Pech – das ist etwas für Sie – he, Braß, he?«
»Ha, ha, ha!« lachte Herr Braß. »O, sehr beißend! Und doch ist's nur wie gekitzelt – eine wahre Lust, es mit anzuhören, Sir!«
»Trinken Sie das,« sagte der Zwerg, der indessen noch mehr Rum heiß gemacht hatte. »Hinunter damit; es darf nicht die Nagelprobe darin bleiben. Verbrennen Sie Ihre Kehle und seien Sie glücklich!«
Der unglückliche Sampson schlürfte einige Male von dem Branntwein, der unmittelbar darauf sich selbst zu brennenden Thränen destillirte, und in dieser Form die Wangen herunter wieder in die Tasse gerollt kam, während Auge und Gesicht des Ehrenmannes sich tiefroth färbten und ein heftiger Hustenanfall zum Ausbruch kam, inmitten dessen man ihn immer noch mit der Beharrlichkeit eines Märtyrers betheuern hörte, daß es in der That allerliebst wäre. Er litt noch unter unaussprechlichen Beängstigungen, als der Zwerg die Unterhaltung wieder aufnahm.
»Der Miethsmann,« sagte Quilp – »was ist's mit ihm?«
»Er hält sich noch immer bei der Garland'schen Familie auf, Sir,« versetzte Braß in den gelegentlichen Zwischenräumen seines Hustens. »Er ist nur ein einziges Mal nach Haus gekommen, Sir, seit dem Tage, als der Schuldige in's Verhör genommen wurde. Er theilte Herrn Richard mit, Sir, daß er es in dem Hause nach dem, was dort stattgefunden habe, nicht mehr aushalten könne, daß er sich unglücklich darin fühle, und daß er gewissermaßen sich selbst als die Veranlassung zu diesem Vorfall betrachte. – Ein ganz vortrefflicher Miethsmann, Sir. Ich hoffe, wir werden ihn nicht verlieren.«
»Der Esel!« rief der Zwerg. »An nichts denkt er, als an sich selbst! Warum schränken Sie sich nicht ein – scharren zusammen, häufen auf, sparen, he?«
»Ei, Sir,« entgegnete Braß, »auf mein Wort, ich meine, Sarah sei eine so gute Haushälterin, als man eine finden mag. Ja, gewiß, Herr Quilp.«
»Feuchten Sie Ihren Thon an, netzen Sie auch das andere Auge, trinken Sie, Mensch,« rief der Zwerg. »Sie nahmen einen Schreiber, um mich zu verpflichten?«
»Gewiß, Sir, es macht mir zu jeder Zeit ein Vergnügen,« erwiederte Sampson. »Ja, Sir, es geschah Ihnen zum Gefallen.«
»Nun, dann können Sie ihn jetzt entlassen,« sagte Quilp. »Sie haben da mit einem Male ein Mittel, sich besser einzuschränken.«
»Herrn Richard entlassen, Sir?« rief Braß.
»Haben Sie mehr als einen Schreiber, Sie Papagei, daß Sie so fragen mögen? Ja.«
»Auf mein Wort, Sir,« versetzte Braß, »ich war hierauf nicht vorbereitet –«
»Wie hätten Sie das können, da ich es selbst nicht war?« höhnte der Zwerg. »Wie oft muß ich Ihnen noch sagen, daß ich ihn zu Ihnen brachte, um ihn stets im Auge zu haben, um zu wissen, wo er ist – und daß ich einen Anschlag, einen Plan, ein kleines ruhiges Stückchen zu meiner eigenen Belustigung vorhatte, von dem der Rahm und die Quintessenz war, daß jener alte Mann und seine Enkelin, die vermuthlich inzwischen zu Grunde gegangen sind, von ihm und seinem köstlichen Freunde für reich gehalten würden, während sie doch in der That so arm wie erfrorene Kirchenmäuse waren.«
»Ich begreife das vollkommen, Sir,« versetzte Braß. »Ich sehe klar in der Sache.«
»Wohlan, Sir,« entgegnete Quilp, »und begreifen Sie auch jetzt, daß sie nicht arm sind – daß sie es nicht sein können, wenn Leute, wie Ihr Miethsmann, das Land weit und breit nach ihnen durchsuchen und durchspähen?«
»Natürlich auch das, Sir,« antwortete Sampson.
»Natürlich auch das!« wiederholte der Zwerg, boshaft seine Worte aufschnappend. »Sie begreifen dann natürlich auch, daß es gleichgültig ist, was aus diesem Kerl wird? Und natürlich leuchtet Ihnen auch ein, daß er weder für mich, noch zu einem andern Zwecke paßt?«
»Ich habe oft zu Sarah gesagt, Sir,« versetzte Braß, »daß er im Geschäft durchaus von keinem Nutzen sei. Man kann ihm durchaus nichts anvertrauen, Sir. Sie dürfen mir glauben, daß ich gefunden habe, wie der Kerl in den gewöhnlichsten und geringfügigsten Geschäftsangelegenheiten, die ich ihm anvertraute, mit der Wahrheit herausplatzte, obgleich man ihn ausdrücklich gewarnt hatte. Der Bursche ist uns so beschwerlich geworden, Sir, daß Sie sich in der That gar keine Vorstellung davon machen können. Nichts, als die Achtung und die Verbindlichkeiten, die ich gegen Sie habe, Sir –«
Da es klar war, Sampson wolle sich jetzt in einem Complimentenergusse ergehen, wenn ihm nicht zeitig Einhalt gethan würde, so klopfte ihn Herr Quilp höflich mit der kleinen Tasse auf den Kopf, indem er ihn zugleich ersuchte, er möchte so gut sein und sein Maul halten.
»Praktisch, Sir, praktisch,« sagte Braß, indem er die getroffene Stelle rieb und lächelte; »aber doch außerordentlich scherzhaft – ungemein scherzhaft!«
»Wollen Sie so gefällig sein, und mich anhören?« versetzte Quilp, »oder Sie sollen mich im Augenblick noch ein Bischen scherzhafter finden. Es ist keine Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß sein Freund und Kamerad wieder zurückkehrt. Der Hallunke hat, wie ich höre, wegen irgend eines Schurkenstreiches flüchtig werden müssen und sein Heil im Auslande versucht. Möge er dort verfaulen.«
»Gewiß, Sir. Ganz passend. – Nachdrücklich!« rief Braß, wieder nach dem Admiral blickend, als bildete dieser die dritte Person in der Gesellschaft. »Außerordentlich nachdrücklich!«
»Ich hasse ihn,« murmelte Quilp durch die Zähne, »und habe ihn immer gehaßt – aus Familienrücksichten. Außerdem war er ein Schuft, der nichts mit sich anfangen ließ, sonst hätte er von Nutzen werden können. Der andere Kerl ist taubenherzig und leichtsinnig. Ich brauche ihn nicht länger. Meinetwegen kann er gehangen werden, sich ersäufen, Hungers sterben oder zum Teufel gehen.«
»In allweg, Sir,« entgegnete Braß. »Wann wünschen Sie, Sir, daß er – ha, ha! – daß er den letztern kleinen Ausflug mache?«
»Wenn über Kit ein Urtheil gesprochen ist,« sagte Quilp. »Nach Beendigung dieser Angelegenheit schicken Sie ihn fort.«
»Es soll geschehen, Sir,« erwiederte Braß; »jedenfalls. Es wird allerdings für Sarah ein Schlag sein, Sir, aber sie weiß alle ihre Gefühle zu beherrschen. Ach, Herr Quilp, ich denke oft, wenn es doch der Vorsehung gefallen hätte, Sie und Sarah im früheren Leben zusammenzubringen – welch' gesegnete Resultate wären aus einer solchen Verbindung geflossen. Sie haben nie unseren lieben seligen Vater gesehen, Sir? – Ein charmanter Gentleman. Sarah war sein Stolz und seine Freude, Sir. Das Füchslein würde mit Freuden seine Augen geschlossen haben, Herr Quilp, wenn er einen solchen Gatten für sie gefunden hätte. Sie schätzen sie, Sir?«
»Ich liebe sie,« krächzte der Zwerg.
»Sie sind sehr gütig, Sir,« versetzte Braß; »gewiß. Haben Sie noch einen Auftrag, den ich mir notiren könnte, außer dieser kleinen Angelegenheit mit Herrn Richard?«
»Nein,« entgegnete der Zwerg, die Tasse ergreifend. »Lassen Sie uns die Gesundheit der liebenswürdigen Sarah trinken!«
»Wenn wir es in etwas thun könnten, Sir, was nicht ganz so heiß wäre,« stellte Braß demüthig vor, »so würde es vielleicht um so besser sein. Ich glaube, es dürfte angenehmer auf ihre Gefühle wirken, wenn ich ihr von der Ehre, welche Sie ihr angethan haben, erzähle, und sie zugleich erfährt, daß es in etwas kälterem Branntwein geschah, als der letzte war, Sir.«
Herr Quilp hatte jedoch gegen solche Vorstellungen ein taubes Ohr. Sampson, der schon jetzt nicht mehr ganz nüchtern war und sich noch obendrein genöthigt sah, weitere Züge aus derselben kräftigen Bowle zu thun, fand bald, daß das Getränk, statt zu seiner Kräftigung beizutragen, die neue Wirkung übte, das Comptoirhaus mit ungemeiner Schnelle wirbelnd um ihn drehen zu machen, wie denn auch Fußboden und Decke in einer ganz schauerlichen Weise sich zu heben begannen. Nach einer kurzen Betäubung erwachte er zu dem Bewußtsein, daß er zum Theil unter dem Tische, zum Theil unter dem Kaminroste lag. Da diese Situation nicht gerade die behaglichste war, die er für sich hätte auslesen können, so half er sich wankend auf die Beine, hielt sich an dem Admiral fest, und sah sich nach seinem Wirthe um.
Anfangs dachte Herr Braß, sein Gastfreund habe sich entfernt, ihn allein hier gelassen, und vielleicht für die Nacht eingesperrt. Ein starker Tabaksqualm erregte aber einen neuen Ideengang; er sah in die Höhe und bemerkte, daß der Zwerg in seiner Hängematte rauchte.
»Gott befohlen, Sir,« rief Braß mit matter Stimme. »Gott befohlen, Sir.«
»Wollen Sie nicht hier über Nacht bleiben?« fragte der Zwerg heraussehend. »Geniren Sie sich doch ja nicht.«
»Ich könnte es in der That nicht, Sir,« versetzte Braß, der sich in dem dumpfen Zimmer vor Uebelkeit fast todt fühlte. »Wenn Sie doch so gut sein wollten, mir ein wenig zu leuchten, daß ich den Weg über den Hof finden kann, Sir –«
Quilp war in einem Nu aus seiner Matte – nicht mit den Beinen zuerst, oder mit dem Kopf zuerst, oder mit den Armen zuerst – sondern mit dem ganzen Körper zumal.
»O freilich,« sagte er, eine Laterne aufnehmend, die jetzt das einzige Licht an dem Orte war. »Aber nehmen Sie sich im Gehen in Acht, lieber Freund. Sehen Sie sich vor, gut zwischen den Brettern durchzukommen, denn die rostigen Nägel stehen alle aufwärts. Auch ist ein Hund in der Gasse. Er biß gestern Nacht einen Mann, vorgestern Nacht eine Frau und hat am letzten Dienstag gar ein Kind umgebracht – doch dieß geschah nur beim Spielen. Kommen Sie ihm nicht zu nahe.«
»Auf welcher Seite des Weges ist er, Sir?« fragte Braß in Todesängsten.
»Gewöhnlich rechts,« sagte Quilp, »aber hin und wieder versteckt er sich auch links und ist immer zum Sprung geneigt. Man kann sich in dieser Hinsicht nicht auf ihn verlassen. Tragen Sie ja Sorge für sich – ich könnte mir nie vergeben, wenn Sie es unterließen. Da ist das Licht ausgegangen. – Macht nichts – Sie kennen den Weg – gerade aus!«
Quilp hatte boshafterweise das Licht dadurch beschattet, daß er es gegen seine Brust hielt, und nun kicherte er, im Uebermaß seines Entzückens sich vom Kopf bis zu den Füßen schüttelnd, als er hörte, wie der Rechtsgelehrte über den Hof stolperte, und hin und wieder einen schweren Plump that. Endlich brachte aber Braß den Ort hinter sich und befand sich außer Gehörweite.
Der Zwerg schloß sich wieder ein und sprang auf's Neue in die Hängematte.