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»Frau Chèbe!« ...
»Mein Junge?« ...
»Ich bin zufrieden« ...
Wohl zum zwanzigsten Male an diesem Tage wiederholte der brave Risler, daß er zufrieden sei, und das immer mit derselben gerührten, friedfertigen Miene, derselben gedehnten, leisen, tiefen Stimme, jener Stimme, welche vor Erregung erstickt und nicht allzu laut zu reden wagt, aus Furcht, sie möchte sich plötzlich in Thränen auflösen.
Um keinen Preis der Welt hätte Risler in diesem Augenblicke weinen mögen – man denke sich doch einen Bräutigam, der mitten beim Hochzeitsmahle gerührt wird! Und doch hatte er große Lust dazu. Sein Glück erstickte ihn, schnürte ihm die Kehle zusammen, hinderte ihn am Sprechen. Alles, was er thun konnte, war, daß er von Zeit zu Zeit mit leise zitternden Lippen die Worte murmelte: »Ich bin zufrieden ... bin zufrieden« ...
Er hatte in der That Grund, zufrieden zu sein.
Seit dem Morgen glaubte sich der arme Mann in einem jener glänzenden Träume befangen, aus denen man jählings mit geblendeten Augen zu erwachen fürchtet. Sein Traum jedoch schien niemals endigen zu sollen: er hatte um fünf Uhr morgens begonnen, und um zehn Uhr abends, Punkt zehn Uhr nach dem Regulator bei Béfour, dauerte er noch immer fort ...
Wie viel Ereignisse an diesem Tage, und wie waren die geringsten Einzelheiten ihm gegenwärtig!
Er sah sich bei Tagesanbruch glatt rasirt, im Frack, mit zwei Paar weißen Handschuhen in der Tasche, voll freudiger Ungeduld sein Junggesellenzimmer durchmessen ... Dann kamen die Galawagen und in dem ersten da unten – dem mit den Schimmeln, den weißen Zügeln und dem gelben Damastausschlag – die Braut in ihrem Putze, wie eine Wolke ... Dann der Zug zur Kirche, zu zwei und zweien, die kleine, weiße, schwebende Wolke leicht und blendend immer an der Spitze ... Dann die Orgel, der Schweizer, die Predigt des Pfarrers, die Kerzen, deren Schimmer auf Geschmeide und Frühlingstoiletten fällt ... und dies Menschengewühl in der Sacristei: die kleine weiße Wolke verloren im Gewühl, versteckt, umdrängt, umarmt, während der Bräutigam den Ersten der Pariser Kaufmannschaft, die ihm zu Ehren erschienen sind, die Hände drückt ... Und dann das gewaltige Orgelfinale, das noch feierlicher wird wegen der weit geöffneten Thür, welche die ganze Straße an der Familienfeierlichkeit theilnehmen ließ, die Töne, welche gleichzeitig mit dem Hochzeitszuge durch den Kreuzgang ziehen, die Bemerkungen der Nachbarn, eine Silberpolirerin in großer Lustreschürze, die ganz laut sagt: »Der Bräutigam ist nicht hübsch, aber die Braut ist verwünscht niedlich« ... Das macht stolz, wenn man der Bräutigam ist ...
Dann das Frühstück in der Fabrik, in einem mit Blumen und Tapeten geschmückten Arbeitsraume, und die Fahrt ins Wäldchen, ein Zugeständnis an die Schwiegermutter, Frau Chèbe, die als Pariser Kleinbürgerin ohne eine Fahrt um den See und einen Besuch beim Wasserfall nicht an die Hochzeit ihrer Tochter geglaubt haben würde ... Schließlich die Rückkehr in die Stadt zum Diner, während die Laternen auf dem Boulevard angezündet wurden und die Leute sich umdrehten, um die Hochzeit passiren zu sehen, eine richtige, behäbige Hochzeit, welche die Miethpferde im Trabe zur Treppe bei Véfour führten.
Bis dahin war er in seinem Traume gekommen.
Von Müdigkeit und Behagen überwältigt, betrachtete der gute Risler in diesem Momente mit ungewissen Blicken die ungeheure Tafel von achtzig Couverts, die oben und unten hufeisenförmig auslief und von bekannten, lächelnden Gesichtern umgeben war, in deren Augen er den Wiederschein seines Glücks zu lesen glaubte. Das Diner nahte seinem Ende. Ein Schwall von Einzelunterhaltungen wogte um den Tisch. Da erblickte man gegen einander gekehrte Profile, schwarze Rockärmel hinter Körben voll Asklepias, ein lachendes Kindergesicht über einer Fruchtschale – das Dessert in gleicher Höhe mit den Gesichtern umgab die ganze Tischgesellschaft mit Festesfreude, Farben und Lichtern.
O ja, Risler konnte zufrieden sein.
Seinen Bruder Franz ausgenommen, waren alle seine Lieben zugegen. Da zuerst ihm gegenüber Sidonie, gestern noch die kleine Sidonie, heute seine Frau. Zum Diner hatte sie ihren Schleier abgelegt, war sie ihrer Wolke entstiegen. Jetzt hob sich von dem schneeweißen, faltenlosen Seidenkleide ein hübsches Gesicht von noch matterm, weicherm Weiß ab, und der Kranz ihrer Haare unter dem andern, so regelrecht geflochtenen Kranze zeigte eine übermüthige Widerspenstigkeit, Abbilder kleiner Federn, die nur zu entflattern begehrten. Aber Gatten sehen dergleichen Dinge nicht.
Nächst Sidonien und Franz liebte Risler am meisten Frau Georges Fromont, von ihm »Madam Schorsch« genannt, die Frau seines Associés, die Tochter des seligen Fromont, seines ehemaligen Chefs und Abgotts. Er hatte ihr den Platz an seiner Seite bestimmt, und aus der Art und Weise, in der er mit ihr sprach, fühlte man Hingebung und Ehrerbietigkeit heraus. Sie war eine noch ganz junge Frau, ungefähr von gleichem Alter wie Sidonie, aber von mehr regelrechter und ruhiger Schönheit. Fremd in dieser gemischten Gesellschaft, sprach sie wenig, bemühte sich jedoch, auch hier liebenswürdig zu erscheinen.
Auf der andern Seite Rislers saß strahlend und funkelnd die Mutter der Braut, Frau Chèbe, in ihrem grünen Atlaskleide, das gleich einem Schilde gleißte. Seit dem Morgen waren alle Gedanken der guten Frau hellglänzend wie die sinnbildliche Farbe dieses Kleides. In jedem Augenblicke sagte sie zu sich selbst: »Meine Tochter heirathet Fromont junior & Risler senior aus der Rue des Vieilles-Haudriettes!« ... Denn in ihren Gedanken heirathete ihre Tochter nicht Risler senior allein, sondern auch das Schild des Hauses, die in der Pariser Handelswelt berühmte Firma – und jedesmal, wenn sie dieser glorreichen Thatsache gedachte, reckte Frau Chèbe sich steifer in die Höhe und dehnte sich in der Seide des Schildes, daß sie krachte.
Welcher Gegensatz zur Haltung des Herrn Chèbe, der einige Stühle weiter unten saß! Im Familienleben bringen gewöhnlich dieselben Ursachen ganz verschiedene Wirkungen hervor. Der kleine Mann mit der hohen Utopistenstirn, höflich, geschniegelt und hohl wie eine Gartenkugel, erschien ebenso erbost, wie seine Frau glückstrahlend war. Das änderte übrigens nichts an seinem Wesen, denn Herr Chèbe wüthete jahraus, jahrein. An diesem Abend freilich hatte er weder seinen gewöhnlichen kläglichen, welken Gesichtsausdruck, noch den weiten, schlotternden Paletot, dessen Taschen von Öl-, Wein-, Trüffel- oder Essigproben strotzten, je nachdem er in der einen oder der andern Waare »machte«. Sein prächtiger, neuer schwarzer Frack bildete ein Seitenstück zu dem grünen Kleide, aber unglücklicherweise waren auch seine Gedanken von der Farbe seines Fracks. Warum hatte man ihn nicht neben die Braut gesetzt, wie das sein Recht war? ... Warum hatte man seinen Platz Fromont junior gegeben? ... Und was hatte der alte Gardinois, der Großvater der Fromonts, neben Sidonie zu schaffen? ... Da sah man's ja! den Fromonts alles und den Chèbes nichts ... Und diese Leute wundern sich noch, daß es zu Revolutionen kommt! ...
Glücklicherweise hatte der erboste kleine Mann, um seiner Galle Luft machen zu können, seinen Freund Delobelle neben sich, einen alten Schauspieler außer Dienst, der ihm mit dem ruhigen, majestätischen Gesichtsausdruck großer Tage zuhörte. Man mag immerhin durch die Böswilligkeit der Directoren seit fünfzehn Jahren von der Bühne verbannt sein, wenn es sein muß, findet man doch immer theatralische Stellungen, die zu den Umständen passen. So hatte denn Delobelle an diesem Abend sein »Hochzeitsgesicht« aufgesteckt, d. h. er trug eine halb ernste, halb lächelnde Miene und ein gegen die kleinen Leute herablassendes, dabei aber zugleich feierliches und doch zwangloses Benehmen zur Schau. Es schien, als nehme er angesichts des gefüllten Zuschauerraums an einem Schmause im ersten Acte theil, einem Schmause, bei welchem die bekannten Pappgerichte figuriren, und es hatte um so mehr den Anschein, als spiele er eine Rolle, der phantastische Delobelle, weil er in der festen Zuversicht, man werde sein Talent noch im Laufe des Abends verwerthen, während der ganzen Zeit, wo man bei Tische saß, in Gedanken die schönsten Stücke seines Repertoires durchging. Das gab seinem Gesichte einen unbestimmten, erkünstelten, zerstreuten Ausdruck, jene gemacht aufmerksame Miene eines Schauspielers auf offener Scene, der sich stellt, als ob er auf das höre, was man ihm sagt, während er die ganze Zeit über nur an seine Antwort denkt.
Seltsam, auch das Antlitz der Braut hatte etwas von diesem Ausdruck. Auf diesem jugendlichen, hübschen Gesichte, welches vom Glück belebt, aber nicht erschlossen wurde, prägte sich ein heimliches Sinnen aus, und zuweilen zuckte ein leichtes Lächeln um ihre Mundwinkel, als ob sie mit sich selbst gesprochen hätte.
Mit diesem leichten Lächeln beantwortete sie auch die etwas ausgelassenen Späße des Großvaters Gardinois, der zu ihrer Rechten saß.
»Diese Sidonie! Also doch!« ... sagte der alte Knabe lachend. »Wenn ich bedenke, daß sie vor noch nicht ganz zwei Monaten davon sprach, ins Kloster zu gehen ... Ja, ja, man kennt die Klöster dieser jungen Dämchen! ... Wie man bei uns sagt: das Kloster des heiligen Joseph, vier Schuhe unterm Bett!« ...
Und jeder am Tische lachte bereitwillig zu den derben Scherzen des alten Bauern aus dem Berry, dem sein großes Vermögen Gemüth, Bildung und Herzensgüte, nicht aber den Verstand ersetzen mußte, denn Verstand besaß er, der Schlaukopf, und mehr, als alle diese Spießbürger zusammen. Von den wenigen Leuten, die ihm Sympathie einflößten, gefiel ihm die kleine Chèbe, die er schon als Kind gekannt, ganz besonders, und sie ihrerseits, noch zu wenig an den Reichthum gewöhnt, um ihn nicht zu verehren, sprach mit ihrem Nachbar zur Rechten mit einem sehr bemerkbaren Anflug von Achtung und Koketterie.
Dagegen beobachtete sie ihrem Nachbar zur Linken, Georges Fromont, dem Associé ihres Mannes, gegenüber eine große Zurückhaltung. Ihre gegenseitige Unterhaltung beschränkte sich auf die bei Tisch unumgänglichen Artigkeiten: ihr Benehmen gegen einander hatte sogar etwas gesucht Gleichgiltiges.
Plötzlich entstand unter den Tischgenossen jenes leichte Geräusch, das dem Aufbruche voranzugehen pflegt: ein Knistern seidener Kleider, das Scharren gerückter Stühle, die Schlußworte der einzelnen Unterhaltungen, hier und da verhallendes Gelächter, und während dieser Halbstille sagte die mittheilsam gewordene Frau Chèbe, außer sich vor Entzücken über die reservirte und besonnene Haltung der Neuvermählten, die in diesem Augenblicke am Arme Gardinois' stand, ganz laut zu einem Vetter aus der Provinz:
»Sehen Sie sich das Kind an, Vetter ... Nie hat jemand errathen können, was sie dachte.«
Dann stand alles von der Tafel auf, und man begab sich in den großen Salon.
Während die Ballgäste sich zahlreich einstellten und sich unter die zum Diner Geladenen mischten, während das Orchester seine Instrumente stimmte und die lorgnonbewaffneten Tänzer vor den weißen Toiletten der ungeduldigen Dämchen umherstolzirten, hatte der Bräutigam, von all diesem Gewühle eingeschüchtert, sich mit seinem Freunde Planus – Sigismund Planus, seit dreißig Jahren Kassirer des Hauses Fromont – in die kleine, blumengeschmückte Galerie geflüchtet, deren mit Schlingpflanzen bedruckte Tapeten einen grünen Hintergrund für die vergoldeten Säle Véfours bilden. Dort wenigstens waren sie allein und konnten mit einander plaudern.
»Sigismund, alter Freund ... ich bin zufrieden« ...
Sigismund war ebenfalls zufrieden, aber Risler ließ ihm keine Zeit, es auszusprechen. Jetzt scheute er sich nicht mehr, zu weinen, jetzt floß die ganze Freude seines Herzens über.
»Denke doch, mein Freund! ... Wie merkwürdig, daß ein Mädchen wie sie gerade mich gewollt hat! Denn alles in allem, ich bin nicht hübsch, und es war gar nicht nöthig, daß das Frauenzimmer von heute Morgen es mir sagte – ich wußte es ohnehin. Außerdem bin ich zweiundvierzig Jahre alt ... Und sie ist so niedlich! ... Es gab so viele andere, die sie wählen konnte, jüngere, manierlichere, von meinem armen Franz, der sie so sehr liebte, gar nicht zu reden ... Aber nein! sie hat ihren alten Risler gewollt ... Und das kam so komisch ... Schon seit Langem sah ich sie immer traurig und ganz verändert. Ich dachte wohl, daß etwas Liebeskummer dahinter stecke ... Mit der Mutter zusammen suchten wir und zerbrachen uns den Kopf, um zu errathen, wer es wohl sein könne ... Da kommt eines Morgens Frau Chèbe auf mein Zimmer und sagt unter Thränen: – ›Sie sind's, armer Freund ... Sie sind's, den sie liebt‹ – Und ich war's in der That, ich! ... He? wer hätte das je geahnt? ... Und wie seltsam, daß mir in ein und demselben Jahre zweimal ein so großes Glück begegnet ... erst Associé des Hauses Fromont und dann Sidoniens Mann ... O!« ...
In diesem Augenblicke wirbelte, vom Takte einer rauschenden, schleifenden Walzermelodie getragen, ein Tänzerpaar in den kleinen Salon. Es waren die Braut und Rislers Associé, Georges Fromont, beide gleich jung, beide gleich elegant. Sie sprachen halblaut mit einander, die Worte in die engen Kreise des Walzers einklammernd.
»Sie lügen« ... sagte Sidonie ein wenig bleich, aber immer mit dem leichten Lächeln auf den Lippen.
Und er, noch bleicher als sie, erwiderte:
»Ich lüge nicht. Mein Onkel wollte diese Heirath. Er lag im Sterben ... Sie waren abgereist ... Ich wagte nicht, nein zu sagen« ...
Risler bewunderte die beiden von weitem:
»Wie hübsch sie ist! Wie gut sie tanzen!« ...
Als aber die Tänzer ihn gewahr wurden, ließen sie einander los, und Sidonie kam hastig zu ihm hin:
»Wie? Hier sind Sie? Was machen Sie denn hier? ... Man sucht Sie überall. Warum sind Sie nicht drüben?« ...
Und während sie sprach, knüpfte sie ihm mit der reizenden Bewegung einer ungeduldigen Frau einen neuen Knoten in die Cravatte. Das entzückte Risler, und er lächelte Sigismund verstohlen zu: allzu beglückt, diese kleine, behandschuhte Hand seinen Hals streifen zu fühlen, merkte er nicht, daß die feinen Finger zitterten.
»Geben Sie mir den Arm,« sagte sie dann, und sie traten beide in die Salons. Neben ihrem langen Kleide mit der weißen Schleppe erschien Rislers unmoderner und schlecht sitzender Frack noch bäurischer, aber ein Frack läßt sich nicht erneuern wie der Knoten an einer Cravatte: man mußte ihn also nehmen, wie er war ... Während sie im Vorbeigehen alle diese Leute grüßten, die nach einem Lächeln von ihnen haschten, fühlte Sidonie für einen Augenblick ihren Stolz, ihre Eitelkeit befriedigt. Unglücklicherweise dauerte das nicht lange. In einem Winkel des Saales saß eine junge, hübsche Frau, die niemand zum Tanze aufforderte, und die, von der ganzen Freude des ersten Mutterglücks verklärt, mit ruhigem Blick die Tanzenden betrachtete. Sobald er sie gewahr wurde, ging Risler geraden Wegs auf sie zu und nöthigte Sidonie, an ihrer Seite Platz zu nehmen. Es ist überflüssig, zu bemerken, daß jene junge Frau »Madam Schorsch« war. Mit wem sonst hätte er so ehrerbietig und liebevoll sprechen können? In welche Hand, wenn nicht in die ihre, hätte er die Hand seiner kleinen Sidonie mit den Worten legen können:
»Sie werden sie recht lieben, nicht wahr? Sie sind ja so gut ... Und sie bedarf Ihres Rathes, Ihrer Weltkenntnis so sehr« ...
»Aber, mein lieber Risler,« erwiderte Frau Georges, »Sidonie und ich sind ja alte Freundinnen ... Wir haben allen Grund, einander auch ferner zu lieben« ...
Und ihr ruhiger, offener Blick suchte dem der alten Freundin zu begegnen, aber vergebens – – –
Bei seiner völligen Unkenntnis der Frauen und seiner Gewohnheit, Sidonie wie ein Kind zu behandeln, fuhr Risler in demselben Tone fort:
»Nimm sie dir zum Vorbild, Kleine ... Siehst du, es giebt auf Erden keine zweite Madam Schorsch ... Sie hat ganz das Gemüth ihres armen Vaters ... eine ächte Fromont!« ...
Sidonie machte mit niedergeschlagenen Augen eine Verbeugung, ohne eine Silbe zu erwidern, aber ein unmerkliches Zittern erschütterte sie von der Spitze ihres Atlasstiefelchens bis zum letzten Orangenblättchen ihres Brautkranzes. Der brave Risler jedoch bemerkte nichts. Die innere Erregung, der Tanz, die Musik, diese Blumen, diese Lichter – – – Er war trunken, er war toll. Er meinte, wie er müßten auch alle andern die Atmosphäre unvergleichlichen Glücks einathmen, die ihn umgab. Er ahnte nicht den Neid, den kleinlichen Haß, der über allen diesen geschmückten Köpfen seine Fäden spann.
Er sah nicht, wie Delobelle, seiner studirten Haltung müde, mit dem Hute auf der Hüfte und der einen Hand in der Weste am Kamin lehnte, während die Stunden verflossen, ohne daß jemand daran dachte, seine Talente nutzbar zu machen. Er sah nicht, wie Herr Chèbe sich finster zwischen zwei Thüren klemmte, wüthender auf die Fromonts denn je ... O diese Fromonts! ... Welche Stellung nahmen sie bei dieser Hochzeit ein ... Da standen sie mit ihren Frauen, ihren Kindern, ihren Freunden, den Freunden ihrer Freunde ... schien es nicht, als ob einer der Ihren heirathe? ... Wer sprach von den Rislers oder den Chèbes? ... Man hatte ihn nicht einmal vorgestellt, ihn, den Vater! ... Und die Wuth des kleinen Manns verdoppelte sich noch beim Anblick des Benehmens seiner Frau, die in ihrem Goldkäferkleide aller Welt mütterlich zulächelte.
Übrigens fanden sich auch hier, wie bei fast allen Hochzeiten, zwei sehr verschiedene Strömungen, die einander berührten, ohne mit einander zu verschmelzen. Bald machte auch die eine von beiden der andern Platz. Diese Fromonts, die Herrn Chèbe so schwer ärgerten und die Aristokratie des Balles bildeten, der Vorsitzende der Handelskammer, der Syndicus der Advocaten, ein berühmter Chocoladenfabrikant, der zugleich Abgeordneter war, der alte Millionär Gardinois, sie alle zogen sich kurz nach Mitternacht zurück. Nach ihnen stiegen auch Georges Fromont und seine Frau in ihren Wagen. Schließlich blieb nur noch die Fraction Risler und Chèbe, und sogleich änderte das Fest seinen Charakter: es wurde geräuschvoller.
Der berühmte Delobelle, müde, sich von niemand aufgefordert zu sehen, hatte beschlossen, sich selbst aufzufordern, und begann nun mit dröhnender Stimme den Monolog aus »Ruy-Blas«: »Guten Appetit, ihr Herrn!« – – – während man sich am Büffet um die Chocolade und die Punschgläser drängte. Auf den Sophas tauchten jetzt niedliche Toiletten auf, die Frucht häuslicher Ersparnisse, die überglücklich waren, jetzt endlich zur Geltung zu kommen, und hier und da ergötzten sich junge, vom Übermuth verzehrte Ladengehilfen mit dem Wagstück einer Quadrille. Die Braut drängte schon seit Langem zum Aufbruch. Endlich verschwand sie mit Risler und Frau Chèbe. Was Herrn Chèbe betrifft, der erst jetzt seine ganze Wichtigkeit erlangt hatte, so war es absolut unmöglich, ihn wegzubringen. Was Teufel auch, es mußte doch jemand da sein, um die Honneurs zu machen! ... Und ich bürge dafür, daß der kleine Mann seine Pflicht that! Er war roth, erhitzt, ausgelassen, lärmend, beinahe aufsessig. Von unten hörte man ihn mit dem Hausmeister bei Véfour über Politik sprechen und Reden halten von einer Kühnheit – –
*
Der Hochzeitswagen, dessen schwer betäubter Kutscher die weißen Zügel ein wenig locker hielt, rollte schwerfällig durch die öden Straßen nach dem Marais.
Frau Chèbe sprach viel: sie zählte alle Glanzpunkte dieses denkwürdigen Tages her und war besonders von dem Diner entzückt, dessen alltäglicher Speisenzettel für sie der höchste Ausdruck des Überflusses war. Sidonie träumte im Dunkel des Wagens, und wenn auch Risler, der ihr gegenüber saß, sein »Ich bin zufrieden« ... nicht mehr sagte, so dachte er es dafür bei sich von ganzem Herzen. Einmal suchte er die kleine, weiße Hand zu ergreifen, die sich gegen die aufgezogene Scheibe lehnte, aber dieselbe zog sich schnell zurück, und nun blieb er, in stumme Bewunderung versunken, regungslos sitzen.
Der Wagen fuhr durch die Hallen, durch die Rue de Rambuteau, die voller Gemüsewagen stand, und bog dann am Ende der Rue des Francs-Bourgeois um die Ecke des Archives, um in die Rue de Braque einzufahren. Dort hielt er zum ersten Male an, und Frau Chèbe stieg vor ihrer Thüre ab, die viel zu eng war für die prächtige, grünseidene Robe, welche sich nur unter aufsessigem Geknister und einem Murren ihrer sämmtlichen Volants in den Hausflur hineinzwängte ... Wenige Minuten später öffnete ein großes, massives Portal in der Rue des Vieilles-Haudriettes, das in seinem Wappenschilde als ehemaliger Palast, dicht unter dem halb verlöschten Wappen, ein Schild mit der blauen Inschrift: » TAPETEN« trug, seine beiden Thorflügel, um den Galawagen einzulassen.
Diesmal schien die Neuvermählte, die bis dahin unbeweglich und wie schlafend dagesessen hatte, plötzlich zu erwachen, und wären nicht alle Lichter in den weiten, den Hof umschließenden Gebäuden, Werkstätten und Magazinen erloschen gewesen, so würde Risler haben bemerken können, wie plötzlich ein Lächeln des Triumphes dies hübsche, räthselhafte Gesicht erhellte. Die Wagenräder rollten leise über den feinen Kies eines Gartens, und bald darauf hielten sie an der Freitreppe eines zweistöckigen herrschaftlichen Hauses an. Dort wohnte die junge Familie Fromont, und Risler senior mit seiner Frau sollte das obere Stockwerk beziehen. Das Haus hatte ein stattliches, herrschaftliches Aussehn. Hier nahm der reiche Handelsstand für die düstere Straße, das entlegene Viertel Genugthuung. Auf der Treppe lag ein dicker Teppich, im Vorzimmer standen Blumen, überall glänzten Spiegel, weißer Marmor und polirtes Metall.
Während Risler seine Freude durch alle Räume der neuen Wohnung spazieren führte, blieb Sidonie allein auf ihrem Zimmer. Beim Schimmer der kleinen, blauen Lampe, die von der Decke herabhing, warf sie zunächst einen Blick in den Spiegel, der ihr Bild vom Kopf bis zu den Füßen wiedergab, und dann auf all die junge Pracht, die ihr so neu war. Dann öffnete sie, anstatt sich niederzulegen, das Fenster und blieb regungslos an der Brüstung lehnen.
Die Nacht war hell und lau. Deutlich erblickte sie vor sich die ganze Fabrik mit ihren unzähligen Fenstern, den glänzenden, hohen Scheiben und dem langen Schornstein, der in den Himmel zu ragen schien. Zu ihren Füßen lag der kleine, prächtige Garten, der sich an die alte Mauer des ehemaligen Palastes lehnte. Rings umher grinsten ärmliche, trübselige Dächer, düstere, tiefdüstere Straßen – – – Plötzlich zuckte sie zusammen. Dort drüben, in der dunkelsten, der häßlichsten von allen diesen eng zusammengepreßten Dachstuben, die sich wie mit Elend überladen an einander lehnten, gähnte groß und düster ein Fenster im fünften Stockwerk in die Nacht. Sie erkannte es auf der Stelle. Es war das Fenster des Flurs, auf welchem ihre Eltern wohnten.
Das Flurfenster! – – –
Wieviel Umstände rief dieser Name allein in ihrer Erinnerung wach. Wieviel Stunden, wieviel Tage hatte sie, über diese feuchte Maueröffnung ohne Stütze und Brüstung geneigt, dort verbracht, um nach der Fabrik hinüberzuschauen. Noch in diesem Augenblicke glaubte sie dort oben das verkümmerte Gesichtchen der kleinen Chèbe zu erblicken, und im Rahmen dieses Fensters einer Armenwohnung entrollte sich vor ihrem Geiste ihr ganzes Jugendleben, die traurige Jugend eines armen Pariser Mädchens.