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Im Wagen nebenan waren – Laune des Schicksals – sonderbare Paare zusammengestoßen. Holischka, der dem Gouverneur gefolgt war, fand in dem dicht gefüllten Wagen doch keinen Platz und drückte sich schnell vor der Abfahrt in 147 ein Abteil, in dem noch Platz war. Er sah sich in großer Verlegenheit plötzlich Bäwele und ihrer Freundin, Bäcker Bäckers Theodore mit dem mächtigen Busen gegenüber, und als er genauer zusah, saß, zu allem Überfluß auch noch, neben ihm Amélie Horler! Dieser heiklen Situation, diesem Kreuzfeuer war der kleine Holischka nicht gewachsen. Er grüßte nach allen Seiten, stand wiederholt von seinem Sitz auf und grüßte wieder, endlich saßen, nach langem Rücken, Zwicker und Hut, – ein neuer, grauer, weicher Filzhut – auch der kleine Holischka selbst. Was nun? Sollte er mit Amélie Horler eine Konversation eröffnen, sie war doch die einzige, die er gesellschaftlich am ersten hätte berücksichtigen müssen? Aber da saß das Bäwele . . . aller Mut sank ihm, es zog ihn doch wieder mächtig zu ihren Braunaugen hin . . . nun hatte er sich kurze Zeit so großartig als Sieger gefühlt, als Sieger vor der Menge, der er mit eherner Stirn entgegengetreten war! Der kleine Holischka vergaß ganz, daß er mit Beben zum Bahnhof geeilt, und daß er vorher mit Schrecken und Mißbilligung zugleich sein blasses Gesicht im Spiegel betrachtet hatte.
Da war mal wieder eine Falle anderer Art. Immer mußte er sich in Fallen fangen. War's nicht die kleine Nelly, so war's Eva, und war Eva erledigt, saß er hier schon wieder fest. Eine Unterhaltung mit Amélie Horler, und Bäwele dabei kalt stellen – die verzieh ihm das nie –, dann wagte er sich gewiß nie mehr ins Schiff, und im Grunde wollte er doch hin! Abwechselnd mit Amélie und Bäwele sprechen, auch Theodore durfte er nicht ganz kalt stellen, . . . das ging doch nicht! Vorstellen? Die Tochter des Bezirksamtmanns und Bäwele Schweizer? Und Bäcker Bäckers Theodore? Nicht angängig, nicht angängig, rumorte es in seinem Hirn. Er saß wie auf Kohlen und wagte nicht aufzuschauen, am liebsten wäre er durch den Sitz und den Wagen lautlos in die Tiefe versunken und hätte den 148 ganzen Zug über sich wegbrausen lassen. Dabei war ihm, als lache das Bäwele schadenfroh, Theodore spöttisch, und als rücke Amélie von ihm weg und starre zum Fenster hinaus. Es tat ihm unsäglich leid, daß ihn gerade Amélie, das arme, liebe Ding, für unartig halten mußte. Nein, jetzt redete er einfach, redete er mit ihr . . . aber er nahm nur den Hut ab, weil's ihm so fürchterlich heiß war. Es kam ihm vor, als sitze er Ewigkeiten steif wie ein Ölgötze vor den drei Frauenswesen und stumm wie ein Fisch. Es war einfach unerträglich, er würde an der nächsten Station aussteigen, es ging nicht so weiter. Da, er schrak zusammen, es redete ihn jemand an, Bäcker Bäckers Theodore!
»Ach, Herr Leutnant, sind Sie auch heut mit von der Partie?«
»Ja, ja gewiß,« stotterte Holischka und setzte den Zwicker wieder auf, der ihm heruntergefallen war, »Sie auch und Fräulein Bäwele?«
»Neeñ, neeñ!« lachte Theodore breit, »mir nit! Mir fahren nach Wilgartswiese. Mir sin nit im Kasino!«
»Auch einen Ausflug machen?«
»Gell, des möchten Sie wisse! Awwer ich verrat nix.« Dabei sah sie ihn mit ihren kleinen Äuglein an, die so schnell von einem sehr nüchternen zu einem sehr schwärmerischen Ausdruck übergehen konnten, stupste das Bäwele in die Seite und ermunterte: »Allo, sag aach was!«
Aber das Bäwele verzog nur den Mund und meinte nachlässig: »Was soll ich dann sage? 's is m'r gar nit um's Redde.« Holischka hüstelte; noch nie war ihm das Bäwele und war ihm die Freundin so – so – ja so gewöhnlich vorgekommen, wie gerade jetzt, wie neben Amélie. Er schämte sich gründlich dieser Bekanntschaften, wandte sich kurz ab und zu Amélie: »Finden Sie nicht, gnädiges Fräulein, daß wir einen wundervollen Tag heute haben, nach diesen entsetzlichen Regentagen?«
149 »Ja, wundervoll,« antwortete Amélie und warf ihm einen sehr lieben und dankbaren Blick zu.
Oh, sie war ihm nicht böse! Und er beschloß, sich ihr gründlich zu widmen. »Kennen Sie denn Annweiler schon und den Trifels?« fragte er eifrig, sich ganz von Bäwele und der üppigen Theodore abwendend. Aber er hatte sich verrechnet, Theodore ließ sich nicht abschütteln; sie hatte sich heute in den Kopf gesetzt, ihm gegenüber die Liebenswürdige zu spielen, denn Holischka gefiel ihr einmal heute. Er sah in dem hellen Zivilanzug feiner aus als in der Uniform, überhaupt sie war ja mehr fürs Zivil. »Militär is so was Unsolides,« sagte sie öfters zu Bäwele, um sie zu reizen.
»Wo wird dann das Fräulein de Trifels nit kenne, Herr Leutnant,« mischte sie sich ins Gespräch, »oin jedes Pälzer Kind kennt de Trifels.«
»Nein, ich kenne ihn tatsächlich nicht,« erwiderte Amélie eigentlich mehr zu Holischka als zu Theodore gewendet, die unbeirrt die Unterhaltung weiter dirigierte.
»Gell, Sie waren in de letschte Jahre nit viel in der Palz, Fräulein? Meinen Se, wie scheen es da drowwe is! Sie werd'n gucke!« Bautz, da hatte sie wieder ihren schwärmerischen Ausdruck. »Des is durch un durch oin geschmackvoller Weg hinauf, un die Aussicht, großartig! So was find m'r nit widder in der ganzen Welt.«
»Ja?« – ? – Halb verlegen, halb fragend, ein bißchen ablehnend zugleich antwortete Amélie. Ihr ging's wie Holischka. Ihrer Erziehung und den Lehren ihrer Mutter nach hätte sie auf die Unterhaltung nicht eingehen sollen, doch war sie wieder zu gutmütig und zu verlegen, und wußte nicht, wie sie ablehnen sollte . . .
»Prachtvolle Wälder, schöne, bequeme Wege und eine köstliche Aussicht,« bestätigte Holischka, sich wieder ausschließlich 150 zu Amélie wendend. »Aber Sie kennen das Hochgebirge, vielleicht finden Sie keinen Geschmack an der lieblichen Landschaft.«
»Ich kenne auch wenig vom Hochgebirge, und ich liebe die Natur überall.« Amélie wurde wärmer.
»Scheener kann's nirgends sein als in der Palz,« entschied Bäcker Bäckers Theodore, »un die Natur üwwerall liebe, sowas, des möcht ich nit sage! Zum Beischpiel, in unserer teuere Vatterstadt, kann m'r se da liebe? M'r kann dort liebe, awwer die Natur kann m'r doch dort nit liebe, es is ja koine da!« Das letzte brachte sie vor Lachen schon kaum mehr heraus. Sie lehnte sich zurück, legte die beiden Hände an die Hüften und hob den mächtigen Busen, eine Bewegung, die sie nur machte, wenn sie sehr stolz war und Grund hatte, mit sich zufrieden zu sein. Und sie kam sich sehr gewandt und sehr geistreich vor und hatte auch Grund, stolz zu sein. Triumphierend sah sie sich um. Bäwele zog den Mund spöttisch, schien aber ziemlich zufrieden, denn es hatte das dumpfe Gefühl, Holischka sei eins versetzt worden. Sie wußte nicht warum, aber es freute sie, und sie setzte zur Verstärkung bei: »M'r kann liebe, awwer m'r kann auch geliebt werde un nit liebe.«
»Sehr richtig!« entfuhr es Holischka, und das Bäwele warf ihm daraufhin einen Blick zu, als wollte es sagen: »Was hast denn du hier drein zu reden? Dich geht's ja gar nichts an!«
Das reizte den kleinen Holischka, er wurde wieder Iwan der Schreckliche und wandte sich, erpicht darauf, die Unterhaltung mit Theodore und damit mit Bäwele abzubrechen, wieder zu Amélie, die steif dasaß, als hätte sie Angst, ihre wohlgeordneten Locken und den schönen, großen Blumenhut in Unordnung zu bringen.
»Für die Landschaft um unsere Festung herum muß man eben Verständnis haben und Seele, der Rhein zum Beispiel. Das ist ja das einzige, was man in dieser schrecklichen Stadt 151 hat, die Natur, oh ich habe erst Verständnis dafür bekommen, Sie nicht, gnädiges Fräulein?«
Doch wupps, ehe Amélie antworten konnte, hatte Theodore den Faden schon wieder aufgenommen: »Verständnis muß man hawwe? Awwer Herr Leutnant! Aage muß man hawwe und da sieht m'r, daß es nix is. Wo is dann da was für's Gemüt? Da is do herum schon annerscht romantisch! Heñ?« Sie zeigte begeistert mit ihren dicken, fetten und weißen Händen, die aussahen, als seien sie aus Hefenteig, rechts und links auf die Berge und Burgen. »Des is romantisch un lieblich. Da geht ei'm 's Herz auf, so was gibt's nirgends!« Gerade wie wenn sie für die schöne Gegend verantwortlich wäre.
»Oh, der Rhein« – wagte Amélie schüchtern und mit einem Blick, der Holischka zu Hilfe rief, einzuwenden.
»Ja, der Rhein,« sagte der sehr bestimmt und ärgerlich. »Dafür muß man nur, wie gesagt, Seele haben, Seele, und mich erhebt es jedesmal, wenn ich da hinaus auf die Rheinbrücke komme und sehe die Dampfer ziehen und die Berge von fern – man hat ja doch sonst nichts in dem verdammten Nest.«
»Oh, m'r hat noch allerlei,« warf Theodore neckisch ein und versuchte wieder den schwärmerischen Ausdruck, »gelt, Bäwele? Aber das Fräulein weiß des noch nit« . . .
»Das Fräulein wird noch allerlei nit wisse,« mischte sich nun auch das Bäwele ein. »Sin Sie nit mit mir in die Schul gange? Vielleicht, 's kann seiñ. Sie sind e paar Jahr jünger« . . .
»Ich weiß nicht, ich kann mich nicht erinnern« . . . Amélie sah das Bäwele zum erstenmal gründlicher an.
»Das is nämlich das Bäwele vom ›Schiff‹, un ich bin Bäcker Bäckers Theodore,« stellte Theodore mit Würde vor, und Holischka wiederholte, da nun die Sache so schief ging, die Vorstellung mit steifen Handbewegungen: »Fräulein Schweizer, Fräulein Bäcker, Fräulein Horler.«
152 »Jetzt erinnere ich mich, ja ich war ein paar Klassen unter Ihnen. Sie sind also das Bäwele?« Und mit einem hilflosen Gesicht sah sie das Bäwele an. Sie saß also Bäwele gegenüber, Holischkas Bäwele?
»Noñ, is des was b'sonderes, das Bäwele?« fragte diese, »un sin Sie wirklich so fremd, daß Sie das Bäwele nit kenne? Alles kennt das Bäwele, un Ihr' Mama kennt mich sehr gut.«
»Ja, Mama!« sagte Amélie gedehnt. Es fiel ihr auf einmal ein, was Mama und Resa-Rosa ihr alles voraus hatten. Das machte sie stumm. Übrigens, was würde Mama zu der Gesellschaft und der Art Unterhaltung sagen? Gewiß, Resa-Rosa wäre das nie passiert, an sie traute sich jeder, ihr ging es wie Holischka, sie hatte auch keinerlei Waffe, dergleichen abzuwehren. Nein, auch ihm war es heute nicht gelungen, das tröstete sie, denn im allgemeinen hatte sie das Gefühl der Niederlage und wußte genau, daß jetzt, wo man an der Station angelangt war, die beiden Mädchen über sie und Holischka herfallen und sich amüsieren würden, sobald sie nur ausgestiegen waren. Daher war ihr Abschiedsgruß auch viel steifer und unfreier, als nach der ganzen Art der Unterhaltung anzunehmen war. Auch Holischka grüßte förmlich, obgleich außerordentlich höflich. Bäwele nickte nur, und Theodore rief noch ein spitziges »viel Vergnügen« nach. Doch noch auf dem Trittbrett stehend, hörte Amélie die lauten und bissigen Bemerkungen der beiden Bürgersmädchen über Eva von Armhart, die mit ihrem neu eroberten Leutnant, und über Röder, der mit Jutta vorbeikam.
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