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Hier erblickt man nicht verschrumpfte Hexen;
Kein Kobold führt sein nächtlich Heer; Nur Fee'n tanzen auf dem Anger, Bestreu'n Dein Grab mit Perlenthau. |
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Collins. |
Es ist in der That nur selten der Fall, daß die Philosophie des höher stehenden Indianers sich aus ihrem Gleichmuth bringen läßt. Als Contentius und die Familie der Heathcote's den Hügel erreicht hatten, fanden sie die beiden Häuptlinge im Garten auf- und niedergehen, mit unerschütterlicher Ruhe und dem würdigen Anstand ihres Ranges. Annawon, der die Gefangenen geführt hatte, ließ sie am Fuße der Ruine eine Reihe bilden und erwartete mit Geduld den Augenblick, wo die Häuptlinge das Verhör fortsetzen würden. In dieser ruhigen, gewohnten Ergebung in den Willen der Vorgesetzten lag aber gar nichts von der niederträchtigen, verworfenen Art von Ehrerbietung, wie man sie bei den asiatischen Völkern findet. Jene ging aus der Gewohnheit der Selbstbeherrschung hervor, welche den Indianer lehrte, alle in der Natur des Menschen liegenden Erregungen und Gefühle zu unterdrücken; Furcht und Angst hatten dabei nicht den geringsten Antheil. Eine ganz ähnliche Wirkung 185 hatte religiöse Unterwerfung und Entsagung in denen hervorgebracht, welche das Schicksal jetzt in ihre Hand gegeben. Es würde ein interessantes, reizendes Studium für Jemand gewesen sein, der den verschiedenen Verhaltungsweisen, dem verschiedenen Benehmen der Menschenracen in den einzelnen Vorfällen und Lagen des Lebens seine Aufmerksamkeit schenkt und sich damit beschäftigt, – für einen solchen würde es von Interesse gewesen sein, die Verschiedenheiten zu bemerken, welche sich zwischen der ruhigen, mehr leiblichen, vollkommenen Selbstbeherrschung der wilden Waldbewohner und zwischen der ascetischen, mehr geistig gewahrten und doch sanften, ruhigen Unterwerfung und Hingebung unter den Willen der Vorsehung sich vorfanden, die man bei den meisten der Gefangenen bemerken und nachweisen konnte. Wir sagen bei den Meisten, denn eine Ausnahme fand Statt. Die Stirn des jungen Marcus blieb finster und zürnend; und der wilde Ausdruck seines Auges verlor sich nur, wenn durch Zufall sein Blick auf die hinfällige Gestalt, die blassen Züge seiner Mutter fiel. Man hatte hinlänglich Zeit, diese verschiedenen, eigenthümlichen Gemüthsbewegungen auf diese Art schweigend und ruhig darzulegen, da viele Augenblicke vorübergingen, ehe einer der Sachems geneigt schien, die Unterredung wieder zu beginnen. Endlich trat Philipp oder Metacom, wie wir ihn abwechselnd und ohne Unterschied zu machen, nennen werden, näher vor sie hin und sprach:
»Diese Erde ist eine schöne, gute Erde, sie ist von mancherlei Farben, das Auge Dessen zu erfreuen, der sie schuf und bildete. An einigen Stellen ist sie dunkel, und wie der Wurm die Farbe des Blattes annimmt, von dem er sich nährt, so sind auch dort die Jäger schwarz und dunkel; an andern 186 Orten ist sie weiß, und das ist die Gegend, wo blasse Leute geboren wurden, und wo sie auch sterben sollten, wollen sie nicht den Pfad verfehlen, der zu ihren glücklichen Jagdgründen jenseits führt. Viele gerechte Krieger, die getödtet wurden auf fernen Kriegsfahrten, wandeln noch herum in den Wäldern, weil die Spur verwischt und ihr Auge trübe ist. Es ist nicht gut, so sehr zu vertrauen, der List und Klugheit von – –«
»Armen, unglücklichen, blinden Verehrern des Appollyon!« fiel der Puritaner ein; »wir gehören nicht zu den Götzendienern und Thoren im Geiste! Uns ist verliehen worden den Herrn zu erkennen; seinen erwählten, auserlesenen Anbetern sind alle Gegenden und Länder gleich. Der Geist kann sich zu ihm gleichmäßig erheben durch Schneegestöber und Wirbelwind, in Sturm und Windstille, vom Sonnengebiet und von Eisländern, aus den Tiefen des Oceans, aus Flammen und Feuer, aus Wäldern – –«
Er ward nun auch seinerseits unterbrochen. Bei dem Worte »Feuer« fiel Metacoms Finger voll Bedeutung und Ausdruck auf seine Schulter; und als er zu reden aufgehört hatte, denn bevor dies nicht geschehen, würde kein Indianer gesprochen haben, fragte der Andere mit ernster Miene:
»Und wenn ein Mann von blasser Haut im Feuer umgekommen ist, kann er dann nochmals auf der Erde wandeln? Ist der Strom zwischen dieser Waldlichtung und den dereinstigen Gefilden eines Yengihs so eng und schmal, daß die vollendeten Männer über ihn hinschreiten können, sobald es ihnen beliebt?«
»Alles dies sind Irrthümer und Einbildungen eines Mannes, der sich noch wälzt in den Schlamm und Unrath heidnischer Gräuel! Kind der Unwissenheit! wisse, daß die 187 Schranken und Pforten, welche den Himmel trennen von der Erde, unüberschreitbar sind und undurchdringlich; denn wie könnte ein gereinigtes, geläutertes Wesen noch dulden und tragen die Verworfenheit und Verderbniß des Fleisches!«
»Das ist eine Lüge der falschen Blaßgesichter!« rief der listige, ränkevolle Philipp; »sie wollen nämlich nicht, daß der Indianer ihre Künste lerne und stärker werde, denn ein Yengihs! Eine Lüge, sage ich, denn einst wurdest Du, Dein Vater und die neben Dir stehen, in jenem Hause verbrannt, und jetzt stehst Du hier, lebendig und fähig, den Tomahawk zu führen!«
»Zornig zu werden über diese Gotteslästerung, würde schlecht das Mitleiden ausdrücken, das ich fühle,« sagte der greise Marcus, weit mehr entrüstet über diese Beschuldigung der Todtenbeschwörung und Zauberei, als er es merken lassen wollte; »und dennoch zuzulassen, daß ein so verderblicher Irrthum sich unter diesen getäuschten Opfern des Satans verbreite und Wurzel fasse, würde Vernachlässigung meiner Pflicht und Vergessenheit gegen Gott sein. Mann der Wampanoags, Du hast irgend von einer Sage unter Deinem wilden Volke gehört und für wahr angenommen, welche doppeltes Verderben auf Deine Seele häufen würde, wenn Du nicht zum Glück aus den Krallen des finsteren Fürsten der Lüge gerettet wirst. Es ist wahr, daß ich und die Meinen in diesem Thurme in außerordentlicher, alles übersteigender Lebensgefahr mich befunden, so daß die Männer außerhalb nicht anders glauben konnten, als daß wir ein Raub der Flammen geworden; aber der Herr gab es uns ein, der Herr erleuchtete unsern Geist, daß wir Zuflucht suchten, wohin das Feuer nicht zu dringen vermochte. Der Brunnen ward zum 188 Werkzeug gemacht unserer Rettung und Sicherheit, damit erfüllt würden seine eigenen unerforschlichen Gedanken und Rathschlüsse!«
Trotz der lang geübten und außerordentlichen List und Scharfsinnigkeit, die die Zuhörer auszeichnete, hörten sie doch die einfache Erklärung dessen, was sie für ein Wunder gehalten hatten, mit einem Staunen, das nicht leicht verhehlt werden konnte. Lust und Entzücken über die Vortrefflichkeit und Feinheit ihres Kunstgriffs war offenbar das erste, vornehmste und beiden gemeinsame Gefühl, das sich ihrer bemeisterte, auch wollten sie nicht eher unbeschränkten, vollen Glauben seiner Erzählung schenken, als bis sie sich über allen Zweifel hinaus versichert hatten, daß was sie gehört, wahr und richtig war. Die kleine eiserne Thür, welche zu den Brunnen Zugang gegeben, und dadurch das Wasser für die gewöhnlichen Bedürfnisse und häuslichen Zwecke der Familie brauchbar und anwendbar gemacht hatte, war noch da, und erst nachdem jeder einen Blick in den tiefen Brunnenschacht geworfen, schienen sie überzeugt von der Thunlichkeit und Möglichkeit der That, und gaben sich zufrieden. Jetzt glänzte ein triumphirender Blick in den Augen Philipp's, während die Gesichtszüge seines Gefährten zugleich Befriedigung und Leidwesen ausdrückten. Sie gingen Beide abseits, mit dem, was sie eben gesehen und gehört hatten, beschäftigt und als sie mit einander redeten, geschah dies wieder in der Sprache ihres Volks.
»Mein Sohn hat eine Zunge, die nichts Falsches zu reden, nicht zu lügen vermag,« bemerkte Metacom in einem besänftigenden schmeichelnden Tone. »Er berichtet, was er gesehen, und was er sagt, ist wahr. Conanchet ist kein 189 Knabe mehr, sondern ein Häuptling, dessen Weisheit grau ist, während seine Glieder jugendlich sich zeigen. Wohlan, sein Volk trenne die Haut dieser Yengih's von den Köpfen, damit sie sich nicht wieder in Löcher und Höhlen verkriechen, wie die listigen Füchse!«
»Der Sachem hat einen sehr blutgierigen Sinn,« entgegnete der junge Häuptling mit ungewöhnlicher Wärme. »Laß die Arme der Krieger ruhen, bis sie aufgefordert werden, den bewaffneten Händen der Yengih's zu begegnen, sonst möchten sie zu müde und ermattet sein, um kräftige Streiche zu führen. Meine junge Mannschaft hat Schädelhäute genommen, seit die Sonne über die Bäume daher kam, und sie sind befriedigt. – Warum sieht Metacom so hart und grausam darein? Was sieht mein Vater?«
»Ich sehe eine dunkle Stelle in der Mitte einer weiten Ebene; das Gras ist nicht grün, es ist roth wie Blut. Es ist zu dunkel für Blut von einem Blaßgesicht; es ist das reiche Blut eines großen Kriegers. Kein Regen kann es verwischen, es wird dunkler mit jeder Sonne. Kein Schnee macht den Ort wieder weiß, viele Winter ist es sichtbar gewesen. Die Vögel schreien, wenn sie über ihn hinfliegen, der Wolf heult, die Blindschleichen und Eidechsen kriechen einen andern Weg!«
»Deine Augen werden alt und dunkel; Feuer hat die Stelle geschwärzt, und was Du siehst ist Asche und Kohle.«
»Das Feuer ward in einem Wasserbrunnen angelegt; es brannte nicht hell. Was ich sehe, ist Blut!«
»Wampanoag!« entgegnete Conanchet stolz; »ich habe die Stelle versengt und verwüstet mit den brennenden Wohnungen der Yengih's. Das Grab meines Vaters ist bedeckt mit 190 Schädelhäuten, die die Hand seines Sohnes davongetragen. – Warum sieht Metacom nochmals hin? Was erblickt der Häuptling?«
»Einen Flecken der Indianer, der da brennt mitten im Schnee; die junge Mannschaft sehe ich meuchlings von hinten erschlagen; die Mädchen höre ich schreien, die Kinder auf Kohlen rösten und braten, die greisen Männer sehe ich gleich Hunden sterben! Es ist das Dorf der feigherzigen Pequod's. – Nein, ich sehe noch besser; die Yengih's sind in das Land des großen Narragansett's eingebrochen; der tapfere Sachem ist an der Spitze der Seinen, im Gefecht mit ihnen! Doch ich schließe die Augen, denn Rauch macht sie erblinden!«
Conanchet hörte diese Anspielung auf das neuerliche, beklagenswerthe Geschick der Hauptansiedelung seines Stammes in dumpfem Schweigen an; denn das Verlangen nach Rache, das so mächtig, so furchtbar erweckt worden war, schien jetzt zu schlummern; wenn es nicht vielleicht gänzlich durch die Wirksamkeit und Macht irgend eines geheimnißvollen, starken Gefühls erstickt und getilgt worden war. Er ließ seine Augen finster von dem, dem Anschein nach gänzlich verlorenen Antlitz seines listigen, klugen Gefährten auf die Züge seiner Gefangenen hinschweifen, deren endliches Schicksal nur noch von seinem Entschlusse abhing, nur noch seine Entscheidung abwartete; indem die Rotte, welche an jenem Morgen in Wish-Ton-Wish hereingebrochen war, mit nur sehr wenigen Ausnahmen aus den noch überlebenden Kriegern seines eigenen kräftigen Volkes bestand und zusammengesetzt war. Aber während sein Blick sich so unmuthsvoll und mißvergnügt zeigte, konnten doch Geisteskräfte, die so fein und mächtig ausgebildet und geübt waren, wie die seinen, sich nicht leicht 191 täuschen, nicht leicht das mißverstehen, was selbst auf diese schnelle, vorüberschwindende Weise vor seinen Augen vorging.
»Was sieht mein Vater weiter?« fragte er mit einer Theilnahme, einem Interesse, das er nicht beherrschen, nicht verbergen konnte, als er eine nochmalige Veränderung in den Zügen Metacom's entdeckte.
»Ich sehe ein Wesen, weder weiß noch roth, ein junges Weib, das hüpft gleich einem springenden Reh; das in einem Wigwam gelebt in Unthätigkeit und ohne Arbeit; das mit zwei Zungen spricht; das seine Hände hält vor die Augen eines großen Kriegers, bis er blind ist, wie die Eule in der Sonne; ich sehe sie – –«
Metacom schwieg, denn in jenem Augenblick erschien ein Wesen vor ihm, das seltsam dieser Beschreibung glich, und die Wirklichkeit, die Existenz von dem phantastischen Gemälde darstellte, das er mit so viel Ironie und List in wenigen Zügen eben entworfen hatte.
Die Bewegungen des schüchternen Rehes sind kaum rascher, unentschlossener und unbestimmter als die Schritte des Wesens waren, welches sich jetzt so mit einem Male vor die Krieger hinstellte. Der zagende, halb zurücktretende Schritt, der auf den leichten Sprung folgte, mit dem sie ihnen zu Gesicht gekommen, erklärte, daß sie Bedenken trug, weiter vorwärts zu gehen, während sie doch nicht recht wußte, in wie weit es räthlich und geeignet sein möchte, wieder zurückzugehen. Im ersten Moment stand sie in einer unentschiedenen zweifelnden Stellung da, so wie man sich etwa ein aus Nebel gewobenes Geschöpf denken mochte, eben im Begriff in Luft zu zerfließen; dann aber, als sie Conanchet's Blicken 192 begegnete, setzte sie den aufgehobenen Fuß wieder auf die Erde, und ihre ganze Gestalt nahm die bescheidene, zusammengedrängte Stellung eines indianischen Mädchens an, das vor einem Sachem ihres Stammes steht. Da dieses weibliche Wesen keine geringe Rolle in dem, was folgt, spielen wird, so möchte uns wohl der Leser Dank wissen, wenn wir eine in's Einzelne gehende, weitläuftigere Beschreibung ihrer Gestalt und Person vornehmen.
Das Alter der Unbekannten war unter zwanzig Jahren. Ihre Gestalt erhob sich über die gewöhnliche Größe der indianischen Mädchen, dabei aber waren die Verhältnisse ihres Körperbaus so ebenmäßig leicht und zierlich, daß sie im vollkommensten Verhältniß mit der ihrem Alter natürlichen Fülle und weichen Rundung standen. Ihre Gliedmaßen abwärts von den Falten einer Schürze aus glänzendem Scharlach, waren von den feinsten Umrissen, und in genauester Harmonie mit den Forderungen classischer Schönheit; nie zierte ein Fuß von zarterer Biegung und sanfterer Rundung den mit Federn besetzten Mokasin. Obgleich ihre Person vom Nacken bis zum Knie in ein eng anschließendes Gewand von Callicot und in der kurzen schon erwähnten Schürze gekleidet war, ward doch genug von ihrem Bau sichtbar, um Umrisse zu verrathen, die nie durch die mißverstandenen Kunstgriffe der Sitte und Mode, nie von den schädlichen Einwirkungen der Arbeit und Anstrengung beeinträchtigt und geschwächt worden waren. Die Hautfarbe war nur an den Händen, im Gesicht und am Halse sichtbar. Ihr Glanz war in etwas durch die aller Witterung ausgesetzten Lebensart des Mädchens verdunkelt worden, ein reicher, rosiger Teint hatte die natürliche Klarheit einer Gesichtsfarbe ersetzt, die einst schön bis zu 193 ungewöhnlichem, außerordentlichem Reize gewesen war. Das Auge war voll, sanft von einem Blau, welches mit dem Abendhimmel wetteiferte; die Brauen gewölbt und feingezeichnet, die Nase gerade, edel, etwas griechisch geformt, die Stirn vorragender als gewöhnlich bei Mädchen der Narragansett's, regelmäßig, zart und glänzend, das Haar, anstatt in langen, geraden Flechten von schwarzem Schmelz herabzuhängen, brach in reichen, goldgelben Ringeln aus einer mit Perlen geschmückten Schnur hervor.
Die besondern Eigenthümlichkeiten, welche diese Jungfrau von den andern ihres Stammes auszeichneten, beschränkten sich nicht blos auf die unzerstörbaren, von der Natur eingedrückten Eigenschaften. Ihr Schritt war auch leichter und gleichsam elastischer, ihr Gang mehr gerade und anmuthsreicher; ihr Fuß weniger nach innen gekehrt, und alle ihre Bewegungen freier und entschiedener, bestimmter, als bei der von Kindheit auf an Unterwürfigkeit und grobe Arbeit gewöhnten Indianerin. Obgleich geschmückt mit einigen der gepriesenen Kleinodien des verhaßten Geschlechts, dem sie, der Geburt nach, offenbar angehörte, hatte sie doch den wilden, schüchternen Blick jener, unter denen sie aufgewachsen und zur Jungfrau herangereift war. Sie würde in allen Gegenden und Theilen der Erde für eine Schönheit anerkannt worden und sogar aufgefallen sein, aber das Spiel der Muskeln, das geistreiche Strahlen ihres Auges und die freie ungezwungene Weise, womit sie die Glieder bewegte und Stellungen annahm, waren von solcher Art, wie sie sich selten über die Jahre der Kindheit hinaus unter Völkern finden, welche bei dem Versuche der Natur nachzuhelfen, oft nur ihr Werk verderben.
194 Wenn auch die Farbe des Auges so sehr verschieden von der war, wie man sie gewöhnlich bei Menschen indianischer Abkunft findet, hatte doch die Weise ihres schnellen, forschenden Blicks und halb getrübten, beunruhigten und doch verständigen Auges, womit dieses seltsame, außerordentliche Wesen sich in Kenntniß von der allgemeineren Beschaffenheit und Art der Versammlung setzte, vor welche sie beschieden worden war, etwas, was der halb instinctähnlichen Kenntniß eines Menschen glich, der gewöhnt worden war an die beständige, schärfste Uebung aller seiner Geisteskräfte und natürlichen Anlagen.
Sie zeigte mit dem Finger auf Whittal Ring, der ein wenig im Hintergrunde stehen geblieben, und fragte dann mit leiser, sanfter Stimme, in der Sprache der Indianer:
»Warum hat Conanchet sein Weib aus den Wäldern zu sich entboten?«
Der junge Sachem gab keine Antwort. Ein gewöhnlicher Zuschauer hätte selbst nicht an ihm ein Zeichen entdecken können, welches verrathen hätte, daß er sich nur überhaupt der Gegenwart der Sprechenden bewußt war. Im Gegentheil, er behauptete ganz die stolze Zurückhaltung, wie sie sich gewöhnlich an einem Häuptling findet, der mit Angelegenheiten von Wichtigkeit beschäftigt ist. Wie sehr tief auch immer seine Gedanken aufgeregt und beunruhigt worden sein mochten, es war nicht leicht, auch nur das geringste Anzeichen vom Zustand seines Gemüthes in der Ruhe der Züge seines Antlitzes nachzuweisen, das gewöhnlich unverändert und unbeweglich erschien. Nur ein einziger kurzer Moment verrieth ihn, ein sanfter, gütiger Blick entging dem schüchternen, aber aufmerksamen Mädchen nicht, dann warf er den noch immer 195 bluttriefenden Tomahawk in die Höhlung des einen Arms, schlug die feste Hand um den Stiel, und stand wieder da so unverändert in den Zügen, als unbeweglich in der Stellung. Nicht so Philipp. Beim ersten Erscheinen der Unwillkommenen hatte sich eine finstere, trübe Wolke des Unwillens auf seiner Stirn gesammelt; doch sie wich schnell und verwandelte sich in einen Blick sarkastischen, beißenden Spotts.
»Wünscht mein Bruder nochmals zu wissen, was ich sehe,« fragte er, als er hinlängliche Zeit nach der unbeantworteten Frage des Mädchens hatte verfließen lassen, um daraus zu erkennen, daß sein Gefährte nicht geneigt und willens sei, zu antworten.
»Was schaut der Sachem der Wampanoags jetzt?« entgegnete Conanchet stolz, der gar nicht merken ließ, daß irgend ein Umstand eingetreten, der den Inhalt ihrer Unterredung hätte unterbrechen und abändern können.
»Einen Anblick, den seine Augen nicht glauben, nicht für wahr halten wollen. Er sieht einen großen Stamm auf dem Kriegspfade. Es finden sich dabei viele Tapfere und ein Häuptling, dessen Väter herabgekommen sind aus den Wolken. Ihre Hände sieht man in der Luft; sie führen schwere Streiche, der Pfeil ist schnell, und wo die Kugel eindringt, da tödtet sie auch. Blut fließt aus den Wunden, hat aber die Farbe des Wassers. Jetzt sieht er nicht weiter, aber er hört. Es ist das Geschrei des Sieges, das Geschrei über die Menge der erbeuteten Schädelhäute; die Krieger freuen sich des Sieges. Die Häuptlinge in den seligen Jagdgründen kommen voll Entzücken den erschlagenden Brüdern entgegen, denn sie erkennen den Siegesruf ihrer Kinder.«
Das ausdrucksvolle Antlitz des jungen Sachems entsprach 196 in seinen Mienen unwillkürlich den Gefühlen, welche diese Beschreibung des Auftritts, in dem er eben einer von den vornehmsten handelnden Personen gewesen, in ihm weckte und hervorrief; ja es war für einen so gewöhnten, im Krieg gebildeten Mann unmöglich, sein Blut zu verhindern, daß es schneller nach dem ruhmdürstigen Herzen zuströmte.
»Was sieht mein Vater weiter?« fragte er mit einer Stimme, in welcher sich unbemerkt der Siegeston mischte.
»Einen Boten, – dann hört er – die Mokasins eines Weibes!«
»Genug; – Metacom, die Weiber der Narragansetts haben keine Hütten. Ihre Dörfer liegen in Asche, sie folgen den jungen Kriegern, um Nahrung zu finden.«
»Ich sehe kein Wild. Der Jäger wird in einer Anpflanzung, einer Waldlichtung der Blaßgesichter kein Thier finden. Aber das Korn ist voller Milch; Conanchet ist sehr hungrig, er hat nach seinem Weibe geschickt, damit er mit ihr essen möchte!«
Die Finger jener Hand, welche den Tomahawk krampfhaft festhielt, schienen sich in den hölzernen Griff völlig eingraben zu wollen; die blitzende Streitaxt selbst ward langsam erhoben; aber der wilde Zornblick erlosch, so wie der Unwille des jungen Sachem sich legte, und würdevolle Ruhe zeichnet sich von Neuem auf seinen Zügen.
»Geh, Wampanoag,« sagte er, und winkte stolz mit der Hand, als sei er entschlossen, ferner nicht durch die Rede seines arglistigen, wilden Gefährten sich betrüben und beunruhigen zu lassen. »Meine jungen Krieger werden das Kampfgeschrei erheben, wenn sie meine Stimme hören, und sie werden 197 auch Wild tödten für ihre Weiber. Sachem, mein Wille bleibt mein eigener!«
Philipp erwiderte den Blick, der diese Worte begleitete, mit einem andern, welcher Rache und Wuth drohte, aber indem er seinen Grimm mit seiner gewohnten Klugheit unterdrückte und erstickte, verließ er den Hügel, und nahm eine Miene an, die mehr Mitleid und Erbarmen, als Zorn und Unzufriedenheit zu zeigen sich bemühte.
»Warum hat Conanchet nach seinem Weibe geschickt und sie aus den Wäldern her rufen lassen?« wiederholte dieselbe sanfte Stimme, aber etwas näher an der Seite des jungen Sachems; die Frau sprach mit etwas weniger von der Furchtsamkeit ihres Geschlechts, jetzt, da der unruhige, aufgeregte Geist der Indianer jener Gegenden verschwunden war.
» Narra-Mattah, komm näher,« entgegnete der junge Häuptling und veränderte die tiefen stolzen Töne, in denen er zu seinen ruhelosen, kühnen Waffengefährten gesprochen hatte, zu solchen, wie sie besser dem zarten Ohr angemessen waren, für welches er sie bestimmte. »Fürchte nichts, Tochter vom Sonnenaufgang, denn die um uns sind von einem Volke, das gewohnt ist, Weiber bei den Berathungsfeuern zu sehen. Nun schau um Dich mit offenem, klaren Auge, ist hier etwas unter diesen Bäumen, das Dir zu gleichen scheint einer alten Ueberlieferung? Hast Du je solch ein Thal gesehen in Deinen Träumen? Haben jene Blaßgesichter dort, die der Tomahawk meiner jungen Helden verschont und ausgespart hat, – haben sie je in der dunkeln Nacht Deinem Auge sich vorgestellt, sind sie je vom großen Geiste im Traume Dir vorgeführt worden?«
198 Mit der größten Spannung horchte das junge Weib auf. Ihr Blick war wild und unsicher, und doch fehlte ihm nicht gänzlich jeder Anstrich von einem halb wieder auflebenden Wiederkennen und dunkler Rückerinnerung. Bis zu diesem Augenblick war sie zu sehr beschäftigt gewesen, den Gegenstand, den Zweck ihrer verlangten Gegenwart zu errathen, um die Gegenstände der Natur, von denen sie umgeben war, näher zu betrachten und einer Untersuchung zu unterwerfen; aber als jetzt ihre Aufmerksamkeit so geradezu auf diese Dinge hingelenkt wurde, erfaßte ihr Gesichtsorgan Alles und Jedes mit der Schärfe und Bestimmtheit, die so bemerkenswerth und auffallend bei denen ist, deren Geistesfähigkeiten durch Gefahr und Nothwendigkeiten geschärft werden. Sie schritt von einer Seite zur andern; ihre schnellen Blicke schweiften über den weiter abliegenden Weiler mit seinem kleinen Forte hin, über die Gebäude in dem Hintergrund, die sanfthinwallenden, grünen Felder, den wohlgeruchvollen blühenden Obstgarten unter dessen schattigen Lauben sie stand, und den geschwärzten Thurm hin, welcher sich in der Mitte erhob, wie ein finsteres Denkmal, das den Beschauer warnt, nicht so freundlich und hoffnungsvoll den Zeichen von Friede und Lieblichkeit zu vertrauen, die Alles um ihn herum zu athmen scheint. Lange hatte sie so geschaut, dann, die Locken, womit die Luft ihre Schläfe umwehte, wieder von der Stirn streichend, kehrte das verwunderte Mädchen gedankenvoll und schweigend auf ihre Stelle zurück.
»Dies ist ein Dorf der Yengihs,« sagte sie nach einer langen, ausdrucksvollen Pause. »Ein Narragansett-Weib schaut ungern nach den Wohnungen des verhaßten Geschlechts hin.«
199 »Gib Acht. – Nie sind Lügen in Narra-Mattah's Ohr gedrungen. Meine Zunge hat stets gesprochen wie die Zunge eines Häuptlings. Du kommst nicht, stammst nicht ab von dem Sumach, sondern von dem Schnee. Die dünne Hand ist nicht gleich den Händen der Weiber meines Stammes; sie ist klein, denn der große Geist bildete sie nicht zur Arbeit, sie ist von der Farbe des Morgenhimmels, denn Deine Väter sind in der Gegend geboren, wo die Sonne aufgeht. Dein Blut ist gleich dem Quellwasser. Alles dieses weißt Du, denn Niemand hat Falsches vor Deinen Ohren gesprochen. Sprich, siehst Du immer noch nicht den Wigwam Deines Vaters? Lispelt nicht seine Stimme zu Dir in der Sprache seines Volkes?«
Das weibliche Wesen stand in einer Stellung da, in welcher man sich eine Sybille denken kann, wenn sie auf die verborgenen Gebote und Eingebungen des geheimnißvollen Orakels lauscht, so sehr war jede ihrer Geisteskräfte wie bezaubert und aufmerksam in's Forschen vertieft.
»Warum legt Conanchet diese Frage seinem Weibe vor! Er weiß, was sie weiß; er sieht, was sie sieht; sein Geist ist ihr Geist. Machte der große Geist ihre Haut von verschiedener Farbe, so machte er doch ihr Herz dem seinen gleich. Narra-Mattah gibt dem Lügenworte kein Gehör, sie verschließt ihr Ohr, denn Betrug und Falschheit liegt in seinen Tönen. Ihr ist daran gelegen es zu vergessen. Eine Sprache, eine Zunge kann Alles sagen und ausdrücken, was sie zu Conanchet zu sprechen wünscht; warum sollte sie auf Träume achten, da jetzt ein großer Häuptling ihr Gatte ist?«
Das Auge des Kriegers, als er so auf das kindlich treue, vertrauende Antlitz der Sprechenden herabsah, ward freundlich und liebevoll bis zur Güte und Zärtlichkeit. Seine rauhe 200 Festigkeit, sein Ernst war gewichen, und an deren Stelle die anziehende Sanftmuth der Liebe getreten, welche als ein Werk der Natur, zuweilen im Auge des Indianers glänzt, so wie sie die selbst dem gesittigteren Gesellschaftszustand noch anklebenden Schroffheiten abzuschleifen pflegt.
»Mädchen,« sagte er mit Wärme und Gefühl, nachdem er einen Augenblick in Gedanken versunken gewesen, gleichsam als wolle er sie und sich zu wichtigeren Pflichten und Geschäften zurückrufen; »dies hier ist ein Kriegspfad; die sich darauf befinden, sind alle nur Menschen. Du warst wie die Taube, die ihre Schwingen noch nicht entfaltet und geöffnet hat, als ich Dich vom Neste weg trug, doch hatten die Winde manchen Winter über Dein Haupt geweht. Gedenkst Du gar nicht mehr der Wärme, der Nahrung im heimischen Hause, in welchem Du so viele Jahre zugebracht hattest?«
»Der Wigwam Conanchet's ist warm; kein Weib seines Stammes hat so viele Pelze als Narra-Mattah!«
»Er ist ein großer Jäger! Wenn die Biber den Tritt seiner Mokasins hören, liegen sie am Boden, daß er sie erlege. Aber die Männer der Blaßgesichter führen den Pflug. Denkt der »frischgefallene Schnee« nicht an die Männer, welche ihres Vaters Wigwam vor der Kälte wahrten und schützten, gedenkt sie der Weise nicht, wie ihre Väter, die Yengihs, lebten?«
Sein jugendliches, aufmerksames Weib schien nachzusinnen und in Gedanken verloren; dann aber mit einem Ausdruck der Zufriedenheit, der sich nicht erkünsteln läßt, erhob sie ihr Angesicht und schüttelte verneinend das Haupt.
»Erinnert sie sich nicht eines Brandes, der in ihren 201 Wohnungen angefacht ward, hört sie nicht das Schlachtgeschrei der Krieger, wie sie in eine Ansiedelung einbrechen?«
»Viele Feuer sind vor ihren Augen angezündet worden. Die Asche des Narragansett-Dorfes ist noch nicht kalt.«
»Hört Narra-Mattah nicht ihren Vater mit dem Gott der Yengihs reden? Horch! er fleht um Gunst und Gnade für sein Kind!«
»Der große Geist der Narragansetts hat offene Ohren für sein Volk.«
»Aber ich höre eine sanftere Stimme! Es ist die Stimme eines Weibes der Blaßgesichter mitten unter ihren Kindern; vermag die Tochter sie nicht zu hören?«
Narra-Mattah legte ihre Hand auf den Arm des Häuptlings, und sah gedankenvoll und lange in sein Antlitz, ohne Antwort zu geben. Der Blick schien im Voraus seinen Grimm verhindern und abbitten zu wollen, der vielleicht durch das hätte erregt werden können, was sie eben ihm zu offenbaren und mitzutheilen im Begriff war.
»Haupt meines Volks,« sagte sie, und ward durch seine immer noch ruhige, freundliche Stirn ermuthigt, in ihrer Rede fortzufahren; »was ein Mädchen aus den Baumlichtungen in ihren Träumen sieht, soll nicht verborgen und verhehlt werden. Sie sieht nicht die Wohnungen ihres Volks, denn der Wigwam ihres Gatten ist wärmer. Sie sieht nicht die Nahrung und Kleidung eines listigen, klugen Geschlechts; denn wer ist reicher als das Weib eines großen Häuptlings! Sie sieht nicht ihre Väter, wie sie zu ihrem großen Geist sprechen; denn es ist keiner größer und mächtiger als Manittu; Narra-Mattah hat Alles vergessen; sie wünscht, liebt nicht, an Dinge zu denken, wie diese. Sie kann ein hungriges, unersättliches 202 Geschlecht hassen. – Aber sie sieht Eine, welche die Weiber der Narragansetts nicht sehen. Sie sieht ein Weib mit weißer Haut, sieht es im Traume, sanft und mild auf ihr schlafendes Kind herabblicken. Ihr Auge ist kein Auge, es ist eine Zunge! Es spricht: was wünscht das Weib von Conanchet? – friert sie? hier sind Pelze, hungert sie? hier ist Wildpret; ist sie müde? die Arme der blassen Frau sind ihr offen, damit das indianische Mädchen ruhe und schlafe. Wenn Stille herrscht in den Hütten, wenn Conanchet und seine jungen Krieger schlafen, dann spricht diese blasse Frau. Sachem, sie spricht nicht von den Schlachten meines Volkes, sie spricht nicht von den Siegestrophäen, den Schädelhäuten, die meine Krieger davongetragen; nicht davon, daß die Pequods und die Mohigans meinen Stamm fürchten. Sie spricht nicht davon, wie ein junges Narragansett-Weib gehorchen solle ihrem Gatten, nicht wie die Weiber die Speise in den Hütten bereiten sollen für die müden, heimkehrenden Jäger und Krieger, ihrer Zunge entströmen seltsame Reden. Sie nennt einen mächtigen, gerechten Geist, sie erzählt von Frieden, nicht von Krieg; ihre Zunge tönt, wie eine, die aus den Wolken spricht, sie ist gleich dem Fallen und Rauschen der Wasser über Felsen. Narra-Mattah liebt darauf zu lauschen, denn die Worte scheinen ihr gleich den Tönen des Wish-Ton-Wish, wenn er in dem Walde seine Stimme läßt erschallen.«
Conanchet hielt einen Blick tiefer, liebevoller Theilnahme auf das wilde aber sanfte, freundliche Antlitz des Wesens geheftet, das vor ihm stand. Sie hatte mit dem Ausdruck ernster, natürlicher Beredsamkeit gesprochen, welchen keine Kunst erreicht. Als sie geendet, legte er mit herzlicher, wehmüthiger 203 Zärtlichkeit seine Hand auf ihr halb geneigtes, regungsloses Haupt, und antwortete:
»Wish-Ton-Wish ist der Vogel der Nacht, der seinen Jungen singt! Der große Geist Deiner Väter zürnt, daß Du in der Wohnung eines Narragansetts lebst. Sein Auge ist zu scharf; man kann ihn nicht täuschen. Er weiß, daß der Mokasin, der Wampumgürtel, das Pelzgewand Lügner sind, er sieht durch sie hindurch die Farbe Deiner Haut.«
»Nein, Conanchet, nein,« entgegnete das junge Weib hastig und mit einer Entschlossenheit und Wärme, welche zu erwarten ihre frühere Furchtsamkeit und Schüchternheit eben keinen Grund gegeben hatte. »Sein Blick dringt auch durch die Farbe der Haut hindurch, er kennt die Farbe des Geistes und die Beschaffenheit des Herzens. Er hat vergessen, daß eines seiner Mädchen fehle.«
»Es ist nicht so. Der Adler meines Volkes war gefangen in den Wohnungen der Blaßgesichter. Er war jung, und sie lehrten ihn, in andern Tönen zu singen. Die Farbe seiner Federn ward verändert, und sie gedachten, den Manittu zu betrügen. Aber als die Thür offen stand, als seine Bande gelöst wurden, breitete er die Schwingen aus, und floh zurück zu seinem Neste. So ist es nicht, wie Du denkst. Was geschehen ist, ist gut; und was jetzt geschehen wird, noch besser. Komm, hier liegt ein gerader Pfad vor uns.«
Mit diesen Worten winkte Conanchet seinem Weibe, ihm zu der Gruppe der Gefangenen zu folgen. Das bisherige Gespräch hatte an einer Stelle stattgefunden, wo die beiden Gruppen theilweise durch die Trümmer des Blockhauses einander verdeckt worden, aber da der Zwischenraum so unbedeutend und gering war, stand der Sachem und seine Gefährtin 204 bald denen gegenüber, die sie aufgesucht. Er ließ sie einige Schritte hinter sich zurück, trat in den Kreis, nahm die, alles Widerstandes unfähige, fast bewußtlose Ruth unter den Arm, führte sie etwas abwärts und stellte beide weibliche Wesen so, daß ihre Blicke sich begegnen mußten. Heftige Erregungen und Gefühle kämpften und rangen in einem Antlitz, welches trotz seiner stolzen, wilden Maske von Kriegsbemalung nicht gänzlich das Wirken und Arbeiten in seinen Zügen verhehlen und verbergen konnte.
»Seht,« sagte er in englischer Mundart, abwechselnd von der Einen auf die Andere blickend, »seht, der gute Geist schämt sich seines Werkes nicht. Was er gethan, hat er gethan; kein Narragansett, kein Yengihs vermag es zu ändern, noch ungeschehen zu machen. Dies ist der weiße Vogel,« fuhr er fort und berührte leichthin mit einem Finger Ruth's Schulter, »dies ist der weiße Vogel, der über das Meer hergeflogen, und diese, das Junge,« auf die Andere hinweisend, »welches er unter seinen Flügeln erwärmt hat.«
Alsdann, die Hände auf seiner nackten Brust gefaltet, schien er alle seine Kraft und Stärke aufzubieten, damit nicht in dem Auftritt, welcher, wie er wohl einsah, erfolgen mußte, sein männlich fester Sinn irgend eine Bewegung und Handlung sich entschlüpfen lasse, der seines Kriegernamens unwürdig wäre.
Für die Gefangenen war natürlich der Sinn des Auftritts, dessen Zeugen sie waren, ein Geheimniß. So viele seltsame, wilde Gestalten hatten sich ihren Blicken abwechselnd gezeigt und wieder entzogen, daß eine mehr oder weniger ihre Aufmerksamkeit nicht fesseln konnte, daher war auch von Ruth bis auf den Augenblick, wo sie sich in ihrer Muttersprache von 205 Conanchet anreden hörte, sein Zusammentreffen mit einem Weibe unbemerkt geblieben. Nun aber weckte die gleich sehr auffallende Bilder- und Geberdensprache des Indianers sie eben so plötzlich als heftig aus ihrer Traurigkeit.
Kein Kind von zartem Alter kam je unerwartet vor Ruth Heathcote's Augen, ohne peinlich ihr den Cherub in's Andenken zurückzurufen, den sie verloren hatte. Die spielende, lustvolle Stimme der Kindheit überraschte nie ihr Ohr, ohne daß der Ton ihrem Herzen ein Bangen mitgetheilt; auch konnte man nie eine Anspielung, eine Hinweisung, wenn sie auch noch so unbestimmt und entfernt gewesen, auf Personen oder Vorfälle sich erlauben, welche einige Aehnlichkeit mit den traurigen Begebenheiten ihres eigenen Lebens hatten, ohne dadurch das nie ersterbende Sehnen ihres Herzens von Neuem zu verstärken, und den Pulsen, die nur für mütterliche Liebe schlugen, raschere Bewegung mitzutheilen. Kein Wunder daher, daß in ihrer Lage und in den gegenwärtigen Umständen die Natur mächtig in ihr wurde, und in ihrem Gemüth dunkele Ahnungen einer Wahrheit aufstiegen, die der Leser voraussieht. Doch fehlte immer noch eine sichere, offenbare, in die Augen fallende Spur. Die Phantasie hatte ihr immer ihr Kind in der Unschuld, in jenem zarten Alter vorgemalt, in welchem es ihren Armen entrissen worden, und während sich doch hier so vieles fand, was jeder vernünftigen Erwartung entsprach und mit ihr übereinkam, fand sich doch so wenig, was mit dem lang und freundlich gehegten Bilde übereinstimmte. Die Täuschung – wenn anders ein so heiliges, natürliches Gefühl so genannt werden darf – war zu tief in ihr Innerstes eingedrungen, hatte sich darin zu fest gesetzt, um auf einen Blick ausgerottet und aufgehoben werden 206 zu können. Lange, ernst und mit einem Ausdruck, der mit jedem wechselnden Gefühl sich änderte, auf sie hinstaunend, hielt sie die Fremde auf die Länge ihrer beiden Arme von sich entfernt, und schien eben so wenig willens, ihren Halt aufzugeben, als sie näher an ihr Herz zu lassen, das vielleicht das rechtmäßige Eigenthum einer Andern hätte sein können.
»Wer bist du?« fragte die Mutter mit einer Stimme welche durch die Gefühle und Erregungen dieses heiligen Charakters zitternd und unsicher geworden. »Sprich, geheimnißvolles, liebliches Wesen, sprich, wer bist Du?«
Narra-Mattah hatte inzwischen einen furchtsamen, bittenden Blick auf den unbeweglich und ruhig dastehenden Conanchet gerichtet, als wenn sie Schutz und Beistand suchte, von ihm, aus dessen Händen sie ihn zu empfangen gewohnt war. Aber eine neue Empfindung bemächtigte sich ihrer, als sie die Töne einer Stimme hörte, die zu oft in ihrer Kindheit ihr Ohr erfreut und durchdrungen hatten, um je vergessen zu werden. Alles Widerstreben, aller Kampf in ihr hörte auf, und ihre biegsame, geschmeidige Gestalt nahm die Stellung tiefer, gleichsam bezauberter Unbeweglichkeit und Aufmerksamkeit an. Ihr Haupt war etwas zur Seite geneigt, gleich als wenn das Ohr eifrig und voll Verlangen wäre, eine Wiederholung der bekannten Töne in sich aufzunehmen und einzusaugen, während immer ihr zerstörter und doch erfreuter, entzückter Blick noch das Antlitz ihres Gatten aufsuchte.
»Erscheinung der Wälder, Du Trugbild der Wildniß, willst Du mir nicht antworten?« fuhr Ruth fort. »Wenn nur die geringste Ehrerbietung und Ehrfurcht für den 207 Heiligen von Israel in Deinem Herzen sich vorfindet, so gib Antwort, auf daß ich Dich erkenne!«
»Conanchet!« flüsterte das junge Weib, in deren Zügen sich der Strahl froher unerklärlicher Befremdung immer tiefer färbte; »komm näher, Sachem, der Geist, welcher zu Narra-Mattah in ihren Träumen spricht, ist nahe!«
»Weib der Yengihs,« sagte Conanchet und näherte sich mit Würde der Stelle, wo Beide standen; »laß die Wolken von Deiner Stirn zerstreuen, entferne die Nebel von Deinen Augen! Weib eines Narragansetts, steh hell und klar. Der Manittu Deines Geschlechts spricht mächtig. Er heißt einer Mutter ihr Kind erkennen!«
Ruth konnte nicht länger zweifeln, kein Laut, kein Ausruf entging ihr, aber als sie die nachgebende, sich ihr ganz überlassene Gestalt ihrer wiedererlangten, lang beweinten Tochter an ihr Herz zog und drückte, da schien es, als strebe sie beide Körper in einen zu verschmelzen und einzuverleiben. Ein Ausruf der Lust, des Entzückens, Staunens und der Verwunderung zog Alle um sie in ihre Nähe. Jetzt offenbarte sich die ganze Gewalt, welche die Natur ausübt, wenn sie im Innersten heftig aufgeregt und erweckt worden, Alt und Jung erkannten gleichmäßig ihre Wirksamkeit an; und neuere Besorgnisse und Unruhen wurden in dem reinen Entzücken, in der himmlischen Lust solch eines Augenblicks übersehen und vergessen. Selbst der Geist des starkmüthigen, stolzen Conanchet wurde erschüttert und bewegt. Er erhob die Hand, an deren Gelenk immer noch der blutige Tomahawk hing, bedeckte das Antlitz, wandte sich zur Seite, damit Niemand die Schwäche eines so großen Kriegers gewahre und – weinte. 208