Anna Croissant-Rust
Unkebunk
Anna Croissant-Rust

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In der Nacht hatte Johanna allerhand wirre und groteske Träume. Zuerst schwebten die Armharts in antiken Gewändern vor ihr her, Eva die rote Mähne gelöst und Rapunzelchen mit einem Zahnbund von unglaublichem Umfang. In der Mitte hatten sie Major Vierling, der in einem Harlekin-Kostüm steckte, aber dazu einen Helm trug. Auf einmal war es nicht mehr Major Vierling, sondern ein feistes, krebsrotes Baby, das zwischen den Zweien an einem Zigarrenbändchen hing. Daran schwangen sie das unglückselige, krebsrote Monstrum über dem Bajasseloch hin und her und sangen dabei eintönig ein Schlummerlied:

»Unkebunk, Bajasseloch,
Unkebunk, Bajasseloch.«

Und auf einmal war es die Bergern, die sie auf- und abwippten. Dann zerflossen die drei, nur aus der Ferne tönte es noch schwach:

»Egocentrum, Bajasseloch,
Egocentrum, Unkebunk.«

Nach dieser Melodie tanzte Kofler in Pirouetten an, wobei er Resa-Rosa nach sich zog, die ihm nicht folgen konnte. Exzellenz Mary klatschte tosend Beifall auf einer Palette.

Aber auch dies Bild war nicht von Dauer, denn nun tauchte der Welti'sche Stich vor ihr auf, nur war er verwechselt. Die Frau schlief, und die war Exzellenz Mary, der Mann wachte, das war der Gouverneur und der Reiter in der Mondnacht Ernst Hertwig.

»Ernst!« schrie Johanna freudig und so laut, daß sie erwachte, aber gleich wieder einschlief und den Traum weiter träumte. Noch immer ritt Hertwig in der Mondnacht vorbei, auf dem 378 Lager aber ruhte Binchen Baronin Armhart, streckte die Arme nach ihm aus und rief: »Du Auserkorener!« Jedoch Hertwig ritt ungerührt weiter, immer ohne von der Stelle zu kommen. Das Bild wackelte nur ein bißchen, dann stand es wieder fest, und es war Nelly, die in der Mondnacht auf einem Seil tanzte und ihr in dem herrlichen Kauderwelsch der Familie Horler, von dem ihr Exzellenz erzählt hatte, zurief:

»Sautez Puzellchen! Aber Sie können's nit! Eetsch! Sie tombez! Allez, allez vite, sonst haben Sie ihn perdu . . . Ich bin die Elsler und heirate einen Prinzen, und Sie kriegen nicht einmal den Hertwig!«

Und Johanna lief, was sie laufen konnte, dem Reiter nach, konnte ihn aber nicht erreichen: »Ernst!« rief sie voll Angst. Da wachte sie auf.

Mit einem Ruck saß sie aufrecht, noch immer wirr, verstört und traumbefangen. Hatte sie nicht jemand gerufen? Sie rieb sich ihren schweren Kopf mit beiden Händen: Nun rief wieder jemand vor der Tür, dann klopfte es . . .

Das Stubenmädchen brachte einen Brief von Hertwig. Er hatte seit längerer Zeit nicht mehr geschrieben; heute lag nur ein Zettel in dem Kuwert, ein Gedicht. Johanna las es mit Herzklopfen:

»Für jeden Menschen kommt der Augenblick,
In dem der Lenker seines Sterns ihm selbst
Die Zügel übergibt. Nur das ist schlimm,
Daß er den Augenblick nicht kennt, daß jeder
Es sein kann, der vorüberrollt.«
                                        Friedrich Hebbel.

»In dem der Lenker seines Sterns ihm selbst
Die Zügel übergibt« . . .

»Ja! Ja!« sagte Johanna, wie wenn sie einem Rufenden Antwort gäbe.

379 Alle Schwäche war von ihr abgefallen. Sie sah Hertwigs treue Augen vor sich, und nun wußte sie wieder, daß sie ihm im Traume mit ihrer ganzen Sehnsucht gefolgt war. Der Augenblick war da, er durfte nicht vorüberrollen.

»Ja! Ja!« rief sie noch einmal, und rief es so laut und kraftvoll, daß sie vor ihrer eigenen Stimme erschrak und über sich lachen mußte, daß sie so heftig in den Morgen hineinschrie.

Und sie lachte weiter in den frühen, hellen Tag hinein und sang laut und schallend, was sie seit langem nicht getan. Sie kam sich vor, wie wenn sie ein anderer Mensch geworden, wie wenn irgend etwas Hartes, Schweres von ihr abgefallen sei.

»Für jeden Menschen kommt der Augenblick« . . .

*


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