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I.

Den ganzen Tag hatte Efix, der Knecht der Damen Pintor, an der Verstärkung des dürftigen Dammes gearbeitet, den er selbst im Wandel arbeitsamer Jahre, am Rande des kleinen Bauerngutes, längs des Flusses aufgeschüttet hatte; und nun, bei Einbruch der Dunkelheit, betrachtete er sein Tagewerk aus der Höhe, vor seiner Hütte sitzend, im Schutze des blaugrünen Schilfrohrs, das sich am weißen Hang des Taubenhügels emporzog.

Still und friedlich, da und dort von einem schimmernden Wässerchen geädert, ruht das Gut im Dämmerschein zu seinen Füßen – dieses Gut, das Efix mehr als sein Eigentum betrachtet denn als Eigentum seiner Herrinnen. Dreißig Jahre harter Arbeit ließen ihn eng damit verwachsen, und die beiden Feigenhecken, die es zu beiden Seiten einfrieden wie zwei graue, sich allmählich über den Hang zum Fluß hinabschlängelnde Mauern, erscheinen ihm wie die Grenzen der Welt.

Absichtlich blickte der Knecht nicht über sie hinaus, da das Land daneben einst auch seinen Herrinnen gehört hatte. Warum in die Vergangenheit zurückschweifen? Sinnlose Trauer ... Nein, lieber an die Zukunft denken und auf des Himmels Hilfe hoffen.

Und der Himmel verhieß heuer eine gute Ernte, ließ die Mandelbäume und Pfirsichsträucher im Talgrund in üppiger Blüte prangen; und dieser, eingesäumt von zwei weißen Hügelketten, mit den blaudunstigen Bergen fern im Westen und dem schimmernden Meer im Osten, war wie eingebettet in grüne und blaue Schleier, darunter der Fluß seine einschläfernde Weise murmelte.

Aber die Tage waren schon recht heiß – fast zu heiß, und Efix dachte besorgt an die Gewitterregen, die den nicht eingedämmten Fluß anschwellen und aus den Ufern treten und alles ringsum verheeren lassen. Hoffen, ja – aber nicht vertrauen! Vor allem aber auf der Hut sein wie das Schilfrohr am Hang, durch das schon beim leisesten Windhauch ein banges Flüstern und Raunen geht, wie zur Warnung vor der drohenden Gefahr ...

Deshalb hatte er ja auch den ganzen Tag gearbeitet und betete nun, während er der Nacht entgegenharrte und eine Binsenmatte flocht, zu Gott, damit er sein Werk segnen möge. Was nützt ein kleiner Damm, wenn der Herr ihn nicht mit seinem Willen unerschütterlich macht wie einen Felsen?

Sieben Binsen also durch eine Weidenrute und sieben Gebete zum Herrgott und zu Unserer Lieben Frau dort in dem kleinen Kirchlein in der Ferne, das ins tiefe Blau der Dämmerung taucht, umringt von friedlichen Hütten, von einem uralten, wie seit Jahrhunderten verlassenen Dorf. In dieser Stunde, wenn der Mond wie eine große Rose zwischen den Sträuchern am Hügel erblühte und die Wolfsmilch berauschend am Fluß unten duftete, sprachen auch Efix' Herrinnen den Abendsegen. Fräulein Esther, die älteste, schloß sicherlich auch ihn, den armen Sünder, ein in ihr Gebet; und das genügte, um ihn froh zu stimmen und zu belohnen für all seine Mühe.

Da ließ ein Schritt in der Ferne ihn plötzlich aufblicken. Er glaubte ihn zu erkennen; es war ein rascher, leichtbeschwingter Schritt, als eilte ein Engel durch das Land, um freudige und traurige Mären zu verkünden. Der Wille des Herrn geschehe immerdar; er ist es, der gute und schlechte Botschaft schickt! Aber sein Herz begann laut zu pochen, und auch die Binsen, die silbern wie Wasserstrahlen im Mondlicht glitzerten, zitterten in seinen schwarzen, rissigen Fingern.

Nun war der Schritt nicht mehr zu hören. Dennoch blieb Efix regungslos sitzen und wartete.

Höher und höher stieg der Mond, und die Stimmen des Abends verkündeten dem Alten, daß sein Tagewerk zu Ende war: der gedämpfte Ruf des Kuckucks, das Zirpen der jungen Grillen, ein klagender Vogelschrei; das Seufzen des Schilfrohrs und das immer heller tönende Lied des Flusses; ein geheimnisvolles Wispern und Atmen, das aus der Erde selbst zu kommen schien. Ja, des Menschen Tagewerk war nun zu Ende; dafür erwachten nun die Gnome, die Elfen und die ruhelosen Seelen der Gestorbenen zu gespenstischem Leben. Die Geister der alten Ritter kamen aus der Schloßruine über dem Dorf Galte links im Tal herab und jagten an den Ufern des Flusses nach Ebern und nach Füchsen; ihre Waffen blitzten durch das niedrige Erlengestrüpp, und das heisere Hundegebell in der Ferne zeigte an, daß sie vorübertrabten.

Zumal in hellen Mondnächten treibt dieser Geisterspuk auf den Hügeln und in den Tälern sein geheimnisvolles Wesen, und dann soll der Mensch ihn nicht stören durch seine Gegenwart, da ja auch die Geister ihn untertags unbehelligt ließen. Ja, dann wird es Zeit, sich zurückzuziehen und einzuschlummern unter den Fittichen der Schutzengel.

Efix bekreuzte sich und stand auf. Aber noch immer erwartete er irgend jemand. Trotzdem schob er das Brett vor, das als Tür diente, und lehnte ein großes Kreuz aus Schilfrohr dagegen, das den bösen Geistern und den Anfechtungen des Teufels das Eindringen in die Hütte verwehren sollte.

Das Mondlicht fiel durch die Ritzen in den engen, niedrigen Raum, der freilich groß genug schien für ihn, der klein und mager war wie ein junger Bursche. Von dem kegelförmigen Schilf- und Binsendach, das die rohgemauerten Wände deckte und in der Mitte ein Loch zum Abziehen des Rauches hatte, hingen an Schnüren aufgereihte Zwiebeln und getrocknete Kräuterbüschel herab, geweihte Palm- und Ölzweige, ein bunter Wachsstock, eine Sichel zum Schutze gegen den Werwolf und ein Säckchen Gerste zum Schutze gegen die panas, die irrenden Seelen der im Wochenbett verstorbenen Frauen. Bei jedem Luftzug gerieten all diese Dinge in Bewegung, und die Spinnweben glitzerten im Mondschein. Am Boden lag der Tonkrug mit den großen Henkeln, und daneben ruhte der umgestürzte Wasserkessel.

Efix schüttelte den Strohsack auf, legte sich aber nicht hin. Immer wieder glaubte er den leichtbeschwingten Schritt zu hören. Sicher nahte dort irgend jemand, und wirklich schlugen plötzlich die Hunde auf den Nachbargütern an, und das ganze Land, das erst vor kurzem unter dem Raunen der nächtlichen Stimmen sanft entschlummert zu sein schien, hallte wider von dumpfen Lauten, erwachte gleichsam wieder.

Efix öffnete die Tür wieder. Eine dunkle Gestalt stieg den Hügelhang empor, auf dem die Zwergbohnen silbern im Mondschein wogten, und der Knecht, dem nachts auch die menschlichen Gestalten nicht geheuer erschienen, schlug wieder ein Kreuz. Da rief ihn auf einmal eine wohlbekannte Stimme an. Es war die muntere, aber leicht keuchende Stimme eines jungen Burschen, der neben dem Haus der Damen Pintor wohnte.

»Gevatter Efix, Gevatter Efix!«

»Was gibt's, Zuannantò? Sind meine Damen wohlauf?«

»Ich glaube – ja. Sie lassen Ihnen nur sagen, Sie möchten morgen frühzeitig ins Dorf zurückkehren – sie müßten Sie sprechen. Es ist wohl wegen eines gelben Briefs, den ich in Fräulein Noemis Hand sah. Fräulein Noemi las ihn leise vor, und Fräulein Ruth, die wie eine Nonne aussah mit ihrem weißen Kopftuch, fegte gerade den Hof, stützte sich aber müßig auf den Besenstiel und hörte zu.«

»Ein Brief? Weißt du nicht, von wem er ist?«

»Nein, ich nicht; ich kann doch nicht lesen. Aber meine Großmutter meint, er sei vielleicht vom jungen Herrn Giacinto, dem Neffen Ihrer Herrinnen.«

Ja, das fühlte Efix; sicher war es so; trotzdem kratzte er sich sinnend, mit gesenktem Kopf an der Wange und hoffte und fürchtete, sich zu täuschen.

Der junge Bursche hatte sich müde auf den Felsblock vor der Hütte gesetzt, schnürte langsam seine Nagelschuhe auf und fragte, ob nichts zum Essen da sei.

»Ich bin gerannt wie ein junger Hirsch, ich hatte Angst vor den bösen Geistern ...«

Efix hob das wettergebräunte, harte Gesicht und starrte den Burschen mit hellblauen, tiefliegenden, von vielen Fältchen umgebenen Augen an, und aus diesen lebhaft blitzenden Augen sprach eine fast kindliche Angst.

»Haben sie dir gesagt, ob ich erst morgen früh oder noch heute nacht zurückkehren soll?«

»Ich sage Ihnen doch, morgen früh. Und inzwischen, während Sie im Dorf sind, soll ich hier auf dem Gut nach dem Rechten sehen.«

Der Knecht war gewohnt, seinen Herrinnen zu gehorchen, und stellte keine weiteren Fragen. Er nahm eine Zwiebel von der Schnur, ein Stück Brot aus dem Beutel, und während der junge Bursche, halb lachend, halb weinend infolge des beißenden Geruchs der Zwiebel, sein karges Mahl verzehrte, fuhren sie fort, zu plaudern. Die wichtigsten Persönlichkeiten im Dorfe gingen durch ihr Gespräch: zunächst kam der Herr Pfarrer, dann die Schwester des Pfarrers, dann Milese, der eine Tochter der letzteren geheiratet hatte und aus einem Apfelsinen- und Tonwarenhändler zum reichsten Kaufmann im Dorf geworden war. Es folgte Don Predu, der Amtmann und Vetter von Efix' Herrinnen. Auch Don Predu war wohlhabend, aber nicht ganz so reich wie Milese. Und zuletzt kam noch die Wucherin Kallina, auch eine reiche, märchenhaft reiche Frau.

»Neulich versuchten Diebe bei ihr einzubrechen. Umsonst – sie ist gefeit! Und am nächsten Morgen kicherte sie in ihrem Hof und sagte: ›Sollen sie ruhig einbrechen, sie werden nichts als Asche und ein paar alte Nägel finden, ich bin arm – arm wie eine Kirchenmaus.‹ Aber meine Großmutter meint, die Muhme Kallina halte einen Beutel Gold in der Wand versteckt.«

Aber Efix kümmerte sich im Grunde wenig um dieses Geschwätz. Die eine Hand unter der Achsel, die andere unter der Wange, lag er auf seinem Strohsack und hörte sein Herz klopfen, und das Rauschen des Schilfrohrs draußen am Hang tönte wie das Seufzen eines bösen Geistes an sein Ohr.

Dieser gelbe Brief! Gelb, eine schlechte Farbe. Wer weiß, was alles seinen Herrinnen noch zustoßen würde? Zwanzig Jahre ging das nun schon so: wenn wirklich einmal ein Ereignis das eintönige Leben im Hause Pintor unterbrach, war es unweigerlich ein Unglück.

Auch der junge Bursche hatte sich hingelegt, hatte aber noch keine Lust zum Schlafen.

»Gevatter Efix, auch heute erzählte meine Großmutter wieder, daß Ihre Herrinnen einmal so reich gewesen seien wie Don Predu. Stimmt's oder stimmt's nicht?«

»Ja, es stimmt«, seufzte der Knecht. »Aber es ist jetzt nicht Zeit, diese alten Geschichten aufzurühren. Schlaf du lieber!«

Der junge Bursche gähnte.

»Aber meine Großmutter meint, daß seit dem Tode Frau Marias, Ihrer alten Herrin selig, ein Fluch auf eurem Hause ruhe. Stimmt's oder stimmt's nicht?«

»Du sollst doch schlafen, es ist jetzt nicht Zeit ...«

»Lassen Sie mich doch reden! Und warum ist Fräulein Lia, Ihre kleine Herrin, entflohen? Meine Großmutter meint, Sie wüßten es. Sie hätten Fräulein Lia zur Flucht verholfen, hätten sie bis zur Brücke gebracht, wo sie sich versteckt hätte, bis ein Fuhrwerk vorbeikam, mit dem sie bis ans Meer fuhr. Dort – dort hätte sie sich dann eingeschifft. Und Don Zame, ihr Vater und Ihr Herr, suchte und suchte sie, bis er eines schrecklichen Todes starb. Dort – bei der Brücke, nicht wahr? Wer hat ihn wohl ermordet? Meine Großmutter meint, Sie wüßten es ...«

»Deine Großmutter ist eine alte Hexe. Laßt die Toten gefälligst ruhen, ihr beiden!« schrie Efix; aber seine Stimme klang heiser, und der junge Bursche lachte dreist.

»Keine Aufregung, das könnte Ihnen schaden, Gevatter Efix. Meine Großmutter meint, der Nöck habe Don Zame umgebracht. Stimmt's oder stimmt's nicht?«

Efix gab keine Antwort. Er schloß die Augen, hielt sich das Ohr zu, aber die Stimme des Jungen dröhnte dumpf durchs Dunkel, und ihm war, als spräche die Vergangenheit aus ihr.

Wie die Strahlen des Mondes stehlen sie sich, einer nach dem anderen, durch die Ritzen und scharen sich alle um ihn: Frau Maria Christina, schön und sanft wie eine Heilige; Don Zame, krebsrot und wild wie der Teufel; die vier Töchter, über deren bleichen Gesichtern ein heiterer Schimmer liegt wie über dem der Mutter, und in deren Augen eine düstere Leidenschaft flammt wie in denen des Vaters; die Knechte und die Mägde, die Verwandten und die Freunde, sie alle, die aus und ein gehen in dem reichen Hause, bei den Nachkommen der alten Burgherren aus der Gegend. Aber da bricht auf einmal das Unglück über sie herein, und alle stieben auseinander wie Wolken am Himmel, wenn der Föhnsturm pfeifend zwischen sie fegt.

Frau Christina ist nun tot; die bleichen Gesichter der Töchter verlieren mehr und mehr an Heiterkeit, und die düstere Glut in ihren Augen wächst. Wächst in dem Maße, wie Don Zame nach dem Tode seiner Gattin immer mehr das herrische Wesen seiner Ahnherren annimmt und die vier Mädchen wie Mägde gefangenhält im Hause und auf Freier wartet, die ihrer würdig sind. Und wie Mägde müssen diese arbeiten, Brot backen, Flachs spinnen, nähen und kochen und ihre Sachen in Ordnung halten; vor allem aber dürfen sie nie den Blick zu einem Manne erheben oder an jemand denken, der ihnen nicht zum Bräutigam bestimmt ist. Aber die Jahre verstreichen, und kein Freier stellt sich ein. Und je älter seine Töchter werden, desto unerbittlicher sieht Don Zame darauf, daß sie streng im Geist der Väter leben. Wehe, wenn er sie am Fenster stehen und auf das Gäßchen hinter dem Hause blicken sieht, oder wenn sie ohne seine Erlaubnis fortgehen! Dann schlägt er sie, überhäuft sie mit Schmähungen und bedroht die jungen Burschen mit dem Tode, die zweimal hintereinander durch das Gäßchen gehen.

Er selbst treibt sich den ganzen Tag im Dorf herum oder sitzt auf der Steinbank vor dem Krämerladen, der der Schwester des Pfarrers gehört. Und wenn die Leute ihn dort sitzen sehen, machen sie einen großen Bogen, so sehr fürchten sie seine böse Zunge. Er sucht Händel mit aller Welt und ist so neidisch auf die Habe der anderen, daß er jedesmal, wenn er einen reichen Gutshof betritt, hämisch sagt: »Die Herren Advokaten werden dich schon noch darum bringen.« Aber statt dessen bringen die Prozesse schließlich ihn um Haus und Hof, und eines Tages trifft ihn ein schweres Unglück wie zur Strafe für seinen Hochmut und seine Vorurteile. Fräulein Lia, die drittälteste seiner Töchter, verschwindet eines Nachts aus dem Vaterhaus, und lange Zeit hört man nichts mehr von ihr. Ein düsterer Schatten lastet auf dem Haus; noch nie ist eine solche Schande im Dorfe vorgekommen; noch nie ist ein ehrbares und züchtiges Mädchen wie Fräulein Lia einfach von Zuhause fortgelaufen. Don Zame scheint den Verstand zu verlieren; rastlos irrt er durch das ganze Land, sucht verzweifelt die Umgebung und die Küste nach seinem Kinde ab; doch niemand vermag ihm Nachricht von Lia zu geben. Schließlich schreibt sie an ihre Schwestern, teilt ihnen mit, daß sie gut aufgehoben sei und glücklich, ihre Fesseln abgestreift zu haben. Aber die Schwestern verzeihen ihr nicht, würdigen sie keiner Antwort. Don Zame hält sie nun noch strenger als zuvor. Er verkauft den Rest seiner Habe, mißhandelt den Knecht, behelligt alle Leute mit seiner Streitsucht und reist noch immer durch das Land, in der Hoffnung, seine Tochter wieder einzufangen und nach Hause zu schleppen. Und dann findet man ihn eines Morgens tot auf der Landstraße, auf der Brücke hinter dem Dorf. Scheinbar ist er an einem Herzschlag gestorben, denn keine Spur einer Gewalttat ist an ihm zu sehen, nur ein kleiner grüner Fleck am Halse, unterm Nacken.

Im Dorfe heißt es zunächst, Don Zame hätte wie so oft Streit gesucht mit einem anderen und sei mit einem Knüppel erschlagen worden; aber mit der Zeit verstummt dieses Gerücht und weicht der Gewißheit, daß er an gebrochenem Herzen, wegen der Flucht seiner Tochter verschieden ist.

Und indes die durch Lias Flucht entehrten Schwestern keinen Gatten finden, zeigt sie ihnen eines Tages in einem Briefe ihre Heirat an. Ihr Mann sei ein Viehhändler, den sie zufällig auf ihrer Flucht kennengelernt hätte. Sie lebten in Civitavecchia, in ziemlich guten Verhältnissen, und sollten demnächst ein Kind bekommen.

Auch diese neue Verirrung, diese Heirat mit einem Emporkömmling, den sie unter so traurigen Umständen kennengelernt hat, verzeihen ihr die Schwestern nicht, und sie würdigen sie wieder keiner Antwort.

Bald darauf teilt ihnen Lia die Geburt Giacintos mit. Sie schicken dem Neffen ein Taufgeschenk, schreiben aber kein Wort an die Mutter.

Und so vergehen die Jahre. Giacinto wächst heran, schreibt jedes Jahr zu Ostern und zu Weihnachten an die Tanten, und die Tanten schicken ihm ein Geschenk. Bald schreibt er, daß er studiert, bald, daß er zur See gehen wolle; und dann wieder, daß er eine Stellung gefunden hätte; dann zeigt er ihnen den Tod seines Vaters an und dann den seiner Mutter; und schließlich verleiht er dem Wunsche Ausdruck, sie zu besuchen und ständig bei ihnen zu bleiben, wenn er im Dorfe Arbeit fände. Sein kleiner Posten bei der Zollbehörde behage ihm nicht; er sei erniedrigend und beschwerlich, verdürbe ihm seine Jugend. Und er sehne sich nach einem arbeitsamen Leben, ja – aber nach einem schlichten Leben unter freiem Himmel. Alle Leute rieten ihm, nach der Insel seiner Mutter zu fahren und dort in ehrlicher Arbeit sein Glück zu versuchen.

Die Tanten beginnen hin und her zu überlegen; und je länger sie überlegen, desto weniger vermögen sie sich zu einigen.

»Arbeiten will er?« sagt Fräulein Ruth, die besonnenste. »Wo das Dörfchen nicht einmal die Einheimischen ernährt?«

Fräulein Esther dagegen begünstigt die Pläne des Neffen, während Fräulein Noemi, die jüngste, nur kalt und spöttisch lächelt.

»Vielleicht gedenkt er hier den feinen Herrn zu spielen. Mag er ruhig kommen! Dann kann er ja an den Fluß gehen und Fische angeln ...«

»Aber Noemi, liebe Schwester, er schreibt doch selbst, er möchte arbeiten. Und er wird gewiß auch arbeiten, wird einen kleinen Handel anfangen wie sein Vater.«

»Da hätte er etwas früher anfangen müssen. Und unsere Ahnen haben nie mit Vieh gehandelt.«

»Andere Zeiten, liebe Noemi, übrigens sind heutzutage die Händler die wahren Herren. Sieh dir doch den Milese an! Der sagt: Der Herr von Galte bin jetzt ich!«

Noemi lacht, in ihren dunklen Augen blitzt es boshaft, und ihr Lachen entmutigt Esther noch mehr als alle Einwände der anderen Schwester.

Jeden Tag ist es das gleiche Lied. Giacintos Name hallt durchs ganze Haus; auch wenn die Schwestern schweigen, weilt er unter ihnen, wie schon seit der Stunde seiner Geburt, und seine fremde Gestalt erfüllt das zerfallene Haus mit jungem Leben.

Efix erinnerte sich nicht, je unmittelbar an den Gesprächen seiner Herrinnen teilgenommen zu haben. Er wagte es nicht, vor allem wohl, weil sie ihn nicht zu Rate zogen, aber auch weil er sein Gewissen nicht belasten wollte; doch er wünschte, der junge Herr möchte kommen.

Er liebte ihn, hatte ihn schon immer geliebt, fast wie einen Sohn.

Nach Don Zames Tod war er bei den drei Damen geblieben, um ihnen zu helfen beim Ordnen der verworrenen Vermögensverhältnisse. Die Verwandten kümmerten sich nicht um sie, verachteten und mieden sie eher; sie wußten nur im Haushalt Bescheid und kannten nicht einmal das kleine Gut, das letzte Überbleibsel von dem Erbe ihrer Väter.

Ich werde noch ein Jahr in ihrem Dienste bleiben, hatte sich Efix gesagt, mitleidig gestimmt durch ihre Hilflosigkeit. Und aus dem einen Jahr waren zwanzig geworden.

Die drei Frauen lebten von dem Ertrag des Gutes, das er bewirtschaftete. Fiel die Ernte schlecht aus, so sagte Fräulein Esther, wenn die Zeit herankam, wo sie ihm seinen Lohn – dreißig Silbergulden und ein Paar Stiefel – geben sollte, zu dem Knecht:

»Gedulde dich in Gottes Namen noch ein Weilchen; du sollst nicht um das Deinige kommen.«

Und er geduldete sich, und sein Guthaben wuchs von Jahr zu Jahr, so daß Fräulein Esther halb im Scherz, halb im Ernst versprach, ihn als Alleinerben des Gutes und Hauses einzusetzen, obgleich er viel älter war als sie alle.

Gewiß, er war alt und gebrechlich, aber immerhin ein Mann, und sein Schatten lieh den drei Frauen noch genügenden Schutz.

Und jetzt träumte er von einer glücklicheren Zukunft für die drei. Träumte zum mindesten davon, daß Noemi einen Gatten fände. Wenn der gelbe Brief nun eine gute Nachricht enthielte? Wenn er eine Erbschaft ankündigte? Oder wenn es gar ein Heiratsantrag für Fräulein Noemi wäre? Die Damen Pintor hatten ja noch reiche Verwandte in Sassari und Nuoro. Weshalb sollte nicht einer von ihnen Noemi heiraten? Sogar Don Predu konnte den gelben Brief geschrieben haben.

Und mit einemmal wechseln im müden Geist des Knechtes die Dinge das Gesicht; alles ist nun in ein helles, sanftes Licht getaucht; seine adligen Herrinnen werden noch einmal jung; ihr sterbendes Geschlecht erstarkt zu neuem Leben, und alles ringsum sprießt und blüht wie das Tal im Frühling.

Und ihm, dem armen Knecht, bleibt nun nichts anderes übrig, als sich auf seine alten Tage auf das kleine Gut zurückzuziehen, seinen Strohsack auszubreiten und im Herrn zu entschlafen, während im Schweigen der Nacht das Schilfrohr mit eintönigem Rauschen das Land in den Schlummer wiegt.


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