Alphonse Daudet
Briefe aus meiner Mühle
Alphonse Daudet

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Die Postkutsche von Beaucaire.

Es war an dem Tage, als ich hier ankam. In Beaucaire war ich in den Postwagen gestiegen, einen guten alten Rumpelkasten, der keinen großen Weg zu machen hatte, bis man ihn wieder an seinen Standort zurückbrachte, der aber den ganzen Weg gemütlich bummelte, damit es am Abend bei der Rückkehr scheinen solle, als käme er Gott weiß wie weit her. Wir waren außer dem Kondukteur ihrer fünf in dem Coupé.

Zunächst ein Waldwärter von Camargue, ein kleiner, untersetzter, haariger Mann, der nach Rotwild roch, mit großen blutunterlaufenen Augen und mit silbernen Ringen in den Ohren; sodann zwei Leute aus Beaucaire, ein Bäcker und sein Geselle, beide sehr rot und kurzatmig, aber mit herrlichem Profil, zwei römische Medaillen nach dem Bilde von Vitellius. Endlich auf dem Vordersitze neben dem Wagenlenker ein Mann – nein! eine Schildmütze, eine gewaltige Schildmütze von Kaninchenfell, die nur wenig sprach und traurig auf die Straße hinaus sah.

Alle diese Leute kannten sich untereinander und sprachen ganz laut und frei über ihre Angelegenheiten. Der Mann von Camargue erzählte, daß er von Nîmes komme, wohin er vor den Untersuchungsrichter geladen worden sei wegen eines Stichs mit einer Heugabel, den er einem Schäfer beigebracht habe. Man hat eben heißes Blut in Camargue . . . . Und nun erst in Beaucaire! Wollten sich nicht unsere zwei Leute aus Beaucaire in die Haare fahren und zwar der heiligen Jungfrau wegen? Der Bäcker gehörte nämlich zu einer Kirche, welche seit langer Zeit der Madonna gewidmet war und zwar derjenigen, welche die Provençalen die »gute Mutter« nennen und die das Jesuskind in den Armen hält; der Geselle dagegen sang im Chore einer ganz neuen Kirche, die dem »unbefleckten Empfängnis« geweiht war, jenem lachenden Bilde, das man mit herabhängenden Armen, die Hände voller Strahlen darstellt. Daher kam der Streit. Es war interessant mit anzusehen und anzuhören, wie diese beiden guten Katholiken sich und ihre Madonnen behandelten.

»Eine hübsche Person, deine Unbefleckte!«

»Ach! geh mir doch mit deiner ›guten Mutter‹!«

»O, die hat schöne Streiche gemacht, deine, in Palästina!«

»Und deine, hu! wie häßlich! Wer weiß, was die gemacht hat . . . Frage doch einmal den heiligen Joseph.«

Um sich auf den Hafenplatz von Neapel versetzt zu glauben fehlte nur, daß man die Messer blitzen sah und, meiner Treu, ich glaube, daß das schöne theologische Turnier schließlich dazu geführt haben würde, hätte nicht der Kutscher sich in das Mittel geschlagen.

»Laßt uns doch in Ruhe mit euren Madonnen, sagte er lachend zu den Hitzköpfen: das alles sind ja Weibergeschichten, Männer dürfen sich nicht da hinein mischen.«

Dabei klatschte er mit seiner Peitsche und nahm eine so skeptische Miene an, daß alle Welt seiner Ansicht beitrat.

*           *
*

Der Streit war beendigt; allein der Bäcker war einmal im Zuge und fühlte daher das Bedürfnis, den Rest seiner Galle an den Mann zu bringen. Er wendete sich daher nach der unglücklichen Schirmmütze um, die schweigend und traurig in ihrer Ecke saß und sprach zu ihm mit der Miene eines Spaßmachers:

»Und deine Frau, du alter Scherenschleifer? . . . mit welcher Kirche hält sie es?«

Offenbar lag in dieser Phrase etwas höchst Komisches, denn die ganze Postkutsche brach in ein schallendes Gelächter aus. Der Scherenschleifer aber lachte nicht. Er that, als habe er nichts gehört. Als er dies sah, wendete sich der Bäcker an mich:

»Sie kennen sie nicht, seine Frau, mein Herr? Sehen Sie, das ist eine lustige Pariserin! Es giebt nicht zwei wie sie in ganz Beaucaire.«

Das Gelächter verdoppelte sich. Der Scherenschleifer rührte sich nicht; er begnügte sich ganz leise zu sagen, ohne den Kopf zu heben:

»Schweig, Bäcker!«

Aber dieser Teufelskerl von Bäcker hatte keine Lust zu schweigen und nahm nun erst recht wieder das Wort:

»Taugenichts! Der Kamerad ist nicht zu beklagen, eine Frau wie diese zu haben . . . . Mit ihr hat man keinen Augenblick Langeweile . . . . Denken Sie nur! Alle sechs Monat läßt sich die Schöne entführen und wenn sie wieder kommt, da giebt es natürlich immer viel zu erzählen . . . . Nun einerlei, 's ist eben ein drolliger kleiner Haushalt . . . . Denken Sie nur, mein Herr, sie waren noch nicht ein ganzes Jahr verheiratet, paf! da geht die Frau mit einem Schokoladehändler durch nach Spanien.«

»Der Mann bleibt allein zu Haus. Er weint, er trinkt . . . er ist wie verrückt . . . Nach einiger Zeit kommt die Schöne in das Land zurück, als Spanierin gekleidet, mit einer kleinen, schellenbehängten Trommel. Wir alle redeten ihr zu:

»Verbirg dich; er wird dich töten.«

»Ach ja! sie töten . . . . Sie haben sich in aller Ruhe wieder vertragen und sie hat ihn gelehrt, die baskische Trommel zu spielen.«

Es gab ein neues Gelächter. In seiner Ecke, ohne den Kopf zu heben, murmelte der Scherenschleifer wieder:

»Schweig, Bäcker!«

Der Bäcker beachtete es nicht und fuhr fort:

»Sie glauben vielleicht, mein Herr, daß die Schöne nach ihrer Rückkehr aus Spanien ruhig geblieben ist . . . Bewahre der Himmel! Ihr Mann hatte ja die Sache so gut aufgenommen! Das hat ihr Lust gemacht, die Geschichte wieder zu probieren . . . . Nach dem Spanier war's ein Offizier, dann ein Schiffer vom Rhône, dann ein Musiker, dann ein . . . . Was weiß ich? Das beste ist, daß es jedesmal dieselbe Komödie giebt. Die Frau geht durch, der Mann weint; die Frau kommt zurück, der Mann tröstet sich. Und immer wieder entführt man sie und immer nimmt er sie wieder auf . . . Das ist doch ein Mann, der Geduld hat! Freilich muß man auch sagen, daß sie verdammt hübsch ist, die kleine Scherenschleiferin . . . . ein wahrer Bissen für einen Kardinal: lebhaft, zierlich und dabei eine feine, weiße Haut und nußbraune Augen, die stets die Männer anlächeln . . . . Meiner Treu, mein Herr Pariser, wenn Sie auf dem Rückwege durch Beaucaire kommen . . . .«

»Oh! Schweig, Bäcker, ich bitte dich darum,« bat noch einmal der arme Scherenschleifer mit herzzerreißendem Ausdruck der Stimme.

In diesem Augenblicke hielt der Postwagen. Wir waren an dem Gute Anglores. Hier stiegen die beiden Leute aus Beaucaire ab und ich kann beschwören, daß ich kein Verlangen fühlte sie zurückzuhalten . . . . Dieser Hanswurst von Bäcker! Er war schon im Hofe des Gutes, als man ihn noch lachen hörte.

*           *
*

Nachdem diese Leute weg waren, erschien das Coupé leer. Den Wächter von Camargue hatte man in Arles gelassen, der Kutscher ging auf der Straße neben den Pferden her . . . . Wir waren allein im Wagen, der Scherenschleifer und ich, jeder in seiner Ecke . . . stumm. Es war sehr heiß. Ich fühlte, wie meine Augen von Zeit zu Zeit zufielen und wie mein Kopf schwer wurde; aber es war mir unmöglich zu schlafen. Immer klang es mir in den Ohren: »Schweig, ich bitte dich darum,« so sanft, so herzzerreißend . . . . Auch er, der arme Mann, schlief nicht. Von hinten sah ich seine starken Schultern erbeben und seine Hand – eine lange, bleifarbene und ungeschickte Hand – auf dem Sitze zitternd umherfahren, wie die Hand eines Greises. Er weinte . : .

»Nun sind Sie an Ort und Stelle, Pariser!« rief mir plötzlich der Kutscher zu und zeigte mir mit der Peitsche meinen grünen Hügel, auf welchem die Mühle wie ein großer Schmetterling stand.

Ich beeilte mich abzusteigen. Beim Vorübergehen versuchte ich einen Blick unter die Schildmütze des Scherenschleifers zu werfen; ich hätte gern seine Gesichtszüge gesehen. Als ob er meine Gedanken erraten hätte, erhob der Unglückliche hastig den Kopf und heftete seinen Blick auf den meinen.

»Sehen Sie mich scharf an, Freundchen,« sagte er zu mir mit dumpfer Stimme, »und wenn Sie dieser Tage hören, daß es ein Unglück in Beaucaire gegeben hat, so können Sie sagen, daß Sie den kennen, der den Stoß geführt hat.«

Es war eine erloschene, traurige Gestalt mit kleinen blöden Augen. In diesen Augen standen Thränen, aber in dieser Stimme lag ein bittrer Haß. Der Haß, das ist der Zorn der Schwachen! . . . Wäre ich die Scherenschleiferin, ich würde mich fürchten. –


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