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Mr. Peter Magnus wird eifersüchtig und die Dame in den mittleren fahren so besorgt, daß die Pickwickier Gefahr laufen, dem Arme der Gerechtigkeit überliefert zu werden.
Als Mr. Pickwick in das Zimmer trat, in dem er mit Mr. Peter Magnus den verflossenen Abend verbracht, hatte sich dieser bereits mit dem größten Teil des Inhalts der beiden Reisesäcke, des ledernen Hutfutterals und des Papierpakets so vorteilhaft wie möglich herausgeputzt und ging im Zustand höchster Aufregung und Gemütsbewegung auf und nieder.
»Guten Morgen, Sir«, begann er. »Nun, was sagen Sie dazu?«
»Sie werden einen großartigen Eindruck machen – fraglos«, erwiderte Mr. Pickwick mit gutmütigem Lächeln.
»Ja, ich glaube es selbst«, sagte Mr. Magnus. »Mr. Pickwick, wissen Sie, daß ich bereits meine Karte hinaufgeschickt habe?«
»Was Sie sagen!«
»Ja, und sie ließ mir durch den Kellner ausrichten, sie erwarte mich um elf Uhr. – Um elf Uhr, Sir! Es fehlt nur noch eine Viertelstunde!«
»Eine kurze Zeit«, bemerkte Mr. Pickwick.
»Ja, sie ist ziemlich kurz«, erwiderte Mr. Magnus. »Etwas zu kurz, um sich wohl dabei zu fühlen. Meinen Sie nicht auch, Mr. Pickwick?«
»Selbstvertrauen tut dann sehr viel«, riet Mr. Pickwick.
»Ich glaube das auch, Sir«, sagte Mr. Peter Magnus. »Ich erfreue mich übrigens eines großen Selbstvertrauens, Sir. Genaugenommen, Mr. Pickwick, sehe ich auch nicht ein, warum ein Mann in einem Fall wie diesem sich fürchten sollte. Man braucht sich dessen doch nicht zu schämen. Es ist eine Sache gegenseitiger Übereinkunft, weiter nichts. Der Gatte auf der einen Seite, die Gattin auf der andern. Das ist meine Ansicht von der Sache, Mr. Pickwick.«
»Sehr philosophisch gedacht«, versetzte Mr. Pickwick. »Aber das Frühstück wartet, Mr. Magnus. Kommen Sie.«
Die Herren setzten sich zum Frühstück, aber trotz des großen Selbstbewußtseins Mr. Peter Magnus' war nicht zu verkennen, daß er im höchsten Grade aufgeregt war, wovon seine Appetitlosigkeit, eine stete Neigung, das Teegeschirr umzuwerfen, ein vergebliches Bemühen, lustig zu sein, und ein unwiderstehlicher Hang, alle Augenblicke auf die Uhr zu sehen, deutlich Zeugnis ablegten.
»Hihihi«, kicherte er nach einer Weile mit erkünstelter Heiterkeit, während er vor innerer Bewegung keuchte. »Es sind nur noch zwei Minuten, Mr. Pickwick. Sehe ich blaß aus, Sir?«
»Nicht sehr«, meinte Mr. Pickwick.
Wieder trat eine kurze Pause ein.
»Ich bitte um Verzeihung, Mr. Pickwick. Aber waren Sie schon jemals in Ihrem Leben in einer solchen Lage?«
»Sie meinen, in der Lage eines Freiers?« fragte Mr. Pickwick.
»Ja.«
»Noch nie«, erwiderte Mr. Pickwick mit großem Nachdruck. »Noch nie.«
»Sie wissen also nicht, wie man sich dabei zu benehmen hat?«
»Nun, ich habe mir wohl schon gelegentlich meine Gedanken über einen derartigen eventuellen Fall gemacht«, erwiderte Mr. Pickwick. »Aber da ich sie noch nie an dem Prüfstein der Erfahrung erprobt habe, so möchte ich Ihnen nicht raten, Ihr Benehmen danach einzurichten.«
»Immerhin wäre ich Ihnen für jeden Wink sehr verbunden, Sir«, sagte Mr. Magnus mit einem Blick auf die Uhr, deren Zeiger bereits auf fünf Minuten nach elf wies.
»Also gut, Sir«, begann Mr. Pickwick mit dem feierlichen Ernst, durch den er, wenn er wollte, seinen Bemerkungen einen ungemein eindringlichen Charakter geben konnte, »ich würde zuerst der Schönheit und den vortrefflichen Eigenschaften der Dame meine Huldigung zollen und dann auf meine eigne Unwürdigkeit übergehen.«
»Ganz gut«, bemerkte Mr. Magnus.
»Verstehen Sie mich recht – Unwürdigkeit nur ihr gegenüber! Denn um zu zeigen, daß ich nicht im allgemeinen ein Unwürdiger sei, würde ich kurz mein bisheriges Leben und meine gegenwärtige Stellung schildern. Daraus würde ich nach dem Gesetz der Analogie folgern, daß ich für jede andre Person eine höchst wünschenswerte Partie sein müßte, und mich sodann über die Glut meiner Liebe und die Tiefe meines Gefühls verbreiten und mich vielleicht auch versucht finden, ihre Hand zu ergreifen.«
»Ja, ich verstehe«, bemerkte Mr. Magnus, »das wäre ein höchst wichtiger Punkt.«
»Dann, Sir, würde ich«, fuhr Mr. Pickwick fort und wurde immer wärmer, in je glühenderen Farben er sich die Szene ausmalte, »dann würde ich ihr die offene und einfache Frage vorlegen: Wollen Sie mich?, und ich glaube, zu der Annahme berechtigt zu sein, daß sie hierauf ihr Gesicht abwenden würde.«
»Glauben Sie das sicher annehmen zu dürfen?« fragte Mr. Magnus. »Denn was, wenn sie es nicht täte?«
»Ich glaube, daß sie es tun wird«, meinte Mr. Pickwick mit der Überzeugung des Visionärs. »Dann, Sir, würde ich ihr die Hand drücken, und ich glaube – ich glaube, Mr. Magnus –, wenn ich einmal das getan hätte, würde ich, vorausgesetzt, sie hätte bisher zugehört, sachte das Taschentuch, das sie in diesem Augenblick, wie mich meine geringe Kenntnis der menschlichen Natur vermuten läßt, vor die Augen halten dürfte, wegziehen und ihr in allen Ehren einen Kuß rauben. Ich glaube, ich würde sie küssen, Mr. Magnus. Und was diesen besonderen Punkt betrifft, so bin ich entschieden der Meinung, die Dame würde sodann, wenn sie mich überhaupt wollte, ein verschämtes Ja hauchen.«
Mr. Magnus schauderte zusammen, blickte in Mr. Pickwicks durchgeistigtes Gesicht, schüttelte ihm nach einer kurzen Pause – der Zeiger wies auf zehn Minuten nach elf – mit Wärme die Hand und rannte fassungslos aus dem Zimmer.
Mr. Pickwick war auf und nieder geschritten, und es schlug halb zwölf, als sich plötzlich die Tür öffnete. Er wandte sich um und wollte eben Mr. Peter Magnus beglückwünschen, da erblickte er statt seiner das fröhliche Gesicht Mr. Tupmans, die heitere Miene Mr. Winkles und das Dichterantlitz Mr. Snodgraß'.
Noch während die Herren Mr. Pickwick begrüßten, trippelte Mr. Peter Magnus ins Zimmer.
»Meine Freunde, der Herr, von dem ich soeben sprach, Mr. Magnus«, stellte Mr. Pickwick vor.
»Ihr Diener, meine Herren«, sagte Mr. Magnus, sichtlich in großer Aufregung. »Mr. Pickwick, könnte ich Sie einen Augenblick allein sprechen?«
Mit diesen Worten verankerte Mr. Magnus seinen Zeigefinger in Mr. Pickwicks Rockknopfloch, zog ihn hastig in eine Fenstervertiefung und stieß hervor:
»Wünschen Sie mir Glück, Sir! Ich habe Ihren Rat buchstäblich befolgt.«
»Und es lief alles gut ab, nicht wahr?«
»Ausgezeichnet, Sir, hätte nicht besser ausfallen können«, erwiderte Mr. Magnus. »Sie ist mein.«
»Also meinen herzlichsten Glückwunsch!« rief Mr. Pickwick und schüttelte seinem neuen Freund mit Wärme die Hand.
»Ich muß Sie unbedingt vorstellen, Sir«, drängte Mr. Magnus. »Kommen Sie, bitte, kommen Sie! – Sie entschuldigen einen Augenblick, meine Herren.«
Er zog Mr. Pickwick aus dem Zimmer, ging eilends mit ihm die Treppe hinauf, blieb an der nächsten Türe im Gang stehen und klopfte leise an.
»Herein!« rief eine weibliche Stimme, und sie traten ein.
»Miß Witherfield«, sagte Mr. Magnus, »gestatten Sie, daß ich Ihnen meinen vertrauten Freund, Mr. Pickwick, vorstelle. – Mr. Pickwick – Miß Witherfield.«
Die Dame stand am andern Ende des Zimmers. Mr. Pickwick verbeugte sich, nahm seine Brille aus der Westentasche und setzte sie auf. Doch kaum war das geschehen, da wich er mit einem Ausruf des Erstaunens einige Schritte zurück, und die Dame schlug mit einem halbunterdrückten Schrei die Hände vors Gesicht und sank in einen Stuhl.
Mr. Pickwick hatte nämlich kaum seine Brille aufgesetzt, als er in der zukünftigen Mrs. Magnus die Dame erkannte, in deren Zimmer er in der verflossenen Nacht auf so unverantwortliche Weise eingedrungen war, und im selben Augenblick sah auch die Dame plötzlich wieder das Gesicht vor sich, das sie, mit allen Schrecknissen einer Nachtmütze umgeben, noch vor nicht langer Zeit erblickt hatte.
Die Dame schrie, und Mr. Pickwick starrte sie an.
»Mr. Pickwick!« rief Mr. Magnus außer sich. »Was hat das zu bedeuten, Sir? – Was hat das zu bedeuten?« wiederholte er in lautem, drohendem Tone.
»Sir!« erwiderte Mr. Pickwick, über die Art und Weise etwas unwillig, mit der ihn Mr. Peter Magnus so plötzlich angefahren hatte. »Ich muß die Beantwortung dieser Frage ablehnen.«
»Sie lehnen sie ab, Sir?« fragte Mr. Magnus.
»Ja, allerdings, Sir. Ich lehne es auf das entschiedenste ab, auch nur ein Wort zu sagen, das die Dame kompromittieren oder unangenehme Erinnerungen in ihrer Brust erwecken könnte, ohne ihre ausdrückliche Erlaubnis und Zustimmung.«
»Miß Witherfield!« sagte Mr. Peter Magnus. »Kennen Sie diesen Herrn?«
»Ob ich ihn kenne?« erwiderte die Dame in den mittleren Jahren zögernd.
»Ja, ob Sie ihn kennen, Madam. – Ich frage, ob Sie ihn kennen?« wiederholte Mr. Magnus wild.
»Ich habe ihn allerdings schon gesehen«, gab die Dame in den mittleren Jahren zu.
»Wo?« fragte Mr. Magnus. »Wo?«
»Das werde ich nie sagen. Nie, nie!« erwiderte die Dame in den mittleren Jahren, sprang von ihrem Sitz auf und wandte ihr Gesicht ab.
»Ich verstehe Sie, Madam«, sagte Mr. Pickwick. »Ich achte Ihr Zartgefühl. Und auch ich werde kein Wort sprechen, seien Sie überzeugt.«
»Ich muß sagen, Madam«, bemerkte Mr. Magnus, »in Anbetracht des Verhältnisses, in dem ich zu Ihnen stehe, behandeln Sie diese Sache ja recht gleichgültig – recht gleichgültig, Madam!«
»Grausamer Mr. Magnus«, schluchzte die Dame in den mittleren Jahren und brach in Tränen aus.
»Richten Sie Ihre Vorwürfe an mich, Sir«, fiel Mr. Pickwick ein. »Ich allein bin zu tadeln, wenn jemand Tadel verdient.«
»So, so, Sie allein sind zu tadeln, Sir!« sagte Mr. Magnus. »Jetzt durchschaue ich alles, Sir. Sie bereuen offenbar Ihren Entschluß, nicht wahr?«
»Meinen Entschluß?« fragte Mr. Pickwick.
»Ihren Entschluß, Sir! Starren Sie mich nur nicht so an, Sir! Ich erinnere mich noch ganz gut Ihrer Worte von gestern abend. Sie sind hierhergekommen, Sir, die Treulosigkeit und Falschheit einer Person zu entlarven, auf deren Ehrenhaftigkeit und Treue Sie einst gebaut hatten, nicht wahr?« Mr. Peter Magnus verzog sein Gesicht zu einem spöttischen Lächeln und nahm seine grünliche Brille ab – die er wahrscheinlich in seinem Eifersuchtsanfall für überflüssig hielt – und rollte seine kleinen Äuglein in schreckenerregender Weise. »Nicht wahr? Aber Sie sollen mir Rede und Antwort stehen, Sir.«
»Rede und Antwort? Auf was?« fragte Mr. Pickwick.
»Schon gut, Sir«, versetzte Mr. Magnus und schritt erregt im Zimmer auf und ab, »schon gut.«
Es müssen magische Kräfte in den Worten »schon gut« verborgen liegen, denn, wann immer sie fallen, bei einem Wortwechsel auf der Straße, im Theater, im Wirtshaus oder sonstwo, stets erwecken sie einen größeren Unwillen, als es die beredtesten Schimpfwörter hervorzurufen vermöchten.
Nicht etwa, daß die Anwendung dieses Lakonismus in Mr. Pickwicks Seele genau denselben Unwillen erregt hätte wie in einer gewöhnlichen Brust, aber jedenfalls öffnete er die Tür und rief laut hinunter:
»Tupman, kommen Sie, bitte, einen Moment herein!«
Mr. Tupman erschien augenblicklich mit höchst erstauntem Gesicht.
»Tupman«, sagte Mr. Pickwick, »ein Geheimnis zarter Natur, das diese Dame betrifft, ist die Ursache eines Wortwechsels zwischen diesem Herrn und mir. Wenn ich ihm jetzt in Ihrer Gegenwart hiermit versichere, daß es keinen Bezug auf ihn hat und in keiner Verbindung mit seinen Angelegenheiten steht, so muß ich Sie dringend ersuchen, ihm zu bemerken, daß, wenn er fortfährt, beleidigende Zweifel in meine Wahrhaftigkeit zu setzen, ich genötigt sein werde, meine Konsequenzen zu ziehen.«
Mr. Pickwick sah bei diesen Worten Mr. Peter Magnus mit einem Blick an, der mehr sagte als ganze Enzyklopädien.
Sein offenes, ehrenhaftes Benehmen, verbunden mit der Kraft und Energie der Sprache, die ihn so sehr auszeichneten, würde jeden vernünftigen Menschen beruhigt haben, aber unglücklicherweise war gerade in diesem Moment der Geist Mr. Peter Magnus' seiner Klarheit beraubt. Anstatt Mr. Pickwicks Erklärung so aufzunehmen, wie es sich geziemt hätte, fuhr er fort, sich in eine Art Raserei hineinzureden und davon zu sprechen, was er sich selbst schuldig sei, und von anderen Dingen mehr, wobei er seiner Deklamation dadurch Nachdruck verlieh, daß er mit schnellen Schritten auf und nieder ging, sich durch die Haare fuhr und gelegentlich Mr. Pickwicks menschenfreundlichem Antlitz die Faust unter die Nase hielt.
Mr. Pickwick, im Bewußtsein seiner Unschuld und Korrektheit und in der Unruhe, die Dame in mittleren Jahren verhängnisvollerweise in eine so unangenehme Lage versetzt zu haben, behielt leider nicht die ruhige Fassung, die man sonst an ihm gewohnt war. Die Worte wurden immer hitziger und die Stimmen heftiger, und als Mr. Magnus endlich Mr. Pickwick hinwarf, »er werde von ihm hören«, war die kaltblütige Antwort: »Je früher, desto besser!«
Voll Schrecken stürzte die Dame in den mittleren Jahren aus dem Zimmer, und Mr. Tupman zog Mr. Pickwick mit sich fort, Mr. Peter Magnus sich und seinen Gedanken überlassend.
Hätte die Dame in den mittleren Jahren Lebenserfahrung besessen oder überhaupt die Art und Weise derer gekannt, die die Gesetze oder die Mode machen, so würde sie gewußt haben, daß solche stürmische Auftritte zu den harmlosesten Dingen von der Welt gehören. Aber da sie die meiste Zeit auf dem Lande gelebt und noch nie die Parlamentsverhandlungen gelesen hatte, so war sie in den Verfeinerungen des zivilisierten Lebens wenig bewandert. Als sie ihr Schlafzimmer erreicht und sich eingeschlossen hatte, drängten sich beim Nachdenken über die Szene, deren Zeuge sie soeben gewesen war, ihrer Phantasie die fürchterlichsten Bilder von Mord und Blutvergießen auf, unter denen die Vision des Mr. Peter Magnus, in Lebensgröße von vier Mann nach Hause getragen und die linke Brusthälfte mit den feindlichen Geschossen gefüllt, eine der allerkleinsten war. Je mehr sie darüber nachdachte, desto mehr erschrak sie, und endlich beschloß sie, sich zum Bürgermeister der Stadt zu begeben und ihn zu ersuchen, die Herren Pickwick und Tupman unverzüglich verhaften zu lassen.
Zu diesem Entschluß wurde die Dame in den mittleren Jahren durch verschiedne Erwägungen bestimmt, von denen der unwiderlegliche Beweis, den sie dadurch von ihrer Herzensangst um Mr. Peter Magnus' Leben lieferte, der hauptsächlichste war. Sie kannte sein eifersüchtiges Temperament zu gut, um auch nur die leiseste Anspielung auf den eigentlichen Grund ihrer Aufregung beim Anblick Mr. Pickwicks zu wagen und setzte so viel Vertrauen auf ihren Einfluß und ihre Überredungsgabe, daß sie sich mit der Hoffnung schmeichelte, seine stürmische Eifersucht beruhigen zu können, wenn Mr. Pickwick entfernt wäre und kein neuer Streit entstehen könnte. Mit diesem Gedanken erfüllt, hüllte sie sich in ihre Haube und ihren Schal und begab sich schnurstracks nach der Wohnung des Bürgermeisters.
Nun war George Nupkins, Esquire, der besagte oberste Beamte der Stadt, eine so bedeutende Person, wie sie der schnellste lebende Läufer am einundzwanzigsten Juni, der nach Behauptung des Kalenders der längste Tag im ganzen Jahr ist und also die längste Zeit zum Suchen gestattet, zwischen Sonnenaufgang und -niedergang nur hätte finden können. Gerade an diesem Morgen befand sich Mr. Nupkins im Zustande größter Aufregung, denn es hatte eine Revolution in der Stadt gegeben. Sämtliche Schüler der besuchtesten Klasse hatten sich verschworen, einem Obsthändler, der ihnen ein Dorn im Auge war, die Fenster einzuwerfen, hatten den Büttel ausgepfiffen und den Konstabler, einen ältlichen Mann in Stulpenstiefeln, der beordert gewesen war, den Aufruhr im Keim zu ersticken und wenigstens schon ein halbes Jahrhundert lang den Frieden der Stadt aufrechterhalten, mit Kot beworfen.
Mr. Nupkins saß in seinem Sorgenstuhl, runzelte majestätisch die Stirne und kochte noch immer vor Wut, als eine Dame gemeldet wurde, die ihn in einer besondern und dringenden Privatangelegenheit zu sprechen wünsche. Mr. Nupkins nahm den ruhig-furchtbaren Blick seines Standes an und befahl, die Dame hereinzuführen, welchem Befehle, wie allen Verordnungen von Kaisern, Königen und andern großen Mächten der Erde, auf der Stelle Folge geleistet wurde.
Miß Witherfield trat in reizender Verwirrung herein.
»Muzzle!« rief der Beamte.
Muzzle war ein Diener von untersetzter Statur, mit langem Leib und kurzen Beinen.
»Ja, Euer Gnaden!«
»Bring einen Stuhl und verlaß das Zimmer!«
»Ja, Euer Gnaden.«
»Nun, Madam, wollen Sie mir freundlichst Ihre Angelegenheit vortragen«, sagte der Beamte.
»Sie ist sehr schmerzlicher Natur, Sir«, bemerkte Miß Witherfield.
»Das ist mir leid, Madam«, versetzte Mr. Nupkins mit wohlwollendem Blick. »Fassen Sie sich, Madam. – Und dann sagen Sie mir, Madam, ob eine Gesetzesüberschreitung Sie zu mir führt.« Hier triumphierte der Beamte über den Menschen, und sein Blick wurde wieder streng.
»Es ist mir ungemein peinlich, Ihnen diese Mitteilung machen zu müssen«, sagte Miß Witherfield, »aber ich fürchte, es soll hier ein Duell ausgetragen werden.«
»Hier, Madam?« rief der Beamte. »Wo, Madam?«
»In Ipswich.«
»In Ipswich, Madam? Ein Duell in Ipswich?« murmelte der Beamte, bei dem bloßen Gedanken außer sich vor Schrecken. »Unmöglich, Madam, so etwas kann in dieser Stadt nicht vorkommen, davon bin ich überzeugt. – Beim Himmel, Madam, wissen Sie nichts von der Tätigkeit unsrer städtischen Polizei? Haben Sie nie davon gehört, Madam, daß ich am vierten Mai dieses Jahres, nur von sechzig Konstablern begleitet, in einen Boxring eindrang und auf die Gefahr hin, der wilden Leidenschaft eines wütenden Pöbels zum Opfer zu fallen, einen Faustkampf zwischen Dumpling von Middlesex und Bantam von Suffolk verhinderte? – Ein Duell in Ipswich, Madam! – Ich kann – ich kann es nicht glauben«, fuhr der Beamte im Selbstgespräch fort, »daß zwei Menschen die Kühnheit haben sollten, einen solchen Friedensbruch in dieser Stadt zu beabsichtigen.«
»Meine Angabe ist leider nur zu richtig«, sagte die Dame in den mittleren Jahren. »Ich selbst war beim Streit gegenwärtig.«
»Es ist wirklich unerhört«, rief der Beamte aus. »Muzzle!!«
»Hier, Euer Gnaden!«
»Mr. Jinks soll sofort kommen. Augenblicklich.«
»Zu Befehl, Euer Gnaden.«
Muzzle entfernte sich, und ein blasser, spitznasiger, halbverhungerter, schäbig gekleideter Schreiber, auch in den mittleren Jahren, trat ins Zimmer.
»Mr. Jinks!« rief der Beamte. »Mr. Jinks!«
»Sir«, erwiderte Mr. Jinks.
»Diese Dame, Mr. Jinks, macht soeben die Anzeige, daß ein Duell hier in der Stadt geplant wird.«
Mr. Jinks, der sich nicht darüber klar war, wie er sich benehmen sollte, lächelte mit der Miene des Untergebenen.
»Was gibt's da zu lachen, Mr. Jinks?« fragte der Beamte.
Mr. Jinks machte augenblicklich ein ernstes Gesicht.
»Mr. Jinks!« herrschte ihn der Beamte an. »Sie sind ein Narr!«
Mr. Jinks blickte demütig an dem Machthaber empor und nagte an seiner Feder.
»Sie können etwas Komisches in dieser Angabe finden, Sir, aber ich muß Ihnen sagen, Mr. Jinks, daß Sie sehr wenig Grund haben zu lachen!«
Der halbverhungerte Jinks seufzte, als wäre er sich vollkommen bewußt, daß er sehr wenig Grund habe zu lachen, und schrieb dann auf Befehl Mr. Nupkins' die Aussage der Dame in ein Protokoll.
»Dieser Pickwick ist also der Friedensstörer, wie ich höre?« fragte der Beamte, als der Akt geschlossen war.
»Ja«, erwiderte die Dame in den mittleren Jahren.
»Und der Sekundant …Wie ist sein Name, Mr. Jinks?«
»Tupman, Sir.«
»Tupman?«
»Ja, Sir.«
»Der Geforderte, sagen Sie, ist verschwunden, Madam.«
»Ja«, erwiderte Miß Witherfield mit einem kurzen Hüsteln.
»Also gut«, sagte der Beamte. »Da sind zwei Gurgelabschneider extra von London hergekommen, um die Bevölkerung zu dezimieren, weil sie meinen, in dieser Entfernung von der Hauptstadt sei der Arm des Gesetzes schwach und gichtbrüchig. Aber ich werde ein Exempel an ihnen statuieren. Setzen Sie die Verhaftsbefehle auf, Mr. Jinks. – Muzzle!!«
»Hier, Euer Gnaden.«
»Ist Grummer unten?«
»Ja, Euer Gnaden.«
»Schick ihn herauf.«
Dienstbeflissen enteilte Muzzle und kehrte bald darauf mit einem ältlichen Gentleman in Stulpenstiefeln zurück, der sich hauptsächlich durch eine Kupfernase, eine heisere Stimme, einen schnupftabakfarbenen Überrock und einen unsteten Blick auszeichnete.
»Grummer!« sagte der Beamte.
»Euer Ho'ohlgeboren?!«
»Ist die Stadt jetzt ruhig?«
»Zimmlich, Euer Ho'ohlgeboren«, erwiderte Grummer. Das Volksempfinn ist gewissermaaßn abgeflaut, weil die Lümmel verschwunn sind; zum Kricket.«
»Nur energische Maßregeln wirken noch in diesen Zeiten, Grummer«, sagte der Würdenträger mit sehr bestimmtem Ton. »Wenn das Ansehen der königlichen Behörden mißachtet wird, muß das Standrecht verhängt werden. Wenn die Zivilbehörde die Fenster nicht schützen kann, so muß die militärische Macht die Zivilbehörde und die Fenster schützen. Ich glaube, das ist ein Grundsatz der Verfassung, Mr. Jinks?«
»Gewiß, Sir«, versetzte Jinks.
»Sehr gut«, sagte der Beamte und unterzeichnete die Verhaftsbefehle. »Grummer, Sie werden mir heute nachmittag die hier bezeichneten Personen vorführen. Sie finden sie im ›Großen weißen Roß‹. Sie erinnern sich doch noch an den Fall von Dumpling aus Middlesex und Bantam aus Suffolk, Grummer?«
Mr. Grummer deutete durch ein Kopfnicken an, daß das seinem Gedächtnis nie entschwinden könne. Begreiflicherweise, denn er wurde doch täglich daran erinnert.
»Dieser Fall ist noch gesetzwidriger. Er bedeutet einen noch größeren Friedensbruch, einen noch größeren Eingriff in Seiner Majestät Vorrechte. Ich glaube, das Duell ist eins der unbestrittensten Vorrechte der Krone, Mr. Jinks, nicht wahr?«
»In der Magna Charte ausdrücklich stipuliert, Sir«, erwiderte Mr. Jinks.
»Einer von den glänzendsten Juwelen Großbritanniens, Seiner Majestät durch die politische Union der Barone abgetrotzt, glaube ich, Mr. Jinks?«
»Jawohl«, versetzte Mr. Jinks.
»Sehr gut«, bemerkte der Beamte und richtete sich stolz auf. »Es soll in diesem Teile königlichen Gebietes nichts angetastet werden. Grummer, sorgen Sie für entsprechenden Beistand, und vollziehen Sie diese Verhaftsbefehle so bald wie möglich. – Muzzle!«
»Hier, Euer Gnaden.«
»Begleiten Sie diese Dame.«
Miß Witherfield entschwebte, mit hoher Bewunderung der Gelehrsamkeit und des Scharfsinnes des Würdenträgers erfüllt. Mr. Nupkins zog sich zum Essen zurück, Mr. Jinks in sich selbst – mit Ausnahme des Ruhebettes in seinem kleinen Stübchen, das bei Tag von der Familie seiner Hauswirtin bewohnt wurde, die einzige Zufluchtsstätte, die ihm amtlich gestattet war –, und Mr. Grummer zog sich zurück, um durch Vollziehung des ihm gewordnen Auftrages die Schmach abzuwaschen, die ihm und Seiner Majestät anderm Repräsentanten – dem Büttel – im Laufe des Vormittags angetan worden war.
Während diese entschlossenen Anstalten zur Erhaltung des Friedens Seiner Majestät getroffen wurden, hatten sich Mr. Pickwick und seine Freunde, den nahenden Sturm nicht im entferntesten ahnend, ruhig zur Tafel gesetzt und waren alle sehr vergnügt und gesprächig. Mr. Pickwick erzählte eben zum großen Ergötzen seiner Freunde, besonders Mr. Tupmans, sein nächtliches Abenteuer, als sich die Tür öffnete und eine geradezu verbotene Physiognomie in das Zimmer spähte. Die Augen dieser Physiognomie ruhten einige Sekunden forschend auf Mr. Pickwick und waren allem Anschein nach mit dem Ergebnis ihrer Untersuchung zufrieden, denn der Leib, zu dem die verbotene Physiognomie gehörte, schob sich langsam ins Zimmer und entpuppte sich als die Gestalt eines ältlichen Mannes in Stulpenstiefeln – kurz, um den Leser nicht länger in qualvoller Ungewißheit zu lassen, als die Mr. Grummers.
Mr. Grummers Vorgehen war seinem Berufe angemessen, aber eigentümlich. Seine erste Handlung bestand in der Verriegelung der Tür, seine zweite im sorgfältigen Abtrocknen seines Kopfes und Gesichtes mit einem baumwollnen Taschentuch, seine dritte im Hinstellen seines Hutes mit dem baumwollnen Taschentuch darin und seine vierte im Hervorziehen eines kurzen, mit einer messingnen Krone versehenen Stabes, den er mit einer gravitätischen und geisterhaften Miene gegen Mr. Pickwick schwang.
Mr. Snodgraß war der erste, der das eingetretne Stillschweigen brach. Er sah Mr. Grummer einige Minuten durchbohrend an und bedeutete ihm dann mit Nachdruck:
»Dies ist ein Privatzimmer, Sir, ein Privatzimmer.«
Mr. Grummer schüttelte den Kopf und erwiderte:
»Es gibbt kein Privatzimmer vor Seiner Majestät, wenn die Hausschwelle erst einmal öberschritten ist. Das ist Kesetz. Viele Leute behaupten, des Engländers Haus ist seine Burg. Das ist aberr Onnsinn.«
Die Pickwickier starrten einander mit verwunderten Augen an.
»Wer ist Mr. Tupman?« fragte Mr. Grummer. – Mr. Pickwick hatte er nämlich vermöge seines Scharfblicks sogleich erkannt.
»Ich heiße Tupman.«
»Und ich heiße Kesetz«, erwiderte Mr. Grummer.
»Wie?« fragte Mr. Tupman.
»Kesetz«, wiederholte Mr. Grummer, »Kesetz, bürrgerrliche Rrechtsgewalt sowie Ixikuttiiwee; das sind meine Titell; hierr ist meine Errmächtigungk, betrrifft Tupman, betrifft Pickfick; Verrstoß in Forrm von Frriedensbrruch gerrichtett gegen unsern rregierrenden Herrn, den König; auf vorliegenden Fall berrechnet und ausgestellt; alles in Butter. Iiich verrhafte Sie, Pickfick! Tupman – desgleichen.«
»Was ist das für eine Unverschämtheit!« rief Mr. Tupman aufspringend. »Verlassen Sie das Zimmer! – Augenblicklich verlassen Sie das Zimmer.«
»Hallo!« rief Mr. Grummer, verfügte sich eiligst an die Tür und öffnete sie ein paar Zoll weit. »Dubbley!«
»Hirr«, antwortete eine Baßstimme aus dem Gang, und ein sechs Fuß hoher und entsprechend breiter Mann mit einem schmutzigen roten Gesicht schob sich durch die halb geöffnete Tür ins Zimmer.
»Sind die andern gleichfalls zurr Hand, Dubbley?« fragte Mr. Grummer.
Mr. Dubbley, ein wortkarger Mann, nickte bejahend.
»Brringen Sie die Abteilung herrein, Dubbley«, gebot Mr. Grummer.
Mr. Dubbley tat, wie ihm befohlen, und ein halbes Dutzend Konstabler, jeder mit einem kurzen Stab und einer messingnen Krone versehen, stellten sich im Zimmer auf. Mr. Grummer steckte seinen Stab in die Tasche und sah Mr. Dubbley an. Mr. Dubbley steckte seinen Stab in die Tasche und sah seine Abteilung an, und die Abteilung steckte ihre Stäbe in die Tasche und sah die Herren Tupman und Pickwick an.
Mr. Pickwick und seine Jünger erhoben sich wie ein Mann.
»Was soll dieses stürmische Eindringen in ein Privatzimmer bedeuten?« fragte Mr. Pickwick.
»Wer untersteht sich, mich zu verhaften?« rief Mr. Tupman.
»Was wollt ihr hier, ihr Schufte?« sagte Mr. Snodgraß.
Mr. Winkle sagte gar nichts, heftete nur seine Augen auf Grummer und schleuderte ihm einen Blick zu, der ihm die Hirnschale durchbohrt und auf der andern Seite wieder herausgekommen wäre, hätte der Mann nur einigermaßen Empfinden besessen, so aber brachte es keine sichtbare Wirkung hervor.
Als das Detachement gewahrte, daß Mr. Pickwick und seine Freunde geneigt waren, sich der Autorität der Behörden zu widersetzen, stülpte es sehr bedeutungsvoll seine Rockärmel auf, als ob es in ihrem Beruf läge und sich von selbst verstände, daß es die Herren zuvörderst zu Boden schlagen und dann mitnehmen müsse. Diese Demonstration verfehlte ihre Wirkung auf Mr. Pickwick keineswegs. Er besprach sich einige Minuten lang leise mit Mr. Tupman, erklärte sich dann bereit, mit zum Bürgermeister zu gehen, und begnügte sich damit, die Anwesenden in Kenntnis zu setzen, daß er fest entschlossen sei, sobald er wieder in Freiheit sein werde, diese ungeheure Verletzung seiner Vorrechte als Engländer zu ahnden, was den Eindringlingen ein lautes Gelächter entlockte, Mr. Grummer ausgenommen, der auch den geringsten Eingriff in das göttliche Recht der Obrigkeit einer Art Gotteslästerung gleich zu achten schien.
Als sich jedoch Mr. Pickwick bereit erklärt hatte, sich den Gesetzen seines Landes zu fügen, und die Kellner und Hausknechte, Stubenmädchen und Postjungen, die sich von der angedrohten Widersetzlichkeit allerhand Kurzweil versprochen hatten, getäuscht und mißmutig auseinandergingen, ergab sich eine ungeahnte Schwierigkeit. Trotz seiner Hochachtung vor den Behörden weigerte sich nämlich Mr. Pickwick auf das entschiedenste, sich gleich einem gemeinen Verbrecher von den Dienern der Gerechtigkeit umringt und bewacht über die Straße führen zu lassen. Ebenso bestimmt weigerte sich Mr. Grummer, bei der noch immer herrschenden Aufregung der Gemüter – denn es war ein halber Feiertag und die Schuljugend noch nicht nach Hause zurückgekehrt –, auf der andern Seite der Straße zu gehen und sich mit Mr. Pickwicks Ehrenwort, sich geradenwegs zum Bürgermeister verfügen zu wollen, zu begnügen. Andererseits weigerten sich Mr. Pickwick und Mr. Tupman ebenso entschieden, die Kosten einer Postkutsche, des einzigen anständigen Vehikels, das man bekommen konnte, zu tragen. Der Streit wurde immer hitziger, die Parlamentäre konnten sich nicht einigen, und eben war das Detachement im Begriff, Mr. Pickwicks Weigerung durch das gewöhnliche Auskunftsmittel zu beseitigen, ihn mit Brachialgewalt zum Bürgermeister zu schleppen, als man sich erinnerte, daß im Hofe eine alte Sänfte stand, die, ursprünglich für einen mit Gicht behafteten Grundeigentümer entworfen, zur Beförderung Mr. Pickwicks und Mr. Tupmans zum mindesten ebenso geeignet war wie eine moderne Postkutsche. Die Sänfte wurde also requiriert und in den Hausflur gebracht. Mr. Pickwick und Mr. Tupman schlüpften hinein und ließen die Vorhänge herunter. Ein paar Träger waren bald gefunden, und in bester Ordnung setzte sich der Zug in Bewegung. Die Diener der Gerechtigkeit umzingelten das Vehikel, Mr. Grummer und Mr. Dubbley schritten triumphierend voran, Mr. Snodgraß und Mr. Winkle gingen Arm in Arm hinterdrein, und die Ungeseiften von Ipswich bildeten die Nachhut.
Die Krämer der Stadt hatten zwar nur eine sehr unbestimmte Vorstellung von der Natur des vorgefallen Verbrechens, waren aber doch durch dieses Schauspiel höchlich erbaut. War es doch der starke Arm des Gesetzes, der sich da mit der Kraft von zwanzig Goldschlägern auf zwei Verbrecher aus der Hauptstadt herniedersenkte; die gewaltige Maschine wurde durch ihren eignen Bürgermeister geleitet und durch ihre eignen Amtsdiener in Betrieb gesetzt, und durch ihre vereinten Anstrengungen waren die Frevler in dem engen Raum einer Sänfte sicher aufgehoben. Mancher Zuruf des Beifalls und der Bewunderung begrüßte Mr. Grummer, als er den Zug mit dem Stab in der Hand anführte. Laut und anhaltend war der Jubel, den die Ungeseiften anstimmten.
Mr. Weller kehrte gerade in seiner Morgenjacke mit den schwarzen Kalikoärmeln ziemlich niedergeschlagen von einer erfolglosen Besichtigung des geheimnisvollen Hauses mit dem grünen Tor zurück, als er, die Augen erhebend, den die Sänfte umwogenden Volkshaufen gewahrte. Um seine Gedanken von dem fehlgeschlagnen Unternehmen abzulenken, trat er beiseite, um die Menge vorbeizulassen, und da er hörte, daß sie größtenteils zu ihrem Privatvergnügen schrie und lärmte, begann er sofort, lediglich um sich aufzuheitern, ebenfalls aus vollem Halse zu schreien.
Mr. Grummer schritt vorüber und Mr. Dubbley, die Sänfte und die Leibwache, und immer noch stimmte Sam in das enthusiastische Geschrei der Menge ein und schwenkte dabei seinen Hut im Taumel höchster Lust, nicht im entferntesten die Wahrheit ahnend, als er plötzlich bei der unerwarteten Erscheinung der Herren Winkle und Snodgraß verstummte.
»Was is los, Gentlemen?« rief er. »Wen tragen sie denn da in diesem Trauerschilderhaus?«
Beide Herren antworteten gleichzeitig, aber ihre Worte verhallten im allgemeinen Lärm.
» Wen?« schrie Sam wieder. Und abermals erfolgte eine gleichzeitige Antwort. Wenn er auch die Worte nicht vernehmen konnte, so las er doch von der beiden befreundeten Lippenpaaren das Zauberwort »Pickwick«.
Dies war genug. In der nächsten Minute hatte sich Mr. Weller Bahn gebrochen, brachte die Träger zum Stehen und stellte den stattlichen Grummer zur Rede.
»Holla, Alter, wen haben Sie da in dieser Tragbahre?«
»Zurück!« rief Mr. Grummer, dessen Selbstgefühl durch die Volksgunst wunderbar gehoben war.
»Schlagt ihn nieder, wenn er nicht abhaut«, riet Mr. Dubbley.
»Ich bin Ihnen ja sehr verbunden, Sie alter Herr, daß Sie sich so um meine Bequemlichkeit kümmern; und dem andern alten Herrn, der so aussieht, als wenn er gerade aus 'ner Karawane getürmt ist, wo lauter Riesen drin waren, dem bin ich ja noch mehr verbunden wegen sein hübschen Vorschlag. Bloß, wenn es Ihnen egal is, dann hätte ich doch lieber Auskunft auf meine Frage. – Wie geht es Ihnen, Sir?« Diese letzte Bemerkung war in gönnerhaftem Ton an Mr. Pickwick gerichtet, der eben durch das Vorderfenster spähte.
Mr. Grummer war völlig sprachlos vor Entrüstung. Er zog seinen Stab mit der Messingkrone aus der Tasche hervor und schwenkte ihn vor Sams Augen.
»Hm«, sagte Sam, »recht hübsch, besonders die Krone, die hat ja direkt Ähnlichkeit mit 'ner richtigen.«
»Zurück!« schrie Mr. Grummer entrüstet, und um seinem Befehl mehr Kraft zu geben, stieß er mit der einen Hand das metallne Sinnbild des Stabes in Sams Halstuch und faßte ihn mit der andern am Kragen, eine Artigkeit, die Mr. Weller damit erwiderte, daß er ihn zu Boden schlug, nachdem er zuvor mit der größten Bedachtsamkeit einen Träger umgeworfen, um Mr. Grummer minder hart zu betten.
Ob Mr. Winkle von einem vorübergehenden Anfall jener Art von Wahnsinn befallen war, die aus dem Gefühl erlittenen Unrechts entspringt, oder ob er durch Mr. Wellers Tapferkeit angesteckt wurde, läßt sich nicht mehr ermitteln; kaum jedoch sah er Mr. Grummer stürzen, als er einen furchtbaren Angriff auf einen kleinen Jungen machte, der neben ihm stand, worauf Mr. Snodgraß mit echt christlichem Sinn und um niemand ungewarnt zu überfallen, mit lauter Stimme ankündigte, er werde jetzt beginnen – eine Erklärung, nach der er mit kaltblütiger Überlegung seinen Rock auszog. Er wurde jedoch augenblicklich umringt und festgenommen, und zu seiner und Mr. Winkles Ehre sei gesagt, daß beide nicht den geringsten Versuch machten, sich oder Mr. Weller zu befreien, der erst nach heftigem Widerstand von der Übermacht bewältigt und festgenommen wurde. Der Zug ordnete sich, die Träger traten an ihre Plätze, und alles setzte sich wieder in Bewegung.
Mr. Pickwicks Entrüstung während dieses ganzen Vorfalls kannte keine Grenzen. Er sah nur, wie Sam die Werkzeuge der Gerechtigkeit in allen Richtungen durcheinanderwarf – das einzige, was er wahrnehmen konnte, da er weder die Tür der Sänfte zu öffnen, noch die Vorhänge aufzuziehen vermochte. Endlich gelang es ihm mit Hilfe Mr. Tupmans, die Decke zu durchstoßen und auf den Sitz zu steigen, von wo aus er, krampfhaft auf die Schulter des Freundes gestützt, eine flammende Rede an das Volk hielt, in der er gegen die unverantwortliche Art der Behandlung protestierte und alle zu Zeugen aufrief, daß sein Diener zuerst angegriffen worden sei.
In diesem Aufzug erreichten sie das Haus des Bürgermeisters, die Sänftenträger im Trab, Mr. Pickwick im Feuer der Rede und die Menge laut johlend.