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Ehezwistigkeiten werden von den betheiligten Parteien gewöhnlich in der Form eines Dialogs abgemacht, zu welchem die Dame wenigstens ihre volle Hälfte beiträgt. Diejenigen zwischen Herrn und Frau Quilp bildeten jedoch eine Ausnahme von dieser allgemeinen Regel, und die dadurch veranlaßten Bemerkungen beschränkten sich auf ein langes Selbstgespräch von Seite des Herrn Gemahls, vielleicht hin und wieder durch einen bittenden Ausruf der Dame unterbrochen, der jedoch nie mehr, als eine einzige zitternde Sylbe umfaßte und mit dem demüthigsten und unterwürfigsten Tone geäußert wurde. Bei dem gegenwärtigen Anlasse wagte Madame Quilp geraume Zeit nicht einmal diese unbedeutende Vertheidigung, denn nachdem sie sich von ihrem Ohnmachtsanfalle erholt hatte, saß sie in einem thränenvollen Schweigen sorgsam da und hörte geduldig auf die Vorwürfe ihres Herrn und Meisters.
Dieser entledigte sich Herr Quilp mit der größten Lebhaftigkeit und Zungengeläufigkeit, noch obendrein aber auch mit so viel Verzerrungen seiner Glieder und seines Gesichts, daß sogar sein Weib, die doch so ziemlich an seine derartige Geschicklichkeit gewöhnt war, vor Entsetzen fast außer sich kam. Aber der Jamaica-Rum und die Freude, den Seinigen einen so kräftigen Strich durch die Rechnung gemacht zu haben, kühlten allmälig Herrn Quilp's Zorn ab, der aus seiner ungestümen Hitze allmälig in ein Höhnen und Kichern überging, wobei er mit Beharrlichkeit stehen blieb.
»Du glaubtest, ich sei todt und dahin, nicht wahr?« sagte Quilp. »Du hieltest dich bereits für eine Wittwe, – wie? Ha, ha ha. Du Metze!«
»In der That, Quilp,« entgegnete sein Weib. »Es thut mir sehr leid –«
»Wer bezweifelt es?« rief der Zwerg. »Es thut dir sehr leid! Natürlich! Wer zweifelt daran, daß es dir sehr leid thut?«
»Ich will damit nicht sagen, es thue mir leid, daß du gesund und wohl wieder nach Hause gekommen bist,« entgegnete sein Weib; »sondern nur, daß es mir leid thut, dich zu einem solchen Glauben veranlaßt zu haben. Es freuet mich recht, dich zu sehen, Quilp; du darfst's mir glauben.«
In der That schien sich auch Frau Quilp über den Anblick ihres Gatten weit mehr zu freuen, als man hätte erwarten sollen, wie sie denn auch einen Grad von Interesse an seinem Wohle an den Tag legte, der, in Anbetracht der Dinge, etwas räthselhaft war. Auf Quilp machte jedoch dieser Umstand keinen weitern Eindruck, als daß er ihn veranlaßte, mit unterschiedlichem, triumphirendem und verhöhnendem Gegrinse dicht vor den Augen seines Weibes Schnippchen zu schlagen.
»Wie konntest du aber auch auf so lange fortgehen, ohne mir ein Wort zu sagen, oder ohne etwas von dir hören zu lassen?« fragte das arme kleine Weib schluchzend. »Wie konntest du so grausam sein, Quilp!«
»Wie ich so grausam sein konnte? Grausam?« rief der Zwerg. »Weil ich in der Laune dazu war. Ich bin auch jetzt noch in dieser Laune. Ich werde grausam sein, wenn's mir beliebt. Ich gehe wieder fort.«
»Oh, nicht doch!«
»Ja, doch. Ich gehe wieder fort – und zwar gleich jetzt. Ich gedenke, hinzugehen und zu wohnen, wo es mir immer zusagt – auf dem Kai – in dem Comptoirhaus – ja, und ein lustiger Junggeselle zu sein. Du warst deiner Meinung nach schon eine Wittwe. Gott verdamme mich,« kreischte der Zwerg, »ich will im Ernste ein Junggeselle sein.«
»Unmöglich kannst du das wirklich im Sinne haben, Quilp,« schluchzte sein Weib.
»Ich sage dir,« erwiederte der Zwerg ganz entzückt über seinen Plan, »daß ich ein Junggeselle sein will, ein Kerl, der sich um den Teufel nicht kümmert; und ich will meine Junggesellenwirthschaft in dem Comptoirhause einrichten – du sollst dich dann nur unterstehen, mir nahe zu kommen. Und sieh dich zugleich vor, daß ich nicht wieder zu einer unzeitigen Stunde über dich herfalle, denn ich will zum Spürhund an euch werden und kommen und gehen, wie ein Maulwurf oder ein Wiesel. Tom Scott – wo ist Tom Scott?«
»Hier bin ich, Meister,« rief die Stimme des Knaben, als Quilp das Fenster aufriß.
»Warte hier, du Hund,« entgegnete der Zwerg; »du mußt den Mantelsack eines Junggesellen tragen. Packe ihn zusammen, Frau Quilp. Klopfe die gute alte Dame heraus, daß sie dir helfe; klopfe sie heraus. Holla da! holla!«
Mit diesen Ausrufungen ergriff Herr Quilp das Schüreisen, eilte damit nach der Schlafzimmerthüre der guten Dame und hämmerte so kräftig an dieselbe, bis sie in unaussprechlichem Schrecken erwachte, denn sie war nicht anders der Meinung, als daß ihr liebenswürdiger Schwiegersohn die Absicht habe, sie aus Rache für die verleumdeten Beine zu ermorden. Von dieser Vorstellung überwältigt, hatte sie sich kaum ganz aus ihrem Schlafe aufgerafft, als sie zeterlich zu schreien anfing und gewiß auch zu dem Fenster hinaus in das eines Nachbars gesprungen wäre, wenn sich ihre Tochter nicht beeilt hätte, sie zu enttäuschen und ihren Beistand aufzurufen. Etwas beruhigt durch die Nachricht, daß man ihrer Dienste benöthigt sei, kam Frau Jiniwin in einem Flanellunterrocke heraus, und Beide – Mutter und Tochter – gehorchten Herrn Quilp's Anweisungen in unterwürfigem Schweigen und vor Schrecken und Frost zitternd, denn die Nacht war bereits weit vorgerückt. Zur Erhöhung der Bequemlichkeit seiner eingeschüchterten Untergeordneten verlängerte der excentrische Ehrenmann, welcher das Einpacken seiner Garderobe beaufsichtigte, seine Vorbereitungen so viel als möglich, und nachdem er eigenhändig einen Teller, Messer, Gabel und Löffel, eine Theetasse und andere derartige Hausgeräthe beigefügt hatte, schnallte er den Mantelsack zu, nahm ihn auf seine Schulter und marschirte, ohne ein weiteres Wort zu sprechen, ab – die Rumflasche, die er nicht ein einzigesmal niedergestellt hatte, noch immer fest unter den Arm drückend. Sobald er auf der Straße angelangt war, übertrug er seine schwerere Last Tom Scott's Obhut, nahm zu seiner Kräftigung einen Zug aus der Flasche, gab dem Knaben zu der seinigen einen Schlag auf den Kopf und ging sodann bedächtig nach dem Kai voran, woselbst er Morgens zwischen Drei und Vier Uhr anlangte.
»Gemüthlich!« sagte Quilp, als er sich nach dem hölzernen Comptoirhause getastet hatte und die Thüre mit einem Schlüssel, den er immer bei sich führte, öffnete. »Wundervoll gemüthlich! Wecke mich um Acht Uhr, du Schlingel!«
Ohne eine weitere ceremoniöse Verabschiedung oder Erörterung packte er seinen Mantelsack, schloß die Thüre hinter seinem Begleiter, klomm auf das Pult, rollte sich, wie ein Igel, auf einem alten Schiffermantel zusammen, und lag bald in tiefem Schlafe.
Als Quilp, nach der kürzlichen Anstrengung, mit einiger Mühe des andern Morgens zu der bestimmten Zeit geweckt war, lehrte er Tom Scott aus unterschiedlichen Stücken alten Zimmerholzes im Hofe, Feuer anmachen und Kaffee zum Frühstück bereiten. Zur bessern Ausstattung dieses Mahls vertraute er ihm einige kleine Geldmünzen, die für den Einkauf von heißen Semmeln, Butter, Zucker, Yarmouths-Bücklingen und anderen Haushaltungsgegenständen verwendet werden sollten, so daß in wenigen Minuten ein würziges Gericht auf dem Tische dampfte. Mit diesem substanziellen Troste regalirte sich der Zwerg nach Herzensgelüsten und fühlte sich höchlich befriedigt durch diese freie Zigeunerlebensweise, die ihm (wie er oft schon gedacht hatte, wenn er sich derselben zuwenden wollte) eine angenehme Freiheit von ehelichem Zwang und ein auserlesenes Mittel bot, Frau Quilp und ihre Mutter in einem Zustande unablässiger Aufregung und Angst zu erhalten. Zugleich bestrebte er sich, seine Einsiedelei zu verschönern und sie bequem und gemächlich einzurichten.
In dieser Absicht begab er sich nach einem Orte in der Nähe, wo das, was er brauchte, gegen Bezahlung zu haben war, und kaufte daselbst eine alte Hängematte, die er nach Seemannsweise an der Decke seines Comptoirhauses befestigte. Dann ließ er auch in dieselbe moderige Cajüte einen alten Schiffsofen setzen, dessen rostige Röhre den Rauch durch das Dach ableiten sollte; und sobald diese Vorkehrungen beendigt waren, sah er sich mit unaussprechlicher Lust in seinem Eigenthum um.
»Ich habe jetzt ein Landhaus, wie Robinson Crusoe,« sagte der Zwerg, seine Bequemlichkeiten betrachtend; »einen einsamen, abgeschiedenen Wohnort, der einer öden Insel gleicht, und wo ich meine Geschäfte allein betreiben kann, ohne von Spionen und Horchern behelligt zu werden. Niemand ist hier in meiner Nähe, als Ratten, und diese sind liebliche, schweigsame und heimliche Gesellschafter. Ich werde unter einem solchen Publikum so vergnügt wie eine Grille sein. Ich finde wohl eine darunter, die dem Christoph gleich sieht, und vergifte sie dann – ha, ha, ha! Aber die Geschäfte – die Geschäfte – wir dürfen in Mitte der Vergnügungen nicht der Geschäfte vergessen, und die Zeit ist in der That diesen Morgen mit Windesflut dahingegangen.«
Der Zwerg schärfte sofort Tom Scott ein, seine Rückkehr abzuwarten, aber ja nicht in der Zwischenzeit sich auf den Kopf zu stellen, Purzelbäume zu machen, oder auch nur auf den Händen spazieren zu gehen, indem er ihn für solche Vergehen mit langer Züchtigung bedrohte, warf sich in ein Boot, setzte nach der andern Seite des Flusses über und eilte zu Fuß weiter, bis er Herrn Swiveller's gewöhnliches Speisehaus in Bevis-Marks erreichte, in dessen düsterer Gaststube der genannte Herr sich eben zu einem einsamen Mittagsmahle niedersetzte.
»Dick« – sagte der Zwerg, den Kopf zu der Thüre hineinsteckend, »mein Liebling, mein Söhnchen, mein Augapfel – he, he!«
»Ah, sind Sie es – wirklich?« entgegnete Herr Swiveller. »Wie befinden Sie sich?«
»Wie geht es, Dick?« erwiederte Quilp. »Was macht die Milch der Schreiberschaft – he?«
»Je nun, sie wird etwas sauer, Sir,« versetzte Herr Swiveller. »In der That, sie fängt an, an's Käsige zu gränzen.«
»Ei, was giebt es denn?« sagte der Zwerg nähertretend. »Hat sich Sally ungnädig erwiesen?
›Von allen Mädchen auf der Welt
Mir keine so wie – –‹
Ist's nicht so, Dick?«
»Nein, gewiß nicht,« antwortete Herr Swiveller, während er mit großer Gravität sein Mahl verzehrte. »Sie hat etwas Ansprechendes sonder Gleichen. Sally Braß ist die Sphynx des Privatlebens.«
»Sie sind übler Laune,« sagte Quilp, einen Stuhl heranziehend. »Was ist denn vorgefallen?«
»Die Jurisprudenz will mir nicht eingehen,« entgegnete Dick. »Sie ist nicht feucht genug und hat viel zu viel Stubenhockerei. Ich bin Willens davonzulaufen.«
»Bah,« erwiederte der Zwerg. »Und wohin wollen Sie denn laufen. Dick.«
»Ich weiß es nicht,« antwortete Herr Swiveller. »Highgate zu, denke ich. Vielleicht rufen auch mir die Glocken; ›kehr um, Swiveller, Lordmayer von London‹; Whittington hat auch Dick geheißen. Ich wollte nur, daß die Katzen seltener wären.«
Quilp sah seinen Gefährten mit Augen an, die mit einem komischen Ausdrucke von Neugierde zwinkerten, und harrte geduldig der weitern Erörterung. Herr Swiveller schien sich jedoch hiermit nicht beeilen zu wollen, denn er hielt ein sehr langes und schweigsames Mittagsmahl. Endlich schob er seinen Teller weg, lehnte sich in dem Stuhle zurück, kreuzte die Arme und stierte mit einer Jammermiene auf das Feuer, in dem einige Cigarrenenden zu ihrem Privatvergnügen rauchten und einen würzigen Duft entsandten.
»Vielleicht beliebt ein Stückchen Kuchen?« fragte Dick, als er sich endlich an den Zwerg wandte. »Sie sind höflich dazu eingeladen. Warum auch nicht? Ist er ja aus Ihrem eigenen Backofen.«
»Was wollen Sie damit sagen?« fragte Quilp.
Herr Swiveller antwortete nur dadurch, daß er aus der Tasche eine kleine und sehr schmierige Papierdüte zog, dieselbe langsam öffnete und ein kleines Stück Pflaumenkuchen hervorzog, das außerordentlich unverdaulich aussah und mit einem anderthalbzollhohen Zuckergusse bedeckt war.
»Was halten Sie wohl von diesem?« fragte Swiveller.
»Es sieht aus wie ein Hochzeitkuchen,« versetzte der Zwerg grinsend.
»Und von wem denken Sie wohl, daß er ausgeht?« fragte Herr Swiveller weiter, indem er das Backwerk mit schrecklicher Ruhe gegen seine Nase rieb. »Von wem?«
»Doch nicht – –«
»Ja,« sagte Dick, »von derselben. Sie brauchen ihren Namen nicht zu nennen. Es giebt keinen solchen Namen mehr. Sie heißt jetzt Cheggs – Sophia Cheggs. Und doch liebt' ich, wie nimmer ein Mann geliebt, der nicht hatte hölzerne Bein; und mein Herz, mein Herz ist tief betrübt, aus Lieb' für Sophia allein.«
Mit dieser extemporirten Anpassung eines Volkslieds auf die herzbrechenden Umstände seiner eigenen Lage, machte Herr Swiveller seine Düte wieder zu, schlug sie zwischen den Flächen seiner Hände sehr platt, steckte sie in seine Brusttasche, knöpfte den Rock darüber zu und kreuzte die Arme über dem Ganzen.
»Ich hoffe, Sie sind jetzt befriedigt, Sir –« sagte Dick; »und das Gleiche hoffe ich von Fritz. Ihr war't Bundesgenossen bei dem Unglück, und hoffentlich ist es jetzt so, wie ihr es wünscht. Ist dieß der Triumph, den ich haben sollte – wie? Er gleicht ganz dem ländlichen Tanze des gleichen Namens, wo zwei Herren und eine Dame da sind, und der Eine hat sie und der Andere nicht, sondern der Letztere kommt blos hintendrein gehinkt, um die Figur voll zu machen. Doch das ist die Wirkung des Geschicks, und das meinige ist vernichtend.«
Seine geheime Freude über Herrn Swiveller's Niederlage verbergend, griff Daniel Quilp zu dem sichersten Mittel, ihn zu beschwichtigen, indem er die Klingel zog und einen Nachschub rosigen Weines (das heißt, dessen gewöhnlichen Repräsentanten) bestellte, sich und seinem Gaste rasch einschenkte und Swiveller aufforderte, ihn mit verschiedenen Toasten, welche die Cheggs lächerlich machten und das Glück des ledigen Standes priesen, zu verpflichten. Diese wirkten auch, in Vereinigung mit der Betrachtung, daß Niemand seinem Geschick entgehen kann, so nachdrücklich auf Herrn Swiveller, daß sich in ganz kurzer Zeit seine Lebensgeister überraschend hoben und er fähig war, dem Zwerg einen Bericht über den Empfang des Kuchens abzustatten, der, wie es schien, von den überlebenden zwei Miß Wacklesen in Person nach Bevis-Marks gebracht und mit vielem Kichern an der Bureauthüre abgeliefert worden war.
»Ha!« sagte Quilp. »Die Reihe des Kicherns wird bald an uns kommen. Und das erinnert mich – Sie sprachen von dem jungen Trent – wo ist er?«
Herr Swiveller setzte auseinander, daß sein respectabler Freund kürzlich eine verantwortliche Anstellung in einer wandernden Spielbude angenommen habe und zur Zeit auf einer Geschäftsreise begriffen sei, um den wagehälsigen Geistern Großbritanniens Gelegenheit zu Besuchen zu geben.
»Das ist ein Unglück,« versetzte der Zwerg, »denn ich kam eigentlich nur, um nach ihm zu fragen. Es ist mir ein Gedanke gekommen. Dick, Ihr Freund drüben –«
»Welcher Freund?«
»In dem ersten Stock.«
»Ja?«
»Ihr Freund in dem ersten Stock, Dick, wünscht ihn vielleicht kennen zu lernen.«
»Nein, das ist nicht der Fall,« entgegnete Herr Swiveller mit Kopfschütteln.
»Nicht der Fall? Natürlich, weil er ihn nie gesehen hat,« erwiederte Quilp. »Aber, wenn wir sie zusammenbringen könnten – wer weiß, Dick, ob nicht Fritz, gehörig vorgestellt, ihm fast eben so willkommen wäre, als die kleine Nell oder ihr Großvater. Wer weiß – vielleicht würde der junge Mann sein Glück dadurch machen, was nothwendig eine Rückwirkung auf Sie üben würde. Wie meinen Sie?«
»Ja, sehen Sie,« sagte Herr Swiveller, »das Factum ist eben dieß, daß sie schon zusammengebracht worden sind.«
»Wie, sie wären schon?« rief der Zwerg, indem er seinen Gefährten argwöhnisch anblickte. »Durch wessen Veranlassung?«
»Durch die meinige,« versetzte Dick, etwas verwirrt. »Habe ich dessen nicht bei Ihrem letzten Besuche im Hause drüben gegen Sie erwähnt?«
»Das wissen Sie selber am besten,« entgegnete der Zwerg.
»Ich glaube. Sie haben Recht,« sagte Dick. »Nein. Ich erinnere mich, daß ich's nicht that. Oh, ja; ich brachte sie an demselbigen Tage zusammen. Fritz wollte es haben.«
»Und was kam dabei heraus?«
»Je nun, statt daß mein Freund, als sich Fritz zu erkennen gab, in Thränen ausbrach, ihn zärtlich umarmte und ihm sagte, daß er sein Großvater oder seine Großmutter in Verkleidung sei (wie wir gar nicht anders erwartet hatten), gerieth er in einen fürchterlichen Zorn, legte ihm alle mögliche Namen bei, sagte, es sei großentheils seine Schuld, daß Nell und der alte Herr verarmten, that ganz und gar nicht dergleichen, uns einen Trunk anzubieten, und – und – mit einem Worte, es fehlte wenig, daß er uns zur Thür hinausgeworfen hätte.«
»Das ist sonderbar,« sagte der Zwerg nachsinnend.
»So meinten wir damals auch,« versetzte Dick kaltblütig; »aber dem ungeachtet ist's eine Thatsache.«
Herrn Quilp kam diese Nachricht augenscheinlich nicht gelegen, denn er brütete darüber einige Zeit in finsterem Schweigen, wobei er oft seine Augen zu Herrn Swiveller's Gesicht erhob und den Ausdruck desselben einer scharfen Prüfung unterwarf. Da er jedoch keine weiteren Neuigkeiten oder überhaupt etwas darin finden konnte, was auf den Verdacht einer absichtlichen Lüge hingedeutet hätte: und da ferner Herr Swiveller, seinen eigenen Betrachtungen überlassen, tief aufseufzte und sichtlich bei dem Gedanken an Frau Cheggs in einen Liebestaumel gerieth, so brach der Zwerg das Gespräch bald ab und entfernte sich, den unglücklichen Liebhaber seinen melancholischen Meditationen überlassend.
»Also zusammengebracht worden?« fragte der Zwerg, als er allein durch die Straßen wanderte. »Mein Freund hat mir einen Marsch abgestohlen – freilich nur in der Absicht – denn da es zu nichts führte, so ist es von keinem großen Belang. Es freut mich, daß er seine Geliebte verloren hat. Ha, ha! Der dumme Teufel darf zur Zeit die Jurisprudenz noch nicht verlassen. An seinem gegenwärtigen Aufenthaltsorte bin ich seiner sicher, so oft ich ihn für meine Zwecke brauche, und außerdem dient er mir, ohne daß er es weiß, als guter Spion über Braß, indem er beim Glase alles, was er sieht und hört, ausplaudert. Sie sind mir von Nutzen, Dick, und kosten mich nichts, als hin und wieder ein Bischen Freihalten. Ich bin nicht ganz überzeugt, ob es nicht der Mühe werth wäre, sich über kurz oder lang bei dem Fremden in Credit zu setzen, indem man ihm Ihre Absichten auf das Kind eröffnet, Herr Swiveller. Doch zur Zeit gedenken wir, mit Dero Wohlnehmen, die besten Freunde von der Welt zu bleiben.«
Diese Gedanken weiter verfolgend und während des Ganges in seiner eigenthümlichen Weise keuchend, setzte Herr Quilp abermals über die Themse und schloß sich in seiner Junggesellenwohnung ein, die in Folge des neugesetzten Ofens, der seinen Rauch in der Stube ablagerte und durchaus keinen hinausleitete, nicht ganz so angenehm war, als es wohl eklere Leute gewünscht haben würden. Solche Unbequemlichkeiten waren jedoch durchaus nicht geeignet, dem Zwerg seinen neuen Aufenthalt zu verleiden, da sie im Gegentheil seiner Laune zusagten. Nachdem er daher ein schwelgerisches Mahl aus dem Wirthshause zu sich genommen hatte, zündete er seine Pfeife an und rauchte gegen den Kamin, bis in dem Nebel nichts mehr von dem Ehrenmanne sichtbar war, als ein paar rother, sehr entzündeter Augen und hin und wieder die undeutlichen Umrisse seines Kopfes und Gesichtes, so oft etwa ein heftiger Hustenanfall den Rauch aufstörte und die dichten Wolken ein wenig zerstreute. In Mitte dieser Atmosphäre, die unfehlbar jeden andern Menschen erstickt haben würde, verbrachte Herr Quilp den Abend in großer Heiterkeit, indem er sich bald mit der Pfeife, bald mit der Rumflasche tröstete, und hin und wieder sich mit einem melodischen Geheul unterhielt, das Gesang sein sollte, aber durchaus nicht die mindeste Aehnlichkeit mit irgend einer Vocal- oder Instrumentalmusik hatte, die je von Menschen erfunden wurde. So amüsirte er sich fast bis um Mitternacht und legte sich dann äußerst vergnügt in seine Hängematte.
Der erste Ton, der des andern Morgens sein Ohr traf – als er nämlich seine Augen halb öffnete und sich in so ungewöhnlicher Nähe der Decke befand, so überkam ihn der unbestimmte Gedanke, daß er im Lauf der Nacht in eine Mücke oder in eine blaue Schmeißfliege verwandelt worden sein müsse – war der eines unterdrückten Schluchzens und Weinens in der Stube. Er sah vorsichtig über die Seite seiner Hängematte hinaus und erblickte Frau Quilp, die er, nachdem er sie eine Zeitlang schweigend betrachtet hatte, plötzlich mit dem hellen, gellenden Rufe anschrie:
»Holla!«
»Ach, Quilp!« rief sein armes, kleines Weib in die Höhe schauend: »wie hast du mich erschreckt!«
»Das wollte ich, du Mähre,« entgegnete der Zwerg. »Was willst du hier – ich bin todt – nicht wahr?«
»Oh, ich bitte, komm nach Hause, komm nach Hause,« entgegnete Frau Quilp schluchzend. »Wir wollen es nie wieder thun, Quilp, und im Grunde war es doch nur ein Irrthum, der aus unserer Besorgniß um dich erwuchs.«
»Aus eurer Besorgniß?« grinste der Zwerg. »Ja, ich kenne das. Ihr seid äußerst besorgt, mich todt zu sehen. Ich werde nach Hause gehen, wann ich will, sage ich dir. Ich werde nach Hause kommen, wann es mir gut dünkt, und gehen, wann es mir gut dünkt. Ich will ein Irrwisch sein, bald hier, bald da, stets um euch hertanzend, vor euch auffahren, wo ihr mich am wenigsten erwartet, und euch in einem unaufhörlichen Zustand von Unruhe und Aufregung erhalten. Willst du von hinnen gehen?«
Frau Quilp wagte es nur, eine flehende Geberde zu machen.
»Ich sage dir, nein!« rief der Zwerg. »Nein. Wenn du dich wieder unterstehst, hierherzukommen, ohne daß ich nach dir schicke, so will ich Hunde halten, die knurren und beißen – ich will Männerfallen legen, klug verändert und verbessert, um Weiber festzuhalten – ich bringe Selbstgeschosse an, die losgehen, wenn du auf die Drähte trittst, und dich, zu tausend Stücken zerfetzt, in den Wind blasen. Willst du machen, daß du fortkömmst?«
»Verzeihe mir! Komm zurück!« rief sein Weib dringend.
»Nei-ei-ei-ei-ein!« kreischte Quilp. »Nicht eher, bis es mir gut dünkt, und dann will ich zurückkehren, so oft ich mag, und Niemand verantwortlich sein für mein Gehen oder Kommen. Du siehst die Thüre dort. Willst du gehen?«
Diesen letzten Befehl ertheilte Quilp mit so nachdrücklicher Stimme und begleitete ihn mit einer so plötzlichen Geberde, daß die arme Frau wie ein Pfeil von hinnen schoß, weil sie fürchtete, er wolle aus seiner Matte springen, und zipfelkappig, wie er war, sie durch die offenen Straßen nach Hause tragen. Der Ehrenmann streckte seinen Hals aus und sah ihr nach, bis sie den Hof hinter sich hatte, brach dann in ein schallendes Gelächter aus und legte sich wieder zum Schlafen nieder – höchlich vergnügt, die Sache so weit geführt und das Heiligthum seines Schlosses behauptet zu haben.