Richard Dehmel
Schöne wilde Welt
Richard Dehmel

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Die Hafenfeier

I
                                Vom stillen Hafen singt manch kleines Lied;
Hafen der Weltstadt, bist du jemals still?
O großer Braus der Unruhe, wenn schrill
werktags die Dampfbootschwärme, Fähren, Schlepper, Jollen
Signale kreischend durchs Sprühwasser tollen,
Rauchwolken durchs Gestarr der Maste rollen,
durchs Möwengetümmel um Schlot und Spriet.

Fremder, dann stehst du zuerst wie irr,
spürst nicht das Werk, das da wachsen mag,
nicht von den Werften herüber den Takt im Hammerschlag,
nur das Gekrach und Gerassel, Geklirr, Geschwirr,
und ziellos fragt dein Blick ins Gewirr:
wird je auf Erden noch Feiertag?

Bis du erschüttert vermeinst, daß eisenhart
die ganze Menschheit im Arbeitskleid
von allen Brückengeländern dir Antwort schreit;
und vor dem starken Schall der Gegenwart
verstummt dein Ruf nach ewiger Seligkeit.

II

Sieh dort: der schlichte Mann in der Barkasse,
die unscheinbar vom wimmelnden Kai abschwenkt,
der ordnet dir die lärmende Masse.
Ihm dankt im stillen jede Speichergasse;
ein Schiffsherr ists, der viele Schiffe lenkt.

Vorbei an Docks, Hellingen, Höften, Leichtern, Kranen,
deren Getriebe seinem Antrieb entsprang,
rechnet sein Kopf wohl grad an neuen Bahnen
für unsre Herrschaft auf den Ozeanen,
doch durch die Brust wogt ihm wie dir ein Ahnen,
ein Drang, ein Klang, ein Urgesang:

Unruhe braust, wo sich der Geist aufrafft,
wo flügelfrei sich Mut und Wille verschwören,
Herzen und Hirne zur Tat zu empören.
Unruhe ists, was sich Beruhigung schafft,
was Freiheit und Gewalt zur Ordnung strafft,
um immer kühneren Flugs die Ruhe zu stören.
Unruhe heißt die Schöpferkraft.

III

Jetzt hüpft der emsige Herr von Bord; gewandt
schlüpft er durch festschmuckbunte Zuschauerhaufen.
Ein Riesenschiff soll heut von Stapel laufen.
Flaggen und Wimpel flirrn; guirlandenumspannt
harren zehntausendköpfig die Tribünen.
Und über alldas ragt der Rumpf des Hünen
wie vom exotischen Blick seines Gebieters gebannt.

Der grüßt sich höflich durch, durch die Spaliere
der Würdenträger, Damen, Kavaliere,
Schutzleute, Kurtisanen p. p. – und dann:
ein Kaiser neigt sich vor dem jüdischen Mann,
der dieses Völkerfriedenswerk ersann,
es neigen sich die Herren Offiziere.

Der Fürst begibt sich an die Kanzelstufe,
besteigt sie, spricht: Ich tauf dich Imperator.
Willig rollt der Koloß von seiner Kufe,
und auf der Strombahn im Sturm der Jubelrufe
wiegt sich ein Echo: Triumphator.

IV

Was aber tönt noch immerfort wie Klagen?
Was murrt und schluchzt, wenn die Anker tauchen?
Was stöhnt, wenn die Frachtspillketten aufstauchen,
während die Dampfersirenen wie brüllende Bestien fauchen,
die Baggermaschinen ihr Hundegeheul anschlagen.

Ist es der Grundton ewiger Grausamkeit,
der qualvoll selbst aus unsern Werkzeugen ächzt?
O Menschenkind, das nach Vergöttlichung lechzt,
hör nur, wie deine Machtgier teuflisch gen Himmel krächzt,
die dich und deinesgleichen im Namen der Menschlichkeit
gesetzlich peinigt und sittlich maledeit!

Dann starren die Häuserreihen rings um die Hafenbecken
dich an wie Folterkammern, wo Angst, Wut, Jammer, Schrecken
vom Keller bis zum Dachfirst gellt,
wo jeder den andern martert, Verbrecher zugleich und Richter,
höchstens daß mittendrunter einsam ein Denker, ein Dichter
sich selbst abquält mit Allbeglückungszwecken;
so büßt der Weltgeist seine Welt.

V

Ja, das erschüttert, das macht die Seelen hungern,
das läßt uns stets nach besserer Zukunft lungern;
was ist denn unser Arbeitsertrag?
Sieh nur, wie alle Augen, die finstern und die grellen,
Herren wie Knechte, Meister wie Gesellen,
sich die Verzweiflungsfrage stellen:
war je auf Erden schon Feiertag?

Was fördern all die Fäuste, die sich schinden
an Hämmern, Hebeln, Kolben, Kurbeln, Gewinden,
an Ketten, Drähten, Tauen, Trossen?
Hier diese Panzerfregatte, sie wird verrosten, verwittern,
dort der zementne Leuchtturm zerbersten und zersplittern,
rascher dann, als er hochgeschossen.

Was hemmt die abgehärteten Lohnsklavenschaaren,
die ihren Blutschweiß täglich zu Markte fahren,
endlich zu meutern gegen die Zwingherrngilde?
Ists, weil sie schärfer als andre Narren gewahren,
daß Wahn uns alle bannt? – Ihr Herrn, seid milde! –

VI

Gern sieht das Volk Machthaber über sich:
herrliche Männer, liebliche Frauen.
Ein Labsal bleibts dem Kärrner im Alltagsgrauen,
ein lichtes Vorbild anzuschauen,
sei's königlich, sei's bürgerlich.

Die plumpesten Burschen, begrüßt sie eine Yacht,
in der ein müßiges Mädchen wie eine Blume lacht,
sie grüßen lachend wieder, Mann für Mann;
sie fragen nicht, was solche Blumen nützen,
sie schwenken ihre schweißgetränkten Mützen,
sie freuen, freuen sich daran.

Oder am Abend, wenn sie verrußt, verstaubt
heimgehn vom Landungsplatz, wo rolandshoch
des Staatsmanns Standbild sein felskahl Kuppelhaupt
dem Strom zukehrt: jawohl, sie schaun dran hoch,
als ob sein Schatten ihnen den Frieden raubt,
ehrlich anknirschend gegen sein Kriegsrüstungsjoch,
aber stolz auf ihn, stolz sind sie doch.

VII

Und keiner blickt mehr nach den Kirchturmspitzen,
die grünspanschimmrig hinter dem Mastenwald
vom Sonnenuntergang bestrahlt
über den rauchgeschwärzten Dächern sitzen,
und unter denen im Altarkerzenschein
menschenklein
der Gottessohn die Finger am Marterkreuz krallt.

Und wenn noch mancher, den Not und Kummer kränkt,
Ihm und der Mutter aller Schmerzen
ein paar Minuten echter Andacht schenkt,
so tut ers nur, indem er denkt,
daß er mit seinem abgehetzten Herzen
zeitlebens selber am Kreuzpfahl hängt.

Die Besten aber beklagen nicht ihr Los,
sie träumen auch kein künftiges Glücksland her;
sie wissen, Kraft ist Lust, die aufschluchzt vor Begehr,
opfergroß
sich hinzugeben, wie der Strom dem Meer.

VIII

Denn über allen Wassern, die hier stranden,
heller als alle Träume und Gesichte,
die durch erhitzte Hirne im Glühdrahtlichte
der schaukelnden Kajüten branden,
glänzt eine Träne aus der Weltgeschichte.

Die weinte Bismarck, als er, schon ein Greis,
das größte Überseeschiff aus jenem Zeitwendkreis
auf seinen Namen taufen sollte.
Er hatte noch kein solches Schiff gesehn,
nun sah er dies Gewaltwerk menschlicher Mühsal stehn,
sah, wie's auf seinen Wink ins schäumende Flutgrab rollte.

Und sah im Geist sein Deutschland hinaus aufs Weltmeer rollen,
sah Menschen, Helden, Sklaven, sturmschwalbenschaarendicht,
hoch, niedrig, arm und reich, gleich sterblich, Schicht auf Schicht,
wieder und wieder ihre hoffnungsvollen
glückleeren Hände ruhlos nach neuem Schicksal strecken.,
und alldas sollte nun sein Name decken –
da rann die Träne über sein Gesicht.

IX

Es wird noch manche Opferträne rinnen,
die leuchtender von Seele zu Seele brennt
als der erlauchteste Stern am Firmament;
doch immer wieder, wenn Sturm ein Wrack berennt,
wird Kapitän wie Trimmer erschüttert sinnen,
warum sie durch den quälenden Aufruhr treiben,
warum sie nicht im stillen Hafen bleiben.

Denn manchmal ist er still. Wenn mitternächtig
kein Hochbahnzug mehr über die Brücken fährt,
wenn sich, vom dunkeln Wasser kühl verklärt,
das Bordlaternenheer sternbilderprächtig
im Abgrund spiegelt, Funken tief bei Funken,
dann scheint das Himmelreich herabgesunken.

Dann winkt dir aus der todesstillen Flut
der Feiertag, seit jeher prophezeit:
da sinkt der Menschensohn vom Kreuz, da ruht
auf dem erstorbnen Erdball weit und breit
der Hauch der ewigen Seligkeit.


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