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Der Regen fällt nicht ihm, die Sonne scheint nicht ihr;
Du auch bist andern geschaffen und nicht dir.
Angelus Silesius: Der Cherubinische Wandersmann
Ich habe bloß ein Fünkchen Liebe, aus dem soll alles kommen: der Einfall und sein Bild, der gute Mut, um auch dem hilflosen Gebilde den eignen Flug zu Menschen und Gott zu weisen. Die Blumen hier bei uns sind von den Sternen eingesetzt, um bei gutem Tun zu unterrichten. Die Blumen lieben dich, sie schaun zu dir empor wie deine Seele nachts in ihre Sterne. Die Sterne waren niemals ohne mich, ohne meinen Blick und meinen Glauben, so hin ich das Geschick der Sterne. Die Sterne traun nur schwach den Menschen, sie haben wenig Macht, die einzige sind die Blumen, unsre Lehrer. Vielleicht die Stimme einiger Vögel; der Flug gehört jedoch der Sonne: denn Sterne fliehn nicht, sie schrecken bloß zusammen, wenn die Menschen Blumen oder seltene Stimmen mißverstehn. Wir sollen selig sein, nicht wissen, welche Wunder wir entfalten: vielleicht sind wir die Freunde andrer Wesen. Die Blumen sagen: ihr sollt uns behüten; die Käfer: ihr könnt mich verschonen; die Schmetterlinge fragen, warum ihr sie nicht schützt.
Der Sommer aber kommt und heischt: nun sollt ihr mähen, ihr dürft ernten. Die Sichel herrscht am Tag. Die Halme, alle Ähren nicken uns entgegen, sie hoffen auf den Menschen, er kommt, und, stolz auf ihre Hilfe, empfangen sie den holden Tod. Uns ruft der Mohn: so kommt, wir wollen fliegen, wir sind der rote Wunsch zur Flucht aus unsrer Flur.
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Wir sind der Weg zu den Sternen. Durch dich wird die Wiese, mit uns gibts die Felder, der Wald ist dem Menschen vorbestimmt; darum sind wir Freunde der Sonne. Doch der Flug der Vögel ist Flucht, und auch die kommt von der Sonne, von der Abendröte, denn die Sonne flieht uns, weil wir ewig sind und daher töten; die Sonne aber muß einmal sterben. Das Wild ist da, damit Furcht sei, denn das Wild fürchtet dich. Die Spinne entsteht wie deine List, die List war jedoch das Gespinst vor der Spinne. Ihre Herkunft ist dein Stern, der die Strahlen des Mondes benützt, um sich in deinen Sinnen einzuspinnen, deine Seele zu beschleichen. Auch die Torheit kommt vom Mond. Sie hat uns eingegeben, Götzen anzurufen, denn die Sonne ist viel zu reich, strahlend lebendig und überschwenglich, sie braucht keine Verehrung, noch liebt sie Verhimmlichung: ihre Priesterschaften hat ihr der Mond aufgehalst.
Übrigens haben wir das Beten von der Meeresflut gelernt, auch die Ekstase: beide sind Mondsucht unseres Sternes.
Der Wald lehrte uns den Gesang; dann, als wir über die Wüste zogen, übernahmen ihn die Vögel. Und als der Mensch zum Meer und seinen Gebeten hintrat, wurde der Psalm. Das Meer fleht aber bloß um uns, betet um den Menschen an; wir aber tragen die Liebe der Sonnensee, die Hoffnung der Felder, den Glauben der Stimmen und der Blumen, die Inbrunst bei allen Erblindungen, die Zuversicht der Stummgebliebnen zu den Sternen, denn wir sind der Weg zu den Sternen. Die Sterne werden im Menschen geboren.
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Die Sterne, an die wir glauben, sind das Fünkchen Liebe, mit der wir unsre Welt aufbaun. Denn sie ist die wirkliche. Wie groß ist der Mensch, wie klein sind die Sterne.
Der Mensch ist der Mund des Herrn, die Sonnen sind das Hohelob des Gehorsams. Aber die Sterne sind das Glück aus Demut, nur die Erde sträubt sich in ihren Bäumen und atembegabten Wesen, sie selbst zu sein. Jeder Wurm, der den Boden bekriecht, die Hündin, die um ihre Jungen herumschnuppert, der Gierige, der den Eintrag beriecht, wollen alle ihr Anders. Jeder Lebendige, der sich beruhigen kann, ist ein Schmarotzer, bloß ein Habicht darf in Herrlichkeit über allem Unerwognen sieghaft fliegen: der Verstand. Aber der Verstandbegabte ist erkenntlich am unwirschen Äckerbeblicken. Doch ist der Mensch der Weg zu den Sternen, denn er erkühnt sich, Ruhe zu verbreiten.
Des Menschen Flügel sind die Augenlider. Ein Aufschlag, und der Tag wird erflogen, ein Zusammenfalten, und die Nacht ist erbeten. Mit einem Blick überwältigst du die Sonne, doch schlag die Augen nieder, und du wirst durch deine Einschau unsre Unterwelten weiterfahndend unterfliegen.
Doch Seele, wehe dir, wenn du dich, hier als Mensch verleiblicht, nicht beruhigst. Du sollst aus Freiheit einst dein Sterneneigentum besiegen. Der Stern ist deine Leibesfrucht: die Freiheit wird zur Pflicht. Du wirst einmal aus vollster Wahrheit sein, drum wurdest du vorläufig ein Mund, doch lerne vor allem, gut zu schweigen. Die Ohren kriegst du, um vieles zu vernehmen, doch faß dich selbst dabei, damit du plötzlich keine Fremdheit mehr hörst. Du wälzest das Ich: du hast daher den Leib, um dich zu dir zurückzutasten. Die Nasenflügel stehn offen, sie sollen den Flug der Blumen in die Sternenwege einwiegen. Der Blick, der dich bejaht, der deine Allheit einnimmt, sagt: es ist um mich geschehn.
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Unsre gute Taube, die Vernunftgeburt, ist sanft und zärtlich. Das Wunder der Versöhnung ist in ihr getan. Der Habicht ist ihr Feind, er kann sie oft erjagen. Doch die Taube hat den ältern Flug, sie braucht sich nicht zu wehren. Sie kennt den einzigen Augenblick des Sichbückens: sie selbst ist ein verleiblichter, entscheidend stiller Augenblick. Von ihm, dem eignen, einzigen, hat die Taube ihren alten Flug, das gute Sein bekommen; doch ist sie jung wie die Vernunft, sie ward aus unsrer Atemkraft, aus Manneshand als ein Geschöpf genommen. Die Taube ist die letzte, doch uralt war ihr Puls zugegen, bevor sie uns vor die Besinnung trat.
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Ich liebe eine Schmiede, in der geheim ein Flügelpaar, gefaßt aus Eisenreifen, wunderbar zusammengereimt wird. Es weiß der Schmied noch nicht, was er vollbringt: nächtelang erhämmert er mit dem Gehilfen Pflüge, Schwerter für die Schiffe, Anker oder Hausgerät. Hurtige Pferde und auch schwere Ackergäule kann sein Arm mit frischen Hufeisen beschlagen. Der Mond zieht über seinem Schornsteine vorbei; der erste Viertelmond und auch der letzte Viertelmond erwarten noch ihr Ebenbild, die eigne Flügelreimung hier beim Menschen, in der Schmiede. Der Vollmond brütet überm Dach, denn drinnen nisten Tauben. Sie fliegen von der Schmiede auf, hinüber über helle Nachbaräcker, voll Friedfertigkeit, Zuversicht, und ganz Versöhnlichkeit. Auch sie erwarten des Gerechten Flügelpaar, die Grußgeburt unsrer Vernunft auf Erden.
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Die Sterne sind die Vorläufer der Schraube: des Menschen erstes Sternbekenntnis war auch für die Schraube ihr Vorhandensein. Der erste Stern ist überhaupt des Menschen Wunsch zu fliegen: und das, was über uns in heller Schrift am Himmel steht, ist nur das Vorbild zur Schraube. Die Scheinbarkeit der Sternverzackung kann das All befliegen. Die Sterne stehn wartend über den vergangnen Schmieden. Es gibt Sterne mit vielen Flügeln, denn die Flügelzahl verändert sich, weil sie Tatsachen entscheidet. Die Sterne erfliegen unser Auge, oft der gleiche Stern mit fünf, sieben, sechs und noch weniger oder mehr Zitterzacken; Diamanten schwingen, das liegt an Tau und Mondheit oder einem ungeahnten Zwischen-Himmel-und-Erde, die er, der liebe Stern, zu durchfliegen hat, um einen Menschen zu erreichen. So auch die Schraube: sie hat verschiedne Flügelzahl, denn jeder Flügelschlag ist auch ein Ja, das ihrem Zweck entspricht und ihn dabei verteidigt. Doch das Mühlrad, das ebenfalls ein Stern ist, hat die Form des Kreuzes; es ist überhaupt das Kreuz, das sich dreht, denn es bereitet das heilige Brot der Christen vor.
Die Windmühle ist mystisch; ihr Rudergeknarr zieht die Raben an und scheucht sie auf. Um alte Mühlen spukts, oft tuts der tote Müller selbst, auch der Böse hat dabei sein Spiel, weil der Wind mit dem Kreuze scherzt, weil ers umkehrt, auf den Kopf stellt; doch die Mühle bezweckt die Versorgung mit heiligem Brot für die Christenheit.
Der Mond kann der Mühle nicht viel anhaben, denn da steht sie meistens still; ja sie scheint ein Haus voll Hexerei, das sich des Nachts bekreuzigt, damit die Geister vorbeimüssen. Nur der Müller selbst, wenn er zu alt wird, und zu viel das Kreuz hat sich umkehren und auf den Kopf stellen lassen, kehrt oft zurück. Pferd und Esel, auch Hunde sehn ihn dann. Übrigens hat der Esel Schritt, Gang, Seele eines Seleniten, der kennt auch wie der Mond alle Gespenstergeschichten auswendig: er ist in seiner stark religiösen Veranlagung zurückgeblieben und paßt besonders gut zur Mühle.
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Über der Schmiede steht in der höhern Ebene der Dichtung ein Stern, und Monde gehn verschieden drüber auf und nieder. Über die Mühle flüchtet die Milchstraße zum Meere, über der Mühle wütet der große Bär, denn die Besorgerin des Mehles in Windeshand ist nordisch. Und jede Umdrehung des Rades bezeichnet einen andern Stern, und jedes Leben von hundert Jahren heißt bei der Mühle Milchstraße.
Nun aber verheißt der Mensch ein eignes Sternbild: alle Wirbel der Schraube heißen Sternung: sämtliche Flüge über den Ozean heißen Sternung: unsre Flügelschläge durch die Luft heißen Sternung. Die Bereitwillige für die Schraube ist jetzt die Wärme. Das Sternbild wird ein südliches sein. Ein Nebelfleck ist irgendwo schon vorhergegangen; der Herzschlag der ganzen Menschheit hat ihn am Himmel festgesetzt, denn das Herz ist ein Stern, und die Verkünderin und Magd seiner Sternung ist die Blutwärme, darum ist der Sternfleck im Süden aufgegangen. Und wenn das kalte Sternbild in seine Leibhaftigkeit, die seine Ewigkeit vorbedeutet und vorbereitet, eingegangen sein wird, so soll der geheime Fluch von Glut und Leidenschaft genommen sein; die Hölle ist durch jeden Herzschlag im Verlöschen. Nun hilft uns auch die klar gefügte Sternung durch die Schraube.
Die Erfindung der Schraube hat das Ende der Höllenangst ausgeprägt.
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Das Schraubenschiff schleppt hinter sich die Wesentlichkeit zu einem Schaumkometen; wer glaubt, die Hoffnung einer solchen Regung geh verloren? Wo gute Glut die große Flut bewegt, in Atem hält, wird eine Tierung freundlich vorbereitet. Den Schwan und auch die Spinne hat die Schraube abgetan. Das Segelschilf, die Schwangeburt und Schwangestalt mit ihrem kreuz und quer sich gegen Wind und Ferne Zielwärtsspinnen, kann wohl die beiden Tiere noch bei uns erhalten, doch durchs Schraubenschiff beginnt ein anderes Wesensleben. Die Schwäne und das Segel sind vom Mond zu uns gekommen; die Spinne bleibt ein Stern, doch macht sich ihr Verspinnertrieb die Mondstrahlen zu eigen, denn Netze sind ein Mondgeschehn. Das Segel lehnt sich an den Viertelmond, das Boot ist überhaupt die erste Mondgeburt im Menschen. Die Schraube bleibt ein Stern und mag als Sternung alle Mondheit übersternen, doch trägt, samt seiner Frucht, das Schraubenschiff auch den Kometen schäumend, heller als der Segler durch die Meere.
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Lassen die Flieger den Lüften den Eindruck zu ihrem Kometen? Zu einem ganz besondern? Sollen bewußte Luftschlangen aufkommen? Sollten sich zwei Wesungen dort trennen? Die eine in Geräusche, die andre mit der Bewegung? Und unsre Begeisterung, unsre Erwartung und Beharrlichkeit vor einem Flug, hat sie nicht andre Erseelungen im Menschen angeregt? Wird nicht die Frage überhaupt, die Frage über unsre Zeit ein Feuer sein?
Die Sterne werfen ihren Samen über reiche Länder, auf das tote Meer; damit wirs wirklich sehn und glauben, gibts auch einen Sternschnuppenfall. Dort, wo die Sterne Fluren fruchtbar machen, werden Pflanzen, glauben Bäume; wo die Sterne ihre Bäume fruchtbar machen, zwitschern Vögel um den Wald, in dem sie singen lernen. Und aus dem Walde sternen Augen, wittern urbestirnte Tiere. Darum gibts ja Tierbilder dort oben. Wo die Sterne zu den Gletschern kommen, steht der Mensch auf und erkeimt des Einzigen Einsamkeit. Wenn die Sterne über Wüsten schreiten, kommen Götter ewig angegangen; doch die Sterne auf dem alten Meere lehren die beseelten Fluten beten, beten zu den Göttern, flehen um das Weib.
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Die Erde ist der Wunsch des Menschen: und der Wunsch des Menschen ist von sich aus regsam und belebend, leichterweckt und schwankend: es gibt gar keine Erde, sondern bloß ein Erdbeben. Auf dem Wunscheswesen, das wir selber sind, besteht aber der stille Stern, dem wir, aus uns hervorgewünscht, fern zufluten, den wir, innerlichst stumm, umgluten. Alle Sternschiffahrt über uns führt und sprüht nur mit einem Wunsche fort, hinter dem der Zielstern leuchtet. Aber er zittert noch im Ich. Darum führen alle Wanderringe bloß zum Wandernden zurück. Laßt sie fliegen, eure Drachen, gebt euch auf in Pilgerstimmen! was ihr freigebt, will, weil wunschgewesen, doch nach Haus zum Sterne, und der Stern ist deine Zielverheißung tief im Ich.
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Tauben, weiß wie Wolken, Möven, weich wie Schaum, Wünsche, lila wie das Meer, treffen sich vor meinem Eilandsfenster. Ein Septemberkleinwesen scheint wie unter meinen Blicken zu gedeihn. Die langen Fäden des Spätsommers wehn, auch bei Windstille, von einer über und über mit Früchten betupften Brombeerhecke. Zwischen Preiselbeerbüschen und Hagebuttengerank verwildert ein Wachholdergewächs. Brennesseln schützen noch das angeglühte Herbstgeblätter im Stachelgeheck und Dorngebüsch vor mutwilligen Eingriffen. Sie warnen aber auch mich: mit keiner Hand will ich da hineinlangen. Eine Giftschlange soll hier der Abgott sein.
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Eine blaue Porzellankanne wiegt die gute Mittagsstunde zwischen ihren Henkeln. Sie ist so wundervoll weich geschweift wie ein klarer Himmel. Es gibt nämlich Gegenstände, denen für das Sichzueinanderschmiegen der Dinge eine schöne Wichtigkeit innewohnt. Falsch hingestellte, bloß angebrachte oder aufgestapelte Schöpfungen aus Künstlerhand bleiben ohne ihr Eigentum an Raum nur Sachen. Richtig an einer Stelle eingesetzter Krimskrams erzählt seine Sternung. Etwas wie Beruhigung wird um den Gegenstand. Wie hoch sie wohl reichen mag?
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Eine Biene kommt von der Sonne auf den blauen Krug im Zimmer zugeflogen: drinnen schimmert purpurner Himbeersaft. Was für ein wundervolles Vor-den-Augen-Blühn! Das Fenster steht offen: auch der Septemberhimmel blaut und bläulicht immer dunkler und einsichtlicher durch alle Ecken der Stube. Eine große Wolke, schneeweiß und aufgereckt wie Jütland, stellt sich soeben in den Fensterrahmen, im untern Zwickel silbert und blauäugelt ein Dreieck Ostsee.
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Eine Welle, durchsichtig wie blaues Glas, überstürzt sich tausendmal vor meinem Entzücken. Sie ist immer noch einmal die gleich Lustige: ihre ganze Silberfülle schüttelt sie auf einmal aus. Und gleich nochmals. Und immer wieder kommt sie mit frischem Silber, sie selbst ist gleichmäßig blau. Kreide lugt hier und dort aus dem Ostseegrund, und dort wird das dunkle blaue Seeglas hell wie grüner Schmelzguß, und die Algen, alle Algen sind hin- und hergegaukelte Träume von Pflanzen und Gold. Der Sonne kann ich noch nicht ins Antlitz sehn, sie steht zu hoch, doch drin in der Welle bewegt sich, blaß wie lila Schleier, ein stilles Abbild der blendenden Tagesscheibe: eine lieblich dahinschimmernde Qualle.
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Das Meer blaut ganz gleichmäßig auf seine blassen Glasgrenzen zu. Sanft perlende Einfälle zur Windstille setzen auf einmal in schimmernde Diamantbrisen um. Die allerbewegtesten Silberstreifen bleiben den Uferschäumen fern. Irgendwo suchen Trauerenten ihr lila Spiegelbild auf ruhig atmendem Glasgewoge zwischen zitterndem Perlmutterrahmen. Wunderbar entirdischt tauchen sacht dahinblauende Mövenspiegelbilder unter goldnem Algengesträuch auf. Reiher ziehn wie weißes Traumeswittern eines Wolkeneilandes unter grünverglastem Gespenstergestrüpp, selbst schon versinnbildlicht, dahin. Eine kleine Welle will etwas erzählen: sie weiß ein Märchen. Hier ist alles eine Symphonie des Schauens.
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Auf den Porzellankapseln der Telegraphenstangen beben Schwalben wie frierende Herzen. Unruhig blicken sich die Tierchen nach immer andern Schwalben um. Unzählige, unermeßlich viele fliegen herbei. Es geht nach Süden. Auf Meilen ist jede Telegraphenstange ein lebendiger Kandelaber, aufgestellt im Herbsttempel heroischer Sonnenherrlichkeit.
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An der Septembersonne erfreut sich ein wunderbuntes Gärtchen. Eine riesig große blaue Glaskugel soll bis spät ins Jahr hinein zwischen Blumen als ewig blauer Himmel dableiben. Eine Fahne weht von viel zu hohem Mast, weil mans mit dem Wind halten will. So nah beim Meer! Durch das dicke buntbeerige Spätgerank fällt ein lustig blauender Glitzerwinkel Nachmittagsee gerade auf die leuchtende Blaukugel. Fein silberne und noch lila bläßlichere Insekten schwirren immer wieder ans Glitzerglas an, und das gibt ein frohwimmerliches Gezirpe. Die Kugel selbst zirpt auch mit, als ob ein Tierchen drin eingeschlossen wäre.
Des Gartens große Sonnenblume ist ebenfalls bei Mücke und Fliege sehr beliebt, sogar Vögel holen sich daraus ihre Körner. Die Blume selbst ist ja noch prachtvoll, die Pflanze selbst sinkt aber schon ganz gebrechlich zusammen. Sie sieht aus, als habe sie zuviel Wind gekriegt, man glaubt, sie schleppe sich auf Krücken, so lahm steht sie da in Erwartung des Laubfalls. Die Georginen hingegen sind ganz ihre Jahreszeit, man kann ja nicht gesunder aussehn.
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Lila Mückenschwärme silbern mit dem Abend herbei. Große, weiß und rostrot gewölkte Kühe verlassen die Weide und ziehn, zwischen Gesumsgebüschen in fliegender Aufregung, vorsichtig mühsam hinunter zum Watt, um umwölkt von Insekten heimzuwaten. Sie treten auf Schlick. Sie betreten, umsummt vom Gewimmel zitterhafter Mückenkrönlein das glashafte Wasser. Sie sind in diese schwebenden Dornen geradezu eingesilbert. Jede Kuh bringt einen Nebel von Stechtieren. Stare, unendlich viel Stare haben die gelb und rote Wiesenentwanderung in Schleierverschwirrung bemerkt. Wie metallblaue Kreuze stürzen sie auf uns zu; und schon durchflattern, umblauen dunkel auffunkelnde Vögel das Siedegezitter und die langsamen, großroten, goldgelbumzogenen Kuhmassen im Watt. Und sie kommen nicht los von den Kühen. Immer noch strömen andre stahlblaue, nachtbehaftete Stare hinzu, fortwährend sind neue im Schwarzbogenfluge da: die silbrig zitternden Mücken, die summsummsenden Fliegen halten sie unter den Kühen fest.
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Der Abend verglast den Tag. Hauchlos ist die Ostsee. Ihre Einsamkeit erhalten sogar die Bäume im Wald. Jedes Wesen ist ein für sich bestimmter Atemgang. Die Tannen, schwarze Flammen, sagen vom Beschluß zur Ruhe. Jede Tanne ist aber ihre eigne Heimkehr; sie breitet sich hoch in der Runde aus und wächst in ihre Wurzeln. Ist kein Vogel da? Hoch oben eine lebende Ampel? Vielleicht: dort schwebt ein Reiher. Hoch erhoben, ganz in sich versenkt, im Blauen. Selbst die Espen lispeln keine Silbe.
Mein Puls ist das Geheimnis des Tages. Die Sonne wird sichtbar, ist blutrot: ist das Blut so schwer? Sie sinkt!
Ihr entgegen regt sich im fehlerlosen Glas der Ostsee eine scharlachrote Lilie, ihre lebendige Purpurzeichnung vollendet sich im wellenlosen Meer. Wie mit Herzschlägen schnellt sie zur herabwallenden Sonne in lautloser Langsamkeit heran. Welch wunderbares Granatrot in der Sonne! Das ganze Glas über der Ostsee verwirklicht einen purpurroten Becher, genau so groß, daß die Sonne drin versinken kann. Die scharlachrote Lilie ist noch stiller, sie ist der Kelch aus Rubinglas geworden. Er schlürft die Sonne ein. Er ist vollkommen geschliffen und doch rätselhaft zart geschmeidig: ganz glashaft. Ein geheimnisreicher blauer Dunst berauscht den Himmel bei Sonnenuntergang. Nun ist die volle Sonne schon in den blutjungen Becher hinunter gefunkelt. In wundervolle Hut hat sie das Glas der stillen Abende genommen. Das Wasser hat die Sonne getrunken.
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Die Sternennacht ohne Silberbeschwichtigung ist ein unheimliches Tier. Eine prachtvolle Rätselfülle. Jeder Stern bekennt seine Leidenschaft. Alle Planeten tragen ein Geheimnis. Auch unsre Erde: den Tod im Mond. Im Sommer gewittert das Sternengewimmel von Südosten empor. Ich denke dabei an Ägypten: an den Apis. Kein milder Zweifel wölbt sich mit der Sternenstunde herüber, mondlose Sternenschwärmerei: ein Gott im Stierleib? Habt ihr denn nie die Furchtlosigkeit der Nacht gefühlt, wenn sie bloß Sterne gebiert? Sie zögern lange, über die Welt herein zu brechen, der Stier muß erst gereizt werden. Mit roten Abendmänteln wird er herausgefordert, denn sein Blick ist mit Geheimnissen beschäftigt, nach Innen, ins Sternen gekehrt. Auf einmal aber gewahrt er das glühende Lebensrot und stürzt sich auf uns: Alle Rätsel werden offenbar, jede Heimlichkeit ist triebhaft: Sterne, Sterne, abermals bloß Sterne.
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Schwäne und Kometen, der Mond und eine Milchstraße, wie sollten wir dabei nicht fliegen? Die Schönheit, unser Flug, hat sich in jungem Leib verweiblicht. Die richtige Farbe eines Dinges hebt seine Schwere auf, sie schweben in Schönheit. Der Gedanke durch seinen einzigen Satz: du weißt nicht, daß etwas geschah: Schönheit. Verzweifelt wühlende Leidenschaft, unerschöpfliche Liebe, heiße Niederkunft der Brunst, für alles das strahlende Wort Enterdung. Schönheit, Sternung.
Das Wissen von einem andern Stern ist hoher Flug: Schönheit.
Aus Mondstrahlen zierlich gesponnen ist der Kahn der Sehnsucht. Er hat einen Schleier zum Segeln, volles Mondlicht glimmt empor, sein Flügel. Eine Vision im irdischen Dasein aus Filigran. Wir landen wohl hinter Jupiterwolken. Nebel bluten. Rubine sind seine Tropfen, kalte Scharlachflammen sternen wie Schnee in ein Tal, aus dem sieben Monde hervorgehn. Und doch bleibt das Rot seltsam, in lila Milde silbern Anhöhen über einen gemeinschaftlichen Sagensee. Gibts oben Buchen? Unendlich blaue Wälder wallen dem Wunschbewegten entgegen. Wolken weichen dem Klarheitsbegabten aus. Wahrheitskundige Monde mit singenden Kometenkränzen bringen liebliche Musik der Seele dar, die einst auf Erden in Sonntagskirchen unter Kindern war. Hier werden die Schwäne aller Welten ihr Astralschwan. Es ist Musik, doch eigenste, und darum niemals hörbar. Den Urverträumten andrer Welten wirft er Wimpel reinster Urerlauchtheit zu. Die stillsten Seelen können seine Säume inbrünstig im Herzen versenken. In der Musik und durch den Mond sind wir bei uns auf höhern Sternen. Die Mondseele ist nach Vollmond fort, ums letzte Viertel können auch wir wo anders sein. Die beiden Mondsicheln des Monats sind sicher gereimte Flügel, in unserm Herzen ist der Flug.
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Blumen, zart und zierlich wie aus Schnee, glühn lieblich weiß in die holde Weihe eines blaubetauten Morgengartens. Türme, bleich wie Eis, sprühn empor über ihren eignen Spiegelteich. Eine Kinderhand hatte ihn dereinst zwischen Lilien und Jasmin eingebettet. Ein Komet hoch auf spitzer Zinne: er drückt mit Flammenarmen, Was ein Mensch vollbracht hat, an sein Himmelseligsein. Die bezahnten Marmorzinken empfangen erschaudert des Wandergestirns Feuerkuß. Ein Schwan wird sichtbar, silbert er nicht über den Weiher? Sterne, groß wie Diamanten indischer Prinzen, sind in diesem Garten Tiere geworden. Sie spinnen sich mit Mondlichtstrahlen leise über Myrthenbüsche. Auf den Kieswegen bleibt der Tau blau und wie unberührt liegen, auch neue Traumgestalten leicht und lila drüber hin wandeln. Dieses Schloß mit seinem Garten und Minaretkometen schwebt wie eine Wolke über das Grenzgebirge unsers Schauens. Es scheint mir an einem wohlerwognen Feuerflügel angelehnt zu sein. Noch viel höher geistert aber eine Taube, weiß wie aus weißem Schaum. Merkt denn niemand, wie sie leuchtet? Auch sie ist eine Ampel. Von der Vernunft des Menschen emporgetragen, erscheint sie als ein Tempellicht der Welt.
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Ich komme schon mit einem einzigen Flügel mit Haus und See hinweg auf Sternenwege, denn mir gelangs, den Flügel so leise zu träumen, daß er leicht ist wie die Sichel, die vom Vollmond die Seele mitnimmt in die unbekannten Finsterkeiten.
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Zu uns steigt das Schildkrotufer. Wellen schimmern freundlich durch die Lotosstunde. Auch die blassen Blumen perlen sanft. Blaue Taubehänge schleiern hauchhaft säuselnd durch Magnolienwipfel. Ein Wasserfall, still wie bloß aus feinsten Mondlichtstrahlen, spindelt leicht zum Goldfischteich. Schützt er ein Geheimnis? Soeben stirbt beim Weiher eine zärtliche Mimosa. Das ist kein Wasserfall, das ist ein Katarakt von Seidenspitzen. Goldne Algen verglühn ihre lila Blüten der Bescheidenheit zwischen leuchtenden Wellen. Still, so horcht, das Wasser kreist hinab zum Schildkrotufer.
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Kleine Pudel, Tiere ganz in Mondscheinseide, laufen um ein Schloß aus Filigran. Perlhühner scharren durch den blaubetauten Sand. Dort: ein nackter Knabe spielt mit echten Perlen. Im Gebüsch der Blutkamelien. Nun erscheint ein anderes Kind. In weißem Seidenhemd. Große Tauben leuchten auf, schweben über unsre blaugeträumte Flur. Hier hat Mozart einst gewohnt.
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Die letzte Silbersichel bringt mich bis nach China. Gelber Seide gleicht das Firmament. Eine goldne Sonne aus Metall wird niedersinken. Seltne Sterne warten sonnenuntergangsbereit: liebliche Topase. Dort der Garten ist ein Blumenpfad durch einen Nenupharenteich. Die Tropengluten reicher Schlinggewächse bluten auf das bleichbestirnte Pflanzenwasser nieder. Lila eingeschleiert träumt ein Weib sich einen Schwan auf frohbeblumten Weiherwegen. Zart wie eine Wolke ist der Vogel: schönes Tier! Leuchtet er vielleicht? Er begleitet, silberblaß im Wasser plätschernd, seiner Herrin lilaleichten Schritt. Beide wallen etwas traurig, immer traumhaft, hin und her. Das schöne Weib ist noch ein Mädchen, ihre Hand ist schmiegsamer als Gold in feinsten Blättchen. Hat die Holde wirklich Sorgen? Bienen kommen, setzen sich aus Gold auf die schwarzgerahmte goldne Stirn. Freundlich blaut der Schwan herbei, doch sie winkt ihm ab. Durch die lieben Lotosblumen wiegt er sich dahin, etwas weiter bleibt er still, lila fern. Welch ein fremdes Tier! Herbeigeträumter Schwan unter Manschanilienbäumen, deine Herrin will dich nicht. Seht, er wendet sich hinweg, doch er blickt zurück; das Mädchen hat ihn fortgeträumt, und so stirbt er mit der letzten Sichel unter Wolkengeistern hin.
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Der Sichelmond trägt die Erinnerung mit sich, leise silbert sie unter Gespenster. Besinnungen, verwirklicht euch um mich, bevor das Mondboot mit dem schwarzen Segel still versinkt. Solch ein Silbern ist ja bloß auf einem Meere möglich! Schwimm ich oder wog ich als mein eigner Traum? jede Welle bringt Entsinnungsstimmen: und sie klingen kindlich. Jede Welle wiegt ein Silberboot mit einem kleinen Kind. Spielzeugklein sind Boot und Kind. Jedes Kindlein träumt, und sieh: jedes Träumlein ist ein Segel. O, so volles Meer, wohin wogen diese Weslein? Alle blicken auf ein Ziel. Welches? Dort im Silber, sieh das Silbern. Aber Kindlein, welches Silbern? Blickt nur hin, sie spinnen ihre Silberträume durch ein liebes Silbern hin. Gluckste nicht soeben eine Welle? Eine Stimme? Nun, es gluckste! Gluckst es wieder? Jubelt oder schluchzt etwas? Ja es jubelt! aber was? Hilf mir, himmlische Besinnung! Ja das gluckste, ja das schluchzt: Jerusalem! Alle Kinder, alle Kinder sind verloren. Arme Kinder, euer Kreuzzug tut uns weh. Eure Pilgerreise tut mir leid. Immer weh! immer weh, furchtbar weh! Wohin silbert ihr, ihr Lieben? Wenn der Mond versinkt, so seid ihr tot. Sicher tot, euch verspinnt der Silbertod: schwimmt und silbert schnell zurück.
Liebe Kinder, eure Stimmchen! Liebe Stimmchen, Lieblinge, so wogt nach Haus. Schlimmer Mond, verfluchtes Silber, du verführst die kleinen Kinder. O, sie wimmeln immer mehr hinüber, o sie schwimmen mit dem Silber, durch das Silber seht sie schimmern, sie flimmern fort und fort.
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Alle Sterne strahlen, denn der Mond ist tot. Große Völker kommen an mit Fackeln. Jeder Mann hält die seine hoch, stolz für sich und für die Seinen, und so sind es ganze Fackelkarawanen. Seltsam, ungeheuer ist das Licht: wie ein Herz auf langem Zepter pocht und atmet jede Flamme. Hie und da erscheint auch eine Feuerhand, offen wie ein Palmblatt, oder plötzlich auch zu einem Schwur emporgerichtet. Über Berge klimmen diese Stämme, ihnen ward Erleuchtung, freies Schalten in der Seele eingehändigt, und nun wollen sie die Stadt, ihre Stadt mit weitverwandten Sippen irgendwo am Meeresufer gründen. Ihre Weisen zogen früh schon aus und haben Stern und Berg am Meer gefunden. Eine weiße Taube flog vom Flusse auf und verschwand nach hohem Fluge in den guten Wolken.
Oft schon habe ich die Weisen mit den langen Bärten nachts am offnen Meer getroffen: geheimnisvoll und schlicht wichen sie mir aus. Zion bauten sie im Herzen, und nun warten sie aufs Volk.
Immer wieder bin ich Wanderstämmen irgendwo begegnet. Niemand sah mich, alle zogen mit dem Wort Jerusalem im Atem weiter. Sollt ich von den Greisen, die ich an der Küste wandern sah, berichten? Keiner hatte sich erkundigt, nun so schwieg ich. Aber warum schwieg ich: mußte damals schwerste Stummheit sein?
Nächtelang zerträumte ich das Dickicht, das mich gegen Westen, voll von Rosensonnen, Sternenspinnen, Mondesdornen, von den hohen Völkerlenkern schied. Endlich brach ich mir den Weg. Und ich konnte sie erkennen, wollte sprechen, fromm berichten, doch die Weisen wandten sich von mir. Nein, sie wollten mich nicht hören, sie geboten schweres Stummsein, ich gehorchte und verschwand.
*
Wochenlanges Silberschlummern mußte ich ums Ich verspinnen, bis ich wieder leicht und sicher, spukumknistert und ins Wittern eingeschleiert, selber wandelnd, Wandervölkern trauen durfte. Wieder war der Mond gestorben. Furchtlos zog ich mit dem eignen Volk. Hilfreich trug die eigne Rechte eine Fackel, meine Fackel. Alle Wünsche in der Seele, Mut und Zagen, Lust und Freundschaft, alle zuckten farbig, fabelnd, wimpelwillig mit der Flamme auf.
Siegessicher gingen Männer, siegesmutig folgten Frauen. Jubel war um unsre Kinder. Unser Ruf vergrub sich donnernd, (leuchtend war das Wort gewesen) wunderbringend immer tiefer, und er blieb der einzige: Jerusalem.
Selber war ich siegessinnig, denn der Leib war nicht von mir, bloß die Seele schritt und blickte über Felder, durch die Wälder, ewig zionwärts dahin.
Endlich waren wir zu Hause, denn wir fingen an zu bauen: was wir alle schon im Herzen aufgetürmt und hergerichtet, durfte vor den Sinnen strahlen, mußte Menschen Herberg werden, Tempel sollten mit uns kommen, jeder freute sich am Werk.
Meine Mauern wuchsen hoch, Büsche träumten in die Fenster, Kinder schauten durch die Tür. Und mein Weib, mein liebes, gutes, warum stand es dicht bei mir!
Groß war unsre Stadt geboren, denn die andern Fackeln waren überhaupt nur kaum bemerkbar. Alle lohten wirklich fern. Wenig Flammen konnt ich sehn, aber alle Häuser hatten ganz bestimmt auf hohem Giebel ihre Fackel, herrlich, furchtbar in die alte Nacht gezückt. Oder waren das die Sterne? War ich plötzlich wie allein? Hätte ich an falscher Stelle, haben wir an totem Ort, angefangen Haus und Garten, samt dem hochgedachten Tempel, hier im Irrtum aufzustellen?
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Viele Wochen habe ich für mich getrauert, denn soweit die Seele reichen konnte, flog ich fort und immer fort: war ich doch von dieser Welt entsetzt. War mein Anhang auch gefunden, hat mein Anhang sich vergangen, meine Stadt hielt ich im Sinn. Wochenlang verweilt ich einsam, in die eignen, in die kühlen Wesenheiten eingebunden: wie ein Kind in seine Windeln, fand ich mich ins Heimatwissen eingeschmiegt und festgesonnen. Als der Mond dem Sterben nahte, war es wunderstill am Meer. Nirgends sah ich von der Klippe eine blaue Mondgestalt, und ich dachte mich zurück, weit in meine Glaubensstadt, mit den sieben offnen Seelentoren. Endlich war der Mond gestorben, da erkannte ich die Greise, und wir gingen froh zusammen, siegeswillig, siegessicher, siegesselig, mondhaftbläulich. Unerschrocken, nie gewarnt. Sprachlos waren wir geworden, unsre Stummheit war ein Lächeln, ein Erinnern an den hellbezahnten Mond. Eine Nacht war unsre Hoffnung. Dann erschien der jüngste Mond. Einer wurde ungeduldig. Seine Greisenblicke grauten furchtbar leidvoll nach dem Wald: drinnen mußten sie erscheinen, seine Völker mit der Fackel. Und ein andrer ging und horchte, ob sie kämen, Zion preisend. Etwas größer ward der Mond. Unser Mondamt war verfallen. Ja, wir sahen uns nur selten, einmal, dreimal in der Nacht. Sehnsuchtsminnig blickten Greise, blickt ich traurig auf die Berge, glimmten rotverweinte Augen perlenbläulich übers Meer. Einer sagte das Geheimnis: von den Gletschern kommt die Nachricht.
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Zion ist vielleicht vollendet. Seine Schönheit wird dereinst ein Flug. Sterne sagt, habt ihrs erkundet? Sterne säen in den Seelen ihrer Selbstsamkeiten Samen. Menschen wandern mit den Säcken voll von Samen zum Verstreuen durch die Vorbereitungswelten, Stufen auf und Treppen nieder mit den Sternen, durch die Sonne, in die Sterne, trotz dem Mond. Bloß die Sternung macht uns kenntlich. Wuchs und Frucht der Stammespflanze ragt vergeistert in den Himmel. Ohne Dich kein Paradies. Nur im Weib wird Er geboren. Erde, urkometenträchtig, gibt dein Wink dem All die Freiheit? Deine Flamme fordert auf, unsre Sternung glüht das Wort.
Jedes Volk baut hochzerkluftet seinen Turm Jerusalem. Meine Sonne wird verschwinden, Deine Seele ist ein Stern. Ein Gestirn wird bloß entzündet, um die Burg auf Feuerfelsen, Zion, himmlisch zu begründen.
Männer tragen Flammenpalmen, Kinder singen ihre Psalmen, Weiber wittern eine Zukunft.
Und Jerusalem steht auf.
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Geschrieben in Kloster auf Hiddensee im Herbst 1915.
Gedruckt bei E. Haberland in Leipzig