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XII.

Zur großen Verwunderung des Knechts ging Fräulein Esther auf die Vorschläge des Vetters ein. So wurde das Gut verkauft, der Schuldschein bezahlt. Gleichzeitig aber geschah noch etwas, was zu allerlei Klatsch im Dorf führte. Efix blieb wohl im Dienst der Damen Pintor, wurde aber Pächter des kleinen Gutes und brachte nun regelmäßig den ihm zustehenden Ernteanteil ins Haus seiner Herrinnen. Kurz und gut, er war, wie die boshaften Zungen sagten, vom Knecht zum Ernährer und Beschützer der Damen Pintor aufgerückt.

Noch verwunderlicher aber war die Willfährigkeit Don Predus. Seit geraumer Zeit war er wie umgewandelt. Er hatte sogar abgenommen, und es ging ein seltsames Gerücht, daß er verwunschen sei – verwunschen durch einen mit Hilfe der Bibel ausgeübten Zauber.

Wer hatte daran wohl Interesse?

Das wußte kein Mensch. Von solchen Dingen weiß man ja nie etwas Genaues und Bestimmtes, und wüßte man es, so wären sie nicht mehr so sonderbar und rätselhaft. Fest stand nur so viel: Don Predu wurde zusehends magerer, sprach nicht mehr so abfällig von seinem Nächsten und beging zuletzt die Torheit, ein wertloses Gut zu übernehmen und mit ihm den Knecht, den er nach eigenem Gutdünken schalten und walten ließ.

Stefana und Pacciana sagten: »Er will damit ein gutes Werk an seinen unglücklichen Basen tun.«

Aber da Don Predu den Damen Pintor auch weiterhin Geschenke über Geschenke schickte, waren sie sich im stillen einig, daß er tatsächlich verwunschen sei, und munkelten mancherlei über Efix. Alles ist möglich auf Erden, und Efix liebte seine Herrinnen so sehr, daß er um ihretwillen sogar imstande war, zu heimlichen Zauberkünsten zu greifen. Vor allem sein ständiges Ein- und Ausgehen bei Don Predu erregte den Argwohn der Mägde. Stefana sah unter der Türschwelle nach, ob dort nicht ein Zaubergegenstand versteckt sei, und Pacciana fand eines Tages eine schwarze Nadel im Bett des Herrn ... Seltsame Ereignisse standen noch bevor.

   

Im Winter blieben die Damen Pintor den ganzen Tag zu Hause und sprachen nie davon, im Frühling zum Marienfest zu pilgern. Doch als die Tage dann länger wurden und das Gras auf dem alten Kirchhof wieder grünte, wurde scheinbar auch Fräulein Esther von einem Gefühl tiefer Schwermut ergriffen, von einer schleichenden Krankheit, wie sie alljährlich im Frühjahr Noemi blaß und leidend machte. Sie ging fast nicht mehr in die Kirche, schleppte sich müde durchs Haus, setzte sich immer wieder, die Hände im Schoß, und sagte, die Füße schmerzten sie. War die Not im Hause auch nicht mehr so drückend wie in den vergangenen Jahren, da Efix ja für alles Nötige sorgte, so war die Luft doch wie durchtränkt von Trauer.

In der Karwoche gingen die beiden Schwestern beichten. Es war ein schöner, klarer duftiger Morgen. Von der Binsenniederung in der Ebene tönten Kindergeschrei und Herdengeläute herauf, und die Stimme des Flusses, lauter und immer lauter, als drohte sie im Scherz. Am tiefblauen Himmel stand kein Wölkchen, und die Luft war so durchsichtig, daß man auf dem Burgfelsen die einzelnen Steine glänzen und ein leeres Fenster blau zwischen dem dichten Efeugerank gähnen sah.

Hochwürden Paskal saß in seiner Beichtzelle und machte keine Miene, aufzustehen, obwohl Natòlia in der Sakristei mit dem Kaffee und einem Körbchen Backwerk auf ihn wartete.

Als sie die beiden neuen Büßerinnen kommen sah, machte die Magd eine verzweifelte Gebärde und dachte, daß es wohl besser sei, wenn sie zu ihrer Freundin Grixenda ginge und den Kaffee von ihr noch einmal warm machen ließe. Mit dem Körbchen auf dem Kopf trat sie aus der Kirche und schritt den schmalen Pfad zwischen den tauglitzernden Brombeersträuchern hinab.

Durch die offene Tür im Häuschen der alten Pottoi sah man, wie Grixenda sich über die Glut auf dem Herd beugte und Kaffee kochte für die Großmutter, die krank im Bett lag.

»Du wirst täglich dünner«, sagte Natòlia beim Eintreten.

Grixenda sah wirklich recht schmal und blaß aus, jung noch, aber wie verwelkt; manche Bewegungen ihres dünnen Halses und ihres gelblichen Gesichtes erinnerten geradezu an die Großmutter. Nur ihre Augen schimmerten groß und klar in einem traurigen und zugleich tückischen Glanze, wie das Wasser in den Tümpeln zwischen der Binsenniederung im Tal.

»Der Kaffee ist schon ganz kalt, und nun, wo deine Patinnen gekommen sind, wird er zu Eis werden«, sagte Natòlia und nahm die Kaffeekanne aus dem Korb. »Da will ich lieber selbst schnell einen Schluck trinken!«

»Meine Patinnen! Gott strafe sie, und dich mit ihnen! Wenn sie alle ihre Sünden auspacken, wirst du deinen Herrn nachher sicher mit gebrochenem Herzen tot in seiner Zelle finden ...«

»Was für Redensarten! Man merkt, daß eine Schlange dich gebissen hat. Da – iß etwas Süßes, zur Besänftigung deines Herzens ...«

Aber Grixendas Herz war wirklich wie vergiftet, sie ging nicht auf den Scherz der anderen ein.

»Bilde dir nicht ein, daß du mir weh tun kannst, Natòlia. Nein, Dornen hast du nicht, denn du bist wahrhaftig keine Rose. Außerdem kann kein Mensch mir weh tun, kein Mensch mich kränken; ich bin stark wie die Pinie am Fluß unten. Und bald kommt der Tag, wo du zu mir schicken und mich bitten wirst, dich als Magd zu mir zu nehmen.«

»Wen willst du denn heiraten? Den alten Burgherrn?«

»Ich werde einen Lebenden heiraten, keinen Toten! Die Toten überlasse ich dir.«

»Mir scheint, du hast Don Predu verhext.«

»Wenn ich will, kann ich auch Don Predu bekommen«, sagte Grixenda und hob hochmütig das vergrämte, kindliche Gesicht. »Aber ich habe anderes im Sinn!«

Natòlia sah sie an und hatte Mitleid mit ihr. Die Bedauernswerte erschien ihr wie von Sinnen, und deshalb quälte sie sie nicht länger. Sie nahm ein anderes Stück Gebäck und brachte es Muhme Pottoi in ihr Kämmerchen. Durch das Dach fiel ein Lichtstreif in das niedrige Stübchen, auf das Bett, in dem die Alte in ihren Kleidern lag, mit der Halskette und den Ohrringen, abgezehrt und unbeweglich wie ein zum Begräbnis geschmückter Leichnam.

Natòlia glaubte, sie schlafe, und berührte leise ihre fieberheiße Hand. Da zog die Alte sie zu sich und raunte ihr ins Ohr: »Hör zu, Natòlia, du mußt mir einen Gefallen tun. Geh zu Efix Maronzu und sag ihm, ich müßte ihn sprechen. Aber daß Grixenda nichts merkt! Geh, mein Täubchen, geh!«

»Und wo finde ich Efix? Ob er im Dorf ist?«

»Er kommt gerade vom Gut herauf – ja, ganz deutlich sehe ich ihn heraufkommen«, sagte die Alte und legte den Finger an den Mund, da Grixenda mit dem Kaffee eintrat.

»Da siehst du's, Natòlia. Heute morgen wollte sie aufstehen, obwohl sie hohes Fieber hat. Schnell, deck dich zu, Großmütterchen!«

»Schon gut, ich decke mich schon zu. Einmal deckt uns ja alle das Leichentuch«, sagte die Alte, und schweren Herzens ging Natòlia fort.

Und seltsam, als sie am Haus der Damen Pintor vorbeikam, sah sie tatsächlich Efix die einsame Straße heraufkommen. Gebückt, tief gebückt, als wenn er etwas am Boden suchte, schritt er unter der Last des Sackes dahin.

Die Alte muß sterben und sieht schon in die Ferne, dachte Natòlia.

Mit stumpfen Augen, wie ein Tier, sah der Knecht sie an und sagte nicht, ob er zu der Alten gehen würde oder nicht. Als er erfuhr, daß seine Herrinnen beim Beichten waren, warf er den Sack auf die Stufen, setzte sich und wartete. Die Brennesseln sengten seine Hände.

Da kehrte die Magd in die Kirche zurück und sah nach, ob sie den Damen nicht sagen könnte, daß der Knecht gekommen sei – dann hätte Hochwürden doch wenigstens Ruhe vor ihnen. Aber auf der einen Seite des Beichtstuhls kniete noch immer Fräulein Esther in ihrem dunklen Tuch, dessen Zipfel wie ein schwarzer Fittich durch die Dämmerung ragte, auf der anderen Fräulein Noemi mit gebeugtem Rücken, der hin und wieder leicht erschauerte unter dem schwarzen, glanzlosen Gewand.

Die anderen Büßerinnen kauerten da und dort auf den grünlichen Fliesen und beteten. Tiefe Stille, ein bläulicher Schein, ein Duft nach frischem Grün fluteten durch die Basilika, in der es feucht und düster war wie in einer Grotte. Die Magdalena in dem schwarzen Rahmen schien den Stimmen des Frühlings zu lauschen, die mit der duftgetränkten Luft hereinwehten, und auch Noemi fühlte, wie ihr durch die rostigen Gitterstäbe ein Hauch vom Leben und Todessehnsucht, von leidenschaftlicher Inbrunst und Demut entgegendrang: all die Trauer und Reue, all der Kummer und Schmerz der liebenden Sünderin.

   

Als die beiden Schwestern nach Hause kamen, sahen sie, wie Efix sich mühsam aufzurichten versuchte. Da bemerkte Noemi, die Gottes Liebe und Barmherzigkeit noch in sich glühen fühlte, zum erstenmal, wie elend, wie alt und grau der Knecht in seinen zu weit gewordenen Kleidern aussah, und streckte die Hand aus, um ihm beim Aufstehen zu helfen. Aber er war schon aufgestanden und achtete nicht auf ihre mitleidige Geste.

Und als sie dann in der Küche standen und Fräulein Esther sich nach dem Gut erkundigte, als wenn es noch immer ihnen gehörte, zuckte er nur schroff die Achseln und ging an den Brunnen, um sich zu waschen.

Der April tauchte auch den düsteren Hof in ein helles, freundliches Licht. Die Schwalben streckten ihre schwarzen Köpfchen aus den Nestern unter der Veranda und sahen nach den Gefährten, die tief über das dichte Gras des alten Friedhofs flogen, als jagten sie hinter ihren Schatten her.

»Efix, mir scheint, du fühlst dich nicht ganz wohl. Du solltest etwas einnehmen oder dir wenigstens ein paar Tage Ruhe gönnen«, sagte Noemi.

»So, meinen Sie, Fräulein Noemi? Und dabei gedenke ich doch eine weite Wanderung zu tun!«

»Spaß beiseite! Ich sage dir, du siehst schlecht aus. Was fehlt dir eigentlich?«

Er sah sie mit lebhaft blitzenden Augen an, und seine Freude war so groß, daß die Fältchen um seine Augen wie Strahlen aussahen.

»Ich werde eben alt«, sagte er und klatschte in die Hände, und seine Freude verlor sich so schnell wie sie gekommen.

Er war nur ins Dorf gegangen, weil Don Predu ihn hatte holen lassen; sonst hätte er sich nicht von dem Gut gerührt. Was vermochte Noemis Mitleid gegen seine Qual? Sie verschärfte sie höchstens.

Und so ging er denn zu seinem neuen Herrn und sah ihn auf einer Leiter stehen und den wilden Wein vom Geäst eines Granatapfelbaumes schneiden, der im goldenen Schmuck des jungen Laubes prangte.

Auch hier wirbelten die Schwalben eilig, aber höher über den blaßblauen Himmel. Im Haus drinnen hörte man die Mägde die Stuben fegen und alles zum Osterfest rüsten, und tiefer Frieden lagerte in der Runde.

Nie vergaß Efix diese Stunde. In der Gewißheit, daß heute etwas Ungewöhnliches geschehen würde, war er vom Gute aufgebrochen; doch als er nun zu der Leiter emporblickte, schien ihm, daß auch Don Predu traurig, fast krank war und absichtlich auf der Leiter verweilte, in der einen Hand die blitzende Sichel, in der anderen eine abgeschnittene Rebe, aus deren bläulichem Stiel wie aus einem abgehackten Finger rötliche Blutstropfen quollen.

»Warte, bis ich fertig bin! Oder hast du's besonders eilig?« sagte Don Predu, besann sich aber gleich darauf eines anderen, kam schwerfällig die Sprossen herunter und ließ Efix die Leiter ins Haus tragen.

»Also«, begann er, als sie dann in dem sonnigen Zimmer im Erdgeschoß saßen, durch das die Schatten der Schwalben huschten, »also, ich muß dir etwas sagen ... Wieder zögerte er und betrachtete seine Nägel. »Also – ich möchte Noemi heiraten ...«

Da begann Efix so heftig zu zittern, daß seine Hand auf dem Tisch zu hüpfen schien, und Don Predu brach in ein schallendes Hohngelächter aus wie früher.

»Du selbst willst sie doch hoffentlich nicht heiraten? Du weißt doch, dir habe ich Stefana zur Frau bestimmt!«

Efix schwieg und sah ihn an, und seine Augen erstrahlten in einem so leidenschaftlichen, so erschrockenen und freudigen Glanz, daß Don Predu wieder ernst wurde. Zu scherzen versuchte er freilich noch immer.

»Warum bist du so verstört? Hoffst du etwa, ich werde dir den Lohn vergüten, den sie dir schulden?

Nein, hör mal, das mußt du schon mit Esther abmachen. Übrigens ...«

Er schabte sorgfältig mit dem Nagel einen Fleck von seinem Wams.

»Wird sie mich überhaupt nehmen?«

»Ach, was nicht gar!« stammelte Efix.

»Oh, nur nicht zu sicher sein! Und jetzt wollen wir einmal ein ernstes Wort reden. Ich habe reiflich überlegt, ehe ich mich dazu entschloß. Glaub mir, ich tu's mehr aus Pflichtgefühl als aus bloßer Laune. Auf was warte ich noch? In meinem Alter wäre eine junge Frau wohl kaum das Richtige. Aber das tut nichts zur Sache, mein Entschluß steht fest. Und ich leugne nicht: Noemi ist hübsch und gefällt mir! Gefallen hat sie mir, ehrlich gesagt, von jeher. Aber das ist nun mal nicht anders. Das Leben verrinnt, und der Mensch läßt es verrinnen wie Wasser im Fluß, und erst, wenn es versiegt, fällt es ihm auf. Na, genug davon«, setzte er hinzu, schlug sich auf die Schenkel, stand auf und setzte sich dann wieder. »Wissen muß ich vor allem eins: ob Noemi mich nimmt. Ich werde feierlich um sie anhalten, wie sich's gehört, werde Hochwürden Paskal zu ihr schicken oder den Arzt oder wen sie will; aber einen Korb möchte ich mir keinesfalls holen – nein, Gott soll mich schützen, nur keinen Korb! Verstehst du, Efix?«

Efix verstand sehr gut und nickte: Ja, ja, mit blitzenden Augen.

»Soll ich mit Fräulein Noemi reden?«

Don Predu schlug ihm mit der Hand auf die Knie.

»Ausgezeichnet! Ja, das sollst du. Je früher, desto besser, Efix. Solche Dinge soll man nicht auf die lange Bank schieben. Du mußt zu ihr sagen: ›Wen soll er als Brautwerber schicken? Hochwürden Paskal oder dessen Schwester oder wen sonst?‹ Um so besser, wenn sie dann sagt: ›Niemand soll er schicken!‹ Ja, um so besser, glaub mir! Dann werden wir alles andere im Handumdrehen erledigen. Wir sind ja keine Kinder mehr. Was meinst du? Ich werde im September achtundvierzig, sie ist Mitte der dreißig – na, was meinst du? Du kennst doch ihr genaues Alter? Na ja, du mußt ihr dann eben sagen, sie soll sich um nichts sorgen: das Haus stehe bereit, die Mägde seien auch schon da – zwei Schandmäuler, ja, aber sie sind doch einmal da und werden gut bezahlt! Wäsche ist auch da, alles ist in Hülle und Fülle da. An Essen und Trinken wird's, so Gott will, auch nicht fehlen – na, kurz und gut, darüber können wir ja dann noch ausführlicher mit Esther sprechen. Nur eins tut mir leid – dir kann ich es ja sagen: daß Ruth unter so traurigen Umständen verschieden ist. Vielleicht hätte sie sich auch gefreut ...«

Efix stand auf. Er fühlte, wie es wie ein Ruck durch seinen ganzen Leib ging, wie es ihn drängte, davonzueilen und den Lauf des Schicksals zu beschleunigen.

»Nicht so hitzig, zum Teufel! Erst sollst du noch mit mir anstoßen. Was willst du? Ein Gläschen Korn? Oder ein Anisschnäpschen? Stefana! Kreuzdonnerwetter, Stefana! Dein Bräutigam ist hier!«

Man hörte, wie die Frauen oben eifrig die Möbel klopften. Schließlich tauchte die ältere Magd auf, mit einem Staubtuch auf dem Kopf und einem anderen in der Hand, ernst und würdevoll, doch mit unterwürfigen Blicken. Sie öffnete den Schrank, schenkte den Anisschnaps ein und betrachtete Efix mit bangen Gefühlen, um zu ergründen, ob er die grausamen Späße ihres Herrn ernst nähme. Efix aber war so verwirrt und eingeschüchtert, daß sie wieder nach oben ging und zu der jüngeren Magd sagte: »Wenn er ihn wirklich verhext hat, dann hat er seine Sache verteufelt gut gemacht. Wie aus heiterem Himmel fällt das Glück dieser Sippschaft in den Schoß. Mach gründlich sauber, daß uns die Mühe bei der Hochzeit erspart bleibt.«

»Deiner mit Efix?« fragte Pacciana. »Denn was Don Predu angeht, so muß es sich erst zeigen, ob Noemi ihn überhaupt nimmt!«

Aber Stefana streckte beschwörend die Hände aus, so lächerlich erschienen ihr diese Worte.

   

Als Don Predu ihn wie einen Freund ans Tor begleitet hatte und er wieder auf der Straße stand, sah Efix sich um und seufzte.

Alles war wie umgewandelt. Weit und leuchtend tat sich das Tal vor ihm auf, wie nach einem Gewittersturm, wenn die Nebelschwaden sich lichten und verziehen. Die Burg am blauen Himmel, die zerfallenen Mauern, auf denen das taubeperlte Gras im Winde wogte, die Ebene dort unten mit dem rostroten Binsengebüsch, alles war wie belebt von trauten Kindheitserinnerungen, von längst verlorenen Dingen, die man lange Zeit beweint, zurückersehnt und dann vergessen hat und nun endlich wiederfindet, wo man ihrer nicht mehr gedenkt, nicht mehr um sie trauert.

Alles ist zauberhaft und schön und wundersam. Dort vor der Basilika die Brombeersträucher, eingehüllt in blau und rötlich glitzernde Taugespinste, dort das graue Gemäuer, das wurmstichige Tor, der alte Kirchhof mit den weiß durch die Quecken und Brennesseln schimmernden Gebeinen, dort der schmale Weg und die Hecke mit den lila Schmetterlingen und den roten Schildläusen, die wie Blüten und Beeren zwischen den Blättern leuchten, all das ist frisch und rein und schön wie in fernen Kindheitstagen, da man morgens fröhlich aus dem Hause eilte – in die weite, die wunderbare Welt hinein ...

Die Basilika war in der Karwoche den ganzen Tag geöffnet, und Efix trat ein und kniete wie immer unter der Kanzel nieder.

Auch die Magdalena schaute heute gnädig auf ihn herab, auch sie verspürte den Frühling, war frohen Herzens, obwohl es die Leidenstage Unseres Herrn waren.

»Vater im Himmel, ich danke dir, Vater im Himmel, nimm meine Seele nun zu dir! Ich bin froh, daß ich gelitten, daß ich gesündigt habe, ward ich doch Zeuge deiner göttlichen Barmherzigkeit, deiner Gnade, deiner Hilfe, deiner Allmacht. Ja, nimm meine Seele nun zu dir, wie ein Vöglein die Ähre vom Feld, zerstreue mich in alle Winde, ich werde dich doch ewig loben, weil du mein Gebet erhört ...«

Doch als er sich nun mühsam, mit schmerzenden Knien wieder aufrichtete, überkam ihn tiefe Trauer, als wenn der Schatten einer Wolke durch die Kirche glitte und das Antlitz der Magdalena verschleierte.

Auch auf dem Gesicht Noemis, die im Hof saß und nähte, lag ein dunkler Schatten.

Efix pflückte ein Vergißmeinnicht am Brunnen und reichte es ihr. Verwundert sah sie auf, nahm die Blume aber nicht.

»Erraten Sie, wer Ihnen das Blümlein schickt? Nehmen Sie es doch.«

»Du hast es gepflückt, behalt es ruhig.«

»Nein, im Ernst, Fräulein Noemi, nehmen Sie es!«

Demütig, mit gekreuzten Beinen, setzte er sich vor ihr auf den Boden und nahm die Füße in die Hand. Er wußte nicht, wie er beginnen sollte, wußte nur, daß seine Herrin schon alles ahnte. Noemi hatte das Vergißmeinnicht in eine Falte des weißen Linnens fallen lassen, ihr Herz pochte laut; ja, sie erriet alles.

»Wo ist Fräulein Esther?« sagte Efix und beugte sich über seine Füße. »Wie wird sie sich freuen, wenn sie es erfährt! Nur deshalb ließ Don Predu mich ins Dorf kommen ...«

»Was redest du da, Unglücklicher?«

»Nein, sagen Sie nicht ›Unglücklicher‹ zu mir! Wo ich doch so glücklich bin – ja, so glücklich, als stürbe ich in diesem Augenblick im Herrn und sähe den Himmel offen. Bevor ich zurückkam, war ich in der Kirche, um Gott zu danken. Auf Ehre und Gewissen, es ist so, wie ich sage, ich bin glücklich ...«

»Warum denn, Efix?« sagte sie mit unsicherer Stimme und zerstach das Vergißmeinnicht mit der Nadel. »Ich verstehe dich nicht.«

Efix hob die Augen. Bleich, mit zitternden Lippen und bläulichen Lidern, wie eine Tote sah er sie da sitzen. Vor Glück, freilich – nur vor Glück ist sie so blaß. Und er fühlt, wie er erschauert, wie es ihn drängt, sich ihr zu Füßen zu werfen und zu sagen: »Ja, es ist wirklich ein großes, großes Glück, Fräulein Noemi ...«

»Sie willigen also ein, Herrin? Sie freuen sich, nicht wahr? Darf ich ihm sagen, daß er kommen soll?«

Mühsam hielt sie an sich, biß sich auf die Lippen, schlug die Augen wieder auf, und langsam färbte das Blut wieder ihr Gesicht, aber nur ganz schwach, nur um Lippen und Lider herum. Schweigend starrte sie Efix an, und wie in den grauenvollen Tagen der Vergangenheit sah er wieder Haß und Hochmut aus ihren Augen blitzen.

»Seien Sie nicht zornig, Fräulein Noemi, wenn ich zuerst mit Ihnen darüber spreche. Ja, ich bin ein armer Knecht, aber stumm wie das Grab. Wenn Sie ja sagen, wird Don Predu durch den Herrn Pfarrer um Sie anhalten lassen oder durch wen Sie wollen ...«

Noemi warf das zerstochene Vergißmeinnicht fort und nähte weiter. Scheinbar war sie ganz ruhig.

»Wenn Predu Lust zum Spotten hat, soll er ruhig spotten! Mich trifft es nicht.«

»Fräulein Noemi!«

»Ja doch! Ich sage ja nicht, daß er es nicht ernst meint. Sonst wärst du wohl nicht hier. Aber steh jetzt bitte auf und geh!«

»Fräulein Noemi!«

»Nun, was hast du denn? Steh auf, knie nicht so verzweifelt mit gerungenen Händen vor mir! Du machst dich lächerlich!«

»Fräulein Noemi! Was haben Sie denn, Sie sagen doch nicht nein?«

»Doch, ich sage nein!«

»Nein? Warum denn, liebes Fräulein Noemi?«

»Warum? Hast du das vergessen? Ich bin alt, Efix, und im Alter macht man ungern solche Scherze. Genug, sprechen wir nicht mehr davon!«

»Ist das Ihr letztes Wort?«

»Ja, das ist mein letztes Wort.«

Sie schwiegen. Noemi nähte, Efix hatte die Knie hochgezogen und preßte die verschlungenen Hände dazwischen. Er glaubte zu träumen, er begriff noch immer nicht. Schließlich hob er die Augen und blickte um sich. Nein, er träumte nicht, alles war wahr. Der Hof war voll Sonne und Schatten, ab und zu fiel ein Holzsplitter vom Balkon, wie im Herbst die Nadeln von den Pinien, und dort über der Mauer sah man den Berg, weiß wie aus Zucker, und alles war sanft und zauberhaft wie heute morgen, als er aus Don Predus Haus trat. Noch immer glaubte er die Frauen oben die Möbel klopfen zu hören, aber nun sausten die Schläge wie auf ihn herab; ja, irgend etwas traf ihn hart und grausam auf Rücken, Schultern, Arme, Knie und Fingerknöchel. Und dort saß bleich Fräulein Noemi und nähte und nähte und stach die Nadel durch sein Herz, und über ihren Köpfen kreisten unaufhörlich die Schwalben, wie ein wirbelnder Kranz aus schwarzen Blumen, aus kleinen schwarzen Kreuzen. Ihre Schatten stoben über den Boden wie Blätter im Wind, und er erinnerte sich plötzlich wieder an die tiefe Trauer, die er beim Aufstehen unter der Kanzel empfunden hatte, und an den Schatten auf dem Antlitz der Magdalena. Er seufzte laut auf. Er begriff. Es war die Strafe Gottes, die auf ihm lastete.

Da griff er nach Noemis Rocksaum und begann zu sprechen, ganz leise und zaghaft, ohne zu wissen, was er sagte; aber seine Worte mußten nicht sehr überzeugend sein, denn die Herrin nähte weiter und gab ihm keine Antwort, sah wieder still und ruhig vor sich hin, mit einem rätselhaften Lächeln auf den Lippen.

Erst als er alles gesagt, ihr alle Not der Vergangenheit und alle Herrlichkeit der Zukunft ausgemalt zu haben glaubte, sprach auch sie, ganz leise wie er, ohne aufzuschauen, als spräche sie nur mit den Augen.

»Mach dir nicht soviel Gedanken, Efix, misch dich nicht weiterhin in unsere Dinge. Du weißt doch, wir haben bisher auch gelebt, und ist es uns bisher nicht ganz gut gegangen? Was hat uns gefehlt? Mit Gottes Hilfe werden wir uns weiter durchs Leben schlagen, an Brot wird es uns schon nicht fehlen. Und dort, in Predus Haus, gibt es zu viele Dinge, die könnte ich gar nicht alle übersehen.«

Verzweifelt überlegte Efix hin und her. Was blieb ihm anderes übrig, als zu einer Lüge zu greifen?

Wieder zupfte er sie am Rock.

»Dann muß ich Ihnen noch ernstere Dinge sagen, liebes Fräulein Noemi. Ich wollte es nicht, aber Sie mit Ihrem Starrsinn zwingen mich dazu. Don Predu ist so verliebt in Sie, daß er sich zu Tode grämen wird, wenn Sie ihn nicht nehmen. Ja, er ist wie verzaubert, er schläft fast keine Nacht mehr. Sie, liebes Fräulein Noemi, wissen nicht, was Liebe ist. Liebe vermag zu töten, und es ist gewissenlos, einen Menschen zu töten ...«

Da lachte Noemi laut auf, und ihre kräftigen Zähne blitzten wie die eines übermütigen jungen Mädchens. Dieses Lachen tat Efix weh, erzürnte ihn, machte ihn böse und verlogen.

»Und etwas noch viel Ernsteres, Fräulein Noemi! Ja, Sie zwingen mich, es Ihnen zu sagen. Es besteht Gefahr, daß Don Giacinto zurückkehrt ... Verstehen Sie?«

Sie hörte auf zu nähen, richtete sich starr auf, beugte weit das Gesicht zurück und rang nach Luft. Ihre Finger krallten sich in das Linnen.

Erschrocken sprang Efix auf und glaubte, sie würde ohnmächtig werden.

Doch ein kurzer Augenblick nur, und sie sah ihn wieder mit finsteren Augen an und sagte ruhig: »Mag er ruhig kommen, zu verlieren haben wir nichts mehr! Und deshalb brauchen wir auch keinen Beschützer.«

   

Er hob das Vergißmeinnicht vom Boden auf und setzte sich dann auf die Treppe, wie in der Nacht nach Fräulein Ruths Tod. Nun fragte er sich nicht mehr, weshalb Noemi das Leben von sich wies, nun glaubte er zu begreifen. Es war die Strafe Gottes, die auf ihm, die auf dem ganzen Hause lastete. Er war die Made in der Frucht, war der Wurm, der am Geschick des uralten Geschlechts nagte. Ja, wie ein Holzwurm hatte er in der Stille gewirkt, hatte genagt und genagt, und da wunderte er sich nun, daß alles um ihn her zusammenbrach? Er mußte fortgehen, soviel begriff er nun. Aber noch hielt ihn ein schwacher Hoffnungsschimmer aufrecht, wie der noch frische Stengel das blasse Vergißmeinnicht in seiner Hand. Der Herr würde die armen Herrinnen nicht im Stich lassen. Und war er erst fortgegangen, dann würde Fräulein Noemi, die sich vielleicht nur an der Form der Werbung stieß, schon nachgeben. Ganz allein können zwei Frauen doch nicht leben.

Ja, er mußte fortgehen. Warum hatte er das nicht schon längst begriffen? Ihm war, als riefe eine Stimme ihn; und eine Stimme rief ihn auch wirklich, hinter der Mauer dort, aus dem Schweigen der Straße.

Er stand auf und ging. Dann kehrte er wieder um und nahm den Sack von dem Holzpflock unter der Veranda. Der Holzpflock, der dort schon viele Jahrhunderte stak, löste sich und rollte in den Kies des Hofes, wie ein großer schwarzer Finger. Er zuckte zusammen. Ja, er mußte fortgehen, auch der Holzpflock fiel von der Wand, als wollte er den Sack nicht länger tragen.

Und zum Erstaunen Noemis, die verstohlen sein Tun beobachtet hatte, befestigte er ihn nicht wieder in der Wand, sondern schritt davon.

»Efix? Gehst du schon?«

Mit gesenktem Kopf blieb er stehen.

»Willst du nicht auf Esther warten? Kommst du zu Ostern wieder her?«

Er schüttelte das Haupt.

»Bist du böse, Efix? Habe ich dich beleidigt?«

»Nein, Herrin. Ich muß nur gehen, es ist Zeit ...«

»Nun, dann geh mit Gott.«

Er dachte noch eine Weile nach. Ihm war, als hätte er noch etwas vergessen, wie jemand, der zu einer weiten Wanderung aufbricht und sich fragt, ob er auch mit allem Nötigen versehen ist.

»Fräulein Noemi, haben Sie noch irgendwelche Befehle?«

»Nein. Aber mir scheint, du fühlst dich wirklich nicht ganz wohl. Bist du krank? Bleib doch hier, wir werden den Arzt holen, deine Beine zittern ja.«

»Ich muß gehen.«

»Hör zu, Efix, sei bitte nicht böse wegen dem, was ich gesagt habe. Es ist eben so, glaub mir, ich kann nicht anders. Ich weiß, es tut dir weh, aber ich kann wirklich nicht anders. Erzähl Esther nichts davon. Und nun geh in Gottes Namen, wenn du willst. Aber komm wieder, wenn du dich krank fühlst. Vergiß nicht, daß hier dein wahres Heim ist.«

Er schob den Sack auf den Schultern zurecht und ging. Auf den Stufen vor dem Tor streifte er die Füße ab, erst den einen, dann den anderen, als wollte er nicht einmal den Staub des Hauses mitnehmen, das er nun verließ – für immer verließ ...


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