Alphonse Daudet
Briefe aus meiner Mühle
Alphonse Daudet

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Die beiden Wirtshäuser.

Es war bei meiner Rückkehr von Nimes, eines Nachmittags im Juli. Die Hitze war erdrückend. So weit das Auge reichte, zog sich die weiße Straße glühend und staubig zwischen Olivengärten und Gruppen junger Eichen dahin und, wie mattes Silber glänzend, erfüllte die Sonne mit ihren Strahlen den ganzen Himmel. Nicht ein schattiges Fleckchen, nicht der leiseste Windhauch. Nichts als das Zittern der heißen Luft und die tolle, einschläfernde Musik der Grillen, in welcher die gewaltigen Schwingungen des Lichts auszuklingen schienen . . . . Seit zwei Stunden wanderte ich durch eine wahre Wüste, als plötzlich vor mir aus dem Staube der Straße eine Gruppe weißer Häuser hervortrat. Es war Saint-Vincent: fünf oder sechs Bauernhäuser, lange Scheuern mit roten Dächern, eine Viehtränke ohne Wasser und ganz am Ende zwei große Wirtshäuser, die auf beiden Seiten der Straße sich gerade gegenüber stehen.

Die Nachbarschaft dieser Wirtshäuser hatte etwas Überraschendes. Auf der einen Seite ein großes, neues Gebäude voller Leben und Bewegung. Alle Thüren standen offen, vor ihm hielt der Postwagen, dessen dampfende Pferde man eben abspannte. Die Reisenden waren abgestiegen und löschten in der Eile ihren Durst auf der Straße in dem kurzen Schatten der Mauern. Der Hof voller Maultiere und Wagen, die Fuhrleute unter dem Schuppen gelagert, um die »Frische« abzuwarten. Im Innern lautes Rufen, Flüche, Faustschläge auf die Tafel, Zusammenstoßen von Gläsern, das Klappen von Billardbällen, das Springen von Stöpseln und, den ganzen Tumult beherrschend, eine lustige, schmetternde Stimme, die alle Fensterscheiben erzittern machte, indem sie sang:

Margot, die schöne
Gar früh aufsteht,
Mit dem Silberbecher
Nach dem Wasser sie geht.

. . . . Das Wirtshaus gegenüber war dagegen still und wie verlassen. Unkraut unter dem Thor, die Läden zerbrochen, über der Thür ein ganz zusammengeschrumpfter Stechpalmenzweig, der wie ein alter Federbusch herabhing, die Stufen vor dem Eingang mit Chausseesteinen übersäet . . . . Alles das so ärmlich, so jämmerlich, daß es wirklich eine That der Barmherzigkeit war, hier einzukehren und ein Glas zu trinken.

Beim Eintreten fand ich einen langen Saal, öde und traurig, den der durch drei große Fenster ohne Vorhänge hereinscheinende blendende Tag noch trauriger und öder machte. Ein paar wackelige Tische, auf denen staubbedeckte Gläser herumstanden, ein geborstenes Billard, ein gelber Diwan, ein alter Rechentisch schliefen hier in der heißen, ungesunden und drückenden Atmosphäre. Und Fliegen! und Fliegen! So viele hatte ich in meinem Leben nicht gesehen. An der Decke, an den Fensterscheiben, in den Gläsern hingen sie in ganzen Trauben . . . . Als ich die Thür öffnete, da summte es wie in einem Bienenstocke.

Im Grunde des Saales, in einer Fenstervertiefung stand eine Frau aufrecht, gegen das Fenster gekehrt, durch welches sie aufmerksam hinausblickte. Ich rief ihr zweimal zu:

»He! Wirtin!«

Sie kehrte sich langsam um und ließ mich das arme Gesicht einer Bäuerin sehen, voller Falten und Runzeln, erdfahl, eingerahmt von langen rötlichen Spitzenbarben, wie sie bei uns die alten Weiber tragen. Dennoch war es keine alte Frau, nur die Thränen hatten sie alt gemacht.

»Was befehlen Sie?« fragte sie mich, indem sie ihre Augen trocknete.

»Ich will einen Augenblick ausruhen und etwas trinken . . .«

Sehr erstaunt blickte sie mich an, ohne sich vom Platze zu rühren, als ob sie mich nicht verstände.

»Ist denn das nicht ein Wirtshaus?«

Die Frau seufzte:

»O ja . . . es ist ein Wirtshaus . . . Wenn Sie wollen . . . Aber warum gehen Sie nicht hinüber in das da drüben, wie die andern? Das ist viel lustiger . . . .«

»Das ist zu lustig für mich . . . Ich ziehe es vor, bei Ihnen zu bleiben.«

Und ohne die Antwort abzuwarten, setzte ich mich an einem Tische nieder.

Als sie sich überzeugt hatte, daß ich es ernst meinte, fing die Wirtin an, mit geschäftiger Miene hin und her zu gehen, öffnete Schubläden, rückte Flaschen zurecht, trocknete Gläser aus, jagte die Fliegen fort . . . Man sah, daß der eine Reisende, den sie bedienen sollte, geradezu ein Ereignis war. Für Augenblicke blieb die Unglückliche stehen und hielt den Kopf mit beiden Händen, als wenn sie daran verzweifelte zustande zu kommen.

Dann ging sie in das Nebenzimmer im Hintergrunde; ich hörte sie mit einem Schlüsselbunde rasseln, Schlösser probieren, den Brotkasten nach Brot umwühlen, blasen, abstäuben, Teller waschen . . . . Von Zeit zu Zeit ein schwerer Seufzer, ein schlecht unterdrücktes Schluchzen . . .

Nachdem sie eine Viertelstunde in dieser Weise herumgewirtschaftet hatte, hatte ich endlich einen Teller mit Rosinen, ein altes Brot von Beaucaire, so hart wie Sandstein, und eine Flasche Landwein vor mir stehen.

»Guten Appetit,« sagte das sonderbare Geschöpf und eilte, ihren Platz am Fenster wieder einzunehmen.

*           *
*

Während ich trank, suchte ich sie in ein Gespräch zu ziehen.

»Sie haben nicht oft Gäste, nicht wahr, arme Frau?«

»O nein, mein Herr, niemals . . . . Als wir noch allein im Orte waren, da war es anders; wir hatten das Postrelais, Jagdmahlzeiten in der Zeit der wilden Enten, Ausspann das ganze Jahr . . . . Aber seit unsere Nachbarn sich hier niedergelassen haben, haben wir alles verloren . . . . Man zieht es vor hinüber zu gehen . . . . Bei uns, findet man, ist es zu traurig . . . . Wahr ist es freilich, daß unser Haus nicht sehr angenehm ist. Ich bin nicht hübsch, ich habe das Fieber, meine beiden Kleinen sind gestorben . . . Da drüben, im Gegenteil, lacht man beständig. Es ist eine Arlesierin, die die Wirtschaft hält, eine schöne Frau mit Spitzen und mit einer dreifachen goldnen Kette um den Hals. Der Kondukteur ist ihr Liebhaber und führt ihr die Post zu. Dazu eine Schar Stubenmädchen, die schön zu thun verstehen. Das zieht natürlich Gäste an. Sie hat die ganze Jugend von Bezouces, von Redessan, von Jonquières. Die Fuhrleute machen einen Umweg, um bei ihr einkehren zu können . . . Ich, ich bleibe hier den ganzen Tag allein, ohne irgend jemand, um mich abzuhärmen.«

Sie sagte das mit zerstreuter, gleichgültiger Stimme, die Stirn beständig gegen die Fensterscheibe gelehnt. Ersichtlich gab es in dem Wirtshaus gegenüber irgend etwas, was ihre Aufmerksamkeit in Anspruch nahm . . .

Plötzlich entstand auf der andern Seite der Straße eine große Bewegung. Die Post fuhr ab. Man hörte Peitschenknall, das Posthorn erklang, die Stubenmädchen kamen an die Thür gelaufen und riefen: »Adiousias!.. adiousias!...« und über alles tönte die mächtige Stimme von vorher, die ihren Gesang wieder aufnahm:

Mit dem Silberbecher
Nach dem Wasser sie geht,
Da kommen geritten
Drei Offizier . . . .

. . . Bei dieser Stimme erzitterte die Wirtin am ganzen Körper und sich zu mir wendend sprach sie ganz leise:

»Hören Sie? . . . Das ist mein Mann . . . Singt er nicht gut?«

Ich sah sie ganz versteinert an.

»Wie? Ihr Mann? . . . Er geht also auch da hinüber?«

Darauf erwiderte sie mit betrübter Stimme, aber mit großer Sanftmut:

»Was wollen Sie, mein Herr? Die Männer sind einmal so; sie mögen nicht gern weinen sehen, und ich, ich weine immer seit dem Tode meiner Kleinen . . . und dann ist es so traurig hier in der alten Baracke, in der sich nie jemand sehen läßt . . . Drum geht mein armer José, wenn er sich zu sehr langweilt, hinüber um zu trinken, und weil er eine schöne Stimme hat, so läßt ihn die Arlesierin singen. Still! . . da fängt er wieder an.«

Und zitternd, die Hände vor sich gestreckt, mit großen Thränen, die sie noch häßlicher machten, stand sie wie verzückt am Fenster, um ihren José für die Arlesierin singen zu hören:

Da kommen geritten
Drei Offizier,
»Guten Tag, mein Schätzchen«,
Spricht der erste zu ihr.

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