Richard Dehmel
Schöne wilde Welt
Richard Dehmel

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Der gestörte Nachtwandler

Muselparadiesische Reimguirlande
mit zarter Einflechtung etlicher Geistesblüten
neuerer abendländischer Dichter

        O Nacht, o Nacht, o – oh – o Nacht der Nacht,
ach, ach, ihr Gläubigen, warum mich wecken
aus ihrem Rausch! – o Rausch der Innenwacht,
der, könnt ich Worte finden, euch erschrecken,
ja trunken schrecken würde gleich dem Stecken,
dem dürren, der in Allahs Gartenpracht,
in der ich jenseits war, eintrank den Schlaf,
den tiefen Blumenschlaf, den wieder jungen,
in welchem die, die heimlich hingedrungen,
die Liebe finden alter Spiegelungen,
die willig ist und offen und konkav
wie Träume, die mit umgestülpten Masken
auftreten, riesig wurzelnd in Kothurnen
und sich verfaltend in den oben flasken
weichlichen Mänteln um die Samen-Urnen,
wo sich das schöngestickte Kraut entspinnt
zum dringend flüsternden Heliotrop
und mit den seltnen Neumondstrahlen minnt
und mit der Lilie buhlt um – ach – ein Lob
vom Bülbül, der an ihren Lieblingsplätzen
sie schreiend preist und noch nicht kennt,
so zart, wie Silben in gesprochnen Sätzen
beisammenstehn, ganz dicht, durch nichts getrennt,
bis der Vokale müdes Violett
hinduftend durch das stumme Himmelbett
zerschmilzt auf dem gesteppten Laube
am seidnen Zipf der Knospentraube
(. am seidnen . . Zipf . . . der Knospentraube . . . .)
und bis die Stille, daß sie fast verschwimmt,
gemischt wird, wie Vanille, Zimmt
und Öl mit dem Geruch von Kies
sich mischen und zusammen passen
und dich alleine mit alldeinem lassen
wie einen Acker mit seinen Massen
von Melissen und Stern-Anis,
wo Hauche, schwer, beinah wie Augenlider,
auf deine Wangen fallen und deinen Mund
und deine Brüste und deine Glieder nieder
und – und – und –
ach! ihr Gläubigen! fänd' ich doch die Worte,
diesen Satz der Wonne zu vollenden,
Worte, wie sie leicht am gleichen Orte
Deutschlands neuste Meistersinger fänden,
Allah, leih mir ihren Genius –
oder lehr mich so die Leier streicheln
wie die Dichter, welche österreicheln,
ja, mich blendet ihrer Worte Fluß –
Worte, die sich gleich geschliffnen Steinen
auf die Sinne legen, daß man seinen
ungeschliffnen Geist aufgeben muß –
Worte, so sehr ähnlich den Juwelen
wie nur Glasfluß oder Gipsolaps –
Worte – nichts als Worte – die mir fehlen –
mir wird schwach vor solchen reichen Seelen –
ach, ihr Gläubigen – gebt mir einen Schnaps! –

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